Wie die Swissair die UBS rettete

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Wie die Swissair die UBS rettete
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Bernhard Weissberg

Der Verlag Hier und Jetzt wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016–2020 unterstützt.

Dieses Buch ist nach den aktuellen Rechtschreibregeln verfasst. Quellenzitate werden jedoch in originaler Schreibweise wiedergegeben. Hinzufügungen sind in [eckigen Klammern] eingeschlossen, Auslassungen mit […] gekennzeichnet.

Lektorat: Rachel Camina, Hier und Jetzt

Gestaltung und Satz: Simone Farner, Naima Schalcher, Zürich

Bildbearbeitung: Benjamin Roffler, Hier und Jetzt

Druck und Bindung: Kösel GmbH, Altusried-Krugzell

ISBN Druckausgabe 978-3-03919-494-0

ISBN E-Book 978-3-03919-956-3

E-Book-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

© 2019 Hier und Jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte GmbH, Baden, Schweiz

www.hierundjetzt.ch

Inhalt

Vorwort

Prolog

Das Grounding der Swissair

Der Zahlen-Riese

Die Schweiz AG

Der Sturz

Der Mann mit der Mappe

Scheitern mit Ankündigung

Chaos im Bundeshaus

Whisky Time

Das Grounding

Schwarzer Peter

Das Ende der Ikone

In der Krise wird alles anders Kaspar Villigers Sicht

Die Rettung der UBS

Die Schlange

Warner in den Bergen

Blind in die Krise

Die gefallenen Banker

Der Bundesrat wird aktiv

Die Kapitulation

Die Analogie zur Weltwirtschaftskrise 1929 Barry Eichengreens Sicht

Wie die Swissair half, die UBS zu retten

Der Schweizer Weg

The Missing Link

Erfolgsfaktor Kommunikation

Aus der Geschichte gelernt?

Die beiden Krisen im Bild

Nachwort

Gesprächsprotokolle

Anhang

Vorwort

Am 16. Oktober 2008 wacht die Schweiz auf und erschrickt: Die grösste Schweizer Bank, die UBS, muss vom Staat gerettet werden. Das melden die Medien. Grund sei die «Verschlechterung der Märkte» und die «zunehmende Verunsicherung», wie CEO Marcel Rohner an einer Telefonkonferenz frühmorgens an jenem Tag sagt. Man habe nun gemeinsam mit der Schweizerischen Nationalbank eine Lösung gefunden.

Rohners bügelfreie Aussagen sind in Wahrheit ein unschönes Geständnis: Die Bank mit Hauptsitz an der Zürcher Bahnhofstrasse steht vor der Zahlungsunfähigkeit. Verschiedene Divisionen haben sich unabhängig voneinander mit Hypothekenpapieren in den USA ins Elend spekuliert. Weil der Bank nun das dringend benötigte Kapital fehlt, muss sie der Bund retten. Offiziell nennt sich das «Stabilisierung» – es klingt etwas gnädiger.

Die Öffentlichkeit jedoch lässt sich nicht täuschen: «UBS auf Betteltour» schreibt der am gleichen Tag erscheinende Blick am Abend, «Staat muss UBS retten» titelt der Blick am nächsten Tag. Nur die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) bleibt rücksichtsvoll gegenüber der Finanzwirtschaft. Sie vermeidet es, die Marke UBS im Titel überhaupt zu nennen, und überschreibt ihre Darstellung der Ereignisse mehr als sachlich: «Staatliches Hilfspaket für den Finanzplatz».

Damit endet schon zum zweiten Mal innerhalb eines Jahrzehnts der Versuch von Schweizer Managern, ihre Firma an die Weltspitze zu katapultieren. «Wir möchten in der Weltliga der Finanzindustrie an vorderster Front mitspielen», kündigt 1997 der neue CEO Marcel Ospel vollmundig an, als er seinen Basler Bankverein (SBV) mit der Bankgesellschaft (SBG) aus Zürich zur UBS zusammenschliesst. Und Ospel kauft deshalb kräftig zu, vor allem in den USA: den Asset Manager GAM im Jahr 1999, den Vermögensverwalter PaineWebber im Jahr 2000, vier Jahre später die Kapitalmarktdivision von Charles Schwab.

Ebenfalls im Jahr 1997 beschliessen die Führungsgremien einer anderen Schweizer Firma, der Swissair, eine Strategie namens «Hunter»: Die Schweizer Airline-Manager wollen auch zukaufen, in ihrem Fall viele kleine und mittlere Fluggesellschaften, um in der Europaliga, also gegen British Airways und Lufthansa, mithalten zu können. Geplanter langfristiger Effekt: Die Swissair soll ein attraktiver Partner für eine der grossen US-Airlines werden. Zusammen würde man eine weltweit führende Allianz bilden.

Zwei Mal innerhalb von zehn Jahren enden diese Weltmachtspläne im Desaster: bei der Swissair 2001 im Grounding, und auch die UBS steht sieben Jahre später vor dem Abgrund. Beide Male lässt ein Grossereignis in den USA die schwelende Krise ausbrechen. Beide Male müssen die Chefs an der Spitze gehen. Und beide Male ist die Nachfolge-Crew zu wenig stark, um ihr Unternehmen alleine vor dem Untergang zu retten. Zwei Mal wird der Staat dadurch gezwungen, einzugreifen.

Es gibt allerdings einen Unterschied: Der erste Fall, die Swissair-Krise, erwischt die Regierung auf dem linken Fuss. Sie ist unvorbereitet, auch weil Bundesrat und Chefbeamte hoffen, dass «die Wirtschaft» ihr Problem selbst löst. Das zweite Mal hingegen, im Fall UBS, sind die Politiker zwar weiterhin passiv, aber die Verwaltung ist inzwischen gerüstet und mehr als gewillt, nicht noch einmal in ein Debakel hineinzuschlittern.

Beide Unternehmen sind heute kleiner, schlanker – und vor allem erfolgreicher. Die UBS ist dank der Konzentration auf ihre Kernkompetenzen grösster Vermögensverwalter der Welt, die Swiss als Teil der Lufthansa mit zweistelligen Umsatzrenditen der grösste Gewinnbringer im deutschen Luftfahrtkonzern. Beide Firmen wollen sich die führende Stellung nun nicht erkaufen, sondern erarbeiten.

Zwei Krisen also. Doch wie kommt es überhaupt zu einer Krise? Und vor allem: Wie geht man sie an? Wie kommt man aus ihr heraus? Wer hilft – und wer nicht? Gibt es Netzwerke, die nützen, solche, die schaden? Und fast noch wichtiger: Gibt es griffige Rezepte aus der Geschichte? Oder anders formuliert: Was kann man aus der Geschichte für die Bewältigung von Krisen lernen?

Diese Fragen standen am Anfang des Buchs.1 Dabei bildeten die zwei Krisen, welche die Schweiz in den Nullerjahren beschäftigten, das Zentrum der Überlegungen: das Grounding der Swissair 2001 und die Rettung der taumelnden UBS im Jahr 2008. Die Schlüsselfrage war, ob es eine Beziehung zwischen diesen beiden Ereignissen gibt, und wenn ja, welche. Anders gesagt: Hat das Grounding der Swissair die Rettung der UBS beeinflusst? Barry Eichengreen ist Ökonom und Politikwissenschaftler. Der Amerikaner lehrt als Professor an der Berkeley-Universität nahe San Francisco. Eichengreen analysierte nach der Finanzkrise das Krisenmanagement. Er zeigt auf, dass sich Handelnde in Momenten, in denen wenig Zeit ist – in Krisen ist das fast immer der Fall –, mit Analogien aus der Geschichte behelfen, dass sie also zum Beispiel auf frühere Krisen zurückblicken, um daraus Lehren zu ziehen. Das alleine allerdings reicht oft nicht aus, sagt Eichengreen. Aber Einfluss auf die Gegenwart und die Zukunft hat der Blick zurück alleweil.

Dies gilt auch für die zwei hier geschilderten Krisen in der Schweiz, das sei schon jetzt gesagt: Ja, die Swissair-Krise hatte Einfluss auf die Art und Weise, wie die Stabilisierung der UBS angegangen wurde. Aber der Weg dorthin war nicht mühelos und die Schlussfolgerungen nicht immer eindeutig. Um herauszufinden, wie stark der Bezug der Ereignisse zueinander ist, reicht es nicht, die heute zugänglichen Akten zu studieren. Es braucht den Zugang über mündliche Quellen, über die Nacherzählung von Beteiligten. Sechs von ihnen waren bereit, Auskunft zu geben. Andere der damals Handelnden wollten die Zeitreise zurück nicht mitmachen. Der Dank gilt deshalb den sechs Herren, die sich der Erinnerung stellten. Zwei waren bei beiden Ereignissen in massgeblichen Rollen mit dabei: Peter Kurer, Anwalt und General Counsel der UBS im Jahr 2001 und sieben Jahre später, im Jahr 2008, Verwaltungsratspräsident der Grossbank. Peter Siegenthaler war in beiden Krisen Leiter der Finanzverwaltung der Eidgenossenschaft, also oberster Finanzchef des Bundes. Wichtige Auskunft gaben des Weiteren Alt-Bundesrat Kaspar Villiger, ungewollt mit dabei im Zentrum der Swissair-Krise, und René Lüchinger, der den Untergang der Swissair als Publizist und Chronist ganz nah begleitete. In der UBS-Krise in wichtigen Rollen tätig waren Philipp Hildebrand, damals Vizepräsident der Schweizerischen Nationalbank, und Daniel Zuberbühler, Direktor der Eidgenössischen Bankenkommission, der damaligen Aufsichtsbehörde über die Banken und Vorgängerin der heutigen Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht Finma.

 

Die Leserinnen und Leser sollten sich bei der Lektüre des Buchs bewusst sein, dass Erinnerungsarbeit – sowohl der Befragten wie des Autors – immer lückenhaft ist. Und nicht nur das: Der Mensch schafft sich seine eigenen Realitäten, rückt sich die Ereignisse im Rückblick oft etwas zurecht, bewusst und unbewusst. Genauso willkürlich ist die Auswahl der vom Autor verwendeten Zitate: Ein anderer Schreiber hätte möglicherweise eine andere Gewichtung vorgenommen. Mir schien sie die richtige zu sein. Weil wir ja in einer Welt der Transparenz leben, finden Sie am Ende des Buchs die Transkripte der von mir geführten Gespräche.2 Damit können Sie sich nochmals ein eigenes, Ihr ganz persönliches Bild machen. Und so können Sie «Ihre» Geschichte lesen – eine besondere Art von Exklusivität. Dabei wünsche ich Ihnen viel Vergnügen.

Prolog

«Vielleicht», sagt Peter Kurer, «vielleicht würde ich das heute nicht mehr so sagen. Aber wir waren einfach hässig!» Die schlechte Laune des Chefjuristen der UBS kommt an diesem Septemberwochenende im Jahr 2001 nicht von ungefähr. Erstens war es ein langer Tag, die Uhr zeigt schon 1.30 Uhr an. Zweitens hat Kurer noch nie in seinem langen Berufsleben ein solches Tohuwabohu an Zahlen und Fakten erlebt. Und drittens provoziert ihn Roche-Manager und Economiesuisse-Präsident Andres Leuenberger mit einem herablassenden Spruch über die Banken. Da verliert der ansonsten sehr kontrolliert auftretende Jurist in Bankdiensten seine Fassung und kanzelt den Wirtschaftsmann ab: «Ich wäre an einem Wochenende auch gerne anderswo als hier, um eure Probleme zu lösen!» Die «Probleme» sind gross in diesen Herbsttagen des Jahres 2001. Die «nationale Airline» Swissair steht vor dem Ende. Seit den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001, seit «9/11», geht nichts mehr am Himmel, und am Boden schaut der amtierende Swissair-Chef Mario Corti verzweifelt zu, wie das Geld von seinen Konten verschwindet.

Nun sollen Kurer und dessen Chef, UBS-Verwaltungsratspräsident Marcel Ospel, helfen, die Airline zu retten. Doch die Menge Geld, die vonnöten ist, wird immer grösser. Bald spricht man von einem zweistelligen Milliardenbetrag. Die UBS-Männer haben null Lust, sich um diesen Scherbenhaufen zu kümmern. Denn erstens haben ihn andere verbockt. Zweitens gehört zu diesen «anderen» der Chef der Konkurrenz, nämlich Lukas Mühlemann, CEO der Credit Suisse (CS). Und drittens haben sie die Verantwortlichen seit mindestens einem halben Jahr vor diesem Fiasko gewarnt.

Was Peter Kurer in diesem Moment nicht weiss: Man kann zwar recht haben, muss aber nicht unbedingt recht bekommen. Eine Woche später werden er und seine Bank als die «Bösen» in diesem Spiel wahrgenommen werden.

Doch beginnen wir von vorne: Es ist ein Buchhalter, der den UBS-Mann Peter Kurer Ende September 2001 in diese Notlage treiben wird. Nicht, dass dieser das so gewollt hätte. Die Pläne des Zahlenfetischisten treiben nicht alleine Kurer, sondern viele andere zur Verzweiflung. Es sind die Ereignisse, die zur wohl prominentesten Pleite der Schweiz führen werden.

Das Grounding der Swissair

Der Zahlen-Riese

Philippe Bruggisser sieht nicht aus wie der typische Spitzenmanager. Die Figur hochgeschossen und überschlank, das Gesicht länglich, die Augen versteckt hinter einer dezenten Brille – hier kommt eher ein Buchhalter daher als ein geborener Leader. Als er 1997 CEO der Swissair wird, nimmt ihm denn auch nicht gleich jeder die neue Rolle ab. Die Medien schreiben über den neuen Chef, er sehe aus wie ein «Durchschnitts-Schweizer», sie mäkeln über den ehemaligen Controller, er sei «kühl, unnahbar und undiplomatisch», seine Sitzungen glichen Befehlsausgaben, sogenannt weiche Themen, Gefühlsäusserungen oder intuitive Einschätzungen seien unerwünscht.

Bruggisser selbst, Sohn eines Aargauer Strohhutfabrikanten, sagt zur Kritik nur, er sei «nicht hier, um beliebt zu sein».3 Der Aargauer, mittlerweile 49 Jahre alt, wollte eigentlich Lehrer werden, studiert aber nach der Ausbildung am Seminar in Wettingen Wirtschaft und Recht in Basel und Genf, kommt via eine Grossbank 1979 zur Swissair und kümmert sich dort vor allem um die Zahlen, zuerst als Controller, dann als Finanzchef Nordamerika. Wie tüchtig er als Chef sein kann, beweist er, als er die Beteiligungsgesellschaften der Airline übernimmt und dabei die für die Dualstrategie wichtigen Nebengeschäfte – also alles, was nicht mit dem Flugbetrieb direkt zu tun hat – erfolgreich saniert und rentabel macht. Alle anderen im Unternehmen denken zu Beginn, das sei ein Himmelfahrtskommando und werde damit enden, dass Bruggisser diese Nebengeschäfte wird abstossen müssen. Das liebt dieser Bruggisser: aussichtslose Lagen wenden, an den eingeschlagenen Weg glauben: «Ich lebe für die Aufgabe, die mir übertragen wurde.» Ja, Bruggisser ist ein Chrampfer, er stürzt sich in die Sache, die sich für ihn meistens in den Zahlen spiegelt. Da ist er zu Hause, nicht in der Gefühlswelt. Für diese ist er offensichtlich weniger geschaffen: Zu scheu, zu zurückhaltend ist der Zahlen-Riese aus dem Aargau.

Die Dualstrategie ist sein Gesellenstück bei der Swissair, das ihm den Weg an die Spitze ebnen wird: Das oft volatile Fluggeschäft, anfällig für Launen und Krisen, soll stabilisiert werden durch weniger anfällige Geschäfte wie Catering, technischer Unterhalt oder Duty-free. Deshalb hat sich die Swissair eben gerade als Holding-Gesellschaft organisiert und nennt sich von nun an SAir. In dieser Holding gruppieren sich die verschiedenen Gesellschaften, von der Airline bis zum Catering. Oben in der Zentrale laufen alle Fäden zusammen, beim neuen Vorsitzenden der Geschäftsleitung, Philippe Bruggisser.

Dieser kühle Rechner führt also nun als Chef der Holding ganz offiziell die Geschicke der «nationalen Airline», der Swissair. National? Ja, national, wie der Circus Knie, der sich gerne als «National-Zirkus» gibt: gut schweizerisch, solide, ein verlässliches Produkt. Die grössten in der Branche, die Platzhirsche, streichen gerne und oft ihre Swissness heraus, vor allem, wenn es dem Geschäft nützt – Positives, was man mit der Schweiz verbindet, deckt sich mit dem Geschäftsinteresse und überträgt sich auf die Firma: Wer mit der Swissair fliegt, wird auch immer begleitet von Schweizer Werten wie Sicherheit, Zuverlässigkeit und Qualität. Im Fall der Swissair kommt dazu, dass sich der Staat mit drei Prozent beteiligt hat und über längere Zeit im Verwaltungsrat vertreten ist.

Wenn nun also dieser Philippe Bruggisser in seinem neuen Büro als Chef der SAirGroup sitzt, dann weiss er leider auch, dass da einige Probleme der «nationalen Airline» auf ihn warten. Das Fluggeschäft hat sich in den letzten 15 Jahren massiv verändert. Nun muss sich auch die Swissair wandeln. Noch vor wenigen Jahren bezeichneten die Zeitungen sie voller Bewunderung als «fliegende Bank». Aber seit der damalige US-Präsident Ronald Reagan in den 1980er-Jahren mit harten Schnitten den Flugverkehr liberalisierte, ist alles anders geworden: Die Swissair kann nicht mehr nur in ihrem Heimmarkt sitzen und Flüge von Punkt zu Punkt anbieten. Auch der Vorteil, als Airline eines neutralen Staats viele Destinationen in Afrika exklusiv anfliegen zu können, ist seit dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des Kalten Kriegs dahin.

Ja, seine Vorgänger haben schon versucht, vieles in Bewegung zu bringen. Und ja, sie sind mit ihren Plänen grandios gescheitert. Als sie Anfang der 1990er-Jahre ein Projekt namens «Alcazar» vorantreiben, schwappt ihnen eine Welle der Entrüstung entgegen. Nationalisten, Puristen, Konservative wollen das «Nationale» der Airline bewahren und nicht in eine Kooperation mit Airlines aus Holland, den nordischen Ländern und Österreich einwilligen, bei der vermutlich die KLM und nicht die Swissair den Steuerknüppel bedienen, ja die Scandinavian und die Austrian Airlines mit im Cockpit sitzen würden. Noch bevor es überhaupt abheben kann, zerschellt das Projekt Alcazar.

Philippe Bruggisser begriff schon früh in seinem Leben als Manager, wie Führen in einer grossen Firma funktioniert: Seine Ziele sollte man nie selbst formulieren – man lässt sie durch externe Experten ausarbeiten. Mit einer Flut von Folien werden sie schliesslich dargelegt und zur Umsetzung empfohlen. Will der Chef sparen, dann heisst die Strategie: Sparen. Will er ausbauen, dann empfiehlt die Unternehmensberatung: Ausbauen. Die Consultants sind nicht auf den Kopf gefallen: Wer es sich mit dem CEO nicht verdirbt, darf auf Folgeaufträge hoffen. Bei der Swissair werden unter Bruggisser scharenweise Rollkoffer-Kommandos von Unternehmensberatungsgesellschaften wie McKinsey, Roland Berger und Co. ein- und ausgehen und Linienmanager mit ihren Vorschlägen unterlaufen.

Die Swissair steht 1997 in der Tat vor Grundsatzfragen: Kann sie als letztlich mittelkleine Airline selbstständig überleben? Und wenn ja, wie? Oder sollte sie sich einer der in den 1990er-Jahren entstehenden Airline-Allianzen anschliessen – und falls ja, welcher? Diese Frage ist einfacher zu beantworten als die Ersteren. Als idealer Partner steht eigentlich nur British Airways zur Diskussion. Deren Hub London Heathrow ist weit genug weg, um Zürich als zweite Drehscheibe nicht zu gefährden. Das wäre bei Lufthansa mit Frankfurt oder Air France mit Paris nicht der Fall. Alternativ haben die Berater von McKinsey für Bruggisser berechnet, wie der Aufbau einer eigenen Allianz aussehen könnte. Sie nennen das Projekt «Hunter»: Wie ein Jäger müsse die Swissair ihre Beute unter den kleinen und mittleren Airlines in Europa suchen, um zusammen mit ihnen etwas Grosses entstehen zu lassen – eine Allianz unter der Führung der Swissair, längerfristig eine einzige grosse europäische Airline, geführt von der Schweiz aus. Der vierte Weg wäre dies, sozusagen. Ohne mit den Briten, den Franzosen oder den Deutschen anbandeln zu müssen. Ein erster Schritt in diese Richtung ist ja schon getan: 1996 hat sich die Swissair bei der belgischen Sabena eingekauft.

Ein Alleingang ist riskant. Aber ein Zusammengehen mit einem der Grossen der Branche auch. Denn die Swissair wäre wohl nur als Juniorpartner dabei und müsste mittelfristig sogar befürchten, ihre Eigenständigkeit zu verlieren. «Habe ich mich mein gesamtes Berufsleben für die Swissair abgerackert, um dann den Steuerknüppel den Briten zu übergeben?», muss sich Bruggisser zu später Stunde gefragt haben, als er alleine in seinem bescheiden eingerichteten Büro sitzt. Soll er als neuer CEO tatsächlich Totengräber der eigenständigen Swissair sein? Oder wagt er das, was alle für unmöglich halten, nämlich den Aufbau eines eigenen Airline-Verbunds? Was Bruggisser gerne tun würde, ist klar. Aber findet der Verwaltungsrat den Mut, diesen riskanten Weg mitzugehen?

Überhaupt, dieser Verwaltungsrat – er ist gespickt mit grossen Namen aus der Schweizer Wirtschaft. Da kann es einem Aargauer Finanzfachmann schon etwas schummrig werden: Der Chef der Credit Suisse sitzt dort, Lukas Mühlemann, genauso wie Robert Studer, Spitzenmann der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG). Der Präsident des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse, Andres Leuenberger, Privatbankier Bénédict Hentsch, Thomas Schmidheiny, Hauptaktionär des Zementriesen Holcim sowie der FDP-Politiker Eric Honegger. Doch Bruggisser weiss, wie man die Fäden zieht. Und er weiss auch, dass CS-Chef Mühlemann einst McKinsey Schweiz leitete und damit viel Wohlwollen für ein Projekt wie «Hunter» haben müsste. Also entscheidet er sich – obwohl sich die Briten gerne mit der Swissair zusammengetan hätten – für den Vorschlag, den Alleingang zu wagen. Der Verwaltungsrat stimmt dem beinahe besessen wirkenden Chef tatsächlich zu. Nach all diesen auf Flugzeuge fixierten Piloten im Chefsessel der Swissair überzeugt der neue Chef nun mit seinen soliden Zahlen. Ein fataler Fehler, wie sich zeigen wird. Doch bevor wir vorausschauen: Blicken wir kurz zurück, um zu verstehen, was bei der Swissair strukturell im Argen liegt und weshalb ein einziger Mann wie Philippe Bruggisser die Firma an den Rand des Abgrunds bringen kann – und darüber hinaus.

 
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