Mission: Verantwortung

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Mission: Verantwortung
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Frank Heinrich im Gespräch mit Uwe Heimowski

Mission:

Verantwortung

Von der Heilsarmee in den Bundestag


Zu diesem Buch

Bundestag ist wie Heilsarmee – nur ein bisschen anders. Zumindest gilt das so für Frank Heinrich. Er ist der erste Heilsarmeeoffizier, der als Abgeordneter in den Deutschen Bundestag einzog. Dort engagiert sich der gelernte Sozialarbeiter und Theologe genauso, wie er sich zuvor für die Menschen am Rand der Gesellschaft eingesetzt hat. Ganz im Sinn der Heilsarmee: die Liebe greifbar und spürbar leben. Frank Heinrich verfolgt dieses Ziel noch immer, nur an anderer Stelle. Jetzt heißt es für ihn Koalition statt Kleiderkammer, Parlament statt Predigt, Sitzungen statt Suppenküche.

Was hat Frank Heinrich bewogen, aufs politische Parkett zu wechseln? Wie viel Christsein verträgt die Politik überhaupt? Und wieviel Politik verträgt das Christsein? Im Gespräch mit seinem Freund und Weggefährten Uwe Heimowski steht Frank Heinrich offen Rede und Antwort. Da ist von prägenden Erfahrungen in der Kindheit die Rede, von Freunden und Verrätern im Ostblock, von Führungen und Fügungen.

Dieses Buch ist eine authentische Begegnung mit Frank Heinrich, dem Christ und Politiker. Gleichzeitig bietet es Einblicke in die Möglichkeiten und Grenzen der politischen Arbeit. Ein Buch, das zur verantwortlichen Lebensgestaltung herausfordert.

Über die Autoren

Frank Heinrich, Jahrgang 1964, war nach seinem Studium der Sozialarbeit und einem Theologiestudium an der Offiziersschule der Heilsarmee viele Jahre verantwortlich für die Arbeit der Heilsarmee in Chemnitz. Seit 2009 vertritt er Chemnitz als Abgeordneter im Bundestag in Berlin. Frank Heinrich ist verheiratet mit Regina und hat vier Kinder. Er ist Mitglied im Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz. Im Neufeld Verlag erschien sein Buch Lieben, was das Zeug hält – Wie Gott unser Herz verändert.

www.frankheinrich.de

Uwe Heimowski, ebenfalls Jahrgang 1964, leitet die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Gera und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter von Frank Heinrich. Darüber hinaus ist er als Berater und Referent unterwegs. Uwe Heimowski ist verheiratet mit Christine, sie haben fünf Kinder. Er hat bereits zahlreiche Artikel und Bücher verfasst. Im Neufeld Verlag ist bisher erschienen:

Ich bin dafür! 44 Mutmacher für den Alltag

Weiter so! 44 neue Mutmacher für den Alltag

Brunos Dankeschön – Geschichten von der Reeperbahn

Ich will bei dir sein – Du trauerst nicht allein (mit Mini-CD)

Die Heilsarmee: Practical Religion – gelebter Glaube

www.uwe-heimowski.de

Impressum

Dieses Buch als E-Book:

ISBN 978-3-86256-731-7, Bestell-Nummer 590 039E

Dieses Buch in gedruckter Form:

ISBN 978-3-86256-039-4, Bestell-Nummer 590 039

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über www.d-nb.de abrufbar

Lektorat: Roland Nickel, Altdorf/Böblingen Umschlaggestaltung: spoon design, Olaf Johannson Umschlagbilder, Bilder im Innenteil: Susanne Domaratius, Büro Frank Heinrich, MdB Satz: Neufeld Media, Weißenburg in Bayern

© 2013 Neufeld Verlag Schwarzenfeld

Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise,

nur mit Genehmigung des Verlages

www.neufeld-verlag.de / www.neufeld-verlag.ch

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Inhalt

Zu diesem Buch

Über die Autoren

Impressum

Von der Heilsarmee in den Bundestag: Frank Heinrich

Wurzeln – Vom Mitfahren zum Mithelfen

Erinnerungen – Von Reisen nach Rumänien

Weichen – Von Umwegen und anderen Entdeckungen

Heilsarmee – Vom Glauben und Handeln

Chemnitz – Von Freaks und Familien

Einblick – Von Kids und Kollegen

Politik – Von der Mitarbeit zum Mandat

Abgeordneter – Von Werten und Wagnissen

Gewissenserklärung – Vom Beginn des Lebens

Bundestag – Von Andachten und Ausschüssen

Einsicht – Von Montag und Dienstag ...

Über den Verlag

Von der Heilsarmee in den
Bundestag: Frank Heinrich 1

Frank Heinrich ist Theologe und überzeugter Christdemokrat. Obwohl er erst seit 2007 Mitglied der CDU ist, kandidierte er bereits zwei Jahre später für den Deutschen Bundestag. Bevor er Politiker wurde, leitete er das Café der Heilsarmee in Freiburg. 1997 zog er mit seiner Frau und seinen vier Kindern nach Chemnitz, um gemeinsam mit den Offizierskollegen auch in Sachsen die Heilsarmee zu etablieren bzw. auszubauen.

Obwohl Frank Heinrich keine lange Parteikarriere vorzuweisen hatte, fiel die Wahl der CDU im Jahr 2009 auf den Theologen, als die Partei einen geeigneten Kandidaten für die Bundestagswahl suchte. Frank Heinrich wurde gefragt, ob er sich eine Kandidatur Zutrauen würde. Er sagte zu. „Besonders am Herzen lag und liegt mir als Theologe die soziale Frage und diese Stimme wollte ich in Chemnitz vertreten“, sagt Heinrich. Einen so glaubwürdigen Kandidaten brauchte die CDU. Dass sie auf den richtigen Kandidaten gesetzt hatte, zeigte sich im Wahlergebnis. Frank Heinrich holte in Chemnitz, Wahlkreis 163, auf Anhieb 34,01 Prozent der Stimmen. Er gewann sogar das Direktmandat und lag klar vor den Kandidaten aller anderen Parteien in Chemnitz.

Studium der Sozialpädagogik und der Theologie

Frank Heinrich machte 1983 am Technischen Gymnasium in Freiburg das Abitur und ging danach zum Zivildienst. Ab 1984 studierte er Theologie in Kanada, kam aber nach zwei Semestern nach Deutschland zurück, um ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Pflegeheim zu absolvieren. „Nächstenliebe und der Einsatz für Menschen, die Hilfe brauchen, war mir schon immer sehr wichtig“, sagt der Politiker. Von 1986 bis 1990 studierte Frank Heinrich an der Fachhochschule Freiburg Sozialpädagogik und übernahm nach dem Abschluss die Leitung von zwei Einrichtungen der Heilsarmee. Er arbeitete dort fast fünf Jahre als Sozialpädagoge.

1995 kehrte er auf die Schulbank zurück und studierte in Basel Theologie. Nach dem Studium zog Frank Heinrich von Freiburg nach Chemnitz. Er hatte inzwischen eine Familie gegründet und war Vater von vier Kindern geworden. In Chemnitz baute er gemeinsam mit seiner Frau die Heilsarmee auf. Er sagt heute über diese Zeit: „Es waren am Anfang sehr kleine Schritte und eine große Herausforderung, den – atheistisch geprägten – Menschen in Chemnitz christliche Gedanken nahe zu bringen. Vom Evangelium hatten die meisten noch nie etwas gehört und auch die Heilsarmee war den meisten Menschen völlig fremd. Mit der Zeit hatten wir kleine Erfolge, wir erreichten die Menschen mit unserem sozialen Engagement. Damals kamen oft nur wenige in unsere Gottesdienste, das wuchs auf mehr als Hundert.“

Netzwerke für die Bekämpfung von Not

Im Jahr 1998 gründete Frank Heinrich die Schwarzenberger Tafel, einen Verein, der sich um Menschen in Not kümmert, sie mit Lebensmitteln versorgt, sie bei der Wohnungssuche unterstützt oder dabei hilft, Überschuldung zu überwinden. Im gleichen Jahr wurde er Vorsitzender der Evangelischen Allianz in Chemnitz und nur zwei Jahre später berief man ihn zum Vorsitzenden des Jugendarbeitskreises der Evangelischen Allianz in Deutschland. Innerhalb von wenigen Jahren hatte er sich in Chemnitz einen Namen gemacht, denn er unterstützte viele Bürger, die Hilfe brauchten.

 

Warum er sich in so vielen Vereinen engagiert, erklärt der Politiker so: „Wer für Menschen etwas erreichen will, braucht Netzwerke. Ich habe schnell gemerkt, dass man sich mit sehr vielen Institutionen, Verbänden und Organisationen vernetzen muss, damit Hilfe nachhaltig wird. Oft brauchen Menschen auch gar keine materielle Hilfe, manchmal reicht es, wenn man ihnen zuhört. Besonders schwer haben es die Kinder, deshalb habe ich mit Freunden das Projekt Tellerlein deck dich ins Leben gerufen. Ziel des gemeinnützigen Vereins ist, von Künstlern und anderen Prominenten künstlerisch gestaltete Teller zu versteigern oder zu verkaufen. Aus dem Erlös erhalten die Kinder eine warme Mahlzeit.“ Frank Heinrich schaffte in Chemnitz viel – ohne Parteibuch. Bis 2007 gehörte er nämlich keiner Partei an und war doch vielen Chemnitzern durch sein soziales Handeln gut bekannt.

Macher mit Erfahrung

Dass sich der Theologe im Jahr 2007 entschloss, in die CDU einzutreten, erklärt er damit, dass er das Gefühl hatte, als christdemokratischer Politiker noch mehr für die Menschen erreichen zu können. „Ich habe mich zwar immer für sozial Schwache eingesetzt, aber die Möglichkeit, auch politisch Einfluss zu nehmen und so die Bedingungen im Sinne der Menschen zu verbessern, schien mir ein gangbarer Weg“, sagt der Theologe. Bald nach seinem Parteieintritt wählte man Frank Heinrich zum stellvertretenden Vorsitzenden des CDU-Ortsvereins Chemnitz Süd-West, denn solche „Macher“ mit Erfahrung brauchte die CDU. Schon im Jahr 2009 wurde er von den Mitgliedern des Kreisverbandes Chemnitz zum Vorsitzenden gewählt und man schlug ihn als Direktkandidaten für die Bundestagswahl vor. „Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet, aber ich freute mich über das Vertrauen, das mir meine Partei entgegen brachte“, sagt Frank Heinrich.

Ein „Wagnis“ war das für die Chemnitzer Christdemokraten offenbar nicht, denn Frank Heinrich war ein glaubwürdiger Kandidat, ein Netzwerker, dem man einen Wahlsieg zutraute. Er hatte sich in Chemnitz einen Namen gemacht, war bei vielen Menschen bekannt und arbeitete seit 1997 mit der Stadtverwaltung, den Kirchen und vielen anderen sozialen Einrichtungen und Institutionen eng und erfolgreich zusammen – was sein ehrenamtliches Engagement in 15 Vereinen und Verbänden verdeutlichte.

Glaubwürdigkeit und Authentizität

Im Bundestagswahlkampf stellte sich sehr schnell heraus, dass die CDU mit Frank Heinrich auf den richtigen Kandidaten gesetzt hatte. Seit 1994 hatte kein CDU-Kandidat mehr eine Direktwahl gewonnen, aber genau das gelang Frank Heinrich. Im Wahlkampf überzeugte er die Menschen mit Glaubwürdigkeit und Authentizität. „Ich wollte keine Versprechen machen, die ich nicht halten kann. Ich sagte den Menschen nicht, dass ich alles schaffen werde, aber ich versprach, mein Bestes zu geben. Das schönste Kompliment machte mir ein Parteifreund, der nicht glauben wollte, dass ich nicht aus Sachsen stamme. Er sagte, ich würde die Menschen erreichen wie einer von hier“, erzählt Frank Heinrich rückblickend.

Am Ende eines anstrengenden Wahlkampfes, den er in Einkaufszonen, auf Marktplätzen und in Diskussionsveranstaltungen führte und in dem er den Menschen seine Ziele erklärte, stand ein Ergebnis von mehr als 34 Prozent für Frank Heinrich. Der Theologe hatte die Chemnitzer Wähler überzeugt und zog als direkt gewählter Abgeordneter in den Deutschen Bundestag ein.


Angekommen: Frank Heinrich im Deutschen Bundestag.

Unterstützung für Menschen in Nöten

Hier will sich Frank Heinrich für die einsetzen, die keine Stimme haben, denn er kennt die Sorgen von Hartz-IV-Empfängern, von allein erziehenden Müttern und Menschen in Not sehr gut von seiner Arbeit in der Heilsarmee. Für Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen, weil sie arm sind, will er sich besonders einsetzen. Als Christ fühlt sich Frank Heinrich dazu berufen, als Politiker dazu verpflichtet.

Frank Heinrich ist ordentliches Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales und im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, außerdem stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Gesundheit sowie im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und im 2. Untersuchungsausschuss.

Wurzeln – Vom Mitfahren zum Mithelfen

Wir kennen uns seit vielen Jahren, haben eine Menge miteinander unternommen, sind Freunde. Und doch gelingt es Frank Heinrich immer wieder, mich zu überraschen. Zum Beispiel dann, wenn er die Geschichte und Geschichten seines Lebens erzählt. Das tut er meistens mit einem lächelnden Gesicht – eben „Happy Heinrich“.

Frank, deine Biografie ist recht bewegt und auch ungewöhnlich. Da war am Anfang dein Weg in die Heilsarmee, dein Einsatz für die Menschen, die oft am Rande der Gesellschaft stehen, und dann der überraschende Sprung in den Bundestag. Das war buchstäblich einmalig, denn du bist der erste Heilsarmeeoffizier in der Geschichte der Bundesrepublik, der in den Bundestag gewählt wurde. Verrate mir einmal: Wie kommt ein Mann der Heilsarmee in den Bundestag?

Die Frage stellt man mir laufend – und ich selbst stelle sie mir auch immer wieder. Es kommt mir an manchen Tagen immer noch wie ein Märchen vor – selbst nach dreieinhalb Jahren im Bundestag. Trotzdem habe ich mich mittlerweile gut eingelebt.

Wenn ich die Frage seriös beantworten möchte, muss ich sie runter brechen auf meinen ganz persönlichen Weg. Ein Rezept, wie man von der Heilsarmee in den Bundestag gelangt, gibt es nicht – wie überhaupt die Wege in die Politik so vielfältig sind wie die Abgeordneten selber.

Mein persönlicher Weg war immer von einer Affinität zu politischen Themen begleitet. Damit meine ich nicht in erster Linie Parteipolitik, und auch nicht, dass ich dachte, bei jedem Thema mitreden zu können. Aber es gab bestimmte Themen, die mich umgetrieben haben oder die mich maßlos ärgern konnten: Ungerechtigkeit etwa, alles, wo das Gegenteil von Solidarität passiert und wo dann selbst die Kommunikation scheitert: sei es zwischen einzelnen Menschen oder sei es zwischen ganzen gesellschaftlichen Gruppen, wenn etwa die weniger gut Situierten auf „die da oben“ schimpfen, oder die Wohlhabenden auf „die da unten“ herab schauen.

Wahrscheinlich bin ich wohl auch deshalb gerade bei der Heilsarmee gelandet, weil mir die Ungerechtigkeit in der Gesellschaft etwas mehr auf den Keks gegangen ist als dem Durchschnitt.


Frank Heinrich im Gespräch mit Uwe Heimowski.

Ich merke, dass die Frage der Ungerechtigkeit dich ziemlich stark bewegt. So stark, dass sie sogar deinen Lebensweg entscheidend geprägt hat. Wie ist es dazu gekommen? Welche praktischen Erfahrungen mit Ungerechtigkeiten hast du denn persönlich gemacht?

Ich habe schon so meine Erfahrungen mit der Ungerechtigkeit gemacht, allerdings weniger am eigenen Leib, was ja in der Regel ein starker Antrieb wäre. Mich haben vor allem meine Reisen hinter den sogenannten „eisernen Vorhang“ bewegt und die Schicksale von Menschen in Osteuropa, denen ich begegnet bin. Mit meinen Eltern bin ich damals etliche Male in den „Ostblock“, wie man es nannte, gefahren. Meistens nach Rumänien, aber auch in die DDR, nach Polen, Ungarn, Jugoslawien und bald nach der Wende auch in die Ukraine. Auf diesen Reisen erlebte ich mit, wie gravierend sich die Lebensumstände innerhalb von nur wenigen Kilometern änderten. Zugleich gab es aber auch so vieles, was uns und die Christen, die wir besuchten, miteinander verband. Da lebten Menschen in einem völlig anderen politischen System und unter äußerem Druck, aber unsere Herzen schlugen doch für die gleiche Sache.


Begegnungen hinter dem „Eisernen Vorhang“ (Ungarn, 1983).

Meinst du damit, dass die Menschen damals in Deutschland und Rumänien eigentlich dieselben waren, trotz der recht unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Umstände?

Nein, natürlich nicht ganz. Es gab sehr wohl einen großen Unterschied zwischen den Menschen im Osten und uns Besuchern aus dem Westen, und der war schon etwas überraschend: Wir Westler waren in der Regel die unzufriedenen und undankbaren Leute. Natürlich kann man das nicht verallgemeinern, aber ich habe das durchaus so erlebt.

Ich erinnere mich noch an einen Abend, den ich im ärmsten Teil von Rumänien verbrachte. Leider spreche ich die Sprache nicht und verstehe nur einige wenige Wörter. Wir waren zu einer Gebetsversammlung eingeladen und hatten an diesem Abend keinen Übersetzer dabei, aber ein Wort hörte ich immer wieder heraus: Multumesc! – Danke! In den Gebeten, in denen die Menschen aus der Gemeinde ihre tiefen Empfindungen ausdrückten, kam dieses Wort laufend vor: Danke! Ich habe damals gedacht: So etwas erlebe ich bei uns nicht. Das hat mich als jungen Menschen schon sehr bewegt.

Du hast gesagt, dass du bei diesen Reisen eine Menge über Ungerechtigkeit gelernt hast. An welche Situationen denkst du dabei? Wie hast du die Ungerechtigkeit erlebt?

Neben den unterschiedlichen wirtschaftlichen Bedingungen war es vor allem der politische Druck. Unter dem kommunistischen Diktator Nicolae Ceauçescu lebten die Menschen mit einer ständigen Angst vor Bespitzelung oder Gefängnis. Meistens spürte ich das nur indirekt, doch dann kam ich selbst in eine Situation, in der wir von Spitzeln der Geheimpolizei Securitate verfolgt wurden. Als Jugendlicher zwischen 14 und 16 findest du das sogar noch irgendwie spannend, aber wir hatten ja auch die Gewissheit: nach einer, zwei oder spätestens drei Wochen hätten wir wieder gehen können. Aber die Jugendlichen, mit denen ich mich in Rumänien angefreundet hatte, die hätten eben nicht gehen können. Für sie gab es damals keine Aussicht auf Freiheit. Ich hatte Freunde, die wurden stark unter Druck gesetzt, andere saßen sogar in Haft. Und selbst in Deutschland wurden Freunde von mir attackiert, als sie dort vor der rumänischen Botschaft demonstrierten.

Solidaritätskundgebungen für Rumänien – warst du damals mit dabei und hast mit ihnen dort demonstriert?

Ja, ich war mit eingeladen. Veranstalter waren christliche Gruppierungen, die befreundet waren mit Christen in anderen Ländern, in dem Fall in Rumänien. Sicher, das war eine kleine Demonstration, aber wir wollten der Politik deutlich machen, dass es in Deutschland solidarische Christen gibt, Menschen, die nicht einfach über die Verfolgung in Rumänien hinweg sehen wollten.

Man könnte also sagen, dass dich deine Erfahrungen im Ostblock „politisiert“ haben, oder? Du hast dich eingesetzt, demonstriert, deinen Mund aufgemacht. Woher kommt eine solche Bereitschaft, so ein Engagement? Hat man das in den Genen? Wer oder was hat dich an dem Punkt geprägt?

Da kommen wahrscheinlich zwei Dinge zusammen. Einerseits war da der Arbeitsplatz meiner Eltern, die in einem Altenheim mitarbeiteten. Es wurde diakonisch geführt, man praktizierte dort eine große Solidarität. In dieser Einrichtung lebten Leute, die sonst auf der Straße gelandet wären. Sie hatten aus unterschiedlichen Gründen keine Rentenversicherung bezahlt oder hatten selbst von Spenden gelebt und keine Vorsorge für das Alter treffen können. Jetzt lebte man in „urchristlicher Gemeinschaft“ unter einem Dach. Da gab es Arme und Reiche, aber alle bekamen das Gleiche: Kost, Logis, Zahnbürste und vielleicht auch mal Urlaubsgeld. Ich habe dabei ganz praktisch mitbekommen, wie schwierig manche Lebensumstände sein können, und mir wurde vorgelebt, dass man mit echter Solidarität viel ausgleichen kann. Die Starken teilten mit den Schwachen.

Andererseits waren da aber auch meine Erlebnisse in Rumänien. Mein Vater wurde in diese Arbeit buchstäblich „hineingeschwemmt“. Das muss so um 1970 gewesen sein. Damals gab es im Sommer eine schwere Überschwemmung in dem Land. Mein Vater begleitete einen Hilfstransport des Roten Kreuzes. Die Erlebnisse damals bewegten meine Eltern so sehr, dass sie in den folgenden Jahren immer wieder mit Menschen in Rumänien in Kontakt blieben. Das waren in erster Linie freundschaftliche Kontakte, aber natürlich kamen immer wieder auch die verschiedenen Bedürfnisse zur Sprache. Sie halfen gerne, wo sie konnten, und organisierten Hilfstransporte. Bei solchen Gelegenheiten waren dann auch meine Schwestern und ich mit dabei.

 

Frank Heinrich mit seinem Vater Hans Heinrich bei einer der zahlreichen Reisen.

Was war denn damals bei den Hilfstransporten besonders gefragt?

Natürlich waren das Kleidung und Sachen für den täglichen Gebrauch. Doch schon bald zeigte sich, dass es einen echten Mangel an christlichen Büchern und Bibeln gab. Die waren so gut wie überhaupt nicht zu bekommen, da man die Christen im Sozialismus nicht gerne sah – sie galten oft sogar als Staatsfeinde. Also fing mein Vater an, auch mal unter den Wäschebergen oder den Hilfsmaterialien die eine oder andere Bibel oder ein Gesangbuch zu verstecken und ins Land zu schmuggeln. Das geschah immer in dem Wissen, dass wir uns damit in Gefahr begaben, erwischt und als „unerwünschte Personen“ außer Landes gewiesen zu werden. Dann wäre es aus gewesen mit den Reisen und Hilfen. Weit gefährlicher waren diese Aktionen allerdings für unsere Freunde in Rumänien. Würde die Sache auffliegen, drohte ihnen Gefängnis, Folter oder Straflager. So haben wir unsere Hilfsaktionen immer bei Nacht und Nebel durchgeführt. Und trotzdem ging nicht immer alles glatt. Einmal flog ein Mann auf – weil ausgerechnet ich einen Fehler gemacht hatte. Er wurde damals brutal verprügelt, aber auch an mir ist dieses Erlebnis nicht spurlos vorbei gegangen.

In solchen Momenten empfand ich die Ungerechtigkeit besonders stark. Wir befanden uns in der gleichen Situation, was Alter, Familie oder Gemeindeleben betraf, doch die einen durften etwas tun, was die anderen ihre Freiheit, ihre Gesundheit oder sogar ihr Leben kosten konnte. Mir will es einfach nicht in den Kopf: Warum sollten Menschen nicht singen und in der Bibel lesen dürfen?

Du machst mich neugierig. Bleib noch einen Augenblick bei der Geschichte und erzähle mir, was damals genau geschehen ist.

Es geschah in einer Region, in der die Behörden besonders hinterher waren, wenn jemand Kontakte mit Leuten aus dem Westen pflegte. Wir hatten spät abends Freunde besucht. Dazu gehörte auch ein Pastor, der selbst hin und wieder Bibeln in die damalige UdSSR geschmuggelt hatte. Als wir schließlich aufbrachen, bemerkte ich schon nach wenigen 100 Metern, dass ich im Haus etwas vergessen hatte. Also drehten wir um und gingen nochmals zurück. Gerade dieser zweite Besuch fiel den neugierigen Nachbarn auf, und die erstatteten Anzeige. Der Pastor wurde sofort abgeholt und von der rumänischen Staatssicherheit, der Securitate, verhört und misshandelt.

Und alles nur, weil du etwas vergessen hattest. Es war im Grunde deine „Schuld“. Wie bist du – gerade als junger Kerl – mit dieser Situation umgegangen?

Da möchte ich mal ein bisschen ausholen. Die Sache mit Schuld hat ja eine viel größere Dimension. Grundsätzlich bin ich froh, dass ich eine Beziehung zu Gott habe, die von der Vergebung lebt. Ich lebe aus der Vergebung Gottes. Dabei ist es nicht entscheidend, ob ich ganz offensichtlich etwas falsch mache, wie in diesem gravierenden Fall, oder ob ich „unsichtbar“ Mist baue – was mit Sicherheit noch viel häufiger passiert. Wenn Gott mir nicht vergeben würde – wie sollte ich überhaupt damit klar kommen?

In diesem Fall ist es so, dass ich diesen Mann nie wieder gesehen habe. Es war mir auch nicht möglich, einfach irgendwo hin zu gehen und „entschuldige bitte“ zu sagen. Einen Brief konnte ich ihm nicht senden, da das in dieser Region aufgefallen wäre. Westkontakte unerwünscht! Das hätte ihm noch viel mehr Schwierigkeiten einbringen können. Es tat mir damals sehr leid für diesen Mann, der ja schließlich wie ich ein Christ war und damit mein Bruder.

Neben diesen schwierigen und eher bedrückenden Momenten – gibt es denn auch schöne Erlebnisse in Rumänien, an die du dich gerne noch erinnerst? Was fällt dir dabei ein?

Natürlich gab es auch eine Menge schöner Erlebnisse. Ich erinnere mich an die Kinderfreizeiten in Rumänien, zu denen unsere Eltern uns mitnahmen. Ich war selbst damals fast noch ein Kind. Diese christliche Kinderarbeit – wir nannten sie Sonntagsschule – war damals natürlich verboten im Sozialismus. Selbst regelmäßige Kinderstunden waren nicht möglich. Die Gemeindearbeit wurde stark eingeschränkt und kontrolliert. Also fand eben eine Stunde vor oder nach dem Gottesdienst eine Familienstunde statt – Omas, Opas und Eltern alle mit dabei. Die saßen allerdings nur hinten drin und schauten zu. Das genügte aber, um das Ganze als Familiengottesdienst auszugeben, denn der war erlaubt.

Die Leute waren erfinderisch, wenn es darum ging, das Verbotene trotzdem irgendwie möglich zu machen, und meistens fand sich auch ein Weg. Etwa der, dass mein Vater sich entschied, selbst die Kinderfreizeiten zu organisieren. Würde man ihn erwischen, wäre das nicht so tragisch. Also machten wir Zeltfreizeiten, irgendwo weit draußen in der Wildnis, möglichst ab vom Schuss und gut versteckt. In einem Fall war unser Versteck so gut, dass weder wir noch unsere rumänischen Freunde wussten, dass wir mit unseren Zelten in ein militärisches Sperrgebiet geraten waren. Bis zu jener Nacht, in der wir in der Ferne die Kanonenschüsse hören konnten, die quer über unseren Zeltplatz feuerten. Da beteten meine Eltern sehr, sehr kräftig, dass doch bitte keiner wach werden sollte, damit keine Panik entstünde. Das war schon heftig, aber noch nicht alles. Später stellte man fest, dass es auf diesem Gelände auch noch freilaufende Bären gab!

Das hört sich ja ziemlich abenteuerlich an.

Auf jeden Fall, das war natürlich eine spannende Zeit, aber eben auch eine ernste, herausfordernde Zeit. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Pastor. Wir wollten etwas besprechen, das nicht jeder mitkriegen sollte. Plötzlich legte der Mann den Finger auf die Lippen, stand auf und schaltete das Radio an; ziemlich laut. Als er meinen verwunderten Gesichtsausdruck sah, erklärte er mir: „Jetzt können wir frei reden. Ich weiß, dass hier jemand ein Mikrofon eingebaut hat und mithört. Ich gebe mir erst gar keine Mühe, das zu finden – sonst ist bald wieder ein neues da. Wenn aber das Radio läuft, kann man nicht herausfiltern, was wir sagen.

Es fällt schwer, sich das heute noch so vorzustellen. Wie alt warst du eigentlich, als diese Reisen begannen?

Ich werde sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein, als ich das erste Mal mitfuhr. Das war einfach eine Freizeit irgendwo auf einem öffentlichen Zeltplatz, wo es auch andere Touristen gab. Dann kamen entweder die Christen aus den Gemeinden zu uns auf den Zeltplatz oder meine Eltern sind abends mit in Gemeinden gegangen und haben dort ein Grußwort gesagt – predigen durfte mein Vater ja nicht. Da wurde es eben ein sehr langes und sehr biblisches Grußwort.

Rumänien, das war am Anfang für dich eine abenteuerliche Kindheits- und Jugenderfahrung. Doch irgendwann scheint sich bei dir etwas verändert zu haben. Aus dem Zuschauer wurde ein Akteur, jemand, der Verantwortung übernahm. Wie kam es dazu? Was ist da geschehen?

Die Verantwortung leitete sich für mich ab aus den Beziehungen, die gewachsen waren. Ich hatte ja wirklich Freunde gefunden und dachte an diese Freunde natürlich nicht nur während der drei Wochen im Jahr, die ich vielleicht mal dort zu Besuch war. Ihre ganze Situation, ihr Leben, das ging mir nach. Das hat mich verändert.

Wenn ich wieder zu Hause war und hörte, dass in der Gemeinde oder in der Schule einer so leichtfertig über irgendwelche Umstände schimpfte – dieses ganze undankbare und unzufriedene Gemecker, das konnte ich kaum noch ertragen.

Dann kamen bei mir sofort die Bilder von meinen Freunden in Rumänien hoch. Diese Menschen, die so dankbar waren für jede Kleinigkeit, für jedes winzige Stückchen Freiheit. Für sie war es schon ein Freiheitsfenster, jemanden aus Deutschland, dem westlichen, kapitalistischen Ausland, zu kennen, und damit einen Blick nach draußen zu kriegen.

Mir wurde bewusst, wie viel ich ihnen bedeutete. Deshalb habe ich mir gesagt: Ich mach hier weiter, ich engagiere mich in den Spuren meines Vaters. So kam es, dass ich noch viele Fahrten nach Rumänien mitgemacht habe, als Selbstfahrer, aber auch teilweise als Begleiter, weil ich einfach alle Adressen kannte. Auf diese Weise habe ich mich da mit eingebracht.

Als ich dann 18 oder 19 Jahre alt war, hat mein Vater mich – und später auch meine Schwestern – immer wieder, wenn er selbst nicht konnte, auf Reisen geschickt, die wir dann geleitet haben.

Das war eine riesige Freude und es war eine riesige Anstrengung. Eine ziemliche Investition. Du musst ja auch die Zeit dafür finden, Urlaub nehmen, die Kosten selbst aufbringen. Auf der anderen Seite: Was darin an Sinnhaftigkeit steckt, das ist nicht bezahlbar. So habe ich gelernt: Verantwortung beginnt bei mir. Ich selbst muss damit anfangen. Wer Verantwortung übernimmt, profitiert ja selbst davon sehr viel; manchmal glaube ich sogar, man profitiert mehr als alle anderen.

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