Icecore

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Titel des Buches in Originalsprache: IceCore

2. Auflage

Name des Autors: Alexander Stania

Copyright 2012 Alexander Stania

www.icecorestation.de

Coverdesign: Alexander Stania

published at epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-1922-7

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Prolog

Der steile Winkel, in dem die Plattform in die Tiefe stürzte, schlug ihm auf den Magen. Und nicht nur das bereitete ihm Unbehagen. Auch diese Mission war ihm unheimlich. Nie zuvor war er so tief unter dem Eis gewesen und die Tatsache dass sie Virenschutzanzüge tragen mussten, machte es nicht besser. Er war kein Wissenschaftler oder Virologe. Er hatte nur Instruktionen zur Durchführung einer einfachen Aufgabe und mehr hatte man ihm nicht anvertraut. Er wusste nur, dass sie da reingehen, die Bombe absetzen und wieder rausgehen sollten. Ruuk versuchte, an seinem Kameraden vor sich vorbeizuschauen, in der Hoffnung, das Ende des Tunnels zu sehen. Viel war nicht zu erkennen, da die Lichtstrahlen von einem schwarzen Loch aufgesaugt wurden, aus dem unaufhörlich weiße Wände zu strömen schienen. Er und weitere fünf Soldaten standen hintereinander, in zwei Reihen auf einer Plattform und rasten immer tiefer in den antarktischen Gletscher. Die Plattform, auf der sie standen, gehörte zu einer Zahnradbahn, die nicht mehr als ein Geländer an den Flanken bot. Das Besondere an dieser von Eduard Locher entwickelten Zahnradbahn waren die waagrecht angebrachten Zahnräder. Sie griffen von jeder Seite in die Zahnstange und verhinderten auf diese Weise das sogenannte Aufklettern. Ruuk kannte weder Eduard Locher noch konnte er etwas mit dem Begriff „Aufklettern“ anfangen. Er war kein Ingenieur, sondern Soldat. Im Augenblick quälte ihn nur die Frage wie er auf seine Uhr schauen konnte, aber die hing an der Hand, mit der er sich am Geländer festhielt. Und das Geländer nur für einen kurzen Moment los zu lassen kam nicht in Frage. Am linken Rand sauste plötzlich ein Haltesteg aus Metall vorbei und verschwand sofort in dem schwarzen Loch hinter ihnen. Nach seinen spärlichen Informationen war das die Haltestelle zur Icecore-Station gewesen. Sie aber fuhren weiter bis zum Ende des Tunnels. Nach einer weiteren kleinen Ewigkeit begann die Bahn stark abzubremsen.

Diese Haltestelle stand auf Stahltraversen, die in der Dunkelheit verschwanden. Nachdem die Bahn gestoppt hatte, ließ Ruuk das Geländer los, ging in die Knie und packte mit der Linken den Griff der großen Metallkiste neben sich. Mit der Rechten zog er seine Taschenlampe aus dem Hüftgurt. Pearl tat das Gleiche auf der anderen Seite der Kiste. Als die Kameraden vor ihnen die Plattform verlassen hatten, nahmen sie gleichzeitig die schwere Kiste hoch und gingen los. Sie folgten Corper und Wavefront, die mit erhobenen Sturmgewehren voraus in die gigantische Eishöhle schritten. Die Nachhut bildete Gilbert, ihr Teamleader. Der noch recht junge Rory blieb als Wache bei der Bahn zurück. Sie liefen von der Haltestelle aus einen waagrechten Steg entlang. Dieser führte geradewegs zwanzig Meter in die Höhle hinein. Je weiter sie auf dem Steg gingen, desto näher kam ihnen der Eisboden. Schließlich endete der metallene Steg, und sie liefen auf Eis weiter. Der Weg wurde in Form deaktiver Leitlichter links und rechts von ihnen weitergeführt. Diesen toten Lampen folgten sie. Es ging leicht aufwärts. Ruuk sah sich den Boden genauer an. Er schien zwar gefroren, aber unter der dünnen Eisschicht verschluckte etwas Dunkles seinen Lichtstrahl. Scheinbar liefen sie auf einem Felsen. Hatte ihm nicht jemand erzählt, der Gletscher wäre hier viertausend Meter dick? Und ihr Ziel lag nur in tausendsechshundert Metern Tiefe. Als er sich bewusst wurde, wie tief er unter dem Eis war, überkam ihn ein kurzer Anflug von Klaustrophobie. Die Eishöhle musste einen Durchmesser von mindestens zweihundert Metern haben, sonst hätten sie die andere Seite sehen können. Ihm lief ein außergewöhnlich langer Schauer über den Rücken, der kein Ende zu nehmen schien. Es war ein permanentes Kribbeln auf der Haut. Nein, nicht nur auf der Haut. Er fühlte es in seinen Zähnen und in jedem Organ seines Körpers. Er hatte das Gefühl, sein gesamter Körper stünde unter Strom. Durch seine leicht beschlagene Scheibe sah er Pearls Gesicht durch dessen Virenschutzanzug. Scheinbar war dieser genauso verwirrt wie er.

„Nicht stehen bleiben, wir sind gleich da!“, befahl Gilbert.

„Ignoriert das Kribbeln, das ist nur das Energiefeld des Generators, den wir ausschalten sollen.“ Wenn ihr Teamleader das sagte, glaubten sie ihm, denn schließlich vertrauten sie ihrem Vorgesetzten und nur so funktionierte die Befehlskette. Sie hatten die höchste Stelle des Höhlenbodens überwunden, und es ging wieder bergab, den toten Leitlichtern nach. Ruuk konnte schon die Umrisse ihres Ziels erkennen. Das Kribbeln wurde umso stärker, je näher sie kamen. Ruuk verdrängte es aus seinen Gedanken und konzentrierte sich auf das Ziel.

Die diffusen Umrisse einer Stahlkonstruktion wurden etwa zehn Meter vor ihnen von der Dunkelheit verschlungen. Laut Gilbert war es eine Brücke. Doch er stoppte ihre Gruppe und befahl Ruuk und Pearl, die Kiste hier abzustellen. Erst jetzt sah Ruuk, dass keine zwei Meter weiter der weiße, eisbedeckte Boden endete und eine sonderbar schwarze, ölig schimmernde Oberfläche zum Vorschein kam. Diese erstreckte sich bis zum Horizont und verlor sich ebenfalls in der Dunkelheit.

Ruuk und Pearl setzten die mitgeschleppte Metallkiste ab und wollten sich gleich daran machen, die Bomben darin auszupacken, als ein gellender Schrei über sie hinweghallte. Die Soldaten, die ihre Waffen im Anschlag hatten, richteten sie instinktiv nach oben. An der Decke der circa dreißig Meter hohen Höhle konnte aber niemand etwas entdecken. Im Scheinwerferlicht sahen sie gerade noch die Metallwand der IcecoreForschungsstation, die etwa fünfzig Meter weiter östlich stand. Dieser Containerbau hatte die Form eines Zylinders. Da er keine Fenster hatte, ähnelte er dem gigantischen Reinigungsbecken einer Kläranlage, nur dass sie auf zwei Meter hohen Stahlbeinen stand. Ruuk bemerkte, dass die Station lauter dunkle Flecken aufwies. Um mehr erkennen zu können, waren sie jedoch zu weit weg.

Wieder ertönte dieser Schrei.

„Das ist nur das Eis“, hörten sie ihren Teamleader Gilbert Host sagen. Alle schauten ihn fragend an.

„Das ist der Druck der Eisdecke“, sagte Gilbert.

„Der Druck?“, wiederholte Pearl mit einem dümmlichen Gesichtsausdruck.

„Wir befinden uns zweitausend Meter unter riesigen Eismassen, und die drücken mit wahnsinniger Kraft aufeinander. Da wird hier und da mal was quietschen. Ewig wird diese Höhle auch nicht stehen, also los!“ Konnte das die Erklärung für dieses markerschütternde Geräusch sein? Wieder kreischte und quietschte es, aber diesmal beachteten sie es nicht mehr.

„Ruuk, Pearl! Macht die Bombe scharf und stellt die Zünder auf drei Stunden!“ Mit diesem Befehl beendete Gilbert die kurze Phase der Unsicherheit. Mit routinierter Professionalität aktivierten sie die EMPBombe. Der elektromagnetische Impuls der Bombe würde jegliche Elektronik in dieser Ausgrabungsstätte zerstören, ohne sonst physischen Schaden anzurichten. Den Grund für den Einsatz einer EMPBombe kannte niemand von ihnen. Aber dass es sich hier nur um eine Ausgrabungsstätte handelte, bezweifelte Ruuk zunehmend. Warum sie hier in Virenschutzanzügen und Sauerstoffbehältern auf dem Rücken herumstampfen mussten, hatte ihnen niemand gesagt, denn schließlich waren sie nur Befehlsempfänger.

Doch das war jetzt auch egal. Bald würden sie wieder zurück auf der Oberfläche sein und dann hoffentlich weg von diesem verfluchten Ort. Die Timer waren eingestellt.

Da sie keine schwere Kiste mehr schleppen mussten, waren sie auch viel schneller wieder bei der Bahn zurück.

Rory hatte es sich mittlerweile auf dem Boden bequem gemacht, da es ihm zu anstrengend, war zwei Stunden lang zu stehen. Er hatte sich nach einer Stunde auch schon Sorgen gemacht, wo seine Kameraden blieben. Zudem beunruhigten ihn die sonderbaren Geräusche, die aus der Eishöhle kamen. Aber Flucht kam nicht in Frage und Kontakt zur Zentrale konnte er auch nicht aufnehmen, da sie sich zu tief unter dem Eis befanden.

Als seine Kameraden dann letztendlich wieder zurück waren, verglichen Ruuk und Rory den Stand ihrer Uhren. Verblüfft stellten sie fest, dass Rorys Uhr vor oder Ruuks eine komplette Stunde nachging. Was hatten sie hier nur ausgegraben? Gilbert ließ keine Zeit für Spekulationen. Er scheuchte sie auf die Plattform hoch und startete die Maschine der Zahnradbahn. Ruckelnd setzte sie sich in Bewegung und beschleunigte der Oberfläche entgegen. Alle an Bord waren erleichtert. Am meisten sah man es Rory an. Es war auch erst sein zweiter Einsatz in dieser Truppe. Ruuk war plötzlich so entspannt, dass er kaum seine Augen offenhalten konnte. Die vorbeirauschenden Eiswände des Tunnels verstärkten den Effekt. Nur fünfzehn Minuten musste er durchhalten, dann waren sie oben. Wieso hatten die Ingenieure dieser Station nicht an Stühle gedacht? Oder war das der Lastenaufzug? Typisch! Das waren seine letzten sinnvollen Gedanken, bevor ihm die Augen zufielen.

 

Auf der Oberfläche der Antarktis, nicht weit vom Eingang des Eistunnels entfernt, standen zwei große Militärhubschrauber, Black Hawks. Sehr leistungsfähige Flugmaschinen. Ihre beheizbaren Rotorblätter waren nur eine der vielen Sonderausstattungen für diese Mission.

Der eine Black Hawk hatte die Soldaten hierher gebracht, der andere Hubschrauber diente als Kommandozentrale. Hier beobachteten gerade drei Menschen eine Wand, die mit Monitoren bestückt war. Der vordere Teil der Kabine war sehr spartanisch eingerichtet: Außer zwei weiteren Computerarbeitsplätzen und den dazugehörigen festgeschraubten Stühlen gab es nichts. Hinter den zwei Operatoren saß Major Jackson Hidge, in seinen Händen hielt er eine Tasse mit Kaffee. Im Gegensatz zu den beiden anderen trug Hidge keine Uniform. Er hatte einen Schneeanzug an, sodass er eher wie ein Zivilist aussah.

Plötzlich fingen sechs Lichter in einer Reihe von Lämpchen hektisch an zu blinken. Diese Blinklichter waren Teil einer in die Monitorwand integrierten Steuerkonsole.

Unter jedem Lämpchen befand sich ein Kippschalter, der wiederum von einer durchsichtigen Sicherheitsklappe abgedeckt war.

„Wir haben wieder Kontakt zu ihnen“, sagte der Operator und öffnete dabei alle Sicherheitsklappen, über denen Lämpchen blinkten.

„Wo sind sie?“, fragte Hidge sichtlich angespannt.

„Neunhundert Meter unter dem Eis, sieben Minuten, bis sie am Ausgang sind“, gab der Operator zurück. Mayor Hidge weilte gedanklich für einen kurzen Moment in der jüngeren Vergangenheit. Dann fing er sich wieder und nickte dem Operator entschlossen zu. Daraufhin fing dieser an, die Hebel umzulegen.

Der Knall war so laut, dass Ruuk dachte, sein eigener Schädel wäre explodiert. Die Druckwelle der Explosion hinter ihm schleuderte ihn nach vorne. Da er als Letzter eingestiegen war, befand er sich am Ende der Plattform. Er hatte sich mit dem Rücken zu den anderen gedreht, damit er nicht von der Bahn fiel, sollte er einschlafen. Der Schlag in den Nacken hätte ihn fast von der Plattform geschleudert, doch er konnte sich gerade noch am Geländer festhalten. Er rutschte mit den Beinen ins Leere, drehte sich und knallte mit den Rippen gegen die Plattformkante. Gerade noch erwischte er mit einer Hand das Geländergestänge. Völlig unfähig, die Situation zu beurteilen, sah er mit an, wie Sprengsätze an den Hinterköpfen seiner Kameraden nacheinander detonierten. Rory war der Einzige, der noch aufrecht stand, während Splitter und Blut um ihn herumflogen. Mit vor Angst verzerrtem Gesicht blickte er zu Ruuk. Rory hatte wohl auch begriffen, dass jemand dabei war, sie umzubringen. Wieder explodierte es, und Rorys blutiges Gesicht durchschlug die Sichtscheibe seines Schutzanzuges. Sein lebloser Körper flog von der Druckwelle getragen über Ruuk hinweg. Geistesgegenwärtig ergriff Ruuk Rorys Stiefel, und dieser riss ihn mit sich in die Tiefen des Eiskanals. Er musste außer Senderreichweite kommen, tief genug unter das Eis. Einen anderen Weg gab es nicht. Eigentlich hätte er schon früher misstrauisch werden müssen, schließlich hatten sie etwas Ähnliches bereits im Golfkrieg gemacht. Aber ein Soldat vertraute seinem Vorgesetzten nun mal.

„Er ist außer Reichweite, Sir“, sagte der Operator mit einem entschuldigenden Unterton zu Hidge. „Es muss sowieso ein Blindgänger gewesen sein, sonst ...“

Hidge brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. „Kommt er da allein wieder raus?“, fragte Hidge nachdenklich.

„Sehr unwahrscheinlich, Sir. Er könnte natürlich die Schienen wieder hochklettern. Aber bei der Kälte und der Steigung? Sechs Kilometer weit? Wahrscheinlich hat er sich sowieso alle Knochen gebrochen, falls er die Ankunft in der Höhle überhaupt überlebt hat“, sagte der Operator überzeugt. Aber Hidge war klar, dass, auch wenn die Chance noch so gering war, eine Möglichkeit bestand. Nichts und niemand durfte aus der Höhle entkommen. Das musste sicher sein.

„Sprengen Sie den Tunnel und lassen Sie alle Spuren beseitigen!“ Der Operator setzte den Befehl sogleich in die Tat um und betätigte einen weiteren Schalter in der Konsole.

Er hatte sich zwei oder drei Rippen gebrochen, diagnostizierte sich Ruuk selbst. Nach dieser Rutschpartie durch den steilen und stockfinsteren Eistunnel war es ein Wunder, dass er überhaupt noch lebte. Dass er sich nicht noch mehr gebrochen hatte, verdankte er seinem toten Kollegen Rory, dessen Körper er als Schlitten missbraucht hatte. Er war über die Haltestellenplattform gerutscht, an dem Laufsteg vorbei, und dann etwa zwei Meter tief auf den Höhlenboden gestürzt. Bei diesem Aufschlag hatte er sich die Rippen gebrochen. Seine Taschenlampe war wahrscheinlich schon vorher aus ihrem Gurt gerissen worden.

Die Höhle war so dunkel, dass Ruuk nicht mal seine Hände sehen konnte. Diese Erkenntnis und dass er völlig allein war, ließen ein Panikgefühl in dem sonst so kontrollierten Soldaten aufkeimen.

Um zu überleben, musste er wieder die Kontrolle zurückerlangen. Er musste flexibel bleiben und sich kleine Ziele stecken. Als Erstes musste er zum Tunnel zurück. Ob er die Kraft hatte, sechs Kilometer bei einer Steigung von fünfundvierzig Grad die Schienen hochzuklettern? Das würde sich zeigen, wenn es so weit wäre. Er tastete nach der kleinen Stablampe in seiner Weste. Doch die befand sich unter seinem Virenschutzanzug. Mit einem Schlag kam ihm wieder die Bombe in seinem Anzug in den Sinn. Was war passiert? Ganz einfach: Ihre Auftraggeber hatten beschlossen, sie auf elegante Weise loszuwerden. Diese Mistkerle! Aber auch er hatte schon so etwas in der Art abgezogen. Am liebsten hätte sich Ruuk diesen verminten Anzug vom Leib gerissen. Andererseits war vielleicht die Bombe im Anzug nicht der einzige Grund, wieso er ihn trug.

Er steckte in einem Zwiespalt. Vielleicht war die Bombe nur ein Blindgänger, der dann mit einer Verzögerung doch noch losging. Je länger er darüber nachdachte, desto stärker wurde seine Angst vor einer Explosion im Nacken. Ruuk machte sich nichts vor, er war sowieso so gut wie tot. Aber so unvermittelt wollte er nicht aus dem Leben gerissen werden. Er öffnete die Sicherheitsverschlüsse des Anzugs, klappte das Luftsiegelverdeck auf die Seite und wollte gerade das Versiegelungsklebeband über dem Reißverschluss abziehen, als er erneut ins Grübeln kam. Wenn er erst mal virenverseucht oder mit sonst etwas Unheilbarem angesteckt war, dann bräuchte er erst gar nicht versuchen, hier rauszukommen. Also machte er alles wieder dicht. Auch wenn er zwei gebrochene Rippen hatte, kein greifbares Licht und eine Meile unter dem antarktischen Eis war ? einen Funken Hoffnung musste er sich bewahren. Was die Bombe in seinem Nacken anging, so war diese sicherlich von der Druckwelle der ersten Explosion zerstört worden. Das redete er sich zumindest ein.

Als Erstes musste er zum Eistunnel, und dann wollte er weitersehen. Flexibel bleiben und sich kleine Ziele stecken, so lautete seine Überlebensstrategie.

Obwohl er sich ein paar Mal überschlagen hatte, wusste er noch, aus welcher Richtung er in die Höhle geflogen war. Sehr tief war er auch nicht, sonst hätte er das Kribbeln wieder gespürt. Als er aufstehen wollte, fuhr ihm ein mörderischer Schmerz durch die Brust. Die gebrochenen Rippen hatte er fast vergessen. Er biss die Zähne zusammen und stolperte blind durch die Dunkelheit in die Richtung, von der er glaubte, dass sich dort der Laufsteg befand.

Plötzlich vernahm Ruuk ein heftiges Donnern und anhaltendes Grollen aus der Richtung des Eistunnels. Ihm war sofort klar, was das bedeutete: Sie hatten den Tunnel gesprengt. Noch ein Hoffnungsfunken erlosch. Dennoch, er sollte schleunigst hier weg, bevor die Lawine aus Eistrümmern in die Höhle stürzte. Da er sich eher am Rand der Höhle aufhielt und der Boden zur Mitte der Höhle anstieg, war klar, wohin die Eismassen fließen würden. Er musste sich so weit wie möglich vom Tunnel entfernen. Während er unter Aufgebot all seiner Kräfte über die Unebenheiten des vereisten Bodens hinwegrannte, wurde das Grollen immer lauter. Dann sackte er in eine Vertiefung und stürzte. Diesmal schoss ihm ein Schmerz durch den Fuß. „Verdammt!“, schrie er in die Dunkelheit. Ein gebrochener Knöchel hatte ihm gerade noch gefehlt. Er belastete ihn vorsichtig und stellte erleichtert fest, dass er nur umgeknickt war. Das tat zwar auch weh, hinderte ihn aber nicht am Laufen. Und nun musste er laufen. Ein kühler Windstoß kündigte das hereinplatzende Eis an. Blind rannte Ruuk los. Hinter ihm krachte und rauschte es ohrenbetäubend laut. Er spürte Eissplitter gegen seinen Anzug und seine Sichtscheibe schlagen. Im Dunkeln hatte er fast kein Gefühl, wie weit er gekommen war, doch scheinbar weit genug, um nicht von der Lawine fortgerissen worden zu sein. Wieder stolperte er, aber diesmal über eine Erhöhung. Vom eigenen Schwung getragen, flog er kopfüber voraus und prallte mit seinem Helm, den er zum Glück unter dem Schutzanzug trug, mit voller Wucht gegen einen Metallpfeiler. Verdutzt blieb er liegen. Gegen was war er geprallt? Er griff vor sich und umfasste den Metallpfeiler. Er erinnerte sich, dass die Station auf Stahlbeinen stand. Schnell rappelte er sich trotz aller Schmerzen auf und tastete über sich. Er fühlte den Boden der IcecoreStation einen halben Meter über seinem Kopf. Er hatte einen neuen Hoffnungsfunken, wobei er nicht mal wusste, ob es von dort eine Verbindung zur Oberfläche gab. Erst mal hinein, war sein nächstes Ziel! Irgendwo musste es eine Laderampe oder eine Luke geben. Diese verdammte Dunkelheit! Und dabei hatte er eine Taschenlampe. Wieder überlegte er, ob er diesen sperrigen Virenschutzanzug ausziehen sollte. Plötzlich fiel ihm ein schwacher Lichtschein auf. Er ging darauf zu, eine Rampe hoch und stand schließlich vor einer Schleusentür. Er sah durch das höchstens zwanzig Zentimeter breite Fenster in der Tür, aus dem der schwache Lichtschein fiel. Es war eine Schleuse, ein zwei mal drei Meter großer Raum ohne jegliche Inneneinrichtung. Hermetisch und luftdicht verschlossen. Für eine Schleuse recht groß. Sie diente sicherlich zum Ein und Ausladen größerer Objekte, die auf Rädern bewegt wurden. Das verriet ihm der Boden, auf dem Reifenabdrücke zu sehen waren. Auf dem Boden, an eine Wand gelehnt, saß eine Frau Mitte dreißig, mit fettigen braunen, langen Haaren. Vielleicht war sie auch jünger, doch sie sah sichtlich mitgenommen aus. Sie steckte in einem weißen Kunststoffanzug, der Ruuks Virenschutzanzug nicht unähnlich sah. Wahrscheinlich war es doch die richtige Entscheidung gewesen, den Anzug nicht auszuziehen. Was aber machte die Frau eigentlich? In der Schulterschnalle ihrer Jacke steckte eine Taschenlampe, und die strahlte auf ein Buch mit einem roten Ledereinband, das auf ihren Knien ruhte. Sie schrieb.

Ein Protokoll, Logbuch oder Tagebuch? Das war ihm jetzt egal, denn er spürte, dass sein Sauerstoffvorrat zur Neige ging. Er musste jetzt da rein ? und sie musste ihm helfen!

Verena vernahm ein dumpfes Pochen auf der anderen Seite der Schleuse. Sie erschrak, blickte auf und sah verängstigt zur Tür. Ihre Gesichtsmimik entspannte sich wieder, als sie in dem weißen Schutzanzug einen Menschen erkannte. Ein Rettungstrupp? Major Hidge würde doch nie versuchen, sie zu retten, das hätte selbst sie nicht getan. Sie legte ihr Tagebuch neben sich auf den Boden und stand auf. Langsam und vorsichtig näherte sie sich der Scheibe. Sie konnte nicht sicher sein, dass der Mann das war, wonach er aussah. In dieser stabilen Schleuse war sie einigermaßen sicher. Glaubte sie jedenfalls.

Der Mann vor der Schleusentür war sichtlich außer sich und versuchte hektisch, mit ihr zu kommunizieren. Aber durch die dicke Panzerglasscheibe und seinen Anzug konnte sie ihn nicht hören. Was sie aber hörte, war das Kreischen. Es kam von draußen auf sie zu. Verena ging langsam zurück. Der Mann schaute sie entsetzt an, dann drehte er sich der heranrasenden Lärmquelle zu, und schon rammte ihm etwas mit voller Wucht den Hinterkopf in das Schleusenfensterglas. Diesem Ansturm hielt das Panzerglas noch stand, doch die Explosion, die eine halbe Sekunde darauf folgte, durchschlug das Fenster. Verena riss die Arme schützend vor ihr Gesicht. Auf eine Explosion war die junge Genetikerin nicht gefasst gewesen, zumal sie auch nichts von der Bombe wußte die im Schutzanzug des Soldaten geschlummert hatte. Sofort schlug ihr eiskalter Wind durch das zerstörte Schleusenfenster entgegen. Nun bot der Raum keinen Schutz mehr, und Verena wollte noch lange genug leben, um ihr Tagebuch zu Ende zu schreiben. Wenn sie selbst schon gehen musste, so wollte sie doch wenigstens die wahre Geschichte dieses Ortes zurücklassen. Sie hoffte, dass sie eines Tages in die richtigen Hände gelangte. Vielleicht sogar zu ihrem Mann und ihrer Tochter. Beim Gedanken an ihre Lieben, die sie nie wieder sehen würde, stiegen ihr die Tränen in die Augen.

 

Sie steckte ihr Tagebuch in die Seitentasche ihrer weißen Kunststoffhose, die sie unter dem Virenschutzanzug trug. Sie gab sich nicht mehr die Mühe, ihren Schutzanzug wieder zu schließen, und legte ihre zitternden Hände auf das manuelle Verriegelungsrad der Schleusentür. Der Öffnungsmechanismus der Tür ratterte monoton vor sich hin, als Verena die Schleuse ins Innere der Station öffnete.

Dann stieg sie durch die ovale Öffnung und verschwand in den dunklen Eingeweiden der IcecoreForschungsstation.

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