Winter

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Kapitel IV

Trautes Heim

Liebes Tagebuch, es ist unglaublich, was wir erfahren haben: Nicht nur, dass wir jetzt den Auslöser für diese Scheiße, in die sich unsere Welt verwandelt hat, kennen. Es besteht die Hoffnung, dass es ein Heilmittel geben wird. Für die Milliarden wandelnder Leichname nicht mehr. Aber für alle, die noch leben, und die, die vielleicht nach uns kommen. Steini, also Dr. Steins, hat uns erklärt, was passiert ist. Ich glaube ihm. Auch, dass er und seine Kumpels nicht gefährlich sind. Solange sie genügend Dope intus haben. Hätte ich auch gerne.

Jörg konnte sich nicht beruhigen, ebenso wenig wie die anderen Pilger. »Sie erzählen uns seelenruhig, dass hier der Ursprung der Seuche liegt, und im selben Atemzug, dass es ein Heilmittel geben könnte?«, schrie er.

Erich stieß ins gleiche Horn: »Selbst wenn es eins geben sollte: Ihr habt die Seuche auf die Menschen losgelassen. Warum sollten wir euch glauben oder euch schonen?«

Dr. Steins setzte sich auf den Boden vor dem Tor. Er bedeutete der Gruppe, es ihm gleichzutun, nur auf ihrer Seite des Zaunes.

»Bitte«, sagte er, »hören Sie mich an, und dann entscheiden Sie, was Sie tun wollen.«

Sandra führte schließlich eine Entscheidung herbei, indem sie sich einfach fallen ließ. »Lasst ihn uns wenigstens anhören. Erschießen können wir ihn danach immer noch.«

Steins nickte. Jörg, Erich und Martin sahen sich nacheinander an. Schließlich zuckte Martin mit den Schultern und setzte sich neben Sandra. Jörg machte es ihm zögerlich nach. Nur Erich bliebt stehen.

»Komm, Erich, setz dich!«, forderte Martin ihn auf.

Der blonde, hünenhafte Mann gab schließlich nach und ließ sich rechts von Sandra nieder. Er überragte die Frau um gut zwei Köpfe. Links von ihr hatten sich Martin und Jörg hingesetzt.

»Okay Doc, fangen Sie an. Ich hoffe, Ihre Story ist gut«, sagte Sandra und spielte abwesend mit ihrer Waffe.

Steins nickte und blickte ihnen nacheinander in die Augen. »Das, was Sie hier hinter mir sehen, ist der Eingang zu einer geheimen Forschungseinrichtung der NATO. Ihr Forschungsgebiet waren bakteriologische Waffen.«

»Ich wusste es! Die Dreckssäcke der Regierung haben sich einen feuchten Furz um die Abkommen gekümmert.« Erich war ehrlich empört.

»So wie fast alle Regierungen der sogenannten zivilisierten Welt. Jeder Staat hatte mindestens ein solches Labor«, fuhr Steins fort. »In diesem Labor wurden hauptsächlich Virenkampfstoffe erforscht. Basis war immer ein natürliches Virus, das gentechnisch verändert wurde. Und dann erhielten wir eine Probe des Lazarusvirus.«

»Sie erwähnten den Namen schon einmal.« Jörg sah den Doktor nachdenklich an. »Lazarus war dieser Typ in der Bibel, der von den Toten wiederauferstanden ist, oder?«

»So ähnlich. Das Virus ist äußerst selten, und die bisher einzige bekannte Quelle liegt im Dschungel Brasiliens. Dort wurden vor ein paar Jahren Mitglieder eines Eingeborenenstammes entdeckt, die unglaubliche Selbstheilungskräfte hatten. Bei den Untersuchungen stellte man fest, dass ein Virus die Basis dieser Kräfte war. Doch man konnte das Dorf der Indios nicht finden. Alles, was man hatte, waren die drei Jäger, die durch Zufall entdeckt worden waren.«

»Sie sprachen von einer bekannten Quelle, Doktor.« Die Vorahnung, was diese Quelle war, klang deutlich aus Sandras Stimme heraus.

Steins nickte. »Diese Indios sind der Ursprung.«

»Was ist mit ihnen passiert?«

»Das, Herr Kraft, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich weiß nur, dass Blutproben dieser Männer zu den kostbarsten Dingen auf diesem Erdball gehören.«

Jörg lachte auf. Ein Laut, trostlos wie eine leere Bahnstrecke. »Doktor Steins, die wertvollsten Dinge auf dieser Welt sind jetzt Wasser, Nahrung, Munition und ein sicherer Unterschlupf.«

»Mag sein. Doch die Hoffnung auf Heilung liegt ebenfalls in diesem Blut. Jedenfalls erhielten wir eine Blutprobe und einen Auftrag.«

»Was für einen Auftrag?« Jörg wurde hellhörig.

»Wir sollten erforschen, ob und wie sich das Virus als Kampfwertsteigerung für Soldaten einsetzen lässt.«

»Supersoldaten«, flüsterte Erich.

»Genau. Unverwundbare oder doch zumindest schnell heilende Soldaten. Das war unser Projektziel. Doch unsere anfänglichen Ergebnisse verheißen weit mehr.« Das ausdruckslose Gesicht von Steins hatte sich bei der Erinnerung an das Vergangene aufgehellt. Etwas wie Emotionen wurde sichtbar. »Wir stellten fest, dass das Virus Teile eines deaktivierten Gencodes in sich trug.«

»Deaktiviert?«

»Genau, Frau … Sandra. Dieser Teil des Gencodes war scheinbar im Laufe der Evolution des Erregers als nicht notwendig erschienen und darum deaktiviert worden. So wie die Gensequenzen im menschlichen Genom, die im Mutterleib dem Fötus erst Kiemen und dann einen Schwanz wachsen lassen. Diese Codeteile sind nach Abschluss der Entwicklung inaktiv.«

»Und was können diese Codeteile in dem beschissenen Virus?«, fuhr Erich dazwischen.

»Diese Teile versetzen das Virus in die Lage, auch totes Gewebe wieder zu regenerieren. Unsterblichkeit, meine Herrschaften.«

Ein Raunen kam von Steins Zuhörern.

»So wie Sie? Totlebend?«. Jörg deutet auf Steins.

»Nein, so wohl nicht. Wir gehen davon aus, dass die Urform des Virus ihren Wirt am Leben erhielt, um sich weiterverbreiten zu können, ohne aber eine Epidemie auszulösen. Wir kennen solche Vieren auch in der heutigen Zeit. Sie treten nur in eng begrenzten Gebieten auf und verbreiten sich nicht sehr stark.«

»Und dann haben Sie versucht, die Genteile wieder einzuschalten, oder?« Erichs Stimme glich einem Knurren.

»Ja.«

»Und dann ging die Welt zum Teufel!«

»Erich, beruhige dich«, beschwichtigte Jörg den Riesen. »Lass den Doc ausreden«

»Sie haben recht und auch nicht recht. Wir haben den Gencode angeschaltet, ja. Aber die Resultate waren nicht die erhofften. Unsere Testorganismen wurden wieder mobil, das schon. Ihr Stoffwechsel beschleunigte sich rapide. Doch gleichzeitig stieg die Aggressivität und die kognitiven Fähigkeiten verkümmerten.«

»Zombies.«

»Leider, Frau Sandra. Wir konnten uns das nicht erklären. Wir modifizierten die Virenstämme mit den eingeschalteten Gensequenzen immer weiter, um mithilfe abgeschalteter Codeteile herauszufinden, was den Zombieeffekt verursachte. Wir standen kurz vor einem Durchbruch, als …«

»Als, Doc?« Jörg hatte sich erwartungsvoll nach vorne gebeugt.

»Als wir bestohlen wurden und alles den Bach herunterging.« Steins schwieg, den Kopf gesenkt.

»Was ist passiert? Wer hat Sie bestohlen? Und wie?«, fragte Sandra, als das Schweigen andauerte.

»Einer unserer wissenschaftlichen Assistenten war Mitglied einer Vereinigung von Industriespionen. Kaum war er mit dem Virus entwischt, bekamen wir Besuch vom MAD, BND und weiß Gott was für D’s. Offensichtlich hatte er Wind von seiner bevorstehenden Verhaftung bekommen und war geflohen.«

»Und hat das Virus mit sich genommen, oder?«

Steins nickte Jörg zu. »Genau. Um das Virus an den Biofiltern und Desinfektionsschleusen vorbeizubekommen, hatte er eine Ampulle des Agens geschluckt.«

»Und dann? In einem Körper ist so eine Flasche doch bestens geschützt.«

»Normalerweise ja. Und wenn die Flasche kaputtgeht, erledigt die Magensäure den Rest. Meistens. Doch hier haben wir es mit einem Unsterblichkeitsvirus zu tun.«

Schweigen breitete sich aus.

Schließlich räusperte sich Erich. »So ein Virus geht nicht kaputt, wenn die Flasche platzt, oder?«

»So ist es. Das Virus hat den Spion infiziert. Er ist über Köln nach Shanghai geflohen. Von da hat er wohl eine Maschine in die USA genommen, ist aber bei einem Zwischenstopp in Dubai ausgestiegen. Dort verliert sich seine Spur. Doch den Weg des Virus konnten wir danach bestens verfolgen: einmal rund um die Welt.«

»Gibt es keinen Ort mehr, der verschont geblieben ist?«

»Soweit wir wissen, nein. Vielleicht extrem abgelegene Orte auf einer Insel. Das Milgramgesetz, das besagt, jeder Mensch ist maximal sechs Kontakte von jedem anderen Menschen entfernt, hat hier volle Gültigkeit.«

»Aber das erklärt nicht, was mit Ihnen passiert ist«, wunderte sich Martin.

»Das, Herr Martinsen, könnte ich Ihnen am besten im Bunker erklären. Doch dazu müssten Sie mich begleiten.«

Die Pilger schauten sich verstohlen an.

»Ich kann verstehen, dass Sie immer noch misstrauisch sind. Immerhin bin ich ein Zombie, eine potentiell tödliche Gefahr. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Wir warten auf ein paar Leute, die Sie vielleicht vom Gegenteil überzeugen können. Marion Theobald, eine ehemalige Pilotin, ist wieder zurückgegangen, um Dr. van Hellsmann zu holen. Pieter ist ein Kollege von mir und Marion, die sie ja schon kennengelernt haben, Herr Weimer, eine Kollegin von Ihnen.«

»Also auch ein Zombie?«

»Totlebend, Herr Kraft, totlebend. Und ja, er ist ebenfalls so. Aber Marion ist kein Zombie. Ich werde mal nachsehen, wo sie bleibt.« Mit dieser Ankündigung stand Steins auf und ging auf den Eingang des Bunkers zu.

»Hey, so geht das nicht! Sie können nicht erwarten, dass wir seelenruhig hier sitzen bleiben, damit Sie mit einer Horde lebender Toter zurückkommen und uns überrennen.«

»Herr Weimer, warum bleiben Sie dann nicht hier und schicken Ihre Begleiter zum Bus zurück? Wenn tatsächlich eine ›Horde‹ Zombies aus dem Bunker kommt, flüchten Sie und bringen sich und den Bus in Sicherheit.«

»Er hat recht, Jörg. Wenn er uns täuschen will, hauen wir ab. Wenn er die Wahrheit sagt, haben wir endlich einen Platz, an dem wir mal wieder zur Ruhe kommen können«, sagte Sandra mit einem Flehen in der Stimme, dem sich Jörg nicht widersetzen konnte.

 

»Also gut.« Er seufzte. »Ihr drei geht zu den Bussen und wendet sie. Entweder ich komme mit Karacho angelaufen oder ich bringe Gäste mit. Bereitet die Leute darauf vor, so oder so.«

Jörg nickte Steins zu, der zum Bunkereingang schlurfte. Sandra, Martin und Erich sahen ihm noch einen Moment nach, bevor sie sich auf den Weg zu den Bussen machten.

Kapitel V

Kindermund tut Wahrheit kund

Liebes Tagebuch, heute wurde mir bewusst, dass die Kinder zu einem Problem werden könnten. Sie sind anders. Nicht nur körperlich. Wenn die übrigen Pilger ihre besonderen Kräfte entdecken, weiß ich nicht, was passieren wird.

»Wir dürfen ihnen nicht trauen«, beharrte Gora auf seinem Standpunkt

»Er macht einen ganz vernünftigen Eindruck, sogar klarer im Kopf als so mancher Überlebender, den ich in letzter Zeit gesehen habe«, hielt ihm Sandra entgegen.

Martin schaltete sich in den Disput mit ein: »Ich glaube Dr. Steins, wenn er sagt, dass er und seine Kumpels harmlos sind. Okay, er sieht aus wie ein Zombie, bewegt sich fast wie einer und riecht auch so. Aber er ist völlig klar in der Birne, und außerdem forscht er an einem Heilmittel.«

»Ja klar. Ein Zombie forscht an einem Antizombiemittel. Das ist so, als würde ein Schotte eine Geldwegwerfmaschine entwickeln«, ätzte ein älterer Mann aus einer der mittleren Sitzreihen.

»Wir wissen einfach zu wenig über Steins und den Bunker hier. Was wir aber wissen, ist, dass es Winter wird. Wir haben kaum noch Nahrung oder Wasser, keinen nennenswerten Treibstoffvorrat mehr, und wir sind körperlich am Ende.«

»Du hast recht, Sandra«, sagte Erich, der bisher schweigsam geblieben war. »Aber du darfst auch nicht vergessen, dass wir alle Bonn und Schwarmstein in den Knochen haben. Es ist doch so: ›Zombie‹ ist gleich ›tot‹. Und du willst mir doch nicht wirklich erzählen, dass du dein Leben riskieren willst, oder?«

Sandra sah eine Weile mit gläsernem Blick vor sich hin. Erich hatte angesprochen, was in den Köpfen aller Pilger nistete: Die Angst vor einem Tod, der keiner war.

»Was sagen denn die Kinder dazu?«, fragte sie schließlich.

Eine Welle sich umdrehender Köpfe lief durch den Bus. Die Augen aller richteten sich auf eine Gruppe von Kindern, die sich auf den Sitzbänken im hinteren Teil des Fahrzeugs gesammelt hatten. Auf einigen der Gesichter, die sie erwartungsvoll ansahen, blitzte kurz ein Ausdruck von Widerwillen und Abscheu auf.

Ein schlaksiger Jugendlicher stand zögerlich auf. Sein Kehlkopf sprang hektisch auf und ab, seine Augen waren unnatürlich groß, und Schweiß stand auf seiner Stirn. »Ich … ich weiß nicht. Wir … sind uns nicht einig.«

»Thilo, sprichst du für alle?«, fragte Martin.

Thilo schluckte vernehmlich. »Ich … denke … schon. Wir haben zwar nicht alle Bonn miterlebt, aber alle waren wir in Schwarmstein.« Er wurde immer hektischer beim Reden, als die Erinnerungen über ihn hereinfluteten. »Wir haben mindestens genauso viel Angst vor den Zombies, wie alle anderen hier. Aber wir … sind auch genauso erschöpft. Wir können einfach nicht weglaufen. Wir brauchen Ruhe.«

Sandra biss sich auf die Unterlippe, während sie überlegte. Thilo hatte ausgesprochen, was sie in den Gesichtern aller Pilger sehen konnte: Sie konnten nicht mehr. Durch die lange Flucht war keine Kraft mehr in ihnen.

Sie räusperte sich. »Hört mir zu! Thilo hat das ausgesprochen, was ihr alle auch wisst. Wir sind am Ende. In diesem Zustand werden wir entweder Opfer des Winters oder Opfer der Zombies. Hier können wir wenigstens die Situation halbwegs kontrollieren.«

Gemurmel setze ein. Martin streckte vorsichtig seine geistigen Fühler nach Thilo und den anderen Kindern aus.

Könntet ihr uns beschützen?

Vielleicht. Wenn es nicht zu viele sind.

Wir können es. Aber wollen wir es auch?

Tom! Was meinst du?

Martin war verwirrt. Tom, der eigentliche Anführer der Kinder, hatte mit seinen Worten Zweifel und etwas sehr Dunkles mitschwingen lassen.

Sieh sie dir an, Martin! Sie haben Angst vor uns. Selbst wenn wir sie beschützen, bleiben wir Monster für sie. Wir müssen ihre Gedanken nicht lesen, um es zu wissen. Und du spürst es auch!

Martin zögerte einen Moment, bevor er nickte. Tom, Thilo und die anderen Kindern waren Begabte. Einige von ihnen waren der Beleg, dass die Natur oft einen Ausgleich schafft. Was ihren schwachen, behinderten Körpern fehlte, machten sie mit mentalen Muskeln wett. Telekinese, Pyrokinese, Telepathie und alle sonstigen Pathien und Kinesen schienen in den schmächtigen Körpern zu stecken. Und er, Martin, war ihnen ähnlich – ähnlicher, als er selber wahrhaben wollte. Doch er verstand, was Tom im sagen wollte.

Sie haben Angst, weil sie nicht verstehen, was ihr seid.

Sie haben Angst, dass wir ihre Schädel genauso platzen lassen wie die der Knirscher.

Tom, bitte. Sie sind nicht so. Es sind gute Leute. Sie wollen genauso überleben, wie ihr und ich auch.

Deshalb sind wir eine Bedrohung für sie.

»Da, seht!« Der alte Mann aus der Mitte des Busses war aufgestanden und zeigte auf die Betonstraße

Jörg kam auf den Bus zu, gefolgt von drei Gestalten.

***

Kurz zuvor

»Sie glauben, man wird uns nicht auf der Stelle beseitigen?« Dr. van Hellsmann sprach ein fast akzentfreies Deutsch, das nur durch die seltsame Sprachbildung der Zombies verzerrt war. Seine holländische Herkunft bemerkte man nicht. »Ich hoffe, Sandra und die anderen konnten die Pilger überzeugen.«

»Sie sagen immer ›Pilger‹, Herr Weimer. Warum?« Auch wenn Dr. Steins keine Emotionen mehr hatte, so klang doch Verwunderung aus seiner Frage.

»Wir sind Pilger. Zumindest nennen wir uns so. Ich glaube, die Kinder haben das aufgebracht.«

»Die Kinder?«

»Die Kinder, Marion. Sie werden sie noch kennenlernen.«

»Sie lächeln, Herr Hauptmann.«

»›Herr Weimer‹ oder ›Jörg‹, bitte. Ich bin längst kein Hauptmann mehr, Frau Oberleutnant Theobald.«

»Dann sagen Sie bitte nur ›Marion‹.«

Jörg nickte.

Dr. Steins kam an seine Seite. »Ganz ruhig, Herr Weimer. Sie können ihre Pistole loslassen. Wenn wir tatsächlich zu einem Einvernehmen kommen, muss das besser werden.«

Jörg nahm die Hand von Waffe, ließ jedoch das Holster offen. »Ich bin immer noch nicht zu einhundert Prozent überzeugt, Herr Doktor. Versetzen Sie sich einmal in unsere Lage. Sie und ihresgleichen sind potentiell tödlich für alle Lebenden.«

»Meinesgleichen gibt es nicht allzu viele. Sie meinen sicherlich diese hirnlosen Mordmaschinen, die das Land unsicher machen.«

»Oder so.«

»Wissen Sie, etwas haben Sie nicht bedacht, und ich habe es Ihnen nicht gesagt: Es muss eine natürliche Immunität gegen das Virus geben. Der Erregertyp, den der Spion entwendet hat, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit über die Luft übertragbar. Wenn es keine Immunen gäbe. wären alle Menschen jetzt Zombies.«

»Dass es Immune gibt, wissen wir. Es gibt zumindest einen unter uns. Aber Sie meinen, dass noch mehr von uns immun sein müssen., oder?«

»Zumindest gegen den Lufterreger, ja.«

Jörg blieb stehen. »Das würde bedeuten, dass einige von uns jederzeit sterben können, nicht wahr?«

»Ja. Und es bedeutet, dass einige von Ihnen bissfest sind.«

Kapitel VI

Taiga und andere Odysseen

Ein eisiger Wind fegte über die gefrorenen Steppen der russischen Taiga südlich der Halbinsel Taymyr. Er wirbelte lockeren Schnee auf und rüttelte an losen Fensterläden und Fahnenmasten. Lebhafte Geräusche in einer leblosen Umgebung.

Gabriel war sauer. Der Ausflug in den Nordosten Russlands war ein totaler Reinfall. Es gab kaum Zombies der Art wie sein huttragender Ex-General aus Köln. Und die wenigen einigermaßen Immunen waren oft durch ihre eigene Hand gestorben, wie er hatte feststellen müssen. Ihren durch die Kälte gut erhaltenen Körpern fehlte das steuernde Gehirn. Ausnahmslos hatten sie sich die Rübe vom Hals geschossen oder sonst wie abgetrennt. Da konnte auch das Virus nichts ausrichten. Ohne einen Kern von Steuerfunktionen des Gehirns wurde aus der leblosen Masse kein Reanimierter. Nur ein gelegentliches Zucken der Haut zeugte davon, dass in denen, die keine Hoffnung mehr gesehen hatten, HX-98b immer noch arbeitete. Die Unseligen hätten nur auf ihn warten müssen.

Er blieb einen Moment neben einem ausgebrannten Militärlaster stehen und besah sich die Szene. Trost- und Hoffnungslosigkeit sprach aus allem: Herumliegende Gerätschaften, Waffen und Werkzeuge, aufgesperrte oder in den Angeln hängende Türen, zersplitterte Fensterscheiben. Es sah aus wie ein vor langer Zeit verlassener Ort, in dem die Natur wieder die Oberhand gewonnen hatte. Und doch war es nur wenige Wochen her, dass dieser Versuch, ein Virus zu verändern, zum Fiasko geworden war. Sein minimales Eingreifen hatte der Katastrophe lediglich diese besondere Note gegeben.

Als würden seine Gedanken die Kreaturen anlocken, kamen zwei der hier oben kaum anzutreffenden Zombies zwischen den Baracken hervorgestakst.

Viel zu lange hatte er sich persönlich um die Dinge im fernen Köln gekümmert, anstatt überall auf dieser elenden Kugel nach fähigen Totlebenden oder Zombies mit Restgedächtnis zu suchen. Das rächte sich jetzt.

Die Wut über sein eigenes Versagen kochte so in ihm, dass er den beiden Zombies Schmerz und Qualen gab. Sie krümmten sich darin und fielen hilflos zuckend um.

Elendig kreischende und jammernde Reanimierte säumten sich auf dem Boden wälzend seinen weiteren Weg. Gabriel genoss seine Macht, auch wenn sie ihm hier bisher kaum geholfen hatte. Er musste weitersuchen.

In einem besonderen Bunker, der selbst einem starken Atombomben- und EMP-Angriff standgehalten hätte, entdeckte er dann doch noch zwei Exemplare, die seinen Anforderungen genügten. Die Abschirmung des Bunkers hatte sogar seine Fähigkeit zu sehen beeinträchtigt. Eigentlich erstaunlich, aber er grübelte nicht weiter darüber nach. Wichtig war jetzt, dass er die beiden instruierte, damit sein teuflischer Plan endlich umgesetzt werden konnte.

»Ihr zwei seid auch gleich in den richtigen Bunker eingezogen. Das war sehr umsichtig. Hier finden wir sicher ein nettes Arsenal an Inferno-Bringern.« Gabriels Laune hatte sich schlagartig gebessert.

Der Dunkle Mann konzentrierte sich, und seine Gestalt verschwamm vor dem Hintergrund des vor ihm liegenden Bunkereingangs.

Er erschien zuerst dem jüngeren der beiden, der gerade dabei war, einem seiner Kollegen die Schulter anzunagen.

»Wie amüsant. Ich habe mich nicht in dir getäuscht. Du willst also stärker werden? Das kann ich einrichten.«

Auf einen Gedankenbefehl hin erschlaffte der Angeknabberte, und der, der sich bislang an ihm gütlich getan hatte, schüttelte verständnislos den nun leblosen Körper.

»Halt ein … Jewgeni. Ich habe eine viel bessere Aufgabe für dich!«

Der Zombie fuhr herum und riss seine toten Augen auf, Panik und Wut waren jetzt darin zu erkennen. Aufgabe?

»Genau, mein Freund. Wir zünden ein paar Wunderkerzen an. Und dann bekommst du richtige warme Nahrung.«

Warme Nahrung?!

So sehr er die Katastrophe liebte, die er mit angerichtet hatte, eines fehlte wirklich: Gute Unterhaltungen würde es in nächster Zeit nicht geben.

***

In seiner augenblicklichen Verfassung würde Luzifer seinem Bruder in einem Kampf nicht lange widerstehen können. Aber er hoffte, dass das auch nicht nötig war. Er musste es nur schlau genug anstellen: Keine direkte Konfrontation mehr. Es war besser, dem anderen so oft es ging in die Quere zu kommen, so wie bei den wenigen General-Zombies, die es auch hier gegeben hatte. So sehr es auch den Gepflogenheiten ihres Spiels widersprach, direkt Hand an die armen Kreaturen zu legen, es war nötig, um ein noch viel größeres Unheil vom verbliebenen Rest der Menschheit abzuwenden.

Gabriel hatte die Grenze der von ihnen definierten Möglichkeiten bereits viel mehr als er selbst überschritten. Diese Aktion hier, bei der er tatsächlich Atomraketen reaktivieren wollte, wäre bei einem fairen Verlauf nicht möglich gewesen. Natürlich war Luzifer sich im Klaren darüber, dass sie beide wieder einmal deutlich mehr in die Geschicke der Menschen eingriffen, als ihre selbsgesteckten Grenzen es zuließen. Doch diesmal war es noch viel schlimmer als früher. Aber er würde seinen Part weiterspielen – weiterspielen müssen.

 

Der Spur Gabriels zu folgen, war nicht schwer. Auf dem Weg durch die verschneite Taiga nördlich des 25sten Breitengrades erlöste Luzifer die Kreaturen von ihren Qualen und landete schließlich ebenfalls vor der monströsen Bunkeranlage, von der hier oben nur ein paar unscheinbare Baracken zu sehen waren.

Der weiße Hund hob schnuppernd seine Schnauze in den aufkommenden Wind. »Ah, zwei Seelen für Gabriel. Und eine hast du bereits rekrutiert? Na gut.«

***

Obwohl Gabriel eigentlich nicht damit gerechnet hatte, machte sein neuer russischer General gute Fortschritte. Glücklicherweise war der Mann früher ein Eingeweihter gewesen. Die Informationen waren zwar nicht mehr vollständig abrufbar, aber es sollte reichen, um den einen oder anderen Gefechtskopf auf die Reise zu schicken.

Der Dunkle Mann grinste fies, schickte Jewgeni in den Kontrollraum und machte sich daran, auch den anderen zu konditionieren, bei dem er Talent entdeckt hatte. Doch als er gedanklich seine Finger nach ihm ausstreckte, griff er ins Leere. Entsetzt verstärkte er sein Bemühen, doch das war ebenso sinnlos wie energiezehrend. Die Entfernungen innerhalb des Bunkers waren lächerlich klein, er musste ihn entdecken, wenn er noch leben würde. Das konnte eigentlich nur eines bedeuten: Jemand machte hier Jagd auf seine Anhänger. Ihm kamen die anderen von ihm gefundenen Kopflosen in den Sinn. Und da ein normaler Mensch für ihn wie ein weithin sichtbares Leuchtfeuer war, konnte der Jäger nur einer sein: Luzifer!

Er war ihm also gefolgt. Interessant. Und er sabotierte weiterhin seine Pläne.

»Luzifer!«, brüllte Gabriel völlig unnötig durch die Gänge, denn den mentalen Schrei vernahmen alle Begabten in weitem Umkreis. »Zeige dich!«

Für einen Moment meinte er, seinen Bruder aus der Richtung zu spüren, aus der er eben gekommen war. Doch der Eindruck war zu kurz, um sicher zu sein. Wenn er aber …

Noch bevor er reagieren konnte, erklang eine sanfte Stimme: »Deine Ahnung trügt dich nicht. Wärst du nicht so wütend, hättest du es bereits gespürt. Auch dein zweiter General existiert nicht mehr. Ich musste es tun, Bruder.«

Der Schmerz über das erneute Durchkreuzen seiner Pläne durchfuhr Gabriel. Sein Blut begann zu kochen und heizte die Wut noch mehr an. Diesmal war Luzifer zu weit gegangen! Doch bevor er überhaupt einen Angriff beginnen konnte, war die körperliche Manifestation seines Bruders bereits wieder verschwunden. Nur seine Stimme hallte noch in seinem Kopf wider: »Gabriel, wir sind schon viel zu weit gegangen. Das ist längst nicht mehr das Spiel, das wir so oft gespielt haben. Dein Hass auf die armen kleinen Menschen ist größer und wilder geworden. Sie sind bereits am Ende, und du willst auf ihren Überresten herumtreten?«

Weiche Worte eines weichen Herzens.

»Immer den Heiland spielen. ja?«, giftete Gabriel zurück. »Och, die armen kleinen Menschlein. So schutzlos. Verschone mich mit deinem salbungsvollen Gequatsche!«

Gabriel stellte völlig überrascht fest, dass seine Wut nicht annähernd so lange anhielt, wie er es erwartet hatte. Was war los?

»Du weißt ganz genau, dass die Gemeinschaft schon längst hätte einschreiten müssen. Der Alte ist zwar mit den Pilgern beschäftigt, aber die anderen passen sicher auf. Wir können nicht alles machen, Bruder. Was auch immer sie bisher abgehalten hat, diese Aktion wäre sowieso nicht gelungen. Das weiß ich ganz sicher.«

Als Luzifer zu Ende gesprochen hatte, wusste Gabriel, warum er nicht mehr so wütend war. Ja, er war in Rage geraten, wollte den großen Knall auf einmal haben. Sofort. Doch das, so musste er dem anderen insgeheim zustimmen, lag deutlich außerhalb der lose formulierten Regeln. Nicht direkt eingreifen, keine eigenen Aktionen. Seine ganze Reise in diese scheißkalte und öde Gegend war ein Reinfall, hätte gar nicht stattfinden dürfen.

Er musste weg, nachdenken. Weg vom Ort seiner peinlichen Show. Es gab noch andere Wege, seine Ziele zu erreichen. Die Welt war groß.

***

Luzifer spürte das Widerstreben seines Bruders, die Fakten anzuerkennen. Er hatte ihn soweit, dass er immerhin keine persönliche Attacke mehr versuchte. Er wäre ihr nicht gewachsen gewesen. Obwohl die Energie, die er vom Toröffner bezogen hatte, ihn fast wiederhergestellt hatte.

Erst kurz bevor sich Gabriel aus dem Staub machte, bemerkte Luzifer die Veränderung in der Aura seines Bruders. Einen Augenaufschlag später war er allein in der Taiga. In einem Bunker, den Menschen gebaut hatten, um andere Menschen in ihre Schranken zu weisen. Menschen. So anders waren sie gar nicht.

***

Fünf Kilometer weit waren sie gekommen. Dann musste Gabi zugeben, dass auch sie die Fährte verloren hatte. Die Pilger hatten wahrscheinlich keinerlei Hindernisse mehr überwinden müssen und waren daher mit ihren Fahrzeugen deutlich schneller unterwegs.

Neben dem Hass auf Sandra, der nur noch eine schwelende Feuerstelle war, wuchs in Frank Groll gegen seinen »Herrn«, gegen Gabriel. Wie viel unnütze Energie hatte er bereits verschwendet, um seine ehemalige Gefährtin und ihre Bande zu verfolgen? Jedes Mal war sie ihm entkommen, so auch diesmal.

»So ein Mist! Wir rennen hier wie verblödete Zombies durch den Regen, und unsere Körper quellen auf. Und wofür das alles? Für Nix!«

Hinter ihm knurrte Vlad zustimmend.

Frank griff sich den ersten Zombie, der dumpf vor sich hin stierend einfach weitergelaufen war, und schmiss ihn in den Straßengraben. Völlig unbeteiligt versuchte der reanimierte frühere Rocker aus der Truppe von Vlad, die kleine Böschung emporzuklettern. Doch in dem Matsch rutschte er immer wieder aus. Als ihm bei seinen Anstrengungen der linke Unterarm abbrach, gab er den Versuch auf und stakste mit im Ärmel baumelndem Unterarm im Graben weiter.

»Um den ist es echt nicht schade«, grummelte Gabi, die ebenfalls mies gelaunt war.

Typen von der Sorte konnten sie überall rekrutieren. Das waren die, die ziel- und hilflos in den Großstädten umhertaperten und irgendwann einfach stehen blieben wie eine abgelaufene Uhr.

Aber Frank hatte hier eine Truppe, in der viele gut erhaltene und durchaus fähige Zombies waren. Auf die sollte er achten! »Lass uns umkehren, bevor unsere schöne Streitmacht auseinanderfällt, weil ihr Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist.«

Das war nicht der einzige Grund, warum er darauf drängte. Seine Möglichkeit, die zurückgebliebenen Zombies in Schwarmstein zu kontrollieren, nahm mit jedem Meter, den sie weitergingen, ab. Im Grunde hatte er sich sowieso gefragt, warum sie den mit zwei Bussen ausgerüsteten Pilgern überhaupt gefolgt waren.

»Das wird dem Dunklen Mann aber nicht gefallen. Er hat uns aufgetragen, die Pilger und meine alten Freunde zu verfolgen und ihm ihre Seelen zu bringen.«

Frank winkte ab. Er kannte die Leier. Er hatte sie wer-weiß-wie-oft gehört. Aber es war und blieb Schwachsinn. Was für kranke Ideen musste der Unheimliche haben, dass er eine Horde torkelnder Untoter sicherlich leckerem warmem Fleisch hinterherschickte, wenn dieses, da mit Fahrzeugen unterwegs, praktisch immer unheinholbar war? Dass Sandra und ihre Pilger manchmal dachten, sie wären an einem bestimmten Ort sicher, war sein Glück gewesen, obwohl er es bisher nicht hatte ausnutzen können.

»Ist er hier?«, polterte Frank. »Hat er sich in der letzten Zeit blicken lassen? Wenn es ihm nicht passt, was ich tue, kann er ja gerne ein Beschwerdeformular ausfüllen!«

Gabi sah ihn verunsichert an, weil er sie direkt angeschrien hatte.

»Tut mir leid, Kleines. Aber denk doch nach! Wenn Gabriel so mächtig ist, warum hetzen wir uns in diesem elenden Regen so sinnlos ab?«

Ihr Blick glitt in die Ferne, was er immer tat, wenn sie nachdachte.

In solchen Momenten sieht sie mit ihren dunklen Mandelaugen und ihrem runden Gesicht richtig lieb aus, ging es Frank durch den Kopf. Gleichzeitig verfluchte er diesen Gedanken, da er fürchtete, dass sie ihn wieder lesen könnte.

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