Peter Gabriel - Die exklusive Biografie

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„Er ist ein bemerkenswerter Sänger, der über eine große stimmliche Bandbreite verfügt – von unerwarteten Soul-Kieksern über abgehackte, präzise Phrasierung und gequälte Heuler bis hin zu grotesken, rollenden Akzenten, die er mit theatralischer Schärfe einsetzt.“

– Aus dem Tourprogramm von Genesis, 1972

Das Jahr 1970 sollte sich als Schlüsseljahr für Genesis entpuppen. Die Band sollte bei einem fähigen Label unterschreiben, anfangen, Konzerte vor einem wertschätzenden Publikum zu spielen, und Peter Gabriel würde weiterhin an seinem Image, das legendär sein würde, feilen. Genesis würden ihre – für viele – definitive Besetzung finden und vor allem ein Album veröffentlichen, das ihre neue Ausrichtung auf den Punkt bringen würde. Allerdings sollte es sich auch als zu anstrengend für Gitarrist Anthony Phillips erweisen, der sich letztlich von der Band verabschieden würde.

Mit Tony Stratton-Smith hatte die Band einen loyalen Unterstützer gefunden, der gewillt war, der Band die Zeit zu geben, die sie bräuchte, um ihren eigenen Ansprüchen gemäß wachsen zu können. Als Boss ihres Labels spornte er die Band nicht nur an, sondern er hatte auch viel Verständnis für sie. Außerdem wurde er auch de facto ihr Manager.

„Strat“, wie er liebevoll genannt wurde, war einer der eigenwilligsten Charaktere der Popmusik, und es gibt zahllose Anekdoten über ihn. Er wurde 1933 in Birmingham geboren und begann seine Karriere als Journalist, als er bei der Zeitung The Daily Sketch zum jüngsten Sportredakteur auf der Fleet Street avancierte. Während der Fußball-WM 1962 in Chile traf er zufällig auf den brasilianischen Komponisten Antonio Carlos Jobim, was sein Interesse am Musikverlagswesen weckte. Ab den späten Sechzigern war er schließlich als Bandmanager tätig. Stratton-Smith war ein Universalgenie, ein Alleskönner. Er hatte z. B. auch ein Buch über Mutter Maria Skobzowa geschrieben, die – für ihre Rolle im Zweiten Weltkrieg bei der französischen Resistance – im KZ Ravensbrück ermordet wurde. Der passionierte Fan von Pferderennen saß mit Vorliebe im Pub The Ship oder im Club Le Chasse in der Nähe des Marquee in der Wardour Street in Soho. Er nahm eine Reihe von Acts, die sowohl den Mainstream als auch den Underground belieferten, unter seine Fittiche. Darunter waren etwa The Nice, The Creation, The Koobas oder die BonzoDog Doo-Dah Band. Seine Stellvertreterin war Gail Colson, die er kennengelernt hatte, als er als Manager von The Creation tätig gewesen war. Colson arbeitete damals für Shel Talmy und überredete diesen, Stratton-Smith ein Büro zur Verfügung zu stellen, von dem aus er sein junges Label betreiben konnte. Sie wurde Stratton-Smiths persönliche Assistentin und managte später Charisma, das Label, das er gründen würde.

Colson sollte eine Schlüsselrolle in der Geschichte von Genesis und Peter Gabriel einnehmen. Der ehemalige Journalist des Melody Maker Chris Charlesworth beschreibt sie so: „Gail war genau die Richtige für Strat. Sie war effizient genug, um seine Ungestümheit unter Kontrolle zu bringen. Sie war tüchtig, die Herzensgüte in Person sowie absolut bodenständig und sachlich. Als sie sich mit Strat zusammentat, wurde sie zu einer Art Consigliere, seine Beraterin. Sie war für die Finanzen und alles andere, das getan werden musste, zuständig. Strat schwebte über den Dingen. Wenn Gail nicht gewesen wäre, wer weiß, was mit der verdammten Firma passiert wäre. Sie war wild entschlossen und haute auch mal auf den Tisch. Gleichzeitig war sie auch unglaublich charmant.“

„Charisma entstand aus der Frustration darüber, wie The Nice und die Bonzo Dog Doo-Dah Band von Immediate und von United Artists in den USA behandelt wurden“, sagt Colson. „TSS – Tony Stratton-Smith – und ich dachten, dass wir es besser als beide machen könnten. Wir saßen entweder im La Chasse oder im The Ship, um zu trinken und über die Situation beider Bands zu schimpfen. Tony und ich waren gute Partner. Er hatte all diese herrlich durchgeknallten Ideen, wohingegen mein Job darin bestand, ihn im Zaum zu halten und seine Visionen in die Tat umzusetzen.“

Charisma Records wurde im Oktober 1969 gegründet, nachdem das Label von The Nice, Immediate Records, bankrott gegangen war. Er lieh sich für die Neugründung Geld von B&C Records, das zumindest anfangs auch den Vertrieb für Charisma übernehmen würde, und baute die Firma nach dem Vorbild von Berry Gordys Motown Records auf. In seiner ersten Presseaussendung schrieb er über das Label: „Die einzige zentrale Wahrheit der Musikbranche ist, dass Talent unersetzlich ist. Wir wollen das stets im Kopf behalten.“ Das Label wurde zum Familienbetrieb, als Colsons Bruder Glen die Pressearbeit übernahm und später auch noch ihr damaliger Ehemann Fred Munt als Geschäftsführer dazustieß. Alle außer Strat waren unter 25. Seine zahlreichen Connections ermöglichten einen Deal mit Terry King Agency, die für das Label Konzerte buchen sollte. Alle Gruppen auf dem Label mussten dem Geschmack des Besitzers entsprechen, was dazu führte, dass Charisma zu einer äußerst eklektischen und gelegentlich extrem kommerziell erfolgreichen Plattenfirma werden sollte. In den meisten Fällen nahm Strat markante Acts unter Vertrag, die über eine umfassende Vorstellung von ihrer Arbeit verfügten. Seine persönlichen Favoriten waren Van Der Graaf Generator, die vom launenhaften Peter Hammill, der sich als einer der langlebigsten Acts auf dem Label erweisen sollte, angeführt wurden. Außerdem holte er auch Dichter, Sportkommentatoren und die Monty Pythons zu seinem Label.

„Charisma waren eigentlich eine One-Man-Show“, erzählte Glen Colson 2011 im Magazin Mojo. „Strat ließ all die Bands unterzeichnen und wir rannten nur hinter ihm her und hörten ihm zu. Er war ein Trinker, wusstet ihr das? Er ging jeden Abend bis fünf Uhr morgens aus. Er hing mit Abgeordneten ab, hatte seine Pferderennen. Schwul war er auch, also kam er ganz schön herum. Ich stand damals auf Hendrix, weshalb ich nicht viel mit Genesis anfangen konnte. Aber er sagte bloß, dass ihm ihr Look gefiele. Strat wollte von allem etwas. Er wollte klassische Musik, eine Jazzband, eine Rockband … Das verwirrte alle, die mit ihm arbeiteten, immens. Aber er wollte die Acts, die in ihrer Sparte am besten waren. Das war immer sein Credo.“ Und Peter Hammill fügt noch hinzu: „Er war ein außergewöhnlicher Mann.“ Er betont auch, dass das Label „dynamisch, seltsam und unvorhersehbar“ gewesen sei. „Wie Soho eben. Das war damals noch das wilde West End. Ich kann mich allerdings nicht daran erinnern, Genesis oder Peter oft auf der Dean Street oder der Wardour Street gesehen zu haben.“

Genesis gehörten zur Szene, waren aber auch irgendwie distanziert. Ihr Drang, um die Häuser zu ziehen, war nicht sonderlich ausgeprägt. Für so junge Leute waren sie sonderbar reserviert und reif. Sie alle waren sich jedoch einig, dass Charisma genau das richtige Label für sie war. „Tony Stratton-Smith, unser Manager, ist klasse“, erzählte Gabriel im April 1971 dem Melody Maker. „Die Situation vor ihm war absolut untragbar. Als wir ihn und er uns fand, eröffnete sich für uns ein ganz neues Szenario.“

Dieses neue Szenario war seltsam und bizarr, so wie einige der Fantasiegebilde aus Gabriels Gedankenwelt. „Ich kannte Strat und die Charisma-Crew sehr gut“, sagt der ehemalige Schreiber beim Melody Maker, Chris Charlesworth. „Charisma war eine herrliche Firma. Strat war sehr jovial – ziemlich fett und wie eine Art exzentrischer, aber lieber Onkel. Sein Flair und seine Vorstellungsgabe, seine Gutmütigkeit und Lebenslust sowie seine Risikobereitschaft in puncto Musik, die nicht gerade kommerziellen Trends entsprach, gepaart mit Gails schlauen Geschäftsmethoden, ergaben ein perfekte Kombination. Ihnen war immer bewusst, dass sie – in den Worten des legendären Musik-PR-Mannes und Schreibers Derek Taylor – Geschäfte mit der Freude der Menschen machten, und dass nichts gut wäre, was keinen Spaß machte. Strat war ab Mittag im Büro, um sich um die Belange des Labels zu kümmern – und es ist keine Übertreibung, wenn man behauptet, dass die gesamte Belegschaft später ins Marquee oder ins La Chasse weiterging, wo man sich weiter ums Geschäftliche kümmerte, bevor man dann noch ins Speakeasy übersiedelte, wo alle bis in die frühen Morgenstunden abhingen und ihnen gerne Bands wie Van Der Graaf Generator, Lindisfarne und etwas weniger oft Genesis Gesellschaft leisteten.“

Paul Conroy von der Terry King Agency kam schon bald als firmeneigener Booker an Bord. „Stratton-Smith war völlig anders als alle anderen zu dieser Zeit“, sagt er. „Er war äußerst kultiviert und sehr leidenschaftlich, was die Musik betraf. Ich hatte nicht bei allem denselben Geschmack wie er, aber er war jemand, der mit mir zum Lunch mit Dichter John Betjeman oder den Barrow Poets ging. Und durch seine literarischen Connections kam er auch in Kontakt mit Monty Python und solchen Leuten. Ich denke nicht, dass er sich mit Rock’n’Roll auskannte, aber er wusste Bescheid, wenn es um Emotionen ging. Intelligenz war ein zentrales Thema bei Strat. Er war Journalist und Autor gewesen. Er war der beste Freund von Matt Busby. Jimmy Greaves bat Strat, ihn zu vertreten, als er den AC Milan verlassen wollte. Er war auf Du und Du mit all diesen Figuren, einfach ein guter Mann und Zuhörer. Mir fällt niemand sonst sein, der so eine interessante Mischung von Künstlern vorweisen konnte.“

Trinken in Soho war die Grundlage von Charismas Geschäften: „Das Marquee war trockengelegt. Dort gab es nur Coca-Cola, Tee und Kaffee“, merkt Charlesworth an. „Deshalb wurde das La Chasse zum Privatclub all jener, die sich nach etwas Stärkerem sehnten. Es lag ungefähr auf halbem Weg zwischen Marquee und The Ship über einem Buchmacher. In einem Raum war eine Bar mitsamt einem Sofa und einer Jukebox. Leute aus der Musikbranche hingen dort regelmäßig ab. Ursprünglich wurde es von Jack Barrie betrieben, der später das Marquee übernehmen sollte – es gab definitiv eine Verbindung zwischen beiden Locations. Es war auch ein guter Ort, um Groupies aufzureißen. Yes waren eine große Nummer dort. Jon Anderson arbeitete eine Weile hinter der Bar. Keith Moon war auch immer da, da das Büro von Track Records sich genau um die Ecke – in der Old Compton Street – befand. Moon stieg aus dem Dachfenster des Büros und kam über die Dächer. Strat war auch dauernd vor Ort. Er trank gerne teuren Wodka und kippte einen nach dem anderen. Er konsumierte enorme Mengen Alk, ohne dass es ihn beeinträchtigte.“

 

Im Booklet zum Charisma-Boxset, das in den Neunzigern erschien, erinnerte sich Roy Hollingsworth vom Melody Maker an die Siebziger: „Es flog einem der Hype und sonstiger Scheiß um die Ohren, man watete knietief in einer Grube voller Schlangen und Eidechsen sowie entsetzlichen kleinen Kreaturen wie Pressesprechern, PR-Fritzen und Promo-Schleimern, die an mir saugten, nuckelten, pickten und überall auf mir herumkrochen. Verzweifelt suche ich Unterschlupf bei Charisma, wo so ein Bullshit nicht zum Repertoire gehört und ich stattdessen zur Begrüßung beschimpft werde. Dort kann ich mich für ein oder zwei Stündchen über Fußball, Kunst, Frauen oder was auch immer unterhalten, dann mich zurücklehnen und mir ihren Kram reinziehen – und mir meine eigene Meinung dazu bilden.“

Es war klar, dass Genesis – und vor allem Gabriel – in dieser Umgebung aufblühen würden. Tatsächlich hätte sich Charisma nicht stärker von ihrem alten Label unterscheiden können: „Wenn man Decca und Charisma vergleicht, ist das unglaublich“, schwärmte Gabriel 1971. „Charisma ist wie eine Familie. Bei Decca mussten wir uns an der Tür vorstellen, worauf der Mann hinter seinem Pult den Hörer in die Hand nahm und sagte: ‚Der Reinigungstrupp ist hier.‘ Unsere Verkaufszahlen schienen auch wie wild zu schwanken. In der einen Woche hieß es, wir hätten 1.000 Platten verkauft, dann vielleicht 2.000 und so weiter. Letzten Endes sagte man uns, dass wir alles in allem 649 Stück verkauft hätten. Schließlich kapierten sie, wie andere Labels wie Island es machten, und teilten uns in einem Brief mit, dass sie nun jemanden hätten, der sich um die Beziehung zu ihren Künstlern kümmern würde: ‚Unterhaltet euch mit ihm, wann immer ihr wollt.‘ Es war ein bisschen, als würden sie die Fahnen schwenken, während das Schiff unterging.“ Bei Charisma hingegen ging alles viel hemdsärmeliger zu.

„Wie Charisma überhaupt existieren konnte, war mir ein Rätsel“, sagt Chris Charlesworth. „Es war Strats Vision. Geld spielte keine Rolle – es war egal, ob er es hatte oder nicht. Er surfte quer durch das Rock-Business, machte sich dabei keine Sorgen und hörte einfach nie auf. Ich glaube nicht, dass er ein Leben abseits von Charisma hatte.“

Tony Stratton-Smith respektierte die Band und – was am wichtigsten war – er erkannte ihr Potenzial. Obwohl sie gut waren, waren sie noch nicht ganz so weit. 1982 schrieb er: „Von Anfang an verlief der Umsturz, für den Genesis standen, auf sehr subtile Weise. Sein Klang war literarisch und der Effekt der warmen Musik eher ruhelos als provoziert. Die Fantasie kam als Metapher zum Einsatz, Trockenheit statt Unverblümtheit, ohne sich jemals von einer gewissen Vornehmheit in ihrem Ansatz verabschieden zu können – trotzdem sind ihre Themen leicht als modern und imposant zu erkennen: Individualität, das Bedürfnis, an etwas zu glauben, Gerechtigkeit, Mitgefühl, Brüderlichkeit.“

***

Paul Conroy wurde der erste ordentliche Booking-Agent von Genesis. Da er im selben Alter war, wusste er genau über ihre Bedürfnisse Bescheid und verbrachte die nächsten drei Jahre damit, sehr eng mit ihnen zusammenzuarbeiten, während sie auf Tour waren. Er hatte zuvor als Privatsekretär am Ewell Teacher Training College gearbeitet, wo er die Bands für Feste gebucht hatte. Seine so erworbenen Kontakte führten ihn schließlich zu Terry Kings Booking-Agentur. „Ich suchte Konzerte für Bands wie The Fortunes, The Foundations und Caravan. Sie vertraten damals auch Charisma, wobei es sich bei ihnen in erster Linie um Rare Bird drehte, weil sie mit ‚Sympathy‘ ein Hit hatten landen können. Genesis war bemerkenswert selten gebucht worden. Ab und zu mal im Angel in Godalming.“ Das sollte sich alles schon bald ändern.

Am 13. April 1970 spielte die Band zum ersten Mal im Friars in Aylesbury, Buckinghamshire, jener Location, mit der die Band am häufigsten in Verbindung gebracht werden sollte. Das Friars, das 1969 seine Pforten geöffnet hatte, war die Idee von Robin Pike und David Stopps gewesen, die dafür die New Friarage Hall in der Walton Street gemietet hatten. Ab Anfang 1970 hatte sich der Laden mit seiner Kapazität von 400 zugelassenen Besuchern bereits einen guten Ruf in den Rock-Zirkeln verdient.

Indem er sie buchte, sollte David Stopps eine Schlüsselrolle in der Karriere von Genesis spielen. „Zum ersten Mal traf ich Peter im April 1970“, sagt er. „Ich habe immer noch den Vertrag für den Gig. Sie wurden mir von Terry King vermittelt. Wir informierten uns immer im Melody Maker und dem NME darüber, was andere Locations so veranstalteten.“ So wie Stratton-Smith sah Stopps etwas in Genesis – und vor allem in ihrem scheuen wie spektakulären Sänger: „Sie waren offensichtlich anders. Als erstes fiel einem Peters Bass-Drum auf. Da war der Schlagzeuger und da war Peter, der noch eines draufsetzte. Niemand hatte das zuvor so gemacht, also hebten sie sich allein dadurch schon mal ab. Dann waren da noch die ganzen Geschichten, die Gabriel zwischen den Songs erzählte. Niemand sonst brachte so was.“ Stopps wurde ein begeisterter Unterstützer von Genesis und später trat Gabriel auch auf seinen Solo-Touren bei ihm im Friars auf.

Ian Hunters wohlwollende Worte weckten die Neugier des 15-jährigen Friars-Stammgasts und zukünftigen Musik-Schreiberlings Kris Needs. „1970 konnte man sowohl Mott The Hoople als auch Genesis eine Outsider-Band nennen, wenn es darum ging, sich mit seiner persönlichen Vision von der Konfektionsware, die damals aus Egotrips in Form von 30-minütigen Gitarren-Solos bestand, abzuheben. Mott und Genesis mochten vielleicht wie die kompletten Gegenteile voneinander wirken, aber beide hatten das gewisse Etwas, das sie zu Publikumslieblingen bei uns im Club machten, in dem – es soll nicht unerwähnt bleiben – David Bowie zum ersten Mal als Ziggy Stardust auftrat.“

Needs erinnert sich daran, wie er die frühe Power der Band wahrnahm. „Genesis bliesen einen aus den Schuhen. Man erwartete sich nicht viel. Sie hatten ein halbgares Album zu Buche stehen – ich denke, Trespass war damals noch nicht veröffentlicht. Peter Gabriel kam einem mit seinen fünfminütigen Storys und die Meute verfolgte gebannt jedes einzelne Wort. Am Ende des Sets, bei ‚The Knife‘, drehten dann alle wieder durch!“ Needs, der die Mitgliederausweise für Friars entwarf, erinnert sich an den 13. April 1970: „Auf dem Plakat stand, dass Nick Drake im Vorprogramm auftrat, davon weiß ich aber nichts mehr. Genesis hingegen hatten etwas Besonderes, das einen fesselte. Die Songs, die sie damals spielten, stammten fast alle vom Debütalbum: ‚Visions of Angels‘, ‚Twilight Alehouse‘, ‚Looking For Someone‘, ‚The Knife‘ … Jede Nummer war wie ein Mini-Film. Im Friars war ich bekannt als ein unverbesserlicher Anhänger der uralten Kunstform des Idiotentanzes. Dabei musste man Luftsprünge vollführen und dabei jeden einzelnen Körperteil in eine andere Richtung werfen, eine Art Anfall eben. Je verrückter die Band, desto höher ihre Punktezahl auf dem ‚Hüpf-O-Meter‘. Genesis waren umsichtig genug, ihre verrückten Stücke immer wieder mit Grabesruhe zu unterbrechen, damit man wieder zu Atem kam und sich abschütteln konnte.“

Paul Conroy stach die Intelligenz der Gruppe nicht sofort ins Auge: „Genesis hatten bereits eine Anhängerschaft, die sie kultisch verehrte. ‚Gigs‘ wurden zu dieser Zeit immer mehr zu ‚Konzerten‘. Die Leute standen sich drauf. Wegen ihrer Ausrüstung trat die Band nicht gerne mit anderen Acts auf.“ Diese ersten Auftritte – obwohl noch ein zaghaftes Vortasten – hatten eine Leidenschaft und Intensität, die einem den Atem raubte.

Mit der finanziellen Unterstützung Charismas im Rücken erstand die Band das Instrument, das in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern jeder haben musste: ein Mellotron. Seine erste Popularität erlangte es durch ‚Strawberry Fields Forever‘ von den Beatles und Mike Pinder von Moody Blues, bevor es mit King Crimsons Debütalbum schließlich den Gipfel erreichte. Genesis kauften ihres schließlich sogar von Robert Fripp selbst, dem Anführer von King Crimson. „Das erste Mellotron der Band stammte von Crimson“, erinnert sich auch Macphail. „Das Gehäuse war bei einem Feuer beschädigt worden und jemand hatte einfach mit schwarzer Farbe drübergemalt. Fripp kam vorbei, als Charisma sich noch in der Old Compton Street befand. Ich traf ihn da zum ersten Mal. Der Deal war besiegelt und wir übernahmen dieses Ungetüm von einem Instrument. Es war irre schwer. Man drückte auf der linken Seite auf einen Knopf und dann spielte es für acht Sekunden.“

Tony Banks machte sich daran, das Instrument in den sich stets weiterentwickelnden Sound der Band einzuarbeiten. Die Zeitdauer, die nötig war, es auf der Bühne zu stimmen, gab Gabriel auf der Bühne Gelegenheit, seine Geschichten noch mehr in die Länge zu ziehen.

***

Angetrieben von ihrer wachsenden Beliebtheit als Live-Act und ihrem neuen Deal mit Charisma, begaben sich Genesis im Juni 1970 in die Trident Studios, um ihr erstes Album für die neue Firma einzuspielen. Trident, im Herzen Sohos gelegen, war von Norman und Barry Sheffield gebaut worden und hatte binnen zweier Jahre bereits eine feine Reputation erlangt. Es war eines der ersten Londoner Studios, das mit einem Achtspur-Aufnahmegerät aufwarten konnte. Die Beatles hatten einst für kurze Zeit Abbey Road den Rücken gekehrt, um Teile des Weißen Albums hier aufzunehmen, wobei vor allem die damalige Single „Hey Jude“, die sie am 31. Juli 1968 im Trident einspielten, herausragte. Außerdem entstand hier David Bowies „Space Oddity“ und Marc Bolans Frühwerk mit Tyrannosaurus Rex.

Stratton-Smith mochte an Trident seine entspannte Einstellung in puncto Aufnahmen, das topmoderne Equipment, die Anpackermentalität des Studio-Teams und natürlich die Nähe zu seinen bevorzugten Tränken in Soho. Die Gruppe, die von John Anthony betreut wurde, der wiederum von Robin Cable unterstützt wurde, konzentrierte sich auf das Material, das sie im Cottage geschrieben hatte, wobei sie sich die Highlights aus den mittlerweile eineinhalb Stunden Musik, an der sie auf Tour gefeilt hatte, aussuchen konnte. Es war nicht so, dass sich die Gruppe – wie Phillips es ausdrückte – von einem „faulen Ei“ losgesagt hätte, indem sie sich von Jonathan King getrennt hatte. Außerdem würde man ja erneut mit einem Produzenten arbeiten müssen. Sie zogen es in Betracht, ein paar alten Stücken, die sie hinter sich gelassen hatten, noch eine Chance zu geben, aber sie standen unter Zeitdruck.

„Trespass war unser erstes Album als Band. From Genesis To Revelation war im Prinzip einfach ein paar Kids während der Sommerferien“, sollte Mike Rutherford später sagen. Es sollte das einzige ihrer Alben werden, das sie als Ganzes vor der Veröffentlichung live gespielt hatten. Gabriel nahm sich bereits damals so viel Zeit wie möglich, um die bestmögliche Performance abzuliefern: „Im Studio war er nicht langsam, weil er etwa faul gewesen wäre“, meinte Phillips. „Er nahm sich einfach nur die Zeit, um den richtigen Sound hinzubekommen. Der Rest von uns, vor allem Tony und ich, war ungeduldiger. Peter brauchte seinen Freiraum, um seinen Ideen genügend Zeit zu widmen und um seinen Eingebungen nachgehen zu können, was ihm ermöglichte, ein paar sehr originelle Arrangements beizusteuern.“

Als das Album unter Dach und Fach war, suchten Genesis erneut personelle Schwierigkeiten heim. Und dieses Mal war das Schisma besonders ernst. „Nach den Aufnahmesessions fühlte ich mich ein bisschen wie ein Zombie“, sagte Phillips 2007. „Und als wir dann auf Tour gingen, fühlte ich mich wie ausgebrannt, komplett leer. Ich war zwar noch kein Wrack, aber ich war nicht mehr mit dem Herzen bei der Sache. Ich konnte mich einfach nicht mehr motivieren.“ Er hatte an Drüsenfieber gelitten und im Anschluss an einer Bronchopneumonie, was zweifellos mit der Intensität seiner Arbeit und mit seiner Sensibilität zu tun hatte. Er war kein geborener Performer und litt unter Lampenfieber. Phillips wollte die Band verlassen. Es war einfach genug.

 

Die Band war tief getroffen und überrascht, da ihre harte Arbeit endlich Früchte zu tragen schien. Außerdem gehörte Phillips zum absoluten Kern der Band. Er hatte an der Schule bereits mit The Anon gespielt, als Banks, Rutherford und Gabriel gerade ihre ersten Gehversuche wagten.

„Die Band trat am Hackney Technical College auf und Ant drehte durch“, seufzt Macphail. „Niemand war gekommen und er flippte aus. Er hatte Drüsenfieber und schmiss alles hin. Er ist seitdem nie wieder auf einer Bühne gestanden. Er geht immer noch total in der Musik auf, aber er ist nie wieder aufgetreten.“ Anthony Phillips’ letzte Show fand vor ungefähr 25 Menschen im King’s Arms in Hayward’s Heath, Sussex, am 18. Juli 1970 statt. Er hatte mehr als 60 Gigs mit Genesis absolviert. Es war wie das Ende einer Ära.

„Das war bis jetzt der schwerste Rückschlag“, sagte Gabriel im Mai 1971 in ZigZag. „Er ging nicht gern auf Tour. Es machte ihn nervös, wenn er vor Leuten spielen musste – und er dachte, dass wir stagnierten, weil wir Abend für Abend dieselben Nummern spielten. Aber es ergibt sich einfach nicht die Gelegenheit, das Repertoire zu erweitern, wenn man in unserer Lage ist.“ Die Band stand unter Schock und zog es kurz in Erwägung, sich aufzulösen – so wie nach der Reaktion auf From Genesis To Revelation im Jahr zuvor. „Als Anthony Phillips die Band verließ, wollte ich eigentlich ebenfalls aussteigen“, erzählte Banks fünf Jahre später in Sounds. „Aber man begreift rasch, dass man realistisch sein muss – dass es weitergehen muss. Was bringt es denn, alles hinzuschmeißen?“

Phillips Abschied zog enorme Konsequenzen nach sich. „Es hätte unser Ende bedeuten können, da er so wichtig war“, erinnert sich Macphail. „Einer seiner letzten Gigs war im Marquee und wir mussten durch diesen kleinen Hof. Ich war im Van mit Peter, Mike und Tony, wo sie diskutierten, ob sie weitermachen sollten oder nicht. Für mich war das keine Frage: Sie mussten weitermachen und einen Ersatzmann für Ant finden. Sie waren zu gut, um aufzugeben. Ich sagte ihnen das auch. Sie teilten mir später mit, dass genau das der Moment gewesen sei, als sie entschieden hätten weiterzumachen. Es hatte ihnen das Selbstvertrauen gefehlt, das ich ihnen unbewusst vermittelt hatte. Es war auch der Zeitpunkt, als Tony sagte, dass sie einen neuen Drummer bräuchten, wenn sie zusammenbleiben wollten.“

Anthony Phillips blieb ein enger Freund der restlichen Formation. Er studierte klassische Komposition und sollte schließlich 1977 mit The Geese And The Ghost ein rätselhaftes Soloalbum veröffentlichen, das sich aus Material zusammensetzte, das er und Rutherford 1969 im Christmas Cottage geschrieben hatten. Phil Collins sang auf zwei der Tracks und Steve Hacketts Bruder John spielte Flöte. Außerdem spielte Phillips Gitarre auf den ersten Demos, die Gabriel nach seinem Ausstieg bei Genesis 1975 aufnahm. „Es ist unglaublich. Er schaffte eine sehr gute Karriere als Songwriter, obwohl mehr nie wer was von ihm gehört hatte“, sagt Macphail. „Er hat ein Heimstudio eingerichtet und sein Ding durchgezogen. Aber mit einer Band auf Tour zu gehen, war wirklich nicht nach seinem Geschmack.“

***

Genesis nutzten die Gelegenheit, um einen klaren Strich zu ziehen. Da er spürte, dass Veränderung definitiv nötig war, unterstützte Gabriel den Vorschlag von Banks, Mayhew, der nie wirklich zur Gruppe gepasst hatte, den Laufpass zu geben. Seine Verabschiedung kam nicht gänzlich überraschend – und da Genesis in ihrer kurzen Existenz bereits genügend Schlagzeuger verbraucht hatten, hatten sie sich nicht allzu sehr auf ihn eingelassen. Gabriel und Rutherford feuerten ihn in einem Café im Londoner West End. Gabriel übernahm den Großteil des Redens. Wie Mayhew später erwähnte: „Die Nachrichten übermittelte er auf seine typische, stotternde Art, aber er tat es sehr würdevoll. Er sagte: ‚John, ich denke, es ist an der Zeit, dass du die Band verlässt.‘“ Gabriel sprach 2011 mit Al-Jazeera über einen der Gründe für den Rauswurf: Mayhew war ein langsamer Lerner und hatte selbst zugegeben, kein Naturtalent an den Drums zu sein.

Mayhew spielte weiterhin professionell bis Mitte der Achtziger, als er sich zum Kulissenmaler und Möbelbauer umschulen ließ sowie zuerst nach Neuseeland und dann nach Australien emigrierte. Er starb 2001.

Trespass sollte im Herbst von Charisma veröffentlicht werden und es war an der Zeit, potenziellen neuen Bandmitgliedern auf den Zahn zu fühlen. Gabriel und die Band begriffen, dass es für die Aggressivität, die sie während des stürmischen Schlussparts von „The Knife“ transportieren wollten, einen furchtlosen Vollblut-Drummer bräuchten.

***

Der ehemalige Kinderdarsteller und Flaming-Youth-Drummer Phil Collins schloss sich Genesis im August 1970 an, nachdem er sich auf eine Anzeige im Melody Maker gemeldet hatte. In der Anzeige stand, dass Tony Stratton-Smith auf der Suche war nach einem „Drummer, der das Gefühl für akustische Musik und zwölfsaitige Gitarren mitbringt“.

Als er bei Flaming Youth spielte, hatte Collins zu seinem Manager gesagt, dass Genesis ständig auftreten würden und seine Band fast gar nicht. Ruhelos bewarb er sich bei Bands wie Manfred Mann Chapter Three und Dada. Er kannte Stratton-Smith aus dem Marquee, wo er für freien Einlass mit den Stühlen half, und aus dem Russell Hotel, was ein beliebter Treffpunkt für Musiker war. Er fragte Stratton-Smith nach der Band, die auf der Suche nach einem Drummer sei. Er erfuhr, dass sie ziemlich wählerisch seien. Strat sagte ihm, dass er ihn der Band nicht aufdrängen würde können, aber ihm ein Vorspielen beschaffen könnte. In Begleitung von Ronnie Caryl, der bei Flaming Youth Gitarre spielte, tauchte Collins zu dem Vorspielen auf der Deep Pool Farm auf. „Wir fuhren in Ronnies Morris Minor dorthin. Das Schlagzeug hinten, rollten wir all diese dreispurigen Fahrbahnen nach Chobham entlang“, erzählte er in Genesis: Chapter And Verse. „Da ich aus Hounslow stammte, war es für mich, als würde ich von Harlem aus plötzlich die Fifth Avenue runterfahren.“ Gabriel, der alte Schlagzeuger, hatte sich eine Reihe von Tests für den potenziellen Drummer ausgedacht. Insgesamt waren 15 Jungs vor Ort, weshalb Gabriel Collins und Caryl sagte, dass sie doch, solange sie warten müssten, ein Bad im Pool nehmen sollten. Während das Vorspielen vonstattenging und man vom Innenhof aus gut mithören konnte, absorbierte Collins, was die anderen Drummer spielten, damit er, wenn er an die Reihe käme, bereits wüsste, was man von ihm erwartete. Collins erinnert sich, dass er aufgrund der Harmonien, die er hörte, einen starken Einfluss von Crosby, Stills & Nash ausmachen konnte. Obwohl er Genesis zuerst für „ein Haufen Noel Cowards“ gehalten hatte, bekam er den Job. Rutherford hatte anfangs noch Bedenken, aber Banks und Gabriel sprachen sich für ihn aus: „Ich war vom ersten Moment an überzeugt“, sagte Gabriel 2005. „Ich wusste es bereits, als sich Phil hinter das Schlagzeug setzte. Bevor er auch nur irgendetwas gespielt hatte, wusste ich, dass er ein Typ wäre, der alles unter Kontrolle haben würde, weil er so selbstbewusst war. Es war, als würde man einen Jockey auf einem Pferd sitzen sehen.“ Er fügte hinzu: „Ich hatte viel Spaß dabei, den Drummern zu erklären, was sie zu tun hätten. Als Phil hereinkam, hörte das auf.“

Collins war aus einem ganz anderen Holz geschnitzt als die restliche Gruppe. Geboren am 30. Januar 1951 in West London, war er in puncto seines sozialen Hintergrundes Welten von seinen neuen Bandkameraden entfernt. Sein Vater arbeitete in der City und seine Mutter betrieb ein Spielzeuggeschäft. Er hatte im Alter von fünf zu trommeln begonnen und war in Oliver Twist am Londoner West End aufgetreten. Außerdem hatte er noch als Statist in A Hard Day’s Night und Chitty Chitty Bang Bang mitgewirkt. Seine unkomplizierte, liebenswürdige und extrovertierte Persönlichkeit stand im starken Kontrast zu den Jungs von der Privatschule, was sich auf alle Beteiligten positiv auswirken sollte. „Durch Phils Einstieg kehrte die Leichtigkeit zu uns zurück. Es machte Spaß, mit ihm zu spielen“, sollte Gabriel sagen. „Er war ein echter Drummer – etwas, von dem ich bei Chris Stewart oder John Mayhew nie überzeugt gewesen war. Bis dahin waren wir eine Gruppe von eher biederen Musikern gewesen, die große Mühe hatten, sich durch ihre Musik auszudrücken. Phil veränderte unsere Einstellung und brachte uns als Band näher zusammen.“

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