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Das Brautkleid

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Von diesem Augenblick an schien die Baronin viel ruhiger, und es schien sogar eine merkliche Besserung in ihrem Zustande eingetreten zu sein. Cäcilie, welche ohne Unterlass die Augen auf ihre Mutter gerichtet hatte, baute auf diesen Strahl der Hoffnung und willigte auf die Bitte ihrer Mutter ein, diese Nacht die englische Kammerfrau an ihre Stelle treten zu lassen; sie tat es aber nur unter der Bedingung, daß man sie auf der Stelle wecke, wenn irgend eine Krisis eintreten sollte. Die Marquise stellte einige Bitten, als wolle sie bei ihrer Tochter bleiben, aber auch diesmal bat die Baronin, wie immer, ihre Mutter, daß sie sich nicht einer Anstrengung aussetzen möchte, welche ihr Alter nicht erlaube.

Der erste Theil der Nacht ging ruhig vorüber; allein gegen Morgen fuhr Cäcilie aus ihrem Schlafe auf; sie hatte sich rufen hören; sie sprang aus ihrem Bette, warf ein Nachtkleid um, und stürzte sich in das Zimmer ihrer Mutter.

Die Baronin hatte diesmal einen neuen Anfall von Blutspucken, und zwar einen so bedeutenden bekommen, daß die Kammerfrau nicht gewagt hatte, sie zu verlassen, um ihre Tochter zu holen; überdies war Frau von Marsilly in ihren Armen ohnmächtig geworden, und jene hatte sich daher gezwungen gesehen, Cäcilien zu rufen. Diesen Hilferuf hatte das junge Mädchen gehört.

Als die Baronin wieder zu sich kam, war der erste Ausdruck ihres Gesichts ein Lächeln. Der Anfall war so heftig gewesen, daß sie geglaubt hatte, sterben zu müssen, ohne ihre Tochter wieder gesehen zu haben; und siehe da, Gott gab es zu, daß sie wieder zu sich kam und daß sie ihre Tochter noch einmal sah.

Cäcilie lag auf den Knien vor dem Bette ihrer Mutter, sie hielt eine Hand der Sterbenden, betete und weinte zu gleicher Zeit. Sie blieb in dieser Stellung, obgleich die Baronin aus ihrer Ohnmacht ganz er«wacht war; denn diese, indem sie die Augen zum Himmel erhob und ihre andere Hand auf den Kopf ihrer Tochter legte, empfahl jetzt Gott dieses schöne und unschuldige Geschöpf, welches sie verlassen mußte.

Obgleich die Baronin wieder etwas Ruhe gewonnen hatte, so war es doch unmöglich, Cäcilien zu bestimmen, in ihr Zimmer zurückzukehren; denn es schien ihr, daß, wenn sie ihre Mutter nur auf einen Augenblick verlassen würde, dieser von Gott ausgesucht sein könne, um sie ihr zu entreißen. In der Tat war unbezweifelt, daß die Baronin nur noch einen Hauch hatte und daß dieser Hauch im nächsten Augenblick aufhören könne.

Der Tag brach an. Als die Kranke den ersten Schimmer desselben durch die Jalousien dringen sah, verlangte sie, daß man das Fenster öffne. Man hätte glauben können, sie fürchte, daß diese Sonne die letzte sei, und daß sie auch nicht einen Strahl derselben verlieren wolle.

Glücklicherweise war es einer jener schönen Herbsttage, welche Frühlingstagen gleichen. Ein Baum erhob seine Äste bis zum Dach hinauf und war noch ganz mit Blättern bedeckt, welche zur Hälfte noch grünten und zur Hälfte schon abgestorben waren. Bei jedem Hauch der Lüfte fielen einige von diesen Blättern ab und stiegen wirbelnd in die Höhe. Die Baronin folgte ihnen melancholisch mit den Augen; sie lächelte bei jedem derselben, welches auf die Erde niedersank; sie dachte, daß bald der Hauch des Todes ihre Seele entführen werde, wie der Wind diese armen Blätter entführte. Cäcilie, welche die Augen der Mutter auf diesen Gegenstand gerichtet sah, folgte diesem sanften und melancholischen Blicke und erriet, welcher Gedanke den Geist ihrer Mutter aufrege. Sie wollte nun das Fenster schließen, aber die Baronin hielt sie davon ab, indem sie sagte:

»Lass mich sehen, mit welcher Leichtigkeit die Blätter sich von diesem Baum trennen; ich hoffe, daß es mit meiner Seele eben so sein wird, mein armes Kind, und daß sie sich von meinem Leibe trennen wird, ohne mich zu viel leiden zu lassen.«

»Befinden Sie sich denn schlimmer, meine Mutter?«fragte Cäcilie mit Bangigkeit.

»Nein, es scheint mir im Gegenteile, daß ich mich besser befinde; seit langer Zeit ist es das erste Mal, daß ich keine Schmerzen empfinde, und wenn die Abwesenheit des Schmerzes das Leben wäre, so glaube ich, daß ich noch länger leben könnte.«

»O, meine Mutter, welch himmlische Worte Sie mir da sagen!« rief Cäcilie, an den geringsten Strahl der Hoffnung sich anklammernd; »vielleicht hat Gott mein Flehen erhört; vielleicht würdigte er mich, Sie mir wieder zu geben.«

Cäcilie sank auf ihre Knie nieder, faltete die Hände und betete mit einer solchen Inbrunst, daß ihre Mutter, indem sie das Haupt zurücklegte, ihre Tränen nicht zurückhalten konnte.

»Warum legen Sie das Haupt mit dieser Miene des Zweifels zurück, meine Mutter? Hat Gott nicht schon oft viel größere Wunder getan, als das, welches ich von ihm erflehte? Und Gott weiß es, meine Mutter,« fügte Cäcilie hinzu, indem sie ihre Hände mit einer bewunderungswürdigen Andacht zum Himmel erhob, »Gott weiß es, daß nie ein glühenderes Herz, als das meinige, ein Wunder von ihm erflehte, daß selbst das Magdalenens, als sie für ihren Bruder Lazarus bat, daß selbst das des Jairus, als er für seine Tochter flehte, nicht inniger war.«

Und Cäcilie betete mit leiser Stimme, während die Baronin melancholisch das Haupt bewegte.

Um Mittag ließ die Marquise sich nach dem Befinden ihrer Tochter erkundigen. Trotz der gewöhnlichen Leichtfertigkeit sah sie doch die traurige und verhängnisvolle Veränderung, welche ihr bevorstand, und nun erst begriff sie, was sie die heilige Handlung am gestrigen Abend nicht hatte begreifen lassen, daß der Tod da sei.

Während des Tages hatte die Baronin einige Anwandlungen jener Ermattung, welcher sie unterworfen war, allein diesmal waren diese Ohnmachten fast ohne Schmerz; sie schloss die Augen, erblasste, und das war Alles. Bei den ersten beiden Ohnmachten, bei welchen die Marquise gegenwärtig war, erhob sie ein Jammergeschrei und sagte, daß Alles zu Ende, daß ihre Tochter gestorben sei.

Cäcilie und die Baronin baten sie, um solche schmerzliche Auftritte sich zu ersparen, daß sie auf ihrem Zimmer bleiben möge. Die Marquise ließ sich einige Augenblicke bitten und gab dann nach.

Cäcilie, diese sanfte und zärtliche Seele, stimmte so mit ihrer Mutter überein, daß sie beide, so zu sagen in einander verschmolzen, wie die Düfte zweier gleicher Blumen, welche man vereinigte, und die man zu gleicher Zeit einatmete.

Gegen Abend fühlte sich die Baronin viel schwächer, sie verlangte, daß man das Fenster wieder öffne, welches man den Tag hindurch geschlossen hatte; dieses Fenster war auf der Abendseite und die Sonne war auf dem Punkte unterzugehen.

Cäcilie machte eine Bewegung, um ihrer Mutter zu gehorchen, allein diese drückte ihr die Hand mit einer Kraft, welche man bei einer Sterbenden nicht vermutet hätte, und sagte:

»Verlasse mich nicht.«

Cäcilie betrachtete ihre Mutter; das Fieber hatte nachgelassen; die Baronin war blaß, ihre Hand war kalt.

Cäcilie rief die Kammerfrau und diese öffnete das Fenster.

Die Baronin strengte sich an und wandte sich der untergehenden Sonne zu.

In diesem Augenblicke begann eine Nachtigall im Garten zu singen.

Es war einer jener Abendgesänge, so melodisch, so schmelzend, so durchdringend, wie sie diese Königinnen der Harmonie hören lassen.

»Höre!« sagte die Baronin, indem sie Cäcilien an sich zog.

Cäcilie lauschte, indem sie ihre Stirn an die Brust der Mutter legte; sie hörte den langsamen und unregelmäßigen Schlag ihres Herzens.

Es ereignete sich jetzt, was sich manchmal ereignet, das heißt, daß sie nach und nach aufhörte, den Gesang des Vogels zu hören, und auf dieses letzte Symptom des Lebens zu merken, welches in der Brust ihrer Mutter sich regte.

Es schien ihr, als wenn sich von Moment zu Moment die Pulsationen verminderten, allein sie fuhr immer noch fort, zu lauschen. Die Nachtigall war aufgeflogen und setzte hundert Schritte weiter ihren melodischen Gesang fort.

Nach Verfluß einiger Minuten flog der Vogel wieder weiter und zwar so fern, daß die lautesten Töne seines Gesanges bloß an das Ohr der Sterbenden drangen.

Jetzt hörte der Gesang plötzlich auf.

In demselben Augenblicke stockten die Pulse. Cäcilie schauderte; ein Gedanke fuhr ihr durch die Seele, der Gedanke, daß die Nachtigall, welche nun schwieg, die Seele ihrer Mutter sei, die zum Himmel emporstieg.

Sie erhob den Kopf, die Baronin war blaß und regungslos, die Lippen standen etwas auf, die Äugen waren halb geöffnet. Cäcilie beugte sich über sie, dann murmelte die Baronin das Wort »Lebewohl« auf eine fast unverständliche Weise. Cäcilie fühlte über ihr Gesicht einen lauwarmen lieblichen Hauch sich verbreiten; die Augen der Kranken schlossen sich, die Zippen pressten sich zusammen, ein leiser Schauer durchbebte den ganzen Körper, ihre Hand zitterte sanft und suchte die Hand ihrer Tochter zu drücken. Jetzt war Alles zu Ende.

Dieser Hauch, welchen Cäcilie auf ihrem Gesicht empfunden hatte, war die Seele der Baronin, die zu Gott empor stieg; dieser leichte Schauer war das letzte Lebewohl, welches die Mutter der Tochter sagte.

Ja, es war alles zu Ende, die Baronin hatte zu atmen aufgehört.

Nicht einen Schrei, nicht einen Seufzer stieß Cäcilie aus, nur zwei große Tränen rollten über ihre Wangen herab.

Dann ging sie in den Garten hinaus, pflückte eine schöne Lilie voll Frische und Duft, und legte sie in die Hände ihrer Mutter.

So schien der Körper der Baronin das aus Wachs geformte Bild irgend einer schönen Heiligen des Paradieses.

Jetzt kniete Cäcilie an dem Bette nieder, nachdem sie der Marquise hatte sagen lassen, sie möge kommen, damit sie, während sie für die Seele ihrer Mutter bete, für die Seele ihrer Tochter beten könne.

XIV.
Das Lebewohl

Wir wollen bei dem Leichenbegängnis und bei den schmerzlichen Zeremonien, welche denselben folgten, nicht verweilen, diese nur andeuten. Kaum hatten die Herzogin de Lorges und Herr Duval den Tod der Baronin vernommen, als beide nach Hendon eilten. Es war die Folge eines leicht erklärlichen Zartgefühls, daß die Herzogin Heinrich, Herr Duval aber Eduard nicht mitbrachte. Dank der Freundschaft der Einen und der Vermittlung des Andern fand Cäcilie die liebreichen Tröstungen, deren sie so sehr bedurfte, von der einen Seite, und von der andern den Schutz eines Geschäftsmannes, welcher unter solchen Umständen so notwendig ist. Die Baronin wurde auf dem Friedhof des Dorfes beerdigt. Schon seit langer Zeit hatte sie sich die Stelle ausgesucht, welche sie einnehmen wollte, und sie hatte sie durch den Priester einweihen lassen.

 

Der Schmerz der Marquise war lebhaft; sie liebte ihre Tochter so sehr, als sie zu lieben fähig war; allein ihr Charakter war keiner von jenen, auf welche der Schmerz einen tiefen Eindruck macht. Sie stammte aus jener Zeit, in welcher das Mitgefühl noch eine Ausnahme war.

Ehe er nach London zurückkehrte, machte Herr Duval Cäcilien das Anerbieten aller möglichen Dienstleistungen, ohne ihr jedoch ein Wort von den Projekten zu sagen, welche zwischen ihm und ihrer Mutter gemacht worden waren. Cäcilie antwortete in jenem Tone der Verbindlichkeit, in welchem man sich nichts vergibt, daß, wenn sie irgend einen Dienst in Anspruch zu nehmen habe, sie nur an ihn, sonst an Niemand sich wenden würde.

Die Marquise und die Herzogin hatten eine lange Unterredung gehabt, die Marquise hatte der Herzogin ihren festen Entschluss aus einander gesetzt, nach Frankreich zurückzukehren. Der feste Wille der Baronin hatte allein vermocht, ihre Mutter zu verhindern, dieses seit längerer Zeit genährte Vorhaben auszuführen. Sie hatte nie diese Konfiskation der Güter begreifen können, deren Folgen sie doch fühlte, und sie glaubte, daß ihr Anwalt irgend ein Mittel finden werde, um über diesen Verkauf der Nationalgüter den Sieg davon zu tragen, den sie für durchaus unerlaubt hielt.

Zwei Tage nach der Beerdigung der Baronin ließ sie Cäcilie auf ihr Zimmer rufen und kündigte ihr an, daß sie sich bereit halten solle, nach Frankreich abzureisen.

Diese Nachricht erfüllte Cäcilien mit einem tiefen Erstaunen; sie hatte nie den Gedanken gehabt, daß ein Tag kommen könne, an welchem sie dieses ihr zur Heimat gewordene Dorf, dieses Landhaus, in welchem sie erzogen worden, diesen Garten verlassen könne, in welchem sie ihre Jugend in der Mitte ihrer Anemonen, ihrer Lilien und ihrer Rosen verlebt hatte. Sie hatte nie gedacht, daß sie dieses Zimmer verlassen würde, in welchem ihre Mutter, dieser Engel von Sanftmut, Geduld und Reinheit, ihre letzten Seufzer ausgehaucht Hatte; sie hatte nie den Gedanken gehegt, den kleinen Friedhof zu verlassen, in welchem sie ihren letzten Schlaf schlief.

Sie ließ daher die Marquise zweimal die Aufforderung wiederholen, sich zur Abreise vorzubereiten, und als sie sich überzeugt hatte, daß sie sich nicht täusche, zog sie sich in ihr kleines Zimmer zurück, um sich auf die Revolution vorzubereiten, welche in ihrem Leben vor sich gehen sollte. In diesem so ruhigen, so reinen und so friedlichen Leben war jeder Wechsel eine Revolution.

Zuerst schien es Cäcilien, daß das, worüber sie Schmerz empfinde, die es Dorf, dieses Landhaus, dieser Garten, dieses Zimmer und dieser Friedhof sei; allein als sie ihre Gedanken tiefer durchforschte, fand sie, daß Heinrichs Bild sich etwas mit all' diesen Gegenständen verschmolzen habe, von welchen sie sich nur mit Schmerz trennte.

Jetzt sing sie an, sich sehr unglücklich zu fühlen, England zu verlassen.

Sie trat in ihren Garten hinaus.

Wie gesagt, waren gerade diese letzten, schönen Tage des Herbstes, das letzte Lächeln des scheidenden Jahres; jede sich neigende Blume schien Cäcilien zu grüßen, jedes Blatt im Herabfallen ihr ein Lebewohl zu sagen. Die Zufluchtsorte der süßen Frühlingsmorgen und der warmen Sommerabende hatten alle das Geheimnisvolle verloren. Das Auge drang durch die Gebüsche und durch das Dickicht. Die Vögel fangen nicht mehr unsichtbar und versteckt unter dem Laube, man sah sie hüpfen, unruhig auf den entblätterten Ästen herum hüpfen, wie wenn sie einen Schutz gegen den Schnee des Winters suchten. Es kam Cäcilie, zum ersten Male vor, daß sie wie ein Vogel sei. Der Winter würde auch für sie kommen, und indem sie dieses Landhaus verlasse, verliere sie ihre mütterliche Zufluchtsstätte, ihr gewohntes Obdach, ohne daß sie noch wisse, welches Dach von Stroh oder von Schiefer ihr von der Zukunft beschieden sei.

Und wenn sie ging, in welche Hände würde ihr schöner Garten fallen? All' diese Bäume, all' diese Pflanzen, diese Blumen, deren Leben sie studierte, deren Sprache sie verstand, deren Gedanken sie erriet, was sollte aus ihnen werden, wenn sie nicht mehr da war, der lebendige Mittelpunkt, der durch sein Leben Alles belebte und an sich anzog? Vielleicht würde dieser Garten unartigen Kindern überlassen werden, die ihn verwüsteten, oder einem unwissenden Mietsmanne, der nicht einmal den Namen ihrer Freundinnen wusste, deren Leben sie kannte. Wohl würde sie in Frankreich andere Blumen, andere Pflanzen, andere Bäume finden; allein es waren die Bäume nicht, die sie unter ihrem Schatten groß wachsen sahen, es waren die Pflanzen nicht, welche sie mit ihren Händen befeuchtet hatte, es waren die Blumen nicht, die, wenn man so sagen darf, von Geschlecht zu Geschlecht sie für ihre mütterliche Sorgfalt mit ihren köstlichsten Düften gelohnt hätten. Nein, nein, das waren Fremde, und die arme Cäcilie glich jenem jungen Mädchen, welche man aus dem Kloster nimmt, in dem sie erzogen worden, die man aus den Armen ihrer geliebten Gefährtinnen reißt, um sie in eine Welt hinein zu werfen, in der sie Niemand kennen und in der sie selbst unbekannt sind.

In diesem kleinen Garten lag eine ganze Welt voll Gedanken für Cäcilien.

Sie verließ den Garten, aber nur um nach dem Zimmer ihrer Mutter zu gehen.

Da gab es eine Welt voll Andenken.

Das Zimmer war in demselben Zustand erhalten worden, in welchem es zur Zeit der Baronin war. Alles war an seinem Platze; Cäcilie, welche geglaubt hatte, ihr Leben in Hendon zuzubringen, wollte sich selbst eine Täuschung bereiten, und in der Tat, wenn sie einmal in dieses Zimmer sich eingeschlossen, in welchem das Leben alle seine Erinnerungen, der Tod aber nicht eine Spur zurück gelassen hatte, dann konnte sie glauben, ihre Mutter sei für einen Augenblick ausgegangen und müsse jede Minute wiederkehren.

Seit dem Tode ihrer Mutter hatte sich Cäcilie mehr als einmal in dieses Zimmer eingeschlossen. Die wahrhafte Erleichterung des Schmerzens wurde dem Menschen von Gott durch das gegeben, was er für den Schmerz schuf, das heißt, die Tränen. Welcher Art aber auch der menschliche Schmerz sei, es gibt Augenblicke, in welchen die Tränen vertrocknen, gleich versiegenden Quellen; dann ist die Brust gepresst, das Herz schwillt an, dann fordert man Tränen, und die versiegten Tränen wollen nicht kommen; aber in dem Augenblicke, in welchem sich ein vergessenes An«denken dem Geiste darbietet, in welchem ein Ton, der nur die gewöhnliche Sprache der verlorenen Person in das Gedächtnis, ruft, zu unserem Ohre dringt, in dem Augenblicke, in welchem ein Gegenstand, den diese Person gebrauchte, uns in die Augen fällt, verschwindet diese Trockenheit des Herzens sogleich, und alsbald entquellen Tränen, zahlreicher als zuvor, und die Seufzer, welche uns erstickten, schwingen sich empor, der Schmerz in seinem Übermaße kommt sich selbst zu Hilfe.

Diese Tränenquelle war es, welche Cäcilie bei jedem Schritte in dem Zimmer ihrer Mutter fand.

Gleich beim Eingange, der Türe gegenüber, sah sie das Bett, auf welchem sie ihre Seele ausgehaucht hatte, am Fuße dieses Bettes das Kruzifix, welches sie geküsst, als sie die heiligen Sakramente empfangen; zwischen den zwei Fenstern in einer Porzellanvase die Lilie, welche sie in dir Hand hatte, als sie gestorben war, und die nun auch, bleich und leidend, wie sie, starb; auf dem Kamine die kleine Börse von Filet, welche einige Münzen und ein Goldstück enthielt. In den Tassen an der Seite ein oder zwei Ringe, zwischen den Tassen die Pendule, welche die Zeit bis zu dem Augenblicke gezeigt hatte, in welchem sie in Mitte des allgemeinen Schmerzes vergessen worden und stehen geblieben war, wie ein Herz, welches aufhört zu schlagen; und endlich in den Kommoden und in den Schränken die Wäsche, die Kleider der Baronin.

Alles war da. Und Alles war ein Andenken für Cäcilien, jeder Gegenstand rief ihr ihre Mutter in das Gedächtnis, sei es nun in einer besonderen Lage, oder in ihrer gewöhnlichen Stellung. In diesem Zimmer endlich war es, wo sie ihre Tränen suchte, wenn diese versiegt waren.

Und dieses Zimmer sollte sie verlassen, wie ihren Garten; dieses Zimmer, wo ihre Mutter durch die Erinnerung sich überlebte, die jeder Gegenstand von ihr darbot. Indem sie dieses Zimmer verließ, trennte sie sich zum zweiten Male von ihrer Mutter; nachdem ihr Körper gestorben war, sollte nun gewissermaßen auch ihr Gedächtnis sterben.

Indessen war gegen einen Befehl der Marquise nicht zu handeln. Die Marquise hatte die mütterliche Gewalt der Baroness geerbt; es war nunmehr«n dieser, Cäcilien zu dem Ziele zu führen, welches ihr die Zukunft bezeichnete.

Cäcilie holte ihr Album.

Als wenn sie sich selbst misstraue, wollte sie ihren Schmerz versinnlichen, und sie fertigte eine Zeichnung des Bettes, des Kamins, der hauptsächlichsten Gerätschaften des Sterbezimmers.

Dann fertigte sie eine Zeichnung des Zimmers selbst.

Hierauf, da der Tag seinem Ende nahte, rief sie die Kammerfrau ihrer Großmutter und erbat sich von der Marquise die Erlaubnis, dem Grabe ihrer Mutter Lebewohl zu sagen.

Es war einer jener protestantischen Friedhöfe, ohne Kreuz und ohne Grabsteine, ein gemeinschaftliches Feld, ein allgemeines Asyl, eine Ruhestätte, in welcher der Staub wieder zu Staub wurde, ohne daß eine einzige Inschrift weder die Individualität des Verstorbenen, noch den liebenden Sinn der Lebenden bezeichnete. So ist der protestantische Kultus, ein auf Gründen beruhender Kultus, ein algebraisches System, welches Alles beweisen will, und dessen erstes Ergebnis war, die Basis jeder poetischen Religion, den Glauben zu ertöten. Nur das Grab der Mutter Cäcilien's zeichnete sich vor den andern dieser Gräber, welche Nichts, als mehr oder minder mit Rasen bedeckte Hügel waren, durch ein schwarzes Kreuz aus, auf welchem man in weißen Buchstaben den Namen der Baronin las.

Aber dieses Grab und dieses Kreuz waren in einem Winkel des Friedhofes unter schönen, immer grünenden Bäumen, und bot einen malerischen Anblick dar, wie ihn kein anderer Teil dieses traurigen Feldes der Vernichtung hatte.

Cäcilie kniete vor dieser frisch aufgeworfenen Erde nieder. Zu arm, um ihrer Mutter ein Denkmal errichten zu können, hatte sie in ihren Gedanken die schönsten Rosen und die schönsten Lilien ihres Gartens auf dieses Grab verpflanzt und im nächsten Frühlinge kam sie hierher, um die Seele ihrer Mutter in dem Dufte der Blumen einzuatmen. Auch auf diesen Trost musste sie verzichten. Garten, Zimmer, Grab, Allem musste sie Lebewohl sagen.

Cäcilie zeichnete das Grab ihrer Mutter.

Je mehr sie mit der Zeichnung voran rückte, war das Bild Heinrichs, welches während der jüngsten Tage immer nur unbestimmt in ihrem Gedächtnis sich gezeigt hatte, viel bestimmter, viel sichtbarer, wenn man so sagen darf, viel gegenwärtiger geworden, ohne daß sie wusste, wie und warum. Es schien ihr, daß er, auf einen Augenblick durch die erschütternden Ereignisse aus ihrem Leben verbannt, jetzt viel inniger, viel notwendiger, als zuvor, darein zurück kehrte.Ihr Denken glich einem durch ein Gewitter aufgeregten See, welcher diese Aufregung einige Zeit fort behält, der aber, je mehr sich das Ungewitter legt, seine Reinheit wieder gewinnt und von Neuem die Gegenstände zurückstrahlt, welche er zuvor widerspiegelte.

Je weiter ihre Zeichnung gedieh, je mehr schien es Cäcilien, daß Heinrich nicht bloß in ihrer Erinnerung lebe, sondern daß er auch wirklich in Person da sei.

In diesem Augenblicke hörte sie ein leichtes Geräusch hinter sich, sie wandte sich um, und sie gewahrte Heinrich.

Heinrich war in ihren Gedanken so gegenwärtig, daß sie nicht im Mindesten erstaunte, ihn zu sehen.

Es ist wohl Euch, es ist mir, es ist der ganzen Welt begegnet, durch einen magnetischen Instinkt zu fühlen, so zu sagen mit den Augen der Seele eine von uns geliebte Person nahen zu sehen, und ohne den Blick auf sie gerichtet zu haben, zu erraten, daß sie da sein müsse und ihr die Hand zu reichen.

Heinrich, welcher drei Tage früher mit seiner Tante nicht hatte kommen können, war allein gekommen; er war nicht gekommen, um sich der Marquise vorzustellen; dies war durchaus seine Absicht nicht; er war gekommen, um diesen kleinen Winkel der Erde zu besuchen/ welcher, wie er fühlte, Cäcilie so oft besuchen musste.

 

Der Zufall hatte es gefügt, daß er Cäcilien traf.

Warum war der Gedanke an diese fromme Pilgerschaft nicht auch in Eduards Geist erwacht?, Cäcilie, welche es gewöhnlich kaum wagte, Heinrich anzublicken, reichte ihm die Hand wie einem Bruder dar.

Heinrich ergriff Cäcilien's Hand, drückte sie und sagte: »O, ich habe viel wegen Ihnen geweint, weil ich nicht mit Ihnen weinen konnte.«

»Heinrich,« sagte Cäcilie, »ich bin sehr glücklich, Sie zu sehen.«

Heinrich verbeugte sich.

»Ja,« fuhr Cäcilie fort, »ich habe an Sie gedacht. Ich habe Sie um einen großen Dienst zu bitten.«

»O, mein Gott, womit könnte ich Ihnen dienen, mein Fräulein?« rief Heinrich. »Verfügen Sie über mich, ich bitte Sie darum!«

»Heinrich, wir reisen ab, wir verlassen England, vielleicht für lange Zeit, vielleicht für immer.«

Cäciliens Stimme zitterte, große Tränen perlten über ihre Wangen herab; allein sie wurde Herr über sich, und fuhr fort:

»Heinrich, ich empfehle Ihnen das Grab meiner Mutter.«

»Mein Fräulein,« sagte Heinrich, »Gott ist mein Zeuge, daß mir dieses Grab eben so teuer ist, als Ihnen selbst; allein auch ich verlasse England, vielleicht für lange Zeit, vielleicht für immer.«

»Auch Sie?«

»Ja, mein Fräulein.«

»Aber wohin gehen Sie denn?«

»Ich gehe. . . ich gehe nach Frankreich,« entgegnete Heinrich errötend.

»Nach Frankreich!« flüsterte Cäcilie, indem sie den jungen Mann anblickte.

Indem sie fühlte, daß auch sie erröte, senkte sie das Haupt auf ihre Hände herab und flüsterte: »Nach Frankreich!« Dieses Wort änderte die Bestimmung Cäciliens, dieses Wort erhellte ihre Zukunft.

Heinrich ging nach Frankreich! Von jetzt an erkannte sie erst die Möglichkeit, in Frankreich zu leben; bis jetzt hatte sie es nicht vermocht.

Sie erinnerte sich, daß Frankreich ihr Geburtsland, daß England nur ihr Adoptiv-Vaterland sei.

Sie erinnerte sich, daß man nur in Frankreich ihre Muttersprache spreche, daß die Sprache dieses Landes ihre Sprache, die ihrer Mutter und die Heinrichs sei.

Sie erinnerte sich daran, daß ihr Aufenthalt in der Fremde, so mild er auch war, immer nur ein Exil sei, sie erinnerte sich, daß ihre Mutter ihr vor ihrem Tode gesagt hatte: »Ich würde so gerne in Frankreich sterben.«

Geheimnisvolle Gewalt eines Wortes, die uns den Vorhang erhebt, der uns unsern ganzen Horizont verbarg.

Cäcilie fragte Heinrich um nichts mehr, und als ihre Kammerfrau bemerkte, daß es spät sei, und daß die Nacht hereinbreche, grüßte sie Heinrich und entfernte sich.

In dem Augenblicke, in welchem sie den Friedhof verließ, warf sie einen Blick zurück und sah Heinrich an derselben Stelle sitzen, an welcher sie gesessen hatte. An der Türe wartete ein Bedienter zu Pferd und hielt ein anderes Pferd an der Hand.

So war also Heinrich, wie er gesagt hatte, bloß gekommen, um das Grab der Baronin zu besuchen, und nachdem er es getan hatte, kehrte er nach Hause zurück.

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