Grundgedanken über Krieg und Kriegführung

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Grundgedanken über Krieg und Kriegführung
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Carl von Clausewitz

Grundgedanken über Krieg und Kriegführung

Wesen und Ziel des Krieges

Kriegskunst und Theorie

Kriegerische Tugenden. Heer und Feldherr

Kriegsplan. Numerische Überlegenheit. Friktion im Kriege. Ungewissheit der Nachrichten

Operationsbasis. Märsche. Festungen. Gebirgskrieg

Das Gefecht. Verluste. Reserven. Die Hauptschlacht. Sieg und Verfolgung

Die verlorene Schlacht und der Rückzug

Verteidigung und Angriff

Betrachtungen und Ausblicke

Nachwort

Wesen und Ziel des Krieges

Der Krieg ist nichts als die fortgesetzte Staatspolitik mit anderen Mitteln.

Seit Napoleon Bonaparte1 hat sich der Krieg, indem er zuerst auf der einen Seite, dann auch auf der anderen wieder Sache des ganzen Volkes wurde, seiner wahren Natur, seiner absoluten Vollkommenheit sehr genähert.

Der Krieg ist ein erweiterter Zweikampf. Jeder sucht den andern durch physische Gewalt zur Erfüllung seines Willens zu zwingen.

Der Krieg ist ein Akt der Gewalt, und es gibt in der Anwendung der Gewalt keine Grenzen.

Die Gewalt rüstet sich mit den Erfindungen der Wissenschaften aus, um der Gewalt zu begegnen. Unmerkliche, kaum nennenswerte Beschränkungen, die sie sich selbst setzt unter dem Namen völkerrechtlicher Sitte, begleiten sie, ohne ihre Kraft wesentlich zu schwächen.

Menschenfreundliche Seelen könnten leicht denken, es gäbe ein Entwaffnen oder Niederwerfen des Gegners, ohne zu viel Wunden zu verursachen, und das sei die wahre Kriegskunst. Wie gut sich das auch ausnimmt, so muss man diesen Irrtum doch zerstören, denn in so gefährlichen Dingen, wie der Krieg eins ist, sind die Irrtümer, die aus Gutmütigkeit entstehen, gerade die schlimmsten. Wer sich der Gewalt rücksichtslos bedient, bekommt ein Übergewicht, wenn der Gegner anders handelt. So muss man die Sache ansehen, und es ist ein unnützes, sogar verkehrtes Bestreben, aus Widerwillen gegen das rohe Element die Natur des Krieges zu verkennen.

Der Kampf zwischen Menschen besteht aus zwei verschiedenen Elementen: dem feindseligen Gefühl und der feindseligen Absicht. Bei wilden Völkern herrschen die dem Gemüt, bei gebildeten die dem Verstande angehörigen Absichten vor. Allein dieser Unterschied liegt nicht im Wesen von Rohheit und Bildung selbst, sondern in den sie begleitenden Umständen und Einrichtungen. Er ist also nicht in jedem einzelnen Falle notwendig, sondern er beherrscht nur die Mehrheit der Fälle. Mit einem Worte: auch die gebildetsten Völker können gegeneinander leidenschaftlich entbrennen.

Gewalt, physische Gewalt ist das Mittel; dem Feind unseren Willen aufzudringen, der Zweck. Um diesen Zweck sicher zu erreichen, müssen wir den Feind wehrlos machen. Dies ist dem Begriff nach das eigentliche Ziel der kriegerischen Handlung.

Wenn der Gegner unseren Willen erfüllen soll, so müssen wir ihn in eine Lage versetzen, die nachteiliger ist als das Opfer, das wir von ihm fordern. Die Nachteile dieser Lage dürfen aber natürlich, wenigstens dem Anscheine nach, nicht vorübergängig sein, sonst würde der Gegner den besseren Zeitpunkt abwarten und nicht nachgeben. Jede Veränderung dieser Lage durch die fortgesetzte kriegerische Tätigkeit muss zu einer noch nachteiligeren Lage führen, wenigstens in der Vorstellung. Die schlimmste Lage, in die ein Kriegführender geraten kann, ist die gänzliche Wehrlosigkeit.

Nun ist der Krieg nicht das Wirken einer lebendigen Kraft auf eine tote Masse, sondern, weil ein reines Dulden auf der einen Seite kein Krieg wäre, so ist er immer der Stoß zweier lebendiger Kräfte gegeneinander. Solange ich den Gegner nicht niedergeworfen habe, muss ich befürchten, dass er mich niederwirft. Ich bin also nicht Herr meiner selbst, sondern er gibt mir das Gesetz, wie ich es ihm gebe.

Wollen wir den Gegner niederwerfen, so müssen wir unsere Anstrengung nach seiner Widerstandskraft bemessen. Diese drückt sich durch ein Produkt aus, deren Faktoren sich nicht trennen lassen, nämlich: die Größe der vorhandenen Mittel und die Stärke der Willenskraft. Die Größe der vorhandenen Mittel ließe sich bestimmen, da sie – wiewohl nicht ganz – auf Zahlen beruht. Aber die Stärke der Willenskraft lässt sich viel weniger bestimmen und nur etwa nach der Stärke des Beweggrunds schätzen.

Das Gesetz des Äußersten, die Absicht, den Gegner wehrlos zu machen, verschlingt gewissermaßen zunächst den politischen Zweck des Krieges. So wie dieses Gesetz in seiner Kraft nachlässt, diese Absicht von ihrem Ziele zurücktritt, muss der politische Zweck wieder hervortreten. Je kleiner das Opfer ist, das wir von unserm Gegner fordern, um so geringere Anstrengungen dürfen wir von ihm erwarten. Je geringer aber diese sind, umso kleiner dürfen die unsrigen bleiben. Ferner, je kleiner unser politischer Zweck ist, um so geringer wird der Wert sein, den wir auf ihn legen; umso eher werden wir uns gefallen lassen, ihn aufzugeben: also umso kleiner werden auch unsere Anstrengungen sein. So wird der politische Zweck als das ursprüngliche Motiv des Krieges das Maß sowohl für das Ziel, das durch die Kriegsführung erreicht werden muss, als auch für die Anstrengungen, die erforderlich sind.

Je großartiger und stärker die Motive des Krieges sind, je mehr sie das ganze Dasein der Völker umfassen, je gewaltsamer die Spannung ist, die dem Kriege vorhergeht, umso mehr wird der Krieg sich seiner abstrakten Gestalt nähern, umso mehr wird es sich um das Niederwerfen des Feindes handeln, umso mehr fallen das kriegerische Ziel und der politische Zweck zusammen, um so reiner kriegerisch, weniger politisch scheint der Krieg zu sein.

Der Krieg ist unter allen Umständen als kein selbständiges Ding, sondern als ein politisches Instrument zu denken. Nur mit dieser Vorstellungsart ist es möglich, nicht mit der sämtlichen Kriegsgeschichte in Widerspruch zu geraten.

Der Krieg gehört nicht in das Gebiet der Künste und Wissenschaften, sondern in das Gebiet des sozialen Lebens. Er ist ein Konflikt großer Interessen, der sich blutig löst, und nur darin ist er von den anderen verschieden. Besser als mit irgendeiner Kunst ließe er sich mit dem Handel vergleichen, der auch ein Konflikt menschlicher Interessen und Tätigkeiten ist, und viel näher steht ihm die Politik, die ihrerseits wieder als eine Art von Handel in größerem Maßstabe angesehen werden kann.

Der Krieg ist nicht nur ein wahres Chamäleon, weil er in jedem konkreten Falle seine Natur etwas ändert, sondern er ist auch seinen Gesamterscheinungen nach in Beziehung auf die in ihm herrschenden Tendenzen eine wunderliche Dreifaltigkeit, zusammengesetzt aus der ursprünglichen Gewaltsamkeit seines Elements, dem Hass und der Feindschaft, die wie ein blinder Naturtrieb anzusehen sind, aus dem Spiel der Wahrscheinlichkeiten und des Zufalls, die ihn zu einer freien Seelentätigkeit machen, und aus der untergeordneten Natur eines politischen Werkzeugs, durch die er dem bloßen Verstande anheimfällt.

Kriegskunst und Theorie

Mit dem Bestreben, Grundsätze, Regeln oder gar Systeme für die Kriegsführung anzugeben, setzt man sich einen positiven Zweck, ohne die unendlichen Schwierigkeiten gehörig ins Auge zu fassen, die sie in dieser Beziehung hat.

Die Kriegsführung verläuft fast nach allen Seiten hin in unbestimmte Grenzen. Jedes System, jedes Lehrgebäude aber hat die beschränkende Natur einer Synthesis, und damit ist ein nie auszugleichender Widerspruch zwischen einer solchen Theorie und der Praxis gegeben.

Unstreitig gehören die der Kriegskunst zugrunde liegenden Kenntnisse zu den Erfahrungswissenschaften. Denn wenn sie auch größtenteils aus der Natur der Dinge hervorgehen, so muss man doch diese Natur selbst meistens erst durch die Erfahrung kennen lernen. Außerdem aber wird die Anwendung durch so viele Umstände modifiziert, dass die Wirkungen nie aus der bloßen Natur des Mittels vollständig erkannt werden können.

Bei der Ungewissheit aller Daten im Kriege müssen wir uns sagen, dass es eine reine Unmöglichkeit wäre, die Kriegskunst durch ein positives Lehrgebäude wie mit einem Gerüste versehen zu wollen, dass dem Handelnden überall einen äußeren Anhalt gewähren könnte. Der Handelnde würde sich in allen jenen Fällen, wo er auf sein Talent angewiesen ist, außer diesem Lehrgebäude und mit ihm in Widerspruch befinden, und es würde, wie vielseitig dasselbe auch aufgefasst sein möchte, immer dieselbe Folge wieder eintreten, von der wir schon gesprochen haben: dass das Talent und Genie außer dem Gesetze handelt und die Theorie ein Gegensatz zur Wirklichkeit wird.

Historische Beispiele machen alles klar und haben nebenher in Erfahrungswissenschaften die beste Beweiskraft.

Wenn ein Sachverständiger sein halbes Leben darauf verwendet, einen dunklen Gegenstand überall aufzuklären, so wird er wohl weiterkommen als einer, der in kurzer Zeit damit vertraut sein will. Dass also nicht jeder von neuem aufzuräumen und sich durchzuarbeiten brauche, sondern die Sache geordnet und gelichtet finde, dazu ist die Theorie vorhanden. Sie soll den Geist des künftigen Führers im Kriege erziehen, oder vielmehr ihn bei seiner Selbsterziehung leiten, nicht aber ihn auf das Schlachtfeld begleiten.

 

Im Kriege sind die Ideen meist so einfach und naheliegend, dass das Verdienst der Erfindung gar nicht das Talent des Feldherrn ausmachen kann. Die Hauptsache ist die Schwierigkeit der Ausführung. Im Kriege ist alles einfach, aber das Einfache höchst schwierig. Das Kriegsinstrument gleicht einer Maschine mit ungeheurer Friktion, die nicht wie in der Mechanik auf ein paar Punkte zurückgeführt werden kann, sondern überall mit einem Heer von Zufällen im Kontakt ist. Außerdem ist der Krieg eine Tätigkeit im erschwerenden Mittel. Eine Bewegung, die man in der Luft mit Leichtigkeit macht, wird im Wasser sehr schwer. Gefahr und Anstrengung sind die Elemente, in denen sich der Geist im Kriege bewegt. So kommt es denn, dass man immer hinter der Linie zurückbleibt, die man sich gezogen hat, und dass schon keine gewöhnliche Kraft dazu gehört, um nur nicht unter dem Niveau des Mittelmäßigen zu bleiben.

Beim Handeln folgen die meisten einem bloßen Takt des Urteils, der mehr oder weniger gut trifft, je nachdem mehr oder weniger Genie in ihnen ist. So haben alle großen Feldherren gehandelt, und darin liegt zum Teil ihre Größe, dass sie mit diesem Takt immer das Rechte trafen. So wird es für das Handeln auch immer bleiben. Dieser Takt reicht dazu vollkommen hin. Aber wenn es darauf ankommt, nicht selbst zu handeln, sondern in einer Beratung andere zu überzeugen, dann kommt es auf klare Vorstellungen, auf das Nachweisen des inneren Zusammenhanges an.

Alles Handeln im Kriege ist nur auf wahrscheinliche, nicht auf gewisse Erfolge gerichtet. Was an der Gewissheit fehlt, muss überall dem Schicksal oder dem Glück – wie man es nennen will – überlassen bleiben. Es gibt Fälle, wo das höchste Wagen die höchste Weisheit ist.

Man hat früher behauptet, der Krieg sei ein Handwerk. Damit war aber mehr verloren als gewonnen, denn ein Handwerk ist nur eine niedrige Kunst und unterliegt als solche auch bestimmteren und engeren Gesetzen. In der Tat hat sich die Kriegskunst eine Zeitlang im Geiste des Handwerks bewegt, nämlich zur Zeit der Condottieri2. Aber diese Richtung hatte sie nicht nach inneren, sondern nach äußeren Gründen, und wie wenig sie in dieser Zeit naturgemäß und befriedigend war, zeigt die Kriegsgeschichte.

Wenn man auf der einen Seite sieht, wie das kriegerische Handeln so höchst einfach erscheint; wenn man hört und sieht, wie die größten Feldherren sich darüber gerade am einfachsten und schlichtesten ausdrücken, wie das Regieren und Bewegen der aus hunderttausend Gliedern zusammengesetzten schwerfälligen Maschine in ihrem Munde sich nicht anders ausnimmt, als ob von ihrer Person allein die Rede sei, so dass der ganze ungeheure Akt des Krieges zu einer Art von Zweikampf individualisiert wird; wenn man dabei die Motive ihres Handelns bald mit ein paar einfachen Vorstellungen, bald mit irgendeiner Regung des Gemütes in Verbindung gebracht findet; wenn man diese leichte, sichere, man möchte sagen leichtfertige Weise sieht, wie sie den Gegenstand auffassen, und nun von der anderen Seite die große Anzahl von Verhältnissen, die für den untersuchenden Verstand in Anregung kommen; die großen, oft unbestimmten Entfernungen, in die die einzelnen Fäden auslaufen, und die Menge von Kombinationen, die vor uns liegen; wenn man dabei an die Verpflichtung denkt, die die Theorie hat, dies alles systematisch, d. h. mit Klarheit und Vollständigkeit, aufzufassen und das Handeln immer auf die Notwendigkeit des zureichenden Grundes zurückzuführen, so überfällt uns die Besorgnis mit unwiderstehlicher Gewalt, zu einem pedantischen Schulmeistertum hinabgerissen zu werden, in den untersten Räumen schwerfälliger Begriffe herumzukriechen und dem großen Feldherrn in seinem leichten Überblick also niemals zu begegnen. Wenn das Resultat theoretischer Bemühungen von dieser Art sein sollte, so wäre es ebenso gut, oder vielmehr besser, sie gar nicht angestellt zu haben. Sie ziehen der Theorie die Geringschätzung des Talentes zu und fallen bald in Vergessenheit. Und von der andern Seite ist dieser leichte Überblick des Feldherrn, diese einfache Vorstellungsart, diese Personifizierung des ganzen kriegerischen Handelns so ganz und gar der Kern jeder guten Kriegsführung, dass sich nur bei dieser großartigen Weise die Freiheit der Seele denken lässt, die nötig ist, wenn sie über die Ereignisse herrschen und nicht von ihnen überwältigt werden soll.

Die Kriegskunst im eigentlichen Sinne ist die Kunst, sich der gegebenen Mittel im Kampfe zu bedienen. Wir können sie nicht besser als mit dem Namen der Kriegsführung bezeichnen. Dagegen werden allerdings zur Kriegskunst im weiteren Sinne auch alle Tätigkeiten gehören, die um des Krieges Willen da sind, also die ganze Schöpfung der Streitkräfte, d. i. Aushebung, Bewaffnung, Ausrüstung und Übung.

Es ist für die Realität einer Theorie höchst wesentlich, diese beiden Tätigkeiten zu trennen, denn es ist leicht einzusehen, dass, wenn jede Kriegskunst mit der Einrichtung der Streitkräfte anfangen und diese für die Kriegsführung, sowie sie dieselben angegeben, bedingen wollte, sie nur auf die wenigen Fälle anwendbar sein könnte, wo die vorhandenen Streitkräfte dem gerade entsprächen. Will man dagegen eine Theorie haben, die für die große Mehrzahl der Fälle geeignet, für keinen aber ganz unbrauchbar sei: so muss sie auf die große Mehrheit der gewöhnlichen Streitmittel, und bei diesen auch nur auf die wesentlichsten Resultate gebaut sein.

Die Kriegsführung ist also die Anordnung und Führung des Kampfes. Wäre dieser Kampf ein einzelner Akt, so würde kein Grund zu einer weiteren Einteilung sein. Allein der Kampf besteht aus einer mehr oder weniger großen Zahl einzelner in sich geschlossener Akte, die wir Gefechte nennen und die neue Einheiten bilden. Daraus entspringt nun die ganz verschiedene Tätigkeit, diese einzelnen Gefechte in sich anzuordnen und zu führen, und sie unter sich zum Zweck des Krieges zu verbinden. Das eine ist die Taktik, das andere die Strategie genannt worden.

Es ist also nach unserer Einteilung die Taktik die Lehre vom Gebrauch der Streitkräfte im Gefecht, die Strategie die Lehre vom Gebrauch der Gefechte zum Zweck des Krieges.

Kriegerische Tugenden. Heer und Feldherr

Der Krieg ist ein bestimmtes Geschäft. Und wie allgemein auch seine Beziehung sei, und wenn auch alle waffenfähigen Männer eines Volkes dasselbe trieben, so bliebe es doch immer ein solches: verschieden und getrennt von den übrigen Fähigkeiten, die das Menschenleben in Anspruch nehmen.

Vom Geiste und Wesen dieses Geschäfts durchdrungen sein, – die Kräfte, die in ihm tätig sein sollen, in sich üben, erwecken und aufnehmen, – das Geschäft mit dem Verstand ganz durchdringen, – durch Übung Sicherheit und Leichtigkeit in ihm gewinnen, – ganz darin aufgehen, – aus dem Menschen übergehen in die Rolle, die uns darin angewiesen wird: das ist die kriegerische Tugend des Heeres in jedem einzelnen.

Die kriegerische Tugend ist für die Teile überall, was das Genie des Feldherrn für das Ganze ist.

Je mehr ein Feldherr gewohnt ist, von seinen Soldaten zu fordern, umso sicherer ist er, dass die Forderung geleistet wird. Der Soldat ist ebenso stolz auf überwundene Mühseligkeiten als auf überstandene Gefahren. Aber nur im Boden einer beständigen Tätigkeit und Anstrengung gedeiht dieser Keim, auch nur im Sonnenlicht des Sieges.

Wenn wir ein rohes Volk betrachten, so ist ein kriegerischer Geist unter den einzelnen Menschen viel gewöhnlicher als bei den gebildeten Völkern, denn bei jenen besitzt ihn fast jeder einzelne Krieger, während bei den gebildeten eine ganze Masse nur durch die Notwendigkeit und keineswegs durch inneren Trieb mit fortgerissen wird. Aber unter rohen Völkern findet man nie einen eigentlich großen Feldherrn und äußerst selten, was man ein kriegerisches Genie nennen kann, weil dazu eine Entwicklung der Verstandeskräfte erforderlich ist, die ein rohes Volk nicht haben kann.

Der Krieg ist das Gebiet der Gefahr. Es ist also Mut vor allen Dingen die erste Eigenschaft des Kriegers.

Der Mut ist doppelter Art: einmal Mut gegen die persönliche Gefahr, und dann Mut gegen die Verantwortlichkeit, sei es vor dem Richterstuhl irgendeiner äußeren Macht, sei es vor dem einer inneren, nämlich des Gewissens.

Der Mut gegen die persönliche Gefahr ist wieder doppelter Art. Erstens kann er Gleichgültigkeit gegen die Gefahr sein. Sei es, dass sie aus dem Organismus des Individuums oder aus Geringschätzung des Lebens oder aus Gewohnheit hervorgehe, in diesen Fällen ist der Mut als ein bleibender Zustand anzusehen.

Zweitens kann er aus positiven Motiven hervorgehen, wie Ehrgeiz, Vaterlandsliebe, Begeisterung jeder Art. In diesem Fall ist der Mut nicht sowohl ein Zustand als eine Gemütsbewegung, ein Gefühl.

Es ist begreiflich, dass beide Arten von verschiedener Wirkung sind. Die erste Art ist sicherer, weil sie, zur zweiten Natur geworden, den Menschen nie verlässt; die zweite führt oft weiter. Der ersteren gehört mehr die Standhaftigkeit, der zweiten mehr die Kühnheit an. Die erste lässt den Verstand nüchterner, die zweite steigert ihn zuweilen, verblendet ihn aber auch oft. Beide vereinigt geben die vollkommenste Art des Mutes.

Der Krieg ist das Gebiet körperlicher Anstrengungen und Leiden. Um dadurch nicht zugrunde gerichtet zu werden, bedarf es einer gewissen Kraft des Körpers und der Seele, die, angeboren oder eingeübt, gleichgültig dagegen macht. Mit diesen Eigenschaften, unter der bloßen Führung des gesunden Verstandes, ist der Mensch schon ein tüchtiges Werkzeug für den Krieg, und diese Eigenschaften sind es, die wir bei rohen und halb kultivierten Völkern so allgemein verbreitet antreffen.

Die Kühnheit ist vom Trossknecht3 bis zum Feldherrn hinauf die edelste Tugend, der rechte Stahl, der der Waffe ihre Schärfe und ihren Glanz gibt.

Der Geist der Kühnheit kann in einem Heer zu Hause sein, entweder weil er es im Volke ist oder weil er sich in einem glücklichen Kriege unter kühnen Führern erzeugt hat.

Je höher wir unter den Führern hinaufsteigen, desto notwendiger wird es, dass der Kühnheit ein überlegender Geist zur Seite trete, dass sie nicht zwecklos, nicht ein blinder Stoß der Leidenschaft sei. Denn immer weniger betrifft es die eigene Aufopferung, immer mehr knüpft sich die Erhaltung anderer und die Wohlfahrt eines großen Ganzen daran. Was also bei dem großen Haufen die zur zweiten Natur gewordene Dienstordnung regelt, das muss in dem Führer die Überlegung regeln, und hier kann die Kühnheit einer einzelnen Handlung schon leicht zum Fehler werden. Aber dennoch bleibt es ein schöner Fehler, der nicht angesehen werden darf wie jeder andere. Wohl dem Heer, wo sich unzeitige Kühnheit häufig zeigt! Es ist ein üppiger Auswuchs, aber der Zeuge eines kräftigen Bodens. Selbst die Tollkühnheit, d. h. die Kühnheit ohne allen Zweck, ist nicht mit Geringschätzung anzusehen. Im Grunde ist es dieselbe Kraft des Gemüts, nur ohne alles Zutun des Geistes, in einer Art von Leidenschaft ausgeübt. Nur wo die Kühnheit sich gegen den Gehorsam auflehnt, wo sie einen ausgesprochenen höheren Willen geringschätzend verlässt: da muss sie, nicht um ihrer selbst willen, sondern wegen des Ungehorsams, wie ein gefährliches Übel behandelt werden; denn nichts geht im Kriege über den Gehorsam.

Der Mut ist immer das erste Element im Krieger, aber er erhält sich in den höheren Regionen großer Verantwortlichkeit nur dann, wenn ihn ein kräftiger Kopf unterstützt. Darum gelangen von so vielen braven Soldaten so wenige dazu, mutige und unternehmende Feldherren zu sein.

Die Kühnheit hat im Kriege eigene Vorrechte. Über den Erfolg des Kalküls mit Raum, Zeit und Größe hinaus müssen ihr noch gewisse Prozente zugestanden werden, die sie jedes Mal, wo sie sich überlegen zeigt, aus der Schwäche der anderen zieht. Sie ist also eine wahrhaft schöpferische Kraft. Das ist selbst philosophisch nicht schwer nachzuweisen. Sooft die Kühnheit auf die Zaghaftigkeit trifft, hat sie notwendig die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs für sich, weil Zaghaftigkeit schon ein verlorenes Gleichgewicht ist. Nur wo sie auf besonnene Vorsicht trifft, die, man möchte sagen, ebenso kühn, in jedem Falle ebenso stark und kräftig ist als sie selbst, muss sie im Nachteil sein. Das sind aber die seltenen Fälle. In der ganzen Schar der Vorsichtigen gibt es eine ansehnliche Mehrheit, die es aus Furchtsamkeit ist.

 

Solange eine Truppe voll guten Muts mit Lustigkeit und Leichtigkeit kämpft, ist für den Feldherrn selten Veranlassung da, große Willenskraft in der Verfolgung seiner Zwecke zu zeigen. Sowie aber die Umstände schwierig werden, und das kann, wo Außerordentliches geleistet werden soll, nie ausbleiben, so geht die Sache nicht mehr von selbst wie mit einer gut eingeölten Maschine, sondern die Maschine selbst fängt an, Widerstand zu leisten, und diesen zu überwinden, dazu gehört die große Willenskraft des Führers.

Kriegsgewohnheit kann kein Feldherr seinem Heer geben, und schwach ist der Ersatz, den Friedensübungen gewähren, schwach im Vergleich mit der wirklichen Kriegserfahrung, aber nicht im Vergleich mit einem Heer, bei dem auch diese Übungen nur auf mechanische Kunstfertigkeiten gerichtet sind. Die Übungen des Friedens so einzurichten, dass ein Teil jener Friktionsgegenstände darin vorkomme, dass das Urteil, die Umsicht, selbst die Entschlossenheit der einzelnen Führer geübt werde, dies ist von viel größerem Wert, als die glauben, die den Gegenstand nicht aus Erfahrung kennen. Es ist unendlich wichtig, dass der Soldat, hoch oder niedrig, auf welcher Stufe er auch stehe, diejenigen Erscheinungen des Krieges, die ihn beim ersten Mal in Verwunderung und Verlegenheit setzen, nicht erst im Kriege zum ersten Mal sieht. Sind sie ihm früher nur ein einziges Mal vorgekommen, so ist er schon halb damit vertraut. Das bezieht sich selbst auf körperliche Anstrengungen. Sie müssen geübt werden, weniger, dass sich die Natur, als dass sich der Verstand daran gewöhne. Im Kriege ist der neue Soldat sehr geneigt, ungewöhnliche Anstrengungen für Folgen großer Fehler, Irrungen und Verlegenheiten in der Führung des Ganzen zu halten und dadurch doppelt niedergedrückt zu werden. Dies wird nicht geschehen, wenn er bei Friedensübungen darauf vorbereitet wird.

Ein anderes, weniger umfassendes, aber doch höchst wichtiges Mittel, die Kriegsgewohnheit im Frieden zu gewinnen, ist das Heranziehen kriegserfahrener Offiziere anderer Heere. Selten ist in Europa überall Frieden, und nie geht der Krieg in den anderen Weltteilen aus. Ein Staat, der lange im Frieden ist, sollte also stets suchen, von diesen Kriegsschauplätzen sich einzelne Offiziere, aber freilich nur solche, die gut gedient haben, zu verschaffen, oder von den seinigen einige dahin zu schicken, damit sie den Krieg kennen lernen.

Wie gering auch die Anzahl solcher Offiziere zur Masse eines Heeres erscheinen möge, so ist doch ihr Einfluss sehr fühlbar. Ihre Erfahrungen, die Richtung ihres Geistes, die Ausbildung des Charakters wirken auf ihre Untergebenen und Kameraden.

Nicht immer bringt es ein gewöhnlicher Mensch im Gefecht bis zur völligen Unbefangenheit und zur natürlichen Elastizität der Seele, und so mag man denn erkennen, dass mit Gewöhnlichem hier wieder nicht auszureichen ist, was umso wahrer wird, je größer der Wirkungskreis ist, der angeführt werden soll. Enthusiastische, stoische, angeborene Bravour, gebieterischer Ehrgeiz, auch lange Bekanntschaft mit der Gefahr, viel von alledem muss da sein, wenn nicht alle Wirkung in diesem erschwerenden Mittel hinter dem Maß zurückbleiben soll, das auf dem Zimmer als ein gewöhnliches erscheinen mag.

Wie sorgfältig man sich auch den Bürger neben dem Krieger in einem und demselben Individuum ausgebildet denken, wie sehr man sich die Kriege nationalisieren, und wie weit man sie sich in eine Richtung hinausdenken möge, entgegengesetzt derjenigen der ehemaligen Condottieri4: niemals wird man die Individualität des Geschäftsganges aufheben können, und wenn man das nicht kann, so werden auch immer diejenigen, die es treiben, und solange sie es treiben, sich als eine Art von Innung ansehen, in deren Ordnungen, Gesetzen und Gewohnheiten sich die Geister des Krieges vorzugsweise fixieren. Und so wird es auch in der Tat sein. Man würde also bei der entschiedensten Neigung, den Krieg vom höchsten Standpunkt aus zu betrachten, sehr unrecht haben, den Innungsgeist mit Geringschätzung anzusehen, der mehr oder weniger in einem Heer vorhanden sein muss.

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