Die Bande des Schreckens

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5

Arnold schaute entsetzt in das Gesicht des toten Ulanen-Harry und wollte seinen Augen nicht trauen. Eine kurze Untersuchung ergab, daß der Mann aus nächster Nähe von hinten erschossen worden war. Der Lauf des Gewehrs war noch heiß. Als Long die Kammer aufriß, sah er noch einige Patronen im Magazin. Ein paar Schritte davon entfernt befand sich die Hecke, und dahinter entdeckte er einen Abhang, der steil zur Straße abfiel. Kein Lebewesen war dort zu sehen, aber auf der Straße unten zeigten sich Räderspuren. Er kletterte wieder die Anhöhe hinauf und neigte sich gerade über den Toten, als er das Rattern eines Motorrades hörte. Er schaute sich rasch um und sah die Lederkappe des Fahrers.

Der Mann fuhr auf die Chaussee, wo der Detektiv seinen Wagen hatte stehen lassen. Long gab ihm ein Signal, zu halten. Der Fremde beachtete es jedoch nicht, obwohl er es gesehen haben mußte. Nur einen Augenblick schien er das Tempo zu verlangsamen, als er das Auto passierte, und kurz darauf verschwand er hinter den großen Erlen bei einer Straßenbiegung.

Der Inspektor sah sich nach Hilfe um. Die Schüsse mußten gehört worden sein. In einiger Entfernung entdeckte er eine schwarze Scheune, die ihm sonderbar bekannt vorkam, und er erinnerte sich daran, daß er am frühen Morgen Harry dort gesehen hatte.

Es blieb ihm nichts anderes übrig, als in das nächste Dorf zu fahren und Hilfe zu holen. Halbwegs war er schon zu seinem Wagen gekommen, als plötzlich eine große Flammengarbe daraus emporschoß. Er hörte eine laute Explosion und sah viele Metall- und Holzteile durch die Luft wirbeln.

Long stand einen Augenblick starr vor Schrecken, dann eilte er zu der Unglücksstelle. Das Auto bestand nur noch aus einer Masse von Blech und rauchenden Trümmern.

Kurz darauf kam ein Polizist auf einem Rad die Straße entlang, der die Explosion auch gehört hatte.

»Was ist denn mit Ihrem Wagen passiert? Ist er in die Luft geflogen?« fragte er atemlos.

»Er ist durch eine Bombe gesprengt worden«, erwiderte der Wetter grimmig.

»Eine Bombe?« wiederholte der Mann verblüfft.

Der Wetter kümmerte sich nicht weiter um das zertrümmerte Auto. Mit wenigen Worten klärte er den Polizisten auf und führte ihn zu der Stelle, wo der Tote im Grase lag.

»Auf der Straße unten sind Wagenspuren«, sagte er. »Aber wenn wir kein Flugzeug haben, zweifle ich stark daran, daß wir die Täter fassen können.«

Um fünf Uhr abends kam er nach Scotland Yard und berichtete Colonel Macfarlane, der ihm mit düsterem Gesichtsausdruck zuhörte.

»Die ganze Sache ist einfach unerklärlich, ich möchte fast sagen, unmöglich. Shelton ist doch um acht Uhr gehängt worden, und es besteht nicht der geringste Zweifel, daß er tot ist. Hatten Sie denn nicht die Möglichkeit, den Motorfahrer oder das Auto zu verfolgen?«

»Nein. Lassen Sie mir ein bis zwei Wochen Zeit. Wir haben es hier mit der Bande des Schreckens zu tun!«

Macfarlane runzelte die Stirne.

»Ich verstehe Sie nicht ganz. Shelton arbeitete doch vollkommen auf eigene Faust. Er hatte keine Bande, die ihm half, und auch keine Freunde. Soweit wir es beurteilen können, gibt es keinen Menschen auf der Welt, der sich darum kümmert, ob er lebendig oder tot ist.«

Der Wetter biß sich auf die Lippe.

»Das stimmt alles, und dennoch glaube ich nicht an die Galgenhand. Es gibt einen harten Kampf, denn die Bande des Schreckens wird uns keine Ruhe lassen. Den Ulanen-Harry haben sie in ihre Dienste genommen, denn sie wußten, daß er ein guter Schütze war. Er sollte mich auf meinem Rückweg von Chelmsford erledigen. Und es war ja leicht, ihn dazu zu überreden, denn er haßte mich im Grund seiner Seele. Als sie aber sahen, daß er sein Ziel verfehlte, haben sie ihn rücksichtslos über den Haufen geschossen. Und hätte er mich tatsächlich getroffen, dann hätten sie ihn erst recht kalt gemacht. Er unterschrieb sein Todesurteil in dem Augenblick, in dem er den Auftrag annahm.«

In den nächsten Monaten fand Long neues Interesse am Leben und war eifrig an der Arbeit. Das Bewusstsein, ständig in Gefahr zu schweben, verlieh ihm neue Spannkraft und Energie. Er war davon überzeugt, daß hinter Shelton eine Bande stand, die schrecklicher war als jede bisher bekannte Verbrecherorganisation, und es reizte ihn, seine Kraft und Klugheit mit dem Können dieser Leute zu messen.

Er hatte Ulanen-Harrys Spur bis zu dem Augenblick zurückverfolgen lassen, in dem der Mann das Gefängnis in Dartmoor verlassen hatte, und er hatte alle Leute verhört, mit denen der Sträfling in Berührung gekommen war. Aber niemand konnte ihm auch nur die leiseste Angabe machen, die zur Entdeckung seiner Auftraggeber geführt hätte.

Das nächste Jahr brachte eine Katastrophe nach der anderen, denn die Bande des Schreckens plante Mord auf Mord und führte ihre Untaten auch aus.

6

Obwohl Miß Revelstoke schon in vorgeschrittenem Alter stand, gehörte sie nicht zu den schrullenhaften Frauen, die sich langhaarige, teure Schoßhunde hielten oder andere Extravaganzen liebten. Sie war groß und stattlich und kleidete sich modern. In ihrem etwas blassen Gesicht glühten ein Paar dunkle, tiefe Augen, die ihren Zügen einen eigentümlichen Reiz verliehen.

Ihr Haus in Colville Gardens war in jeder Beziehung neuzeitlich und geschmackvoll ausgestattet, und Nora Sanders, die Sekretärin, fühlte sich in ihrem künstlerisch eingerichteten Zimmer sehr wohl.

An einem schönen Sommertag saß Miß Revelstoke an ihrem Schreibtisch und schrieb eine Adresse auf ein längliches Paket.

»Sie werden in Mr. Monkford einen sehr interessanten Herrn kennenlernen«, sagte sie dabei zu Miß Sanders. »Er ist sehr humorvoll wie die meisten etwas untersetzten Leute. Ist das Paket auch zu schwer für Sie?«

Nora wog es in der Hand. Es war leichter, als sie erwartet hatte.

»Wahrscheinlich lädt er Sie zum Tee ein. Ich speise heute Abend erst um neun, eine halbe Stunde später als sonst. Mr. Henry kommt zum Essen, und er würde untröstlich sein, wenn er Sie nicht anträfe.«

Nora lachte. Miß Revelstoke hatte schon mehr als einmal angedeutet, daß der hübsche Rechtsanwalt nur ihrer Sekretärin wegen so häufig ins Haus kam.

»Sagen Sie Mr. Monkford, daß er mir nicht mehr zu schreiben braucht. Er kann die Statuette ruhig behalten. Wir sehen uns ja nächste Woche in Little Heartsease.«

Nora fuhr nach Marlow und freute sich, daß sie einmal wieder ins Freie kam.

Harry, der Bootsmann von Meakes, richtete sich auf, wischte die schweißbedeckte Stirn mit dem nackten, braunen Arm ab und sah die junge Dame, die vor ihm stand, respektvoll und wohlwollend an.

»Sie wollen zu Mr. Monkford?«

Er schützte die Augen mit der Hand gegen die Sonnenstrahlen und zeigte den Fluß hinauf, der an dieser Stelle eine scharfe Biegung nach der Temple-Schleuse zu machte.

»Von hier aus können Sie das Haus nicht sehen«, sagte er. »Es ist ein altes Gebäude. Aber wenn Sie den Fußweg entlanggehen, stoßen Sie darauf.«

Er sah sie ungewiß von der Seite an. Noch zwölf Boote hatte er sauber zu machen, und für eine Gesellschaft, die jeden Augenblick eintreffen konnte, mußte er einen Vierruderer in Ordnung bringen. Aber das Mädchen war hübsch, schlank und biegsam. Um ihre roten Lippen und in ihren grauen Augen spielte ein verführerisches Lächeln.

»Es ist ein ziemlich langer Weg. Sie müssen über die Brücke, die zweite Straße rechts gehen und dann an der Ecke abbiegen, wo das Denkmal steht – ich glaube, ich rudere Sie lieber hin, Miß.«

»Sie sind sehr liebenswürdig.«

Der Mann brachte das Boot an den Steg, und sie stieg ein. Er war sehr gesprächig, während er stromauf ruderte.

»... Hier in dem Loch, über das wir jetzt fahren, lebt die größte Forelle der ganzen Gegend. Manche Leute sagen, daß sie schon dreißig Jahre alt ist. Viele haben versucht, sie zu fangen; aber es ist noch keinem gelungen.«

Sie zeigte höfliches Interesse, um den Alten nicht zu verletzen.

»Sehen Sie, dort liegt Sheltons Boot.« Er deutete mit dem Kopf auf ein ziemlich verwahrlost aussehendes Motorboot, das am Ufer vor einem leerstehenden Hause vertäut war. Es zeigte schnittige Form und mußte früher einmal blendend weiß gewesen sein. Aber jetzt machte es einen unansehnlichen, vernachlässigten Eindruck. Sie dachte einen Augenblick darüber nach, wer Shelton wohl sein mochte, aber der Bootsmann gab ihr sofort Auskunft.

»Shelton ist gehängt worden, weil er einen Polizisten erschossen hat. Er war der größte Urkundenfälscher, der jemals existierte – wenigstens sagen die Zeitungen so.«

Sie sah ihn erstaunt an, dann wanderten ihre Blicke wieder zu dem Boot am Ufer.

»Was, er ist gehängt worden?«

»Ja. In dem Haus dort hat er gewohnt, und mit dem Motorboot hat er seine Reisen gemacht. Nach seinem Tod hat man das Haus und das Boot verkauft. Aber sehen Sie, dort an der Ecke wohnt Mr. Monkford. Der hat Shelton an den Galgen gebracht«, erklärte Harry feierlich. »Er und Mr. Long, der berühmte Detektiv. Der ist gerade zu Besuch bei ihm. Ich habe gesehen, wie er heute nachmittag in einem Boot hinruderte.«

Sie wußte wohl, daß Joseph Monkford eine prominente Persönlichkeit in Bankkreisen war. Miß Revelstoke, die ihn schon lange kannte, hatte ihr das ausführlich erzählt. Er hatte sich durch eigene Tüchtigkeit emporgearbeitet, war jetzt der leitende Direktor der Southern & City Bank und als solcher Vorsitzender der Bankiervereinigung.

»Ja, er und der Wetter Long haben Shelton gehängt. Aber Sie haben doch sicher davon gehört. Die Geschichte hat doch erst vor einem Jahr gespielt.«

 

Nora schüttelte den Kopf. Sie las niemals die Mordberichte in den Zeitungen.

Das Haus kam jetzt in Sicht. Es stand zwischen hohen Pappeln, und eine große, grüne Rasenfläche breitete sich von der Terrasse bis zum Ufer aus.

Harry legte am Landungssteg an. Sie stieg mit ihrem kleinen Paket aus dem Boot und griff nach ihrer Handtasche, um dem Mann ein Geldstück zu geben.

»Nein, danke schön, Miß.«

Mit einem kräftigen Ruderschlag stieß er das Boot wieder vom Ufer ab und winkte ihr einen fröhlichen Abschiedsgruß zu.

»Mr. Monkford fährt Sie später sicher im Auto zur Station«, rief er ihr noch zu.

Sie lächelte ihn dankbar an und ging dann über den gutgepflegten Rasen zur Terrasse.

7

Mr. Monkford hat gerade Besuch«, sagte der Diener, der sie einließ und ihr das kleine Paket abnahm.

Aber schon nach wenigen Sekunden erschien der Hausherr in dem kleinen Salon, in dem sie wartete.

»Kommen Sie herein, Miß Sanders. Hat Ihnen Miß Revelstoke die Statuette für mich mitgegeben? Das ist ja glänzend!«

Miß Revelstoke und Mr. Monkford sammelten klassische Altertümer. Die alte Dame hatte die Plastik, die Nora brachte, von einem Antiquitätenhändler erworben, wollte sie aber Monkford überlassen, weil die Darstellung sie abstieß.

»Kommen Sie doch, bitte, hier herein. Das Paket muß aber ziemlich schwer gewesen sein«, meinte er. »Wenn ich genau gewußt hätte, wann Sie ankamen, hätte ich meinen Wagen zur Bahn geschickt... Darf ich Ihnen einen meiner Freunde vorstellen?«

Sie war ihm in die große Bibliothek gefolgt, von wo aus man den Strom übersehen konnte. Am Fenster stand ein Herr und schaute mit düsteren Blicken über den Rasen nach dem Wasser hin. Er kam ihr bekannt vor, und als sich ihre Blicke trafen, erkannten sie sich gegenseitig.

»Mr. Long – Miß Sanders.«

Sie hatte den Namen doch schon gehört! Plötzlich erinnerte sie sich wieder an die Geschichte, die ihr der Bootsmann von Shelton erzählt hatte. Das war also der Wetter Long, der berühmte Detektiv!

Er sah Nora interessiert an. Sie fühlte, wie seine Blicke sie durchdrangen, aber es war ihr sonderbarerweise nicht unangenehm. Seine Augen besaßen geradezu hypnotische Gewalt und Stärke. Unwillkürlich hatte sie den Eindruck, daß er über ungewöhnliche Kraft und Energie verfügen mußte.

Monkford ging zum Kamin und drückte die Klingel.

»Wir wollen erst Tee zusammen trinken. Das andere hat Zeit bis später.«

Er packte das Paket aus und schälte einen kleinen Holzkasten aus dem grauen Papier. Ein Gegenstand lag darin, der von einer Tuchhülle umgeben war.

»Ein wundervolles Stück«, sagte er, als er die Figur in der Hand hielt.

Auch der Wetter kam langsam vom Fenster zum Tisch und betrachtete sie interessiert.

Es handelte sich um eine nackte Frauengestalt, die aus Ebenholz geschnitzt war. Sie stand mit erhobenem Kinn und blickte trotzig drein.

»Wirklich ein ausgefallen schönes Stück«, wiederholte Monkford. »Sagen Sie Miß Revelstoke, daß ich sehr stolz auf den Besitz dieser Statuette bin.«

Noras Gedanken waren abgeschweift, und sie stellte plötzlich eine unüberlegte Frage.

»Wer war eigentlich Shelton?«

Ein peinliches Schweigen folgte, und ihr Herz schlug unwillkürlich schneller, als sie sah, daß sich Mr. Monkford verfärbte.

»Ach, es tut mir leid – ich hätte nicht so dumm fragen sollen«, sagte sie verlegen.

Der Bankdirektor sah verstört aus, obwohl er eben noch vergnügt und heiter gewesen war. Aber um Longs Lippen spielte ein fast unmerkliches Lächeln.

»Shelton war ein bekannter Urkundenfälscher, der einen Polizisten erschossen hat«, erklärte er einfach. »Ich habe ihn verhaftet, und bei der Gelegenheit tötete er den Beamten, der mich begleitete. Deshalb kam er an den Galgen. Niemand vermutete, daß er eine Schießwaffe bei sich hätte. Er muß tatsächlich von Sinnen gewesen sein. Wir wollten ihn doch nur wegen Betrugs und Urkundenfälschung verhaften. Ich muß allerdings sagen, daß er mehr Geld aus amerikanischen und englischen Banken gezogen hat als irgend jemand sonst. Wir konnten ihn vorher niemals fassen.«

Er warf einen schnellen Blick auf den Bankdirektor.

»Mr. Monkford und ich haben ihm eine Falle gestellt, und auf diese Weise gelang seine Verhaftung. Die Schießerei war allerdings eine Überraschung für alle Beteiligten. Ich allein bin verantwortlich dafür, daß er an den Galgen kam. Ich hätte ihn nur schon niederknallen sollen, bevor er Gelegenheit hatte, selbst zu feuern.«

Rein gefühlsmäßig erkannte Nora, daß er diese Geschichte nur erzählte, um Monkford zu beruhigen und von der Verantwortung zu entlasten. Sie verstand allerdings nicht, warum er das tat. Shelton hatte seine Strafe doch nur zu Recht erhalten, und Monkford brauchte sich keine Vorwürfe darüber zu machen, bei der Verhaftung eines Verbrechers und Mörders mitgewirkt zu haben. Longs nächste Worte brachten ihr eine gewisse Erklärung.

»Der arme Mr. Monkford hat sich über die Sache halb tot gegrämt. Er hat sich nämlich in den Kopf gesetzt...«

»Ach ... wir wollen lieber über etwas anderes sprechen. Hier ist der Tee«, sagte der Bankier mit heiserer, unsicherer Stimme.

Er konnte seine Erregung nicht verbergen. Sein Gesicht sah aschfahl aus, und seine Hände zitterten, als er die Figur wieder aufnahm und betrachtete.

Während des Tees kam kaum ein Gespräch in Gang, und später trat Nora auf den Rasen hinaus. Sie hatte noch zwei Stunden Zeit, bevor der Zug zur Stadt zurückfuhr, und sie glaubte, daß die beiden Herren allein miteinander sprechen wollten. Aber darin täuschte sie sich.

Sie war gerade am Ufer angelangt, als sie eine Stimme hinter sich hörte. Sie wandte sich um und sah Arnold Long vor sich.

»Mr. Monkford ist in sein Zimmer gegangen, um sich etwas auszuruhen«, sagte er.

»Und ich bin daran schuld«, erwiderte sie mit aufrichtigem Bedauern. »Ich weiß gar nicht, wie ich dazu kam, diese verhängnisvolle Sache zu erwähnen. Morde sind mir etwas Verhaßtes, und ich spreche sonst nie darüber. Auch in den Zeitungen lese ich nie die Berichte über Verbrechen.«

Sie war begierig, mehr über ihn und seinen Beruf zu erfahren.

»Sie sehen wirklich nicht wie ein Detektiv aus!«

Der Wetter seufzte.

»Es ist mir auch schon zum Bewusstsein gekommen, daß ich ein sehr schlechter Detektiv bin. Damals, als ich Sie zum erstenmal sah, war ich allerdings noch sehr von meiner Tüchtigkeit überzeugt. Aber bis dahin hatte ich eben fabelhaftes Glück gehabt. Das war alles.«

»Wann haben Sie mich denn schon gesehen?«

»In der Southern Bank. Sie besinnen sich doch auch noch darauf – wetten, daß?«

Sie war wütend über ihn, aber nur einen kurzen Augenblick.

»Es ist erst ein Jahr her«, fuhr er fort. »Damals war ich noch ein froher junger Mann, aber jetzt fühle ich mich, als ob ich hundert Jahre alt wäre.«

»Wieso denn?« fragte sie freundlich.

»Weil ich schwere Sorgen habe. Nächste Woche werden sie Monkford ermorden, und ich weiß nicht, wie ich es verhindern könnte.«

8

Sie sah ihn erschrocken und ungläubig an.

»Das ist doch nicht Ihr Ernst?«

Er nickte düster.

»Ich sage es Ihnen, weil ich fühle, daß ich Ihnen vertrauen kann. Ich kenne Sie, und Sie kennen mich. Es war eine Verständigung auf den ersten Blick. Ich wußte sofort über Ihren Charakter Bescheid, als ich Sie damals in der Southern Bank sah. Aber wir wollen jetzt nicht mehr über diese unangenehmen Sachen sprechen. Darf ich Sie ein wenig auf den Fluß hinausrudern? Vergessen Sie alles, was ich Ihnen von Mr. Monkford gesagt habe. Er ist ja noch am Leben.«

Schweigend ging sie mit ihm zum Landungssteg und stieg in das kleine Boot ein. Sie freute sich über seinen Vorschlag, denn trotz ihrer kurzen Bekanntschaft war ihr seine Gesellschaft sehr angenehm. Er übte einen starken Einfluß auf sie aus, dem sie sich nicht verschloß. In seiner Gegenwart fühlte sie sich sicher, und sie wußte instinktiv, daß man sich auf ihn verlassen und ihm vertrauen durfte. Sonst war sie im Umgang mit Männern und Frauen sehr vorsichtig, und sie wunderte sich über sich selbst, daß die Persönlichkeit eines ihr fast fremden Mannes sie so stark faszinieren konnte.

»Wie alt sind Sie?« fragte er plötzlich, während er auf den Strom hinausruderte.

»Beinahe dreiundzwanzig – schon sehr alt.«

»Sie sehen aber durchaus nicht alt aus. Ich hielt Sie für höchstens zwanzig. Sind Sie böse, wenn ich Ihnen sage, daß Sie sehr schön sind?«

Sie lachte.

»Nein, darüber freue ich mich nur«, gestand sie offen.

Das Boot glitt leicht den Strom hinunter.

»Sie haben die schönsten Augen, die ich jemals an einer Frau gesehen habe«, sagte er nach einer Weile.

Sie erhob warnend den Finger.

»Mr. Long, ich glaube, Sie wollen mit mir flirten!«

»Nein, ich konstatiere nur Tatsachen. Sind Sie eigentlich verlobt?«

»Nein.«

Er holte tief Atem.

»Sonderbar.«

Plötzlich zog er die Ruder ein und hielt sich an einem Zweig am Ufer fest. Als sie aufschaute, sah sie zu ihrem Erstaunen, daß sie sich dicht neben Sheltons Motorboot befanden.

»Ich möchte Ihnen etwas zeigen«, sagte er und sprang an Bord. Dann beugte er sich nieder, reichte ihr die Hand und half ihr, hinaufzusteigen.

Als sie das Boot jetzt nahe vor sich sah, bemerkte sie den Verfall deutlicher.

Der Wetter öffnete die Tür zu der kleinen Kabine.

»Kommen Sie einmal hierher.«

Sie folgte ihm. Es herrschte vollkommene Dunkelheit in dem Raum, da alle Läden geschlossen waren, und er steckte ein Streichholz an.

»Sehen Sie, das klingt fast wie eine Prophezeiung.«

In eine Täfelung war eine Anzahl von Daten eingeschnitten.

1. Juni 1854 J. X. T. L.

6. September 1862.

9. Februar 1886.

11. März 1892.

4. September 1896.

12. September 1898.

30. August 1901.

14. Juni 1923.

1. August 1924.

In der vorletzten Zeile war hinter dem Datum ein kleines Kreuz eingeritzt.

Nora betrachtete die Zahlen erstaunt.

»Hat Mr. Shelton die Daten eingeschnitten? Was bedeuten sie denn?«

»Sie verraten allerhand«, erwiderte er vorsichtig. »14. Juni 1923 – das ist leicht erklärt. An diesem Tage wurde er gehängt!«

Sie schrak zurück. Das lange Wachsstreichholz ging aus, und einen Augenblick standen beide im Dunkeln. Plötzlich überkam Nora eine ungewöhnliche Furcht, und sie eilte an ihm vorbei ans offene Deck, in das Sonnenlicht. Er folgte ihr sofort und schloß die Tür der Kabine. Aus seinem Benehmen folgerte sie, daß er der augenblickliche Besitzer des Bootes war.

»Diese eingeschnittenen Daten habe ich im vorigen Jahr entdeckt, als ich das Boot kaufte und es näher untersuchte. Es war zuerst ein anderes Brett darüber geschraubt.«

»Aber er konnte doch nicht den Tag seines Todes vorauswissen?«

»Nein. Dieses Datum ist von der Bande des Schreckens eingeritzt worden.«

Nora sah ihn groß an. Scherzte er?

»Davon habe ich noch nie etwas gehört«, sagte sie schließlich.

»Wir wollen wieder in unser Boot steigen«, erwiderte er nur.

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