Wiener Wahn

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DER NANDL

Jetzt muss ich Ihnen was erzählen, und zwar zuerst über Knödel38. Danach erzähle ich Ihnen was über den Kaiser Ferdinand I.

Aber zuerst kommen die Knödel an die Reihe.

Knödel sind eine über den ganzen alpenländischen Raum verbreitete, aber ganz speziell Wiener Spezialität, und wie alle Wiener Spezialitäten stammt sie aus Böhmen. Nein, das war jetzt ein Schmäh, den ich nur angebracht habe, um die Nähe der tschechischen Küche wieder einmal beiläufig zu erwähnen. Im Fall der Knödel dürfte der Weg ausnahmsweise einmal der umgekehrte gewesen sein, also von Österreich nach Tschechien. Zumindest lassen das Ausgrabungen aus alter Zeit vermuten. Aber wenn man die Knödel als Beilage isst zu einem Bierfleisch oder zu Schweinsbraten mit Sauerkraut, gleicht sich das schnell wieder aus.

Man unterscheidet Erdäpfelknödel39 und Semmelknödel40, und beide Typen haben diverse Variationen. Die Erdäpfelknödel gibt es auch in süßen Varianten, etwa die Marillenknödel, die Sie unbedingt probieren müssen, wenn Sie Mitte Juli, Anfang August in die Wachau kommen – obwohl ich Ihnen gleich sage, dass es Köchinnen gibt (und vielleicht auch Köche, aber die werden in Knödeldingen nicht gefragt), die auf Marillenknödel aus Brandteig schwören, was, genau genommen, einen dritten Knödeltyp ergibt, der uns jetzt aber weiter nicht kümmern soll.

Die Semmelknödel sind ein wahres Wunder der Wiener Küche. Etwas Besseres als Beilage gibt es nicht. Ist irgendwo eine Soß dabei – das Semmelknödel tunkt sie auf und hebt ihren Geschmack. Ist irgendwo keine Soß dabei, ist das Semmelknödel auch die ideale Beilage. Und niemals darf man ein Knödel schneiden, wenn es eine Beilage ist, man muss es reißen. Das ist kein Wiener Pecker, sondern ein kulinarisches Geheimnis: An einem glatt geschnittenen Knödel rinnt der Saft ab, während ihn ein gerissenes herrlich auftunkt.

Das Knödel kann freilich genauso gut ein grandioser Hauptdarsteller sein als geröstete Knödel mit Ei41, das ich ganz besonders gerne mag, als Knödelauflauf42 oder als saure Knödel43.

Übrigens sind die Semmelknödel, da bin ich völlig sicher, ein Streitobjekt, seit eine Urwienerin sie erstmals geformt hat, und nicht nur wegen des Geschlechts, also, ob es richtig der Knödel heißt oder das Knödel. In Wien heißt es das Knödel, und wer der Knödel sagt, ist kein echter Wiener, selbst dann nicht, wenn seine Urgroßeltern allesamt aus Böhmen gekommen sind. Aber wie damals die Urwienerin die Urknödel serviert hat – ich schwöre Ihnen, dass damals ihr Mann gesagt hat, die Knödel seien zu weich, ihre Mutter hat gemeint, zu hart, und obzwar die Urwiener die Urknödel gegessen haben, und zwar mit Appetit und Genuss und das Rezept an ihre Kinder und Kindeskinder weitergegeben haben, ist der Urstreit über die Knödelhärte bis heute nicht beigelegt.

Hab’ ich was mitgemacht mit den Semmelknödeln, das kann ich Ihnen sagen! Meine Großmutter, eine begnadete Köchin Altwiener Küche, ist auf dem Standpunkt gestanden, ein Semmelknödel hat so flaumig zu sein, dass es sich quasi von selbst zerteilt, wenn man es nur scharf anschaut. Meine Mutter hingegen, eine nicht minder begnadete Köchin Altwiener Küche, ist überzeugt gewesen, dass nichts als Semmelknödel durchgehen darf, was weicher ist als eine der Kugeln, mit denen der Feldmarschall Radetzky44 in der Schlacht bei Custozza seine Kanonen laden hat lassen.

Damit komme ich zum Kaiser Ferdinand I.45 Der hat, mehr der Pflicht gehorchend als dem Vergnügen hingegeben, wieder einmal an einem Hofbankett teilgenommen. Bei solch einem Anlass ist es üblich, dass die Köche einander an Absonderlichkeiten übertreffen. Je ausgefallener, desto besser – das ist damals wie heute das Gleiche. Jetzt hat es dem Ferdinand aber gar nicht geschmeckt, was da aus der Küche auf den Tisch gekommen ist. Ich glaube, nach meiner Hymne auf die Knödel können Sie verstehen, wenn der Kaiser lieber Knödel gegessen hätte als Karpfen in einer Soße aus dessen eigenem Blut. So sitzt seine Majestät also da, und er mag die Hühnerpastete nicht und nicht den Karpfen und erst recht nicht die Flusskrebse, und die gebratenen Krammetsvögel46 mag er nicht und die Karpfenzungen hat er von je her geradezu verabscheut, und als der gebratene Stockfisch aufgetragen wird, sagt er zum ersten Mal, dass er lieber Knödel hätte, und ich kann ihm das nachfühlen, dem Ferdinand – Sie vielleicht auch. Richtig unwirsch ist er, als die Antwort des Dieners lautet, Knödel habe man keine vorgesehen, das sei nichts für eine festliche Tafel. Dann wird der gebratene Fischotter serviert, und der Ferdinand sagt wieder, er hätte lieber Knödel, und wieder heißt es, Knödel gäbe es heute keine. Als die Rinderzunge im Eierkuchen aufgetragen wird und der Ferdinand meint, jetzt wäre es an der Zeit, ihm Knödel zu bringen, und der Diener abermals sagt, Knödel gäbe es heute nun einmal nicht, da reißt ihm, dem Ferdinand, der Geduldsfaden und er sagt laut: „Ich bin da Kaisa, und ich will Knödl.“

Ich frage Sie im Ernst: Kann man ihm das verdenken?

Also, ich zumindest hab’ vollstes Verständnis für ihn. Wenn ich der Kaiser wär’ und meine Leibspeise wären Knödel, dann würd’ ich auch nicht einsehen, dass ich keine bekomme, aber stattdessen Rinderzunge im Eierkuchen und gebratenen Fischotter, was mir noch nie geschmeckt hat.

Der Knödel-Ausspruch dient, wie alle anderen Ferdinand-Zitate, dazu, den Kaiser als Trottel hinzustellen. Ein bisserl was mag dran sein. Immerhin ist er aus der Ehe von Kaiser Franz II.47 und Maria Theresia, Prinzessin beider Sizilien, hervorgegangen: Das Paar war zweifach Cousin und Cousine ersten Grades. Ferdinand hat einen Wasserkopf gehabt, an Epilepsie und Rachitis gelitten, die wulstige Habsburger-Unterlippe hat über die Maßen sein Gesicht dominiert, sein Körperbau wird als unproportioniert beschrieben. Geistig ist er ein Spätentwickler gewesen.

Aber ich bezweifle, dass er wirklich der Kretin gewesen ist, für den ihn bis heute alle ausgeben. Sogar bei Führungen durch die Kaiser-Franz-Joseph-Ausstellung in Schloss Schönbrunn im Jahr 2016 ist die Rede gewesen vom schwachsinnigen Ferdinand. Auf einem Bild ist er zu sehen gewesen, und bei der Führung hat der junge Mann, ganz bestimmt vorschriftsmäßig, die Grenzdebilität vom Ferdinand erwähnt. Doch irgendwie mag ich das nicht ganz glauben. Ich sag’ Ihnen was: Mir ist er richtig sympathisch, der Kaiser Ferdinand. Darum will ich Ihnen jetzt was über ihn erzählen, was Sie nicht oft zu hören kriegen.

Der angeblich geistig zurückgebliebene Kaiser hat fließend die fünf Hauptsprachen des Reichs gesprochen, also Deutsch, Tschechisch, Italienisch, Ungarisch und Polnisch. Er hat Klavier gespielt, er ist geritten, hat getanzt und gefochten, er hat sich für Heraldik interessiert und für moderne Entwicklungen im Gartenbau und für Technik, und er soll eine auffällige Begabung fürs Zeichnen gehabt haben. Das scheint mir reichlich talentiert für einen kompletten Trottel, finden Sie nicht?

Für mich hat er lediglich eine gewisse Entscheidungsschwäche gehabt. Dass man ihm die „Geheime Staatskonferenz“48 zur Seite gestellt hat, damit das Reich weiterhin quasi absolutistisch regiert werden kann, mag schon in Ordnung gewesen sein.

Der Kaiser Ferdinand ist zweifellos auch etwas naiv gewesen. Sie kennen sicher den anderen Ausspruch von ihm – Sie wissen schon: Wie im 1848er-Jahr sogar im phlegmatischen Wien die Revolution ausgebrochen ist, hat man nicht verhindern können, dass der Kaiser einer wütenden Volksmenge ansichtig wird. Konsterniert fragt er seinen Kanzler Metternich: „Was machn denn all die vieln Leut da? De san so laut!“ Worauf Metternich antwortet: „Die machn eine Revolution, Majestät.“ Und Ferdinand entgeistert: „Ja, dürfen s denn das?“

Jo, eh, das klingt deppert49. Aber überlegen Sie: Vom ersten Moment an, in dem er denken kann, kriegt der Ferdinand eine Erziehung, die darauf hinausläuft, dass er, und nur er ganz allein, entscheidet, was im Reich geschieht. Später wird man ihm erklärt haben, die Geheime Staatskonferenz habe die Zügel fest in der Hand. Und auf einmal ist der ohnedies entscheidungsschwache und ohnedies naive Ferdinand mit einer Situation konfrontiert, die er nicht befohlen hat, und die ihm sein allgegenwärtiger und allmächtiger Staatskanzler weder erklären kann, noch kann er ihm sagen, wie er sie in den Griff kriegt. „Ja, dürfen s denn des?“ ist sicher keine angemessen formulierte Reaktion, nur: So verblödet, wie sie immer dargestellt wird, scheint sie mir nicht.

Aber vielleicht beschönige ich das, ich hab Ihnen ja gesagt: Ich mag den Ferdinand. Und zwar mag ich ihn, weil er ein wirklich gütiger Mensch gewesen ist und in seiner Güte durchaus besonnen. Darum bin ich überzeugt, dass die blutige Niederschlagung der nicht gedurften Revolution auf das Konto vom Metternich geht. Die Anwendung von tödlicher Gewalt passt nämlich nicht zum Ferdinand. Dazu werde ich Ihnen später noch was erzählen.

Jetzt komm’ ich zuerst einmal dazu, wieso der Ferdinand „der Gütige“ genannt worden ist. Auf Wunsch seines Vaters Franz I. ist der Ferdinand am 28. September 1830 in Pressburg zum König von Ungarn gekrönt worden. Zu diesem Anlass haben ihm die ungarischen Stände ein Ehrengeschenk von 50.000 Dukaten überreicht. Eine Historikerin hat mir das einmal in Euro umgerechnet – rund 650.000 Euro wären das. Jedenfalls hat der Ferdinand das Geld nicht einfach unter den Menschen verteilt, sondern er hat mit dem einem Teil sehr umsichtig verarmte ungarische Gemeinden unterstützt und den anderen Teil hat er in die Pester Akademie fließen lassen. Ab da hat er den Beinamen „der Gütige“ gehabt.

Natürlich steht überall, zu dieser Vorgehensweise habe ihm der gewiefte Metternich geraten, der habe gewusst, wie sich der Ferdinand bei den Ungarn beliebt macht. Mag sein. Andererseits – Sie wissen ja, dass der Ferdinand am 2. Dezember 1848 zugunsten seines Neffen Franz Joseph abgedankt hat. Mir gefallen die Worte, mit denen er das Kaisertum übergeben hat, weil sie völlig unpathetisch gewesen sind: „Gott segne dich, sei brav, es ist gern geschehen. Pfiat God50.“ Darauf habe ich aber gar nicht hinausgewollt, das ist mir nur gerade zur Abdankung eingefallen. Was ich eigentlich sagen hab’ wollen: Nach der Abdankung übernimmt der Ferdinand selbst, und zwar ohne Hilfestellung durch höchste Staatsbeamte, die Verwaltung seiner riesigen böhmischen Güter, die er vom Herzog von Reichstadt geerbt hat. Er macht sie zu Musterbetrieben und steigert die Erträge in schwindelerregende Höhen. Als sein kaiserlicher Neffe hingegen einen politischen und militärischen Fehlgriff nach dem anderen tut, spöttelt der Ferdinand: „Das hätt i aa no zsammbracht.“51 Und der soll „eine vollkommene Null, beinahe ein Idiot“ gewesen sein, wie Lord Palmerston angemerkt hat?

 

Was freilich so gar nicht nach dem Ferdinand ausschaut, ist die Vertreibung der Tiroler Protestanten. 1837 haben 427 Frauen, Männer und Kinder das Zillertal verlassen müssen. Sie haben dem Protestantismus nicht abschwören wollen. Die Vertreibung ist gegen jedes Recht gewesen, weil Kaiser Joseph II. bereits im Jahr 1781 mit dem Toleranzpatent die freie Religionsausübung weitestgehend erlaubt hat. Aber einflussreiche katholische Kreise haben so lange gegen die Protestanten gehetzt, bis der Kaiser den Schlussstrich gezogen und die Ausweisung verfügt hat. Da hat der entscheidungsschwache Ferdinand also doch einmal eine Entscheidung getroffen, noch dazu eine, die so gar nicht zu seinem Denken passt? – Schauen Sie, da erkenne ich auch schon wieder die Handschrift vom Metternich, und zwar viel eher als bei Ferdinands Verwendung des Ehrengeschenks der ungarischen Stände. Die Verteilung des Ehrengeschenks passt so zum Wesen vom Ferdinand, wie die Vertreibung der Protestanten zu dem vom Metternich passt. Dem Metternich ist es dabei wahrscheinlich nicht einmal um die Religion gegangen, sondern um die Unterdrückung von Abweichlertum. Einmal ist es ein politisches gewesen und jetzt halt ein religiöses. Welcher Art das Abweichlertum gewesen ist, ist dem Metternich wurscht52 gewesen. Er hat weder das eine noch das andere zulassen wollen.

Es gibt aber noch etwas, weswegen ich den Ferdinand mag: Er ist ein Gegner der Todesstrafe gewesen. Er hat in der gesamten Zeit seiner Regentschaft kein einziges Todesurteil unterzeichnet. Das ist für einen Habsburger-Kaiser einmalig. Nicht einmal dann hat er ein Todesurteil verlangt, als er beinahe selbst draufgegangen wäre. Das ist so gekommen: Am 9. August 1832 hat der pensionierte Hauptmann Franz Reindl in Baden bei Wien mit einer Pistole ein Attentat auf den Ferdinand verübt, der zu diesem Zeitpunkt noch Österreichischer Kronprinz, aber immerhin schon König von Ungarn gewesen ist. Es ist um eine Geldsumme gegangen, die der Ferdinand dem Reindl verweigert hat. Der Reindl ist ein Spieler gewesen und hat, um Schulden bezahlen zu können, vom Ferdinand, mir nichts dir nichts, 900 Gulden erbeten. Der Ferdinand hat ihm aber nur 100 zugestanden. Daraufhin hat sich der Reindl immer mehr in Rage gegen den Ferdinand hineingesteigert.

Bei einem Besuch vom Ferdinand in Baden verfolgt der Reindl die Majestät und fängt plötzlich eine Schimpftirade an. Wie der phlegmatische Ferdinand nicht reagiert, zieht der Reindl ein Terzerol aus der Tasche, legt an und drückt ab. Der Thronfolger wird getroffen, bleibt aber stehen. Der Reindl zieht ein zweites Terzerol aus der Tasche und schießt sich in den Mund, aber die Kugel bleibt im Gaumen stecken, ohne viel Schaden anzurichten. Der Reindl hat nämlich viel zu wenig Pulver für die Ladungen verwendet. Deshalb ist es auch beim Ferdinand bei einem blauen Fleck53 geblieben.

Nicht einmal diesen Reindl hat der Ferdinand hinrichten lassen. Der Reindl ist zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Natürlich hat er jetzt seine Familie nicht mehr unterstützen können. Und jetzt raten Sie, wer das übernommen hat. – Der Ferdinand.

Jetzt komm’ ich zurück auf die Niederschlagung der Revolution von 1848. Natürlich ist eine Revolution nicht zu vergleichen mit einem Attentat. Bei der Revolution ist es um die Monarchie gegangen. Sie dürfen nicht vergessen: Den Habsburgern ist im Genick gesessen, dass eine Familienangehörige unter der Guillotine der französischen Revolutionäre ihr Leben gelassen hat. Die Marie Antoinette ist die Großtante vom Ferdinand gewesen. Dennoch kommt mir vor, dass der Ferdinand Gewalt verabscheut hat, die sich gegen das Leben richtet. Dem Metternich war das indessen wurscht. Aber vielleicht will ich das auch nur so sehen.

Und jetzt bin ich richtig froh, dass die Küche unseren Kaiserschmarrn offenbar vergessen hat, weil ich hab jetzt Appetit auf geröstete Knödel, Sie auch? Was weiß ich, woher das kommt.

Ah ja, übrigens: Das Volk hat nicht verstanden, dass ein Herrscher so milde sein kann und hat aus „Ferdinand der Gütige“ „Gütinand der Fertige54“ gemacht. Aber man hat ihn auch den „Nandl55“ genannt. Ich weiß nicht, ob das nur im Spott gewesen ist. Für mich schwingt da eher etwas Liebevolles mit, so, wie wenn man über den Onkel spricht, der ein bisserl wuki56 ist, den man aber eigentlich recht gern hat.

Apropos Beliebtheit: Also der Zilk – ich sage Ihnen ...

DER ZILK

Jetzt muss ich Ihnen was erzählen, und zwar über den Zilk.

Der Helmut Zilk57 ist zehn Jahre lang der Kaiser von Wien gewesen. Offiziell ist er zwar nur Bürgermeister gewesen, aber die Wiener haben das anders empfunden, für die ist er ihr Stadtmonarch gewesen. Die Wiener verehren ja ihren alten Kaiser, den Franz Joseph, insgeheim immer noch, traditionshalber, sie geben das von Generation zu Generation weiter, vielleicht können die Wiener ihre Liebe zum Kaiser ja auch richtig vererben. Jedenfalls haben die Wiener aus diesem Grund einen Narren gefressen gehabt am Zilk, und obwohl sie seinen Nachfolger, den Michael Häupl, auch sehr gemocht haben und er wirklich populär gewesen ist, haben sie ihn doch nicht so, ja: geliebt, wie sie den Zilk geliebt haben.

Der Zilk ist ja auch ein richtiges Original gewesen, ein Original und ein Stadtmonarch zugleich. Das eine bedingt das andere. Niemals würde ein Wiener jemanden als Stadtmonarchen akzeptieren, der kein Original ist. Ein Wiener durchschaut das sofort. Es hätte ja auch damals nicht einfach irgendein Landedelmann kommen und sagen können: Ich bin der Kaiser. Ausgelacht hätte ihn die ganze Stadt, dass man es bis nach Prag und nach Brünn und nach Kronstadt und nach Triest gehört hätte, und die Prager und die Brünner und die Kronstädter und die Triestiner hätten ganz verwundert gefragt: Ja, was lachen denn die so, die in der fernen Hauptstadt, in Wien, da wird sich doch nicht gar ein Landjunker als Kaiser ausgegeben haben?

Sehen Sie, gerade so ist es mit dem Zilk gewesen. Er hat sich nicht als Wiener Bürgermeister ausgegeben, nur, weil er an der Spitze einer Parteisektion gestanden ist, die die Wahlen gewonnen hat: Der Zilk ist der Wiener Bürgermeister gewesen, so, als wäre er gerade für diesen Posten geboren worden.

Zuvor ist der Zilk Journalist gewesen. Als ganz junger Mann hat er bei den Kommunisten hineingeschnuppert, aber er ist gleich wieder weg gewesen: zuviel aufgezwungener Gehorsam, zu wenig Raum für das eigene Denken, Sie verstehen? Damit hat der Zilk nicht umgehen können. Deshalb ist er ja auch nie bei den Nationalsozialisten angestreift. Als einziger seiner Schulklasse ist er nicht den Lockrufen der Waffen-SS erlegen. Dazu hat ganz schön viel Mut gehört.

Der Zilk hat eine Lehramtsprüfung gemacht und einige Zeit unterrichtet. Dabei ist er auf die Idee gekommen, es wäre doch gut, gäbe es im aufstrebenden Medium Fernsehen eine Sendung, die Schüler über ihre Berufschancen unterrichtet. Der ORF-Generalintendant Josef Scheidl hat Interesse gehabt und den Zilk gleich auch als Moderator für die Sendung engagiert, die den Titel „Was könnte ich werden?“ gekriegt hat.

In der Sendung hat der Zilk eine derartige Bildschirmpräsenz entwickelt, dass man ihm dann auch noch die „Stadtgespräche“ anvertraut hat. Ich glaube, damit ist der Samen gelegt worden für seine Wien-Leidenschaft. Der Zilk ist in die Stadt und ihre Bürger vernarrt gewesen. Wenn es um die Stadt und ihre Bürger gegangen ist, sind dem Zilk alle Parteidoktrinen wurscht gewesen, er hat gemacht, was er für richtig gehalten hat, und in fast allen Fällen hat es sich zumindest nachträglich herausgestellt, dass es auch richtig gewesen ist.

Aber soweit sind wir noch nicht. Zuerst kehrt der Zilk dem ORF den Rücken und wird in der „Kronen Zeitung“58 Ombudsmann. Das ist eine Stellung, die wie für den Zilk gemacht ist – und genau genommen hat der allmächtige „Krone“-Chef Heinz Dichand59 sie ja auch für den Zilk erfunden. Als Ombudsmann hat der Zilk sich der Sorgen und Nöte und, seien wir ehrlich, der Granteleien und Nörglereien der Österreicher angenommen und zwischen den Menschen und den Behörden und, wenn nötig, den Politikern vermittelt.

Dass der Zilk mit Menschen so gut umgehen kann, ist auch dem Bruno Kreisky aufgefallen, der damals Bundeskanzler gewesen ist. Der Kreisky hätte den Zilk gerne als Chef des ORF gesehen, aber der wählt seinen Intendanten selbst, und in diesem Fall hat der ganze Einfluss vom Kreisky nichts genützt, der Gerd Bacher60 ist ORF-Chef geworden.

Damit hat die Politikerkarriere vom Zilk begonnen. Der Bürgermeister Leopold Gratz61 hat den Zilk in die Wiener Stadtregierung geholt und ihn systematisch als seinen Nachfolger aufgebaut.

Bevor es aber soweit ist, gibt der Zilk ein Zwischenspiel als Unterrichts- und Kulturminister. Nur ein Jahr ist er im Amt, aber in diesem einen Jahr trifft er zwei Entscheidungen, die von großer Bedeutung sind. Die eine ist, dass er Informatik als Pflichtgegenstand einführt. Zur anderen komme ich später.

Und dann wird er endlich Bürgermeister der Stadt Wien. Der Zilk ist da schon in dritter Ehe mit der Dagmar Koller62 verheiratet, einer sagenhaft begabten Musicaldarstellerin. Ich führe das deshalb an, weil ich glaube, dass der Zilk sehr vieles durch sie gelernt hat, nämlich etwas als ein großes Fest zu inszenieren, eine ganze Stadt als Bühne aufzufassen. Der Zilk hat Wien für die Wiener zu einem ganzjährigen Wien-Festspiel gemacht. Zum äußeren Zeichen hat er den Rathausplatz, den Vorplatz vor dem Wiener Rathaus, das auf einer Sichtachse mit dem Burgtheater liegt, für Autos gesperrt. Statt eines großen Parkplatzes ist der Platz zum Ort von Festen geworden: für ein sommerliches Filmfest etwa mit Oper- und Konzertmitschnitten in Volksfeststimmung, dann hat er in der Vorweihnachtszeit dem Adventzauber und dem Christkindlmarkt dort einen festen Platz zugewiesen, und der Zilk hat die Einrichtung des Jüdischen Museums betrieben.

Dann hat er noch eine Entscheidung gefällt, die ihn zuerst viele Sympathien und letzten Endes wahrscheinlich auch einen Teil seiner Gesundheit gekostet hat: Er hat auf dem Platz vor der Albertina das Mahnmal gegen Krieg und Faschismus errichten lassen. Darüber ist viel diskutiert worden, einerseits, weil der Alfred Hrdlicka63 mit der Arbeit beauftragt worden ist, der sich zum Kommunismus bekannt hat, andererseits, weil die Wiener an die Zeit des Nationalsozialismus ohnedies nicht erinnert werden wollen. Sehr schnell haben sie es nach 1945 verstanden, alles in Fluten von Gspritztem zu tauchen und eine lethargische Gemütlichkeit vorzuspielen, mit der sie quasi eine kollektive Geschichtsfälschung begangen und sich als erstes Opfer vom Hitler inszeniert haben, was ja auch halb stimmt, halb aber auch nicht, und schon sehr viele Österreicher und Wiener bei den Verbrechen mitgemacht haben. Es ist halt um den Staatsvertrag gegangen, in der Nachkriegszeit, irgendwie hat man den ja den Siegermächten abringen müssen, und wenn die Wahrheit hinderlich ist, braucht man sie doch nicht offen auszusprechen. Und wie man dann den Staatsvertrag gehabt hat, hat es eigentlich auch keinen Grund mehr gegeben, sich um die Vergangenheit weiter zu kümmern, tun wir, als wäre nichts gewesen, Strich drunter, neu anfangen.

Mit dem Zilk ist das nicht möglich gewesen. Der hat den Finger auf die blutende Wunde Wiens gedrückt, ganz fest, bis es richtig weh getan hat. Für einen Moment ist das Schlagobers weg gewesen und Essig und Salz sind zum Vorschein gekommen. Doch das ist eine notwendige Rosskur gewesen. Der Zilk hat völlig richtig gehandelt.

 

Der Zilk hat sich das erlauben können, weil er kein dogmatischer Linkspolitiker gewesen ist. Er hat immer seine Meinung gesagt. Das hat er auf eine unnachahmliche Weise getan. Der Zilk hat eine sehr charakteristische Stimme gehabt, einen Bariton mit etwas kehliger Färbung. Das ist unverwechselbar gewesen und hat sicher viel zu seiner Ausstrahlung beigetragen. Er hat immer in ganz klaren Sätzen gesprochen, um nichts herumgeredet. Wenn er etwas gesagt hat, dann hat man gewusst: So ist es. Der Zilk ist nicht zurückgewichen, nicht vor einer Stimmung in der Bevölkerung und nicht vor einer Doktrin der Partei. Das haben die Wiener gewusst. Deshalb sind sie auch dann noch auf seiner Seite gestanden, wenn seine Meinung nicht die ihre gewesen ist.

Sein klares Bekenntnis gegen den Nationalsozialismus und für ein harmonisches Zusammenleben aller Menschen hat dazu geführt, dass ihm der Attentäter Franz Fuchs64 eine Briefbombe geschickt hat. Der Zilk hat sie geöffnet. Sie hat ihm zwei Finger der linken Hand abgerissen und die Greiffunktion zerstört. Danach hat der Zilk die verstümmelte Hand stets unter einer auffälligen Hülle verborgen. Er hat das als mahnendes Zeichen gegen das benützt, wogegen er die ganze Zeit angerannt ist, nämlich gegen den Hass.

Nach seinem Rückzug als Bürgermeister ist der Zilk in den Medien bis zu seinem Tod präsent geblieben. Er ist einer von denen gewesen, von denen man glaubt, sie würden ein ewiges Leben haben und nicht älter werden. So ist das gewesen mit dem letzten Bürgermeisterkaiser von Wien.

Jetzt schulde ich Ihnen aber noch die andere bedeutende Entscheidung vom Zilk als Unterrichts- und Kunstminister. Er ist es gewesen, der den Claus Peymann65 als Direktor ans Wiener Burgtheater geholt hat, obwohl ihm, dem Zilk, der ganz genau weiß, wie die Österreicher, und der noch besser weiß, wie die Wiener denken, völlig klar gewesen ist, dass der Claus Peymann in Wien auf wenig Gegenliebe treffen wird. So ist es gekommen. Dem Peymann ist die Ablehnung von großen Teilen des Publikums und des Ensembles entgegengeschlagen. Ein – Sie verzeihen – Piefke als Direktor am bedeutendsten Wiener Theater, wann hat man das je erlebt? Ja, sicher, sein Vorläufer, der Achim Benning66, das war auch ein Deutscher, und schon dem haben die Wiener vorgeworfen, er würde das Burgtheater modern unterwandern. Aber der Benning ist ein Deutscher gewesen und der Peymann ein Piefke. Das ist eine Unterscheidung, die nur ein Wiener treffen kann. Sie kennen das Sprichwort, auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil? – Sehen Sie, wenn ein Deutscher ungefähr so verfährt, dann ist er für die Wiener ein Piefke. Ausgerechnet so einen hat der Zilk ans Wiener Burgtheater geholt. Und dann hat sich der Peymann in Wien verliebt, und Wien hat sich in den Peymann verliebt, und die, die ihn am meisten gehasst haben, kriegen heute feuchte Augen, wenn sie an die glorreiche Peymann-Zeit denken, die ihnen, genau genommen, der Helmut Zilk ermöglicht hat.

Irgendwie ist das schon passend, dass das Rathaus und das Burgtheater einander gegenüber liegen und das eine lächelnd zum anderen schaut und das andere schmunzelnd zurückgrüßt.

Apropos Kaiser nach der Kaiserzeit: Also der Kreisky – ich sage Ihnen ...

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