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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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LXIII
Das Lebenselixir

Mirabeau ging mit stolzem Auge und den Kopf hoch tragend aus der Nationalversammlung weg. So lange er sich der Gefahr gegenüber befand, dachte der mächtige Athlete nur an die Gefahr und nicht an seine Kräfte.

Es war bei ihm wie beim Marschall von Sachsen in der Schlacht von Fontenoy; entkräftet, krank, blieb er den ganzen Tag fester, als der tapferste Kriegsmann seines Heeres; als aber die englische Armee gebrochen war, als der letzte Rauch des letzten Kanonenschusses die Flucht der Engländer begrüßte, da sank er sterbend auf das Schlachtfeld, das er erobert hatte.

Ebenso war es mit Mirabeau.

Als er nach Hause kam, legte er sich auf die Erde, auf Kissen mitten unter Blumen.

Mirabeau hatte zwei Leidenschaften: die Frauen und die Blumen.

Seit dem Anfange der Sitzungen verschlechterte sich übrigens seine Gesundheit sichtbar; obgleich mit einem kräftigen Temperamente ausgestattet, hatte er in physischer und moralischer Beziehung so viel durch Verfolgungen und Einkerkerungen gelitten, daß er nie mehr völlig gesund gewesen war.

So lange der Mensch jung ist, agiren alle Organe seinem Willen unterworfen, bereit, dem ersten Befehle zu gehorchen, den ihnen das Gehirn ertheilt, gewissermaßen gleichzeitig und ohne irgend eine Opposition gegen das Verlangen, das sie in Bewegung setzt. Doch sowie der Mensch im Alter vorrückt, macht jedes Organ, wie ein Bedienter, der noch gehorcht, den aber ein langer Dienst verdorben hat, wenn man so sagen darf, seine Bemerkungen, und nicht ohne Mühe und Kampf gelingt es einem, seinen Willen durchzusetzen.

Mirabeau war in diesem Lebensalter; damit seine Organe ihn fortwährend mit der Schnelligkeit bedienten, an die er gewöhnt war, mußte er sich ärgern, und der Zorn allein brachte diese müden und von Schmerzen heimgesuchten Diener zum Gehorsam.

Diesmal fühlte er in sich etwas Ernsteres als gewöhnlich, und er widerstand nur schwach seinem Lackei, der davon sprach, er wolle einen Arzt holen, als der Doctor Gilbert klingelte und bei ihm eingeführt wurde.

Mirabeau reichte dem Doctor die Hand und zog ihn zu sich auf die Kissen, auf denen er mitten unter Blumen und Blättern lag.

»Nun, mein lieber Graf,« sagte Gilbert zu ihm, »ich wollte nicht nach Hause gehen, ohne Ihnen Glück zu wünschen. Sie hatten mir einen Sieg versprochen. Sie haben mehr als dies, Sie haben einen Triumph davon getragen.«

»Ja, doch Sie sehen, das ist ein Triumph, ein Sieg in der Art von dem von Pyrrhus; noch ein Sieg wie dieser, Doctor, und ich bin verloren!«

Gilbert schaute Mirabeau an und sprach dann:

»Sie sind in der That krank.«

Mirabeau zuckte die Achseln.

»Mein lieber Doctor, bei dem Handwerk, das ich treibe, wäre ein Anderer schon hundertmal gestorben,« erwiderte er, »Ich habe zwei Secretäre, sie sind beide ganz erschöpft, Pellinc besonders, der beauftragt ist, die Brouillons meiner abscheulichen Handschrift zu copiren, und den ich nicht entbehren kann, weil er allein mich zu lesen und zu verstehen vermag. Pellinc liegt seit drei Tagen im Bette, Doctor, bezeichnen Sie mir doch, ich sage nicht Etwas, was mich leben macht, sondern Etwas, was mir Kraft gibt, so lange ich lebe.«

»Was wollen Sie,« versetzte Gilbert, nachdem er dem Kranken den Puls gefühlt, »einer Organisation wie der Ihrigen kann man keinen Rath geben. Rathen Sie doch die Ruhe einem Menschen, der seine Kraft besonders aus der Bewegung schöpft, die Mäßigung einem Genie, das unter Excessen groß wird! Kann ich Ihnen sagen, Sie sollen aus Ihrem Zimmer diese Blumen und diese Pflanzen wegnehmen lassen, welche bei Tag den Sauerstoff und bei Nacht den Kohlenstoff entwickeln? Sie haben sich eine Nothwendigkeit aus den Blumen gemacht, und Sie würden mehr durch ihre Abwesenheit leiden, als Sie unter ihrer Anwesenheit erdulden. Soll ich Ihnen sagen, Sie müssen die Frauen behandeln wie die Blumen und sie bei Nacht besonders, entfernen? Sie werden mir antworten, Sie wollen lieber sterben  . . .  Leben Sie also, mein lieber Graf, mit den Bedingungen Ihres Lebens, nur haben Sie um sich her Blumen ohne Wohlgeruch und, wenn es Ihnen möglich ist, Liebesverhältnisse ohne Leidenschaft.«

»Oh! in letzterer Hinsicht sind Sie vortrefflich bedient, mein lieber Doctor,« erwiderte Mirabeau! »die Liebesverhältnisse mit Leidenschaft sind mir zu sehr mißglückt, als daß ich wieder anfangen sollte. Drei Jahre Gefängniß, ein Todesurtheil und der Selbstmord einer von mir geliebten Frau, die sich für einen Anderen als für mich das Leben nahm, haben mich von dieser Art von Liebschaften geheilt; einen Augenblick träumte ich etwas Großes, ich träumte die Verbindung von Elisabeth mit Essey, von Anna von Oesterreich mit Mazarin, von Catharine II. mit Potemkin; doch das war ein Traum. Was wollen Sie! ich habe sie nicht wiedergesehen, diese Frau, für welche ich kämpfe, und ich werde sie ohne Zweifel nie wiedersehen . . .  Ah! Gilbert, es gibt keine größere Qual, als zu fühlen, daß man in sich unermeßliche Pläne, die Wohlfahrt eines Königreiches, den Triumph seiner Freunde und die Vernichtung seiner Feinde trägt, und daß durch einen bösen Willen des Zufalls, durch eine Laune des Verhängnisses Alles dies uns entwischt. Oh! Die Thorheiten meiner Jugend, wie lassen sie mich dieselben büßen, wie büßen sie sie selbst! Doch warum mißtrauen sie mir? Habe ich nicht, abgesehen von ein paar Veranlassungen, bei welchen sie mich auf das Aeußerste trieben, und wo ich schlagen mußte, um ihnen das Maß meiner Streiche zu geben, habe ich nicht völlig ihnen gehört vom Anfang bis zum Ende? Bin ich nicht für das absolute Veto gewesen, als sich Herr Necker mit dem suspensiven Veto begnügte? Bin ich nicht gegen jene Nacht vom 4. August gewesen, an der ich nicht Theil genommen, und die den Adel seiner Privilegien beraubt hat? Habe ich nicht gegen die Erklärung der Menschenrechte protestirt, nicht als ob es mir eingefallen wäre, das Geringste davon wegzuschneiden, sondern weil ich glaubte, der Tag ihrer Verkündigung sei noch nicht gekommen. Habe ich ihnen nicht heute endlich über das hinaus, was sie hoffen konnten, gedient? Habe ich nicht auf Kosten meiner Ehre, meiner Popularität, meines Lebens mehr erlangt, als ein Mensch, wäre er Minister, wäre er Prinz, für sie erlangen konnte? Und wenn ich bedenke, – überlegen Sie wohl, was ich Ihnen sagen werde, mächtiger Philosoph, denn der Sturz der Monarchie liegt vielleicht in dieser Thatsache, – wenn ich bedenke, daß ich, der ich es als eine große Gnade, so groß, daß sie mir nur ein einziges Mal bewilligt worden ist, betrachten muß, die Königin zu sehen; wenn ich bedenke, daß, wäre mein Vater nicht am Tage der Einnahme der Bastille gestorben, hätte mich nicht die Schicklichkeit abgehalten, mich zwei Tage nach diesem Tode zu zeigen, da Lafayette zum General der Nationalgarde und Bailly zum Maire von Paris ernannt wurden, ich an der Stelle von Bailly zum Maire ernannt worden wäre! Oh! dann änderten sich die Dinge: der König befand sich unmittelbar in der Nothwendigkeit, in Verbindung mit mir zu treten; ich flößte ihm andere Ideen als die ein, die er darüber hat, wie man eine Stadt, welche die Revolution in ihrem Schoße trägt, leiten muß; ich eroberte sein Vertrauen, ich brachte ihn, ehe das Uebel zu tief eingewurzelt war, zu entscheidenden Maßregeln der Conservation, statt daß ich, ein einfacher Abgeordneter, ein verdächtiger, von der Eifersucht verfolgter, gefürchteter, gehaßter Mensch vom König entfernt, bei der Königin verleumdet worden bin. Glauben Sie Eines, Doctor? als sie mich in Saint-Cloud erblickte, erbleichte sie; ei! ist das nicht ganz einfach, hat man ihr nicht den Glauben beigebracht, ich habe den 5. und 6. October gemacht? Nun, während dieses Jahres hätte ich Alles das gethan, was man mich zu thun verhindert hat, indeß ich heute, ah! heute für die Gesundheit der Monarchie, wie für die meinige, befürchte, daß es zu spät ist.

Und mit einem tiefen Ausdrucke von Schmerz, der auf seinem ganzen Gesichte verbreitet war, packte Mirabeau mit voller Hand das Fleisch seiner Brust unter seinem Magen.

»Sie leiden, Graf?« fragte Gilbert.

»Wie ein Verdammter! Es gibt Tage, wo ich bei meinem Ehrenwort, glaube, daß man das, was man mir in moralischer Hinsicht mit der Verleumdung anthut, in physischer mit dem Arsenik macht  . . .  Glauben Sie an das Gift der Borgia, an die Aqua tosana von Perugia und an das Erbschaftspulver der Voisin, Doctor?« fragte lächelnd Mirabeau.

»Nein, doch ich glaube an jene glühende Klinge, welche die Scheide verbrennt, an jene Lampe, deren erweiterte Flamme das Glas zersprengt.«

Gilbert zog ans seiner Tasche ein Krystallfläschchen, das zwei Fingerhut voll von einer grünlichen Flüssigkeit enthielt.

»Graf,« sprach er, »wir wollen einen Versuch machen.«

»Welchen?« versetzte Mirabeau, indem er das Fläschchen neugierig anschaute.

»Einer von meinen Freunden, den ich gern als den Ihrigen sehen möchte, und der sehr unterrichtet ist in den Naturwissenschaften und sogar, wie er behauptet, in den verborgenen Wissenschaften, hat mir das Recept von diesem Tranke als einem souveränen Gegengift, einem universellen Heilmittel, beinahe einem Lebenselixir gegeben. Oft, wenn ich von jenen düstern Gedanken erfaßt wurde, welche unsere Nachbarn, die Engländer, zur Schwermuth, zum Spleen und sogar zum Tode führen, habe ich als paar Tropfen von dieser Flüssigkeit getrunken, und ich muß sagen, die Wirkung ist immer heilsam und rasch gewesen. Wollen Sie auch davon kosten?«

Von Ihrer Hand, lieber Doctor, würde ich Alles annehmen, selbst den Schierling, um so viel mehr also das Lebenselixir. Ist eine Mischung damit zu machen, oder wird es rein getrunken?«

»Nein, denn dieser Trank besitzt in der That eine große Gewalt. Befehlen Sie Ihrem Lackei, Ihnen ein paar Tropfen Branntwein oder Weingeist in einem Löffel zu bringen.«

 

»Teufel! Weingeist oder Branntwein, um Ihren Trank zu mildern! Das ist also flüssiges Feuer? Ich wußte nicht, daß ein Mensch davon getrunken, seit den, Promethens dem Ahnherrn des Menschengeschlechts eingeschenkt hat; nur sage ich Ihnen zum Voraus, daß ich bezweifle, ob mein Lackei im ganzen Hause sechs Tropfen Branntwein findet; ich bin nicht wie Pitt, und nicht hier hole ich meine Beredtsamkeit.«

Der Lackei kam indessen nach einigen Secunden mit einem Löffel zurück, der die verlangten fünf bis sechs Tropfen Branntwein enthielt.

Gilbert fügte diesem Branntwein ein gleiches Quantum von der Flüssigkeit bei, welche das Fläschchen enthielt; auf der Stelle nahmen die zwei combinirten Flüssigkeiten die Farbe des Wermuths an, und Mirabeau ergriff den Löffel und verschluckte das, was er enthielt.

»Teufel! Doctor,« sagte er zu Gilbert, »Sie haben wohl daran gethan, mich darauf aufmerksam zu machen, daß Ihre Drogue kräftig ist; mir ist buchstäblich, als hätte ich einen Blitz verschluckt.«

Gilbert lächelte und schien mit Vertrauen zu warten.

Mirabeau blieb einen Augenblick wie verzehrt durch die paar Tropfen Flamme, senkte den Kopf auf seine Brust und drückte die Hand an seinen Magen; doch plötzlich erhob er wieder das Haupt und rief:

»Ah! Doctor, es ist wahrhaftig das Lebenselixir, was Sie mich haben trinken lassen.«

Dann stand er auf, athmete geräuschvoll, hob die Stirne hoch empor, streckte die Arme aus und sprach:

»Nun stürze die Monarchie, ich fühle mich stark genug, sie zu halten.«

Gilbert lächelte.

»Sie fühlen sich also besser?« fragte er.

»Doctor,« sagte Mirabeau, »belehren Sie mich, wo man diesen Trank kauft, und müßte ich jeden Tropfen mit einem Diamant von gleicher Größe bezahlen, müßte ich auf all meinen Luxus für diesen Luxus an Kraft und Leben verzichten, ich stehe Ihnen dafür, ich werde auch diese flüssige Flamme bekommen, und dann werde ich mich für unbesiegbar halten.«

»Graf,« erwiderte Gilbert, »versprechen Sie mir, von diesem Tranke nur zweimal in der Woche zu nehmen, sich nur an mich zu wenden, um wieder Vorrath zu erhalten, und dieses Fläschchen gehört Ihnen,«

»Geben Sie mir, und ich verspreche Ihnen Alles, was Sie wollen.«

»Hier  . . .  doch das ist noch nicht Alles: Sie werden Pferde und Wagen haben, wie Sie mir gesagt haben?«

»Ja.«

»Nun, so leben Sie auf dem Lande; diese Blumen, welche die Luft Ihres Zimmers verderben, reinigen die Luft eines Gartens; die Fahrt, die Sie alle Tage machen werden, um nach Paris zu kommen und auf das Land zurückzukehren, wird Ihnen heilsam sein; wählen Sie, wenn es möglich ist, einen Aufenthaltsort, der uns einer Anhöhe, in einem Walde, an einem Flusse liegt, Bellevue, Saint Germain oder Argenteuil.«

»Argenteuil« versetzte Mirabeau, »ich habe meinen Bedienten abgeschickt, um ein Landhaus dort zu suchen. Teisch, sagten Sie mir nicht, Sie haben dort etwas gefunden, was mir anstehen werde?«

»Ja, Herr Graf,« antwortete der Bediente, der bei der Cur, welche Gilbert vorgenommen, gegenwärtig gewesen war; »ja, ein reizendes Haus, von dem mir ein gewisser Fritz, ein Landsmann von mir, gesagt hatte; er hat, wie mir scheint, mit seinem Herrn, der ein fremder Banquier ist, dort gewohnt. Das Haus ist zu vermiethen, und der Herr Graf kann es nehmen, wann er will.«

»Wo ist dieses Haus?«

»Außerbahb Argenten!; man nennt es das Schloß vom Marais.«

»Oh! ich kenne das,« sagte Mirabeau; »sehr gut, Teisch. Als mich mein Vater aus seinem Hause mit seinem Fluche und einigen Stockstreichen wegjagte  . . .  Sie wissen, Doctor, daß mein Vater in Argenteuil wohnte?«

»Ja.«

»Nun, sage ich, als mich mein Vater aus seinem Hause jagte, ging ich oft außen an den Mauern dieses schönen Wohngebäudes spazieren, und ich sagte mir dann, ich glaube, wie Horaz, – verzeihen Sie, wenn die Citation falsch ist —: O rus, quando te aspiciam?«

»Dann ist also der Augenblick gekommen, Ihren Wunsch zu verwirklichen! Brechen Sie auf, besuchen Sie das Schloß Marais, versetzen Sie dorthin ihr Domicil  . . .  je eher, desto besser.«

Mirabeau überlegte einen Augenblick; dann wandte er sich an Gilbert und sagte:

»Lieber Doctor, Ihre Pflicht gebietet, daß Sie über dem Kranken wachen, den Sie wiedererweckt haben; es ist erst fünf Uhr; wir sind in den langen Tagen des Jahres; das Wetter ist schön; steigen wir in den Wagen und fahren wir nach Argenteuil.«

»Gut, fahren wir nach Argenteuil,« erwiderte Gilbert. »Unternimmt man die Wiederherstellung einer Gesundheit, welche so kostbar wie die Ihrige, so muß man Alles studiren  . . .  Lassen Sie uns Ihr zukünftiges Landhaus studiren!«

LXIV
Unter dem vierten Grade gibt es keine Verwandte mehr

Mirabeau hatte kein eingerichtetes Haus und folglich keinen eigenen Wagen. Der Bediente holte einen Miethwagen.

Um jene Zeit war die Fahrt nach Argenteuil beinahe eine Reise, während man dahin jetzt in elf Minuten kommt und in zehn Jahren vielleicht in elf Secunden kommen wird.

Warum hatte Mirabeau Argenteuil gewählt? Weil sich einige Erinnerungen seines Lebens, wie er dem Doctor gesagt hatte, an diese kleine Stadt knüpften, und weil der Mensch ein so großes Bedürfniß hat, die kurze Periode des Daseins, die ihm gegeben ist, zu verdoppeln, daß er sich, so lange er kann, an die Vergangenheit anklammert, um weniger rasch gegen die Zukunft fortgerissen zu werden.

In Argenteuil war sein Vater, der Marquis von Mirabeau, am 11. Juli 1783 gestorben, wie ein ächter Edelmann sterben mußte, der bei der Einnahme der Bastille nicht gegenwärtig sein wollte.

Am Ende der Brücke von Argenteuil ließ auch Mirabeau den Wagen halten.

»Sind wir an Ort und Stelle?« fragte der Doctor.

»Ja und nein. Wir sind noch nicht beim Schlosse vom Marais angelangt, das eine Viertelmeile jenseits Argenteuil liegt. Was wir aber heute machen, – ich vergaß, Ihnen dies zu sagen, – ist nicht ein einfacher Besuch, es ist eine Wallfahrt, und zwar eine Wallfahrt in drei Stationen.«

»Eine Wallfahrt?« versetzte Gilbert lächelnd, »und zu welchem Heiligen?«

»Zum heiligen Riquetti, mein lieber Doctor; das ist ein Heiliger, den Sie nicht kennen, ein Heiliger, den die Menschen canonisirt haben. Ich kann es nicht leugnen, ich bezweifle sehr, ob der gute Gott, – angenommen er beschäftige sich mit allen Lappereien dieser armseligen Welt, – die Heiligsprechung ratificirt hat; darum ist es aber nicht minder gewiß, daß hier der heilige Riquetti, Marquis von Mirabeau, der Menschenfreund, verschieden ist, und zwar umgebracht wie ein Märtyrer durch die Ausschweifungen seines unwürdigen Sohnes Honoré Gabriel Victor Riquetti, Grafen von Mirabeau.«

»Oh! es ist wahr,« sagte der Doctor, »in Argenteuil ist Ihr Vater gestorben. Verzeihen Sie, daß ich das vergessen habe. Meine Entschuldigung findet sich in Folgendem: als ich von Amerika zurückkehrte, wurde ich aus der Straße vom Havre nach Paris in den ersten Tagen des Juli verhaftet, und ich befand mich in der Bastille, während sich dieser Tod ereignete. Am 14. Juli kam ich mit den sieben andern Gefangenen, die sie enthielt, wieder heraus, und so groß dieses Ereigniß war, so hat es sich, wenn nicht als Factum, doch wenigstens als Einzelheit in den ungeheuren Ereignissen verloren, welche derselbe Monat sich hat erschließen sehen . . .  Und wo wohnte Ihr Vater?«

In dem Augenblick, wo Gilbert diese Frage machte, blieb Mirabeau vor dem Gitter eines Hauses stehen, das aus dem Quai dem Flusse gegenüber lag, von dem es durch eine Wiese von ungefähr dreihundert Schritten und durch einen Vorhang von Bäumen getrennt war.

Als er einen Menschen vor dem Gitter stille stehen sah, sprang ein ungeheurer Hund von der Pyrenäen-Race knurrend vor, streckte den Kopf durch die Gitterstangen und suchte ein Stück vom Fleische von Mirabeau oder einen Fetzen von seinen Kleidern zu erwischen.

»Bei Gott! Doctor,« rief Mirabeau zurückweichend, um den weißen, drohenden Zähnen des Molosses zu entgehen, nichts hat sich geändert, und man empfängt mich wie zu Lebzeiten meines Vaters.«

Es erschien indessen ein junger Mann aus der Freitreppe, brachte den Hund zum Schweigen, rief ihn zu sich und schritt gegen die zwei Fremden vor.

»Verzeihen Sie, meine Herren,« sagte er, »die Herrschaft hat keine Schuld an dem Empfange, den Ihnen der Hund bereitet; viele Spaziergänger bleiben vor dem Hause stehen, das einst vom Marquis von Mirabeau bewohnt wurde, und da der arme Cartouche das historische Interesse nicht begreifen kann, das mit der Wohnung seiner bescheidenen Herrschaft verknüpft ist, so knurrt er ewig. In dein Nest, Cartouche!«

Der junge Mann machte eine drohende Geberde, und der Hund verbarg sich in seinem Stalle, aus welchem indessen bald seine Vorderpfoten hervorkamen, aus denen er seine Schnauze mit den scharfen Zähnen, mit der blutigen Zunge und den feurigen Augen ausstreckte.

»Meine Herren,« fuhr der junge Mann fort, »es ist nun hinter diesen, Gitter ein Wirth bereit, es zu öffnen und Sie zu empfangen, sollte sich bei Ihnen die Neugierde nicht auf die Beschauung des Aeußern beschränken.«

Gilbert stieß Mirabeau mit dem Ellenbogen und gab ihm dadurch zu verstehen, er würde gern das Innere des Hauses besuchen.

Mirabeau begriff: überdies stand sein Wunsch mit dem von Gilbert im Einklange.

»Mein Herr,« sagte er, »Sie haben im Grunde unserer Gedanken gelesen. Wir wußten, daß dieses Haus einst vom Menschenfreunde bewohnt gewesen ist, und waren begierig, es zu besichtigen.«

»Und Ihre Neugierde wird sich verdoppeln,« sagte der junge Mann, wenn Sie erfahren, daß dieses Haus, während sich der Vater hier aufhielt, zwei oder dreimal durch den Besuch seines berühmten Sohnes geehrt wurde, welcher, wenn man der Tradition glauben darf, sich nicht immer so empfangen sah, wie er es zu sein verdiente, und wie wir ihn empfangen würden, käme ihn die Lust an, die Sie haben, und die ich zu unterzeichnen mich beeile.«

Und der junge Mann verbeugte sich, öffnete den zwei Besuchern, stieß das Gitter wieder zu und schritt ihnen voran.

Doch Cartouche schien nicht geneigt, sie so die ihnen angebotene Gastfreundschaft genießen zu lassen; er sprang abermals mit entsetzlichem Gebelle aus seinem Stalle.

Der junge Mann warf sich zwischen den Hund und denjenigen von seinen Gästen, gegen welchen das Thier am meisten erbittert zu sein schien.

Doch Mirabeau schob den jungen Mann mit der Hand zurück und sagte:

»Mein Herr, die Hunde und die Menschen haben viel gegen mich gebellt: die Menschen haben mich zuweilen gebissen, die Hunde nie. Uederdies behauptet man, der menschliche Blick wirke allmächtig aus die Hunde; ich bitte, lassen Sie mich die Probe machen.«

»Mein Herr,« versetzte rasch de, junge Mann, »ich muß Ihnen bemerken, Cartouche ist böse.«

»Lassen Sie, lassen Sie,« erwiderte Mirabeau, »ich habe alle Tage mit noch viel schlimmeren Thieren zu thun, als er eines ist, und heute erst bin ich mit einer ganzen Menge fertig geworden.«

»Ja, doch mit jener Mente können Sie sprechen,« sagte Gilbert, »und Niemand leugnet die Macht Ihrer Rede.«

»Doctor, ich glaubte, Sie seien ein Adepte des Magnetismus?«

»Allerdings. Nun?«

»Nun, dann müssen Sie die Macht des Blickes anerkennen. Lassen Sie mich Cartouche magnetistren.«

Mirabeau sprach hier jene kühne, von höheren Organisationen so wohl begriffene Sprache.

»Thun Sie es,« erwiderte Gilbert.

»Ob! mein Herr,« wiederholte der junge Mann, »Sie gefährden sich.«

»Ich bitte!« rief Mirabeau.

Der junge Mann verbeugte sich, um seine Einwilligung zu bezeichnen, und trat auf die linke Seite, während Gilbert auf die rechte trat, wie es die Zeugen eines Duells thun, wenn der Gegner ihren Parthen anzugreifen im Begriffe ist.

Ueberdies schickte sich der junge Mann, der auf die Stufen der Freitreppe gestiegen war, an, Cartouche zurückzuhalten, sollten das Wort oder der Blick des Unbekannten ungenügend sein.

Der Hund wandte den Kopf nach rechts und links, als wollte er untersuchen, ob derjenige, gegen welchen er in einem unversöhnlichen Hasse entbrannt zu sein schien, von jedem Beistand getrennt sei. Als er ihn sodann allein und ohne Waffen sah, kroch er langsam, mehr Schlange als vierfüßiges Thier, vor, erhob sich plötzlich und legte mit einem einzigen Sprunge den dritten Theil des Raumes zurück, den er von seinem Gegner entfernt war.

Da kreuzte Mirabeau die Arme, und mit jener Macht des Blickes, welche aus ihm Jupiter den Donnergott der Tribune machte, heftete er seine Augen auf das Thier. Zu gleicher Zeit schien Alles das, was der so kräftige Körper an Elektrizität enthalten konnte, zu seiner Stirne emporzusteigen; seine Haare sträubten sich, wie es die Mähne eines Löwen thut, und wäre man statt in dieser Stunde des Tages zu sein, wo die Sonne sich schon neigt, aber immer noch erleuchtet, in den ersten Stunden der Nacht gewesen, so hätte man ohne Zweifel aus jedem von seinen Haaren einen Funken hervorsprühen sehen.

 

Der Hund blieb kurz stehen und schaute ihn an.

Mirabeau bückte sich, nahm eine Hand voll Sand und warf sie dem Hunde ins Gesicht.

Der Hund brüllte und that einen zweiten Sprung, der ihn seinem Gegner um drei bis vier Schritte näher brachte; nun aber ging dieser aus den Hund zu.

Das Thier blieb einen Augenblick unbeweglich, wie der Hund des Jägers Kephalos; dann schien es, beunruhigt durch das allmälige Fortschreiten von Mirabeau, zwischen dem Zorn und der Furcht zu schwanken, drohte mit den Zähnen und den Augen, bog sich aber auf seinen Hinterpfoten. Endlich streckte Mirabeau den Arm mit jener gebieterischen Geberde aus, die ihm so oft aus der Tribune geglückt war, wenn er seinen Feinden den Hohn, die Beleidigung oder die Ironie zuschleuderte, und besiegt, an allen Gliedern zitternd, wich der Hund zurück, schaute hinter sich, ob ihm der Rückzug geöffnet sei, drehte sich um sich selbst und kehrte hastig in seinen Stall zurück.

Mirabeau erhob das Haupt stolz und freudig wie ein Sieger der istymischen Spiele.

»Ah! Doctor,« sprach er, »Herr Mirabeau der Vater hatte Recht, wenn er sagte, die Hunde seien Candidaten der Menschheit. Sie sahen, wie dieser frech und dann feig war, und Sie sollen ihn knechtisch sehen wie einen Menschen.«

Und zu gleicher Zeit ließ er seine Hand an seinem Schenkel hinabhängen und rief mit befehlendem Tone:

»Hier, Cartouche, hier!«

Der Hund zögerte, doch aus eine Gebärde der Ungeduld streckte er den Kopf zum zweiten Male aus seinem Stalle heraus, kroch abermals seine Augen auf die von Mirabeau geheftet vor, legte so den ganzen Zwischenraum zurück, der ihn von seinem Besieger trennte, hob, bei seinen Füßen angelangt, langsam und schüchtern seinen Kopf empor und berührte mit dem Ende seiner schnaubenden Zunge das Ende der Finger von Mirabeau.

Dann wandte dieser sich gegen Gilbert um, während der junge Mann, schauernd vor Angst und stumm vor Erstaunen, auf der Freitreppe geblieben war, und sagte:

»Wissen Sie, mein lieber Doctor, woran ich dachte, während ich die Tollheit machte, deren Zeuge Sie gewesen sind?«

»Nein, doch sagen Sie es, denn Sie haben das nicht ans bloßem Trotze gethan?«

»Ich dachte an die berüchtigte Nacht vom 5. auf den 6. October. Doctor, Doctor, ich gäbe die Hälfte der Tage, die ich noch zu leben habe, hätte König Ludwig XVI. diesen Hund auf mich losstürzen, in seinen Stall zurückkehren und mir endlich die Hand lecken sehen.«

Dann sagte er zu dem jungen Manne:

»Mein Herr, nicht wahr, Sie verzeihen mir, daß ich Cartouche gedemüthigt habe?  . . .  Sehen wir nun das Haus des Menschenfreundes, da Sie die Güte haben wollen, es uns zu zeigen.«

Der junge Mann trat auf die Seite, um Mirabeau vorbeigehen zu lassen, der übrigens keinen Führer zu brauchen und das Haus so gut als irgend Jemand zu kennen schien.

Ohne im Erdgeschoße anzuhalten, stieg er rasch die Treppe hinauf, welche mit einem ziemlich künstlich gearbeiteten eisernen Geländer versehen war, und sagte:

»Hierher, Doctor, hierher.«

Mit seinem gewöhnlichen Ungestüm, mit jener Gewohnheit des Herrschens, die in seinem Temparamente lag, hatte sich Mirabeau vom Zuschauer zum Schauspieler, vom einfachen Besucher zum Herrn des Hauses gemacht.

Gilbert folgte ihm.

Mittlerweile rief der junge Mensch seinen Vater, einen Mann von fünfzig bis fünfundfünfzig Jahren, und seine zwei Schwestern, Mädchen von fünfzehn bis achtzehn Jahren, herbei, um ihnen zu sagen, welchen seltsamer Gast er empfangen habe.

Während er ihnen die Geschichte der Unterwerfung von Cartouche erzählte, zeigte Mirabeau dem Doctor das Arbeitscabinet und den Salon des Marquis von Mirabeau, und da jedes Zimmer, welche sie besuchten, in ihm eine neue Erinnerung erweckte, so erzählte Mirabeau Anecdote auf Anecdote mit jenem ihm eigenthümlichen hinreißenden Zauber.

Der Eigenthümer und seine Familie horchten auf diesen Cicerone, der ihnen die Geschichte ihres eigenen Hauses gab, indem sie, um zu sehen und zu hören, die Augen und die Ohren weit aufsperrten.

Als die Wohnung im oberen Socke besichtigt war und es in der Kirche von Argenteuil sieben Uhr schlug, befürchtete Mirabeau ohne Zweifel, es könnte ihm an Zeit für das fehlen was er noch zu thun hatte; – er ermahnte Gilbert zur Eile und gab ihm selbst das Beispiel dadurch, daß er rasch die vier ersten Stufen hinabstieg.

»Mein Herr,« sagte der Eigenthümer des Hauses, »Sie, der Sie so viele Geschichten über den Marquis von Mirabeau und seinen berühmten Sohn wissen, – mir scheint, Sie hätten, wenn Sie wollten, über diese vier ersten Stufen eine Geschichte zu erzählen, die nicht minder interessant wäre, als die, welche Sie erzählt haben.«

Mirabeau blieb stehen und lächelte.

»In der That,« sagte er, »Jedoch diese gedachte ich mit Stillschweigen zu übergeben.«

»Und warum dies, Graf?« fragte der Doctor.

»Bei meine? Treue, Sie sollen selbst urtheilen. Als er das Gefängniß von Vincennes verließ, wo er achtzehn Monate geblieben war, hatte Mirabeau, der doppelt so alt sein mochte, als der verlorene Sohn, und durchaus nicht wahrnahm, daß man das fette Kalb zur Feier seiner Rückkehr schlachtete, die Idee, seinen Pflichttheil zu reclamiren. Es waren zwei Gründe vorhanden, warum Mirabeau im väterlichen Hause schlecht empfangen wurde: einmal verließ er Vincennes, trotz des Marquis; sodann kam er in das Haus, um Geld zu verlangen. Eine Folge hiervon war, daß der Marquis, der eben die letzte Hand an ein philanthropisches Werk legte, aufstand, als er seinen Sohn erblickte, bei den ersten Worten, die dieser sprach, seinen Stock ergriff und auf ihn losstürzte, sobald er das Wort Geld gehört hatte. Der Graf kannte seinen Vater, und dennoch hoffte er, seine siebenunddreißig Jahre werden ihn vor der Züchtigung schützen, mit der er bedroht war. Der Graf sah seinen Irrthum ein, als er die Stockstreiche auf seine Schultern regnen fühlte.«

»Wie! Stockstreiche?« versetzte Gilbert.

»Ja, ächte, gute Stockstreiche, nicht wie die, welche man in der Comédie Française in den Stücken von Molière gibt und empfängt, sondern reelle Stockstreiche, um den Kopf zu zerschmettern und die Arme zu zerbrechen.«

»Und was that Mirabeau?« fragte Gilbert.

»Bei Gott, er that, was Horaz in seinem ersten Gefechte that, er ergriff die Flucht. Leider hatte er nicht wie Horaz einen Schild, denn statt ihn wegzuwerfen, wie der Sänger der Lydia, würde er sich desselben bedient haben, um die Streiche zu pariren; doch da er keinen hatte, so rumpelte er die vier ersten Stufen dieser Treppe hinab, ungefähr wie ich es so eben gethan habe, noch schneller vielleicht. Hier angelangt wandte er sich um, hob ebenfalls seinen Stock empor, und sagte zu seinem Vater: »»Halt, mein Herr, unter dem vierten Grade gibt es keine Verwandte mehr!19 Das war ein ziemlich schlechter Calembour, der jedoch den guten Mann besser zurückhielt, als es der beste Grund gethan hätte. »»Ah!«« erwiderte er, »»welch ein Unglück, daß der Baille gestorben ist, ich würde ihm dies geschrieben haben.«« Mirabeau,« fuhr der Erzähler fort, »war ein zu guter Stratege, um nicht die ihm zum Rückzuge gebotene Gelegenheit zu benützen. Er stieg die übrigen Stufen ebenso rasch hinab, als er es bei den ersten gethan hatte, und zu seinem großen Schmerze ist er nie mehr in das Haus zurückgekehrt. Nicht wahr, Doctor, dieser Graf von Mirabeau ist ein großer Schelm?«

»Oh! mein Herr,« sprach der junge Mensch, der sich Mirabeau mit gefalteten Händen näherte, als wollte er ihn um Verzeihung bitten, daß er einer der seinigen entgegengesetzten Ansicht sei, »sagen Sie, ein großer Mann!«

Mirabeau schaute dem jungen Menschen ins Gesicht und rief:

19Dieser Calembour ist nicht wohl zu übersetzen; Ie degré heißt zugleich Grad und die Stufe, und Mirabeau sagt: Halte-la, monsieur, au-dessous de quatre degrés, il n’y a plus des parents!
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