Seewölfe - Piraten der Weltmeere 94

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 94
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Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-418-0

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Ferris Tucker, den hünenhaften Schiffszimmermann der „Isabella“, hatte eine eigenartige Lähmung erfaßt. Total verkrampft blieb er am Rand der Eisfläche stehen und wäre fast noch in das eisige Wasser gestürzt, wenn Edwin Carberry ihn nicht schnell am Arm ergriffen hätte.

Der Seewolf und Matt Davies waren fast gleichzeitig unten angelangt und starrten über die See.

An den unbekannten Toten in der Eishöhle dachte in diesem Augenblick niemand mehr.

„Ich habe es gewußt“, stammelte Tucker entsetzt. „Ich habe es die ganze Zeit geahnt. Die ‚Isabella‘ ist weg!“

„Ja, sie ist weg“, murmelte Hasard tonlos. „Sie ist abgedriftet, der Wind hat sie weitergetrieben, aber Ben wird es schon schaffen, er kehrt zurück.“

Der Seewolf versuchte, auf die drei Gefährten beruhigend einzuwirken, aber die hatte alle die gleiche Angst erfaßt wie Ferris Tucker.

Die Situation war auch geradezu makaber.

Da standen sie, einsam und verlassen auf einem mittelgroßen Eisberg, irgendwo in einem eisigen Meer, und vor ihnen auf der Eisschwarte lag ihr Boot, die Schaluppe, mit der sie von der „Isabella“ zu dieser Eisinsel gepullt waren.

Vom Schiff aus hatten sie ein Boot gesehen, eingeschlossen in das treibende Eis, und diese Entdeckung hatte sie vermuten lassen, daß zu dem Boot auch ein Mensch gehörte, der sich hierher verirrt hatte.

Deshalb waren sie losgepullt, und etwas später hatten sie einen Mann gefunden. Er hockte hoch über ihnen, in einer Grotte aus Eis, neben angekohlten Holzplanken, die er aus seinem Boot geschlagen hatte, um sich zu wärmen.

Doch dieser Mann war seit Ewigkeiten tot. Das Eis hatte seinen Körper für alle Zeiten konserviert. So hockte er stumm vor seinem längst erloschenen Feuer, mit weitaufgerissenen eiserstarrten Augen und einem wilden Bart, der ebenfalls nur noch aus Eis bestand. Es war eine grausige Entdeckung gewesen.

„Ben wird nicht zurückkehren“, sagte Tucker hart. „Er kann es gar nicht, ohne das Risiko einzugehen, einen Totalverlust der ‚Isabella‘ zu riskieren. Sieh dich doch um, Hasard. Ringsherum gibt es immer mehr Eisberge, sie tauchen praktisch aus dem Nichts auf und scheinen sich rasend zu vermehren. Wie soll Ben uns da jemals finden?“

Hasard hatte das schon vorhin bemerkt.

Anfangs waren es nur einige kleine treibende Eisfelder gewesen, dann tauchten ganze Eisinseln auf, und jetzt waren sie von etlichen Eisbergen umgeben, die auf einem unbestimmbaren Kurs in irgendeine geheimnisvolle Richtung trieben.

„Wir versuchen, auf die andere Seite zu gelangen“, sagte der Seewolf, ohne auf Tucker einzugehen. Der Schiffszimmermann war nervös, Hasard hatte ihn selten so gesehen.

Aber auch er selbst war erregt, aufgeputscht und hatte ein banges Gefühl, das gab er vor sich selbst zu. Kehrte die „Isabella“ nicht zurück, dann würden sie zweifellos das erbärmliche Schicksal des toten Mannes teilen, der in seiner Grotte an der Wand lehnte wie ein Verfluchter des Eismeeres.

„Wenn wir mit dem Boot aus Leibeskräften pullen, dann müßten wir doch das Schiff finden“, sagte Matt Davies.

Carberry lachte unecht auf.

„Ha, wie stellst du dir das vor, Mann? Die ‚Isabella‘ befand sich vor einer Weile Backbord von uns, jetzt versperren Eisberge die Sicht, diese lausige Insel, auf der wir stehen, dreht sich um sich selbst, und unser Schiff driftet ab. Wir würden uns hoffnungslos verirren, außerdem haben wir keinen Kompaß im Boot, und an Bord haben wir ebenfalls keinen mehr. Hoffentlich geht das in deinen Schädel, Matt!“

„Verflucht“, sagte Matt Davies leise.

„Rüber zur anderen Seite, wir nehmen das Boot“, drängte Hasard. „Beeilt euch, jede Minute, die wir hier sinnlos verquatschen, verkürzt unsere Aussichten, die ‚Isabella‘ zu finden.“

Carberry packte den Anker, den sie aufs Eis gelegt hatten, damit das Boot nicht wegtrieb und legte ihn ins Boot.

Sie sprangen hinein, und der Seewolf drückte mit dem eisenbewehrten Haken die Schaluppe von der Eisinsel ab. Dann legten sie sich alle vier in die Riemen und pullten um den Eisberg, der sich wie ein atmender Mensch rhythmisch hob und senkte.

Die See war immer noch stark bewegt, der Himmel sah aus wie graues dickes Blei, und der Horizont wallte in kleinen weißen Schleiern aus Eisnebeln. Wo er begann, ließ sich nicht feststellen.

Es war eine unheimliche Welt, so still und ruhig mitunter, daß einem diese Stille schmerzhaft auf die Nerven ging. Dann wieder erklangen aus dem Eis knisternde und seufzende Geräusche, Risse bildeten sich in den treibenden Inseln, und ab und zu fielen mit Donnergetöse riesige Eisblöcke in sich zusammen.

Zum Glück waren die vier Männer dick vermummt, denn die lausige Kälte fraß sich durch alles hindurch, sie biß sich bis ins Knochenmark und ließ die Glieder taub und gefühllos werden.

Als sie die Eisinsel mit dem unheimlichen Toten darauf, zur Hälfte umrundet hatten, tauchten neue Hindernisse auf. Kleine Brocken aus Treibeis, mitunter nur faustgroß, schoben sich unmerklich zu großen Flächen zusammen und behinderten das Vorwärtskommen ganz beträchtlich.

Von der „Isabella“ war weit und breit nichts zu sehen. Keine Mastspitze zeigte sich, nichts verriet ihren Kurs. Die vielen treibenden Eisklötze versperrten die Sicht, und dazu kam noch eine diesige neblige Masse, die auf dem Wasser lag und wie glimmender Schwefel zu dampfen schien.

Die andere Seite „ihrer“ Insel wuchtete steil aufragend vor ihren Blicken annähernd achtzig Yards nach oben. Sie war so glatt, daß niemand sie besteigen konnte. Die höchste Erhebung wurde von einem glatten Buckel aus glänzendem weißblauen Eis gekrönt, das gefährlich glitzerte.

Hasards Sorge wuchs ganz beträchtlich. Er riß sich zusammen, um sich nichts anmerken zu lassen, denn er sah Tuckers zuckendes Gesicht, sah wie Carberry schluckte und Matt Davies mit großen, erschreckten Augen in die Wasserwüste blickte.

Sie hatten schon viel erlebt, doch ein Meer, das sich zusehends vor ihren Augen immer mehr mit Eis bedeckte, in dem riesige große Inseln aus blauweißem Eis trieben, das hatten sie noch nie erblickt.

Daher wuchs spürbar die Panik, in dieser absolut fremden Umgebung ganz allein zu sein, einem ungewissen Schicksal ausgesetzt, verhungern, verdursten oder erfrieren zu müssen – wie jener Mann, der vor seinem erloschenen Feuer hockte.

Unheimlich und beängstigend war diese Welt des Schweigens, diese tote Einsamkeit, diese von keinem Menschen bewohnte eisigkalte und lebensfeindliche Todeszone.

Hier war der Mensch allein, dachte Hasard, hier war er in einem schweigenden Nichts verloren, einer Natur ausgesetzt, die ihn gleichgültig behandelte, die seine Existenz nicht duldete.

„Merkt euch die Form dieser Eisinsel gut“, sagte Hasard, „es ist der einzige Anhaltspunkt, den wir in dieser Wüste haben. Ben wird unter allen Umständen versuchen, zurückzu …“

Der Seewolf schwieg, als er die Blicke sah, die die drei Männer ihm zuwarfen.

Tucker entblößte seine Zähne und lachte grollend. Wütend hieb er mit dem Riemen in eine kleine Eisfläche, die sich auf dem Wasser zusammenschob. Es gab knisternde Geräusche.

„Gleich lach ich mich tot“, sagte er grollend. „Wir sind keine kleinen Kinder mehr, wenn ich auch vor Angst bald in die Hosen scheiße, das kann ich nicht verschweigen. Aber verschone uns bitte mit liebevoller Fürsprache, Hasard, und mach uns keine Hoffnungen, wo es keine mehr gibt.“

Ferris’ Panik wurde immer offensichtlicher, dachte der Seewolf bestürzt, er, der sonst immer ruhig und besonnen war, schien den Gefahren dieser trostlosen Einöde nicht gewachsen zu sein. Aber war er selbst das eigentlich, jetzt, seit sie die „Isabella“ aus den Augen verloren hatten?

Tucker mußte man anders anpakken, da halfen keine bösen Worte. Den brachte nur noch Spott auf die Beine.

„Seit wann bist du unter die Hosenscheißer gegangen, Ferris?“ fragte er höhnisch, „und seit wann wirfst du die Riemen gleich ins Wasser? Bist du nicht der Schiffszimmermann der ‚Isabella‘, an dem die meisten anderen sich ein Beispiel nehmen, weil du durch nichts aus der Ruhe zu bringen bist?“

Einen Augenblick glomm es dunkel in Tuckers Augen auf. Er hatte eine heftige Erwiderung auf der Zunge, doch der spöttische Blick des Seewolfs hielt ihn zurück.

Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, die ein Lächeln andeuten sollte, das aber kläglich mißlang. Erst nach und nach hellten sich seine Züge auf, und dann grinste er schwach.

 

„Ich glaube, jetzt ist es besser“, sagte er. „Natürlich wird Ben alles versuchen, um uns zu finden, ich weiß nicht, wie ich auf diesen blödsinnigen Gedanken verfallen bin.“

„Schon gut, vergiß es.“

Hasard legte den Riemen ins Boot zurück und richtete sich zu voller Größe auf. Angestrengt blickte er auf einen weit entfernten Eisberg von beachtlicher Größe, neben dem zwei kleinere trieben.

„Ist etwas?“ fragte Matt. „Siehst du sie?“

„Nein, es war eine Täuschung.“

Wieder verließ sie der Mut. Während sie weiterpullten, hing jeder seinen Gedanken nach und schwieg.

Fast eine Stunde lang pullten sie um kleinere Eisberge herum, dann begann es übergangslos zu schneien, die See beruhigte sich noch mehr, und der leichte Wind schlief fast ein.

Die Sicht wurde immer schlechter und trüber. Bald konnten sie keine zwanzig Yards mehr weit blicken.

Jeder begriff, was das bedeutete, aber jeder bemühte sich, sorglos zu erscheinen, denn schon wieder erschien das spöttische Lächeln im Gesicht des Seewolfs, der sie der Reihe nach anblickte und so tat, als wäre alles ganz normal.

Sein Blick suchte den Eisberg, den sie verlassen hatten, und seine Augen glitzerten fast wie das Eis, als er ihn nicht gleich fand. Doch etwas später entdeckte er den dunklen Fleck, das im Eis eingeschlossene Boot des Toten, das sich deutlich vor dem weißen Hintergrund hervorhob.

„Etwas mehr nach Backbord, wir rudern zu der Eisinsel zurück“, sagte er. „In einer knappen Stunde wird es dunkel, und dann ist es besser, wenn wir ein Dach über dem Kopf haben, auch wenn es nur ein Dach aus Eis ist.“

Der Gedanke, in jener Eisgrotte zusammen mit dem Toten zu übernachten, behagte ihnen ganz und gar nicht. Aber es gab keine andere Möglichkeit. Sie konnten nicht stundenlang umherirren, wenn die Dunkelheit hereinbrach. Dann nämlich würde auch der letzte Rest Hoffnung erlöschen, dann gab es keine Rettung mehr. Sie mußten überleben, auf Biegen und Brechen.

Das Schneetreiben nahm zu und wurde dichter, bis man kaum noch die Hand vor Augen sah. Hasard versuchte mit seinen Blicken die dichten Flokken zu durchdringen, die wie ein Vorhang vor ihnen in der Luft schwebten.

Die Eisinsel! Wo, zum Teufel, war sie jetzt? Sekundenlang wollte das gleiche Gefühl bei ihm aufflammen wie bei Ferris Tucker, doch gleich darauf sah er undeutlich den grauen Schatten, der aus der See aufragte, und atmete erleichtert auf.

Sie hatten es geschafft, obwohl sie sich in einer noch schlimmeren Misere als vorhin befanden. Aber dieses kleine Stückchen Insel aus gefrorenem Wasser vermittelte zumindest das Gefühl, etwas Bekanntes wiedergefunden zu haben.

Das Boot legte an, die Männer sprangen heraus, und der Profos wollte es ein Stück an „Land“ ziehen.

„Laß es im Wasser“, riet Ferris, „es friert noch immer, und später kriegen wir es nicht mehr aus dem Eis. Dann sieht es so aus wie das andere.“

Den Anker legten sie aufs Eis und sicherten ihn zusätzlich mit der langen Leine gegen Abtreiben.

„Rauf in die Höhle“, sagte der Seewolf, „da sind wir einigermaßen vor dem Schneetreiben sicher. Nehmt alles aus dem Boot, was sich darin befindet, vergeßt die Fackel nicht, nehmt auch das Segel mit.“

Nur ungern dachten sie daran, daß sie die Nacht zusammen mit einem längst Verstorbenen verbringen mußten, aber was blieb ihnen anderes übrig?

„Wir nehmen noch ein paar Planken mit“, murmelte Ferris. Er hob seine riesige Axt und schlug sie in die zersplitterten Planken des Wracks, bis die Holzteile nach allen Seiten davonflogen.

Zusehends wurde es jetzt dunkler. Dicke Schneeflocken fielen dicht an dicht vom unsichtbaren Himmel und deckten alles zu, als die vier Männer den gefahrvollen Aufstieg begannen.

Im Boot befand sich noch Proviant, Hartbrot und ein kleines Faß Wasser, das steinhart gefroren war. Wenigstens hatten sie für einen Tag oder auch zwei etwas zu beißen. Das Wasser war nicht so wichtig, sie konnten Schnee auffangen und ihn schmelzen, wenn sie ein Feuer in Gang kriegten.

Alles, was sie noch besaßen, wurde in die Höhle des Toten geschleppt und auf den Boden gelegt.

Als Hasard die Fackel entzündete, fiel ihr zuckender Schein auf den Mann im Eis, den erfrorenen Fremden, der in unveränderter Haltung an seiner eisigen Wand lehnte. Seine eiserstarrten Augen schienen wieder zu leben, sobald das Licht sich in ihnen spiegelte.

Tucker überwand das Grauen, das ihn wieder ansprang, und der Profos versuchte dem toten Blick der Eisaugen auszuweichen und die Leiche zu ignorieren. Doch das war nicht so einfach. Die anderen hatten ihn schon gesehen, Carberry noch nicht, und so war es für ihn noch unheimlicher.

Eine lausige Nacht stand ihnen bevor, die Nacht mit einem Toten, der sich an ihrem Feuer wärmte.

2.

Auf der „Isabella VIII.“ hatte man das Manöver von Anfang an beobachtet, wie das Boot zu dem Eisberg hinüberglitt, wie die Männer auf das Eis sprangen und das Wrack untersuchten.

„Die haben es gut“, sagte Bob Grey, „unternehmen eine kleine Fahrt und haben Abwechslung. Bei uns geht die Langeweile weiter bis zum Kotzen.“

Erst sehr viel später ging ihm ein Licht auf, und er war froh, daß er doch nicht dabei gewesen war.

Ben Brighton, Big Old Shane und Smoky standen im Ruderhaus. Hasards Stellvertreter Ben zog die Stirn in Falten. Smoky sah, daß die Sanduhr, die ihnen noch geblieben war, gerade ablief und drehte sie für die nächste halbe Stunde um, ehe er sie in die kleine Verankerung zurückstellte.

„Viel länger wird es wohl nicht dauern“, sagte er dabei. „Bis der Sand durch ist, sind sie wieder an Bord zurück.“

„So richtig gefällt mir das nicht“, sagte Ben und hob unbehaglich die Schultern hoch. „Wir driften zu schnell, eine halbe Stunde kann eine verdammt lange Zeit sein.“

Auch der alte Schmied von Arwenack zog ein besorgtes Gesicht. Sein gewaltiger Brustkasten wölbte sich unter einem tiefen Atemzug, bis ihm die Jacke zu platzen drohte.

„Ganz sicher kehren sie gleich zurück“, beruhigte er sich selbst. Er starrte aus zusammengekniffenen Augen hinüber und versuchte dabei gleichzeitig, die Geschwindigkeit der „Isabella“ ungefähr zu schätzen, die rascher durch das Wasser glitt, als er gedacht hatte.

Blieben sie wirklich eine halbe Stunde lang weg, so überlegte er, wurde es schwierig, das Schiff einzuholen. Hinzu kamen die verdammten Eisberge, die so überraschend auftauchten, als hätte das Meer sie ausgespien. Denn was sich vormals als Barriere am fernen Horizont dargestellt hatte, war in Wirklichkeit eine ganze Formation dieser Blöcke, die scheinbar wahllos und wild durch die See trieben.

„Wir sollten die Sturmsegel backbrassen und danach auf Gegenkurs gehen“, schlug Big Old Shane vor, sah dann aber gleichzeitig ein, daß das kaum möglich war, denn ziemlich achtern erhob sich ein großer Berg im Wasser, der so aussah, als würde er jeden Moment in der See kentern, so bedrohlich schwankte er.

Auch an Back- und Steuerbord erschienen diese Dinger jetzt in großer Anzahl. Kleine wechselten mit großen ab, dazwischen lagen die Eisteppiche, die sich auf der Oberfläche gebildet hatten.

Ben griff hart ins Ruder, um einem blauweißen Berg auszuweichen, der ihnen beharrlich entgegentrieb.

Das Manövrieren begann schwierig zu werden.

Es wurde mit jeder Minute, die verging, zu einer ausgesprochenen Gefahr, denn sie hatten gesehen, wie stark dieses Eis war.

Wenn ein Schiff mit diesen Eisgiganten kollidierte, zerbarst es zu einem wüsten Trümmerhaufen, ohne daß dem Eisberg auch nur das geringste geschah.

Die „Isabella“ verließ daher ihren Kurs und lief in einer anderen Richtung davon, ohne daß die Männer den Kompaßkurs feststellen konnten. Sie wußten nicht, ob sie nach Norden, Süden, Westen oder Osten segelten.

Es war eine verteufelte Situation, diese Fahrt ins Ungewisse.

Langsam trieben sie an dem Eisberg, auf dem die vier Männer sich befanden, vorbei. Sie sahen einen Teil der anderen Seite, der glatt und unbesteigbar war und oben einen großen Buckel aufwies, während der Grat der Vorderseite an eine gewaltige Säge erinnerte.

Fast die Hälfte des Sandes war jetzt in dem Glas durchgelaufen, an dem sich die Blicke festsaugten.

„Jetzt wird es aber allmählich Zeit“, sagte Ben besorgt, als nur noch ein kleiner Rest in dem Glas stand.

Smoky blickte durch das Spektiv, aber vor die „Insel“ hatte sich ein anderer Eisberg geschoben, und von Backbord trieb ein weitaus größerer heran, der alles ihren Blicken entzog.

Brighton wurde immer unruhiger. Mit den Fingerspitzen trommelte er auf das große Ruderrad.

„Verdammt, wir können doch nicht wenden“, sagte er ärgerlich, „sehen die Burschen das denn nicht! Wir lavieren uns durch diese lausigen Eisklötze schon mühsam genug hindurch. Jeden Augenblick stoßen wir mit einem zusammen, wenn wir nicht aufpassen.“

Sie hatten die betrübliche Erfahrung bereits gemacht, daß die treibenden Berge unter Wasser riesige vorgelagerte Eisfelder vor sich herschoben. Man mußte ihnen schon ausweichen, wenn sie noch weit entfernt waren, um den tückischen Unterwasserriffen zu entgehen, die so scharf wie Korallen waren.

Immer weiter entfernten sie sich. Ben wollte zuerst die Segel wegnehmen lassen und vor Topp und Takel weitertreiben, doch auch das erwies sich als unmöglich. Das Ruder hatte dann zu wenig Druck, das Schiff gehorchte dem Steuer nicht mehr und konnte mit einem dieser immer größer werdenden Giganten kollidieren.

Passierte das, dann war es aus mit der Seefahrt und zwar endgültig.

„Übernimm das Steuer, Shane“, sagte er zu dem Schmied.

„Was hast du vor?“

„Ich werde einen der Brandsätze auf diesen Eisberg abfeuern. Das Signal müssen sie sehen, vielleicht treffe ich den Eisblock an der richtigen Stelle. Dann wird es auf dem Eis in allen Farben anfangen zu brennen, und dann werden diese Burschen auch kapieren, daß es höchste Zeit ist, an Bord zurückzukehren.“

Während Ben in Hasards Kammer ging und schnell den Affen Arwenack und den Papagei Sir John fütterte, wich Big Old Shane einem weiteren Eisberg aus und lief noch mehr nach Steuerbord ab. Zum Glück war die See ruhiger geworden, aber dafür begann er langsam an seinem eigenen Verstand zu zweifeln.

Der Teufel mochte wissen, woher die vielen Eisberge kamen, die man kaum noch voneinander unterscheiden konnte. Und wo war jener jetzt geblieben, auf dem die vier Männer sich befanden?

War es der achteraus liegende an Backbord oder der zweite — oder sogar der kleine mit dem runden Bukkel?

Shane trat aus dem Ruderhaus und winkte Dan zu, der wieder in den Großmars aufgeentert war.

„Siehst du das Ding noch, Dan?“ brüllte er hinauf.

Dan O’Flynn streckte seinen Schädel durch die Segeltuchverkleidung und blickte an Deck. Aus dieser gewaltigen Höhe sah Shane wie ein Zwerg aus, der aufgeregt mit den Armen fuchtelte.

„Es wird immer diesiger!“ brüllte er zurück. „Ganz hinten beginnt es zu schneien. Ich kann diese lausigen Eisklötze nicht mehr voneinander unterscheiden!“

„Achte auf schwarze Punkte“, rief Shane enttäuscht. „Das Boot wird jeden Augenblick dasein.“

„Verstanden, Big!“

Ben Brighton erschien mit dem Brandsatz an Deck und blickte sich verwirrt um.

Himmel! Das gab es doch gar nicht, dachte er bestürzt. Die treibenden Giganten sahen sich alle ähnlich, aber das lag vermutlich an diesem miesen Himmel, durch den keine Sonne schien.

Hastig beriet er sich mit Big Shane, doch der war genauso ratlos wie die anderen auch. Sie hatten jegliche Orientierung verloren und fanden sich nicht mehr zurecht.

„Der dort achtern muß es sein“, behauptete Ben.

Niemand widersprach, weil es niemand besser wußte. Also einigte man sich auf „den dort achtern“.

Der Brandsatz wurde ausgerichtet und angezündet. Mit dem üblichen Gekreische und Gejaul flog er funkenstiebend davon, bis er hoch über dem Eisberg in der Luft zerplatzte. Eine riesige Traube grüner und roter Blüten ergoß sich über den Berg. Die roten tanzten auf dem Eis und begannen grell zu lohen, schmolzen Löcher in das Eis und brannten noch eine ganze Weile, während die grünen in sich selbst zerplatzten und einen Feuerregen nach allen Seiten verteilten.

Erst allmählich erlosch das. Feuer, das hier keine Nahrung fand.

Eine Zeitlang warteten die Männer schweigend ab, ob etwas geschah. Doch es rührte sich nichts. Stumm und bedrohlich lag die Welt aus Eis vor ihnen, sie verriet nicht, wo sich noch Leben verborgen hatte.

 

„Scheiße“, sagte der alte O’Flynn wütend und stampfte mit dem Holzbein auf.

Er sprach den anderen aus der Seele, denn genau dieses Wort hatten sie alle augenblicklich bereit.

„Das war der falsche Eisberg“, sagte Luke Morgan. „Aber das grelle Licht müssen sie trotzdem gesehen haben.“

„Wenn sie in die Grotte gestiegen sind, haben sie es ganz sicher nicht gesehen. So stark leuchtet es jetzt auch wieder nicht.“

Ben feuerte nach einer Weile den nächsten Brandsatz ab.

Ein Erfolg trat nicht ein, wieder erfolgte keine Antwort, kein Zeichen, daß man ihn bemerkt hatte.

Zu allem Überfluß trat gleich darauf das ein, was Dan schon vorhin aus dem Großmars gemeldet hatte. Die weiße Bank am Horizont rückte näher, und etwas später schüttete sie riesige weiße Flocken über die „Isabella“, die jetzt fast blind dahinsegelte.

„Das hat uns noch gefehlt“, stöhnte Smoky. „Weiter brauchen wir nichts. Unsere vier Leute fort und keine Sicht. Wir können ja nicht einmal mehr den Eisbergen ausweichen.“

Schrecken stand in allen Gesichtern. Der Schiffsjunge Bill drückte sich unbehaglich am Ruderhaus herum. Schneeflocken fielen auf seine schwarzen Haare und blieben dort liegen wie eine kleine weiße Kappe.

Auch Dan O’Flynn im Ausguck sah nichts weiter als eine grauweiße Wand, die auf ihn zurückte und alles einhüllte.

„Runter mit den Segeln!“ befahl Ben. „Wir treiben weiter, egal was passiert. Wir haben zuviel Fahrt drauf.“

Im Nu wurden die Sturmsegel aufgegeit. Diesmal war keiner dabei, der ihnen versprach, die Haut in Streifen von ihren verdammten Affenärschen zu ziehen, keiner, der Kommandos brüllte oder wilde Drohungen ausstieß.

Das Schiff war so gut wie tot ohne den Seewolf, ohne Carberry, Tucker und Matt Davies. Sie waren keine Mannschaft mehr, so spürten es alle überdeutlich.

„Drei Mann nach vorn auf die Back!“ rief Ben Brighton. „Dan, aus dem Großmars abentern, ebenfalls nach vorn. Achtet auf den geringsten Schatten, packt die Haken und haltet sie so weit nach vorn wie es geht.“

Viel würde es nicht nutzen, dachte Ben, denn die Bewegungsenergie des Schiffes hielten vier oder fünf Mann nicht plötzlich auf.

Aber vielleicht wurde der unvermeidliche Rammstoß auf diese Weise wenigstens etwas abgemildert.

Auf dem Achterdeck beriet er sich mit dem Decksältesten Smoky.

„Wenn uns einer dieser Giganten zu nahe gerät, Smoky, dann seht zu, daß ihr Enterhaken rüberwerfen könnt. Hängt Leinen an die Haken, vertäut das Schiff, haut Löcher ins Eis, aber haltet den Kahn fest. Wenn wir an einem der Eisberge liegen, besteht die Gefahr eines Zusammenstoßes nicht mehr. Wir treiben dann mit dem Klotz mit und bleiben ungefähr in der Nähe. Sag Al Conroy, er soll eine Culverine abfeuern.“

„Aye, aye“, sagte Smoky, und dann grinste er schief.

„Manchmal hast du ganz gute Ideen. Ich frage mich, weshalb du es noch nicht zum Kapitän gebracht hast!“

„Hau ab, du lausiger Stint!“

Smoky gab dem Waffen- und Stückmeister Al Conroy Bescheid, daß er eine Culverine abfeuern solle. Vielleicht konnten der Seewolf und die anderen sich danach orientieren. Dann ging er weiter nach vorn zur Back, wo die Männer bereitstanden und das dichte Schneetreiben mit den Blicken zu durchdringen versuchten.

„Mann, ist das ein mulmiges Gefühl“, sagte Gary Andrews. „Jeden Moment kann so ein Ding auftauchen und uns rammen.“

„Du sollst nicht quatschen, sondern aufpassen“, sagte Smoky. „Halt die Klüsen offen, da vorn bewegt sich was.“

Was da auf sie zutrieb, war grau und undefinierbar, ein vager Schatten nur, den man kaum sah. Da halfen auch Dans scharfe Augen nicht viel, er sah nicht mehr als die anderen.

Die Bugwelle der „Isabella“ hatte sich längst verloren. Sie schob keinen Bart mehr vor sich her, also hatte sie auch nicht mehr viel Fahrt drauf. Das war einigermaßen beruhigend.

Der Schatten rückte näher heran, eine treibende Wand, durch nichts aus dem Kurs zu bringen, drohend und unheilvoll rückte sie heran, ein kaum sichtbarer Gigant, der ihnen den Tod bringen konnte, wenn sie nicht aufpaßten.

Ein brüllender Abschuß ließ sie zusammenfahren. Keiner war auf den grollenden Donner vorbereitet, der das Schiff erbeben ließ. Al Conroy hatte die Culverine abgefeuert, um den verschwundenen Männern ein Zeichen zu geben.

Der Pulverrauch wehte übers Schiff, und der Rückstoß hatte die Culverine zurückgejagt, bis die Brooktaue sie auffingen.

„Achtung!“ brüllte Smoky. „Bringt die Haken raus!“

Die Wand war jetzt heran, und im selben Augenblick vernahmen sie deutlich unten am Kiel des Schiffes ein leichtes Schurren.

Haken wurden ins Eis getrieben, die Seewölfe stemmten sich mit aller Kraft dagegen, bis die „Isabella“ leicht aus dem Kurs schor und längsseits an dem Eisberg vorbeitrieb.

Immer noch drückten sie mit aller Kraft, um ein Auflaufen auf die harte Fläche zu verhindern, dann sah es so aus, als hätten sie es geschafft.

Spitz zugeschliffene Haken an langen Leinen bohrten sich ins Eis, hakten sich fest und wurden vorsichtig dichtgeholt, damit sie sich nicht wieder losrissen. Immer mehr Haken flogen hinüber.

„Gefühlvoll nachfieren!“ schrie der Decksälteste.

„Der ahmt den Profos nach“, meinte Andrews, „bloß das Fluchen hat er noch nicht richtig gelernt.“

Etwa zwanzig Yards trieb das Schiff noch zur Längsrichtung des Eisberges, den dichte Schneeflocken einhüllten. Dann erst stoppte die „Isabella“ endgültig.

Jeff Bowie und Bob Grey sprangen an Land, vorsichtshalber durch zwei Leinen gesichert, damit sie auf dem glatten Untergrund nicht abrutschten und ins Wasser fielen. Sie nahmen die Leinen und Hämmer entgegen, die man ihnen reichte, und trieben mit wuchtigen Schlägen eiserne Haken ins Eis. In der Zwischenzeit hielten die Seewölfe das Schiff mit den anderen Tampen fest. Danach wurden Taue ausgebracht und dichtgeholt, bis die „Isabella“ fest an dem Eisblock lag, dessen Größe sich bei dem Schneetreiben nicht einmal annähernd schätzen ließ.

Ben Brighton war eine große Sorge los. Ihr Schiff konnte nur noch unter äußerst widrigen Umständen mit einem Eisberg kollidieren, eine Möglichkeit. die fast auszuschließen war.

Der zweite Trumpf lag ebenfalls klar auf der Hand: Der Eisberg driftete längst nicht so schnell wie das Schiff, er war viel schwerfälliger und unbeweglicher in der See. Das hieß, daß sie sich nicht allzuweit von der Insel entfernen würden, auf der Hasard und die anderen gefangen waren.

Das waren zwei nicht zu unterschätzende Vorteile. Jetzt konnten sie einigermaßen ruhig die hereinbrechende Nacht abwarten.

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