Eismond Park

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Eismond Park
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Gabriele Seewald

Eismond Park

Krimi Sampler

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Eismond Park

2. Januskopf

3. Engels dunkle Nacht

4. Das Gräss Manuskript

5. Frohe Ostern, Julius

Impressum neobooks

1. Eismond Park

Das Taxi passierte das imposante Plakat mit der exklusiven Wohnanlage und bog in die frisch asphaltierte Straße ein. Am Ende der Sackgasse stoppte der Fahrer. Misstrauisch musterte er das Gelände, es war menschenleer, die Rohbauten ragten in die Dämmerung wie gespenstische Ruinen. Der Taxifahrer drehte sich zu seinem Fahrgast um, einem mürrischen Weißhaarigen in dunklem Lodenmantel und teurem Anzug. „Ziemlich abgelegen hier“, sagte der Taxifahrer. „Soll ich auf Sie warten?“ „Nicht nötig“, knurrte Herbert Eismond. Er bezahlte, gab zwanzig Cent Trinkgeld und stieg umständlich aus. Das Motorengeräusch entfernte sich. Herbert Eismond kniff die Augen zusammen und überblickte das Terrain: Fünfzig Grundstücke mit Villen, dazu ein Tennisplatz, drei Luxuswohnblocks mit Geschäften und eine exklusive Seniorenresidenz. Das alles war seine Schöpfung, sein letzter großer Coup, sein Lebenswerk. Im nächsten Jahr würden sich die Häuser mit Leben füllen und es hier überall grünen und blühen. Sogar die Rheinbahn wollte hier im Norden Düsseldorfs eine eigene Bushaltestelle errichten, die seinen Namen trug: „Eismond Park“. Aber noch lag alles in tiefer Einsamkeit. Wortlos starrte Herbert Eismond auf das Gelände. Durch die kahlen Äste der Bäume lugte der fahle Novemberhimmel. Die kalten Rohbauten grinsten wie Zahnreihen im gespenstischen Halbdunkel. Es war totenstill. Aber Herbert Eismond war kein ängstlicher Typ, sonst hätte er als Bauunternehmer nie so viel erreicht. Wütend humpelte er um die nächste Ecke. Auf dem Parkplatz am Tennisplatz stand weit und breit kein Auto. Schon eine Viertelstunde über der Zeit, wo blieb der Anrufer, dessen Stimme er nicht kannte, der ihm mehrmals mit einem Skandal gedroht hatte? Nach all dem zynischen Presserummel, Luxuspark für die Reichen, abgeschottet wie in Kapstadt, konnte Eismond keine negative Publicity mehr brauchen. Deshalb hatte es ihn hier in die Einsamkeit getrieben, um die Angriffe endgültig aus der Welt zu schaffen. Eismond blinzelte, - huschte da ein Schatten unter den Bäumen? „Reicht es Ihnen jetzt?“, rief Eismond. „Hier, 60.000 Euro in bar. Stecken Sie das Geld ein und kreuzen Sie nie wieder meinen Weg!“ Er hörte leise Tritte hinter sich und drehte sich abrupt um. Eine dunkle Gestalt stand eine Armlänge von ihm entfernt. Durch eine schwarze Wollmaske war das Gesicht nicht zu erkennen. „Verdammt, wer sind Sie?“, fragte Eismond verdutzt. Aber der Vermummte gab keinen Laut von sich, sprang auf Eismond zu und drückte ihm ein Tuch auf die Nase. Der prickelnde Geruch von Äther zog bis hinauf in seine Gehirnwindungen. Eismond sackte zusammen und spürte nicht mehr, wie der Vermummte seinen reglosen Körper davon schleifte.

Die Sixtiesparty war in vollem Gang. Leise schmeichelten sich Simon & Garfunkels Stimmen durch das große Wohnzimmer. Auf langen Tischen waren etliche Leckereien aufgereiht: Schinkenröllchen mit Spargel, Käseigel, halbe Eier mit Mayospiralen, auf denen eine Haube Kaviar thronte, Kartoffelsalat und Würstchen. Am Ende der Tische lockten roter und grüner Wackelpudding, Eierschaum mit Cocktailkirschen und die unvermeidliche Kullerpfirsichbowle.

Tanzende mit Hairperücken, Langhaarmähnen, bunten Stirnbändern und Flappern bewegten sich auf dem Parkettboden zum Rhythmus der Musik. Flackernde Psychedeliclichter zuckten an den Wänden. Zwischen Paysleyjacken und schrillen Popfarbenoutfits bahnte sich die Gastgeberin Constanze Walkens einen Weg durch die Menge. Ihr orangerotes Maxihippiekleid erregte Aufsehen. Zwischen ihren dunklen Locken blitzte ein schrilles Stirnband. Endlich hatte sie ihr Ziel erreicht, eine silberhaarige Mitfünfzigerin.

„Traudl, ich glaube alle Gäste sind da, bis auf deinen Göttergatten!“, tadelte Constanze.

Wiltraud Eismond nestelte beleidigt an ihrem lila Batikshirt, zu dem sie eine weit ausgestellte gebleichte Jeans trug. „Herbert hatte einen Termin im Eismond Park. Danach wollte er sofort zu eurer Party kommen. Ich fürchte er hat sich verspätet.“

„Typisch!“ Constanze wuselte ihrem Mann durch seine dunkle Langhaarperücke. „Dabei wird mein geliebter Harald nur einmal im Leben sechzig Jahre. Und Traudl hat mir heute so fleißig bei den Vorbereitungen geholfen. Aber die stundenlange Plackerei hat sich gelohnt. Seht doch, wie sich alle amüsieren. Nur Traudls Gatte verpasst mal wieder ein Stück Social Life.“

„Es tut mir Leid“, erwiderte Wiltraud. „Aber das Geschäft ist hart. Herbert hat eine Menge Geld investiert, das war ein hohes Risiko. Und die ganzen Unkosten müssen ja erst mal verdient werden.“

Ein graubärtiger Langhaarhippie mit John Lennon Brille grinste verzerrt. „Traudl, du Ärmste. Dabei hat euch der Eismond Park doch jetzt schon Millionen gebracht.“

„Dafür muss Herbert auch hart arbeiten“, raunzte Wiltraud zurück.

„Auch heute am Sonntag?“, bemerkte Constanze spitz.

„Streitet euch nicht!“, mischte sich das Geburtstagskind Harald Walkens ein. „Wo Constanze und Traudl heute alles so toll organisiert haben. Schade, dass Herbert diese tolle Party nicht mitkriegt.“

Der graubärtige Hippie mit der John Lennon Brille schob seine Lippen an Haralds Ohr. Dann zischelte er leise: „Wird der Geizkragen kooperativ sein? Sonst geht deine Firma bald den Bach runter. Aber bei den Gewinnen aus dem Eismond Park könnte mächtig was abfallen.“

„Benno, es ist alles angeleiert“, flüsterte Harald ihm zu. „Herbert ist so gut wie erledigt. Ein Grund zu feiern.“

Harald wandte sich leutselig an die Gäste und hob sein Sektglas. „Auf die alten Zeiten. Die guten Sixties, meine Schulzeit! Aber auch die Studentenjahre waren schön.“

Constanze lachte abfällig. „Ja, weil ich dein Studium finanziert habe. Auf der Bühne mit meinem beliebten Comedyprogramm.“

Harald grinste. „Star: Bauchrednerpuppe Brummelbärli ...“

Sie wurden unterbrochen. Eine Kellnerin bot Drinks auf einem Tablett an. Constanze reichte Wiltraud einen Cuba Libre. „Prost, Traudl, auf unsere Männer!“

Wiltraud stolperte plötzlich auf die Gastgeberin zu, ihr Glas schwankte, kippte nach vorne und die dunkle Flüssigkeit ergoss sich komplett über Constanzes Maxiehippiekleid.

„Oooh, Traudl, wie ungeschickt!“, schimpfte Constanze. Sie blickte entsetzt an sich hinunter. „Mein schönstes Kleid, das ich extra für die Party heute gekauft habe. Jetzt muss ich den Fleck schnell rauswaschen und das Kleid kurz in den Trockner schmeißen. Ihr entschuldigt mich für eine Weile?“

Die Umstehenden nickten und Constanze verschwand zwischen den Pärchen, die schmusend zu einem Song von The Tremeloes tanzten. Wiltraud ließ ihre Mundwinkel hängen.

Harald legte ihr gönnerhaft seinen Arm um die Schulter. „Ärger dich nicht. Sei froh, dass du Herbert eine Weile los bist, so kannst du unbeschwert mit uns feiern.“

Wiltraud machte sich ganz steif. Harald nuschelte ihr ins Ohr: „Constanze ist weg. Wollen wir beiden Hübschen ein Tänzchen wagen? Zu San Francisco, was von den Hollies oder lieber was aus Hair?“

Wiltraud machte sich sanft aus seiner Umarmung los. „Hier sind genug Verehrerinnen, die dir schöne Augen machen. Sieh nur, deine Praktikantin oder die schöne Unbekannte mit dem Afrolook und der Riesensonnenbrille. Ein gefundenes Fressen für dich.“

Harald ruckte empört zurück. „Was soll das heißen?“

„Tu doch nicht so, Treue ist auch für dich nur ein Fremdwort.“

Harald verzerrte die Lippen. „Frechheit. Ich glaub, ich brauche frische Luft. Habe auch meine Cigarillos im Wagen vergessen.“

Er ließ sie stehen. Wiltraud sah ihn in der Diele verschwinden, kurz danach folgte ihm die Frau mit der Afroperücke nach draußen.

Benno Kenden, der bärtige Hippie, wollte Wiltraud in ein langes Gespräch verwickeln. Sie ließ seine Plaudereien schweigend über sich ergehen, hörte aber kaum zu. Als ihr Handy schrillte, zuckte sie zusammen. Sie griff in ihre Jeanstasche und schaltete es ein.

Der Anrufer legte direkt los. „Sind Sie Wiltraud Eismond?“

„Ja?“, fragte Wiltraud.

„Sie wundern sich, weil Ihr Ehemann noch nicht aufgetaucht ist?“

„Hatte, ... hatte Herbert einen Unfall?“, schoss Wiltraud angstvoll los. Benno Kenden spitzte neugierig die Ohren. Aber der männliche Anrufer klang nur verzerrt aus der Entfernung.

„Nein“, sagte der Anrufer leiser. „Aber jetzt hören Sie gut zu. Wir haben Ihren Mann entführt. Wir wollen 6 Millionen Euro Lösegeld in 500-Euro Scheinen. Gebrauchte, nicht registrierte Scheine! Besorgen Sie das Geld schnell. Und keine Polizei! Wir haben Sie im Visier, überall. Auch auf der Party, auf der Sie gerade sind. Verlassen Sie diese in einer Stunde unauffällig. Erfinden Sie eine Ausrede, aber reden Sie mit niemandem über unser Gespräch. Ich warne Sie, wir beobachten Sie rund um die Uhr. Sobald Sie die Polizei einschalten ...“ Der Anrufer lachte abstoßend. „... geht es Ihrem Mann so wie denen, die er im Dreck verrecken ließ. Und Sie bekommen seine Leiche als hübsch verschnürtes Paket zurück. Noch lebt er. Wir melden uns wieder. Also, kein Aufsehen!“

 

“Aber ...“, hauchte Wiltraud und starrte auf die wogenden Leiber, die ausgelassen zu „Good Day Sunshine“ herum hampelten. Der Anrufer hatte aufgelegt.

Wiltraud verschwammen die Tanzenden vor Augen. Wie im Nebel stürzte sie auf die Toilette, am Waschbecken ließ sie kaltes Wasser über ihre heißen Handgelenke laufen. Sie musterte ihr Spiegelbild, die flackernden Augen und den verzerrten Mund. Sie versuchte ruhig zu atmen, aber es gelang ihr kaum. In ihren Ohren dröhnte es, in ihrem Kopf drehte sich alles. Endlich griff sie nach ihrer Handtasche. Als sie ins Wohnzimmer zurückkam, stieß sie gegen das Geburtstagskind Harald, dem ein glimmender Cigarillo zwischen den Lippen hing.

Wiltraud kippte nach hinten und prallte hart gegen eine Vitrine, die krachend umfiel. Kristallfiguren schossen durch die Luft und zerbarsten mit einem tösenden Scheppern auf dem Laminatboden. Die Tanzenden stoppten abrupt und blickten erschrocken auf die Misere.

Harald fiel der Cigarillo aus dem Mund. Er begann zu schreien: „Traudl! Bist du verrückt geworden? Meine teuren Kristallfiguren, die ich in Jahrzehnten gesammelt habe.“

Der bärtige Hippie mit der John Lennon Brille hob beide Hände, um sich bei den Umstehenden Gehör zu verschaffen. „Leute, wir werden das in Kürze in Ordnung bringen. Amüsiert euch einfach weiter.“

Eine Kellnerin stürmte mit Eimer und Handfeger herbei. Auf Knieen robbten sich ein paar angeheiterte Gäste durch die Tanzenden, um die unbeschädigten Kristallfiguren einzusammeln.

Als Constanze in ihrem gesäuberten Hippiekleid zurück kam, blickte sie entsetzt auf die Kellnerin, die Scherbenhaufen in den Eimer entsorgte, dann musterte sie Wiltraut Eismond. „Traudl, was ist nun wieder passiert?“

Wiltraud schnappte nach Luft. „Mir, mir ist schwindelig geworden, da bin ich gestolpert. Ich melde den Schaden unserer Versicherung. Wir werden für alles aufkommen.“

Harald fixierte Wiltraud böse. „Ja, am Ende bezahlt ihr für alles.“

„Ich muss nach Hause“, murmelte Wiltraud. „Herbert ist plötzlich krank geworden. Ein schlimmer Virus. Ich muss nach ihm sehen.“

Constanze zog eine Schnute. „Oh, wie schade. Aber wir holen alles nach.“

Wiltraud verabschiedete sich schnell und verschwand zwischen den Tanzenden. Der bärtige Hippie rückte seine John Lennon Brille zurecht und blickte ihr breit grinsend hinterher. „Scherben bringen Glück!“

Harald erwiderte sein Grinsen. „Tja, Benno, fragt sich nur für wen!“

Herbert Eismond spürte seine steifen Glieder. War es noch Nacht oder schon Tag? Wie lange hatte er geschlafen, hier auf dieser muffigen, klammen Matraze, unter der kratzigen Wolldecke? Schlagartig kam die Erinnerung, der Ätherlappen auf der Nase!Eismond fuhr entsetzt hoch und sah sich um. Nur ein kleiner Lichtstrahl quälte sich durch einen Ritz der oberen Bretter und tauchte die Mauern ringsum in ein diffuses Licht.Die Kammer, vielleicht zwei mal drei Meter, war so niedrig, dass es gerade zum Sitzen auf dem Eimer reichen mochte, der für seine Notdurft in der Ecke stand. Eismond erkannte die Umrisse einer Flasche Wasser, er leckte sich die trockenen Lippen und trank gierig daraus. Ein paar Scheiben Knäckebrot lagen daneben, ein Teller Obst und ... eine Taschenlampe.Er schaltete sie an und betrachtete verblüfft seine metallenen Fussfesseln, von denen eine stabile Kette bis zu einem Eisenring in der Mitte führte. Eine Reichweite von knapp zwei Metern Aktionsradius. Zu wenig, um zu entkommen. Um die Fussfesseln zu lösen, bräuchte er Werkzeug, verdammt ...Wer ließ ihn hier in diesem dunklen Verlies schmoren?Sein Blick fiel erstaunt auf ein bedrucktes Blatt Papier. „Schreien ist zwecklos, niemand hört Sie hier in der Einsamkeit. Sobald Ihre Frau das Lösegeld gezahlt hat, sind Sie frei. Aber eine falsche Bewegung, dann ist es aus!“Seine Frau? Hoffentlich reagierte Wiltraud professionell und erlöste ihn bald aus den Klauen dieser Wahnsinnigen.Ein eiskalter Schauer rieselte ihm plötzlich über den Rücken. Da waren Geräusche, eindeutig Schritte. Jemand war oben und trampelte auf den Dielen über ihm herum.

Wiltraud Eismond hatte den Vormittag mit Verhandlungen auf ihren Banken verbracht. Und noch war ungewiss, wann sie über die 6 Millionen verfügen konnte. Sie flocht bei den Gesprächen ein, dass die Firma Eismond bei auftretenden Problemen sofort die Konten auflösen würde, um in Zukunft bei anderen Geldinstituten zu investieren. Schließlich benötigten sie als Bauunternehmer zuverlässige Partner, gerade jetzt, für lukrative Häuserkäufe in bar im Ausland. Dass die immensen Summen für Lösegeld war, verschwieg Wiltraud natürlich. Nach all den Stunden fühlte sie sich wie gerädert.

„Keine Polizei!“, hämmerte es immer noch in ihrem Kopf. Keine Polizei, aber gerade hatte sie sich ein neues Handy gekauft, falls ihr normales Gerät abgehört wurde. Noch draußen, vor dem Handy-Shop, tippte sie eine Nummer ein.

„Detektei Norden!“, meldete sich Julius Norden.

Wiltrauds flüsternde Stimme zitterte. „Ich habe ein großes Problem. Ich beauftrage Sie. Aber niemand darf wissen, wer Sie wirklich sind.“

„Das gehört zu unserem Job“, erwiderte Julius.

„Bitte kommen Sie alleine“, bat Wiltraud.

„Worum geht es?“, fragte Julius Norden.

„Mein Mann ist verschwunden.“

Eine knappe Stunde später stieg Julius Norden, ein schlanker Enddreißiger, aus einem Taxi. Sein blasses Gesicht zwischen den dunkelbraunen Löckchen musterte aufmerksam die hübsche, weiße Villa. Sie passte zu der Adresse: Kalkumer Schlossallee. Seinen eigenen Wagen, dessen Nummernschild den Besitzer durch eine Halterabfrage leicht verraten konnte, hatte Julius zur Vorsicht stehen lassen. Mit seinem Stahlköfferchen, in dem sich wichtige Utensilien verbargen, schritt er energisch auf die Freitreppe zu.

Auf das melodische „Ding, Dong!“ öffnete Wiltraud Eismond sofort. Julius Nordens stahlgraue Augen musterten sie besorgt. Wiltraud sah erschreckend aus, bleich wie eine Wand.

Sie ließ den Privatdetektiv herein. „Schön, dass Sie sich für unsere freie Chauffeursstelle bewerben.“

Das Geplänkel war verabredet. Julius trat ins Wohnzimmer und sah sich um. Beige Couchen mit Rosenmotivkissen, zierliche Glastische und verschwenderisch gefüllte Blumenvasen gaben dem Raum eine weibliche Note. Schweigend checkte Julius mit einem Wanzendetektiv alles ab. Endlich nickte er Wiltraud aufmunternd zu. „Keine Miniabhörspione, erzählen Sie ungeniert.“

Sie nahmen Platz und Wiltraud seufzte schwer. „Seit dem Anruf des Entführers kann ich kaum einen klaren Gedanken fassen.“

„Das glaube ich“, erwiderte Julius. „Aber der Fall wäre bei der Polizei besser aufgehoben!“

Wiltraud winkte hektisch ab. „Nein! Das verbiete ich Ihnen!“

Julius zückte einen kleinen Block. „Haben Sie einen Verdacht?“

Wiltrauds Stimme zitterte. „Ich habe mir den Kopf zermartert. Und ich glaube, die Kerle kennen meinen Mann. Er ist gestern Abend verschwunden. Er hatte eine Verabredung im Eismond Park. Das ist sein neues Projekt, eine exklusive Wohnanlage, ein langgehegter Traum. Herbert rief mich kurz an, als er aus dem Büro per Taxi losfuhr. Er sagte mir aber nicht, mit wem er sich trifft. Das macht er nie, nur dass er einen Termin hat, es würde ein bis zwei Stunden dauern. Das war so gegen fünf Uhr nachmittags, da war ich längst bei den Walkens, um Constanze, einer alten Freundin, bei den Vorbereitungen zu Haralds Geburtstagsparty zu helfen. Gegen sieben Uhr trafen die ersten Gäste ein. Als es immer später wurde, machte ich mir langsam Sorgen, aber bevor ich reagieren konnte, meldete sich ein Mann. Er sagte, wenn ich nicht zahle, werden sie Herbert verrecken lassen.“ Wiltrauds Augen flackerten. „So wie er andere hat verrecken lassen. Das klang nach Rache, gezielt meinen Mann zu entführen.“

„Wieviel Lösegeld will er?“, fragte Julius.

„6 Millionen Euro, alles Fünfhunderter.“

„Können Sie denn zahlen?“

„Die Gewinne aus unserem Eismond Park werden knapp reichen. Jetzt muss ich das Geld aus der Firma ziehen. Ich habe wie Herbert alle Bankvollmachten. In unserem Alter muss man damit rechnen, dass jemand mal ausfällt. In der Firma sind zwar laufende Überweisungen von mehreren Hunderttausenden üblich, damit wir all die Bauarbeiten bezahlen oder Grundstücke kaufen können, aber 6 Millionen in bar, da werden die Banken misstrauisch.“ Sie ballte die Hände zu Fäusten. „Aber ich lasse Herbert nicht in den Händen dieser Monster! Er geht auf die Siebzig zu, wer weiß, was diese Unmenschen ihm alles antun.“

„Haben Sie die Stimme erkannt?“, fragte Julius.

„Sie war irgendwie unnatürlich, blechern.“

Julius nickte. „Wahrscheinlich ein Sprachverzerrer. Rache, wer fällt Ihnen dazu ein?“

Wiltraud rang ihre Hände ineinander. „Uwe, der Sohn, aus erster Ehe. Herbert hat für ihn und seine verstorbene Mutter immer gut gesorgt. Auch später, als der Junge einen guten Job fand, bekam er großzügige Zuwendungen für Urlaub und Möbel. Aber als Uwe das Spielen anfing, brach Herbert mit ihm. Sie haben sich seit Jahren nicht mehr gesehen. Herbert wollte erst wieder mit ihm in Kontakt treten, wenn Uwe etwas gegen seine Spielsucht unternimmt. Leider ist der Junge unbelehrbar. Auch wenn Uwe in manchen Spielcasinos gesperrt ist, er findet immer einen Weg. Aber dazu braucht er Geld.“

Julius machte sich Notizen. „Wer noch?“

Wiltraud kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. „Benno Kenden, er hat bis vor zwei Jahren für uns als Architekt gearbeitet. Er behauptet, Herbert habe ihn finanziell übervorteilt. Aber mein Mann hat den Prozess gewonnen, seitdem ist es aus. Auf Feiern wechselten sie nicht mal einen Gruß. Benno war stinksauer. Seit unsere Aufträge ausbleiben, kämpft er sich so durch. Bei mir verhielt er sich neutral, aber wer weiß, wie es in Benno gärte. Außerdem kam er gestern zur Party erst nach acht Uhr.“

Wiltraud grübelte. „Auch das Geburtstagskind Harald Walkens kam später, lange nach sieben Uhr. Soweit ich weiß, ist er in Geldnöten und mit seiner Frau Constanze zerstritten, aber noch ist die Scheidung nicht durch. Sie haben nur für die Party auf heile Welt gemacht. Harald wohnt jetzt in einem überteuren Penthouse. Mit Dachterrassenblick auf den Grafenberger Wald. Ich frage mich, wovon er sich das leistet, sein Computerladen wirft kaum Gewinne ab. Herbert hat immer sehr abfällig über Harald gesprochen. Die beiden können sich partout nicht leiden.“

Julius notierte Harald Walkens Adresse, dann fragte er: „Sie haben Kinder?“

„Eine Tochter. Elke besitzt eine Galerie in Lübeck.“ Wiltraut schüttelte vehement den Kopf. „Nein, Elke hatte gestern eine wichtige Austellung. Da blieb ihr keine Zeit, heimlich nach Düsseldorf zu fahren, um ihren Vater zu kidnappen. Außerdem, sie verdient gut und Herbert ist bei ihr sehr spendabel. Die Ausstellung begann am frühen Abend, da hatte sie schon die ersten Fotos im Netz gepostet.“

Julius lächelte. „Das spart uns die Überprüfung des Alibis.“

Wiltraut nickte. „Ich habe Elke nichts von der Entführung gesagt, um sie nicht zu schockieren. Sie war doch so glücklich wegen des großen Erfolges ihrer Ausstellung. Außerdem befahlen mir die Entführer striktes Stillschweigen. Ich habe mit mir gerungen, Ihre Detektei zu Hilfe zu holen. Aber ich kam mir so alleine vor.“

„Jetzt sind wir ja da“, tröstete Julius. „Was ist mit Ihren Angestellten?“

„Wir haben eine langjährige Zugehfrau und im Büro eine Sekretärin. Vor ein paar Monaten stellten wir einen Chauffeur ein wegen Herberts steifem Bein. Seit Roland Mankovsky entlassen wurde, haben sich neun Leute vorgestellt, aber Herbert war nie zufrieden. Sie sind der zehnte Bewerber und ich engagiere Sie. Chauffeur, das ist doch eine gute Tarnung. Roland Mankovsky mussten wir vor drei Wochen entlassen, er hat manchmal etwas mitgehen lassen.“

Julius notierte den Namen. Exchauffeur, wer kannte sich besser mit dem Tagesablauf seines Chefs aus als jemand, der ihn ständig begleitet hatte.

„Ich werde sofort mein Team einschalten.“ Julius blickte besorgt in Wiltrauds rotgeränderte Augen, als das Telefon schrillte. Wiltraud sprang auf und winkte ihn zu sich. Julius hörte neben ihr mit und musterte die unterdrückte Nummer.

Eine männliche Stimme klang verzerrt. „Haben Sie endlich die Kohle?“

„In den nächsten Tagen“, murmelte Wiltraud. „Wie geht es meinem Mann? Kann ich ihn sprechen?“

„Nein! Wir haben ihm Medikamente verpasst, er schläft lieblich wie ein Baby. Aber wir können Ihnen als Beweis auch seinen abgeschnittenen Finger schicken.“

Wiltraud traten Tränen in die Augen. „Bitte tun Sie Herbert nichts an.“

 

„Dann beeilen Sie sich mit dem Geld. Wir melden uns wieder.“

Wiltraud taumelte, Julius führte sie zum Sessel. Die rosa Tapete mit den Goldröschen drehte sich vor Wiltrauds Augen und verschwamm zu einem milchigen Nebel. „Die Zeit rennt mir davon“, murmelte sie.

Julius nickte. „Deshalb tendiere ich stark zur Mitarbeit der Polizei.“

„Um Gottes Willen!“ Wiltraud begann zu schluchzen. „Wenn die Entführer das merken, bringen sie meinen Mann um. Ich habe schreckliche Angst um Herbert.“

Julius verfluchte seinen begrenzten Aktionsradius. Bei dieser lebensbedrohlichen Sachlage musste sein Team die „Verdächtigen“ heimlich überprüfen. Falls die etwas merkten und mit der Entführung zu tun hatten, wäre Eismonds Leben erst Recht in Gefahr. Die Zeit drängte, während Herbert Eismond in seinem Versteck schmorte. Wo mochte das sein, ein Keller oder Verlies, wo niemand seine Hilfeschreie hörte? Der einzige Anhaltspunkt war der Eismond Park.

Julius gab per Handy Order an sein Team, dann schaltete er eine Abhöranlage an Wiltrauds Telefon. Als sie ihm versicherte, er könne sie ruhig alleine lassen, zog er sich um, nahm Eismonds silbernen BMW und fuhr los. Er war nicht weit, sein Ziel lag im benachbarten Stadtteil Angermund, einer eher ländlichen Gegend.

Als Julius das Gelände erreichte und sich gerade die Dunkelheit über den Eismond Park senkte, verließen die letzten Handwerker die Rohbauten. Alle Häuser waren unterkellert, Grund genug, sich die Gegend näher anzusehen.

Julius stoppte vor dem Tennisplatz. Als er ausstieg, traf er wie zufällig auf einen Blondgelockten.

Der Blonde prustete los. „Bist aber schick in Schale, Chef.“

Julius strich sich die dunkelblaue Uniform glatt. „Diesmal die Chauffeursnummer. Nick, was hast du rausgefunden?“

Nick Carstens hob die Schultern. „Eismonds Handy lässt sich nur bis hier orten, bis gestern Abend etwa sechs Uhr. Da muss ihn jemand überwältigt und sein Handy entsorgt haben. Etwa drei Stunden später, gegen neun Uhr, kam der erste Anruf des Entführers auf Wiltrauds Handy an. Er telefonierte etwa zwei Minuten von einer Telefonsäule in Kaiserswerth, Klemensplatz. Bisher haben wir dort keine Zeugen gefunden. Selbst in den Läden an der U-Bahnstation hat keiner darauf geachtet. Den Anruf heute checken wir noch, der kam sicher woanders her. Aber bei unterdrückter Nummer, da wird’s schwierig.“

Julius rückte sich die Chauffeursmütze zurecht. „Kaiserswerth ist nah bei Kalkum, wo die Party stattfand. Vielleicht hat der Entführer Wiltraud dort beobachtet, entweder aus der Ferne, oder durch einen Spion, oder er war selber dort. Von der Party bis zum Münztelefon, kurzer Anruf und zurück, dauert zwanzig Minuten. Ist wie kurz mal Zigaretten holen.“

Nick grübelte. „Und bis der Anruf verfolgt würde, wäre der Entführer längst über alle Berge. Ich hab den Taxifahrer gefunden, der Eismond hier rausließ. Er wurde weggeschickt. Wollte Eismond einen Bekannten treffen, der ihn später mitnimmt?“

„Oder Eismond brauchte keinen Zeugen“, sagte Julius. „In Wiltrauds Villa sind keine Wanzen, auch keine Kameras im Garten. Wenn sie überwacht wird, ob sie die Kripo einschaltet, dann aus der Ferne.“

Nick öffnete seinen Wagenschlag. „Wie wir durch die Überwachung mit unseren Kameradrohnen feststellen konnten, wurdest du von der Villa in Kalkum bis hier zum Eismond Park nicht verfolgt. Schade, dann hätten wir die Entführer jetzt schnappen können. Aber die konzentrieren sich wohl nur auf Wiltraud. Klingt nicht nach Profis.“

„Aber Amateure verlieren eher die Nerven“, bemerkte Julius.

Ein schwarzer Labrador sprang aus Nicks Wagen und lief freudig auf Julius zu. Julius kraulte ihm die Ohren. „Columbo, wir haben einen Job für dich.“

Julius lachte und schob ein paar Wäschestücke unter die Hundenase. „Hab ich mir ausgeliehen, dreckige Unterwäsche aus Herbert Eismonds Wäschekiste.“

Der Labrador schnupperte und trottete los. Er schnüffelte an jedem Hauseingang, aber jedesmal wandte er sich wieder ab. Nach einer geraumen Weile hatten die drei fast den gesamten Park durchforstet.

Nick fuhr sich durch seine blonden Locken. „Zu blöd, hier gibt es noch keine Überwachungskameras, erst im Frühjahr. Hier steckt Herbert Eismond nicht mehr.“

Julius seufzte. „War einen Versuch wert.“

Plötzlich sprang der Labrador winselnd auf die nächste Straße zu, schnüffelte aufgeregt auf dem Boden herum, und scharrte mit den Pfoten auf dem Asphalt.

Julius kniff die Augen zusammen. „Scheint, als wäre Eismond hier entführt worden.“

Nick lachte unfroh. „Und das war gestern. Eismond könnte jetzt schon im Ausland sein. Ohnmächtig in einer Kiste ist er leicht in einem Lieferwagen zu transportieren. Ohne Kiste, hinten auf dem Rücksitz betäubt abgelegt, reicht auch ein normales Auto.“

Julius nickte. „Wenn jemand Eismond im eigenen Wagen verschleppt hat, müsste Columbo auch das erschnüffeln. Ihr müsst alle Autos der Verdächtigen kontrollieren.“

„Alles klar Chef, ich übernehme das.“

Julius reichte ihm ein Wäschestück. „Wir teilen: für dich Eismonds Feinrippunterhose, ich behalte sein Unterhemd.“

Julius Nordens Handy schrillte. Oliver Jacoby berichtete von den angelaufenen Observierungen. „Zwei Verdächtige haben ihre Wohnungen verlassen.“

„Nick, du musst nach Flingern“, ordnete Julius an. „Und Miriam muss sich aufbrezeln. Ich warte bei Wiltraud, vielleicht gibt es dort Neuigkeiten.“

„Hoffentlich keine schlechten News“, murmelte Nick.

Beide sahen sich plötzlich erschrocken an. Sie kannten sich lange genug, um ihre Gedanken zu erraten. Lebte Herbert Eismond überhaupt noch?

Oliver Jacoby hatte Roland Mankovsky gut beschrieben. Der Exchauffeur saß seit einer halben Stunde in einer obskuren Bar zwischen Sexshops auf der Scheurenstraße.

Miriam Marschalla stöckelte auf hohen Stiefeletten in die fast leere, schummrige Bar und erkannte Roland Mankovsky sofort. Blonder Minipli und ein imposanter Schnäuzer. Er stand an der Theke und schlürfte selbstzufrieden einen Drink. Miriam setzte sich etwas entfernt auf einen Barhocker. Sie bestellte einen Cocktail und zündete sich eine Zigarette an. Ein altes Spielchen und der Chauffeur fiel prompt darauf rein. Mit seinem Drink schlenderte er auf den dunklen Lockenkopf zu.

„Na, so spät noch unterwegs?“, säuselte Roland.

Miriam nestelte am Saum ihres schwarzen Minikleides. „Hab mich im Job geärgert und jetzt will ich mich amüsieren. Mein blöder Chef, den könnte ich kreuzweise!“

Roland Mankovsky nickte zustimmend. „Mit blöden Chefs kenne ich mich aus. Mein letzter war ein Ekel, sauknausrig, sogar bei seiner heimlichen Geliebten. Nur popelige Blumen, aber die hat bestimmt ’nen Sportflitzer erwartet, die hübsche Jenny Krill.“

Miriam lächelte Roland harmlos an. „Oh, mein Chef ist auch kein Kostverächter. Seine Frau würde ihn rausschmeissen, wenn sie von seinen Eskapaden wüsste.“

Roland lachte amüsiert. „Die Frau von meinem Exchef hat keinen blassen Dunst von seinen Affären. Bei einer Scheidung könnte der Alte auch ganz schön latzen. Aber es ist ja aus mit der schönen Jenny Krill. Der gute Herbert will sich eine andere angeln. Eine, die er schon seit Jahren kennt, irgendwas mit C. Claudia, Conchita, weiß der Geier.“

„Und? Hat es geklappt?“

„Keine Ahnung, bin ja seit drei Wochen raus. Aber morgen fange ich bei einer Sicherheitsfirma an. Vorerst, bis das große Geld kommt.“

Miriam staunte. „Haben Sie im Lotto gewonnen?“

Roland beugte sich zu ihr vor. „Nix Lotto. Wenn das klappt, können Sie mich auf meiner Luxusyacht in Monaco besuchen. Na, wie wär’s, Schätzchen?“

Roland kam bedrohlich nahe, ein massiver Anbaggerversuch. Miriam lehnte sich auf dem Barhocker weit nach hinten. Dann stieß sie hervor: „Wüsste ich auch gerne, wie man so schnell an das große Geld kommt.“

Roland lachte wieder. „Eine geniale Geschäftsidee. Ein paar Tage noch, dann ist der Deal gemacht.“

Miriam versuchte ein bewunderndes Lächeln, der Kerl wollte sie beeindrucken. „Eine Yacht in Monaco, das wär was besseres als mein Minigehalt. Verraten Sie mir, wie man so ein irres Ding dreht?“

Roland wurde plötzlich stutzig. „Wollen sich mich ausquetschen? Hat die alte Schabracke von meinem Exchef Sie geschickt, um mir noch was anzulasten? Verschwinden Sie!“

Miriam presste ihre Handtasche an sich. „Oh, miese Laune, der Herr. Ich glaube, vor dem Fernseher ist es gemütlicher.“

Schnell verließ Miriam die Bar. Aber die Detektivin hatte genug gehört. Jenny Krill, und dann gab es noch die geheimnisvolle Frau, deren Vorname mit einem C. begann.

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