Die Rückkehr des Sherlock Holmes

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Soweit die wichtigsten Aussagen der Dienstmädchen. Auf eine Frage Inspektor Martins antworteten sie einhellig, daß sämtliche Türen von innen verschlossen gewesen seien und niemand aus dem Haus hätte entweichen können. Auf eine Frage von Holmes erinnerten sie sich beide, den Pulvergeruch von dem Moment an wahrgenommen zu haben, da sie aus ihren Zimmern in der oberen Etage gelaufen seien. »Ich empfehle diese Tatsache Ihrer ganz besonderen Aufmerksamkeit«, sagte Holmes zu seinem professionellen Kollegen. »Ich denke, wir sind jetzt in der Lage, jenes Zimmer einer gründlichen Untersuchung zu unterwerfen.«

Das Arbeitszimmer erwies sich als eine kleine Kammer; an drei Wänden standen Bücherregale, und vor einem gewöhnlichen Fenster, das auf den Garten hinaussah, befand sich ein Schreibtisch. Wir widmeten unsere Aufmerksamkeit zunächst der Leiche des unglücklichen Gutsherrn, dessen mächtiger Körper in dem Räume hingestreckt lag. Seine unordentliche Kleidung ließ darauf schließen, daß er hastig aus dem Schlaf gerissen worden war. Die Kugel war von vorne auf ihn abgefeuert worden und, nachdem sie das Herz durchschlagen hatte, im Körper steckengeblieben. Sein Tod war zweifellos augenblicklich und schmerzlos eingetreten. Weder an seinem Schlafrock noch an seinen Händen fanden sich Pulverspuren, während die Lady nach Aussage des Landarztes solche im Gesicht, aber nicht an den Händen aufwies.

»Deren Fehlen besagt gar nichts, wohingegen das Vorhandensein alles bedeuten kann«, sagte Holmes. »Wenn das Pulver nicht gerade zufällig aus einer schlecht verarbeiteten Patrone nach hinten spritzt, kann man viele Schüsse abfeuern, ohne Spuren zu hinterlassen. Ich denke, man sollte Mr. Cubitts Leiche jetzt wegschaffen. Doktor, ich nehme an, Sie haben die Kugel, welche die Lady getroffen hat, noch nicht gefunden?«

»Dazu wird eine riskante Operation erforderlich sein. Aber es befinden sich noch vier Patronen in dem Revolver. Zwei wurden abgeschossen und verursachten zwei Wunden, so daß es für beide Kugeln eine Erklärung gibt.«

»So scheint es«, sagte Holmes. »Vielleicht können Sie auch die Kugel erklären, die hier ganz offensichtlich den Fensterrahmen durchschlagen hat?«

Er hatte sich plötzlich umgewandt und zeigte mit seinem langen dünnen Finger auf ein Loch im unteren Teil des Rahmens, etwa einen Zoll über der Leiste.

»Donnerwetter!« rief der Inspektor. »Wie haben Sie das nur entdecken können?«

»Weil ich danach gesucht habe.«

»Wunderbar!« sagte der Landarzt. »Gewiß haben Sie recht, Sir. Dann wurde ein dritter Schuß abgegeben, und somit muß noch ein Dritter dagewesen sein. Aber wer kann das gewesen sein, und wie kann er entkommen sein?«

»Genau dieses Problem wollen wir jetzt lösen«, sagte Sherlock Holmes. »Sie erinnern sich, Inspektor Martin, an die Aussage der Dienstmädchen, daß sie beim Verlassen ihrer Zimmer sogleich einen Pulvergeruch wahrgenommen hätten? Und daß ich bemerkte, dieser Punkt sei von außerordentlicher Bedeutung?«

»Ja, Sir. Aber ich muß gestehen, daß ich Ihnen nicht ganz folgen konnte.«

»Dies deutete darauf hin, daß zur Zeit der Schüsse sowohl das Fenster als auch die Tür dieses Zimmers hier offen waren. Sonst hätte der Pulverdampf nicht so schnell durch das Haus ziehen können. Dazu brauchte es einen Luftzug in dem Zimmer. Jedoch standen Tür und Fenster nur eine kurze Zeit offen.«

»Wie wollen Sie das beweisen?«

»Weil die Kerze nicht getropft hat.«

»Phantastisch!« rief der Inspektor. »Phantastisch!«

»In dem sicheren Gefühl, daß das Fenster zum Zeitpunkt des tragischen Geschehens offen war, kam ich auf den Gedanken, daß ein Dritter mit der Sache zu tun haben könnte, der draußen gestanden und durch diese Öffnung geschossen hat. Ein Schuß auf diesen Dritten hätte durchaus den Fensterrahmen treffen können. Ich sah nach, und was fand ich – natürlich die Spur der Kugel!«

»Aber wie konnte das Fenster verschlossen und verriegelt werden?«

»Das dürfte die Frau ganz instinktmäßig getan haben. Doch, hallo! Was ist denn das?«

Auf dem Schreibtisch stand eine Damenhandtasche – eine schmucke kleine Krokodillederhandtasche mit Silberbeschlag. Holmes öffnete sie und kippte sie aus. Ihr Inhalt bestand aus zwanzig 50-Pfund-Noten der Bank von England, die von einem Gummiband zusammengehalten wurden – weiter nichts.

»Dies muß aufgehoben werden; es wird in dem Prozeß eine Rolle spielen«, sagte Holmes, indem er die Tasche und ihren Inhalt dem Inspektor übergab. »Wir müssen jetzt versuchen, ein wenig Licht auf diese dritte Kugel zu werfen, die, wie die Zersplitterung des Holzes zeigt, offenbar von innerhalb des Zimmers abgefeuert wurde. Ich möchte gern noch einmal Mrs. King, die Köchin, sprechen ... Mrs. King, Sie sagten, Sie seien von einem lauten Knall geweckt worden. Wollten Sie damit sagen, daß dieser Ihnen lauter als der zweite vorgekommen sei?«

»Nun, Sir, er riß mich aus dem Schlaf, da kann ich das schwer beurteilen. Aber er kam mir sehr laut vor.«

»Sie meinen nicht, es könnte sich womöglich um zwei fast gleichzeitig abgefeuerte Schüsse gehandelt haben?«

»Ich könnte es nicht beschwören, Sir.«

»Ich glaube, daß es zweifellos so war. Inspektor Martin, ich möchte meinen, wir haben nun alles ausgeschöpft, was dieses Zimmer uns zu bieten hat. Wenn Sie freundlicherweise mit mir einen Rundgang machen, wollen wir einmal nachsehen, welche neuen Hinweise der Garten für uns bereithält.«

Unter dem Fenster des Arbeitszimmers lag ein Blumenbeet, und als wir dort herantraten, brachen wir alle in erstaunte Ausrufe aus. Die Blumen waren niedergetrampelt, und der weiche Boden war über und über mit Fußstapfen bedeckt. Es handelte sich um Abdrücke von großen, männlichen Schuhen mit eigentümlich langen und spitzen Kappen. Holmes stöberte im Gras und unter den Blättern herum wie ein Jagdhund, der nach einem angeschossenen Vogel sucht. Schließlich bückte er sich mit einem Ausruf der Befriedigung und hob einen kleinen metallenen Zylinder auf.

»Das dachte ich mir«, sagte er. »Der Revolver hatte einen Auswerfer, und dies ist die dritte Patrone. Inspektor Martin, ich denke wahrhaftig, unser Fall ist hiermit so gut wie abgeschlossen.«

Das Gesicht des Landpolizisten hatte sein heftiges Staunen über den raschen und meisterlichen Fortschritt der Holmesschen Ermittlungen widergespiegelt. Während er anfangs noch geneigt erschienen war, seine eigene Vorgehensweise durchsetzen zu wollen, war er jetzt von Bewunderung überwältigt und bereit, Holmes ohne Wenn und Aber zu folgen.

»Wen haben Sie in Verdacht?« fragte er.

»Dazu komme ich später. Dieser Fall weist einige Aspekte auf, die ich Ihnen noch nicht habe darlegen können. Nun, da ich einmal so weit gekommen bin, sollte ich am besten zunächst meinen Weg weiterverfolgen und so die ganze Sache ein für allemal aufklären.«

»Ganz wie Sie wünschen, Mr. Holmes, solange wir nur unseren Mann zu fassen bekommen.«

»Ich hege kein Verlangen, mich mit Geheimnissen zu umgeben, doch wenn gehandelt werden muß, kann man unmöglich in lange und komplizierte Erklärungen eintreten. Ich halte alle Fäden dieser Angelegenheit in der Hand. Selbst wenn diese Lady nie mehr zu Bewußtsein kommen sollte, können wir die Ereignisse der letzten Nacht noch rekonstruieren und gewährleisten, daß die Gerechtigkeit ihren Lauf nimmt. Zunächst einmal möchte ich wissen, ob es in der Nachbarschaft einen Gasthof namens Elrige's gibt?«

Die Dienerschaft wurde ins Kreuzverhör genommen, aber niemand kannte ein solches Haus. Der Stallbursche brachte Licht in die Sache, indem er sich erinnerte, daß ein Bauer dieses Namens einige Meilen entfernt Richtung East Ruston wohnte.

»Ist es ein einsamer Bauernhof?«

»Sehr einsam, Sir.«

»Könnte es sein, daß man dort noch nichts von dem, was heute nacht hier vorgefallen ist, gehört hat?«

»Schon möglich, Sir.«

Holmes dachte kurz nach, dann spielte ein seltsames Lächeln über sein Gesicht.

»Sattle ein Pferd, mein Junge«, sagte er. »Ich möchte, daß du einen Brief dorthin bringst.«

Er zog die diversen Zettel mit den tanzenden Männchen aus der Tasche, legte sie vor sich auf den Schreibtisch und schrieb eine Zeitlang. Schließlich übergab er dem Jungen einen Brief und wies ihn an, ihn dem Adressaten auszuhändigen und auf keinerlei Fragen welcher Art auch immer eine Antwort zu geben. Ich sah nur den Umschlag des Briefs, auf dem in weitschweifiger, unregelmäßiger Schrift, die sich von Holmes' gewöhnlicher exakter Hand beträchtlich unterschied, folgende Adresse stand: An Mr. Abe Slaney, Elrige's Farm, East Ruston, Norfolk.

»Inspektor«, bemerkte Holmes, »ich denke, Sie täten gut daran, telegraphisch Verstärkung anzufordern; denn falls meine Überlegungen sich als richtig erweisen sollten, werden Sie einen außerordentlich gefährlichen Gefangenen in Ihr Landgefängnis überfuhren müssen. Der Junge, der diesen Brief mitnimmt, könnte zweifellos auch Ihr Telegramm weiterleiten.

Falls heute nachmittag ein Zug nach London geht, sollten wir ihn nehmen, Watson, da ich noch eine interessante chemische Analyse zu beendigen habe und die Ermittlungen hier ja rasch ihrem Ende zustreben.«

Nachdem der junge Mann mit dem Brief losgeschickt war, gab Sherlock Holmes den Dienstboten seine Anweisungen: Falls irgendein Besucher vorsprechen und nach Mrs. Hilton Cubitt fragen sollte, dürften keinerlei Auskünfte über ihren Zustand gegeben werden; vielmehr sollte man ihn sofort in den Salon führen. Er schärfte ihnen dies mit äußerstem Nachdruck ein. Schließlich führte er uns in den Salon, wobei er bemerkte, die Sache liege nun nicht mehr in unserer Hand, und wir müßten uns so gut es gehe die Zeit vertreiben, bis wir sähen, was auf uns zukomme. Der Arzt war zu seinen Patienten abgegangen, und nur der Inspektor und ich waren noch da.

 

»Ich denke, ich kann Ihnen eine Stunde auf interessante und lehrreiche Weise verkürzen helfen«, sagte Holmes, rückte seinen Stuhl an den Tisch und breitete die verschiedenen Zettel vor sich aus, auf denen die grotesken Ornamente der tanzenden Männchen verzeichnet waren. »Was Sie betrifft, Watson, so schulde ich Ihnen Genugtuung für die Geduld, mit der Sie Ihre natürliche Neugier so lange unbefriedigt in Zaum halten mußten. Ihnen, Inspektor, wird die ganze Angelegenheit als bemerkenswerte berufliche Studie reizvoll erscheinen. Zunächst muß ich Ihnen die interessanten Einzelheiten in Zusammenhang mit den Besuchen mitteilen, die Mr. Hilton Cubitt mir in Baker Street abgestattet hat.« Er faßte hierauf kurz die Tatsachen zusammen, die ich bereits berichtet habe.

»Vor mir liegen nun diese eigenartigen Produkte, die man belächeln könnte, wenn sie sich nicht als Vorboten einer so furchtbaren Tragödie entpuppt hätten. Ich bin mit allen Arten von Geheimschriften ziemlich vertraut und habe auch selbst eine bescheidene Monographie über diesen Gegenstand verfaßt, in der ich einhundertsechzig verschiedene Chiffrensysteme analysiert habe; doch muß ich gestehen, daß dies hier mir vollkommen neu war. Ziel der Erfinder dieses Systems war offenbar zu verbergen, daß diese Zeichen eine Botschaft enthielten, und die Vorstellung zu erwecken, es handele sich lediglich um zufällige Kinderzeichnungen.

Nachdem ich jedoch erst einmal erkannt hatte, daß diese Symbole für Buchstaben stehen, und nach Anwendung der Regeln, die uns bei allen Arten von Geheimschriften leiten, fiel mir die Lösung ziemlich leicht. Die erste mir vorgelegte Botschaft war so kurz, daß ich eigentlich nur mit einiger Bestimmtheit erraten konnte, welches Symbol für den Buchstaben E stand. Wie Sie wissen, ist E der häufigste Buchstabe; er herrscht in so entschiedenem Ausmaße vor, daß man selbst bei einem kurzen Satz davon ausgehen kann, ihn dort als den häufigsten anzutreffen. Von den sechzehn Symbolen der ersten Botschaft kam nur eines dreimal vor, so daß ich dieses als E annahm. Freilich trug diese Figur in einem Fall eine Flagge und in den beiden anderen nicht, doch machte die Art der Verteilung der Flaggen die Annahme wahrscheinlich, daß sie zur Aufteilung des Satzes in einzelne Wörter dienten. Ich setzte dies einmal voraus und notierte, daß der Buchstabe E von dem Symbol


dargestellt werde.

Nun aber kam die eigentliche Schwierigkeit der Untersuchung. Die Häufigkeitsverteilung der Buchstaben nach E ist keinesfalls eindeutig, und jedes Überwiegen eines Buchstabens etwa auf einer Buchseite kann in einem kurzen Satz auf den Kopf gestellt sein. Grob gesagt, verteilen sich die Buchstaben nach der Häufigkeit so: N, I, R, S, A, H, T, U, C und L. Aber N, I, R, S und A folgen einander ziemlich dicht gleichauf, und es wäre ein endloses Mühen, jede Kombination durchzuspielen, bis ein Sinn zum Vorschein kommt. Ich wartete daher auf neues Material. Beim zweiten Gespräch konnte Mr. Hilton Cubitt mir zwei weitere kurze Sätze geben sowie eine Botschaft, die – da sie keine Flagge enthielt – nur aus einem Wort bestand:


Nun habe ich in diesem einzelnen Wort aus drei Buchstaben bereits das E am Ende. Es könnte demnach ›sie‹ oder ›die‹ oder ›nie‹ heißen. Fraglos ist letzteres als Antwort auf eine Aufforderung bei weitem das wahrscheinlichste; und die ganzen Umstände wiesen darauf hin, daß die Lady es war, die diese Antwort geschrieben hatte. Dies als richtig vorausgesetzt, sind wir jetzt in der Lage zu behaupten, die Symbole


stehen für N beziehungsweise I.

Auch jetzt noch war die Sache ziemlich schwierig, aber ein glücklicher Einfall brachte mich in den Besitz einiger weiterer Buchstaben. Mir kam nämlich die Idee, daß, falls diese Aufforderungen, wie ich annahm, von jemandem stammten, der mit der Lady in ihrem früheren Leben in enger Beziehung gestanden hatte, eine Kombination aus fünf Buchstaben mit einem E vorne und IE hinten durchaus für den Namen ELSIE stehen könnte. Ich überprüfte dies und fand, daß eine solche Kombination den Anfang der dreimal wiederholten Botschaft bildete. Es handelte sich hier mit Sicherheit um irgendeine Aufforderung an ›Elsie‹. Auf diese Weise erhielt ich die Buchstaben L und S. Doch worin mochte diese Aufforderung bestehen? Das Wort nach ›Elsie‹ bestand aus nur vier Buchstaben, von denen die letzten beiden gleich waren. Es konnte eigentlich nur ›KOMM‹ heißen. Ich probierte auch alle anderen derartigen vierbuchstabigen Wörter, konnte aber keines finden, das hier noch gepaßt hätte. Ich besaß nun also drei weitere Buchstaben und war somit in der Lage, mich noch einmal an die erste Botschaft zu machen; ich teilte sie in einzelne Wörter ab und setzte für jedes noch unbekannte Symbol einen Punkt. Dabei kam folgendes heraus:

.IN .IE. . .E SL.NE.

Nun kann der erste Buchstabe hier nur ein B sein, eine nützliche Entdeckung, da er in diesem kurzen Satz noch einmal auftaucht; und das zweite Wort kann bei einigem Nachdenken nur HIER heißen, so daß wir jetzt haben:

BIN HIER .BE SL.NE.

Die letzten beiden Wörter bilden offensichtlich einen Namen und dürften so zu ergänzen sein:

ABE SLANEY

Ich hatte nun so viele Buchstaben, daß ich mich recht zuversichtlich an die zweite Botschaft begeben konnte, die zunächst einmal so aussah:

BEI ELRI.ES

Der fehlende Buchstabe konnte hier sinnvollerweise nur ein G sein, und ich nahm an, dies sei der Name eines Hauses oder Gasthofs, in dem der Verfasser sich aufhielt.«

Inspektor Martin und ich hatten der ausführlichen und klaren Darstellung, wie mein Freund zu seinen Ergebnissen gekommen war, mit denen er unsere Schwierigkeiten so vollständig in den Griff bekommen hatte, mit äußerstem Interesse zugehört.

»Was haben Sie dann unternommen, Sir?« fragte der Inspektor.

»Ich hatte allen Grund zu der Annahme, daß dieser Abe Slaney ein Amerikaner war, denn Abe ist ein amerikanischer Kurzname, und ein Brief aus Amerika war der Ausgangspunkt der ganzen bösen Geschichte. Des weiteren wurde ich den Verdacht nicht los, daß hinter der Sache irgendein kriminelles Geheimnis steckte. Die Anspielungen der Lady auf ihre Vergangenheit und ihre Weigerung, sich ihrem Manne anzuvertrauen, wiesen beide in diese Richtung. Ich telegraphierte daher an meinen Freund Wilson Hargreave von der New Yorker Polizei, der schon des öfteren aus meinen Kenntnissen der Londoner Unterwelt Nutzen gezogen hatte. Ich fragte ihn, ob ihm der Name Abe Slaney bekannt sei. Hier seine Antwort: ›Der gefährlichste Gauner Chicagos.‹ Am selben Abend, an dem ich diese Antwort erhielt, schickte Hilton Cubitt mir Slaneys letzte Botschaft. Unter Verwendung der bekannten Buchstaben sah sie so aus:

ELSIE SEI . .M S.ERBEN BEREI.

Das Einsetzen von Z und U sowie zwei T vervollständigte eine Botschaft, die mir zeigte, daß der Schurke sich vom Bitten aufs Drohen verlegt hatte; und meine Kenntnis der Chicagoer Gauner ließ mich darauf gefaßt sein, daß er sein Wort sehr rasch in die Tat umsetzen könnte. Ich kam so schnell es ging mit meinem Freund und Kollegen Dr. Watson nach Norfolk, fand aber leider nur noch, daß inzwischen das Schlimmste eingetreten war.«

»Es ist ein besonderer Vorzug, mit Ihnen zusammen einen Fall bearbeiten zu dürfen«, sagte der Inspektor herzlich. »Verzeihen Sie mir jedoch, wenn ich offen zu Ihnen bin. Sie sind nur sich selbst verantwortlich, während ich mich vor meinen Vorgesetzten zu verantworten habe. Wenn dieser Abe Slaney, der da bei Elriges wohnt, wirklich der Mörder ist, und wenn er, während ich hier herumsitze, die Flucht ergreift, werde ich gewiß in ernstliche Schwierigkeiten kommen.«

»Beunruhigen Sie sich nicht. Er wird nicht versuchen, zu fliehen.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Mit seiner Flucht würde er seine Schuld eingestehen.«

»Dann wollen wir ihn verhaften.«

»Ich erwarte sein Eintreffen jeden Augenblick.«

»Aber warum sollte er hierherkommen?«

»Weil ich ihn in meinem Brief darum gebeten habe.«

»Aber das ist doch unglaublich, Mr. Holmes! Wieso sollte er kommen, nur weil Sie ihn darum bitten? Würde ein solches Ansinnen nicht eher seinen Verdacht erregen und ihn zur Flucht veranlassen?«

»Ich denke, ich habe den Brief wohl abzufassen gewußt«, sagte Sherlock Holmes. »Ja, wenn ich nicht sehr irre, kommt der Gentleman soeben den Torweg herauf.«

Tatsächlich schritt ein Mann den Pfad auf die Tür zu. Es war ein großer, stattlicher, braungebrannter Bursche, gekleidet in einen grauen Flanellanzug und Panamahut; er hatte einen strotzenden schwarzen Bart und eine aggressive Hakennase und schwenkte beim Gehen einen Stock. Er stolzierte über den Weg, als ob das Anwesen ihm gehöre, und wir hörten, wie er laut und dreist die Glocke zog.

»Gentlemen, ich glaube«, sagte Holmes ruhig, »wir sollten uns am besten hinter der Tür aufstellen. Beim Umgang mit solchen Burschen kann man gar nicht vorsichtig genug sein. Sie werden Ihre Handschellen benötigen, Inspektor. Das Reden können Sie mir überlassen.«

Schweigend warteten wir eine Minute – eine jener Minuten, die man nie vergessen kann. Dann öffnete sich die Tür, und der Mann trat herein. Blitzschnell setzte Holmes ihm eine Pistole an den Kopf, und Martin legte ihm die Handschellen an. All dies geschah so rasch und behende, daß der Bursche schon wehrlos war, ehe er auch nur merken konnte, wie ihm geschah. Er starrte uns mit seinen funkelnden schwarzen Augen einen nach dem anderen an. Dann brach er in ein bitteres Lachen aus.

»Nun, Gentlemen, jetzt freilich sind Sie am Drücker. Ich scheine hier auf Grund gelaufen zu sein. Aber ich kam hierher, weil Mrs. Hilton Cubitt mich in einem Brief darum gebeten hat. Sagen Sie nur nicht, daß sie dahintersteckt! Sagen Sie mir nicht, sie hätte Ihnen dabei geholfen, mir diese Falle zu stellen!«

»Mrs. Hilton Cubitt wurde gefährlich verwundet und steht an der Pforte des Todes.«

Der Mann stieß einen rauhen Schmerzensruf aus, der durch das ganze Haus schallte.

»Sie sind verrückt!« schrie er hitzig. »Er wurde verwundet, nicht sie. Wer würde der kleinen Elsie etwas zuleide tun? Ich mag sie bedroht haben, Gott verzeih mir, aber ich würde ihr nicht ein einziges Haar auf ihrem hübschen Kopf krümmen! Nehmen Sie das zurück – Sie! Sagen Sie, daß sie nicht verwundet ist!«

»Sie wurde schwer verletzt neben ihrem toten Mann gefunden.«.

Er sank mit einem tiefen Stöhnen auf das Sofa und vergrub das Gesicht in seinen gefesselten Händen. Fünf Minuten verharrte er schweigend. Dann sah er wieder auf und sprach mit der kalten Fassung des Verzweifelten.

»Ich habe Ihnen nichts zu verbergen, Gentlemen«, sagte er. »Wenn ich auch auf diesen Mann geschossen habe, so hat er auch auf mich geschossen, und das ist dann kein Mord gewesen. Aber wenn Sie glauben, ich könnte dieser Frau etwas getan haben, dann kennen Sie weder mich noch sie. Ich sag Ihnen, auf der ganzen Welt hat nie ein Mann eine Frau mehr geliebt als ich sie. Ich hatte ein Recht auf sie. Vor Jahren war sie mir versprochen. Wer war denn dieser Engländer, daß er sich zwischen uns stellen konnte? Ich sag Ihnen, ich hatte das erste Recht auf sie, und ich habe nur beansprucht, was ohnehin mir gehörte.«

»Sie hat sich Ihrem Einfluß entzogen, als sie merkte, was für ein Mann Sie waren«, sagte Holmes streng. »Sie ist aus Amerika geflohen, um Ihnen zu entrinnen, und sie hat in England einen ehrbaren Gentleman geheiratet. Sie haben sie verfolgt und bedrängt und ihr das Leben schwer gemacht, um sie dazu zu bringen, den Mann, den sie liebte und achtete, zu verlassen, damit sie mit Ihnen ginge, den sie fürchtete und haßte. Und schließlich haben Sie einem edlen Manne den Tod gebracht und seine Frau zum Selbstmord getrieben. So sieht Ihre Beteiligung an dieser Sache aus, Mr. Abe Slaney, und Sie werden sich dafür vor dem Gesetz zu verantworten haben.«

»Wenn Elsie stirbt, ist es mir egal, was aus mir wird«, sagte der Amerikaner. Er machte eine Hand auf und betrachtete den zerknüllten Brief. »Sehen Sie hier, Mister«, rief er, und Argwohn glomm in seinen Augen, »versuchen Sie bloß nicht, mich damit zu erschrecken, ja? Wenn die Lady so schwer verletzt ist, wie Sie behaupten: Wer hat dann diesen Brief geschrieben?« Er warf ihn auf den Tisch.

 

»Ich schrieb ihn, um Sie herzulocken.«

»Sie? Kein Mensch auf der Erde außerhalb der ›Vereinigung‹ kannte das Geheimnis der tanzenden Männchen. Wie konnten Sie das dann schreiben?«

»Was ein Mensch erfinden kann, kann ein anderer enträtseln«, sagte Holmes. »Gleich kommt eine Droschke, die Sie nach Norwich bringen wird, Mr. Slaney. Inzwischen bleibt Ihnen aber noch Zeit, das Unrecht, das Sie begangen haben, ein wenig wiedergutzumachen. Ist Ihnen bewußt, daß Mrs. Hilton Cubitt sich selbst dem schweren Verdacht ausgesetzt hat, ihren Mann ermordet zu haben, und daß nur meine Anwesenheit hier und mein zufälliges Wissen sie vor dieser Anklage gerettet haben? Das mindeste, was Sie ihr schulden, ist, daß Sie vor der ganzen Welt klarstellen, daß sie in keiner Weise, weder direkt noch indirekt, für sein tragisches Ende verantwortlich ist.«

»Nichts lieber als das«, sagte der Amerikaner. »Ich nehme an, es wird für mich ohnehin das Allerbeste sein, wenn ich die absolute nackte Wahrheit sage.«

»Es ist meine Pflicht, Sie darauf hinzuweisen, daß dies gegen Sie verwendet werden kann«, rief der Inspektor mit der prachtvollen Fairness des britischen Strafgesetzes.

Slaney zuckte die Schultern.

»Das nehme ich auf mich«, sagte er. »Vor allem, Gentlemen, müssen Sie wissen, daß ich diese Lady schon seit ihrer Kindheit kenne. Wir hatten in Chicago eine Bande von sieben Mann, und Elsies Vater war der Boss der ›Vereinigung‹. Ein kluger Mann, der alte Patrick. Er war es, der diese Schrift erfunden hat, die jeder für ein Kindergekritzel halten mußte, falls er nicht zufällig den Schlüssel dazu besaß. Nun, Elsie bekam einiges von uns mit; aber sie konnte unser Geschäft nicht leiden, und sie besaß ein weniges an eigenem, ehrbar erworbenem Geld, so daß sie schließlich von uns weglief und nach London ging. Sie war mit mir verlobt und hätte mich wohl auch geheiratet, wenn ich meinen Beruf gewechselt hätte; aber mit irgendwelchen unsauberen Geschäften wollte sie nichts zu tun haben. Erst nach ihrer Verheiratung mit diesem Engländer gelang es mir herauszufinden, wo sie war. Ich schrieb ihr, bekam aber keine Antwort. Danach kam ich herüber, und da Briefe nichts nützten, brachte ich meine Botschaften dort an, wo sie sie lesen konnte.

Nun, ich bin jetzt seit einem Monat hier. Ich wohnte auf diesem Bauernhof, wo ich ein Zimmer im Erdgeschoß hatte und jede Nacht unbemerkt aus- und eingehen konnte. Ich habe alles versucht, um Elsie wegzulocken. Ich wußte, daß sie die Botschaften las, denn einmal schrieb sie mir eine Antwort. Aber dann übermannte mich die Wut, und ich begann ihr zu drohen. Darauf schickte sie mir einen Brief, in dem sie mich anflehte, ich solle weggehen; es würde ihr das Herz brechen, wenn ihr Mann in einen Skandal geriete. Sie schrieb, sie würde um drei Uhr morgens, wenn ihr Mann schliefe, herunterkommen und mit mir durch das Hinterfenster reden, wenn ich danach wegginge und sie in Frieden lassen würde. Sie kam tatsächlich und brachte Geld mit, um mich zum Gehen zu bestechen. Das machte mich rasend, und ich packte sie beim Arm und versuchte, sie aus dem Fenster zu ziehen. In diesem Moment kam ihr Mann mit einem Revolver in der Hand hereingestürzt. Elsie war zu Boden gesunken, und wir standen uns von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Auch ich war bewaffnet, und ich zog meine Pistole, um ihn zu verscheuchen und mich entkommen zu lassen. Er schoß und verfehlte mich. Ich drückte fast im selben Augenblick ab, und er kippte um. Als ich mich durch den Garten davonmachte, hörte ich, wie hinter mir das Fenster geschlossen wurde. Das ist die reine Wahrheit, Gentlemen, Wort für Wort, und ich habe von der Sache nichts mehr gehört, bis dieser Bursche mit einem Brief angeritten kam, der mich wie einen Trottel hierherkommen und mich Ihnen ausliefern ließ.«

Indes der Amerikaner geredet hatte, war eine Droschke vorgefahren, in der zwei uniformierte Polizisten saßen. Inspektor Martin erhob sich und klopfte seinem Gefangenen auf die Schulter.

»Zeit für uns zu gehen.«

»Darf ich sie vorher noch sehen?«

»Nein, sie ist nicht bei Bewußtsein. Mr. Sherlock Homes, ich hoffe nur, falls ich je wieder einen wichtigen Fall haben sollte, werde ich wieder das Glück haben, Sie an meiner Seite zu sehen.«

Wir standen am Fenster und sahen den Wagen abfahren. Als ich mich umwandte, fiel mein Blick auf das Papierknäuel, das der Gefangene auf den Tisch geworfen hatte. Es war der Brief, mit dem Holmes ihn geködert hatte.

»Versuchen Sie, ob Sie ihn lesen können, Watson«, sagte er lächelnd.

Er enthielt kein Wort, sondern folgende kurze Zeile tanzender Männchen:


»Wenn Sie den von mir erklärten Schlüssel benutzen«, sagte Holmes, »werden Sie sehen, daß es einfach bedeutet: ›Abe komm bitte her.‹ Ich war davon überzeugt, daß er einer solchen Einladung nicht würde widerstehen können, da ihm nie in den Sinn kommen konnte, daß sie von jemand anderem als der Lady stammen könnte. Und damit, mein lieber Watson, haben wir am Ende die tanzenden Männchen einmal zu etwas Gutem angewandt, nachdem sie so oft zu etwas Bösem dienen mußten; und ich denke auch, ich habe mein Versprechen erfüllt, Ihnen etwas Ungewöhnliches für Ihr Notizbuch zu liefern. Um drei Uhr vierzig geht unser Zug, wir dürften also zum Abendessen wieder in Baker Street sein.«

Nur ein Wort zum Epilog.

Der Amerikaner Abe Slaney wurde vom Geschworenengericht zu Norwich zum Tode verurteilt; in Anbetracht mildernder Umstände und der Tatsache, daß Hilton Cubitt den ersten Schuß abgegeben hatte, wurde seine Strafe jedoch in Zwangsarbeit umgewandelt.

Von Mrs. Hilton Cubitt weiß ich nur gerüchteweise, daß sie vollständig genas und noch immer als Witwe lebt; sie soll ihr Leben ganz und gar der Fürsorge für die Armen und der Verwaltung des Besitzes ihres Mannes widmen.

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