Alvina Engel meines Herzens

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Alvina Engel meines Herzens
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Alvina, Engel meines Herzens

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2017

Copyright Cartland Promotions 1986

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

1 ~ 1818

Herzog Ivar von Harlington sah sich voll Zufriedenheit um. Sein Stadtpalais am Berkeley Square war in tadellosem Zustand. Die Portraits seiner Vorfahren in der Halle erfüllten ihn mit Stolz.

Die Sammlung französischer Meister, von einem der vorhergehenden Herzoge zusammengetragen, hatte er vor dem Krieg gegen Napoleon nie richtig zu schätzen gewußt. Jetzt jedoch, nach seinem dreijährigen Aufenthalt in Frankreich, sah er sie mit völlig anderen Augen.

Der Herzog war ein intelligenter, selbstkritischer Mann und wußte sehr wohl, daß das Leben auf dem Kontinent seinen Horizont erweitert und er sich Wissen über Dinge angeeignet hatte, denen er vorher mit Gleichgültigkeit begegnet war.

Er war ein großer, besonders gutaussehender Mann, der den Offizier - auch wenn er es gewollt hätte - nicht verleugnen konnte. Sein Gang war aufrecht, sein Blick gerade und nüchtern.

Die Frauen, denen er mehr als zugetan war, pflegten zu bemerken, daß sein Hang, den Dingen auf den Grund zu gehen, ungewöhnlich sei und nur mit Enttäuschungen enden könne.

Er hatte sich nie die Mühe gemacht, derlei Bemerkungen eingehender zu überdenken, denn das Leben hatte ihn gelehrt, Menschen, gleich ob Mann oder Frau, nicht nach ihrer Erscheinung, ihrem Stand oder Amt zu beurteilen, sondern ausschließlich nach ihrem Charakter und ihrer Persönlichkeit.

Seine einflußreiche Position in Wellingtons Heer verdankte er einzig und allein diesem Urteilsvermögen. Er besaß nicht nur Führungstalent, wie jemand einmal gesagt hatte, sondern besaß jene magnetischen Kräfte, die große Männer auszeichnen.

Sprach man ihn auf dieses Talent an, lachte er. Da er nicht im mindesten eingebildet war, konnte er nur hoffen, daß Wertschätzungen dieser Art keine leeren Komplimente waren.

Während er jetzt vom Salon in die Bibliothek ging, schätzte er sich glücklich. Er schien zu den wenigen Menschen zu gehören, die vom Schicksal begünstigt wurden.

Er hatte die strapaziösen Jahre in Portugal, Spanien und Südfrankreich unangefochten überlebt, und war ohne einen Kratzer aus der Schlacht von Waterloo hervorgegangen, während viele seiner Freunde und Altersgenossen an seiner Seite gefallen waren.

Nicht nur Großbritannien, sondern ganz Europa war durch die Freiheitskriege aus dem Gleichgewicht geraten.

So unglaublich es scheinen mochte, die unruhigen Zeiten waren vorbei, Waterloo lag drei Jahre zurück, und die Besatzungstruppen wurden aus Frankreich abgezogen.

Nach all den dramatischen Verhandlungen, dem Tauziehen der Verbündeten, den getroffenen Abkommen, konnte es der Herzog kaum glauben, daß er nun ein freier Mensch war.

Der Kongreß in Aachen stand noch aus. Er sollte im Oktober stattfinden. Dessen ungeachtet mußte der letzte britische Soldat bis zum dreißigsten November französischen Boden verlassen haben.

Wellington hatte den Herzog, wenn auch widerstrebend, schon zu Beginn des Sommers ziehen lassen, und dieser mußte sich nun seinen persönlichen Problemen zuwenden.

Bei seiner Rückkehr ein perfekt geführtes Stadtpalais vorzufinden, war eine angenehme Überraschung gewesen. Er hatte einen seiner Adjutanten, einen außerordentlich verläßlichen Mann, mit der Kunde seiner Ankunft vorausgeschickt und beabsichtigte zumindest so lange zu bleiben, bis er dem Prinzregenten und dem König - falls es die Gesundheit seiner Majestät zuließ - seine Aufwartung gemacht hatte.

Nach so vielen Jahren Abwesenheit war es merkwürdig, wieder in England zu sein, besonders deshalb, weil sich seine gesellschaftliche Stellung grundlegend geändert hatte.

Als Ivar Harling und einer der jüngsten Obristen des britischen Heers hatte er England verlassen und trotz der schweren Zeiten an vielem, was leider meistens seine finanziellen Möglichkeiten überstiegen hatte, Gefallen gefunden.

Als Herzog von Harlington war er zurückgekehrt. Er war inzwischen nicht nur Mitglied des Hochadels und mußte den mit seinem ererbten Titel verbundenen Pflichten nachgehen, sondern ein extrem wohlhabender Mann.

Bei den Unterlagen, die ihm in Paris von den Bankiers des verstorbenen Herzogs überreicht worden waren, hatte sich sowohl eine Liste der Besitztümer befunden, die er nun sein eigen nannte, als auch eine Aufstellung der Konten, die auf seinen Namen liefen.

Sein Erbe schien grenzenlos zu sein. Da ihn Wellington jedoch gebraucht hatte, hatte es der neue Herzog nicht sofort angetreten, sondern weiterhin seinem Vaterland gedient.

Jetzt stand er in der Bibliothek und betrachtete die Rücken der ledergebundenen Bücher in den Regalen, die an drei Wänden bis zur Decke reichten. An der vierten Wand hingen über dem Kamin kolorierte Kupferstiche, auf denen Jagdszenen abgebildet waren.

Ein ältlicher Butler kam herein, gefolgt von einem Diener mit einem Silbertablett, auf dem ein Sektkübel stand, in dem das Familienwappen eingraviert war.

Als ihm ein Glas Champagner offeriert wurde, bemerkte der Herzog, daß die Livree des Dieners schlecht gebügelt war und zu wünschen übrigließ.

Er konnte sich nur mit Mühe zurückhalten, dem jungen Mann zu sagen, daß er in Zukunft mehr auf sein Äußeres zu achten habe.

Als dieser das Tablett auf einem Beistelltischchen abgestellt hatte, zog er sich zurück, während der Butler von einem Fuß auf den anderen trat und noch blieb.

„Gibt es noch etwas?“ fragte der Herzog. „Wenn ich mich recht erinnere, heißen Sie Bateson, oder?“

„Ja, Euer Gnaden. Bateson. Ich hoffe, Euer Gnaden haben alles zu Ihrer Zufriedenheit vorgefunden. Wir hatten nur drei Tage Zeit, Euer Gnaden Ankunft vorzubereiten. Das Haus war während der letzten sechs Jahre unbewohnt.“

„Zu meiner vollsten Zufriedenheit, Bateson“, erklärte der Herzog lächelnd. „Ich war erstaunt, wie gepflegt alles aussieht.“

„Wir haben uns die größte Mühe gegeben, Euer Gnaden. Ich habe mir erlaubt, einige Frauen einzustellen, um die Räume herrichten zu lassen, von denen ich annahm, daß Euer Gnaden sie zu benutzen wünschen, aber es muß noch eine Menge getan werden.“

„Da der verstorbene Herzog in den letzten Jahren seines Lebens so krank gewesen und nicht mehr nach London gekommen ist, hatten Sie das Personal auf ein Mindestmaß reduziert, nehme ich an.“

„Nur meine Frau und ich waren noch da, Euer Gnaden“, sagte der Butler.

„Tatsächlich?“ Der Herzog schüttelte erstaunt den Kopf. „Ein so großes Haus braucht einen ganzen Stab von Angestellten. Jedenfalls war alles in einem Zustand, wie ich ihn vorzufinden gehofft hatte, Bateson.“

„Das freut mich, Euer Gnaden“, entgegnete der Butler. „Wenn Euer Gnaden mir gestatten, das Personal auf den entsprechenden Stand zu bringen, wird bald alles wieder so sein wie in guten alten Zeiten.“

„Aber natürlich, Bateson.“

Die Worte des alten Butlers rangen dem Herzog ein Lächeln ab. ,Die guten alten Zeiten‘ wurden in diplomatischen und politischen Kreisen vielfach bewitzelt und er war überzeugt davon, daß unter den Dienstboten und Hausangestellten so manche sehnsüchtige Bemerkung darüber fiel.

In jedem Land, und er hatte eine ganze Reihe von Ländern durchzogen, waren die guten alten Zeiten in aller Munde. Man verglich sie mit der Gegenwart und hob sie in den Himmel.

Der Butler schien zu merken, daß der Herzog mit eigenen Gedanken beschäftigt war und das Gespräch nicht fortführen wollte.

„Lunch wird bald serviert werden, Euer Gnaden“, sagte er daher. „Ich hoffe, es wird den Vorstellungen und Ansprüchen Euer Gnaden entsprechen.“

Damit zog er sich zurück, während der Herzog überlegte, wie alt der Mann sein mochte, der fast unterwürfig darauf erpicht zu sein schien, ihn zufriedenzustellen.

Er erinnerte sich daran, daß es Bateson schon gegeben hatte, als er zum ersten Mal mit seinem Vater in dieses Haus gekommen war. Von sechs strammen Dienern flankiert, hatte er die Gäste in der Halle empfangen.

Es schien eine Ewigkeit her zu sein.

Butler Bateson war schätzungsweise Mitte sechzig. Er war sein ganzes Leben lang in herzoglichem Dienst gestanden und wollte offensichtlich weder die Stellung wechseln, noch frühzeitig in den Ruhestand gehen müssen.

Die Arbeitslosigkeit war derzeit groß, und ein Mann seines Alters hatte kaum Aussichten, etwas zu finden. Die Tatsache, daß die Besatzungstruppen aus Frankreich zurückgezogen und aus dem Heer entlassen wurden, versprach die Situation noch zu verschlechtern.

Als Wellington bekannt gegeben hatte, daß er sein Truppenkontingent um dreißigtausend Mann zu verringern gedachte, waren die Wellen hochgeschlagen.

Da Ivar Harlington jedoch über die nötigen Mittel verfügte, brauchte er keine Leute zu entlassen - im Gegenteil. Jedes Haus, das er besaß, sollte mit dem entsprechenden Personal bestückt sein.

Während des vorzüglichen Mittagessens, das ihm von Bateson und zwei Dienern serviert wurde, beschloß er, als erstes seinen neuen Stammsitz in Buckinghamshire zu besuchen.

Seit zwei Jahren bereits war er Besitzer von Schloß Harlington, aber der Gedanke, der fünfte Herzog von Harlington zu sein, befremdete ihn immer noch.

Obwohl er von klein auf stolz darauf gewesen war, zu einer Familie zu gehören, die seit den Kreuzzügen entscheidend an der Geschichte Englands mitgewirkt hatte, hätte er nicht in seinen kühnsten Träumen zu hoffen gewagt, an der Spitze des Herzogtums zu stehen.

 

Er hatte nur zu gut gewußt, daß sein Stand innerhalb der Familie der Harlingtons von geringer Bedeutung war. War doch sein Vater lediglich ein Cousin des vorherigen Herzogs gewesen und er selbst in der Erbfolge an dritter Stelle.

Die Freiheitskriege hatten viel Kummer und Leid gebracht. Ganz Europa hatte darunter gelitten, und auch der vorhergehende Herzog hatte seinen einzigen Sohn Richard in der Schlacht von Waterloo verloren.

Ivar Harling hatte ihn noch kurz vor seinem Tod getroffen und mußte oft daran denken, wie zuversichtlich er gewesen war.

„Wenn wir diesmal die Franzmänner nicht endgültig schlagen“, hatte er gesagt, „dauert der Krieg noch fünf Jahre.“

„Meinst du?“ hatte Ivar Harling entgegnet.

„Ich bin bereit, eine Kiste Champagner zu verwetten.“

„Meinetwegen - abgemacht. Hoffentlich verliere ich.“

„Es wäre wirklich zu hoffen“, hatte Richard lachend gesagt. „Aber einmal im Ernst, Ivar - wie stehen unsere Chancen?“

„Wenn uns die Preußen rechtzeitig zu Hilfe kommen, ausgezeichnet.“

Die Preußen waren tatsächlich unter Führung von Graf Gneisenau rechtzeitig zu Hilfe gekommen und hatten entscheidend in die Schlacht eingegriffen, aber Richard Harlington war es nicht vergönnt gewesen, mit seinen Kameraden den Sieg zu feiern.

Nach dem Essen wirkte das Haus wie ausgestorben.

Daran gewöhnt, ständig von Menschen umgeben zu sein, empfand der Herzog die plötzliche Stille unangenehm hörbar. In Wellingtons Hauptquartier in Paris war es gewöhnlich zugegangen wie in einem Taubenschlag: Staatsmänner hatten sich die Türklinke in die Hand gegeben, Tag und Nacht waren Befehle ausgegeben worden, Beschwerden hatten angehört, Anträge erwogen und Berichte geprüft werden müssen.

Dazu Gesellschaften, Empfänge, Bälle und natürlich endlose Verhandlungen, bei denen viel geredet und oft wenig erreicht worden war.

Allerdings hatte es auch verlockende Stunden gegeben, voller Leidenschaft und Zärtlichkeit.

Die Frauen hatten den jungen General angebetet. Als vor einem Jahr bekannt geworden war, daß er den Titel des Herzogs und die damit verbundenen Ländereien geerbt hatte, hatten sie ihm zu Füßen gelegen.

Er war, wie man zu sagen pflegte, zur höchst begehrenswerten Partie geworden.

Aber auch bereits verheiratete Frauen, attraktive elegante Damen der Gesellschaft, hatten um seine Gunst gebuhlt und ihn zum Liebhaber zu machen versucht.

Kriegshelden standen hoch im Kurs, an erster Stelle natürlich der Herzog von Wellington. Wer es nicht geschafft hatte, ihn zu umgarnen, hatte den ganzen Charme auf den frischgebackenen Herzog von Harlington konzentriert.

So manches Mal hatte er es sich bei der Flut von Komplimenten, mit denen man ihn überhäufte, nicht verkneifen können, zynisch zu lächeln.

Major Gerald Chertson, sein bester Freund, hatte während eines gemeinsamen Ritts das ausgesprochen, was ihm selbst schon durch den Kopf gegangen war.

„Sobald du wieder zu Hause bist, Ivar“, hatte er gesagt, „wirst du wohl oder übel heiraten müssen.“

„Wieso denn das?“ hatte der Herzog gefragt.

„Weil du einen Erben haben mußt“, hatte der Major geantwortet. „Als Herzog bist du dazu verpflichtet. Außerdem mußt du verhindern, daß Jason Harling, dein höchst unerfreulicher Vetter, erreicht, was er anstrebt.“

„Nämlich?“

„Dein Nachfolger zu werden.“

„Das ist doch nicht dein Ernst!“

„Oh doch!“ hatte Gerald Chertson entgegnet. „Jason Harling spricht von nichts anderem. Er erzählt es ganz Paris.“

„Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, aber vielleicht hast du recht. Vielleicht hat er es tatsächlich auf den Titel abgesehen.“

Richard Harling war nicht der einzige der Familie gewesen, der bei Waterloo das Leben hatte lassen müssen. Ein weiterer Cousin - der Sohn des jüngeren Bruders des verstorbenen Herzogs - war in jener Schlacht gefallen.

Hätte Ivars Vater noch gelebt, wäre der Titel vor einem Jahr an ihn gefallen. Das Schicksal hatte es jedoch anders gewollt und ihn zum fünften Herzog auserkoren.

Der von Gerald erwähnte Jason entstammte einem entfernteren Zweig der Familie und war ein Mensch, dessen sich der Herzog schämte.

Während der Kriegsjahre waren sie sich zur großen Erleichterung des Herzogs nie begegnet. Schon allein deshalb nicht, weil Jason sich nicht gescheut hatte, alle nur erdenklichen Hebel in Bewegung zu setzen, um einen sicheren und bequemen Posten abseits der Schlachtfelder zu bekommen.

Er hatte es fertiggebracht, Adjutant eines Schreibtischgenerals zu werden, der abgewartet hatte, bis die Franzosen besiegt waren und erst dann England verlassen hatte und nach Paris gekommen war.

Die Art und Weise, mit der sich Jason bei denen anbiederte, die Macht und Einfluß hatten, war schlicht abstoßend, garantierte ihm aber ein äußerst angenehmes Leben.

Er bewegte sich in den besten Kreisen und ließ keine Gelegenheit ungenutzt, zu seinem Vorteil zu kommen.

Es wurde gemunkelt, daß Jason sogar Bestechungsgelder annahm, doch der Herzog hatte diesbezügliche Gerüchte prinzipiell ignoriert. Was sein entfernter Cousin tat, war schließlich nicht seine Angelegenheit.

Jetzt allerdings, als Familienoberhaupt, konnte er nicht mehr über Jason und dessen Machenschaften hinwegsehen, denn Jason war sein Erbe, sollte er keinen Sohn zeugen.

„Der einzige Grund“, hatte er zu seinem Freund Gerald gesagt, „der mich zu einer Heirat veranlassen könnte, ist die Aussicht, meinem Cousin die Suppe gründlich zu versalzen. Falls er tatsächlich Hoffnungen hegt, mein Erbe anzutreten, werde ich alles tun, diese Hoffnungen zu zerstören.“

„Ich habe mir erzählen lassen, daß er sich ordentliche Summen geborgt hat, um für alle Fälle gerüstet zu sein.“

„Tut mir leid, Gerald, das kann ich nicht glauben!“ hatte sich der Herzog entsetzt. „Es kann doch kein Mensch so dumm sein, daß er auf das Vabanquespiel eines Jason Harling eingeht, der auf die Möglichkeit setzt, ich könne keinen Erben zeugen.“

„Da täuschst du dich, Ivar“, hatte Gerald entgegnet. „Bei den entsprechenden Zinsen ist sogar mancher bereit, auf dieses Vabanquespiel einzugehen.“

„Wer das tut, ist nicht richtig im Kopf. Ich erfreue mich schließlich bester Gesundheit und bin durchaus in der Lage, eine Familie zu gründen. Eine sehr große sogar.“

„Richtig - allerdings unter der Voraussetzung, daß dir nichts zustößt.“

Gerald hatte gezögert, ehe er mit der Sprache herausgerückt war.

„Nach Richards Tod bei Waterloo soll Jason um eine beachtliche Summe gewettet haben, daß du den Krieg nicht überlebst.“

„Die Wette hat er verloren“, hatte der Herzog trocken bemerkt.

„Es ist kaum anzunehmen, daß du beim momentanen Stand der Dinge durch eine französische Kugel stirbst, aber Unfälle gibt es allemal.“

Der Herzog hatte den Kopf zurückgeworfen und gelacht.

„Alles was recht ist, Gerald, jetzt erfindest du Gruselgeschichten. Jason ist viel zu feige für einen Mord. Außerdem gehört er nicht zu denen, die sich die Hände schmutzig machen.“

„Die eigenen natürlich nicht. Denk bloß an den Anschlag auf Wellington im Februar.“

„Meinetwegen, Gerald, aber Andre Cantillon war ein fanatischer Anhänger Bonapartes und deshalb bereit, einen Mord zu begehen.“

„Zugegeben“, hatte Gerald gesagt, „aber Jason Harling - und ich will dir weiß Gott keine Angst einjagen - Jason Harling ist ein fanatischer Anhänger der eigenen Person und ihrer Zukunft.“

„Ich lehne es ab, Gerald, mir über so absurde Spekulationen Gedanken zu machen.“

Als er jetzt jedoch nach einem wirklich köstlichen Dinner vom Speisezimmer in die Bibliothek ging, wurde er nachdenklich.

Er hatte harte Zeiten hinter sich, war von einem Tag zum anderen unverhofft zu Reichtum und Besitz gekommen und sah seine Zukunft gesichert. Er hätte sich wirklich glücklich schätzen können, wenn es nicht einen Jason Harling gegeben hätte, der ihm diese Zukunft neidete.

„Ich werde heiraten müssen“ murmelte er, und seine Gedanken wanderten zu Lady Isobel Dalton.

Als er Paris verlassen hatte, hatte sie keinen Zweifel daran gelassen, daß sie innerhalb einer Woche nachzukommen und ihn in London häufig zu sehen gedachte.

Die attraktive Tochter eines Herzogs und Witwe eines ältlichen Barons, der wegen Völlerei und zu viel Alkohol an einem Herzanfall gestorben war, führte ein mehr als fröhliches Leben.

Sie war eine der vielen Frauen gewesen - Französinnen, Engländerinnen, Russinnen - die darauf erpicht waren, die Kriegshelden nach den langen Jahren der Entbehrung zu trösten.

Bei jeder Gesellschaft waren sie wie Glühwürmchen herumgeschwirrt, und bei einer dieser Gesellschaften hatte Isobel die Hände um den Nacken des Herzogs gelegt und ihm die Lippen geboten, ehe er selbst noch den Wunsch verspürt hatte, sie zu küssen.

Er hatte ihrem aufreizenden Temperament nicht widerstehen können. Von Komplimenten überschüttet, hatte er das Gefühl gehabt, der einzige begehrenswerte Mann der Welt zu sein.

„Ich liebe dich und begehre dich“, hatte sie ihm tausendmal ins Ohr geflüstert. „Ich habe mich auf den ersten Blick in dich verliebt, und nun, Liebling, bist du in einer Position, die ich mir nie erträumt hätte. Ich liebe dich, weil du genauso bist, wie ein Herzog sein sollte - der geborene Ehrenmann.“

Er hatte sehr wohl gespürt, daß sie sich immer mehr in sein Leben drängte und ihn mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln umgarnte. Als er in der Nacht vor seiner Abreise bei ihr geblieben war, hatte sie ungeniert ausgesprochen, welches Ziel sie anstrebte.

„Sobald du alles geregelt hast“, hatte sie gesagt, „werde ich dir zur Seite stehen. Wir werden Gesellschaften geben, und ganz London wird sich darum reißen, bei uns eingeladen zu sein. Wir werden alles übertrumpfen, was es bisher gegeben hat.“

Sie hatte einen kleinen Seufzer ausgestoßen und ihm einen flüchtigen Kuß auf die Stirn gegeben.

„Der Prinzregent“, hatte sie hinzugefügt, „wird alt und die Creme de la Creme braucht einen neuen Gott. Du siehst blendend aus, bist charmant wie sonst keiner und weißt dich durchzusetzen. Die Gesellschaft wird zu dir aufschauen.“

Sie hatte ihn erwartungsvoll angesehen, doch der Herzog hatte sich gehütet, ihr zu sagen, sie sei für ihn die schönste Frau der Welt.

Es war ihm nur zu klar gewesen, daß sie ihn hatte dazu bringen wollen, ihr einen Antrag zu machen, doch er dachte nicht daran, eine Ehe einzugehen, schon gar nicht mit Lady Isobel.

Seine vielen Verwandten, das wußte er, und auch die Gesellschaft würden eine solche Heirat begrüßen, aber das kümmerte ihn wenig.

Obwohl ihn Isobel zu reizen verstand wie bisher keine andere Frau, sagte ihm sein Gefühl, daß sie im Grunde nicht die Frau war, mit der er den Rest seines Lebens verbringen wollte.

Die Kriegsjahre hatten ihn gelehrt, die Stellung der Frau richtig einzuschätzen. Frauen dienten dem Vergnügen. In der eigentlichen Welt des Mannes, die aus Kampf und Tod für das Vaterland bestand, hatten sie nichts zu suchen.

Lady Isobel war anders als die hübschen Portugiesinnen, die sich um die müden Männer bemüht hatten, die nach den harten Gefechten auf der Halbinsel Erholung gebraucht hatten.

Sie war auch anders als die ausgelassenen, attraktiven Französinnen, die einen Mann, mochte er noch so erschöpft sein, zum Lachen brachten und ihn darüber hinwegsehen ließen, daß sie ihm vor seinem Weggehen heimlich die Taschen geleert hatten.

Aber Frauen waren Frauen und ein Mann mußte sich ab und zu von der harten Wirklichkeit des Soldatenlebens ablenken lassen. Doch eine Ehe war etwas völlig anderes.

Während der Reise durch den Norden Frankreichs und der stürmischen Überfahrt über den Ärmelkanal hatte der Herzog wiederholt an Isobel gedacht.

Sie war atemberaubend schön und hatte ihm ihre Liebe immer wieder in den überzeugendsten Worten gestanden.

Dennoch hatte ihn eine eigene Stimme jedes Mal davon abgehalten, ihr die erhoffte Frage zu stellen.

„Ich muß bei dir sein, Ivar“, hatte sie tausendmal gesagt. „Ich kann ohne dich nicht leben und weiß, daß du ohne mich genauso verloren und einsam wärst.“

Er hatte ihr nie widersprochen. Es war einfacher gewesen und auch bequemer, ihre Lippen mit Küssen zu versiegeln.

Als der Herzog Paris verlassen hatte, war Lady Isobel bereits damit beschäftigt gewesen, das Haus aufzulösen, in dem sie gewohnt hatte. Ihr weicher verführerischer Körper beherbergte einen stählernen Willen. Sie war fest entschlossen, Herzogin von Harlington zu werden.

 

Die Gedanken an sie machten ihn nervös.

Er ging zum Kamin und zog ungeduldig an dem elegant mit Perlen bestickten Glockenstrang.

Er brauchte nicht lange zu warten, bis die Tür aufging und ein ziemlich atemloser Bateson auftauchte.

„Ich habe es mir anders überlegt“, teilte ihm der Herzog mit. „Ich werde noch heute aufs Schloß fahren. Man ist ja nur knapp zwei Stunden unterwegs.“

Bateson runzelte die Stirn.

„Haben Euer Gnaden Lady Alvina wissen lassen, daß Euer Gnaden das Schloß zu besuchen beabsichtigen?“ fragte er.

„Nein, denn ich wollte ja ursprünglich bis Ende der Woche hier bleiben“, antwortete der Herzog. „Mir kam nur eben die Idee. Ich bin morgen, spätestens übermorgen wieder zurück.“

„Es wäre klug, Lady Alvina zu benachrichtigen, Euer Gnaden.“

Der Herzog lächelte.

„Aber wo!“ sagte er. „Es sollen meinetwegen keine besonderen Umstände gemacht werden. Nach der wirklich reichlichen und ausgezeichneten Mahlzeit von heute Mittag genügt mir am Abend eine Kleinigkeit. Übrigens - mein Kompliment an die Köchin, Bateson. Veranlassen Sie, daß angespannt wird. Ich nehme doch an, daß die Pferde, die ich bestellt habe, bereits im Stall stehen.“

Der Herzog hatte Gerald, der ja schon eine Woche früher nach London zurückgekommen war, gebeten, sich um Pferde zu kümmern.

Da er und Gerald wie in allem auch in der Auswahl von Pferden größte Ansprüche stellten, mußte der Herzog nicht befürchten, enttäuscht zu werden.

Als man ihm zwanzig Minuten später meldete, daß der Phaeton bereitstehe, mußte er feststellen, wie sehr er sich auf Gerald verlassen konnte.

Die vier kastanienbraunen Stuten waren eine Augenweide. Sie stammten aus bester Zucht und versprachen die Strecke zwischen London und Schloß Harlington in Rekordzeit zurückzulegen.

Während sein Koffer an der Rückseite der Kutsche festgeschnallt wurde, verabschiedete sich der Herzog von Bateson.

„Ich habe übrigens meinem Kammerdiener freigegeben“, erklärte er. „Er soll den Nachmittag nutzen, seine Londoner Verwandten zu besuchen und morgen nachkommen. Es wird ja wohl jemand im Schloß geben, der sich um meine Sachen kümmert.“

„Hoffentlich“, entgegnete Bateson. „Euer Gnaden hätten vielleicht gut daran getan, den Kammerdiener mitzunehmen.“

„Unsinn, Bateson“, sagte der Herzog lachend. „Sie machen sich unnötig Gedanken. Im Schloß ist mit Sicherheit alles noch wie in früheren Tagen.“

Damit sprang der Herzog in den Wagen und ließ sich vom Pferdeknecht die Zügel reichen.

Er freute sich auf die Fahrt. Die Pferde hätten nicht schöner, rassiger und gepflegter sein können, und die Kutsche, die ebenfalls Gerald besorgt hatte, war so leicht, daß sie fast vom Pflaster abhob.

Bateson sah ihm mit besorgter Miene nach. Als der Herzog vom Berkeley Square abbog, drehte sich der Butler um, ließ den roten Teppich aufrollen und ging ins Haus zurück.

In der Küche war seine Frau gerade mit dem Abwasch beschäftigt. Die zwei neueingestellten Mädchen, die sich noch nicht auskannten, standen mehr im Weg herum, als sie halfen.

„Ist er tatsächlich gefahren?“ fragte Mrs. Bateson. „Und Lady Alvina weiß nicht Bescheid?“

„Nein. Wenn Seine Gnaden nicht so plötzlich losgefahren wären, hätten wir sie warnen können, aber so . . .“

Mrs. Bateson stieß einen Seufzer aus.

„Wie unangenehm“, meinte sie. „Und du hast kein Wort zu ihm gesagt?“

„Nein, natürlich nicht.“

„Er wird entsetzt sein.“

Mrs. Bateson hatte den Satz noch nicht beendet, als es an der Haustür klingelte. Der alte Butler stand von seinem Stuhl auf.

„Wer kann denn das sein?“ fragte er.

„Wahrscheinlich Besuch.“

„Ich sehe am besten selbst nach“, brummelte Bateson. „Diese jungen Hüpfer wissen ja doch nicht, was sie sagen sollen.“

Er schlurfte durch den Gang, als schmerzten ihn die Füße.

Als er die Tür öffnete, sah er zu seinem Erstaunen den Phaeton der Harlings vor dem Haus stehen.

„Was ist denn jetzt los?“ fragte er den Diener, der vor ihm stand.

„Seine Gnaden haben irgendwelche Dokumente vergessen. Sie liegen in der Bibliothek auf dem Schreibtisch.“

Bateson lächelte.

Auch ein Herzog ist ein Mensch, dachte er, und macht hin und wieder einen Fehler.

„Kommen Sie mit“, befahl er dem Diener und ging würdevollen Schritts zur Bibliothek.

Der Herzog wartete währenddessen in der Kutsche. Es war ihm unerklärlich, wie er diese wichtigen Papiere hatte vergessen können, die ihm die Bank übergeben hatte. Unter ihnen befand sich nämlich eine Liste, auf der das wesentliche Inventar des Schlosses aufgeführt war.

Da er zum Glück noch nicht weit gefahren war, hatte er wenig Zeit verloren. Trotzdem ärgerte er sich, denn er war ein Mann, der sich ein äußerstes Maß an Disziplin abverlangte.

Als er plötzlich eine Stimme hörte und eine etwas jämmerliche Gestalt neben seiner Kutsche stehen sah, vergaß er seinen Ärger.

„Verzeihen Sie die Frage, Sir. Sind Sie der neue Herzog von Harlington?“

„Ja.“

„Ich wollte Euer Gnaden eben aufsuchen.“

„Tut mir leid, Sie kommen ungelegen. Ich bin auf dem Weg zum Schloß. Sie werden sich ein paar Tage gedulden müssen.“

„Ich müßte Euer Gnaden aber dringlich jetzt sprechen.“

„In welcher Angelegenheit?“ fragte der Herzog ungeduldig.

„Es handelt sich um gewisse Gegenstände aus dem Familienbesitz, Sir. Ich habe etwas dabei, an dem Euer Gnaden wahrscheinlich interessiert sind.“

Der Herzog wehrte ab.

„Ich kaufe momentan nichts, vielen Dank.“

„Die Sachen sind nicht zu verkaufen, Euer Gnaden, sie müssen eingelöst werden.“

Während er sprach, öffnete der Mann die schwarze Tasche, die er bei sich hatte und zog eine große Silberschale heraus.

Als der Herzog das Familienwappen sah, das in der Schale eingraviert war, traute er seinen Augen nicht.

Bei näherem Hinsehen war er der Überzeugung, daß der edle Gegenstand aus der Werkstatt von Thomas Germain stammte, einem berühmten Goldschmied, der fast ausschließlich für Ludwig XV. gearbeitet hatte.

Er mußte an das letzte Diner im Schloß denken und hätte schwören können, daß die Schale an jenem Abend zwischen zwei mehrarmigen Leuchtern auf der Tafel gestanden war.

Sein Vater, der damals noch gelebt hatte, hatte betont, daß das Silber der Harlings seinesgleichen suche. In ganz England könne sich niemand rühmen, so ausgesuchte Stücke sein Eigen zu nennen.

„Woher haben Sie die Schale?“ fragte der Herzog streng. „Falls sie gestohlen wurde, werde ich Sie als Hehler verklagen.“

„Ich bin kein Hehler, Euer Gnaden“, verteidigte sich der Mann. „Ich kann Euer Gnaden genau erklären, wie ich zu der Schale gekommen bin.“

„Dann tun Sie es gefälligst!“

Der Mann schien sich durch den barschen Ton wenig beeindrucken zu lassen.

Der Diener kam mit den gewünschten Papieren aus dem Haus. Als er in die Kutsche steigen wollte, übergab ihm der Herzog die Zügel.

„Ich muß erst noch mit diesem Mann sprechen“, sagte er.

Er nahm dem Diener die Papiere ab, steckte sie in die Tasche und stieg aus der Kutsche.

„Kommen Sie mit“, sagte er zu dem Mann und ging ihm voran ins Haus.

Gefolgt von Bateson, der die Tür hinter ihnen schloß, gingen sie in die Bibliothek.

„So“, sagte der Herzog, „jetzt will ich mir die Schale einmal genauer betrachten. Und wie heißen Sie eigentlich?“

„Emmanuel Pinchbeck, Euer Gnaden. Ich habe ein Leihhaus.“

„Ein Leihhaus?“ wiederholte der Herzog. Damit hatte er am allerwenigsten gerechnet. „Wollen Sie etwa behaupten, daß die Schale versetzt worden ist?“

„Ja, Euer Gnaden, zusammen mit einer ganzen Reihe von anderen Gegenständen.“

Der Herzog stellte die Schale kopfschüttelnd auf den Schreibtisch. Wie man ein so ausgefallen schönes Stück ins Leihhaus bringen konnte, war ihm ein Rätsel.

„Ich muß Sie bitten“, sagte er mit ruhiger, aber kalter Stimme, „mir zu erklären, wie Sie in den Besitz dieser Schale gekommen sind. Wer hat sie verpfändet?“

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