Nach Amerika! Bd. 1

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Der Tag neigte sich dem Abend zu, der Mann war in die Stadt gegangen, um seine Steuern zu bezahlen und manches einzukaufen, was sie notwendig im Hause brauchten. Zum Ersatz dafür hatte er das zweite Schwein, das sie bis dahin gehalten, hineingetrieben, und der Erlös sollte seine Ausgaben bestreiten.

Der Regen wurde jetzt wieder heftiger, die großen schweren Tropfen schlugen gegen das Fenster, und das Kind wurde vollständig munter und fing an zu schreien. Die Mutter schob ihr Spinnrad zurück, nahm das Kleine aus der Wiege, und ging damit trällernd im Zimmer auf und ab. Die Alte spann indes ruhig weiter und versuchte mit zitternder, leiser Stimme ein geistliches Lied zu singen, und mit dem Rad trat sie den Takt dazu. Sonst sprach keine ein Wort.

Endlich wurde die Haustür geöffnet, jemand kam von draußen herein und strich sich die Füße auf den Steinen und der Strohdecke ab, und sie hörten gleich darauf, wie der zurückkehrende Vater und Gatte seinen großen, rotblauwollenen Schirm auf die Steine stieß, um das Wasser soviel wie möglich davon abzuschütteln, und den Mantel auszog und über den großen Schleifstein hing, der draußen im Flur stand – wie er das gewöhnlich tat. Die Frau öffnete rasch die Tür, um den Mann zu begrüßen, der den Hut abnahm, sich die nassen Haare aus der Stirn strich und das Kind küßte, das sie ihm entgegenhielt.

«Jesus, ist das ein Wetter, Gottlieb!» sagte sie dabei, als sie ihm den Hut aus der Hand nahm und neben den Ofen an den Nagel hing. «Komm nur herein, daß Du ‘was Trockenes auf den Leib bekommst. Wo hast Du denn den Jungen? – Ist er nicht bei Dir?» setzte sie, fast ängstlich, hinzu.

«Er ist draußen bei Lehmanns hineingegangen, denen wir ein paar Sachen aus der Stadt mitgebracht», sagte der Mann, «wird wohl gleich kommen – wie geht’s, Frau? – Wie geht’s, Mutter? – Ha, das regnet einmal heute, was vom Himmel herunter will, was nur daraus werden soll, wenn das Wetter so fortbleibt. Ein paar gute trockene Tage haben wir gehabt, und jetzt wieder Guß auf Guß – Guß auf Guß, als ob sie uns unsere paar Stücken Feld noch hinunter in die Wiesen waschen wollten. Von dem einen Acker ist die Saat schon halb fortgespült – wenn diesmal das Korn mißrät, weiß ich nicht, wo der arme Mann das Brot hernehmen soll.»

«Klag’ nicht, Gottlieb», sagte aber die Frau freundlich, «es geht noch vielen schlechter wie uns, und was sollen da die g a n z armen Leute sagen? Lieber Gott, es ist viel Not in der Welt, und wer heutzutage eben sein Auskommen und ein Dach über dem Kopf hat und gesund ist, sollte sich nicht versündigen.»

Sie hatte dabei das Kind auf die Erde gesetzt, holte den Topf aus der Röhre, in der, trotz der vorgerückten Jahreszeit, noch ein Feuer brannte, der alten fröstelnden Mutter wegen, und groß den darin heiß gehaltenen Kaffee – sie nannten das braune Getränk von gebrannten gelben Rüben und Gerste wenigstens so – in die eine braune Kanne, damit sich der Mann, der den ganzen Tag draußen im Regen herumgezogen war, daran erquicken könne. Zugleich deckte sie ein weißes Tuch über den Tisch, auf den sie noch Butter und Brot stellte, um die versäumte Mittagsmahlzeit wenigstens in etwas nachzuholen.

Der Mann setzte sich an den Tisch, schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, in den ihm die Frau die Milch goß, und schnitt sich ein großes Stück Brot ab, das er mit Butter bestrich und verzehrte. Er sprach kein Wort dabei und beendete still seine Mahlzeit, schob dann die Tasse und den Butterteller zurück, nahm das Kleinste, das die Mutter zu ihm auf die Erde gesetzt hatte, herauf auf sein linkes Knie, blieb, den rechten Ellbogen auf den Tisch gestützt, den Kopf gegen die Wand gelehnt, regungslos sitzen, und schaute still und schweigend nach dem Fenster hinüber, an das die Regentropfen immer noch, vom Wind draußen gepeitscht, hohl und heftig anschlugen.

Die Frau hatte ihn eine ganze Zeit lang mit scheuem Blick betrachtet, es war irgendetwas vorgefallen, aber sie wagte nicht zu fragen, denn Gottlieb, so seelensgut er auch sonst sein möchte, hatte doch auch seine ,verdrießlichen Stunden’, und war dann, wenn gestört, oft rauh und unfreundlich; aber eine eigene Angst überkam sie plötzlich. Ihr ältester Sohn – der Hans – war nicht mit nach Hause gekommen, konnte dem – heiliger Gott, wie ein Stich traf es sie ins Herz – und sie sprang erschreckt von ihrem Stuhl auf und auf den Mann zu.

«Gottlieb – um aller Heiligen willen, wo ist der Hans? – Es ist – es ist ihm doch nicht etwa ein Unglück geschehen?»

«Der Hans?» sagte der Mann aber ruhig und sah erstaunt zu ihr auf. «Was fällt Dir denn ein? Was soll denn dem Hans zugestoßen sein? Ich habe Dir ja gesagt, daß er bei Lehmanns etwas abzugeben hat und dort wahrscheinlich das Wetter abwarten wird.»

«Ich weiß nicht», sagte die Frau, der dadurch allerdings eine Zentnerlast von der Seele gewälzt wurde, «aber Du bist so sonderbar heut Abend, so still und ernst, und da schlug’s mir wie ein Schreck in die Glieder über den Hans. Ist etwas vorgefallen, Gottlieb?»

Gottlieb schüttelte langsam den Kopf und sagte:

«Nicht daß ich wüßte – nichts Besonderes wenigstens, oder nichts anderes, als was jetzt alle Tage vorfällt – Geld zahlen!»

«War es denn so viel?» sagte die Frau leise und schüchtern.

Der Mann schwieg einen Augenblick und sah still vor sich nieder; endlich erwiderte er seufzend:

«Das Schwein ist drauf gegangen, und vier Taler siebzehn Groschen sind immer noch mit Gerichtskosten und der alten Prozessgeschichte mit der Brückenplanke, mit der ich eigentlich gar nichts mehr zu tun hatte, stehen geblieben. Ich muß sie bis zum 1. Juli nachzahlen, unter Androhung von Pfändung.»

«Nun, lieber Gott», sagte die Frau tröstend, «wenn das das Schlimmste ist, läßt sich’s noch ertragen; da verkaufen wir eben das andere Schwein und behelfen uns so. Wie wenig Leute im Dorf haben überhaupt eins zu schlachten und leben doch; warum sollen wir nicht ebenso gut ohne eins leben können als die.»

«Ja,» sagte der Mann, leise und still vor sich hinbrütend, «verkaufen und immer nur verkaufen, ein Stück nach dem anderen, und während woanders die Leute mit jedem Jahr ihr kleines Besitztum vergrößern und für ihre Kinder etwas zurücklegen können, sieht man es hier mehr und mehr zusammenschmelzen, unter Müh’ und Plack das ganze Jahr lang.»

«Aber kannst Du’s ändern?» sagte die Frau leise und fuhr, wie der Mann schwieg und, mit der Faust die Stirn stützend, vor sich niederstarrte, schüchtern fort : «Arbeitest Du nicht von früh bis spät fleißig und unverdrossen? Gönnst Du Dir eine Zeit der Ruhe, wo Dich irgendeine nötige Beschäftigung ruft, und haben wir uns etwa das Geringste vorzuwerfen?»

«Nein», sagte der Mann, während er die Hand auf den Tisch sinken ließ und die Frau voll und fest ansah, «nein, aber das ist es ja eben, was mir am Leben frißt. Wir k ö n n e n nicht m e h r arbeiten, nicht m e h r verdienen, wie wir jetzt tun, und jetzt sind wir noch jung und kräftig, unsere Kinder noch klein und gesund, und dennoch geht es mit jedem Jahr zurück, wird es mit jedem Jahr schlechter und schlimmer. Wie nun soll das werden, wenn uns erst einmal Krankheit heimsuchte, wenn die Kinder heranwachsen und mehr brauchen, wenn wir selber älter werden und nicht mehr so zugreifen können wie jetzt? – Schon jetzt können wir uns nicht mehr in der teuren Zeit oben halten – das eine Schwein ist verkauft, das andere wird noch fort müssen, unser Acker ist kleiner geworden in den letzten zehn Jahren, unsere Bedürfnisse aber sind gewachsen – wie soll das enden?»

«Aber Gottlieb», sagte die Frau freundlich, «wie kommen Dir jetzt doch nur solche Grillen? Haben Dir die paar Taler Steuern den Kopf verdreht? Mann, Mann, Du bist doch sonst so ruhig und hast immer vertrauensvoll in die Zukunft gesehen. Wie sind Dir auf einmal solche schwarze Gedanken durch den Sinn gefahren?»

Die alte Mutter hatte, schon so lange wie die beiden miteinander gesprochen, ihr Spinnrad ruhen lassen und dem Gespräch aufmerksam zugehört, dabei schüttelte sie fortwährend mit dem Kopf und sagte endlich mir ihrer schrillen, scharf klingenden Stimme:

«Jawohl, jawohl – das Geld wird rar und das Brot teuer, und mehr Mäuler kommen – mehr Mäuler sind da zum Verzehren, wie zum Verdienen. Schlagt mich tot, schlagt mich tot, daß ich wegkomme aus dem Weg und Euch Platz mache – schlagt mich tot.»

«Mutter», bat die Frau in Todesangst, daß sie dem Manne mit solcher Rede wehe tun würde, denn e r gerade hatte sie immer auf das Freundlichste behandelt und alles getan, was in seinen Kräften stand, ihr jede Erleichterung, die ihr Alter bedurfte, zu verschaffen, «wie dürft Ihr nur so etwas reden; versündigt Ihr Euch denn nicht?»

«Wir haben noch genug für uns alle, Mutter», sagte aber der Mann freundlich, der ihre Launen kannte und der alten Frau nicht wehe tun mochte, «nur für spätere Zeit ist mir bange; Sie aber wären die Letzte, die darunter leiden sollte. Wir werden alle alt, und wenn wir unsere Schuldigkeit in unserer Jugend getan, wie Sie, dann ist es nicht mehr wie Pflicht und Schuldigkeit der Jüngeren, für ihre Eltern zu sorgen – wenn sie nicht auch einmal wieder von ihren Kindern wollen verlassen werden.»

Die Alte war wieder still geworden, sah noch eine Zeitlang vor sich nieder, und begann dann auf’s neue ihre Arbeit; aber die Frau fuhr fort und sagte fast mit einem leisen Vorwurf im Ton zu ihrem Mann:

«Siehst Du, Gottlieb, das hast Du nun davon mit Deinen trüben und traurigen Ideen; Du machst Dir und mir und der Mutter nur das Herz schwer, und nützest und hilfst doch nichts. Der liebe Herrgott da oben wird’s schon machen und lenken; Er hat die Welt so viele Jahrhunderte hindurch in ihrer Bahn gehalten, und die Menschen darauf geschirmt und gepflegt, wie unser Herr Pastor sagt, Er wird’s auch schon weiter tun, und wir dürfen uns eigentlich gar nicht sorgen und kümmern um den ,nächsten Tag’».

 

«Doch, doch, Frau», sagte aber der Mann, aufstehend und jetzt, die Hände in den Hosentasche, in der Stube auf und abgehend, «doch, Frau, der Mann m u ß, denn wenn er’s n i c h t täte, wär er ein schlechter Hausvater, und ihm allein fielen dann all’ die schweren Folgen zur Last, die daraus entständen. Ich kann Dir das nicht so mit Worten deutlich machen, wie mir’s neulich der Schulmeister, mit dem ich darüber sprach, erklärte, aber der meinte, es wäre etwa so wie wenn einer im Wasser wäre. Da sei es auch nicht genug, daß man sich oben hielte an der Luft und im Kreis herumschwämme, eben nur nicht zu ertrinken, das täte nicht einmal ein unvernünftiges Stück Vieh, nein, des Menschen, des verständigen Menschen Pflicht sei es, sich schon im Wasser nach dem festen Land umzusehen, ob man das irgend erreichen könne, denn zuletzt würde man da im Wasser, man möchte noch so tapfer schwimmen, doch müde, und ließen erst einmal die Kräfte nach, dann hilft auch zuletzt das Schwimmen nichts mehr und man sänke eben langsam zu Boden.»

«Ich verstehe nicht recht, was Du damit meinst,» sagte die Frau, «aber Du siehst mich so sonderbar dabei an – hast Du noch ‘was anderes dahinter?»

«Nein und ja», sagte der Mann nach kleiner Pause, indem er sich mit dem Rücken an den Ofen lehnte und langsam dazu mit dem Kopf nickte. «Eigentlich nicht, denn Gott da oben weiß, daß es wahr ist, und weiß, wie und ob’s einmal enden kann; aber dann – dann hab’ ich allerdings noch ‘was dahinter, denn ich meine – ich meine… » Er schwieg und es war augenscheinlich, er hatte etwas auf dem Herzen, das er sich scheue so mit blanken, klaren Worten heraus zu sagen. Die Frau aber, die eben damit beschäftigt war das Geschirr hinauszuräumen, setzte die Kanne wieder auf den Tisch, sah den Mann erstaunt an, ging dann langsam zu ihm an den Ofen und sagte leise, vor ihm stehenbleibend :

«Geh her, Gottlieb – Du hast ‘was, was Dich drückt, und willst nicht mit der Sprache heraus. Es ist irgend noch etwas vorgefallen in der Stadt, was Du nicht sagen magst. Du mußt doch nicht s i t z e n ?»

«Sitzen? – Weshalb?» lächelte der Mann kopfschüttelnd. «Ich habe nie etwas Böses getan.»

«Nun, was ist’s dann, so sprich doch nur, denn Du ängstigst mich ja mehr mit Deinem Schweigen, als wenn Du mir das Schlimmste gleich voraus erzählst – dem Hans fehlt doch nichts?»

«Was soll dem Hans fehlen, närrische Frau – wenn’s aufhört zu gießen, wird er schon kommen.»

«Und was ist’s dann? – Gelt, Du sagst mir’s?»

«Ich m u ß Dir’s wohl sagen», seufzte der Mann, «nun sieh, Hanne, ich meine – ich habe so darüber nachgedacht, daß es jetzt hier in Deutschland immer schlechter wird mit uns – und daß wir’s zu nichts mehr bringen können, trotz aller Arbeit, trotz allem Fleiß, und daß jetzt – daß jetzt doch so viele Menschen – hinüber ziehen … »

«Hinüberziehen?» frug die Frau erstaunt, fast erschreckt, und legte die hand fest auf’s Herz, als ob sie die aufsteigende Angst und Ahnung über etwas Großes, Schreckliches da hinunter und zurückdrücken wolle, ehe sie zu Tage käme. «Wo hinüber, Gottlieb?»

«Nach Amerika», sagte der Mann leise – so leise, daß sie das Wort wohl nicht einmal verstand, und nur an der Bewegung der Lippen es sah und erriet. Wie ein Schlag aber traf sie die Wirklichkeit ihres Verdachts, und ohne ein Wort zu erwidern, ohne eine Silbe weiter zu sagen, setzte sie sich auf den dicht am Ofen stehenden Stuhl, deckte ihr Gesicht mit der Schürze zu, und saß eine lange, lange Weile still und regungslos. Auch der Mann wagte nicht zu sprechen – er hatte den Gedanken wohl schon eine zeitlang mit sich herumgetragen, aber sich immer davor gefürchtet, ihm Worte zu geben, sogar gegen sich selbst, wie viel weniger denn gegen die Frau. Jetzt war es heraus, und er betrachtete nur scheu die Wirkung, die er hervorgebracht.

Auch die alte Mutter saß, mit der Hand auf dem Rad, das sie im Drehen aufgehalten, und horchte nach den beiden hinüber, was sie mitsammen hatten; und wie die so still waren und kein Wort mehr sprachen, mochte es ihr auch unheimlich vorkommen, und sie sagte laut und mürrisch:

«Nun, Gottlieb, was gibt’s – was hast Du wieder mit der Hanne? Was habt Ihr denn, daß Ihr so still und heimlich tut – macht einem nicht auch noch Angst unnötigerweise – was ist nun wieder los?»

«Ja, Mutter», sagte der Mann jetzt, der sich gewaltsam Mut faßte über das, was nun doch nicht länger mehr verschwiegen bleiben konnte und besprochen werden m u ß t e, auch l a u t zu reden, daß er’s vom Herzen herunter bekam. «Es geht mit uns hier den Krebsgang, und ich habe eben zu Hannen gesagt, daß uns zuletzt nichts anderes übrigbleiben würde, als – als es eben auch wie andere zu machen und …. »

«Und ? – Und was zu machen?» frug die alte Frau gespannt.

«Als a u s z u w a n d e r n», sagte der Mann mit einem plötzlichen Ruck und seufzte dann tief auf, als ob er selber froh wäre, es los zu sein.

«Herr du meine Güte!» rief die alte Frau, ließ die Hände erschreckt in den Schoß sinken und lehnte sich in ihren Stuhl zurück, während ihr alle Glieder am Leibe flogen. «Herr du meine Güte!» wiederholte sie noch einmal, und die Finger falteten sich unwillkürlich zusammen, so hatte sie der Schreck getroffen.

«Auswandern», sagte aber auch jetzt Gottliebs Frau mit tonloser Stimme und ließ die Schürze vom Gesicht herunterfallen. «Auswandern, das ist ein schweres – schweres Wort, Gottlieb – hast du Dir das auch recht – recht reiflich überlegt?»

«Tag und Nacht die ganze letzte Woche hindurch», rief der Mann, der jetzt, da das Eis einmal gebrochen war, wieder Leben und Wärme gewann. «Wie ein Mühlstein hat’s mir auf der Seele gelegen, und ich habe so lange und tapfer dagegen angekämpft. Aber es wäre das Beste für uns, was wir auf der weiten Gotteswelt tun könnten; und wenn auch nicht einmal für uns, wenn wir selber auch schwere und bittere Zeiten durchzumachen hätten, doch für die Kinder, die einmal den Segen ernten, den wir mit unserem Schweiß, unseren Tränen gesät.»

«Auswandern? Ja», sagte jetzt die Großmutter, mit dem Kopfe nickend und schüttelnd, als ob sie den schrecklichen Gedanken wieder von sich abwerfen wollte, «ja, wohin es Euch lüstet, aber erst wenn ich tot bin. Die paar Tage müßt Ihr noch hier bleiben, die ich noch zu leben habe, oder sonst schlagt mich tot, werft mich ins Wasser, oder schlagt mich mit dem Beil auf den Kopf, daß ich fortkomme und hier auf dem Kirchhof unter der alten Linde liegen kann, wo der Lebrecht liegt. In der Welt könnt Ihr mich doch nicht mehr umherschleppen, und nutz bin ich auch nichts mehr, wie das mit zu verzehren, was andere verdienen. Wenn Ihr jetzt fort wollt, schlagt mich vorher tot.»

«Ach Mutter, wenn Sie nur nicht gar so häßlich reden wollen», sagte die Frau traurig, während der Mann wieder zum Tisch ging, sich dort auf den Stuhl setzte und den Kopf in die Hand stützte. «Sie sind noch wohl und rüstig, und werden, will’s Gott, noch manches Jahr leben und sich Ihrer Kinder freuen. Wo die dann hinziehen und sich ihr Brot suchen müssen, da gehören Sie auch hin, und was die verdienen, das haben Sie auch verdient mit Mühe und Not und banger Sorge schon vor langen Jahren, wo w i r noch klein und unbehilflich waren, wie unsere Kinder jetzt.»

«Wozu mich mitnehmen», sagte aber die Frau, störrisch dabei mit dem Oberkörper herüber und hinüber schwankend, «unterwegs müßtet Ihr mich doch aus dem großen Schiff hinaus ins Wasser werfen, die Fische zu füttern. Bleibe im Lande und nähre Dich redlich, das ist m e i n Spruch und meines Leprecht Spruch von alter Zeit her gewesen, und wir haben uns wohl dabei befunden; aber das junge Volk jetzt will immer alles anders haben, will oben zur Decke ‘naus und fliegen und schwimmen, anstatt hübsch auf der Erde und im alten Gleis zu bleiben. Warum ist’s denn früher gegangen? – Nein, Gott bewahre, jetzt soll alles mit Eisenbahnen und Dampf gehen und keine Geduld, keine Ausdauer mehr, nur fort, immer gleich fort, in die Welt hinein und mit dem Kopf gegen die Wand – schlagt mich tot, dann seid Ihr mich los und könnt hingehen, wohin Ihr wollt.»

Und die alte Mutter stand auf, rückte ihr Spinnrad beiseite und humpelte, noch immer vor sich hinmurmelnd und grollend, aus der Stube hinaus.

«Sie meint es nicht so bös, Gottlieb», sage die Frau zu dem Mann tretend und ihre Hand auf seine Schulter legend, «es ist eine alte Frau, die an ihrer Heimat mit ganzem Herzen hängt und sich vor der Reise fürchtet.»

«Und Du n i c h t, Hanne?» rief der Mann, sich rasch nach ihr umdrehend und ihre Hand ergreifend. «Du nicht ? Du würdest Dich dazu entschließen können, unsere Heimat hier, unser Häuschen, unser Feld zu verlassen und mit mir und den Kindern über das weite Meer zu fahren in eine fremde Welt?»

Die Frau schwieg und ihre Hand zitterte in der des Mannes – endlich sagte sie leise:

«So weit fort? – Und m u ß es denn sein, ist es denn gar nicht mehr möglich, daß wir hier uns auch ein bißchen knapper einrichten wie bisher? Ach, Gottlieb, es ist gar hart, so von zu Hause fortzugehen, die Tür zuzuschließen und zu denken, daß man nun nie und nimmer wieder dahin zurückkommt.»

Der Mann nickte traurig mit dem Kopf und sagte endlich:

«Du hast Recht, Hanne, es ist ein schwerer, recht schwerer Schritt, und man sollte ihn sich wohl vorher überlegen, ehe man ihn tut, denn zurück kann man nicht wieder, wenn man wenigstens nicht alles opfern will, was einem bis dahin noch zu eigen gehört hat. Tun wir aber recht, nur allein an u n s zu denken? – Sieh, w i r schleppen und vielleicht noch, wenn auch kümmerlich, doch ehrlich durch, bis wir einmal sterben, und wenn es auch hart ist, daß es einem nachher im Alter schlechter gehen soll wie in der Jugend, brauchten wir doch gerade keine Furcht zuhaben, daß wir verhungerten; aber die Kinder – die Kinder – was wird aus denen? Unser kleines Grundstück ist die Jahre über kleiner und kleiner geworden, mit dem Geschäft geht’s auch kümmerlicher wie bisher – neue, geschicktere Arbeiter, junge Burschen, die noch keine Familie haben und weniger brauchen, sitzen in den Dörfern herum, und die Fabriken und Maschinen geben uns ohnehin den Todesstoß. Stahl und Holz brauchen nichts zu essen und arbeiten unermüdet Tag und Nacht durch, und die Räder und Walzen und Hämmer klopfen und drehen und schwingen ununterbrochen fort gegen den Schweiß des armen Arbeiters, der darüber zugrunde geht. Ich murre auch nicht darüber, es muß wohl schon so recht sein, denn Gott hat’s den Menschen selber gelehrt und die Welt muß vorwärts gehen – wir älteren Leute können uns aber eben nicht mehr dareinschicken, können nichts anderes mehr ergreifen und wieder von vorn anfangen. Wir können das wenigstens hier im Land nicht, wo einem die Hände nach allen Seiten hin gebunden sind, und darum ist mir der Gedanke gekommen a u s z u w a n d e r n. Da drüben über dem Weltmeere hat der liebe Herrgott noch für uns arme Leute einen großen gewaltigen Fleck Erde liegen, den Maschinen und Räderwerken aus dem Weg. Dort haben wir Platz uns zu bewegen, und wer da nur ordentlich arbeiten will, hat nicht allein zu leben, sondern kann auch vielleicht für sich und die Kinder ‘was vorwärts bringen, und braucht sich nicht mehr vor der Zukunft und vor Hunger und Not zu fürchten. Wenn wir n i c h t auswandern, was bleibt unseren Kindern da einmal anderes übrig, als in Dienst zu gehen und sich bei fremden Leuten doch herumzuschlagen ihr Leben lang.»

«Und die Mutter?» sagte die Frau, sich ängstlich nach der Tür umsehend. «Was würde aus der alten Frau auf dem Meer?»

«Was aus so vielen alten Frauen da wird, liebes Herz», sagte aber der Mann, augenscheinlich mit froherem, freudigerem Herzen, als er bei dem eigenen Weib nicht den Widerstand fand, den er vielleicht gefürchtet, «sie gewöhnen sich an das neue Leben, sobald sie das alte nicht mehr um sich sehen, und die Seeluft soll kräftigen und stärken.»

«Aber sie wird nicht mit uns wollen.»

«Sie wird ihre Kinder nicht verlassen», tröstete sie der Mann, «und ohne sie dürften wir ja auch gar nicht fort.»

Die Frau reichte ihm schweigend die Hand, die er herzlich drückte, und wandte sich dann und wollte eben das Zimmer verlassen, als draußen jemand die Tür aufriß und in das Haus trat. Das Unwetter hatte jetzt seinen höchsten Grad erreicht und der Regen schlug in ordentlichen Güssen gegen die Fenster an, während der Wind die Wipfel der Bäume herüber und hinüber schüttelte und die Blüten mit rauher Hand von den Zweigen riß.

«Schönen Gruß miteinander», sagte dabei eine rauhe Stimme, während die Stubentür halb geöffnet wurde, «darf man hineinkommen?»

 

«Gott grüß Euch», sagte die Frau, «kommt nur herein, bei dem Wetter ist’s bös draußen sein – es tobt ja, als ob der letzte Tag hereinbrechen sollte.»

Der Fremde hing seinen Hut und Mantel draußen ab und trat mit nochmaligem Gruß in die Stube.

«Gott grüß Euch», sagte auch Gottlieb, «da, nehmt Euch einen Stuhl und setzt Euch zum Ofen; es ist heute unfreundlich draußen und man kann ein bißchen Feuer brauchen.»

«Sauwetter, verdammtes», fluchte der Mann, als er der Einladung Folge geleistet und sich die nassen Haare aus der Stirn strich. «Ich wollte erst sehen, daß ich die Schenke erreichte; hier um die Ecke herum kam der Wind aber so gepfiffen, daß er mich halb von den Füßen hob, und es war gerade, als ob sie einem von da oben einen Eimer voll Wasser nach dem anderen entgegen gössen. Schönes Wetter für Enten, aber für keine Menschen.»

Es war eine rauhe, kräftige Gestalt, der Mann, mit krausem, dickem schwarzen Bart und ein paar tiefliegenden, unsteten Augen, in einen groben braunen Tuchrock gekleidet, wie ihn die Fleischer nicht selten auf dem Lande tragen. Die ebenfalls braunen Hosen hatte er dabei heraufgekrempelt bis fast unter das Knie, um mit seinen derben Wasserstiefeln besser durch alle Pfützen und Schlammwege hindurch zu können. Die aus ungeborenem Kalbfell gemachte Weste war ihm bis an den Hals hinauf zugeknöpft, und eine lange silberne Uhrkette hing ihm darüber hin.

«Ihr seid wohl weit von hier zuhaus?» frug Gottlieb nach einer längeren Pause, in der er den Mann und dessen Äußeres nur flüchtig betrachtet hatte. «Hab’ euch wenigstens noch nicht hier bei uns gesehen.»

«Zehn Stunden etwa», sagte der Fremde, seine Pfeife jetzt aus der Brusttasche seines Rockes nehmend und mit Stahl und Schwamm27, den er bei sich führte, entzündend. «Wie weit ist’s noch bis Heilingen?»

«Eine tüchtige Stunde. Wenn der Weg jetzt nicht so schrecklich wäre, könnte man’s recht bequem in kürzerer Zeit gehen.»

«Hm – ist noch verdammt weit, puh, wie das draußen stürmt; und die Pflaumenblüten pflückt’s beim Armvoll herunter – Pflaumenmus wird teuer werden nächsten Herbst.»

«Das weiß Gott», sagte Gottlieb, «es wird alles teurer, immer mehr jedes Jahr, langsam aber sicher.»

«Bah, es geschieht denen recht, die hier bleiben, wenn sie nicht hier bleiben müssen; ‘s gibt Plätze, die besser sind.»

«Wollt Ihr auch auswandern?» sagte Gottlieb rasch.

«Auswandern? – Nach Amerika? Hm – ich weiß noch nicht», brummte der Fremde, sich den Bart streichend. «Es wäre aber möglich, daß sie einen noch dazu trieben. Sind das Eure Kinder?»

«Ja.»


«Habt Ihr noch mehr?»

«Noch einen Jungen von elfundeinhalb Jahr.»

«Und Ihr seid ein Weber?» sagte der Fremde mit einem Blick auf den Webstuhl. «Auch schwere Zeiten für derlei Arbeit, mit einer Familie durchzukommen.»

«Jawohl, schwere Zeiten», seufzte Gottlieb, als in diesem Augenblick die Tür draußen wieder aufging und die Mutter laut ausrief:

«Der Hans, lieber Himmel, kommt der in dem Wetter!»

Es war Hans, der älteste Sohn des Webers, durch und durch naß, aber mit frischem, gesunden Gesicht und roten Backen, auf denen das Regenwasser in großen Perlen stand.

«Guten Tag miteinander», sagte er, als er ins Zimmer trat und die triefende Mütze vom Kopf riß. «Guten Tag, Mutter.»

«Guten Tag, Hans, aber wo um Gotteswillen kommst Du in dem Regen her? Warum hast Du das Wetter nicht bei Lehmanns abgewartet?»

«Es wurde mir zu spät, Mutter, und ich war hungrig geworden; habe auch noch heut Abend dem Vater etwas zu helfen.»

«Ein derber Junge», sagte der Fremde, der sich den Knaben indes mit finsterem Blick betrachtet hatte. «Kann wohl schon ordentlich mitarbeiten?»

«Ach ja, er packt tüchtig mit zu», sagte der Vater. «Lieber Gott, in jetziger Zeit muß alles mit Brot verdienen helfen.»

«Die Kinder fressen einen arm», sagte der Fremde.

«Habt Ihr Kinder?» frug Gottlieb.

«Ich ? – Hm, ja», sagte der Fremde nach einer Pause, «könnte noch jemandem davon abgeben.»

«Ich möchte keins hergeben», sagte die Frau rasch und küßte das Jüngste, das sie eben wieder aufgenommen hatte, um es zu füttern. «Kinder sind ein Segen Gottes.»

«Ja – so sprechen die Leute wenigstens», sagte der Fremde trocken. «Aber ich glaube, es läßt nach mit Regnen; ich werde die Schenke wohl jetzt erreichen können.»

«Wollt Ihr nicht vielleicht erste eine Tasse heißen Kaffee trinken?» frug die Frau, das Kind auf dem linken Arm, zum Ofen gehend, um die warmgestellte Kanne wieder vorzuholen.

«Danke, danke», sagte der Fremde abwehrend. «Kann das warme Zeug nicht vertragen; ein Glas Branntwein ist mir lieber.»

«Das tut mir leid», sagte der Mann, «den kann ich Euch nicht anbieten, ich habe keinen im Hause.»

«Tut auch nichts», sagte der Mann, «so lange halt’ ich’s schon noch aus. – Sind doch hilflose Dinger so junge Menschen, ehe sie die Kinderschuhe ausgetreten haben», setzte er dann hinzu, als das Jüngste das Mäulchen nach dem schon einmal gereichten Löffel vorstreckte, «was machte nun so ein jung Ding, wenn man es hinsetzte und sich selber überließe.»

«Ach Du lieber Gott», sagte die Frau bedauernd, «so ein armer Wurm müßte ja elendiglich umkommen!»

«Bis den Nachbarn das Geschrei zu arg würde, und sie kämen und es fütterten», lachte der andere.

«Dafür haben die Kinder Eltern», sagte die Frau, das kleine, die Ärmchen zu ihr ausstreckende Mädchen liebkosend und küssend, «die sorgen schon dafür, daß kein Nachbar danach zu sehen braucht.»

«Wenn die aber einmal plötzlich sterben, wie dann?» frug der Fremde mit einem Seitenblick auf die Frau, indem er seinen Rock wieder zuknöpfte und sich zum Gehen rüstete.

«Dann ist G o t t im Himmel», sagte Hanne mit einem frommen, vertrauensvollen Blick nach oben.

«Ja, das ist wahr», sagte der Fremde mit einem leichtfertigen Lächeln, «der hat allerdings die große Kinderbewahranstalt. Aber es hat wirklich mit Gießen aufgehört», unterbrach er sich rasch, «den Augenblick will ich doch lieber benutzen. So, schön Dank für gegebenes Quartier, Ihr Leute, und gut Glück.»

«Bitte, Ihr habt für nichts zu danken; behüt’ Euch Gott», sagte Gottlieb freundlich.

«Behüt’ Euch Gott», sagte auch die Frau, und der Mann, ihnen noch einmal zunickend, nahm draußen wieder den nassen Mantel um, drückte sich den breiträndigen Hut in die Stirn, griff einen derben Knotenstock, der daneben in der Ecke lehnte, auf und verließ rasch das Haus, die Richtung nach der Schenke einschlagend.

«Mich freut’s, daß er fort ist», sagte die Frau, die dem Knaben gerade das Essen auf den Tisch setzte und den Kaffee einschenkte. «Bewahr’ uns Gott, was hatte der Mann für ein finsteres Gesicht und ein barsches Wesen; nicht schlafen könnt’ ich die Nacht, wenn ich den unter einem Dach mit mir wüßte. In dem Gesicht lag auch nichts Gutes – und wie er fluchte und über die Kinder sprach! Ob er nur wirklich selber welche hat?»

«Er sagt’s ja», bestätigte Gottlieb, «aber mir schien’s ein Fleischer zu sein, seinem Gewerbe nach, und die sind immer rauh und derb, meinen’s aber nicht immer so bös.»

«So bess’re ihn Gott», sagte die Frau mit einem Seufzer, «und je seltener er unseren Weg kreuzt, desto besser.»

* * *

Siebtes Kapitel

Nach Amerika.

«Nach Amerika!» – Leser, erinnerst Du Dich noch der Märchen in ,Tausendundeine Nacht’, wo das kleine Wörtchen ,Sesam’ dem, der es weiß, die Tore zu ungezählten Schätzen öffnet? Hast Du von den Zaubersprüchen gehört, die vor alten Zeiten weise Männer gekannt, um Geister aus ihrem Grabe heraufzurufen und die geheimen Wunder des Weltalls sich dienstbar zu machen? – Mit dem ersten Klang der einfachen Silbe schlugen, wie sich die Sage seit Jahrhunderten im Munde des Volks erhalten, Blitz und Donner zusammen, die Erde zitterte, und das kecke, tollkühne Menschenkind, das sie gesprochen, bebte vor der furchtbaren Gewalt zurück, die es heraufbeschworen.

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