Der Regengott und andere Erzählungen

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Der Regengott und andere Erzählungen
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Die Übersetzung des Buches wurde von „Books from Lithuania“ mit Mitteln des Kulturministeriums der Republik Litauen gefördert.


mitteldeutscher verlag

Alvydas Šlepikas

Der Regengott

und andere Erzählungen

Aus dem Litauischen von Markus Roduner

Für meine Tante Malenija, der ich noch einmal zu begegnen hoffe

Die Angler

Hier gibt es keine Aha-Erlebnisse. Hier, in unserem Städtchen. Alle, die es hierher verschlägt, sagen, es sei gemütlich. Das mag stimmen. Zu beiden Seiten der Hauptstraße wachsen mächtige, alte Bäume, deren knorrige Wurzeln sich den Boden entlang ranken und den Asphalt aufreißen, und aus den Fenstern der alten Häuser, die Brände und Kriege überlebt haben, schauen traurige alte Frauen, abends scheppern die Eimer und die Kühe muhen. Gleich hinter der hübschen Renaissancekirche in der Mitte des Städtchens befinden sich die Bäckerei und die Schule, die von Jahr zu Jahr weniger Schüler zählt, das Büro des Seniūnas, des Vorstehers unseres Städtchens, an dessen Wand stets die litauische Trikolore weht, sowie das Kulturzentrum, in dem es schon seit einiger Zeit still ist. Weiter weg vom Zentrum steht am Ufer eines ziemlich großen, binsenumwachsenen Teiches das öffentliche Badehaus, in dem sich am Wochenende fast alle im Städtchen treffen – die Frauen freitags, die Männer samstags.

Wer aus lauter Langeweile durch die leeren Straßen des Städtchens streift, trifft hier unweigerlich auf zwei Personen, die tagein, tagaus unweit des Badehauses wie angewurzelt am Teichufer stehen und angeln. Ab und zu wechseln sie ein paar Worte, rühmen den anderen, wenn er einen größeren Fisch gefangen hat, von denen es hier nicht gerade wimmelt – allein die winzigen gelben Teichkarauschen, die, was den Köder betrifft, nicht wählerisch sind und nicht scheuen, beißen an. Der Ältere, etwas über sechzig, angelt selbst kaum, er beobachtet den Jüngeren, etwa vierzig, nimmt die von ihm gefangenen Fische von der Angel, hängt den Köder an den Haken – und das mit der allergrößten Hingabe. Der Jüngere schaut, wenn er einen Fisch gefangen hat, wie der Ältere ihn von der Angel nimmt und ihn in den Eimer gleiten lässt. Manchmal geraten sie aus irgendeinem Grund in Streit und werfen einander ein paar böse Worte zu, ab und zu schabt der Alte einer Karausche bei lebendigem Leib die Schuppen vom Rücken, bestreut sie mit Salz, beißt genüsslich den fleischigsten Teil des Fischleins ab und wirft den Rest zur Seite, wo für gewöhnlich schon eine gewiefte Mieze darauf wartet. Meist sitzen die beiden schweigend da und ihre Gesichter leuchten ruhig; sie werfen die Angel aus und beobachten den Schwimmer, das Wasser des Teiches, die Wasserläufer auf seiner Oberfläche – das Leben steht nicht still. Würdet ihr diese zwei schweigenden Menschen beobachten, so könnten die beiden euch so vorkommen, als hätten sie etwas Wichtiges, Wesentliches, Ewiges und Beständiges begriffen. Ihr würdet sie wohl kaum anzusprechen und die rundum herrschende Ruhe zu stören wagen. Vielleicht spüren die Bewohner des Städtchens ja dasselbe, wenn sie zum öffentlichen Badehaus oder aus einem anderen Grund an ihnen vorbeieilen, denn nur der eine oder andere grüßt die beiden mit einem Kopfnicken, die meisten aber gehen an ihnen vorbei wie an leblosen Dingen, wie an Bäumen oder Baumstrünken. Die beiden Schweigenden haben zwar jeder seinen Namen und teilen einen Nachnamen, aber im Städtchen nennen alle sie nur noch „die Angler“.

Würdet ihr euch dazu entschließen, einen der Einwohner anzusprechen und ihn nach den zwei seltsamen Männern zu fragen, die da beim öffentlichen Badehaus angeln, wärt ihr wahrscheinlich erstaunt, dass niemand sie mag. Der eine würde lachen, der andere sagen, sie seien gottlose Kerle, die nicht zur Weihnachtsbeichte gehen, noch andere, sie seien ganz einfach Dummköpfe, und dann gibt es noch welche, die wären verärgert über eure Frage. Dennoch würden alle in etwa dieselbe Geschichte erzählen.

Die beiden Motūzas lebten am Rande des Städtchens, hinter der Kirche und dem Schülerheim. Ihre alte und ungestrichene Holzhütte stand zwischen den Häusern des Organisten Augustinas und der einzigen Polin des Städtchens, der Milchfrau Maryla. Die alte Maryla und die anderen älteren Einwohner der Stadt können sich noch gut an Elena erinnern, die Frau des hinkenden Motūzas, die Mutter von Algis Motūzas – eine gutherzige, fromme, aber unterdrückte Frau ohne Stimme. Wenn sie im Städtchen auftauchte, trug sie oft ein dunkles geblümtes Kopftuch, das beinahe das ganze Gesicht bedeckte – alle wussten, dass Elena blaue Flecken und Blutergüsse versteckte. Ihr Mann, der damals noch nicht lahm war, schlug sie beinahe täglich, brutal und erbarmungslos, während Algis, damals noch ganz Kind, sich fast jeden Tag vor Vaters Wutanfällen im Häuschen des wahnsinnig bösen Schäferhundes Dikas, in der Scheune oder bei den Nachbarn versteckte. Und eines Tages sah der örtliche Intellektuelle Štencelis, als er mit seinem Enkel Kęstas im Kiefernwäldchen am Rande des Städtchens auf Pilzsuche war, Elena an einem Kiefernast hängen. Kęstas berichtete darauf den Jungen im Städtchen von der blauen Zunge der Motūzienė, dem Schaum vor dem Mund und den verdrehten Augen. Es gab keinen, der Elena verurteilte, sie tat allen leid. Sogar unser von allen geliebter grauhaariger Pfarrer segnete zwar nicht das Grab, stand aber in Zivil etwas abseits der anderen auf dem Friedhof, schaute zu, wie der Sarg ins Grab hinabgelassen wurde, und betete. Die Einwohner des Städtchens kehrten nach der Beerdigung nach Hause zurück und sprachen davon, dass sich jetzt etwas im Leben des Hurers und Schlägers Motūzas ändern müsse, denn auch ein so böser Mensch habe doch ein Gewissen, das ihn des Nachts nicht einschlafen lasse. Da täuschten sie sich schwer. Nichts änderte sich im Leben jenes Mannes, außer vielleicht, dass er jetzt noch offener herumhurte, die Schlampen mit nach Hause brachte und mit ihnen vor den Augen seines Sohnes verkehrte. Schon wenige Wochen nach dem Tod seiner Frau – Gott sei ihrer Seele gnädig – verwickelte sich Motūzas in eine Schlägerei mit den Brüdern Žegunis und drohte ihnen, zünftig betrunken, mit einem langen deutschen Messer, doch die Brüder waren nicht auf den Kopf gefallen: Der mittlere namens Vladas packte zur Verteidigung ein Brecheisen und brach seinem Gegner nicht nur zwei Rippen, sondern zertrümmerte ihm auch ein Bein. Aus dem Krankenhaus kehrte Motūzas als Invalider zurück und die Leute im Städtchen sagten zu sich, sieh nur, Gottes Strafe. Der Alte fertigte sich einen schweren Eichenstock, änderte aber nicht seine Lebensweise, auch wenn er ruhiger wurde. Als plötzlich die Scheune der Brüder Žegunis wie eine Streichholzschachtel in Flammen aufging, zweifelte niemand daran, wer dafür verantwortlich war. Motūzas war auch weiterhin ein bösartiger, unersättlicher, die Frauen besteigender Hengst, der Schreck aller Kinder im Städtchen – der Mann, der niemals lächelt.

Algis fürchtete seinen Vater. Er wuchs als reizbarer und nervöser Junge heran, hatte keine Freunde, die einzige Person, die er besuchte, war die alte Maryla. Sie gab ihm Birnen und Beeren aus dem Garten, brachte ihm bei, wie man auf Polnisch „Guten Tag“ und „Danke“ sagte. Zum Ablassfest schenkte sie ihm farbige Heiligenbildchen, die er zu Hause wegwarf. Obwohl Algis kein schlechter Schüler war, mochte ihn keiner – weder die Lehrer, denen gegenüber er abweisend war, noch die Schüler, die er verprügelte und ihnen die Kopeken wegnahm. Sonst schwieg er meist, war wortkarg wie ein alter Mann, mit dem Vater ging er wie mit einem Fremden um, das Einzige, was sie verband, war Angst. Nach dem Abschluss der Volksschule besuchte er die Berufsschule, arbeitete darauf als Elektriker, leistete seinen Militärdienst ab und kehrte als gereifter, gut aussehender Mann zurück, dem nicht wenige Frauen und Mädchen hinterhersahen, doch nicht eine von ihnen wagte, Algis nach Hause mitzunehmen, und auch nur selten begleitete er eine von ihnen. Der lahme Motūzas aber blieb, wie er war, und es schien so, als könnte die Zeit ihm nichts anhaben.

Als Gintas, der Direktor des örtlichen Kulturhauses, mit einem zünftigen Rausch auf einem geliehenen „Woschod“-Motorrad eine Studentin aus Vilnius überfuhr und deswegen ins Gefängnis kam, stand das Haus der Kultur für einige Zeit leer. Nach ein paar Monaten aber bekam es eine neue Direktorin. Eine von auswärts, mit dem lustigen Familiennamen Kriaušytė – Birnlein. So sah sie auch aus: wie eine pausbackige Birne. Jung, still, mit einem leichten schemaitischen Akzent, deshalb fanden viele sie drollig. Kriaušytė wohnte im Dachgeschoss des Bezirksexekutivkomitees (heute ist dort das Büro des Städtchen-Vorstehers), in den sie über eine knarrende Treppe hinaufstieg, die nach ihrem Einzug noch stärker und stärker zu knarren begann. Die jungen Männer im Städtchen hatten Beute gewittert und nutzten jede Gelegenheit zu einem Besuch. Der Herbst und der halbe Winter gingen vorüber, die Direktorin war nicht mehr ganz fremd im Städtchen, und vielleicht, weil sie nicht besonders gastfreundlich war, vielleicht auch aus einem anderen Grund, nahm die Zahl der Besucher in ihrem Dachgeschoss ab, und es wurde dort kalt und traurig.

Der Winter ging zu Ende und das Frühlingseis barst, die Einwohner aber munkelten hie und da, dem alten Motūzas sei etwas zugestoßen. Der Alte war still geworden, trank weniger, trieb sich nicht mehr mit den Schlampen rum, und nur hin und wieder hörte man tuk, tuk die Eisenspitze seines schweren Eichenstocks auf der Hauptstraße. Die Leute wunderten sich und machten sich auf wer weiß was gefasst. Eines Tages sagte Žemaitytė, die Putzfrau des Bezirksexekutivkomitees, erstaunt zur Nachbarin, sie habe den alten Motūzas schon zum x-ten Mal die Holztreppe zur Kulturhausdirektorin hinaufkraxeln sehen. Das Gerücht verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Städtchen, und nicht nur die neugierigen Frauen, sondern auch die Männer sprachen darüber. Sie lachten und besprachen die Liebe des Invaliden bei Wein und Bier. Doch schon bald stellte sich heraus, dass Verliebtheit ein zu schwaches Wort für das Gefühl war, das den Alten überfallen hatte: Echte Begierde, Besessenheit war das. Motūzas begann sich herauszuputzen, kaufte sich einen neuen teuren Regenmantel, Lackschuhe und nicht nur einen Hut, sondern auch eine leuchtend bunte Krawatte, spazierte kerzengerade und monumental stolz herum, rasierte den Schnauzbart ab, einige glaubten gar, er habe sich die Haare gefärbt. Kriaušytė, die man im Städtchen nur „Kruschke“ nannte, sah im Vorübergehen schuldbewusst zu Boden und grüßte kaum hörbar, an ihrem zarten Hals glänzte eine Kette, an den Ohren baumelten riesige Ohrringe, gleichfalls aus Gold, und die alte Maryla wetterte, genau diese Ohrringe habe sie einst in der Schatulle von Madame Elena gesehen. Der Krüppel schenkte seiner Liebsten, was er nur konnte: Schuhe, Kleider, einen Fernseher, Möbel. Er kaufte sich einen nagelneuen Saporoschez und fuhr damit Kriaušytė in die Stadt. Um sich all das leisten zu können, verkaufte er nicht nur die Ferkel, sondern auch das Zuchtschwein, hob bei der „Sberkassa“, der Sparkasse, fast seine gesamten Ersparnisse ab, schlachtete zuletzt ein Kalb und richtete ein Fest aus – fast eine Woche lang feierte er. Das Geld ging zur Neige und so sagte er seinem Sohn Algis, er solle ihm welches geben, und der biss die Zähne zusammen und schaute dem Himmelssturm seines Vaters zu, denn der einzige Mensch auf Erden, den er fürchtete, war sein Vater. Auch die Einwohner des Städtchens sahen dem Wahnsinn des lahmen Motūzas zu und lachten und warteten gespannt, wie das wohl alles ausgehen würde, während die wenigen Freunde von Algis ihn zum Narren hielten und zurechtwiesen. Einmal sagte Danius, der vom Prancisius, der wegen Schmarotzerei eingesessen hatte und den man wegen seiner Brille als Professor bezeichnete, zu Algis: „Sei kein Feigling. Geh zu der Schlampe und rede mit ihr! Wie lange willst du denn noch zusehen, dass der Alte dein Geld verpulvert?“

 

Schließlich, als sein Vater einmal weg war, rang sich Algis durch, stieg die knarrende Treppe hinauf und klopfte an. Kriaušytė machte auf und begann sich beim Anblick von Algis irgendwie zu schämen, lud ihn aber nach drinnen. Algis trat ins Zimmer, in dem ein helles Licht brannte, und hielt inne. Sie standen Auge in Auge da und schwiegen. Eine seltsame Wärme überflutete Algis’ Brust, und seine Beine bebten wie die eines alten Gauls nach dem Ausbringen des Mists.

Jetzt, wo er den Weg kannte, besuchte Algis die Direktorin immer häufiger insgeheim und das Leben kam ihm viel sonniger vor. Er wollte nicht daran denken, was passieren würde, wenn sein Vater von diesen Besuchen erfuhr, aber dass es geschehen würde, das wusste er. Und so kehrte der alte Motūzas eines Tages früher als angekündigt aus der Stadt zurück und stieg mit einem neuen geblümten Kleid die knarrende Treppe hoch. Oben angekommen, versuchte er die Tür zu öffnen, aber sie war verschlossen, dann holte er den Schlüssel hervor und versuchte aufzuschließen, doch auf der anderen Seite war ein anderer Schlüssel. Der Alte klopfte an die Tür, doch niemand machte auf, dann zerrte er, da er nichts Gutes ahnte, mit seiner bestialischen Kraft, von der er mehr besaß als Verstand, an der Türklinke und riss die Dachgeschosstür aus Karton heraus. Auf der anderen Seite der Tür erblickte er seinen Sohn Algis, stehend, und hinter ihm zusammengeduckt Kriaušytė, die ihre weißen Brüste, die noch nie Sonne gesehen hatten, instinktiv bedeckte. Algis sah seinem Vater in die Augen, ballte die Fäuste und stellte sich auf einen Kampf ein. Er war entschlossen, ihn, wenn es sein musste, zu töten. Zum ersten Mal hatte er keine Angst vor dem Vater. Der Alte machte völlig verdattert einen Schritt zurück und Algis bewegte sich auf ihn zu, doch plötzlich fuchtelte der Vater seltsam knurrend oder auch jammernd mit seinem schweren Eichenstock in der Luft herum und versetzte dem Sohn einen Hieb, sodass er sich seltsam krümmte und umfiel. Die Treppe war alt und steil. Algis ratterte hinunter und schlug mit dem Kopf auf dem alten Stiel der Fernsehantenne auf. Das Blut strömte hervor, die Beine waren scheußlich verdreht und irgendwo tief aus Algis’ Brust drang ein fürchterlicher Laut – einer, wie ihn die Tiere ausstoßen, wenn sie verrecken. Der Alte setzte sich kraftlos auf die Treppe und betrachtete das Blut, das seinem Sohn aus dem Ohr rann. Kriaušytė, deren kleiner Bademantel kaum ihre Nacktheit bedeckte, polterte die Treppe hinunter, sprang über den Daliegenden und rannte, so schnell sie konnte, ins Städtchen. Der Notarzt kam angefahren. Der Arzt musterte die Treppe und sagte: „Schrecklich steil, die Treppe. Ist er ausgerutscht?“

„Ja“, erwiderte der alte Motūzas und seine Zunge überschlug sich im Mund wie ein Eisbrocken.

Nach diesem Ereignis vergaß der alte Motūzas die Kriaušytė, als hätte er sein ganzes früheres Leben vergessen – und saß Tag und Nacht im Krankenhaus. Als Algis wieder zu sich kam und zu essen begann, brachte er dem Sohn Saft und Marmelade. Und weinte. Der Sohn sah den zum ersten Mal Tränen vergießenden Vater an und versuchte zu lächeln.

Als der Sohn aus dem Krankenhaus entlassen wurde, führte der Vater ihn zum Bus – Algis hatte sich die Wirbelsäule gebrochen und seine eine Hand gehorchte ihm nun nicht mehr, er zog das linke Bein nach, und auch die linke Gesichtshälfte spürte er nicht.

Kriaušytė besuchte Algis kein einziges Mal im Krankenhaus und verließ das Städtchen, noch bevor er von dort heimkehrte – später erzählte man sich, sie habe geheiratet, aber niemand wusste, wo und wen. Algis erhielt nun eine Invalidenrente, der Alte seine Rente. Und wenn ihr euch jetzt in dieses ruhige Städtchen verirren und zum Teich gehen würdet, dahin, wo das öffentliche Badehaus steht, so würdet ihr auf jeden Fall zwei Männer erblicken, deren Namen die Einwohner schon fast vergessen haben. Fast alle nennen sie heute nur noch „die Angler“.

Maienwirbel

Der alte Laurinavičius beobachtet alle von oben. Da kommt Svatukas auf dem Fahrrad angefahren, er tritt schwer in die Pedale, hat eine Sense am Fahrrad festgebunden: Wahrscheinlich ist er auf dem Heimweg aus Batanava, dort haben viele in unserem Städtchen Heuwiesen. Den Blick richtet er beim Fahren zu Boden. Die Leute heben den Kopf selten an, meist wühlen sie wie die Ferkel vor den Füßen herum. Die haben wenigstens ein Ziel – sie suchen nach Wurzeln.

Die Žvainys-Kinder laufen durch die Gegend – sind die lärmig, sie können nicht ruhig sitzen, sind nie still, obwohl auch Vater Žvainys nicht gerade der ruhigste Nachbar ist: Stimmt er abends ein Lied an, so geht es los mit dem Wolfsgeheul, sogar die Spatzen flüchten sich in den Himmel. Dann vergiss nicht, dass er die ganze Nacht durch einen Heidenlärm machen wird – Zahltag. Wenn Zahltag ist, dann kannst du nichts machen, und du musst es auch nicht, denn man wird ja wohl noch ein wenig Spaß haben dürfen, und wann, wenn nicht am Zahltag, ist die Zeit dafür da? Obwohl der alte Laurinavičius kein großer Liebhaber des Gläschens ist, toleriert er das bei anderen immer, und warum hätte er das nicht sollen, wer hat denn gesagt, man müsse so und nicht anders leben? Natürlich ist es abscheulich, wenn jemand kein Musikgehör hat und laut heult, dass es durchs ganze Städtchen hallt, aber Musikgehör kann man nun mal nicht mit dem Schöpflöffel eintrichtern, es ist, wie es ist. Jetzt findet es Laurinavičius auch nicht mehr so wichtig, wer wo heult oder singt – er hört nicht mehr gut: Offenbar wacht Gott über seine letzten Tage, raubt ihm nach und nach das Gehör, dreht es ab wie den Regler des Fernsehers, dafür gibt er ihm Ruhe. Er hört nichts und ist ganz ruhig. Obwohl, der Regler des Fernsehers lässt sich auch wieder aufdrehen – bis zur vollen Lautstärke. Dann zetert Malenija, er werde taub davon und würde auch die anderen taub machen – sie hat es einfach zu schimpfen, sie ist ja acht Jahre jünger. Wart nur, die Zeit wird schon kommen, wo auch du den Regler voll aufdrehst.

Brrr… brrr… brrr…, donnert der junge Laginauskas auf seinem Motorrad vorbei, dass die Hühner vor Angst den Verstand verlieren und nach allen Seiten aufstieben – ja, Typen wie ihn, die sollte man ins Kittchen stecken. Bei Wasser und Brot würde er schon verlernen, die Menschen zu erschrecken und das Städtchen zu verpesten. Ist das ein Liederjan, der Sohn des Laginauskas, der wäre fast ins Gefängnis gekommen. Hat dem Sohn des Pauga, dem mit dem Herzleiden, die Nieren kaputtgeschlagen, aber der hat einen guten Vater, der landet nicht hinter Gittern: Wer Geld hat, ist im Recht.

Die Hauptstraße ist wieder leer, nur die sanften Frühlingswinde wirbeln Unrat durch die Gegend – Bonbonpapierchen und Pappelsamen, die behaarten Würmern gleichen. Eigentlich ist der Mai ein Monat, in dem das Gras alles verschlingt: Es schießt in die Höhe und drückt die Zeitungen zu Boden, verbirgt Eisensplitter, alte Blätter, die Halbschuhe, die irgendwer verloren hat; lässt du im Garten etwas fallen, dann solltest du besser nicht danach suchen, sondern lieber die Sense zur Hand nehmen und ausholen, vielleicht entreißt du es ja dem gefräßigen Schlund. Manchmal lachst du auch nur – etwas ist verschwunden, weg, und schon brauchst du es nicht mehr, vielleicht ist es auch ein wenig schade drum, aber wer weiß schon, wo es verschwunden ist, und dann gehst du hin und mähst das Gras in deinem kleinen Garten, und zack, die Klinge der Sense trifft auf etwas, und dann siehst du, dass der vermisste Spaten, der verlorene Hebebock oder weiß der Teufel was deiner Sense die Zähne ausgeschlagen hat. Alles, ja, alles verschlingt das Gras. Und erst im Hochsommer wird der Wind auf den von der Dürre versengten Höfen Sandkörner ausstreuen, Staub herumwirbeln und mit Strohstoppeln um sich werfen, jetzt aber ist alles noch grün und hübsch. Rund und irgendwie … stramm – wie die Waden der jungen Mädel.

Oh, da ist der Danius, der vom Prancisius. Der ist wirklich ein Nichtstuer, ein richtiger Faulpelz, solche Kerle kann der alte Laurinavičius gar nicht riechen. Die anderen aber, die arbeiten, die müde werden, die manchmal vielleicht gar ein wenig abgestumpft sind, die vielleicht schon seit zehn Jahren kein Buch mehr aufgeschlagen haben und auch in der Zeitung nur das TV-Programm durchsehen oder auf dem Kalender nachschauen, in welcher Phase der Mond gerade ist, die gehen oder kriechen mit gesenktem Blick, der hier aber, der muss seinen Blick unbedingt nach oben richten, unbedingt den alten Laurinavičius entdecken, ihm unbedingt entgegenrufen, sodass es das ganze Städtchen hört: Grüß Gott, Onkel Adolfas! Grüß Gott, wird der alte Laurinavičius stolz erwidern. Was tun Sie da, so weit oben?, wird Danius nicht von ihm ablassen. Und was soll er ihm antworten? Er wird doch nicht jedem, der vorbeigeht, seine Angelegenheiten und Sorgen erörtern, und dann auch noch diesem Rotzbengel, Säufer und Faulpelz, der noch kein einziges Mal für seine Mutter Kartoffelkraut geschnitten oder Holz gehackt hat, aber für eine Flasche Hinz und Kunz zu Hilfe eilt, wenn diese Hilfe auch mehr darin besteht, rumzulabern, anstatt sich wirklich nützlich zu machen. Soll ihn doch der Henker holen, der soll besser seiner eigenen Wege gehen, er wird ihm nicht erzählen, warum er hoch oben in einer Linde sitzt wie in einem Nest, warum er der Linde den Wipfel abgesägt hat, warum er nicht herunterkommt. Nur kommt da auch schon die Malenija, schon wieder mit ihrem „Jesses Maria“ und der nervigen Frage, ob die Beine auch nicht eingeschlafen sind. Sind sie nicht, sind sie nicht, und wenn schon, du kannst mir ja sowieso nicht helfen. Die sehen alle so lustig aus von hier oben, Pilzen ganz ähnlich – Kopf und Schultern, und unter dem Kopf ragen die Beine so merkwürdig hervor.

Man kann nicht sagen, es sei angenehm, hier zu sitzen, hier auf dieser Linde, aber immer noch besser, als vom frühen Morgen an aus dem Küchenfenster zu starren und den Hühnern zuzusehen, wie sie am Zaun scharren. Heute ist ein Unglückstag. Erstens wegen des Katers. Es tut im Herzen weh, aber was kann man machen, wenn das Tierchen so ein Dummerchen ist. Da kriech mir mal einer in die Iltisfallen. Aber in der Scheune war es dunkel, was hätte er da schon sehen können mit seinen bereits fast erloschenen, wenn auch noch sehr hellen Augen eines alten Katers. Er hat sie in der Dunkelheit nicht gesehen, und dann hat der Halunke auch noch geschwiegen – nicht das leiseste Miau. Laurinavičius stülpte einen Sack über die Falle, hob das Gitter an, schüttelte den „Iltis“ in den Sack – woher hätte er auch wissen sollen, dass es kein Iltis war –, einmal rund um den Kopf und klatsch auf den Zementboden, mit voller Kraft – Laurinavičius hatte seine Lektion gelernt. Wie hätte es anders sein können: Schon seit so vielen Jahren fing er auf Bitte sämtlicher Nachbarn Iltisse – er war ein echter Profi. Alles hatte er schon erlebt: Einmal hatte er den, wie es schien, schon totgeschlagenen Iltis im Sack auf eine Bank gelegt, und als er zurückkam, um ihm das Fell abzuziehen, da war der wieder putzmunter, lief quiekend und stinkend über die Wände, wie der Teufel durch die Außenküche, immer im Kreis herum, um dann durch das Fensterchen (dem ein Stückchen Scheibe fehlte) zu entkommen, es regnete Glassplitter, und auf Nimmerwiedersehen. Kein Iltis und nichts mehr. Seither ging er anders vor, erschlug die Iltisse und ließ sie noch ein wenig im zugeschnürten Sack liegen, damit das Scheusal von einem Räuber nicht wieder zu sich kam. Doch jetzt hatte er ihn auf den Boden geknallt, und wie! Seinen eigenen Kater! Jesses Maria, Malenijas getigerten Liebling. Und als er auf dem Boden aufschlug, begann der zu schreien, er erkannte seine Stimme gar nicht mehr, miaumiaumiau und uhuhuuh und weiß der Teufel was noch für Laute er von sich gab, der alte Laurinavičius erschrak fast zu Tode. Er schleuderte den Sack von sich, band ihn auf, und sein getigerter Kater sprang schreiend heraus, hätte ihm beinahe die Augen ausgekratzt, ein, zwei Sätze, dann blieb er taumelnd stehen. Stand da und taumelte, ein Ohr hing irgendwie herab, Blut strömte über die Lippen. Rainiuk, mein lieber Rainis, näherte Laurinavičius sich ihm, doch er ließ ihn nicht an sich heran – weiter, immer weiter, durch einen Spalt im Zaun in den Garten der Balsienė, dann – weiß der Henker, wohin. Er konnte doch der Balsienė nicht weismachen wollen, dass er in ihrem Garten oder in ihrer Scheune seinen Kater einfangen wollte. Wozu?, würde sie fragen. Was sollte er dann sagen? Dass er alter blinder Vollpfosten seinen Kater erschlagen hatte? Damit ihn dann alle auslachten? Nee. Malenija wollte er es erst auch nicht sagen, gestand es ihr aber dann doch – wie sollte er auch anders nach über sechzig Jahren Ehe. Komme es, wie es wolle, sagte er zu sich. Und nichts Schlimmes geschah. Wer würde ihm schon abnehmen, dass Malenija sich nicht um den Kater, sondern um ihn Sorgen machte, um seine Gesundheit, seine Nerven. Und Malenija hatte recht: Warum zum Teufel hat er keinen Laut von sich gegeben? Nicht miaut? Das macht mich fuchs teufelswild. Wie kann man nur jemanden so erschrecken? Und Mäuse fängt der Faulpelz auch keine. Da hat er nun seine gerechte Strafe … Er wird schon nicht verrecken – die Kater sind zäh. Aber ob er ihn wohl je wieder an sich heranlassen würde? Auf seinen Schoß springen und seine Litaneien miauen würde, wenn er an kalten Winterabenden fernsah?

 

Eigentlich saß Laurinavičius gar nicht gern vor dem Fernseher, nur wurde es im Winter so früh dunkel und zu schlafen hatte er noch keine Lust, doch Arbeiten hatte er auch keine. Dann saß der Alte eben da und schaute „Panorama“, die Abendnachrichten, dann noch irgendwas, eigentlich schaute er sich weniger den Film an, als dass er sich in Erinnerung rief, was er noch zu tun hatte, was ihn morgen erwartete, womit er beschäftigt wäre. Laurinavičius konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen als Nichtstun. Dasitzen und Däumchen drehen war für ihn die allergrößte Qual. Arbeit machte ihm Spaß. Alle Arten von Arbeiten. Er scheute sich vor keiner, beherrschte alle möglichen Arbeiten – in seiner Jugend hatte es kaum eine Arbeit gegeben, die er nicht ausgeführt hätte: Bäume fällen, Häuser bauen und auch Eisen schmieden. Natürlich nicht wie Zigma, nein, aber mit dem Eisen konnte er umgehen, alles, was er brauchte, hatte er selbst gefertigt … Oder repariert … Wenn jemand darum bat … Dann, als die Last der Jahre immer schwerer wurde, läutete er die Kirchenglocken (der alte Ustinavičius, der vorherige Glöckner, war gestorben). Diese Glocken waren sicher mit daran schuld, dass der liebe Gott ihm den Lautstärkeregler zudrehte. Aber schön war das – bei jedem zweiten Zug dröhnte die Glocke und sang der ganzen Umgebung. Man hörte ihren Ruf zur Messe oder ihre Mahnung an den Tod noch in fünf Kilometer Entfernung. Je nach Anlass läutete Laurinavičius anders, zumindest glaubte er das. An Sonntagen hallte die Glocke fromm, an den großen Ablassfesten voller Stolz, und trauererfüllt, wenn jemand seine letzte Reise antrat … Der Kirchturm war weiß und erhob sich weit über die Pappeln und Linden des Kirchhofes hinaus. Der alte Laurinavičius betrachtete gern von ganz oben die Umgebung. Sie raubte ihm den Atem – nein, nein, nicht die Furcht, der Alte hatte keine Höhenangst, sondern die Schönheit der Erde. Der Alte war noch nie mit dem Flugzeug geflogen und, wenn wir ehrlich sein wollen, auch noch nie mit dem Zug gefahren, doch wenn er in den Kirchturm hinaufstieg und von dort ganz weit oben, in unerreichbaren Höhen das winzige Kreuzlein eines seine weiße Dunstflagge hinter sich herziehenden Flugzeugs erblickte, überkam ihn stets große Traurigkeit. Wenn von der Spitze des Kirchturms alles so schön aussah, wie schön musste es dann erst aus dem silbernen Flugzeug anzuschauen sein. Einmal wäre Laurinavičius fast geflogen. Er wäre wirklich geflogen, warum auch nicht, als sein Sohn ihn mit dem Hubschrauber besuchte. Sein Sohn Aleksas war Milizionär. Polizist heißt das, glaube ich, heute … Er rief völlig überraschend an – Mama, Papa, ich komme … Malenija freute sich sehr, sie redete und redete und lachte und lachte am Telefon. Malenija hatte die Kinder schon immer verhätschelt. Laurinavičius dagegen war stets strenger gewesen, denn im Umgang mit den Kindern ist Strenge unverzichtbar. Und die Strenge hat sich ausgezahlt – seht nur, der Aleksas ist, wie schon gesagt, Polizeihauptmann, Saulė arbeitet bei einer Firma als Buchhalterin oder etwas Ähnliches und Nijolė hat einen tollen Mann, drei Kinder, ein schönes Haus, zwei Autos, nur wohnt sie weit weg, im äußersten Nordwesten bei Skuodas. Kaum hatte sie aufgelegt, schickte Malenija Laurinavičius unter die Dusche, ließ ihn ein weißes Hemd anziehen und sich eine Krawatte umbinden. Was soll das jetzt wieder?, fragte sich der Alte. Ist denn ein Ablassfest? Nein, kein Ablassfest, unser Sohn kommt zu Besuch. Und nicht einfach so, nein, mit dem Hubschrauber kommt er, gleich ist er da, denn am Himmel geht es viel schneller als zu Lande, wie der Wind ist der Hubschrauber im Nu hier oder dort – genau da, wo die Passagiere hinwollen. Noch während ihr Mann sich ankleidete, hatte Malenija auch schon alle Nachbarn besucht und ihnen die Neuigkeit voller Stolz erzählt. So ist es nun mal Mode bei den Weibern, was soll man da machen, erfährt eine etwas, so wissen es bald alle. Wann war das denn? Vor fünf Jahren? Ja, vor fünf Jahren, er feierte gerade seinen achtzigsten. Das war denn der Grund für den Besuch seines Sohnes – er wollte dem Geburtstagskind gratulieren. Seine Glückwünsche damals waren wirklich rührend, sogar „Armonika“ spielte im Fernsehen für Laurinavičius auf, zuvor aber sprach Aleksas ihm seine Glückwünsche aus. Wer weiß, vielleicht flog er ja auch so vorbei? Wie auch immer, Laurinavičius und seine Frau traten Hand in Hand aus dem Haus, trotz der Hitze – es war zu einer ähnlichen Zeit wie jetzt – der Alte im dunklen Anzug, weißen Hemd mit Manschettenknöpfen, Krawatte, Lackschuhen, Malenija im blauen Kleid, mit grauem, nur mit einem Haarreif befestigtem Haar. Sie spazierten die Hauptstraße hinunter, und Laurinavičius fühlte sich nicht ganz wohl, denn den Straßenrand säumte eine große Menschenmenge, wie es schien, sämtliche Nachbarn, die auf geheimnisvolle Weise (auf welche, ist doch völlig klar: Weibergewäsch) vom bevorstehenden Ereignis erfahren hatten und den Hubschrauber zu sehen begehrten. Malenija errötete wie in ihrer Jugend, sie war einst ein hübsches Mädel gewesen. Sie schritt durch das Städtchen, gefolgt von den Kindern, vorbei am Haus der Kultur, an der Kirche, am Exekutivkomitee (jetzt ist dort das Büro des Vorstehers des Städtchens), bog in das Sträßchen zum auf zwei Seiten von alten Bäumen, Linden, Ahornen und Pappeln, auf der dritten, der Schulseite, von dicht wachsenden Mirabellenbäumen umstandenen Schulstadion ab. Um das Stadion herum versammelten sich die Nachbarn. Noch war am Himmel nichts zu erkennen. Keine Anzeichen, dass jemand angeflogen käme. Laurinavičius dachte gar, wie das denn aussähe, wenn niemand kommen würde, falls Malenija Aleksas’ Worte falsch verstanden hatte – eine Riesenschande wäre das. Aber schon nach wenigen Minuten konnte man ein Klopfen hören. Da kommt er, dachte der Alte. Er kam, ein Raunen ging durch die unter den alten Bäumen der Schule versammelte Menge. Der Hubschrauber erschien hoch am Himmel, drehte eine Runde über dem Schulstadion, über den Bäumen. Offenbar suchte er nach einem geeigneten Landeplatz. Das Himmelsgefährt war weiß mit roten Streifen, zuoberst drehten sich riesige Rotorblätter, die einen solchen Wind verursachten, dass Laurinavičius’ Haarpracht (Malenija hatte ihn geheißen, sich hübsch zu frisieren) für die Katz war. Die Leute aus dem Städtchen bestaunten das unerhörte Wunder mit offenem Mund. Seine riesigen Rotoren drehten sich noch, als plötzlich eine kleine Tür aufging und eine Menschengestalt eine Leiter herabstieg. Oder war da vielleicht gar keine Leiter? Da musste eine sein … da war sicher eine. Laurinavičius und Malenija, die sich bei ihm eingehakt hatte, traten näher. Obwohl die Rotorblätter sich weit über ihnen drehten, war es ihnen nicht ganz geheuer und sie wollten sich unweigerlich bücken. Aus dem Hubschrauber stieg ihr Sohn Aleksas, offenbar in Paradeuniform. Er wandte sich zur Hubschraubertür um, jemand übergab ihm etwas Großes, das Laurinavičius umgehend als Brotlaib identifizierte. Nur war er so groß, rund, gar nicht so wie im Laden, größer auch als die Laibe, wie sie Malenija früher zu Hause backte. Aleksas hielt ein hübsches Leinenhandtuch in Händen, auf dem das Brot lag, und schritt so stolz und militärisch daher, dass es dem Alten, dass es ihm ganz den Atem verschlug – war das ein Sohn, sollen nur alle sehen, was für einen Sohn er großgezogen hatte. Laurinavičius nahm das Brot, er hörte gar nicht, was ihm sein Aleksas, der Hauptmann, sagte: Glückwünsche, noch etwas. Er gab ihm einen Kuss. Und auch der Mutter gab er einen, wechselte ein paar Worte mit ihnen, sagte, er würde am Wochenende zu Besuch kommen, dass alle seine Kinder ihn besuchen wollten, auch einen Musikanten mit Akkordeon hätten sie angestellt – das gebe ein Fest zu Papas rundem Geburtstag. Während er zum Stadion spazierte, hatte der alte Laurinavičius sich vorgestellt, wie er mit dem Hubschrauber flog, sein Sohn könnte ihm doch seine Bitte nicht ausschlagen und würde den alten Vater wenigstens einmal am Himmel über das Heimatstädtchen fliegen. Doch als das Gefährt gelandet war, als sein Sohn mit dem Brotlaib erschien, vergaß er vor lauter Aufregung und Rührung – wie einen General ehrte man ihn – ganz, worum er seinen Sohn hatte bitten wollen, und als es ihm später wieder in den Sinn kam, war Aleksas schon wieder auf dem Weg zurück zum Hubschrauber und er konnte den Lärm des Gefährtes nicht überschreien. Und irgendwie, kam es Laurinavičius in den Sinn, irgendwie schämte er sich auch, den Sohn mit den Launen des Alten zu belästigen. Der Sohn winkte zum Abschied, die Hubschraubertür ging zu, die Rotorblätter surrten noch lauter und wirbelten Staub auf, der ihm in die Augen geriet. Und so flog Laurinavičius auch diesmal nicht, aber beide kehrten sie voller Stolz nach Hause zurück – er und auch Malenija.

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