Es begann in der Abbey Road

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Es begann in der Abbey Road
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George Martin mit Jeremy Hornsby


Aus dem Englischen von Alan Tepper


www.hannibal-verlag.de

Impressum

Originalausgabe

© 2013 by Hannibal

Hannibal Verlag, ein Imprint der Koch International GmbH, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

ISBN 978-3-85445-411-3

Dieses Buch ist auch erhältlich als Paperback mit der ISBN 978-3-85445-410-6

Titel der Originalausgabe: ALL YOU NEED IS EARS by George Martin with Jeremy Hornsby

Copyright © 1979 by George Martin

Translated from the English: ALL YOU NEED IS EARS

First published in the United Kingdom by: Macmillan Publishers

Übersetzung: Alan Tepper, Geseke

Lektorat: Eckhard Schwettmann, Gernsbach

Korrektorat: Otmar Fischer, Münster

Layout und Satz: www.buchsatz.com, Innsbruck

Coverdesign: Christopher M. Zucker, New York

Beatles-Foto Buchcover: ITV/Rex Features/picturedesk.com

Cover: bürosüd, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt und darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags nicht verwertet oder reproduziert werden. Das gilt vor allem für Vervielfältigungen, Übersetzungen und Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung

Inhalt

Zum Geleit

Präludium

Kapitel 1: Klassische Lehrstunden

Kapitel 2: Farbige Klänge – klingende Farben

Bildstrecke 1

Kapitel 3: Abbey Road

Kapitel 4: Akustische Gedankenspiele

Kapitel 5: Humor zahlt sich aus

Kapitel 6: Das Studio

Kapitel 7: Harte Tage – harte Nächte

Kapitel 8: Backrezepte

Bildstrecke 2

Kapitel 9: Der Durchbruch

Kapitel 10: Endlich durchatmen

Kapitel 11: Eine Prise Pfeffer

Kapitel 12: Die Welt des Films

Bildstrecke 3

Kapitel 13: Das Produzentenleben

Kapitel 14: Die AIR-Studios

Kapitel 15: Tomorrow Never Knows

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Liebe Leserin, lieber Leser,

Sie halten ein bemerkenswertes Buch in Händen, die Autobiografie von George Martin, dem legendären Entdecker und Produzenten der Beatles. Seine Erinnerungen hat er 1979 in dem Buch „All You Need Is Ears“ niedergeschrieben, damals mit der Unterstützung des Journalisten Jeremy Hornsby. Alan Tepper hat dieses Buch nun für den Hannibal Verlag sachkundig aus dem Englischen übersetzt.

Bei Hannibal haben Bücher über die Beatles eine lange Tradition, von Hunter Davies’ Die Beatles – Die einzige autorisierte Biografie bis zu der Vier-Bücher-Box The Beatles Solo, die fast zeitgleich mit diesem Buch erscheint. Daher war es dem Verlag wichtig, dieses Zeitdokument des legendären Beatles-Produzenten auch in deutscher Sprache zu veröffentlichen.

Es gab einige Neuauflagen der englischen Originalausgabe, zuletzt in den USA 1994. George Martin fand aber leider nie wieder die Zeit, dieses Buch fortzuschreiben. Produktionen wie die Beatles Anthology (1995), oder Hits mit Stars wie Elton John („Candle In The Wind“, 1997), oder die Katastrophen um sein AIR-Studio auf der karibischen Insel Montserrat, das 1989 von einem Hurrikan teilweise und 1997 von einem Vulkanausbruch dann völlig zerstört wurde, beanspruchten ihn zu sehr.

Auch konzentrierte er sich zuletzt auf die Produktion des Beatles-Albums LOVE.

Über zwei Jahre arbeitete George Martin mit seinem Sohn Giles daran, aus den rund 250 vorhandenen Beatles-Songs den Soundtrack für das gleichnamige Beatles-Musical zu schaffen, welches der Cirque du Soleil seit Juni 2006 (da war George Martin bereits 80 Jahre alt) bis heute in Las Vegas aufführt. Klassiker wie Get Back, Help!, Yesterday, Lady Madonna oder Hey Jude wurden mit Zitaten aus anderen Songs der Beatles neu abgemischt. Keine Frage, dass dies nur unter der Leitung eines George Martin erfolgen durfte, des langjährigen Produzenten und Mentors der Beatles.

Humorvoll und charmant schildert George Martin in diesem Buch, wie er 1950 zu Parlophone kam, der späteren Plattenfirma der Beatles, mit welchen bescheidenen technischen Möglichkeiten Aufnahmen gemacht wurden, wie die Verträge aussahen (die Beatles bekamen aus heutiger Sicht lächerlich geringe Tantiemen), wie die Musikindustrie sich entwickelte und vor allem natürlich viele Ereignisse rund um die Beatles, die von einem unmittelbar Beteiligten so noch nie erzählt wurden.

Ihr Manager Brian Epstein hatte 1962 bereits alles versucht, um den vier Liverpoolern einen Plattenvertrag zu verschaffen, war aber immer wieder abgelehnt worden. Nicht nur von DECCA, sondern – was heute gern übersehen wird – auch von der EMI, für die George Martin damals als Chef des EMI-Labels Parlophone arbeitete. Welchen Weg hätten die Beatles damals gewählt, wenn George Martin sie nicht unter Vertrag genommen hätte? Auch diesem Gedanken geht George Martin, der heute zu den erfolgreichsten Produzenten aller Zeiten gezählt werden muss, nach.

George Martin ist bei mehr als 5.000 Titeln als Produzent registriert, Insgesamt war er für über 30 Nummer-eins-Hits verantwortlich.

Im Jahre 1967 erhielt er den ersten von insgesamt drei Grammy Awards. 1977 folgte der BRIT Award für den besten britischen Produzenten der vergangenen 25 Jahre, 1984 für herausragende Beiträge zur Musik. 1988 wurde er Commander of the Order of the British Empire (CBE). Am 15. Juni 1996 wurde er von Elisabeth II. in den Ritterstand erhoben. Am 15. März 1999 wurde er in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen und am 14. November 2006 in die UK Music Hall Of Fame. Zusammen mit Paul McCartney und anderen gründete er im Januar 1996 das Liverpool Institute for Performing Arts, dem er darüber hinaus als Patron verbunden ist. Es beinhaltet ein nach George Martin benanntes Tonstudio.

Begleitend zur Lektüre dieses Buches empfehlen wir Ihnen eine CD und eine DVD: Im Juli 2001 erschien die Kompilations-CD Produced by George Martin mit den wichtigsten von ihm innerhalb von 48 Jahren produzierten Musiktiteln.

Auf DVD gibt es einen sehr informativen Dokumentarfilm über George Martin aus dem Jahr 2012. Hier kommen auch die beiden noch lebenden Ex-Beatles zu Wort, und es gibt Aufnehmen von dem legendären AIR-Studio auf Montserrat zu sehen, das gleich zweimal zerstört wurde, 1997 leider endgültig.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre dieses Buches!

Eckhard Schwettmann, im Juli 2013


Hallo! Und noch einmal „Hallo“. Das Wort erscheint mir generell geeignet, eine Autobiografie zu beginnen, jedoch trifft es in meinem Fall besonders zu, denn „Hallo“ war das erste jemals aufgenommene Wort in der Geschichte der Tonaufzeichnung.

Man schrieb das Jahr 1877. Thomas Alva Edison versuchte das Telefon, die Erfindung von Alexander Graham Bell, zu verbessern und entschloss sich, eine vibrierende Nadel an der Rückseite der Membran zu befestigen, anstelle von Bells Metallstift. Er beschrieb es später: „Ich sprach in das Mundstück eines Telefons und spürte dabei die Vibrationen der feinen Metallnadel. Das brachte mich zum Grübeln. Wenn sich der Schall auf den Stift überträgt und ich den Stift über eine Folie gleiten lassen kann, gab es eigentlich keinen Grund, warum die Apparatur nicht sprechen sollte.“

Edison hatte recht. Er ließ einen Streifen dünnes Wachspapier unter der Nadel herlaufen und schrie: „Hallo!“ Als er das Papier ein zweites Mal durch die Maschine laufen ließ – man glaubt es kaum –, hörte er sein „Hallo“. Das konnte man noch nicht als quadrophonischen Sound bezeichnen, aber zumindest war ein Anfang gemacht worden. Ende des Jahres ließ er den Phonographen patentieren, mit dessen Hilfe er Aufnahmen auf eine um einen Zylinder gewickelte Zinnfolie machte. Er hatte den Beweis mit der nun unsterblichen Zeile „Mary had a little lamb“ erbracht. Die Aufnahmeindustrie war geboren.

 

Heute, über 100 Jahre danach, steht der Interessierte vor der kuriosen Tatsache, dass sich die danach folgende Entwicklung in Abschnitte von jeweils 25 Jahren unterteilen lässt.

Die ersten 25 Jahre dauerten bis kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert. Sie waren von einer hektischen und fieberhaften internationalen Suche gekennzeichnet, bei der jeder versuchte, das neue Spielzeug der Öffentlichkeit schmackhaft zu machen. Während dieser Periode erfand Emil (englisch: Emile) Berliner die flache und plane Scheibe und ein Gerät, auf der er sie abspielen konnte – das Grammophon.

Doch der erste größere Durchbruch fand 1901 mit den auf hartem „Thermoplastik“ produzierten Platten statt und 1904, als die erste doppelseitige Schallplatte auf den Markt kam. Damit wurde die zweite Ära eingeläutet, die man als „akustische Phase“ bezeichnen kann. Nun, da zufriedenstellende mechanische Verfahren der Klangreproduktion erfunden worden waren, suchte man nach klanglichen Verbesserungen hinsichtlich der Aufnahme und des Abspielens der jetzt so genannten Schallplatten. Man wendete viel Zeit und Arbeit auf, um die beste theoretische und praktische Form des Schalltrichters zu gewährleisten, dessen Größe und Gestalt sich maßgeblich auf die Klangwiedergabe auswirkte.

Die mechanische Reproduktion bestimmte die „akustische Phase“. Dann – wie auf einen Startschuss hin – begann 1925 die Ära der elektrischen Aufzeichnung. Nun aktivierte die Membran bei einer Aufnahme die Nadel nicht mehr physisch, da die Vibrationen in elektromagnetische Impulse umgewandelt wurden, die sich dann auf die Nadel übertrugen. Beim Abspielen der Platte ließ sich die neue Technologie in der Umkehrung natürlich auch anwenden.

Innerhalb der nächsten 25 Jahre verfeinerte und entwickelte man die Technologie, bis exakt zum Jahr 1950, in dem zufälligerweise ein argloser junger Mann namens George Martin der Musikindustrie beitrat. Genau zu dem Zeitpunkt begannen die vierten 25 Jahre, die Ära der „elektrischen“ Tonaufzeichnung. Und damit hatte ich Glück – und Gott hatte ein ungewöhnliches gutes „Lebensrhythmusgefühl“ für mich bewiesen. Darum betrachte ich das Buch vor allem als die Geschichte dieser 25 Jahre moderner Tonaufzeichnung.

Ich empfinde es als zutiefst beeindruckend, dass der Zyklus in eine neue Ära übergeht. Während der Niederschrift des Texts nähern wir uns dem Ende der Tonbandaufzeichnung. Wenn Sie dieses Buch in den Händen halten, befinden wir uns schon in der nächsten Phase – dem digitalen Zeitalter. Doch das hebe ich mir für das letzte Kapitel auf.

GEORGE MARTIN


Ich wurde von einem unerbittlichen Klingeln geweckt. Das war kein guter Start in den heutigen, nein, jeden Tag. Einen Moment lang überlegte ich, wo ich mich befand. Ich lag im Schlafzimmer eines Pariser Hotels, und es war nicht Morgen, sondern mitten in der Nacht.

Zuerst musste ich ein dringliches Problem lösen, und zwar das höllische Gebimmel beenden. Ich nahm den Hörer ab und flüsterte ein leises und fragendes „Hello?“.

„George, es tut mir leid, dich zu wecken, aber ich muss dir unbedingt von den Neuigkeiten berichten.“

Brian Epsteins leicht lallende Stimme klang sehr aufgeregt. Um diese Uhrzeit schon oder noch angetrunken? Doch schnell erfuhr ich den Grund dafür.

„Ich komme gerade von einer Feier mit den Jungs, und sie sind genauso aus dem Häuschen wie ich“, keuchte er mit einer sich überschlagenden Stimme und wartete einen Augenblick, um die Spannung zu steigern. Ich sagte nichts, denn es war zu früh am Morgen oder zu spät in der Nacht, um einen anständigen Satz zu formulieren. Dann ließ er die Bombe hochgehen.

„Wir sind nächste Woche auf dem ersten Platz der US-Charts. Das ist ganz sicher. Ich habe gerade mit New York telefoniert.“ Das war’s also. Wir hatten es endlich geschafft, und zwar mit dem Song „I Want To Hold Your Hand“. Nach einem Jahr mühseliger und schwerer Arbeit hatten wir endlich die Mauer des größten Tonträgermarkts der Welt durchbrochen.

An Schlaf war jetzt nicht mehr zu denken, doch das machte mir nichts aus. In den letzten zwölf Monaten gehörte eine geregelte Nachtruhe zu den seltenen Annehmlichkeiten des Lebens. Ich lag im Bett, dachte an die Vergangenheit und die sich uns in der Zukunft bietenden Möglichkeiten.

Allerdings gab es zwei Gründe, warum ich mit den Beatles nach Paris gekommen war, und die standen im Moment ganz oben auf meiner Prioritätenliste. Sie standen vor ihrem ersten Frankreichauftritt im Olympia, und den durfte ich mir auf gar keinen Fall entgehen lassen. Darüber hinaus wollten wir noch schnell eine Platte in dem EMI-Studios Paris aufnehmen.

Ende 1963 hatten wir Großbritannien musikalisch erobert. Nun – wie auch in den USA – versuchten wir den großen Siegeszug auf dem Kontinent fortzusetzen. Die EMI-Vertreter in Deutschland hatte anscheinend ein Anflug von Patriotismus gepackt – wer kann das schon genau wissen –, und sie bestanden auf einer deutschsprachige Single, denn nur so ließen sich angeblich hohe Verkaufszahlen erzielen. Die Jungs hielten das für blanken Unsinn, und auch ich glaubte den deutschen EMI-Managern kein Wort, wollte ihnen aber keinen Anlass geben, einen möglicherweise schlechten Umsatz unserer Starrköpfigkeit zuzuschreiben.

Und so überredete ich John und Paul nach einigen Wortgefechten zu einer Neuaufnahme von „She Loves You“ und „I Want To Hold Your Hand“. Der Text wurde uns freundlicherweise von einem Deutschen übersetzt, der sich bei der Aufnahme blicken ließ, um die korrekte Aussprache zu prüfen. Ich konnte den Akzent nicht einschätzen, merkte aber schnell, dass es sich um eine wortwörtliche Übersetzung handelte. „Sie liebt dich, ja, ja, ja …“ klang in meinen Ohren wie eine für Peter Sellers charakteristische Parodie.

Wir setzen die Aufnahme für einen Tag an, an dem die Beatles nicht für die Olympia-Show proben mussten. Ich fuhr zum Studio, erwartete jedoch nicht, sie dort anzutreffen. Schon damals waren die Beatles kein Musterbeispiel für Pünktlichkeit. Nach einer Stunde Warten entschied ich mich, sie im Hotel anzurufen.

Keiner der vier wollte das Telefonat entgegennehmen. Neil Aspinall, ihr Tourmanager, wurde von ihnen vorgeschickt, um das Gespräch zu führen. Er klärte mich darüber auf, dass sie sich letztendlich gegen die Aufnahme entschlossen hatten und nicht kommen würden. Meine Reaktion als „verärgert“ zu bezeichnen hieße, den Mount Everest als einen mittelgroßen Hügel zu beschreiben. „Du wirst ihnen sagen“, brüllte ich in den Hörer, der vermutlich vor Entsetzen rot anlief, „du wirst denen jetzt sagen, dass ich mich direkt auf den Weg mache, um ihnen meine ungeschminkte Meinung zu verklickern.“

Ich knallte den Hörer auf die Gabel. Es war das erste Mal, dass die Jungs sich gegen mich auflehnten. Es irritierte mich, dass sie nicht den Mut besaßen, es mir direkt ins Gesicht zu sagen. Wutentbrannt raste ich zum Hôtel Georges Cinq, wo sie in einer extravaganten Suite wohnten, und platzte in den Salon der luxuriösen Unterbringung. Ich fühlte mich unmittelbar in eine Szene aus einem Buch von Lewis Carroll versetzt, dem Autor von Alice im Wunderland und Alice hinter den Spiegeln. Es fehlte nur noch das weiße Kaninchen. John, Paul, George, Ringo, Neil Aspinall und Mal Evans, sein Assistent, saßen um einen langen Tisch herum. In ihrer Mitte stand Jane Asher, eine wunderschöne Alice mit langem, goldenem Haar, und goss ihnen Tee ein. Mein plötzliches Auftauchen versetzte die Beatles in Angst und Schrecken. Wie von einem Wirbelsturm gepackt, trieb es sie in alle Richtungen. Die vier versteckten sich hinter dem Sofa, einem Berg aus Kissen und dem Piano – alles, was ihnen Schutz bot.

„Ihr Trottel! Mir ist es egal, ob ihr die Platte aufnehmt oder nicht, aber eure Unhöflichkeit empört mich!“

Einer nach dem anderen streckte den Kopf aus seinem Versteck heraus. Mit ihrem verlegenen Lächeln wirkten die Beatles wie unartige Schuljungen. Wie im Chor murmelten sie gemeinsam ein „Sorry, George“. Wenn die Beatles – wie in diesem Augenblick – ihre charmante Seite hervorkehrten, konnte man ihnen nicht lange böse sein. Innerhalb weniger Minuten hatte ich mich beruhigt und setzte mich in die Runde. Und welche Rolle spielte ich in der modernen Alice-Variation? Vielleicht die des verrückten Hutmachers?

Am nächsten Tag nahmen wir die Stücke auf. Natürlich hatten sie recht gehabt, denn Beatles-Platten in Englisch verkauften sich in allen Ländern millionenfach, und Deutschland stellte da keine Ausnahme dar. In der Zukunft sangen sie nie wieder Songs in einer fremden Sprache ein.

Da wir den amerikanischen Markt geknackt hatten, bestand jetzt keine Notwendigkeit zur Anbiederung mehr. Für mich war es ein weiter Weg gewesen. Er begann in dem Moment, als ich meinen Zeigefinger zum ersten Mal ganz vorsichtig auf das mittlere C der Klaviertastatur legte.

Ich muss ungefähr sechs Jahre alt gewesen sein. Eines Tages stand ein Klavier in unserem Wohnzimmer. Ich verliebte mich augenblicklich in das Instrument und versuchte den schwarzen und weißen Tasten Klänge zu entlocken.

Damals hatte ein Klavier denselben Stellenwert wie heutzutage ein Fernseher. Es war kein Möbelstück, sondern der Mittelpunkt von Familienzusammenkünften. Onkel Cyril, der verantwortungsvoll und gewissenhaft mit den Instrumenten handelte und immer auf Partys spielte, beschaffte uns ein Exemplar.

Zu Weihnachten trafen sich alle Verwandten – es müssen um die 30 Personen gewesen sein – in der Wohnung meiner Großmutter in Holloway, London. Bei den Familientreffen rezitierte sie schreckliche Gedichte, wie zum Beispiel „The Green Eye Of The Little Yellow God“. Meine Onkel standen ihr in nichts nach und sangen Auszüge aus der Operette The Desert Song und ähnlichen Werken. Von den Kindern wurde auch etwas erwartet – eine kleine Tanzaufführung oder der Vortrag eines Gedichts. Schon bald stellte ein kleines Liedchen auf dem Piano meinen Beitrag zu „etwas“ dar.

Meine drei Jahre ältere Schwester Irene erhielt von einer „Tante“ Klavierunterricht – eigentlich war es die Schwester einer Tante –, und ich entschied mich dafür, auch Stunden zu nehmen. Im Alter von acht Jahren hatte ich die Familie von meiner „brauchbaren“ Musikalität überzeugt, obwohl dass keiner von ihnen so recht beurteilen konnte. So begann der Unterricht. Allerdings erhielt ich nur exakt acht Stunden, denn Mum überwarf sich mit dem Lehrer. Erst im Teenageralter durfte ich eine weitergehende Ausbildung genießen.

So war ich zu Beginn meines Lebens als Musiker auf mich allein gestellt, was sicherlich ein recht wackeliger Start war.

Ich wurde 1926 geboren, kurz vor der großen Depression. Die erste Wohnung, an die ich mich erinnern kann, lag in Drayton Park, gegenüber der Sunlight-Wäscherei. Ich nenne die Räumlichkeiten Wohnung, doch im Grunde genommen waren es zwei Räume im obersten Geschoss, direkt unter dem Dachboden. Es gab keine Elektrizität, und wir mussten uns mit zwei Gasleuchten neben dem Kaminsims begnügen. Auch stand uns keine Küche zur Verfügung, sodass meine Mutter auf einem Gasherd im Flur das Essen zubereitete. Und an ein Badezimmer war schon gar nicht zu denken – wir wuschen uns in einer Blechschüssel.

Der einzige Wasseranschluss befand sich in einer Ecke des Treppenhauses, in der ein rundes Steinbecken angebracht worden war, und die einzige Toilette – die wir uns mit drei weiteren Familien teilten – stand im Erdgeschoss. Zumindest mangelte es uns nicht an Möbeln, denn mein Vater arbeitete als Schreiner und fertigte für uns Tische, Anrichten, Schränkchen, Betten und natürlich Spielzeuge für Irene und mich. Doch niemals Stühle! Aus irgendeinem unerfindlichen Grund baute er nie Stühle.

Er war ein großartiger Handwerker und liebte Holz. Ich möchte sein Leben als eine lange, sinnliche „Affäre“ mit dem Werkstoff charakterisieren. Er sah ein Stück Holz, nahm es und verbrachte Stunden damit, mit der Hand darüberzustreichen und das Gefühl zu genießen. Er war ein sehr einfacher, doch talentierter Mann, der mit seinen Händen wahre Wunder bewirkte. Darüber hinaus war er der ehrlichste Mensch, dem ich in meinem Leben begegnet bin. Während der Weltwirtschaftkrise hatte er 18 Monate lang keine Arbeit. Aus der Not heraus verkaufte er schließlich Zeitungen an der Cheapside, in der Innenstadt. Ich sah ihn dort in der eisigen Kälte stehen, und er tat mir unendlich leid.

 

Ich glaube, dass ihm der Job von Verwandten mütterlicherseits vermittelt wurde, die wir als finanziell gut situiert einstuften. Meine Onkel und mein Großvater lieferten den Evening Standard mit Lastwagen im Stadtgebiet von London aus und verdienten für die damalige Zeit gutes Geld. Für mich waren sie immer die „reichen“ Verwandten.

Ich war der Liebling meiner Mutter. Als gläubige Katholikin schickte sie mich im Alter von fünf Jahren auf eine Klosterschule in Holloway, die meine Schwester schon besuchte. Drei Jahre später wechselte ich auf die St.-Josephs-Grundschule in Highgate, was bedeutete, mit der Straßenbahn Linie 11 von Drayton Park aus den Hügel hinauf bis nach Highgate zu fahren, was wohl der erinnerungswürdigste Teil dieses Lebensabschnitts war. 1937, im Alter von 11 Jahren, wurde mir die Ehre eines Stipendiums am St. Ignatius College in Stamford Hill zuteil. Es wurde von Jesuiten geleitet und konnte sich rühmen, Charles Laughton, den in den 30ern und 40ern populären Charakterdarsteller, ausgebildet zu haben.

Zwei Jahre später brach der Krieg aus. Meine Schule wurde nach Welwyn Garden City evakuiert, einen Ort, von dem ich noch nie etwas gehört hatte, der aber irgendwo in der Öde nördlich von London lag. Zu dem Zeitpunkt arbeitete mein Vater als Maschinenführer in einer Holzfabrik. Meine Schwester hatte die Schule schon verlassen und verdiente sich ihren Lebensunterhalt als Sachbearbeiterin der „Sun Life of Canada“-Versicherungsgesellschaft, die man wegen der ständigen Bombardements von London nach Bromley in Kent verlegte. Es sah so aus, als werde die ganze Familie auseinandergerissen, woraufhin meine Eltern mich vom Jesuiten-College nahmen und nach Bromley brachten. Dort besuchte ich das Gymnasium. Jahre später sollte auch Peter Frampton seine Schulzeit dort verbringen.

Auch wenn sich meine schulische Ausbildung mit einem Wanderzirkus vergleichen ließ, berührte das nicht mein kontinuierliches Interesse an der Musik. Ich hatte das Klavierspiel als Autodidakt fortgeführt. Wenn man sein Interesse für so ein Instrument entdeckt hat, fällt es leicht, sich weiteres Wissen anzueignen, ohne eine Bücherei zu besuchen und dort bestimmte Themen nachzuschlagen. Das Piano ist ein großartiges „Werkzeug“ zur Aneignung fundamentaler Musikkenntnisse und der Beziehungen zwischen den einzelnen Noten. Ich kann mich gut an die Aufregung und Begeisterung erinnern, wenn ich einen neuen Akkord entdeckte – besonders als mir bewusst wurde, dass es einen natürlichen Zyklus von Akkorden1 gibt. Ich fand heraus, wo man beginnt, spielte die harmonisch korrekten Griffe und befand mich wieder am Ausgangspunkt. Damals war mir noch nicht klar, dass ich mit dem absoluten Gehör gesegnet war, das mir sicherlich bei meiner Entdeckungsreise half. Ich fand heraus, dass in der ganzen Bandbreite nur drei verminderte Akkorde zu finden waren und diese verschiedene Umkehrungen hatten.

Ich begann mit Stücken wie dem „Liebestraum“ von Franz Liszt und verschiedenen Kompositionen von Chopin – und das nur nach Gehör und ohne Hilfe von Notenmaterial. Woher die Begabung kam? Ich weiß es nicht. In der ganzen Familie gab es keinen einzigen Profimusiker. Daraufhin wurde ich für die Position auserkoren: „George ist der Musikalische bei uns … lass ihn mal weitermachen.“

Das soll nicht heißen, dass ich in einer kulturlosen Wüste verdorrte. In der Schule kamen wir in den Genuss des BBC Symphony Orchestra unter der Leitung von Adrian Boult, denn Bromley konnte sich eines großen Musikvereins rühmen. Auch wurden Tanzveranstaltungen ausgerichtet. Ich erinnere mich speziell an einen Auftritt der Squadronaires. Ich trieb mich vor der Bühne herum, wo mich einer der Männer fragte, ob ich selbst Musiker sei. Ich ergriff die, Chance, die sich mir bot, und sagte leichtsinnig und ein wenig unverfroren: „Sicherlich. Ich spiele Klavier. Genau euren Stil.“

Vermutlich hielten sie mich für einen jugendlichen Draufgänger, den man schnell wieder abschütteln konnte, doch sie gaben mir eine Chance: „Okay, wenn du dir sicher bist, dann komm hoch und versuch es.“ Die Einladung reichte mir, und schon saß ich vor den Tasten und spielte mit ihnen den „One O’ Clock Jump“. Es war ein unglaubliches Gefühl, eine unvergleichliche Erfahrung.

Die Musik bestimmtes mein ganzes Leben. Ein anderes Ventil für meine Kreativität fand ich damals in einer kleinen, unbedeutenden Amateur-Theatergruppe namens The Quavers, deren Aktivitäten die Kirche in Bromley organisierte. Auftritte in Stücken von Noël Coward und ähnlichen Autoren machten Spaß, doch niemand – außer den Akteuren selbst – nahm davon Notiz. Auch die Quavers setzten sich für Tanzveranstaltungen ein, und zusammen mit einigen Freunden gründete ich dafür eine Band.

Wir nannten uns The Four Tune Tellers und nach einem Neuzugang George Martin and the Four Tune Tellers. Endlich der ersehnte Ruhm! Mein Vater baute uns schmucke und ausladende Notenständer, und wir spielten Standards von Jerome Kern, Cole Porter und weiteren Größen, Stücke wie zum Beispiel „The Way You Look Tonight“. Damals stand der Quickstep hoch im Kurs, und so beendeten wir das Programm immer mit „The Goodnight Waltz“. Terry Hyland spielte bei uns Saxophon. Ich traf ihn einige Jahre später im Astoria, London. Er hatte sein Instrument immer noch nicht aus der Hand gelegt.

Neben den obligatorischen Partys der Quavers gelang es uns, noch ein oder zwei weitere Auftritte wöchentlich zu ergattern. Mit dem dort verdienten Geld bezahlte ich die Klavierstunden in Bromley, die mir ein Schotte mit dem merkwürdigen Namen Urquhart gab.

Ich muss damals 15 oder 16 gewesen sein. Mr. Urquhart besaß ein wunderschönes Bösendorfer, und bei ihm entdeckte ich meine Leidenschaft für die Musik. Plötzlich erkannte ich mein Talent, aber, um ehrlich zu sein, war diese Erkenntnis von einer gewissen Überschwänglichkeit geprägt. Ich träumte davon, dass ich – mit einer ordentlichen Ausbildung – ein zweiter Rachmaninow werden könne. Einige Jahre später verabschiedete ich mich von dem Hirngespinst, denn es dämmerte mir, dass ein gewisser Mr. G. Martin den Ruf eines Rachmaninow nicht bedrohte. Doch ich meiner Jugend sah ich mich gerne als klassischen Komponisten. Ein erstrebenswertes Ziel – zumindest glaubte ich daran – war für mich das Schreiben von Filmmusik. Ich hätte mir niemals träumen lassen, was das für eine verdammt harte Arbeit ist.

Auch wenn ich noch meinen Phantasien nachhing, war der Zeitpunkt gekommen, an dem ich mich für eine Laufbahn nach der Schule entscheiden musste. Ende der Schule – Aufbruch in die große, weite Welt. Meine Eltern versuchten ständig, meine Begeisterung für einen Beruf mit einer sicheren Perspektive zu wecken. Ich war immer gut in Mathematik und im Zeichnen gewesen, und so schlug mir Mutter vor, die Ausbildung zum Architekten anzustreben.

Mein Vater hingegen riet mir: „Wieso versuchst du es nicht mit einem Beamtenjob? Sie können dich nie rausschmeißen.“ Da er lange Zeiten ohne eine Anstellung erlebt und darunter gelitten hatte, stand für ihn verständlicherweise die Sicherheit an erster Stelle. Doch meine Eltern sahen meinen Werdegang durchaus ambivalent. Sie wünschten sich, dass es mir besser gehen solle als ihnen und dass ich eine geregelte Anstellung fände. Trotzdem waren sie auch stolz auf meine Auftritte und unterstützten die Musik.

Doch ich war verrückt nach Flugzeugen und wollte – wie auch ein Freund – als Flugzeugkonstrukteur mein Geld verdienen. Ihm gelang es, mir nicht. Ich versuchte mir einen Ausbildungsplatz bei de Havilland zu sichern, doch die Firma verlange von jedem Anfänger 250 £ Lehrgeld. Im Jahr 1942 lag das Hauptaugenmerk der Firmen darauf, möglichst schnell möglichst viele bereits entworfene Maschinen aus den Hangars rollen zu lassen. Das Interesse an jungen aufstrebenden Konstrukteuren war, gelinde gesagt, minimal. Trotzdem erhielt ich ein Angebot von der Firma Short & Harland, was aber einen Umzug nach Irland bedeutet hätte, wogegen ich mich sträubte.

Ich wurde also weder Architekt noch Flugzeugkonstrukteur und schlug auch keine Beamtenlaufbahn ein.

Stattdessen arbeitete ich für Mr. Coffin in der Victoria Street, einen Bilanzbuchhalter. Die Friedhof-ähnliche Atmosphäre der Arbeit wurde dem Namen des Mannes gerecht. Sechs Wochen gähnender Langeweile überzeugten mich, dass mich die „grandiose“ Entlohnung von 2 £ und 5 Schilling wöchentlich nicht halten konnten. Ich gab meine Kündigung bekannt, doch Mr. Coffin wollte das Arbeitsverhältnis unbedingt fortsetzen. Er bot sogar an, den Lohn zu erhöhen, doch ich drückte ihm mit einer möglichst authentischen Stimme mein großes Bedauern aus: „Nein, Sir, es tut mir wirklich leid, doch die Arbeit sagt mir überhaupt nicht zu.“

Als Nächstes bestimmte der Tee mein Leben. Ich bewarb mich beim Kriegsministerium, das mich nach einer Aufnahmeprüfung beim nicht-uniformierten Dienst einstellte, und zwar als „Bürokraft dritten Grades auf Zeit“. Und das bedeutete Teejunge. Das Dienstgebäude lag am Eaton Square. Das Personal behandelte mich freundlich und erlaubte mir sogar, einige Akten zu ordnen – neben der Zubereitung von Tee. Die Abteilung, in der ich arbeitete, beschäftigte sich mit der finanziellen Seite der Kriegsmaschinerie. Sie genehmigten zum Beispiel neue Feldartillerie für ein Regiment oder 15 £ für die Verschönerung der Offiziersmesse.

Meine Arbeit als heldenhaft zu bezeichnen hieße zu lügen, doch ich hielt es dort acht Monate aus. Eines Tages im Sommer 1943 marschierte ich ins Rekrutierungsbüro im Stadtteil Hither Green, in der Nähe von Bromley, und erklärte dem Offizier, dass ich der Marineluftwaffe beitreten wolle. Sie fragten mich nach meinen Namen, und da ich den korrekt aussprechen konnte, gab es keine Probleme: „In Ordnung. Sie gehören von nun an zu den Streitkräften.“ Ich war 17.

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