Wiener Wahn

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DER PIWONKA

Jetzt muss ich Ihnen was erzählen, und zwar über den Piwonka.

Dabei weiß ich gar nicht viel über den Oskar Piwonka, aber das bisserl, das ich weiß, ist es wert, einen Zuhörer zu finden. Ich selber hab’ es von der Friedl Dallabona erfahren, die ich immer nur Tante Friedl genannt habe, obwohl sie keine Verwandte gewesen ist, sondern die Freundin meiner Großmutter mütterlicherseits.

Aber bevor ich Ihnen was über den Piwonka erzähle, muss ich Ihnen was über die Gemeindebauten erzählen, sonst haben Sie nichts davon, von der Geschichte über den Piwonka, meine ich.

Nach dem Ersten Weltkrieg ist Wien eine kranke Stadt gewesen. Durch den Krieg sind ja die Kronländer verloren gegangen. In ihnen ist der Nationalismus erwacht. Entweder hat man die Alt-Österreicher vertrieben, oder sie sind von selber gegangen, weil sie gewusst haben, dass sie nicht mehr Fuß fassen können in Prag, in Brünn oder in Budapest. Natürlich sind sie in die Hauptstadt gezogen in der Hoffnung, dass sie sich dort durchschlagen können. Schließlich, haben sie gedacht, sind sie Landsleute, und Landsleuten werden die Wiener schon helfen.

Die Wiener haben aber nicht helfen können. Die Wiener haben nämlich selbst nichts gehabt. Die Nachwirkungen des Krieges haben einen Versorgungsengpass heraufbeschworen, eine richtige Hungersnot. Durch den Zuzug der Vertriebenen und der Auswanderer ist Wien aus allen Nähten geplatzt. Manche Historiker schätzen, dass mehr als zwei Millionen Menschen in der Stadt gewohnt haben, die damals gerade etwas mehr als eineinhalb Millionen verkraftet hätte. Dann ist die spanische Grippe ausgebrochen, und der Tod hat ein großes Fest gefeiert – aber das erzähle ich Ihnen später.

Jedenfalls haben die Sozialisten begriffen, dass es so nicht weitergehen kann in Wien, weil eine Stadt immer nur so gesund ist wie ihre Bevölkerung und umgekehrt. Bei den Wahlen im 1918er-Jahr haben die Sozialisten in Wien die absolute Mehrheit erreicht gehabt. Jetzt beginnen sie mit einem großen Experiment. Sie haben der Revolution abgeschworen – Revolutionen sind sowieso nie was gewesen für die Wiener, das sieht man schon an den lahmen Versuchen vom 1848er-Jahr. Die Wiener Sozialisten haben darauf gesetzt, dass sie die Wiener überzeugen können. Sie haben sich vorgenommen, Wohnungen für alle zu bauen und allen ärztliche Versorgung und Bildung zu ermöglichen.

Das Bauen ist an vorderster Stelle gestanden. Der Wiener Gemeindebau hat Schule gemacht. Aus der ganzen Welt sind Architekten und Stadtplaner nach Wien gekommen, um sich anzuschauen, was da entstanden ist und entsteht. Diese Gemeindebauten, Höfe genannt, sind irgendwie die Burgen und Schlösser des Sozialismus. Nach den damals neuesten Erkenntnissen sind sie gebaut worden mit hellen Wohnungen und großen Flächen in den Innenhöfen, viele davon begrünt oder mit Brunnen ausgestattet, was im Sommer die Temperaturen senkt.

Aber das Leben im Gemeindebau hat auch Schattenseiten gehabt. Eine davon ist gewesen, dass nur Frauen in die Waschküchen gedurft haben. Die Zeiten sind für jede Mieterpartei genau geregelt gewesen. Für eine Mutter hat das ziemlich unangenehm sein können, denn was soll sie in ihrer Waschzeit mit den Kindern machen? Da ist sie auf Fremdbetreuung angewiesen gewesen.

Ein anderes Kuriosum sind die Kontrollore gewesen. Ihnen hat man jederzeit die Tür öffnen müssen. Die Kontrollore sind immer unangemeldet gekommen. Sie haben nachgeschaut, ob die Wohnung sauber ist und zusammengeräumt und auch, ob die Möbel passen. Nicht jedes Möbelstück ist akzeptiert worden. Es hat so eine Art Ideal-Einrichtung gegeben, von der die Mieter nicht viel abweichen haben dürfen. Wenn die Kontrollore etwas gefunden haben, was zu beanstanden gewesen ist, dann haben sie die Mieter verwarnt, eine entsprechende Notiz gemacht, und wenn das Beanstandete bei der nächsten Kontrolle nicht behoben gewesen ist, hat das Folgen haben können. Zum Beispiel hat man Frauen, die nicht ordentlich aufgeräumt oder die Wohnung nicht genügend sauber gehalten haben, in Putzkurse geschickt.

Damit komme ich zum Oskar Piwonka, wie ihn mir die Tante Friedl geschildert hat.

Der Piwonka ist solch ein Kontrollor gewesen. Im Ersten Weltkrieg hat er an der französischen Front gekämpft und dabei ist er an der rechten Hand verletzt worden. Nach dem Krieg ist er Kontrollor in Sandleiten gewesen, dem größten und ehrgeizigsten Gemeindebau von Wien, in dem auch die Tante Friedl mit ihrem Mann gewohnt hat. Es hat ein paar Kontrollore gegeben. Für die Tante Friedl ist der Piwonka zuständig gewesen.

Was soll ich Ihnen über die Tante Friedl und ihren Mann, den Hans Dallabona, erzählen, den ich nie kennengelernt habe, weil er lange, bevor ich zur Welt gekommen bin, gestorben ist? Der Hans hat bei den Wiener Elektrizitätswerken gearbeitet, die Tante Friedl ist eine Hausfrau gewesen, wie es damals üblich gewesen ist. Beide waren sie aus gutbürgerlichen Familien, die aber im Ersten Weltkrieg fast alles verloren haben. Dennoch ist die Tante Friedl ihr Lebtag lang eine Kaisertreue geblieben. Kennengelernt haben die beiden einander in einer Aufführung von der „Lustigen Witwe“ vom Franz Lehár noch vor dem Krieg. Wie der Hans dann zurückgekommen ist, haben die beiden geheiratet. Und heilfroh sind sie gewesen, wie sie eine Gemeindewohnung bekommen haben.

Die Tante Friedl nun ist nicht schlampig gewesen, und der Hans auch nicht. Die beiden haben nur andere Interessen gehabt, als die Wohnung aufzuräumen. Die Tante Friedl ist narrisch nach Operette und Theater gewesen, der Hans auch und nach Büchern obendrein. Besonders verehrt haben die beiden den „Faust“ vom Goethe. Der Hans hat sogar richtige „Faust“-Studien betrieben und jeden Groschen, den er nicht für das tägliche Leben und das Theater ausgegeben hat, in Bücher gesteckt, die sich mit dem „Faust“ befasst haben.

Der Piwonka also kommt eines Tages zwecks Kontrolle. Er klopft an, die Tante Friedl öffnet ihm, es bleibt ihr nichts anderes übrig. Der Hans ist in der Kanzlei. Der Piwonka sieht, dass die Wohnung nicht ordentlich aufgeräumt ist. Er ist kein besonders großer Mann, der Piwonka, und ziemlich mager ist er, und was am meisten hervorsticht, ist eine Nase, die ihm aus dem Gesicht springt wie der Dolch, den der Brutus gegen den Caesar gezückt hat. Die Stimme vom Piwonka ist hoch und schnarrend und alle paar Wörter streut er ein Äh ein, ob es an der Stelle passt oder nicht.

„Des is owa, äh, a Sauhaufn, Frau Siebeat“, sagt der Piwonka. „Des gfoed ma, äh, goa net. Schaun S, Frau Siebeat, äh, so geht des net“, schnarrt der Piwonka. „Vastengan S mi“, schnarrt der Piwonka, „i maan des net bees, äh, weu, wia kummat i dazua. Owa i muaß a, äh, Vawoanung ausschbrechn, äh, und i wiad se bittn“, schnarrt der Piwonka, „des ollas in Uadnung z bringan, dass ma kane Diffarenzn hom bein nexdn Moe“, schnarrt er und verschwindet.

Die Tante Friedl ist ganz desparat23. Ordnung machen, nimmt sie sich vor. Schade, eigentlich, denn jetzt weiß sie genau, wo was liegt, und der Hans weiß es auch. Nur, erinnert sie sich, wie sie das letzte Mal Ordnung gemacht hat, haben sie und der Hans nachher gar nichts mehr gefunden.

Am Abend erzählt sie dem Hans die Geschichte, und der Hans sagt, das sei doch kein Problem, sie soll beim nächsten Mal einfach freundlicher sein zum Piwonka, ihm einen Kaffee anbieten oder ein Stamperl24 Schnaps oder beides.

Dauert nicht lang, der Hans ist wieder in der Arbeit, kommt der Piwonka. Noch bevor er irgendwas sagen kann, fragt ihn die Tante Friedl, ob er vielleicht ein Häferl Kaffee will oder ein Stamperl Schnaps. Der Piwonka ist dem Schnaps nicht abgeneigt. Er kippt das Stamperl mit einer Inbrunst, als würde er es noch mit der Zunge ausschlecken, vielleicht macht er das auch, bedankt sich, und dann schnarrt er los, was alles nicht in Ordnung ist und dass die Wohnung ein Sauhaufen ist, und wenn sich nichts ändert, dann sieht er schwarz, dann muss die Tante Friedl in einen Putzkurs.

Die Tante Friedl ist noch desparater als bei ersten Mal. Sie erzählt am Abend alles dem Hans, und der Hans sagt, die Tante Friedl soll halt dem Piwonka zum Stamperl Schnaps ein Schmalzbrot anbieten, das wird schon was nützen.

Genau so macht’s die Tante Friedl. Der Piwonka verschlingt das Brot mit dem Grammelschmalz, als hätte er mindestens drei Tage nichts gegessen. Dann schlürft er das Stamperl Schnaps, die Tante Friedl glaubt schon, dass er das Schnapsstamperl gleich samt dem Schnaps schluckt, und dann schnarrt der Piwonka los, dass er bei dem Sauhaufen wirklich nicht mehr beide Augen zudrücken kann, „des geht nimma, san S ma eh net bees, äh, i muaß des mochn, es is hoed a Vuaschrifd“, schnarrt der Piwonka und wedelt der Tante Friedl drohend mit dem Mittelfinger vor der Nase, weil ihm der Zeigefinger, mit dem man normalerweise drohen würde, im Krieg weggeschossen worden ist. „Des is jetzd wiaklech des, äh, ollaletzde Moe“, schnarrt der Piwonka, „bein nexdn Moe san S, äh, in Putzkuas, äh, so laad s ma duat“, schnarrt der Piwonka mit dem Ringfinger wedelnd.

Die Tante Friedl weiß sich keinen Rat mehr, und der Hans auch nicht, also muss man doch ans Ordnungmachen gehen.

Am Wochenende haben die beiden keine Lust dazu, am Montag mag die Tante Friedl nicht, und am Dienstag verschiebt sie die freudlose Arbeit auf Mittwoch. Allerdings steht der Piwonka schon am Dienstagabend wieder vor der Tür. Diesmal macht ihm der Hans auf. „Kontrolle“, schnarrt der Piwonka und schiebt sich an ihm vorbei. Die Tante Friedl kommt nicht einmal dazu, dem Piwonka ein Stamperl Schnaps und ein Grammelschmalzbrot anzubieten, fängt der Piwonka gleich zu schnarren an, jetzt sei, äh, der Putzkurs fällig, daran führe, äh, kein Weg vorbei. Das ganze Bitten von der Tante Friedl nützt nichts. Der Hans resigniert gleichfalls. Er legt der Tante Friedl die Hand auf die Schulter und singt sozusagen tröstend vor sich hin: „Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist.“25

 

Da geht ein Ruck durch den Piwonka. „Des is aus da ,Fledamaus‘“, schnarrt er ohne ein einziges Äh. Und dann stimmt er an: „Bist du’s, lachendes Glück“, und so schnarrend seine Stimme beim Sprechen ist, so geschmeidig klingt sie, wenn er singt. „Das ist aber ,Der Graf von Luxenburg‘ vom Lehár“, sagt der Hans.

„Sowieso“, sagt der Piwonka. Dann singt er die ganze Nummer so schön vor, dass der Lehár seine Freude dran hätt’.

„An Ihnen ist ein Tenor verloren gegangen“, sagt der Hans.

„I woet, äh, Schauschbüla wean“, schnarrt der Piwonka, „owa mia hom ka Gööd ghobd fia goa nix. Jetzd schleich i mi maunchmoe ins Buagdeata eine oda, äh, in a aundas Deata. Wissen S, fia mi is da ,Faust‘ des greßte.“

Jetzt geht ein Ruck durch den Hans. „Für mich auch“, sagt er und beginnt:

Ich höre schon des Dorfs Getümmel,

Hier ist des Volkes wahrer Himmel,

Zufrieden jauchzet groß und klein;

Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.

Der Piwonka schnarrt: „Ostaschbaziagang. Kenn i.“ Und dann fährt er mit seiner schönen Stimme, mit der er gesungen hat, und in fast makellosem Hochdeutsch, dem man nur an manch einem Wort den Angehörigen der Arbeiterklasse anhört, mit dem Wagner fort:

Mit Euch, Herr Doktor, zu spazieren,

Ist ehrenvoll und ist Gewinn;

Doch würd’ ich nicht allein mich her verlieren,

Weil ich ein Feind von allem Rohen bin.

„I kaun den ,Faust‘ auswendig“, schnarrt der Piwonka, „hoed net gaunz, valleicht, owa fost.“

Was sich daran anschließt, ist keine Belehrung über Ordnung. Die drei unterhalten sich über das Theater und über Operetten, sie streuen Monologe ein und singen Melodien an, und alles geht durcheinander, weil allen der Mund übergeht, und der Piwonka ist selig, weil er endlich jemanden gefunden hat, mit dem er über seine geheime Leidenschaft reden kann, und die Tante Friedl ist selig und der Hans ist auch selig, weil sie unter ihren Freunden und in ihren Familien niemanden haben, mit dem sie ihre Freude an Operette und Theater teilen haben können.

Dann aber stellt zu guter Letzt die Tante Friedl doch die bange Frage, was jetzt mit der Ordnung und dem Putzkurs ist. „A wos“, schnarrt der Piwonka, „owa san S so guat und mochn S, äh, wiaklech sauwa, weu i söwa kaun zwoa a Äugal zuadruckn, owa waun a aundara kummt, dea waaß von ana Faust nua, wia ma s auffehoet26.“

Die Tante Friedl hat dann wirklich saubergemacht und ein bisserl aufgeräumt. Ab und zu ist sie unterwegs, auf dem Areal von Sandleiten, dem Piwonka begegnet. Meistens hat er ganz normal gegrüßt mit „Hawe d Ehre“, aber wenn er sozialistisch gegrüßt hat mit der Faust, hat die Tante Friedl gewusst, dass er auf eine Inspektion vorbeikommt. Dann hat sie die mittlerweile blitzblanke und aufgeräumte Wohnung noch ein bisserl sauberer gemacht. Und bei den Inspektionen hat der Piwonka nie wieder auch nur herumgeschaut, sondern hat sich gleich in Positur geworfen und eine Operettennummer gesungen oder eine Stelle aus dem „Faust“ zum besten gegeben.

Wie dann die Nationalsozialisten gekommen sind, hat sich ihnen der Piwonka zuerst begeistert angeschlossen, aber es hat nicht lang gedauert, und er ist in den Widerstand gegangen, so wie der Hans, der auf einem Aug blind von der Front zurückgekommen ist. Nach dem Krieg ist der Piwonka zu den Kommunisten gegangen, weil er in ihnen die Garanten gegen ein Wiedererwachen des Nationalsozialismus gesehen hat, und der Hans und die Tante Friedl sind für die Amerikaner gewesen, weil sie der Auffassung waren, das stärkste Gegengift gegen den Nationalsozialismus ist die Demokratie. Aber die drei haben sich weiter getroffen und ihre eigenen Operetten- und „Faust“-Abende veranstaltet. Richtige Freunde sind sie geworden über alle Gegensätze und Grenzen hinweg.

Apropos Tante Friedl und kaisertreu: Also die Kaiser – ich sage Ihnen …

DIE KAISER

Jetzt muss ich Ihnen was erzählen, und zwar über die Kaiser.

Vom Nandl werden wir noch gesondert reden – Sie wissen eh, der Ferdinand I., der so ein bisserl seltsam gewesen ist. Von den Habsburgern haben ja viele einen Pecker gehabt, nicht nur der Ferdinand, auch etliche der anderen Kaiser sind G’spritzte27 gewesen.

Jetzt wett’ ich mit Ihnen um einen Apfelstrudel, den ich hier sehr empfehlen kann, dass Sie an die Habsburger denken. Recht so. Wenn es heißt: „österreichische Kaiser“, hat jeder ein Bild vom Franz Joseph vor Augen und von der Maria Theresia, obwohl die ihr Leben lang nur eine Erzherzogin gewesen ist. Der Kaiser, das ist ihr Mann gewesen, der Franz I. Stephan, ein Lothringer. Genau genommen, ist damit die Linie der Habsburger-Kaiser unterbrochen. Aber wenigstens ist eine Habsburgerin die Frau vom Kaiser gewesen, gerade so, wie eine Frau von einem Arzt in Wien eine Frau Doktor ist, sogar dann, wenn sie selbst was ganz Anderes studiert hat, meinetwegen Architektur, womit sie eine Frau Diplomingenieur wäre, oder Altphilologie, was sie zu einer Frau Magister machen würde. Aber wenn sie einen Arzt heiratet, ist sie eine Frau Doktor. Grad so ist die Maria Theresia eine Kaiserin gewesen.

Jo, eh, die Lektorin meines Vertrauens sagt auch immer, ich soll darauf nicht gar so herumreiten, grad heute geht es doch um Gleichberechtigung, was ich ja gut finde, aber ich kann deshalb doch, und wenn ich es noch so möchte, eine Erzherzogin nicht zu einer Kaiserin machen, nicht einmal dann, wenn sie selber sich so gefühlt hat und die Geschichte eher sie verzeichnet als ihren Mann.

Nach dessen Tod ist ihr Sohn Kaiser geworden. Jetzt hat die Dynastie halt Habsburg-Lothringen geheißen. Merken Sie was? „Habsburg“ steht an erster Stelle, obwohl der Franz Stephan gerade nach damaligem Verständnis zuerst kommen hätte müssen, und der ist, wie ich Ihnen gerade erzählt habe, ein Lothringer gewesen. Da hat’s also doch sowas Ähnliches gespielt wie Gleichberechtigung. Aber kommen wir zum Sohn von der Erzherzogin Maria Theresia und ihrem kaiserlichen Gemahl – der, der Sohn, meine ich, war nämlich ein rechter Spinner.

Dabei gilt der Joseph II.28 als der große Reformer unter den Kaisern. Das ist er bestimmt gewesen. Er hat keinen Stillstand geduldet. Selbst ist er inkognito als „Graf von Falkenstein“ in der Kutsche durch Europa gereist und hat sich angehört, was die Probleme der Menschen sind. In seinen Verordnungen hat er sich strikt an der Nützlichkeit orientiert. Zum Beispiel: Sind religiöse Auseinandersetzungen nützlich oder schaden sie dem Zusammenleben aller? – Also Religionsfreiheit. Oder: Was bringen Folter und Todesstrafe? – Ergo schafft er beides ab29. Wer produziert mehr und besser: Ein Bauer, der auf eigene Verantwortung arbeitet, oder ein Leibeigener? – Also weg mit der Leibeigenschaft.

Soweit ist alles bestens. Aber mit den Auswüchsen seiner Kontrollsucht sind die wenigsten zurechtgekommen. Ich meine: Es ist ja schön, wenn sich der Kaiser höchstpersönlich um die Einzelheiten der Staatsgeschäfte kümmert, aber muss er gleich auch die Zahl der Kerzen regeln, die bei einem Gottesdienst entzündet werden? Den Komponisten hat er untersagt, lange Messen zu schreiben. Das mutwillige Schreien und Händeklatschen auf der Gasse hat er per Gesetz verboten, er hat bestimmt, wieviel Petersilie in der Küche von Schloss Schönbrunn verbraucht werden darf, und er hat sich für straffällig gewordene Adelige eine besondere Buße einfallen lassen: Sie mussten die Straße kehren. Obendrein hat er für die Theater angeordnet, dass kein Stück ein tragisches Ende haben darf. William Shakespeares „Romeo und Julia“ beispielsweise endet mit dem Wiener Schluss in einer fröhlichen Hochzeitszeremonie. Schmähohne.

Sogar die Art des Begräbnisses hat der Kaiser geregelt. Natürlich ist es ihm auch da um die Nützlichkeit gegangen. Der Körper soll schnell verwesen. Ein Sarg ist da nur hinderlich, und außerdem ist es eine Verschwendung, eine Truhe einzugraben, die könnte man schließlich mehrfach verwenden. Ergo schreibt der Kaiser Joseph den Sparsarg vor, der nach ihm auch Josephinischer Klappsarg heißt. Das ist eine Truhe, deren Boden aus einer Klappe besteht. Der Leichnam wird, in ein Tuch gewickelt, hineingelegt, zum Grab transportiert, der Sarg wird über das Grab gestellt und die Klappe betätigt. Schon plumpst der Leichnam in die Grube. Die Klappe wird geschlossen und der Sarg wartet auf seinen nächsten Benützer. Sie können sich denken, was in Wien los gewesen ist, wo vielen eine „scheene Leich“30 mehr zählt als ein schönes Leben. Am 23. August 1784 hat der Kaiser die Verordnung erlassen, am 27. Jänner 1785 hat er sie wieder zurückgenommen. Richtig grantig ist der Kaiser da gewesen – warten Sie, das muss ich Ihnen wörtlich vorlesen: „Da ich sehe und täglich erfahre, daß die Begriffe der Lebendigen leider noch so materiell sind, daß sie einen unendlichen Preis darauf setzen, daß ihre Körper nach dem Tode langsamer faulen und länger ein stinkendes Aas bleiben: so ist mir wenig daran gelegen, wie sich die Leute wollen begraben lassen; und werden sie also durchaus erklären, nachdem sie die vernünftigen Ursachen, die Nutzbarkeit und Möglichkeit dieser Art Begräbnisse gezeigt habe, ich keinen Menschen, der nicht davon überzeugt ist, zwingen will, vernünftig zu seyn, und daß also ein jeder, was die Truhen anbelangt, frey thun kann, was er für seinen todten Körper zum Voraus für das Angenehmste hält.“

Es kommt aber noch grotesker: Der Kaiser hat befunden, dass Pfeffernüsse31 schädlich seien und sie deshalb verboten. Das ist so eine Art Wiener Pfeffernuss-Prohibition gewesen. Obendrein hat er sich vor Farbe im Gesicht geekelt. Deshalb hat er darauf gedrängt, dass sich die Hofdamen nicht schminken, und er hat Harlekine verabscheut.

Auch seinem Neffen und Nachfolger, dem Franz I.32, hat er mit seinem ewigen Tadel das Leben so schwer gemacht, dass der Franz sich lieber in Gesellschaft von Blumen aufgehalten hat, weil die nicht die ganze Zeit motschkern33. Seine Leidenschaft für alles Pflanzliche hat dazu geführt, dass er liebend gerne mit der Gießkanne in der Hand unterwegs gewesen ist, Unkraut gejätet und Rosen beschnitten hat. Er hat höchstderoselbst einen Garten gestaltet und ihn 1823 für alle Bürger geöffnet. Seither heißt er Volksgarten – und er schaut heute noch so aus, wie seine Majestät es für gut und richtig befunden hat. Auf dem Gelände von Laxenburg hat er einen künstlichen Teich anlegen lassen mit einer Insel in der Mitte, auf der hat er ein Kitsch-Schloss errichtet. Dann hat er sich ans Ufer der künstlichen Insel gesetzt und nach Dingen geangelt, die er zuvor selbst in den Teich geworfen hat.

Außerdem hat der Kaiser Franz sehr gerne Geige gespielt, nur leider nicht gut. Partout hat er im Quartett des Badener Bürgermeisters Johann Nepomuk Trost mitspielen wollen. Kann man einem Kaiser sein Begehr verweigern? Aber der Trost hat den Kaiser an die Zweite Geige gesetzt. Seine Majestät soll gegrantelt haben: „Aber in Wien spiel ich die Erste Geige.“

Über den Rudolf II.34 sollte ich eigentlich nichts erzählen – nicht, weil es nichts zu erzählen gäbe, sondern, weil er zwar ein ganzer Kaiser, aber kein richtiger Wiener gewesen ist. Das heißt: Geboren ist er in Wien, aber 1583 hat er seine Residenz nach Prag verlegt. Als Grund wird immer angegeben, dass er das Volk und den Adel Böhmens enger an das Reich binden hat wollen. Wissen Sie was? – Ich glaub’ das nicht. Ich bin überzeugt, es ist ihm um etwas Anderes gegangen. Prag hat damals als eine Stadt der Magie gegolten. Es ist die Stadt, in der Rabbi Löw 1580 den Golem geschaffen haben soll. Prag ist ein mystischer Ort gewesen, eine Stadt der Alchemisten, der Magier und Sterndeuter. Genau das hat den Rudolf fasziniert. Kaum ist er in Prag gewesen, hat er alle Künstler und Wissenschaftler geholt, die ihm etwas Geheimnisvolles bieten haben können. Da sind Astronomen darunter gewesen wie Tycho Brahe und Johannes Kepler, aber auch der Londoner Magier John Dee, der für seine Gespräche mit Engeln die henochische Sprache entwickelt hat. Und dann – bitte, schauen Sie sich einmal die Gemälde vom Giuseppe Arcimboldo an: Der hat sich zwar nicht erst für den Kaiser Rudolf seine eigenartigen Porträts einfallen lassen, in denen er Gesichter aus Früchten, Gemüse, Meerestieren, Blumen und Blättern zusammensetzt. Doch in Prag ist der Arcimboldo so richtig aufgeblüht. Er hat sogar ein Portrait des Kaisers gemalt, genannt Vertumnus, der Gott der herbstlichen Ernte, bestehend aus Gemüse, Obst und Blumen. Da steckt natürlich die Symbolik der Fruchtbarkeit und des Erntesegens drin, der Kaiser sorgt dafür, dass es allen gut geht. Auf mich jedoch macht das Bild einen irgendwie beunruhigenden Eindruck. Der Kaiser schaut so gar nicht gütig aus seinen Augenweichseln und seine Mundkirschen haben etwas Ungutes. Der Rudolf hat den Arcimboldo obendrein mit dem Bau von mechanischen Apparaten beauftragt, er hat Wunderdinge aus aller Welt gesammelt, je absonderlicher, desto besser, Tiere von seltsamem Aussehen, Korallen, eigenartige Steine und bizarre Kunstobjekte. Die ganze Versenkung ins Absonderliche hat dem Gemüt des Kaisers geschadet. Er hat panische Angst gehabt, vergiftet zu werden und hat sich einen magischen Pokal anfertigen lassen, der alle üblen Substanzen neutralisiert. Depressionen hat er ohnedies schon früher gehabt, in den späten Jahren kommt eine Urteilsunfähigkeit dazu, er dürfte am Rand des Irrsinns balanciert haben.

 

Der Erzherzog Karl Ludwig von Österreich35 ist zwar kein Kaiser gewesen, aber der Bruder eines Kaisers, nämlich vom Franz Joseph. Der Karl Ludwig ist ein heiligmäßiger Mann gewesen. Bei manch einer Kutschenfahrt ist es über ihn gekommen und er hat die Menschen aus seiner Kutsche heraus gesegnet. Sein religiöser Wahn hat zu seinem Ende geführt: 1896 hat er seinen Sohn Franz Ferdinand in Kairo besucht, der dort seine Tuberkulose kuriert hat. Wieder ist es den Karl Ludwig überkommen: Er bildet sich ein, er muss nach Palästina reisen, um dort Wasser aus dem Jordan zu trinken, das würde ihm eine religiöse Erleuchtung bescheren. Das Wasser ist allerdings verseucht gewesen. Er überlebt zwar die Heimreise nach Wien, stirbt aber wenig später.

Ein wahrer Schöngeist ist dafür der Leopold I.36 gewesen, der Vater von der Maria Theresia – Sie wissen schon: von der Erzherzogin, deren Mann Kaiser gewesen ist, weshalb man sie hartnäckig als „Kaiserin“ bezeichnet, obwohl sie keine Kaiserin gewesen ist, sondern immer nur die Frau von einem Kaiser. Der Leopold hat nie wirklich Kaiser werden wollen. Sein erster Berufswunsch ist Priester gewesen, sein zweiter Komponist. Er hat das Handwerk, also das des Komponisten, übrigens wirklich recht gut beherrscht. Mehr als 200 Werke gibt es von seiner Hand – aber das sind keine Kleinigkeiten: Messen, Kantaten, Ballette und Singspiele sind darunter. Seine Majestät hat mehrere Instrumente gespielt und das Hoforchester selbst dirigiert. Außerdem hat er sich der Prunksucht hingegeben. Am 12. Dezember 1666 heiratet er seine Nichte Margaretha Theresia von Spanien, die, das macht die habsburgische Heiratspolitik möglich, gleichzeitig seine Cousine ist. Sie kennen ja das habsburgische Motto: „Bella gerant alii, tu felix Austria nube.“ Wenn man nur unter diesem Aspekt Verbindungen eingeht, passiert es halt, dass ein bisserl zu viel Verwandtschaft ins Blut kommt. Das erklärt vielleicht einiges.

Die Hochzeit jedenfalls will gefeiert sein, und zwar nicht ein paar Tage lang, sondern ein ganzes Jahr zelebriert sie der Kaiser mit immer prunkvolleren Festen. Dann gibt er für das Geburtstagsfest seiner Frau im Jahr 1668 bei seinem Hofkapellmeister Antonio Cesti die Oper „Il pomo d’oro“ in Auftrag. Leopold höchstselbst komponiert mit. Das Monstrum wird ein einziges Mal aufgeführt, verteilt auf zwei Abende von je fünf Stunden. Einen Effekt hat der Anlass: Cesti hat den Prunk nicht mehr ertragen und seinen Abschied vom Wiener Hof genommen.

In die Regierungszeit vom Leopold fällt die Zweite Wiener Türkenbelagerung. Leopold hat es durch geschickte Verhandlungen verstanden, sich der Unterstützung von Papst Innozenz XI. zu versichern und in der Folge der des polnischen Königs Johann III. Sobieski und des Herzogs Karl V. von Lothringen. Der osmanische Großwesir Kara Mustafa Pascha hat auf einmal viermal mehr Soldaten vor sich gehabt, als er gerechnet hat. Wien ist in der Schlacht am Kahlenberg befreit worden. Dann hat der Leopold den Prinzen Eugen von Savoyen zum Oberbefehlshaber ernannt, der ebenfalls ein Schöngeist gewesen ist, aber auch, kommt selten vor, dass sich das verträgt, ein strategisches Genie, und der Prinz Eugen hat die osmanischen Heere endgültig zerschlagen. Im Volksmund heißt der Kaiser Leopold der „Türken-Poldi“. Ich bin mir nicht sicher, ob ihm das recht gewesen wäre, dem verhinderten Priester und verhinderten Komponisten. Auf einem Gemälde posiert er in einem Bühnenkostüm, das sogar für barocke Verhältnisse bizarr ausschaut. Das Kostüm ist ganz in Rot und Weiß gehalten mit reichlich Goldstickerei, der Kaiser trägt eine Perücke, deren tiefschwarze Wuckerln37 bis über die Schultern fallen, und auf dem Kopf hat er eine rote Haube mit aufgebauschtem Federaufputz. Was am groteskesten wirkt, ist das Gesicht seiner Majestät: Es schaut aus wie das einer verlebten Frau mit aufgeklebtem Oberlippenbart. Der eigentliche Blickfang sind die grellrot geschminkten Lippen. Sie müssen sich das Bild unbedingt ansehen, sonst können Sie sich nicht vorstellen, dass der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs wirklich in diesem Aufzug posiert.

Und jetzt frag ich Sie: Welcher Kaiser ist bis heute der Kaiser für die Wiener? – Der nüchterne Franz Joseph, ein knochentrockner Bürokrat, dessen Pragmatismus ihn nicht vor Fehlentscheidungen bewahrt hat, etwa der, den Ersten Weltkrieg anzufangen. Ich weiß schon, das ist arg verkürzt gesagt, aber im Prinzip ist es so gewesen. Ich sag’ ja auch nicht, dass der Franz Joseph kein imponierender Mann gewesen ist. Er muss schon eine Ausstrahlung gehabt haben, und er ist der letzte Kaiser gewesen, bei dem es kaiserlichen Prunk gegeben hat, bei dem die Menschen gespürt haben, dass Österreich einen Kaiser hat. Glauben Sie mir das, ich hab’ das durch meine Großmutter selbst erfahren, wenn sie mit leuchtenden Augen „vom Kaiser“ erzählt hat, und ihr Kaiser ist immer nur der Franz Joseph gewesen und nie sein Nachfolger, der Karl I., der kein richtiger Kaiser sein hat können, weil er im Krieg an die Macht gekommen ist, aber nie an der Macht gewesen ist. Nicht einmal den Krieg hat er beenden können, obwohl er es gewollt hat, ob aus Pazifismus oder aus taktischer Hilflosigkeit, will ich dahingestellt lassen. Sogar selig gesprochen worden ist der Karl. Aber für meine Großmutter und alle anderen Wiener ist der Kaiser immer nur der Franz Joseph gewesen – und die Kaiserin die Maria Theresia, obwohl die ihr Lebtag lang immer nur Erzherzogin gewesen ist und nie Kaiserin, sondern die Frau vom Kaiser. Jo, eh, oh Lektorin meines Vertrauens, ich hab’ Deine Stimme im Ohr, und ich hör’ ja schon auf …!

Und nach den Babenbergern, die zwar keine Kaiser gestellt haben, ohne die es aber Österreich nicht gäbe, und die den Stephansdom zu bauen begonnen haben und die Hofburg und rund 17 Kilometer nordnordwestlich von Wien das Stift Klosterneuburg, das Sie sich unbedingt anschauen sollten, nach den Babenbergern also kräht, trotz aller Appelle der Historiker, überhaupt kein Hahn mehr.

Apropos wunderliche Kaiser: Also der Nandl – ich sage Ihnen ...

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