Psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter

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5.1.5 Beeinträchtigung des Denkens

Die Beeinträchtigung des Denkens depressiver Erwachsener wurde am klarsten von Beck (1967) in einer klassischen Studie herausgearbeitet. Auch bei Kindern und Jugendlichen zeigen sich Verzerrungen im Denken, negative Selbstschemata und ein negativer Attributionsstil. Zudem erscheint das Denken verlangsamt und die Kinder und Jugendlichen haben deutliche Konzentrations- und Merkschwierigkeiten, die zu Lernproblemen und einem Leistungsabfall in der Schule führen. Inhaltliche Verzerrungen sind v. a. bei einer schweren Depression im Jugendalter häufig. Diese können bis zu wahnhaften Vorstellungen reichen. Die Wahngedanken sind der depressiven Verstimmung inhaltlich angemessen (z. B. die Überzeugung, dass der Weltuntergang unmittelbar bevorsteht).

5.1.6 Körperliche Beeinträchtigungen

Körperliche Beschwerden sind bei depressiven Kindern und Jugendlichen äußerst häufig. Neben der größeren subjektiven Beeinträchtigung durch alltägliche körperliche Beschwerden sind bei vielen auch die Körperfunktionen der Verdauung gestört. Im Vordergrund stehen meist Appetitlosigkeit und Essensverweigerung – dies aus verschiedenen Gründen: Das Essen schmeckt nicht mehr. Manche klagen über einen üblen Geschmack im Mund oder über Mundtrockenheit. Neben der Nahrungsaufnahme ist die Verdauung beeinträchtigt, es kommt zu einer Hypotonie und einer Aktivitätsabnahme des Magen-Darm-Trakts mit Verstopfung. Wenn die Angst im Vordergrund steht, kann es auch zu einer Zunahme des Essens als Beruhigung kommen. Manche Kinder verlieren die bereits erreichte Kontrolle über ihre Körperfunktionen, es kommt zum Einnässen und Einkoten, was natürlich eine weitere Belastung darstellt.

Besonders häufig sind Schlafstörungen (sowohl Schlaflosigkeit wie auch Hypersomnie). Am häufigsten wird über Einschlafschwierigkeiten geklagt. Kinder und Jugendliche mit schwerer Depression leiden zudem oft unter Durchschlafstörungen mit frühem morgendlichen Erwachen und morgendlichem Pessimum. Träume sind oft traurigen und bedrückenden Inhalts, sodass der Schlaf selten als erholsam erlebt wird.

Neben allgemeiner körperlicher Beeinträchtigung können mit depressiven Verstimmungen auch umschriebene Beschwerden einhergehen (Kopfschmerzen, Rückenschmerzen oder andere chronische Schmerzzustände).

5.2 Klassifikation

Eine depressive Verstimmung kann bei Kindern Teil einer affektiven Störung, aber auch einer Anpassungsreaktion sein. Bei den affektiven Störungen werden verschiedene Formen unterschieden: die unipolaren Störungen, zu denen die Major Depression, die Dysthymie und die Manie zählen, sowie die bipolaren Störungen mit einem Wechsel von manischen und depressiven Episoden.

Die affektiven Störungen werden im DSM-5 getrennt und sind in den Kapiteln „Bipolare und Verwandte Störungen“ sowie „Depressive Störungen“ enthalten. Eine weitere Änderung in DSM-5 bezieht sich auf die Erweiterung der depressiven Störungen um die Prämenstruelle Dysphorische Störung und die Disruptive Affekt regulationsstörung (Falkai & Wittchen, 2015).

5.2.1 Kriterien für eine Episode einer Major Depression (nach DSM-5)

Mindestens fünf der folgenden Symptome müssen während derselben Zwei-Wochen-Periode täglich oder nahezu jeden Tag vorhanden sein und es muss eine deutliche Beeinträchtigung gegenüber der früheren Leistungsfähigkeit gegeben sein. Zusätzlich muss mindestens eines der ersten beiden Symptome vorhanden sein:

1. depressive Verstimmung, bei Kindern und Jugendlichen auch reizbare Verstimmung

2. Verlust an Interesse/Freude an nahezu allen Aktivitäten

3. Gewichts-/Appetitprobleme

4. Schlafstörungen

5. psychomotorische Unruhe/Hemmung

6. Müdigkeit/Energieverlust

7. Gefühl der Wertlosigkeit, unangemessene Schuldgefühle

8. Denk-/Konzentrationsstörungen, verminderte Entscheidungsfähigkeit

9. Gedanken an Tod oder suizidale Tendenzen

Für die Diagnose einer depressiven Episode ist zudem eine deutliche Beeinträchtigung der Bewältigung alltäglicher Anforderungen erforderlich. Die Diagnose darf nicht gestellt werden, wenn die Depression durch eine Trauerreaktion, als Folge von Drogen, Medikamenten oder von körperlichen Auswirkungen einer Krankheit (z. B. Schlaganfall, Multiple Sklerose) erklärt werden kann.

Die Diagnose sollte nur bei einer deutlichen Beeinträchtigung der Ausübung der altersgemäßen sozialen Funktionen bzw. der sozialen Rolle erfolgen, wenn also die betroffenen Kinder oder Jugendlichen merkbar leiden und in ihrer Fähigkeit, Kontakte zu ihrer Umwelt aufrechtzuerhalten, deutlich eingeschränkt sind (Harrington, 2002).

Zusätzlich ist im DSM-5 die Möglichkeit vorgesehen, besondere Merkmale der depressiven Episode näher zu kennzeichnen. Der Schweregrad der Verstimmung kann in drei Stufen (leicht, mittel und schwer) eingeteilt werden. Des Weiteren wird auch das Vorhandensein psychotischer Merkmale und der Status der Remission (in Teilremission, in Remission und unspezifiziert) kodiert. Nach DSM-5 können auch Zusatzkodierungen verwendet werden, diese fallen aber unter die Kategorie „Nicht näher bezeichnete depressive Störungen“. Diese Kategorie wird nur in Situationen verwendet, in denen die charakteristischen Symptome einer depressiven Störung vorherrschen, aber die Kriterien für eine der depressiven Störungen nicht vollständig erfüllt sind. Es können einige besonders herausragende Formen bzw. Typen dieser Kategorie näher bezeichnet werden. DSM-5 führt neun Typen explizit an, drei werden nachfolgend kurz beschrieben:1

der katatone Typ, bei dem Beeinträchtigungen der Motorik im Vordergrund stehen,

der Typ mit atypischen Merkmalen, bei welchem eine Appetit- bzw. Gewichtszunahme, eine Hypersomnie, das Gefühl einer bleiernen Lähmung sowie eine besondere Sensibilität gegenüber sozialer Zurückweisung im Vordergrund stehen,

der melancholische Typ, der weitgehend der endogenen Depression im Sinn der klassischen deutschen Psychiatrie entspricht und dessen Diagnose durch zwei Gruppen von Merkmalen operationalisiert wird: zum einen Verlust der Freude an allen oder fast allen Aktivitäten, zum anderen eine Verschiebung des Tagesrhythmus mit frühem Erwachen und Stimmungstief am Morgen.

5.2.2 Kriterien für die Diagnose der Persistierenden Depressiven Störung (Dysthymie) nach DSM-5

Im Unterschied zur Major Depression ist die Dysthymie durch weniger Symptome und geringere Beeinträchtigung, aber durch eine deutlich längere Dauer gekennzeichnet. Die diagnostischen Kriterien des DSM-5 verlangen für die Diagnose einer Dysthymie das Vorhandensein einer depressiven Stimmungslage für den Großteil der Zeit über wenigstens ein Jahr bei Kindern und Jugendlichen (bei Erwachsenen zwei Jahre) sowie zusätzlich mindestens zwei der folgenden Symptome:

1. Gewichts-/Appetitprobleme

2. Schlafstörungen

3. Müdigkeit/Energieverlust

4. geringes Selbstwertgefühl

5. Konzentrationsschwierigkeiten oder Schwierigkeiten beim Treffen von Entscheidungen

6. Gefühle von Hoffnungslosigkeit

Bei Kindern ist die Abgrenzung zwischen der Dysthymie und der Major Depression allerdings nicht leicht, die Formen gehen ineinander über und scheinen oft Teil eines übergreifenden Problems zu sein (Kovacs, Feinberg, Crouse-Novak, Paulanskas, & Finkelstein, 1994; Harrington, 2002). In diesem Fall wird auch von einer „doppelten Depression“ gesprochen.

5.2.3 Kriterien für die Diagnose einer Disruptiven Affektregulationsstörung nach DSM-5

Diese Diagnose bezieht sich auf Kinder mit einem Symptombild, das durch andauernde Reizbarkeit und häufige Episoden ausgeprägten Kontrollverlustes im Verhalten gekennzeichnet ist. Die Diagnose kann nur für Kinder und Jugendliche ab dem 7. und bis zum 18. Lebensjahr vergeben werden.

Mit dieser Diagnose sollen die Überdiagnose bipolarer Störungen und in diesem Zusammenhang auch unangemessene Behandlungsstrategien im Kindesalter verhindert werden. Dies beruht auf den Ergebnissen neuerer Studien, nach denen Kinder mit dem beschriebenen Symptombild nach dem Erreichen des Jugend- und Erwachsenenalters eher unipolare depressive Störungen oder Angststörungen und nur selten bipolare Störungen entwickeln (Falkai & Wittchen, 2015).

5.2.4 Diagnose der Verlaufsformen von affektiven Störungen

Aufgrund des Verlaufs werden bipolare, bei denen im Lauf der Jahre sowohl Episoden mit einer manischen wie auch solche mit einer depressiven Störung auftreten, und unipolare affektive Störungen unterschieden. Diese Differenzierung gibt das Grundgerüst für die Einteilung der Verlaufsformen in den heutigen psychiatrischen Klassifikationssystemen:

Bipolare I: Kennzeichen ist das Auftreten wenigstens einer manischen Episode. In 90 % der Fälle folgen einer ersten Episode weitere, wobei bei drei Viertel der PatientInnen auch Episoden mit einer Major Depression auftreten. Diese PatientInnen haben in ihrer Verwandtschaft zumeist weitere Angehörige mit einer affektiven Störung, zeigen also eine relativ hohe genetische Belastung. Wenn die PatientInnen Verwandte mit bipolarem Verlauf haben, kommt es meist zu einer häufigeren Aufnahme wegen einer Manie und die manischen Phasen sind schwerer als die depressiven.

– Im Gegensatz zu Erwachsenen mit dieser Verlaufsform, bei denen gewöhnlich diskrete Episoden von Manie bzw. Depression auftreten, die zwischen zwei und neun Monate dauern, ist die häufigste Verlaufsform bei Kindern vor der Pubertät eine lang dauernde Episode mit raschem Wechsel zwischen Manie und Depression oder eine gemischte Manie (gleichzeitiges Auftreten von Manie und Depression). Bei Kindern ist auf eine hohe Komorbidität mit der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung zu achten (Nottelmann, 2001).

 

Bipolare II: Diese PatientInnen wurden ein- oder mehrmals wegen einer Major Depression behandelt und haben zwar keine manische, wohl aber eine hypomanische Episode erlebt, die definitionsgemäß leichter verlaufen ist und höchstens ambulant behandelt werden musste. Eine derartige Episode umfasst einen Zeitraum von mindestens vier Tagen mit einer gehobenen, expansiven oder reizbaren Stimmung. Die PatientInnen zeigen oft eine positive Familienanamnese für Manie und Hypomanie.

Zyklothyme Störung: Diese Diagnose erhalten Kinder und Jugendliche, die über mindestens ein Jahr (bei Erwachsenen zwei Jahre) Perioden mit hypomanen und depressiven Symptomen erleben, ohne dass jemals Kriterien für eine Manie, eine Hypomanie oder eine Episode einer Major Depression erfüllt wurden.

5.2.5 Symptome der Manie

Nach DSM-5 wird eine manische Episode als eine abgegrenzte Episode einer abnormen und anhaltend gehobenen, expansiven oder reizbaren Stimmung sowie einer abnormen und anhaltend gesteigerten zielgerichteten Aktivität oder Energie, die mindestens eine Woche dauert, definiert. Während dieser Zeit müssen mindestens drei der folgenden Symptome bzw. vier, falls die Stimmung nur reizbar ist, dauernd und in ausgeprägtem Maß vorhanden sein:

1. gesteigertes Selbstwertgefühl oder Größenideen

2. vermindertes Schlafbedürfnis (z. B. bereits nach drei Stunden Schlaf ausgeruht)

3. redseliger als gewöhnlich oder Drang, dauernd weiterzureden

4. Ideenflucht oder die subjektive Erfahrung des Gedankenjagens

5. Ablenkbarkeit; die Aufmerksamkeit wird zu leicht von unwichtigen oder irrelevanten Reizen angezogen

6. Steigerung zielgerichteter Aktivität (sozial, bei der Arbeit oder in der Schule, sexuell) oder psychomotorische Unruhe

7. exzessive Beschäftigung mit angenehmen Aktivitäten, die mit großer Wahrscheinlichkeit unangenehme Konsequenzen haben, z. B. ständiges Ausgeben von Lokalrunden, sexuelle Abenteuer oder unvernünftige und riskante geschäftliche Investitionen

Die Diagnose einer Manie ist bei Kindern besonders schwierig (Bowring & Kovacs, 1992). Vor allem bei jüngeren Kindern geht es darum, sie von einem Hyperaktivitätssyndrom abzugrenzen, wobei bei der Manie die Stimmungsveränderungen abrupter sind und die gesteigerte Aktivität zielgerichteter erscheint. Jüngere Kinder scheinen reizbarer und emotional labiler zu sein, während etwa ab dem 10. Lebensjahr deutlicher die inhaltlichen Denkstörungen mit einer überhöhten Selbsteinschätzung, aber auch paranoide Ideen hervortreten (Carlson, 1990). Beschleunigtes Sprechen, eine Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit sowie motorische Unruhe sind in allen Altersstufen anzutreffen.

Bei Kindern können auch Glücksgefühle, Albernheit und Dummheiten bei bestimmten Anlässen normal sein. Falls diese Symptome jedoch periodisch auftreten, unangemessen für den jeweiligen Kontext sind und über das hinausgehen, was bei dem Entwicklungsstand des Kindes zu erwarten wäre, könnte man von einer manischen Episode sprechen (Kriterium A im DSM-5). Wenn die veränderte Stimmungslage so ausgeprägt ist, dass daraus eine deutliche Einschränkung der schulischen Leistungsfähigkeit, sozialer Aktivitäten oder der Beziehungen zu anderen entsteht, wird von einem manischen Syndrom gesprochen. Ist dies nicht der Fall, sind aber trotzdem die oben angeführten Symptome vorhanden, ist von einer hypomanischen Episode die Rede.

5.3 Diagnostik und diagnostische Instrumente

Es steht heute eine Vielzahl von Methoden zur Diagnose einer Depression bei Kindern und Jugendlichen zur Verfügung, die sich entweder stärker auf den Eindruck der ExpertInnen (Fremdbeurteilung) oder die Selbsteinschätzung der Betroffenen stützen. Für die klinische Diagnostik am bedeutsamsten sind diagnostische Interviewleitfäden, die in hoch- oder halbstrukturierter Form bereits die Fragen vorgeben, die den Kindern und Jugendlichen bzw. deren Eltern gestellt werden sollten. Im Weiteren werden auch Richtlinien für die Auswertung und Algorithmen für das Stellen einer Diagnose vorgegeben. Interviews haben den Vorteil, dass von dem/der InterviewerIn nachgefragt werden kann. Damit kann er/sie besser klären, wie die Berichte zu verstehen sind.

Im Deutschen liegt eine Interviewform vor, die an das Interview angelehnt ist, das zur Diagnose von klinisch-psychologischen Störungen des Erwachsenenalters entwickelt wurde, das Kinder-DIPS2, das stark strukturiert ist. Es gibt aber auch halbstrukturierte Interviewleitfäden wie das CASCAP-D3 (Döpfner, Berner, Flechtner, Lehmkuhl, & Steinhausen, 1999), das von einer internationalen Arbeitsgruppe entwickelt wurde.

Zur Diagnose einer depressiven Störung ist nicht nur ein Gespräch mit den Eltern, sondern auch mit den Kindern und Jugendlichen nötig, wobei sich zeigt, dass die Auskunftspersonen häufig nicht miteinander übereinstimmen. Für beide eben erwähnten Interviewleitfäden wurden deshalb parallele Formen sowohl für das Gespräch mit den Eltern als auch mit den Kindern und Jugendlichen entwickelt. Ein Interview mit Eltern und Kindern wird heute als Standard für die Depressionsdiagnostik bei Kindern bezeichnet.

Neben den Interviewleitfäden liegen auch mehrere Fragebögen in schriftlicher Form vor, die eine Selbst- bzw. Fremdeinschätzung des Verhaltens und der Stimmung erlauben. Einige der im deutschen Sprachraum häufiger verwendeten Verfahren sind:

Depressionsinventar für Kinder und Jugendliche (DIKJ): Dieses Instrument, das in Form eines Fragebogens vorgelegt wird, ist aus einer Modifikation des Beck’schen-Depressionsinventars entstanden: Die Kinder und Jugendlichen sollen den Ausprägungsgrad von 29 Depressionssymptomen einschätzen.4 Die für Kinder modifizierte Form ist aus dem Angloamerikanischen, wo es 27 Fragen enthielt (Kovacs, 1992), ins Deutsche übertragen worden (Stiensmeier-Pelster, Braune-Krickau, Schürmann, & Duda, 2014).

Diagnostik-System für psychische Störungen nach ICD-10 und DSM-5 für Kinder und Jugendliche – III (DISYPS-III; Döpfner & Görtz-Dorten, 2017).

Depressionstest für Kinder – II (DTK-II) (Rossmann, 2014): Dieser Bogen umfasst 55 Fragen, die drei Subskalen zugeordnet werden: Selbstwert, agitiertes Verhalten und Müdigkeit/autonome Reaktionen. Dieses Verfahren trägt als dimensionales Verfahren auch der Tatsache Rechnung, dass depressive Entwicklungen bei Kindern auf einem Kontinuum situiert sind und Kinder und Jugendliche gefährdet sein können, selbst wenn die Störung noch nicht klinisch ausgeprägt ist.

Depressionstest für Kinder im Grundschulalter (DTGA) (Esser, Laucht, Drews, & Ihle, 2013): Der Test ist mit 12 Items ein ökonomisches Verfahren zur Erhebung von depressionsspezifischen Kognitionen, Gefühlen und Verhaltensweisen bei Kindern.

Bei Kindern und Jugendlichen, die in ihrer Reflexionsfähigkeit eingeschränkt sind, können standardisierte Beobachtungsverfahren eine wichtige Rolle spielen (Garber & Kaminski, 2000). Für jüngere Kinder sind auch Interviews mit Puppen sowie standardisierte Bilderfragebögen entwickelt worden (Harrington, 2002).

5.4 Häufigkeit, Risikofaktoren

Zur Häufigkeit depressiver Störungen bei Kindern und Jugendlichen gibt es sehr unterschiedliche Angaben. Sogar in neueren Untersuchungen, die sich meist auf die Kriterien des DSM-IV beziehen, werden Unterschiede deutlich, die durch die Einbeziehung verschiedener Informanten (Eltern und Kinder bzw. Jugendliche) bedingt sind. Auch bleibt es schwierig zu entscheiden, ob eine Störung klinisch relevant ist. Die neueren Untersuchungen kommen bei Kindern im Vorschulalter auf eine Prävalenz von weniger als 1 %, im Grundschulalter auf eine Lebenszeitprävalenz von 1 bis 5 % (bzw. eine Jahresprävalenz von 0,5–2,5 %). Von KlinikerInnen wird aber darauf hingewiesen, dass sich Symptome einer depressiven Störung bei Kindern in maskierter Form zeigen können (z. B. Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Einnässen, Einkoten, sozialer Rückzug, aggressive Ausbrüche) und daher die Anwendung der diagnostischen Kriterien, die für Erwachsene entwickelt wurden, zur Unterschätzung dieser Prävalenz führt (Rossmann, 2015).

Bei Jugendlichen ergaben verschiedene Untersuchungen eine Jahresprävalenz von 2 bis 8 % und eine Lebenszeitprävalenz von bis zu 18 %. In den USA hatten beispielsweise 12,5 % der 12- bis 17-Jährigen im Jahr 2014 eine Episode der Major Depression (Center for Behavioral Health Statistics and Quality, 2016). Die Lebenszeitprävalenz erscheint damit im Jugendalter nicht wesentlich geringer als im Erwachsenenalter, was dafür spricht, dass ein Großteil der depressiven Störungen heute schon vor dem 20. Lebensjahr beginnt (Harrington, 2002; Essau, 2002; Polanczyk, Salum, Sugaya, Caye, & Rohde, 2015). Für die disruptive Affektregulation liegt die 3-Monats-Prävalenz bei 2- bis 17-Jährigen zwischen 0,8 und 3,3 %, wobei die höchsten Prävalenzen bei Kindern im Vorschulalter festgestellt wurden (Copeland, Shanahan, Egger, Angold, & Costello, 2014). Die 6-Monats- bis 1-Jahres-Prävalenzen liegen nach Angaben von Falkai und Wittchen (2015) bei Kindern zwischen 2 und 5 %, wobei angenommen wird, dass die höchsten Raten bei Kindern im Schulalter sowie bei Jungen zu finden sind.

Es erscheint bemerkenswert, dass vor der Pubertät die Häufigkeit depressiver Verstimmungen bei Jungen und Mädchen vergleichbar ist, jedoch bei Mädchen – beginnend mit etwa 14 Jahren – eine deutlich stärkere Zunahme depressiver Störungen festzustellen ist und diese dann im Jugend- und Erwachsenenalter bei Mädchen und Frauen deutlich häufiger sind (Avenevoli, Swendsen, He, Burstein, & Merikangas, 2015; Salk, Hyde, & Abramson, 2017).

Es gibt Hinweise dafür, dass in den letzten Jahrzehnten depressive Störungen bei Jugendlichen in den Industrieländern deutlich zugenommen haben. Das erste Auftreten einer depressiven Verstimmung erfolgt heute früher als in der Generation der 1940er- und 1950er-Jahre und ein größerer Teil des Lebens ist durch depressive Phasen beeinträchtigt. Dies wurde mittlerweile nicht nur in mehreren größeren Stichproben in den USA bestätigt, sondern auch in internationalen Vergleichsstudien, in die auch eine epidemiologische Untersuchung aus Deutschland integriert war (Cross-National Collaborative Group, 1992; Bitsko et al., 2018).

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