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Arme Leute

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Ich fühle mich heute ganz krank. Schüttelfrost und Fieber wechseln ununterbrochen. Fedora beunruhigt sich sehr. Es ist übrigens ganz grundlos, was Sie da schreiben – und weswegen Sie sich fürchten, uns zu besuchen. Was geht das die Leute an? Sie sind mit uns bekannt und damit Basta!

Leben Sie wohl, Makar Alexejewitsch. Zu schreiben weiß ich nichts mehr, und ich kann auch nicht: fühle mich wirklich ganz krank. Ich bitte Sie nochmals, mir nicht zu zürnen und von meiner steten Verehrung und Anhänglichkeit überzeugt zu sein, womit ich die Ehre habe zu verbleiben

Ihre dankbare und ergebene
Warwara Dobrosseloff.
12. April.
Sehr geehrte Warwara Alexejewna!

Ach, mein Liebes, was ist das nun wieder mit Ihnen! Jedesmal erschrecken Sie mich! Ich schreibe Ihnen in jedem Brief, daß Sie sich schonen sollen, sich warm ankleiden, nicht bei schlechtem Wetter ausgehen, daß Sie in allem vorsichtig sein sollen, – Sie aber, mein Engelchen, hören gar nicht darauf, was ich sage! Ach, mein Täubchen, Sie sind doch wirklich noch ganz wie ein kleines Kindchen! Sie sind so zart, wie so ein Strohhälmchen, das weiß ich doch. Es braucht nur ein Windchen zu wehen und gleich sind Sie krank. Deshalb müssen Sie sich auch in acht nehmen, müssen Sie selbst darauf bedacht sein, sich nicht der Gefahr auszusetzen und Ihren Freunden nicht Kummer, Sorge und Trübsal zu bereiten.

Sie äußerten im vorletzten Brief den Wunsch, mein Kind, über meine Lebensweise und alles, was mich umgibt und angeht, Genaueres zu erfahren. Gern will ich Ihren Wunsch erfüllen. Ich beginne also – beginne mit dem Anfang, mein Kind, dann ist gleich mehr Ordnung in der Sache.

Also erstens: die Treppen in unserem Hause sind ziemlich mittelmäßig; die Paradetreppe ist noch ganz gut, sogar sehr gut, wenn Sie wollen: rein, hell, breit, alles Gußeisen und wie Mahagoni poliertes Holzgeländer. Dafür ist aber die Hintertreppe so, daß ich lieber gar nicht von ihr reden will: feucht, schmutzig, mit zerbrochenen Stufen, und die Wände sind so fettig, daß die Hand kleben bleibt, wenn man sich an sie stützen will. Auf jedem Treppenabsatz stehen Kisten, alte Stühle und Schränke, alles schief und wackelig, Lappen sind zum Trocknen aufgehängt, die Fensterscheiben eingeschlagen; Waschkübel stehen da mit allem möglichen Schmutz, mit Unrat und Kehricht, mit Eierschalen und Tischresten; der Geruch ist schlecht… mit einem Wort, es ist nicht schön.

Die Lage der Zimmer habe ich Ihnen schon beschrieben; sie ist – dagegen läßt sich nichts sagen – wirklich bequem, das ist wahr, aber es ist auch in ihnen eine etwas dumpfe Luft, das heißt, ich will nicht geradezu sagen, daß es in den Zimmern schlecht riecht, aber so – es ist nur ein etwas fauliger Geruch, wenn man sich so ausdrücken darf, in den Zimmern, irgend so ein süßlich scharfer Modergeruch, oder so ungefähr. Der erste Eindruck ist zum mindesten nicht vorteilhaft, doch das hat nichts zu sagen, man braucht nur ein paar Minuten bei uns zu sein, so vergeht das, und man merkt nicht einmal, wie es vergeht, denn man fängt selbst an, so zu riechen, die Kleider und die Hände und alles riecht bald ebenso, – nun, und da gewöhnt man sich eben daran. Aber alle Zeisige krepieren bei uns. Der Seemann hat schon den fünften gekauft, aber sie können nun einmal nicht leben in unserer Luft, dagegen ist nichts zu machen. Unsere Küche ist groß, geräumig und hell. Morgens ist es allerdings etwas dunstig in ihr, wenn man Fisch oder Fleisch brät und es riecht dann nach Rauch und Fett, da immer etwas übergegossen wird, und auch der Fußboden ist morgens meist naß, aber abends ist man dafür wie im Paradies. In der Küche hängt bei uns gewöhnlich Wäsche zum Trocknen auf Schnüren, und da mein Zimmer nicht weit ist, das heißt, fast unmittelbar an die Küche stößt, so stört mich dieser Wäschegeruch zuweilen ein wenig. Aber das hat nichts zu sagen: hat man hier erst etwas länger gelebt, wird man sich auch daran gewöhnen.

Vom frühesten Morgen an, Warinka, beginnt bei uns das Leben, da steht man auf, geht, lärmt, poltert, – dann stehen nämlich alle auf, die einen, um in den Dienst zu gehen oder sonst wohin, manche nur so aus eigenem Antriebe: und dann beginnt das Teetrinken. Die Ssamoware gehören fast alle der Wirtin, es sind ihrer aber nur wenige, deshalb muß ein jeder aufpassen, wann die Reihe an ihn kommt; wer aus der Reihe fällt und mit seinem Teekännchen früher geht, als er darf, dem wird sogleich, und zwar tüchtig, der Kopf zurecht gerückt. Das geschah mit mir auch einmal, gleich am ersten Tage… doch was soll man davon reden! Bei der Gelegenheit wurde ich dann auch mit allen bekannt. Näher bekannt wurde ich zunächst mit dem Seemann. Der ist so ein Offenherziger, hat mir alles gleich erzählt: von seinem Vater und seiner Mutter, von der Schwester, die an einen Assessor in Tula verheiratet ist und von Kronstadt, wo er längere Zeit gelebt hat. Er versprach mir auch seinen Beistand, wenn ich seiner bedürfen sollte, und lud mich gleich zu sich zum Abendtee ein. Ich suchte ihn dann auch auf – er war in demselben Zimmer, in dem man bei uns gewöhnlich Karten spielt. Dort wurde ich mit Tee bewirtet und dann verlangte man von mir, daß ich an ihrem Hazardspiel teilnehmen sollte. Wollten sie sich nun über mich lustig machen oder was sonst, das weiß ich nicht, jedenfalls spielten sie selbst die ganze Nacht, auch als ich eintrat, spielten sie. Ueberall Kreide, Karten, und ein Rauch war im Zimmer, daß es einen förmlich in die Augen biß. Nun, spielen wollte ich natürlich nicht, und da sagten sie mir, ich sei wohl ein Philosoph. Darauf beachtete mich weiter niemand und man sprach auch die ganze Zeit kein Wort mehr mit mir. Doch darüber war ich, wenn ich aufrichtig sein soll, nur sehr froh. Jetzt gehe ich nicht mehr zu ihnen: bei denen ist nichts als Hazard, der reine Hazard! Aber bei dem Beamten, der nebenbei so etwas wie ein Literat ist, kommt man abends gleichfalls zusammen. Und bei dem geht es anders her, dort ist alles bescheiden, harmlos und anständig, – ein behaglich tüchtiges Leben.

Nun, Warinka, will ich Ihnen noch beiläufig anvertrauen, daß unsere Wirtin eine sehr schlechte Person ist, eine richtige Hexe. Sie haben doch Theresa gesehen, – also sagen Sie selbst: was ist denn an ihr noch dran? Mager ist sie wie eine Schwindsüchtige, wie ein gerupftes Hühnchen. Und dabei hält die Wirtin nur zwei Dienstboten: diese Theresa und den Faldoni. Ich weiß nicht, wie er eigentlich heißt, vielleicht hat er auch noch einen anderen Namen, jedenfalls kommt er, wenn man ihn so ruft, und deshalb rufen ihn denn alle so. Er ist rothaarig, irgendein Finne, ein schielender Grobian mit einer aufgestülpten Nase: auf die Theresa schimpft er ununterbrochen, und viel fehlt nicht, so würde er sie einfach prügeln. Ueberhaupt muß ich sagen, daß das Leben hier nicht ganz so ist, daß man es gerade gut nennen könnte… Daß sich zum Beispiel abends alle zu gleicher Zeit hinlegen und einschlafen – das kommt hier überhaupt nicht vor. Ewig wird irgendwo noch gesessen und gespielt, manchmal wird aber sogar so etwas getrieben, daß man sich schämt, es auch nur anzudeuten. Jetzt habe ich mich schon eingelebt und an vieles gewöhnt, aber ich wundere mich doch, wie sogar verheiratete Leute in einem solchen Sodom leben können. Da ist eine ganze arme Familie, die hier in einem Zimmer wohnt, aber nicht in einer Reihe mit den anderen Nummern, sondern auf der anderen Seite in einem Eckzimmer, also etwas weiter ab. Stille Leutchen! Niemand hört von ihnen was. Und sie leben alle in dem einen Zimmerchen, in dem sie nur eine kleine Scheidewand haben. Er soll ein stellenloser Beamter sein – vor etwa sieben Jahren aus dem Dienst entlassen, man weiß nicht, weshalb. Sein Familienname ist Gorschkoff. Er ist ein kleines, graues Männchen, geht in alten, abgetragenen Kleidern, daß es ordentlich weh tut, ihn anzusehen – viel schlechter als ich! So ein armseliges, kränkliches Kerlchen – ich begegne ihm bisweilen auf dem Korridor. Die Kniee zittern ihm immer, auch die Hände zittern und der Kopf zittert, von einer Krankheit vielleicht, oder Gott mag wissen, wovon. Schüchtern ist er, alle fürchtet er, geht jedem scheu aus dem Wege und drückt sich ganz still und leise längs der Wand an den Menschen vorüber. Auch ich bin ja mitunter etwas schüchtern, aber mit dem ist das gar kein Vergleich! Seine Familie besteht aus seiner Frau und drei Kindern. Der älteste Knabe ist ganz nach dem Vater geraten, auch so ein kränkliches Kerlchen. Seine Frau muß einmal gut ausgesehen haben, das sieht man jetzt noch… sie geht aber in so alten, armseligen Kleidern – oh, so alten!! Wie ich hörte, schulden sie der Wirtin bereits die Miete; wenigstens behandelt sie sie nicht gar zu freundlich. Auch hörte ich, daß Gorschkoff selbst irgendwelche Unannehmlichkeiten gehabt haben soll, weshalb er verabschiedet worden sei, – war es nun ein Prozeß oder etwas anderes, vielleicht eine Anklage, oder ist eine Untersuchung eingeleitet worden, das weiß ich Ihnen nicht zu sagen. Arm sind sie, furchtbar arm, Gott im Himmel! Immer ist es still in ihrem Zimmer, so still, als wohnte dort keine Seele. Nicht einmal die Kinder hört man. Und daß sie mal unartig wären oder ein Spielchen spielten – das kommt gar nicht vor, und ein schlimmeres Zeichen gibt es nicht. Einmal kam ich abends an ihrer Tür vorüber – es war gerade ganz ungewöhnlich still bei uns – da hörte ich ganz leises Schluchzen, dann ein Flüstern, dann wieder Schluchzen, ganz als weine dort jemand, aber so still, so hoffnungslos verzweifelt, so traurig, daß es mir das Herz zerreißen wollte – und dann wurde ich die halbe Nacht die Gedanken an diese armen Menschen nicht los, so daß ich lange nicht einschlafen konnte.

Nun leben Sie wohl, Warinka, mein Freundchen! Da habe ich Ihnen jetzt alles beschrieben, so, wie ich es verstand. Heute habe ich den ganzen Tag nur an Sie gedacht. Mein Herz hat sich um Sie ganz müde gegrämt. Denn sehen Sie, mein Seelchen, ich weiß doch, daß Sie kein warmes Mäntelchen haben. Und ich kenne doch dieses Petersburger Frühlingswetter, diese Frühjahrswinde und den Regen, der dazwischen noch Schnee bringt, – das ist doch der Tod, Warinka! Da gibt es doch solche Wetterumschläge, daß Gott uns behüte und bewahre! Nehmen Sie mir, Herzchen, mein Geschreibsel nicht übel; ich habe keinen Stil, Warinka, ganz und gar keinen Stil. Wenn ich doch nur irgendeinen hätte! Ich schreibe, was mir gerade einfällt, damit Sie eine kleine Zerstreuung haben, also nur so, um Sie etwas zu erheitern. Ja, wenn ich was gelernt hätte, dann wäre es etwas anderes; aber so – was habe ich denn gelernt? Meine Erziehung hat wenig gekostet!

 
Ihr ewiger und treuer Freund
Makar Djewuschkin.
25. April.
Sehr geehrter Makar Alexejewitsch!

Heute bin ich meiner Kusine Ssascha begegnet! Entsetzlich! Auch sie wird zugrunde gehen, die Aermste! Auch habe ich zufällig auf Umwegen erfahren, daß Anna Fedorowna sich überall nach mir erkundigt und natürlich alles ausforschen will. Sie wird wohl niemals aufhören, mich zu verfolgen. Sie soll gesagt haben, daß sie mir alles verzeihen wolle! Sie wolle alles Vorgefallene vergessen und werde mich unbedingt besuchen. Von Ihnen hat sie gesagt, Sie seien gar nicht mein Verwandter, nur sie selbst sei meine nächste und einzige Verwandte, und Sie hätten kein Recht, sich in unsere Angelegenheiten einzumischen. Es sei eine Schande für mich und ich müsse mich schämen, mich von Ihnen ernähren zu lassen und auf Ihre Kosten zu leben… Sie sagt, ich hätte das Gnadenbrot, das sie uns gegeben, vergessen – hätte vergessen, daß sie meine Mutter und mich vor dem Hungertode bewahrt, daß sie uns ernährt und gepflegt und fast zweieinhalb Jahre lang nur Unkosten durch uns gehabt, und daß sie uns außerdem eine alte Schuld geschenkt habe. Nicht einmal Mama will sie in ihrem Grabe in Ruhe lassen! Wenn meine Mutter wüßte, was sie mir angetan haben! Gott sieht es!..

Anna Fedorowna hat auch noch gesagt, daß ich nur aus Dummheit nicht verstanden habe, mein Glück festzuhalten, daß sie selbst mir das Glück zugeführt und sonst an nichts schuld sei, ich aber hätte es nur nicht verstanden – oder vielleicht auch nicht gewollt – für meine Ehre einzutreten. Aber wessen Schuld war es denn, großer Gott! Sie sagt, Herr Bükoff sei durchaus im Recht, man könne doch wirklich nicht eine jede heiraten, die… .doch wozu das alles schreiben!

Es ist zu grausam, solche Unwahrheiten hören zu müssen, Makar Alexejewitsch!

Ich weiß nicht, was es heute mit mir ist. Ich zittere, ich weine, ich schluchze. An diesem Brief schreibe ich schon seit zwei Stunden. Und ich war schon in dem Glauben, sie werde doch wenigstens ihre Schuld eingesehen haben, das Unrecht, das sie mir zugefügt hat, – und da redet sie so!

Bitte, regen Sie sich meinetwegen nicht auf, mein Freund, um Gottes willen nicht, mein einziger guter Freund! Fedora übertreibt ja doch immer: ich bin gar nicht krank. Ich habe mich nur gestern auf dem Wolkoff-Friedhof ein wenig erkältet, als ich die Seelenmesse für mein totes Mütterchen hörte. Warum kamen Sie nicht mit mir? – ich hatte Sie doch so darum gebeten. Ach, meine arme, arme Mutter, wenn du aus dem Grabe stiegest, wenn du wüßtest, wenn du wüßtest, was sie mit mir getan haben!..

W. D.
20. Mai.
Mein Täubchen Warinka!

Ich sende Ihnen ein paar Weintrauben, mein Herzchen, die sind gut für Genesende, sagt man, und auch der Arzt hat sie empfohlen, gegen den Durst, – also dann essen Sie mal die Träubchen, Warinka, wenn Sie durstig sind. Sie wollten auch gern ein Rosenstöckchen besitzen, Kind, da schicke ich Ihnen denn jetzt welche. Haben Sie aber auch Appetit, Herzchen? – Das ist doch die Hauptsache. Gott sei Dank, daß nun alles vorüber und überstanden ist, und daß auch unser Unglück bald ein Ende nehmen wird. Danken wir dafür dem Schöpfer! Was aber nun die Bücher betrifft, so kann ich vorläufig nirgendwo welche auftreiben. Es soll hier jemand ein sehr gutes Buch haben, hörte ich, eines, das in sehr hohem Stil geschrieben sei; man sagt, es sei wirklich ein gutes Buch, ich habe es selbst nicht gelesen, aber es wird hier sehr gelobt. Ich habe gebeten, man möge es mir geben, und man wollte es mir auch verschaffen. Nur – werden Sie es wirklich lesen? Sie sind ja so wählerisch in solchen Sachen, daß es schwer hält, für Ihren Geschmack gerade das Richtige zu finden, ich kenne Sie doch, mein Täubchen, ich weiß schon, wie Sie sind! Sie wollen wohl nur Poesie haben, die von Liebe und Sehnsucht handelt, – deshalb werde ich Ihnen auch Gedichte verschaffen, alles, alles, was Sie nur haben wollen. Hier gibt es ein ganzes Heft mit abgeschriebenen Gedichten.

Ich lebe sehr gut. Sie müssen sich über mich beruhigen, Kind. Was Ihnen die Fedora wieder erzählt hat, ist alles gar nicht wahr, sie soll nicht immer lügen, sagen Sie ihr das. Ja, sagen Sie es ihr wirklich, der Klatschbase!.. Ich habe meinen neuen Uniformrock gar nicht verkauft, ist mir nicht eingefallen! Und weshalb sollte ich ihn verkaufen, sagen Sie doch selbst? Ich habe noch vor kurzem gehört, wie man davon sprach, daß man mir eine Gratifikation von vierzig Rubeln zusprechen werde, weshalb sollte ich da verkaufen? Nein, Kind, Sie sollen sich wirklich nicht beunruhigen. Sie ist argwöhnisch, die Fedora, und mißtrauisch, das ist gar nicht gut von ihr. Warten Sie nur, auch wir werden noch mal gut leben, mein Täubchen! Nur müssen Sie erst gesund werden, mein Engelchen, das müssen Sie um Christi willen: das ist doch mein größter Kummer, damit betrüben Sie mich Alten doch am meisten. Wer hat Ihnen gesagt, daß ich abgemagert sei? Das ist auch eine Verleumdung! Ich bin ganz gesund und munter und habe sogar so zugenommen, daß ich mich schon selbst zu schämen anfange. Bin satt und zufrieden und mir fehlt nichts, – wenn nur Sie wieder gesund wären! Nun, und jetzt leben Sie wohl, mein Engelchen; ich küsse alle Ihre Fingerchen und verbleibe

Ihr ewig treuer, unwandelbarer Freund
Makar Djewuschkin.

P. S. Ach, Herzchen, was haben Sie da nur wieder geschrieben! Daß Sie sich doch immer etwas ins Köpfchen setzen müssen! Wie soll ich denn so oft zu Ihnen kommen, Kind – das frage ich Sie, – wie? Etwa im Schutze der nächtlichen Dunkelheit? Aber wo die Nächte hernehmen, jetzt gibt es ja gar keine, in dieser Jahreszeit. Ich habe Sie aber auch so, Engelchen, während Ihrer Krankheit fast gar nicht verlassen, als Sie bewußtlos im Fieber lagen. Doch eigentlich weiß ich es selbst nicht mehr, wie ich meine Zeit einteilte und mit allem doch noch fertig wurde. Aber dann stellte ich meine Besuche ein, denn die Leute wurden neugierig und begannen zu fragen. Und es sind ohnehin schon Klatschgeschichten entstanden. Ich verlasse mich aber ganz auf Theresa, sie ist zum Glück nicht schwatzhaft. Aber immerhin müssen Sie es sich doch selbst sagen, Kind, wie wird denn das sein, wenn alle über uns schwatzen? Was werden sie denn von uns denken und was sagen? Deshalb beißen Sie mal die Zähnchen zusammen, Herzchen, und warten Sie, bis Sie ganz gesund geworden sind: dann werden wir uns schon irgendwo außerhalb des Hauses treffen können.

1. Juni.
Bester Makar Alexejewitsch!

Ich möchte Ihnen so gern etwas zu Liebe tun, um Ihnen meinen Dank für Ihre Mühen und die Opfer, die Sie mir gebracht, zu bezeigen, darum habe ich mich entschlossen, aus meiner Kommode mein altes Heft hervorzusuchen, das ich Ihnen hiermit zusende. Ich begann diese Aufzeichnungen noch in der glücklichen Zeit meines Lebens. Sie haben mich so oft mit Anteil nach meinem früheren Leben gefragt und mich gebeten, Ihnen von meiner Mutter, von Pokrowskij, von meinem Aufenthalt bei Anna Fedorowna und schließlich von meinen letzten Erlebnissen zu erzählen, und Sie äußerten so lebhaft den Wunsch, dieses Heft einmal zu lesen, in dem ich – Gott weiß wozu – einiges aus meinem Leben erzählt habe, daß ich glaube, Ihnen mit der Zusendung dieses Heftes eine Freude zu bereiten. Mich aber hat es traurig gemacht, als ich es jetzt durchlas. Es scheint mir, daß ich seit dem Augenblick, in dem ich die letzte Zeile dieser Aufzeichnungen schrieb, noch einmal so alt geworden bin, als ich war, zweimal so alt! Ich habe das Ganze zu verschiedenen Zeiten niedergeschrieben. Leben Sie wohl, Makar Alexejewitsch! Ich habe jetzt oft schreckliche Langeweile und nachts quält mich meine Schlaflosigkeit. Ein höchst langweiliges Genesen!

W. D.
I

Ich war erst vierzehn Jahre alt, als mein Vater starb. Meine Kindheit war die glücklichste Zeit meines Lebens. Ich verbrachte sie nicht hier, sondern fern in der Provinz, auf dem Lande. Mein Vater war der Verwalter eines großen Gutes, das dem Fürsten P. gehörte. Und dort lebten wir – still, einsam und glücklich… Ich war ein richtiger Wildfang: oft tat ich den ganzen Tag nichts anderes, als in Feld und Wald umherzustreifen, überall wo ich nur wollte, denn niemand kümmerte sich um mich. Mein Vater war immer beschäftigt und meine Mutter hatte in der Wirtschaft zu tun. Ich wurde nicht unterrichtet – und darüber war ich sehr froh. So lief ich schon frühmorgens zum großen Teich oder in den Wald, oder auf die Wiese zu den Schnittern – je nachdem –: was machte es mir aus, daß die Sonne brannte, daß ich selbst nicht mehr wußte, wo ich war und wie ich mich zurechtfinden sollte, daß das Gestrüpp mich kratzte und mein Kleid zerriß: zu Hause würde man schelten, aber was ging das mich an!

Und ich glaube, ich wäre ewig so glücklich geblieben, wenn wir auch das ganze Leben dort auf dem Lande verbracht hätten. Doch leider mußte ich schon als Kind von diesem freien Landleben Abschied nehmen und mich von all den trauten Stellen trennen. Ich war erst zwölf Jahre alt, als wir nach Petersburg übersiedelten. Ach, wie traurig war unser Aufbruch! Wie weinte ich, als ich alles, was ich so lieb hatte, verlassen mußte! Ich weiß noch, wie krampfhaft ich meinen Vater umarmte und ihn unter Tränen bat, er möge doch wenigstens noch ein Weilchen auf dem Gute bleiben, und wie mein Vater böse wurde und wie meine Mutter auch weinte. Sie sagte, es sei notwendig, es seien geschäftliche Angelegenheiten, die es verlangten. Der alte Fürst P. war nämlich gestorben und seine Erben hatten meinen Vater entlassen. So fuhren wir nach Petersburg, wo einige Privatleute lebten, denen mein Vater Geld geliehen hatte – und da wollte er denn persönlich seine Geldangelegenheiten regeln. Das erfuhr ich alles von meiner Mutter. Hier mieteten wir auf der Petersburger Seite1 eine Wohnung, in der wir dann bis zum Tode des Vaters blieben.

Wie schwer es mir war, mich an das neue Leben zu gewöhnen! Wir kamen im Herbst nach Petersburg. Als wir das Gut verließen, war es ein sonnig heller, klarer, warmer Tag. Auf den Feldern wurden die letzten Arbeiten beendet. Auf den Tennen lag schon das Getreide in hohen Haufen, um die ganze Scharen lebhaft zwitschernder Vögel flatterten. Alles war so hell und fröhlich!

Hier aber, als wir in der Stadt anlangten, war statt dessen nichts als Regen, Herbstkälte, Unwetter, Schmutz, und viele fremde Menschen, die alle unfreundlich, unzufrieden und böse aussahen! Wir richteten uns ein, so gut es eben ging. Wieviel Schererei das gab, bis man den Haushalt endlich eingerichtet hatte! Mein Vater war fast den ganzen Tag nicht zu Hause und meine Mutter war immer beschäftigt, – mich vergaß man ganz. Es war ein trauriges Aufstehen am nächsten Morgen – nach der ersten Nacht in der neuen Wohnung. Vor unseren Fenstern war ein gelber Zaun. Auf der Straße sah man nichts als Schmutz! Nur wenige Menschen gingen vorüber, und alle waren so vermummt in Kleider und Tücher, und alle schienen sie zu frieren.

Bei uns zu Hause herrschten ganze Tage lang nur Kummer und entsetzliche Langeweile. Verwandte oder nahe Bekannte hatten wir hier nicht. Mit Anna Fedorowna hatte sich der Vater entzweit. (Er schuldete ihr etwas.) Es kamen aber ziemlich oft Leute zu uns, die mit dem Vater Geschäftliches zu besprechen hatten. Gewöhnlich wurde dann gestritten, gelärmt und geschrien. Und wenn sie wieder fortgegangen waren, war Papa immer so unzufrieden und böse. Stundenlang ging er dann im Zimmer auf und ab, mit gerunzelter Stirn, ohne ein Wort zu sprechen. Auch Mama wagte dann nichts zu sagen und schwieg. Und ich zog mich mit einem Buch still in einen Winkel zurück und wagte mich nicht zu rühren.

 

Im dritten Monat nach unserer Ankunft in Petersburg wurde ich in eine Pension gegeben. War das eine traurige Zeit, anfangs, unter den vielen fremden Menschen! Alles war so trocken, so kurz angebunden, so unfreundlich und so gar nicht anziehend: die Lehrerinnen schalten und die Mädchen spotteten, und ich war so verschüchtert – wie ein Wildling kam ich mir vor. Diese pedantische Strenge! Alles mußte pünktlich zur bestimmten Stunde geschehen. Die Mahlzeiten an der gemeinsamen Tafel, die langweiligen Lehrer – das machte mich anfangs haltlos! Ich konnte dort nicht einmal schlafen. So manche lange, langweilige, kalte Nacht habe ich bis zum Morgen geweint. Abends, wenn die anderen alle ihre Lektionen lernten oder wiederholten, saß ich über meinem Buch oder dem Vokabelheft und wagte nicht, mich zu rühren, doch mit meinen Gedanken war ich wieder zu Hause, dachte an den Vater und die Mutter und an meine alte gute Kinderfrau und an deren Märchen… ach, was für ein Heimweh mich da erfaßte! Jedes kleinsten Gegenstandes im Hause erinnert man sich, und selbst an den noch denkt man mit einem so eigentümlichen, wehmütigen Vergnügen. Und so denkt man und denkt man denn, – wie gut, wie schön es doch jetzt zu Hause wäre! Da würde ich in unserem kleinen Eßzimmer am Tisch sitzen, auf dem der Ssamowar summt, und mit am Tisch säßen die Eltern: wie warm wäre es, wie traut, wie behaglich. Wie würde ich, denkt man, jetzt Mütterchen umarmen, fest, ganz fest, o, so mit aller Inbrunst umarmen! – Und so denkt man weiter, bis man vor Heimweh leise zu weinen anfängt, und immer wieder die Tränen schluckt – die Vokabeln aber gehen einem nicht in den Kopf. Wieder kann man die Aufgabe für den nächsten Tag nicht: die ganze Nacht sieht man nichts anderes im Traum, als den Lehrer, die Madame und die Mitschülerinnen; die ganze Nacht träumt man, daß man die Aufgaben lerne, am nächsten Tage aber weiß man natürlich nichts. Da muß man wieder im Winkel knien und erhält nur eine Speise. Ich war so unlustig, so wortkarg. Die Mädchen lachten über mich, neckten mich und lenkten meine Aufmerksamkeit ab, wenn ich die Aufgabe hersagte, oder sie kniffen mich, wenn wir in langer Reihe paarweis zu Tisch gingen, oder sie beklagten sich bei der Lehrerin über mich. Doch welche Seligkeit, wenn dann am Sonnabendabend meine alte gute Wärterin kam, um mich abzuholen! Wie ich sie umarmte – ich wußte mich kaum zu lassen vor Freude – mein gutes Altchen! Und dann kleidete sie mich an, immer »hübsch warm«, wie sie sagte, wenn sie mir die Tücher um den Kopf band. Unterwegs aber konnte sie mir nie schnell genug folgen und ich – konnte doch nicht so langsam gehen wie sie! Und die ganze Zeit erzählte ich und schwatzte ich ohne Unterlaß. Ganz ausgelassen vor Freude, lief ich ins Haus und warf mich den Eltern um den Hals, als hätten wir uns seit neun Jahren nicht gesehen. Und dann begann das Erzählen und Fragen, und ich lachte und lief umher und feierte mit allem und allem Wiedersehen. Papa begann alsbald ernstere Gespräche: über die Lehrer, über Mathematik, über die französische Sprache und die Grammatik von L'Homond, – und alle waren wir so guter Dinge und zufrieden und gesprächig. Auch jetzt noch ist mir die bloße Erinnerung an jene Stunden ein Vergnügen.

Ich gab mir die größte Mühe, gut zu lernen, um meinen Vater damit zu erfreuen. Ich sah doch, daß er das Letzte für mich ausgab, während ihm selbst die Sorgen über den Kopf wuchsen. Mit jedem Tage wurde er finsterer, unzufriedener, jähzorniger; sein Charakter veränderte sich sehr zu seinem Nachteil. Nichts gelang ihm, alles schlug fehl und die Schulden wuchsen ins Ungeheuerliche.

Die Mutter fürchtete sich, zu weinen oder auch nur ein Wort der Klage zu sagen, da der Vater sich dann nur noch mehr ärgerte. Sie wurde kränklich und schwächlich und ein böser Husten stellte sich ein. Kam ich aus der Pension, so sah ich nur traurige Gesichter: die Mutter wischte sich heimlich die Tränen aus den Augen und der Vater ärgerte sich. Und dann kamen wieder Vorwürfe und Klagen: er erlebe an mir keine Freude, ich brächte ihm auch keinen Trost, und doch gebe er für mich das Letzte hin, ich aber verstände noch immer nicht, Französisch zu sprechen. Mit einem Wort, ich war an allem schuld; alles Unglück, alle Mißerfolge, alles hatten wir zu verantworten, ich und die arme Mama. Wie war es aber nur möglich, die arme Mama noch mehr zu quälen! Wenn man sie ansah, konnte einem das Herz brechen! Ihre Wangen waren eingefallen, die Augen lagen tief in den Höhlen – wie eine Schwindsüchtige sah sie aus.

Die größten Vorwürfe wurden mir gemacht. Gewöhnlich begann es mit irgendeiner kleinen Nebensächlichkeit und dann kam oft Gott weiß was alles zur Sprache, – oft begriff ich nicht einmal, wovon Papa sprach. Was er da nicht alles vorbrachte!.. Zuerst die französische Sprache, daß ich ein großer Dummkopf und unsere Pensionsvorsteherin eine fahrlässige, dumme Person sei, sie sorge nicht im geringsten für unsere sittliche Entwickelung; dann – daß er noch immer keine Anstellung finden könne und daß die Grammatik von L'Homond nichts tauge, die von Sapolskij sei bedeutend besser; daß man für mich viel Geld verschwendet habe, ohne Sinn und Nutzen, daß ich ein gefühlloses, hartherziges Mädchen sei, – kurz, ich Arme, die ich mir die größte Mühe gab, französische Vokabeln und Gespräche auswendig zu lernen, war an allem schuld und mußte alle Vorwürfe hinnehmen. Aber er tat es ja nicht etwa deshalb, weil er uns nicht liebte: im Gegenteil, er liebte uns über alle Maßen! Es war nun einmal sein Charakter…

Oder nein: es waren die Sorgen, die Enttäuschungen und Mißerfolge, die seinen ursprünglich guten Charakter so verändert hatten: er wurde mißtrauisch, war oft ganz verbittert und der Verzweiflung nahe, begann seine Gesundheit zu vernachlässigen, erkältete sich und – starb dann auch nach kurzem Krankenlager, so plötzlich, so unerwartet, daß wir es noch tagelang nicht fassen konnten! Wir waren wie betäubt von diesem Schlage. Mama war wie erstarrt, ich fürchtete anfänglich für ihren Verstand. Kaum aber war er gestorben, da kamen schon die Gläubiger in Scharen zu uns. Alles, was wir hatten, gaben wir ihnen hin. Unser Häuschen auf der Petersburger Seite, das Papa ein halbes Jahr nach unserer Ankunft in Petersburg gekauft hatte, mußte gleichfalls verkauft werden. Ich weiß nicht, wie es mit dem Uebrigen wurde, wir blieben jedenfalls ohne Obdach, ohne Geld, schutzlos, mittellos… Mama war krank – es war ein schleichendes Fieber, das nicht weichen wollte – verdienen konnten wir nichts, so waren wir dem Verderben preisgegeben. Ich war erst vierzehn Jahre alt.

Da besuchte uns zum erstenmal Anna Fedorowna. Sie gibt sich immer für eine Gutsbesitzerin aus und versichert, sie sei mit uns nahe verwandt. Mama aber sagte, sie sei allerdings verwandt mit uns, nur sei diese Verwandtschaft eine sehr weitläufige. Als Papa noch lebte, war sie nie zu uns gekommen. Sie erschien mit Tränen in den Augen und beteuerte, daß sie an unserem Unglück großen Anteil nehme. Sie bemitleidete uns lebhaft, äußerte sich dann aber dahin, daß Papa an unserem ganzen Mißgeschick schuld sei: er habe gar zu hoch hinaus gewollt und gar zu sehr auf seine eigene Kraft gebaut. Ferner äußerte sie als »einzige Verwandte« den Wunsch, uns näher zu treten, und machte den Vorschlag, Gewesenes zu vergessen. Als Mama darauf erwiderte, daß sie nie irgendwelchen Groll gegen sie gehegt habe, weinte sie sogar vor lauter Rührung, führte Mama in die Kirche und bestellte eine Seelenmesse für den »toten Liebling«, wie sie den Entschlafenen plötzlich nannte. Darauf versöhnte sie sich in aller Feierlichkeit mit Mama.

Dann, nach langen Vorreden und Randbemerkungen und nachdem sie uns in grellen Farben unsere ganze hoffnungslose Lage klargemacht, von unserer Mittel-, Schutz- und Hilflosigkeit gesprochen hatte, forderte sie uns auf, ihr Obdach mit ihr zu teilen, wie sie sich ausdrückte. Mama dankte für ihre Freundlichkeit, konnte sich aber lange nicht entschließen, der Aufforderung Folge zu leisten, doch da uns nichts anderes übrig blieb, so sah sie sich zu guter Letzt gezwungen, Anna Fedorowna mitzuteilen, daß sie ihr Anerbieten dankbar annehmen wolle.

1Ein Stadtteil von Petersburg. E. K. R.
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