Staatshaftungsrecht

Текст
Из серии: Schwerpunkte Pflichtfach
0
Отзывы
Читать фрагмент
Отметить прочитанной
Как читать книгу после покупки
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

c) Mitverschulden

213

Die Vorschrift des § 254 BGB als Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben ist auch auf das Amtshaftungsrecht anwendbar. Das Mitverschulden des Geschädigten kann sich sowohl auf die Entstehung des Schadens als auch auf seine Höhe auswirken. Im Extremfall kann ein Mitverschulden zum Ausschluss des Anspruches gegenüber dem Staate führen.

214

Beispiel:

Kommt ein Fußgänger wegen aus dem Pflaster herausgerissener Mosaiksteine zu Fall, kann der Umstand, dass er die Augen nicht nach unten gerichtet hat und ihn insofern ein Mitverschulden trifft, nicht zu einem völligen Haftungsausschluss führen, weil die im (Fußgänger-)Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht verlangt, dass man ständig nach unten blickt[162].

215

Hinsichtlich des Maßstabes des Verschuldens ist grundsätzlich auch hier auf § 276 BGB zurückzugreifen. Der Geschädigte muss die im Verkehr erforderliche Sorgfalt anwenden. Sie bestimmt sich unter anderem auch nach den besonderen Umständen des Amtsgeschäftes. So darf der Geschädigte grundsätzlich auf Belehrungen und Erklärungen eines Beamten vertrauen, und es kann ihm in der Regel nicht zum Verschulden gereichen, wenn er nicht klüger ist als der Beamte[163]. Etwas anderes kann sich aus den Umständen des Einzelfalls oder insbesondere aufgrund der Tatsache ergeben, dass der Geschädigte über die besseren Erkenntnisquellen und die größeren Erfahrungen verfügt[164].

216

Beispiel:

Kannte der Hauseigentümer die Vornutzung des Bebauungsplangebietes als Mülldeponie, so kann dies zu einer Kürzung eines Amtshaftungsanspruches gegenüber der planenden Gemeinde gemäß § 254 BGB führen. Es ist zu überprüfen, ob der Eigentümer bei „Anspannung der verkehrserforderlichen Sorgfalt“ hätte erkennen können, dass die Bebaubarkeit möglicherweise durch etwaige von der Deponie ausgehende Schadstoffe beeinträchtigt oder gefährdet war. Bei der Bewertung der Einschätzung durch den Eigentümer ist das allgemeine Problembewusstsein für die Gefährdung durch Altlasten mit zu berücksichtigen[165].

217

Unter dem Gesichtspunkt des § 254 BGB kann auch der erforderliche Interessenausgleich in den Fällen der Drittanfechtung einer erteilten Genehmigung herbeigeführt werden. Von dem Zeitpunkt an, in dem Drittanfechtungen vorliegen, ist grundsätzlich eine größere Eigenverantwortung des Genehmigungsinhabers anzunehmen. Ist gegen ein Bauvorhaben zulässigerweise Widerspruch eingelegt oder Klage erhoben worden, verbunden mit dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs, so hat der Bauherr die Rechtswidrigkeit der ihm erteilten Genehmigung jedenfalls dann ernsthaft in Betracht zu ziehen, wenn ihm Widerspruch und/oder Antrag bekannt sind und Anfechtungsgründe vorgebracht werden, deren Richtigkeit nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen sind[166]. Lehnt das Gericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ab, so bedeutet dies nicht automatisch, dass die mit dem Weiterbau verbundenen Risiken gänzlich entfallen. Dies gilt jedenfalls, solange es keine rechtskräftige Entscheidung in der Hauptsache gibt. Es ist auf die Begründung der gerichtlichen Entscheidung im Eilverfahren abzustellen, ob sie Anhaltspunkte dafür bietet, dass das Vorhaben ohne übermäßiges Risiko weiter ausgeführt werden kann[167]. Das Vertrauen des Bauherrn ist dann in stärkerem Maße schutzwürdig, wenn sich das Gericht ausführlich mit den Erfolgsaussichten der Rechtssache in der Hauptsache befasst hat; das Vertrauen wird weniger schutzwürdig sein, wenn die Entscheidung in erster Linie auf einer Interessenabwägung beruht. Schutzwürdig ist das Vertrauen des Bauherrn auch dann, wenn die Anfechtungsgründe bereits im Genehmigungsverfahren offen gelegt und von der Behörde geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet wurden. Insofern gilt der Grundsatz, dass der Antragsteller nicht klüger zu sein braucht als die sachkundigen Beamten[168].

218

Auch im Rahmen des Mitverschuldens muss der Geschädigte sich das Verhalten seiner gesetzlichen Vertreter und Hilfspersonen zurechnen lassen. Hierzu zählt nicht nur der Rechtsanwalt, sondern zum Beispiel auch der den Bauherrn beratende Architekt. So kann es dem Architekten vorzuwerfen sein, dass er sich statt auf die Auskunft des Bauamtsleiters auf die eines nicht entscheidungsbefugten Sachbearbeiters verlässt; im Gegensatz zu einem Bauherrn, der nicht berufsmäßig mit der Bauverwaltung in Kontakt steht, wird er wissen müssen, wie weit die Entscheidungsbefugnis eines einfachen Sachbearbeiters geht. Dasselbe gilt zum Beispiel bei der Bewertung des schutzwürdigen Vertrauens auf eine Baugenehmigung gemäß § 34 BauGB, wenn eine fachliche Frage, wie etwa die Bewertung des Einfügens, offensichtlich falsch beurteilt worden ist.

d) Verjährung

219

Der Amtshaftungsanspruch verjährt in 3 Jahren, § 195 BGB. Maßgeblich für den Verjährungsbeginn ist gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 BGB der Zeitpunkt, in dem der Verletzte von dem Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt. Dieser Zeitpunkt wird durch den BGH dahingehend bestimmt, dass es dem Geschädigten aufgrund der ihm bekannten Tatsachen zumutbar ist, gegen eine bestimmte Person eine Schadensersatzklage – sei es auch nur eine Feststellungsklage – zu erheben, die bei verständiger Würdigung ausreichende Erfolgsaussichten hat. Das für den BGH wesentliche Kriterium der Zumutbarkeit fehlt etwa, wenn noch aussichtsreiche Möglichkeiten bestehen, durch Verhandlungen mit der Behörde zwar nicht den Schadensersatz im engeren Sinn, wohl aber eine anderweitige Kompensation zu erlangen, so dass es keines Schadensersatzprozesses bedarf. An der Zumutbarkeit fehlt es ebenfalls, solange der Geschädigte, der zum Beispiel auf einen amtspflichtwidrigen, positiven Bauvorbescheid vertrauen durfte, sich gegen die anschließende Versagung der Baugenehmigung wendet[169]. Verjährungsbeginn soll hier erst der Zeitpunkt der rechtskräftigen (negativen) Entscheidung im Baugenehmigungsverfahren sein.

220

Ist dem Amtswalter nur Fahrlässigkeit vorzuwerfen, ist für den Zeitpunkt des Verjährungsbeginns darüber hinaus die Kenntnis des Klägers davon erforderlich, dass er auf andere Weise keinen Ersatz erlangen kann (§ 839 Abs. 1 Satz 2 BGB), bzw. ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem der Geschädigte sich im Prozesswege oder auf andere Weise hinreichende Klarheit darüber verschaffen konnte, ob und in welcher Höhe ihm ein anderer Ersatzanspruch zusteht[170].

221

Der Inanspruchnahme verwaltungsrechtlichen Rechtsschutzes gegen die amtspflichtwidrige Handlung im Verwaltungsverfahren und/oder verwaltungsgerichtlichen Verfahren wird verjährungsunterbrechende Wirkung beigemessen. Dies entspricht dem Vorrang des Primärrechtsschutzes vor dem (amtshaftungsrechtlichen) Sekundärrechtsschutz und ist auch unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit sachgerecht. Die öffentliche Hand wird durch diese Unterbrechung auch nicht unzumutbar belastet. Denn sie muss damit rechnen, dass der Geschädigte nach erfolglosem verwaltungsrechtlichen Vorgehen auch noch Amtshaftungsansprüche erhebt. Die verjährungsunterbrechende Wirkung tritt auch dann ein, wenn Primärrechtsschutz gegen die im Außenverhältnis handelnde Körperschaft gesucht wird, ein Amtshaftungsanspruch aber gegen eine andere, im Innenverhältnis rechtswidrig anweisende vorgesetzte Körperschaft zu richten wäre[171]. Gleiches gilt auch bei gerichtlicher Verfolgung von Ansprüchen gegen eine Körperschaft auf Grund einer sich als falsch erweisenden Auskunft einer anderen, für die erstgenannte als Treuhänderin tätigen Körperschaft[172].

222

Schließlich ist die Verjährung gemäß § 203 BGB gehemmt, wenn und solange zwischen den Beteiligten Verhandlungen über den Schadensausgleich schweben. Die Verhandlungen müssen sich darauf beziehen, die Folgen des amtspflichtwidrigen Handels zu beseitigen. Sie müssen also nicht zwingend die Zahlung einer Geldsumme als Schadensersatz für die amtspflichtwidrige Handlung zum Gegenstand haben. Es ist jedoch nicht ausreichend, nur über die Rechtmäßigkeit der die Amtspflichtverletzung darstellenden Handlung zu verhandeln, wenn nicht gleichzeitig Ersatzansprüche erörtert werden[173].

5. Haftende Körperschaft

223

Die Haftung wird grundsätzlich auf die Körperschaft übergeleitet, die dem Amtsträger das Amt anvertraut und die Aufgaben übertragen hat, bei deren Wahrnehmung er fehlsam gehandelt hat. In der Regel ist das die Anstellungskörperschaft; denn mit der Anstellung wird die Möglichkeit zur Amtsausübung geschaffen. Daraus ergibt sich, dass Gemeinden oder Gemeindeverbände ebenso für Amtspflichtverletzungen ihrer Bediensteten haften, wenn diese bei der Wahrnehmung staatlicher Auftragsangelegenheiten oder bei der Erfüllung von Pflichtaufgaben nach Weisungen pflichtwidrig gehandelt haben. Für den Fall der rechtswidrigen Innenrechtsvorschriften oder rechtswidriger Weisungen durch eine andere Körperschaft haftet jedoch die die Innenrechtsvorschriften erlassende bzw. die die Weisung erteilende Behörde; denn der angewiesene Handelnde, der intern an die Weisung gebunden ist, handelt nicht amtspflichtswidrig. Diese Haftungsverlagerung tritt allerdings nur bei Weisungen im Einzelfall ein, nicht bei allgemeinen Weisungen zu einer bestimmten Gesetzesauslegung[174].

 

224

Beispiel:

Erteilt der gemeindliche Bauamtsmitarbeiter die beantragte Baugenehmigung aufgrund einer entsprechenden rechtswidrigen Weisung der Bezirksregierung nicht, so haftet die Bezirksregierung.

225

Auf die Anstellungskörperschaft ist auch dann nicht abzustellen, wenn der Amtsträger unter Herauslösung aus der Organisation seiner Anstellungskörperschaft von einer anderen Körperschaft zur Ausübung hoheitlicher Tätigkeit eingesetzt wird. Eine derartige Konstellation liegt nach der neuen Rechtsprechung des BGH etwa dann vor, wenn ein in einem (bayerischen) Kreiskrankenhaus beschäftigter Arzt bei einem Rettungsdiensteinsatz tätig wird. Hier haftet bei einem Behandlungsfehler des Notarztes nicht der Landkreis, sondern der für den Rettungsdienst zuständige Rettungszweckverband. Dies ist auch dann nicht anders zu beurteilen, wenn der Landkreis den Arzt in dem mit diesem geschlossenen Arbeitsvertrag zur Teilnahme am Rettungsdienst verpflichtet hat[175].

Die „Organleihe“ stellt in erster Linie ein verwaltungsorganisatorisches Instrument dar, dessen verfassungsrechtlicher Hintergrund nicht ohne weiteres auf das haftungsrechtliche Außenverhältnis gegenüber einem durch eine Pflichtverletzung Geschädigten übertragen werden kann. Hierzu ist jeweils auf die konkrete Ausgestaltung der „Organleihe“ abzustellen. Eine „Eingliederung“ in die „entleihende“ Körperschaft – und damit die Haftung des „Entleihers“ – kann nur dann angenommen werden, wenn die entleihende Körperschaft auch rechtlich den Rahmen der Tätigkeit des „Entliehenen“ konkret gestaltet, indem sie – über die Fachaufsicht hinaus – steuert, kontrolliert und Weisungen erteilt (Notarzt im Rettungsdienst). Wird durch den „Entleiher“ jedoch nur ein rechtlicher Rahmen vorgegeben oder abstrakt eine Aufgabe bestimmt, die durch die entliehenen Mitarbeiter im Rahmen ihrer sonstigen und entsprechend durch den Entleihenden beaufsichtigten Tätigkeit ausgeführt wird, so verbleibt es bei der Haftung der entleihenden Körperschaft[176].

226

Auf das Anvertrauen der Aufgabe kann auch bei der Einschaltung von Zivilpersonen zurückgegriffen werden. Dies gilt nicht nur für die Beliehenen, denen das Amt mit dem Beleihungsakt anvertraut worden ist, sondern auch für Verwaltungshelfer im engeren und weiteren Sinne (vgl oben Rn 103 ff). Hier ist jeweils auf die konkrete Aufgabenübertragung abzustellen.

Ergibt sich das amtspflichtwidrige Handeln aus dem Zusammenwirken verschiedener Amtswalter, und üben diese das Amt jeweils für unterschiedliche Körperschaften aus, so sind diese Körperschaften als Gesamtschuldner gemäß § 840 BGB in Anspruch zu nehmen.

227

Wenn die gegenüber dem Geschädigten im Außenverhältnis handelnde Körperschaft rechtlich in der Lage ist, sich über eine (rechtswidrige) Mitwirkungshandlung hinwegzusetzen, dann haftet nur die handelnde Körperschaft.

Beispiel:

Wird die Baugenehmigung durch die von der Gemeinde personenverschiedene Genehmigungsbehörde deshalb verweigert, weil die Gemeinde rechtswidrig ihr Einvernehmen versagte, dann haftet gegenüber dem Bauherrn ausschließlich die Genehmigungsbehörde, wenn sie nach Landesrecht die Möglichkeit hatte, das Einvernehmen zu ersetzen. Das gilt auch dann, wenn das Landesrecht die Möglichkeit der Einvernehmensersetzung als Ermessensentscheidung und Maßnahme der Kommunalaufsicht ausgestaltet hat. Maßgeblich ist, dass die Körperschaft gegenüber dem Geschädigten rechtlich nicht an den Inhalt der gemeindlichen Entscheidung gebunden ist[177].

6. Rechtsweg

228

Die Amtshaftungsansprüche sind gemäß der verfassungsrechtlichen Regelung in Art. 34 Satz 3 GG den Zivilgerichten zugewiesen. Sachlich zuständig ist gemäß § 71 Abs. 2 Nr 2 GVG in erster Instanz das Landgericht unabhängig vom Streitwert.

229

Aufgrund dieser Zuweisung mit Verfassungsrang ist etwa die gleichzeitige Geltendmachung eines Folgenbeseitigungsanspruches, der eigentlich den Verwaltungsgerichten zugewiesen ist, und eines Schadensersatzanspruches nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG nur beim Landgericht möglich.

230

Beispiel:

Möchte der Eigentümer E, dessen Villa auch nach Ablauf der Einweisungsverfügung von der eingewiesenen Familie bewohnt wird, nicht nur die Räumung durch den Folgenbeseitigungsanspruch durchsetzen, sondern gleichzeitig auch den durch die Verzögerung entstandenen Schaden unter Amtshaftungsgesichtspunkten geltend machen, muss er seine Klage zum örtlich zuständigen Landgericht erheben.

7. Regress

231

Die Rückgriffsmöglichkeiten des Staates auf den amtspflichtwidrig handelnden Beamten zählen dogmatisch nicht zum Recht der öffentlich-rechtlichen Ersatzleistungen. Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die insbesondere im Beamtenrecht grundsätzlich vorbehaltenen Rückgriffsmöglichkeiten gemäß der Regelung in Art. 34 Satz 2 GG nur bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Handeln des Beamten eingreifen können. Allerdings hat der BGH erst kürzlich die Anwendung dieser Vorschrift teleologisch reduziert, wenn die Haftung des Staates durch ein amtspflichtwidriges Verhalten eines als Verwaltungshelfer eingeschalteten Privatunternehmens eintritt. Für den Fall, dass der Staat durch freie Dienst- oder Werkverträge oder ähnliche Vertragsgestaltungen selbstständigen Privatunternehmen in beschränktem Umfang die Erfüllung hoheitlicher Verwaltungsaufgaben überträgt, kann eine Rückgriffsbeschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit nicht greifen, die eine Haftungsbeschränkung im Verhältnis zur vertraglichen Haftung darstellte. Denn die rechtfertigenden Gründe, die zu einer Limitierung der Innenhaftung gemäß Art. 34 Satz 2 GG führten, wie der Gedanke, die Entschlussfähigkeit und Entschlussfreudigkeit des Beamten zu fördern, und das Gebot der Fürsorge gegenüber den öffentlichen Bediensteten, greifen hier nicht. Es besteht zwischen dem Mitwirken des privaten Unternehmens an hoheitlichen Aufgaben und der Ausführung von Dienst- oder Werkleistungen im fiskalischen Bereich, bei denen das private Unternehmen nach den allgemeinen Regeln für Verschulden haftet, kein wesentlicher Unterschied. Schließlich kann das private Unternehmen sein Haftungsrisiko in der Regel versichern und diese Kosten in das geforderte Entgelt einkalkulieren[178].

232

Lösung zu Fall 2 (Rn 91):

Anspruchsgrundlage

In Betracht kommt ein Anspruch des E gegen G aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB iVm Art. 34 GG, wenn die Mitglieder des Gemeinderats eine ihnen als Amtswalter auch gegenüber E bestehende Amtspflicht schuldhaft verletzt haben und der geltend gemachte Schaden kausal dadurch verursacht wurde.

Anspruchsvoraussetzungen

Als Amtswalter handelnd

Da die Aufstellung von Bauleitplänen gemäß den Vorschriften des Baugesetzbuches (BauGB) dem Gemeinderat obliegt, handeln die Mitglieder des Gemeinderates bei der Aufstellung von Bauleitplänen in Ausübung eines öffentlichen Amtes.

Amtspflichtverletzung

Amtspflicht

Den Gemeinderatsmitgliedern obliegt gemäß § 1 Abs. 6 Nr 1 BauGB die Amtspflicht, durch die Bebauungspläne für gesunde Wohnverhältnisse zu sorgen.

Drittschützende Wirkung der Amtspflicht

Diese Amtspflicht müsste auch gegenüber E bestehen. Nach dem Schutzzweck der Amtspflicht sollen keine Baugrundstücke ausgewiesen werden, die aufgrund der Gefahren aus dem Boden nicht bewohnbar sind. Persönlich umfasst diese Amtspflicht diejenigen, die aufgrund der vom Boden ausgehenden Gesundheitsgefahren das Grundstück nicht zu Wohnzwecken nutzen können; E will das Grundstück als Eigentümer selbst zu Wohnzwecken nutzen. Die Amtspflicht besteht also auch gegenüber E.

Vom sachlichen Schutzzweck der Norm sind all die Schäden umfasst, die einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Gesundheitsgefährdung haben. Da das Grundstück nicht bewohnbar ist, zählen hierzu die fehlgeschlagenen Aufwendungen für den Grundstückserwerb und den Bau des Hauses, abzüglich eines etwa auf dem Grundstücksmarkt noch erzielbaren Preises. Umfasst ist ebenfalls der Nutzungsausfall, den E in dem Zeitraum zwischen der Räumung des Hauses aufgrund der Gesundheitsgefährdung und dessen Veräußerung erlitten hat; dieser Schaden bestimmt sich nach den fiktiven Mieteinnahmen.

Verschulden

Fraglich ist weiter die Verantwortlichkeit der G. Maßstab dafür ist § 276 BGB. Für den jeweiligen Amtswalter ist die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) anhand der Aufgabe und der Position zu bestimmen, die ihm vom Gesetzgeber übertragen worden ist. Abzustellen ist auf die für die Führung des übernommenen Amtes durchschnittlich erforderlichen Kenntnisse und Einsichten. Sollten dem Amtswalter selbst die hierfür erforderlichen Rechts- und/oder Sachkenntnisse fehlen, so muss er diese gegebenenfalls durch Nachfrage bei anderen Behörden oder durch Einholung externen Rates erlangen. Für Gemeinderatsmitglieder als „Laien“ hinsichtlich verwaltungsrechtlicher Fallgestaltungen gilt auch kein verminderter Verschuldensmaßstab. Dies wäre mit dem Inhalt der ihnen übertragenen gesetzlichen Aufgaben im Verhältnis zu den davon betroffenen Bürgern nicht vereinbar. Aufgrund der Nutzung des ehemaligen Ziegeleigeländes durch die Gemeinde selbst und der Tatsache, dass dort „wilder Müll“ in großen Mengen und damit für die örtlich zuständigen Behörden unübersehbar abgelagert worden war, hätten die Gemeinderatsmitglieder bei der erforderlichen Gewissensanspannung und unter Berücksichtigung des allgemeinen Bewusstseins für Altlastenproblematiken erkennen müssen, dass ein Gefährdungspotential bei der Beplanung des Grundstückes gegeben ist. Dieses hätten sie durch die Beauftragung von Sachverständigengutachten oder die Einschaltung der beteiligten Fachbehörden überprüfen müssen. Die Gemeinderatsmitglieder haben also die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen, § 276 Abs. 2 BGB.

Da der gesetzlich vorgegebene Haftungsmaßstab für Amtshaftungsansprüche nur durch oder aufgrund eines Gesetzes geändert werden kann, nicht jedoch durch einen privatrechtlichen Vertrag zwischen dem Hoheitsträger und dem betroffenen Bürger, kann sich G auch nicht auf den im Grundstückskaufvertrag mit E vereinbarten Gewährleistungsausschluss berufen.

Schaden

Der geltend gemachte Schaden ist vom sachlichen Schutzbereich der Amtspflicht umfasst (s. o.).

Wäre das Grundstück bewohnbar, wären die Aufwendungen für Grundstückserwerb und Haus nicht fehlgeschlagen; das Haus hätte auch nicht leergestanden, da es von E nicht wegen der Gesundheitsgefährdung nicht mehr genutzt worden wäre. Die Amtspflichtverletzung war also auch kausal für die geltend gemachten Schäden.

Anspruchsgegner

 

Die Gemeinderatsmitglieder handeln für die Gemeinde G. Der Anspruch des E richtet sich also gegen die Gemeinde G.

G hat durch die Gemeinderatsmitglieder die Amtspflicht zur Schaffung gesunder Wohnverhältnisse gemäß § 1 Abs. 6 Nr 1 BauGB verletzt. Damit hat E einen Anspruch gegen G aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB iVm Art. 34 GG. E kann also die von ihm geltend gemachten Schadenspositionen von G ersetzt verlangen.

Literatur:

Schoch, Amtshaftung, Jura 1988, 585 und 648; Detterbeck, Staatshaftung bei normativem Unrecht, JA 1991, 7; Hennecke, Haftung kommunaler Mandatsträger für rechtswidrige Beschlüsse? Jura 1992, 125; Czybulka/Jeand‘Heur, Das Amtshaftungsrecht in der Fallbearbeitung, JuS 1992, 396; Wurm, Drittgerichtetheit und Schutzzweck der Amtspflicht als Voraussetzung für die Amtshaftung, JA 1992, 1; Rinne, Straßenverkehrsregelungs- und Straßenverkehrssicherungspflicht in der amtshaftungsrechtlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, NVwZ 2003, 9; Hebeler, Aktuelle Rechtsprechungsentwicklung im Amtshaftungsrecht, JA 2004, 684; Durner, Grundfälle zum Staatshaftungsrecht, JuS 2005, 793; Swierczyna, Rechtsprechung des BGH und der OLGs zur Amtshaftung der Gebietskörperschaften in den Jahren 2002 bis 2004, ThürVBl. 2006, 97; Schlick, Neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Amtshaftung und zur Entschädigung aus enteignungsgleichem Eingriff im Zusammenhang mit dem Baurecht, BauR 2008, 290; Unterreitmeier, Die Bereinigung der Rechtswegzuweisungen im Staatshaftungsrecht, BayVBl. 2009, 289; Sauer, Staatshaftungsrecht: Eine Systematisierung für die Fallbearbeitung, JuS 2012, 695 und 800; Dombert, Sicherung von Schadensersatzansprüchen im Verwaltungsprozess – Rechtskraft und § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO im Amtshaftungsprozess, AnwBl 2014, 32; Hartmann/Tieben, Amtshaftung, JA 2014, 401; Schlick, Die Rechtsprechung des BGH zur öffentlich-rechtlichen Entschädigung, NJW 2014, 2686; Schlick, Die Rechtsprechung des BGH zur Amtshaftung, NJW 2014, 2915; Itzel, Neue Entwicklungen im Amts- und Staatshaftungsrecht – Rechtsprechungsüberblick 2014, MDR 2015, 191; Itzel, Verfahrensrechtliche Probleme bei Amts-, Staatshaftungs- und Entschädigungsklagen, MDR 2015, 1217; Voßkuhle/Kaiser, Grundwissen – Öffentliches Recht: Der Amtshaftungsanspruch, JuS 2015, 1076; Schlick, Die Rechtsprechung des BGH zu den öffentlich-rechtlichen Ersatzleistungen, NJW 2015, 2703; Itzel, Neue Entwicklungen im Amts- und Staatshaftungsrecht – Rechtsprechungsüberblick 2015, MDR 2016, 195; Schlick, Die Rechtsprechung des BGH zu den öffentlich-rechltichen Ersatzleistungen, NJW 2016, 2715; Itzel, Neue Entwicklungen im Amts- und Staatshaftungsrecht – Rechtsprechungsüberblick 2016, MDR 2017, 181; Schlick, Die Rechtsprechung des BGH zu den öffentlich-rechltichen Ersatzleistungen, NJW 2017, 2509.

Übungsfälle:

Jaroschek, Der erfolglose Kunstmaler, JA 1996, 860; Detterbeck, Der Schokoladenfall, Jura 1997, 379; Lüdemann, Einzelmaßnahme einer Ordnungsbehörde aufgrund sicherheitsrechtlicher Verordnung/Amtshaftungsanspruch, Jura 1997, 89; Papier/Dengler, Die misslungene Fahrzeugbergung, Jura 1995, 38; Ehrmann/Meyring, Giftige Dämpfe, JA 1997, 37; Bethge/Rozeck, Der praktische Fall – Öffentliches Recht: Ein Kulturforum mit Defiziten, JuS 1997, 831; von Mutius/Stüber, Eisglatte Straßen nach Wintereinbruch, Jura 1999, 649; Detterbeck, Der praktische Fall – Öffentliches Recht: Ende eines Diensttages, JuS 2000, 574; Sandkühler, Grundlagen des Amtshaftungsrechts, JA 2001, 149; Sandkühler, Staatshaftung bei Amtspflichtverletzung, JA 2001, 414; Detterbeck, Der praktische Fall – Öffentliches Recht: Staatshaftungsrecht, JuS 2003, 1003; Pielow/Finger, Examensklausur Öffentliches Recht – Amtshaftung der Kommunalaufsicht und Bürgermeister ohne Vertretungsmacht, Jura 2005, 351; Fischer, Referendarexamensklausur – Öffentliches Recht: Entschädigung in den Zeiten von BSE, JuS 2005, 52; Diederichsen, Referendarexamensklausur – Öffentliches Recht: Zoff um eine Zusage, JuS 2006, 60; Thiele, Fortgeschrittenenhausarbeit – Öffentliches Recht: Probleme mit dem Zivi …, JuS 2006, 534; Hartmannsberger, Fortgeschrittenenhausarbeit – Öffentliches Recht: Anschluss- und Benutzungszwang, JuS 2006, 614; Christensen/Lerch, Vor Gericht und auf hoher See …, JA 2007, 427; Kahl/Zimmermann, Hanseatische Sektenjagd, JA 2007, 783; Unterreitmeier, Assessorexamensklausur – Öffentliches Recht: Staatshaftungsrecht – Menschenunwürdige Haftunterbringung, JuS 2015, 1113; Ogorek, Original-Examensklausur: ,,Easy Rider“, JA 2016, 279; Singbart/Zintl, Original-Examensklausur: ,,Raserei“, JA 2016, 778.

Бесплатный фрагмент закончился. Хотите читать дальше?
Купите 3 книги одновременно и выберите четвёртую в подарок!

Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке:

  1. Нажмите на многоточие
    рядом с книгой
  2. Выберите пункт
    «Добавить в корзину»