Ende einer Ehe

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Die zweite Kladde






Pünktlich landete die Chartermaschine aus Antalya auf dem Düsseldorfer Flughafen. Insgeheim hatte Ralf zwar gehofft, Sabrina würde ihn schon am Flughafen abholen, doch dass sie das nicht getan hatte, musste nichts bedeuten. Sabrina hasste Autobahnfahrten, und schließlich hatten sie auch vereinbart, sich im Haus zu treffen.



Er hätte schreien können vor Freude, als er vor dem Haus hielt und durch die Gardinen sah, dass jemand im Wohnzimmer war. Aber als die Haustüre geöffnet wurde, stand Birgit, die Nachbarin, mit einem betroffenen Gesicht im Türrahmen und hielt eines der vier Kätzchen im Arm.



„Wo ist Sabrina?“ fragte Ralf statt einer Begrüßung.



„Sabrina kommt nicht. Sie war vor einigen Tagen hier, um sich weitere Sachen abzuholen.“



Ralf wurde leichenblass. .



„Es tut mir leid für dich“, fuhr Birgit fort. „Aber ich glaube, du musst dich damit abfinden, dass sie nicht zurückkommt.“



Ralf blickte sie an. In seinen Augen stand das nackte Entsetzen. „Aber sie hat mir versprochen, mit mir heute zu reden. Sie hat versprochen, keine endgültigen Entscheidungen zu treffen.“



Birgit hob die Arme. „Ich weiß nicht, was sie dir versprochen hat. Aber mir hat sie am Telefon gesagt, dass es ihr so gut geht wie schon seit Jahren nicht mehr. Ihre Beschwerden und Schmerzen sind verschwunden, sie kann wieder essen und trinken, was sie möchte. So hart es klingt, ich sage es dir, wie sie es mir gesagt hat: indem sie dich und dieses Haus verlassen hat, ist sie gesund geworden.“



Ralf wandte sich ab, weil er fürchtete, in Tränen auszubrechen. Sein Mund war pelzig und trocken. Er schluckte.



„Geht es dir gut?“ fragte Birgit. „Kann ich etwas für dich tun?“



„Bitte bring´ mir ein Glas Wasser“, bat Ralf, während er sich hinsetzte.



Aber auch das Wasser nützte ihm nichts, denn die schlimmste aller denkbaren Varianten war eingetroffen. Sie hatte ihn endgültig verlassen, die Faktenlage war klar, eine Aussprache war nicht mehr erforderlich.



„Bitte, lass mich allein, Birgit.“



Birgit stand auf und blickte ihn an. „Kann ich wirklich jetzt gehen? Oder soll ich nicht doch lieber Klaus-Peter rufen?“



Klaus-Peter war ihr Lebenspartner, auch einer der Freunde, die Ralf und Sabrina im Dorf gefunden hatten und die nun zu Zeugen seiner Vernichtung wurden. „Nein, es geht schon. Ich muss jetzt nur alleine sein.“



„Wir sind immer für dich da, wenn du jemanden zum Reden brauchst“, sagte Birgit. „Du kannst auch abends jederzeit zu einem Glas Wein oder einem Schnaps vorbeikommen. Das ist ehrlich gemeint, hörst du?“



„Danke Birgit, ich fürchte, ich werde darauf zurückkommen.“



Nachdem Birgit gegangen war, blieb Ralf sitzen und weinte. Diesmal waren die Tränen keine Erleichterung sondern die Begleiterscheinungen eines Schmerzes, von dem er schon jetzt spürte, dass er lange dauern würde. Alle Kraft war aus seinem Körper gewichen, und ohne dass er es merkte, rutschte er vom Stuhl und blieb zusammengekrümmt auf dem Teppich liegen.




Ablenkung um jeden Preis - das war die Maxime, mit der Ralf versuchte, die nächsten Tage zu überstehen. Joggen, Krafttraining, Flanieren, Cabriofahren, Einkaufen, Imkaffeehaussitzen, Reden, Schimpfen, durch die Parks laufen oder sich sinnlos in irgendwelchen Schlangen anstellen - jede Aktivität war willkommen, wenn sie sich nur in der Öffentlichkeit abspielte und dazu beitrug, dem Schmerz zu entgehen. Sein Leben nahm die Gestalt einer einzigen Fluchtbewegung an, deren Logik darin bestand, keine Sekunde zur Ruhe oder zum Denken zu kommen.



Doch es nutzte nichts.



Je hektischer er sich gebärdete, desto intensiver nistete sich der Schmerz bei ihm ein. Er war immer bei ihm, er war der Herrscher seiner Zeit, der sich austobte, wann er wollte - am Morgen eher als am Nachmittag, in der Gesellschaft von Menschen ebenso wie alleine. Der Schmerz durchdrang und überwölbte alles, er war die Membrane seiner Welt, und in den schwärzesten Minuten war es ihm, als erspürte er hinter seinem Schmerz die Gestade des Wahnsinns.



Ralf verfügte keinerlei Erfahrung im Umgang mit Angst und Verlust, denn sein Leben hatte sich bislang als überwiegend schmerzfreie Zone dargestellt, als ein Raum der Hobbies und Passionen, in der die spärlichen Zeiten des Liebeskummers wie ein Sommergewitter schnell und folgenlos vorüberzogen. Immerhin erinnerte er sich, dass es in Perioden des moderaten Kummers, die es auch in seinem Leben gegeben hatte, vor allem auf Selbstbeherrschung angekommen war, auf Fasson und Disziplin, was die täglichen Routinen anbelangte, auf die Eingewöhnung in neue Korsette für Alltag und Zeit, auf Gleichförmigkeiten und Refugien der Entspanntheit, in denen das seelische Neufett wachsen konnte, dass seinen Kummer überwuchern würde. Das hatte in der Vergangenheit gereicht, aber Ralf wusste, dass es diesmal viel schwerer werden würde, in die Normalität zurückzufinden. Er würde zum Herrn seiner Gedanken werden müssen, zum Regisseur seiner Assoziationen, die schweifen sollten, wohin sie wollten, nur nicht zurück in die glücklichen Jahre seiner Ehe. Die erste Regel, die er sich auferlegte, lautete deswegen: niemals eine angenehme Erinnerung an Sabrina an die Oberfläche des Bewusstseins treten lassen, und sofort an etwas anderes denken, sobald Anwandlungen dieser Art auch nur von Ferne erkennbar wurden. Regel zwei: wenn er schon an Sabrina denken musste, dann nur in widerwärtigen Kontexten, was ihm aber am Anfang praktisch nicht möglich war, denn ohne dass er es verhindern konnte, überfielen ihm immer neue Erinnerungen an die guten Jahre seiner Ehe: er sah seine Frau als Königin der Tafel im Kreise seiner Freunde, er sah sie mit einem Glas Sekt in der Hand lächelnd am Kamin sitzen, oder - was noch schrecklicher war - es drängten sich Bilder ihrer Zärtlichkeit mit unwiderstehlicher Macht in sein Bewusstsein.



Kaum weniger peinigend als der Kampf um die Herrschaft über seine Gedanken war der tägliche Kampf um den Schlaf. Sobald er lange nach Mitternacht die Müdigkeit in sich spürte und das Licht löschte, um in den Schlaf zu flüchten, brach seine Gedankenkontrolle zusammen, und er wurde mit einem Schlag hellwach. Ralf fürchtete sich jeden Abend vor diesem Wettstreit von Erschöpfung und Schmerz, den mal die eine, mal die andere Seite gewann. Selten gelang es ihm in den Nächten länger als drei oder vier Stunden zu schlafen. Er wurde regelmäßig lange vor Morgengrauen wach, durchlebte einige Sekunden lang eine selige Erinnerungslosigkeit zwischen Tag und Traum, ehe der Schmerz zurückkehrte und er in seine Joggingsachen springen und wie von Furien gehetzt aus dem Haus rennen musste. Er rannte durch den Wald, umrundete den benachbarten See, hörte sein asthmatisches Keuchen, spürte seine Knie und seinen Rücken und wartete darauf, dass das Ausmaß der körperlichen Erschöpfung den Schmerzpegel seines Kummer übertraf.



Wenn er mit dem Wagen zur Schule fuhr, kehrte der Schmerz gewöhnlich zurück, zuerst als eine Hitzewallung, dann als ein Ziehen im Unterleib, schließlich als ein Zusammenpressen und Verknoten seiner Innereien. Ein fräsendes Unbehagen okkupierte jeden Winkel seines Körpers, wurde von Stunde zu Stunde intensiver und quälender, während sein Herzschlag zuerst lauter und dann so unregelmäßig wurde, dass er fürchtete, sein Herz würde einfach stehen bleiben. Manchmal, wenn der Kummer am Mittag über ihn triumphierte, verschwanden Gesichter und Gestalten, Gerüche und Geräusche aus seinem Wahrnehmungsfeld, und er wurde zu einem elenden Leidbündel, zu einer weltlosen Monade und schnappte nach Luft, als drohe er zu ersticken. In solchen Augenblicken setzte er sich einfach auf den Boden oder auf eine Bank, oder, wenn die Kräfte noch reichten, lief er in ein Warenhaus, um irgendetwas einzukaufen, weil ihm der Erwerb einer neuen Hose oder eines neuen Hemdes minutenweise Erleichterung verschaffte. Es dauerte nicht lange, da hat er sich ohne Rücksicht auf seinen Kontostand vollkommen neu eingekleidet, und er hätte mit seinen neuen Schuhen, Hemden, Hosen und Jacketts einem Gigolo geglichen, wäre er nicht mit dem Gesicht eines Verzweifelten durch die Straßen gelaufen



Da er seit dem Ausbruch der Krise kaum noch aß, hatte er so radikal abgenommen, dass seine Freunde erschraken, wenn sie ihn sahen. Die körperlichen Strapazen der endlosen Waldläufe, der Energieaufwand seiner immerwährenden Gedankenkontrolle und das Schlafdefizit hatten zu einer physischen Erschöpfung geführt, die sich in Zittern, Halluzinationen und Tagträume manifestierte. Auf den langen Autofahrten zwischen der Schule und dem Bergischen Land überfielen ihn Anfälle überwältigender Müdigkeit, verbunden mit dem grotesken Wunsch, einfach am Rande der Autobahn anzuhalten und einzuschlafen.



Mitunter wurde diese Müdigkeit durch einen Mitteilungsdrang ersetzt, der Ralf selbst befremdete. Ohne dass er selbst in der Lage gewesen wäre, diese Anwandlungen zu kontrollieren, überkamen ihn Anfälle einer suadahaften Geschwätzigkeit, die Ralfs Freunde, so gut es ging ertrugen. Manch einer, wie Karl Schneider, der als Broker bei einer Direktbank arbeitete, empfahl ihm eine Psychotherapie, und sein Kollege Rille, ein knochentrockener Germanist, der sich weigerte, in seiner Freizeit etwas anderes als die deutschen Klassiker zu lesen, zitierte gar Goethe: „Einst hat ich eine Liebe – schweig still, und ertrag den Verlust.“ Carla und Tobias boten ihm an, ihn jeden Sonntag zu bekochen, damit er die langen Wochenenden besser ertrüge, und Martin aus Pulheim wollte sich als Schachpartner zur Verfügung stellen, ohne zu bedenken, dass es für den Liebeskranken kaum etwas Fremderes gibt als Damen-Gambit und Sizilianische Eröffnung. Wolfgang Schnute, ein ehemals erfolgreicher Malerfürst der „Neuen Wilden“ wollte ihn zum Zeugen seiner tragischen Kunst erheben, doch Ralf zog es vor, lieber in der Sommerhitze Wolfgangs Hof und seinen Carport auszumisten.

 



Eine Partnerschaftsanzeige in einer Zeitung oder einem Internetportal aufzugeben – das war der Rat, den ihm Norbert Kürter gab, ein mit allen Wassern gewaschener Womanizer, der auf diese Weise schon seit Jahren seine Partnerinnen rekrutierte. Bei einem gemeinsamen Frühstück im Stadtgarten gab er sich alle Mühe, Ralf die Vorzüge dieser Methode der Kontaktanbahnung nahe zu bringen. „Es ist so einfach“, sagte er, während er herzhaft in sein Salamibrötchen biss, „du rufst einfach nur den Kölner Stadtanzeiger oder die Rheinische Post an, trittst bei

Parship

 oder

Elite-Partner

 ein, gestaltest deine Präsentation, und alles geht seinen Gang.“



„Was soll das heißen: alles geht seinen Gang?“



„Na, dann erhältst du Dutzende Anfragen über dein Partnerschaftsportal, oder dein Briefkasten quillt über vor lauter Chiffre-Briefen. Und dann hast du die Qual der Wahl“, erwiderte Norbert Kürter und rollte mit den Augen, als überlege er, ob auch stimmte, was er sagte. „Es wird sicher nicht gleich der Hit dabei sein, aber du bist abgelenkt, und darauf kommt es doch im Moment vor allem an. Oder?“ Norbert Kürter lehnte sich zurück und zuckte mit den Schultern. „Das ist mein Rat“ schloss er. „Mach´ was draus.“



Als Ralf in seine Wohnung zurückkehrte. wählte er die Nummer der Anzeigenaufnahme des Kölner Stadtanzeigers.



„Welche Art Anzeige darf es denn sein?“ fragt die Dame am anderen Ende der Leitung.



„Ich würde gerne eine Partnerschaftsanzeige aufgeben.“



„Haben Sie sich denn schon einen Text überlegt?“



Ralf hatte keinen Text vorbereitet. Was konnte er schon schreiben, wenn er nicht lügen wollte?



„Haben Sie nun einen Text?“



„Ja. Miserabel aussehender vollkommen erledigter Liebeskranker ohne jede Hoffnung und Perspektive sucht Heilung bei einer Frau, die nicht sofort in Ohnmacht fällt, wenn sie ihn sieht.“



„Wie bitte?“



„Bitte verzeihen sie“, bat Ralf. „Es war ein Versehen.“ Er legte auf.




Schließlich war er mürbe und bereit, zu kapitulieren Es war Donnerstag, das Wetter war zum Knochenerweichen grandios, alle Farben des Bergischen Landes fluoreszierten im prallen Sonnenlicht, als Ralf einen gigantischen Strauß roter Rosen erwarb. Mit diesem Strauß fuhr nach Wipperfürth, um Sabrina in ihrem Geschäft zu besuchen, nicht ohne vorher einen Liebesbrief zu verfassen, in den er so gut er es vermochte, die Quintessenz seiner Sehnsucht hineinlegte. Einen ganzen Tag lang hatte er an diesem Elaborat gefeilt, den Text immer aufs Neue geändert, als wäre sein Lebensglück eine Funktion von Satzlänge, Wortwahl und Interpunktion. Er hatte den Brief damit begonnen, dass er sie für alle seine Fehler um Verzeihung bat und die ersten Jahre ihrer Ehe beschwor, hatte jeden Absatz des Briefes mit Einsicht und Selbstkritik durchtränkt und die kühne These entwickelt, dass er ihren Ehebruch, den er natürlich nicht als solchen bezeichnete, nicht nur als Desaster sondern auch die einzige Chance betrachte, die ihnen geblieben war, um mit Aussicht auf Erfolg einen ehelichen Neuanfang zu wagen. So weit, ihr für ihren Ehebruch zu danken, ging er zwar nicht, doch wollte er ihn im Zusammenhang mit einer Totalerneuerung ihrer Ehe sehen. „In wenigen Tagen jährt sich unser Hochzeitstag zum vierten Male“, schrieb er in der letzten Zeile. „Komm zurück und lass uns eine zweite Hochzeit feiern.“



Als er mit Strauß und Brief in der „Oase“ aufkreuzte, war sie nicht da. Ihre Aushilfe Frau Krein stand hinter der Theke, eine kleine freundliche Frau, die auf ihrer Hochzeit den Service organisiert hatte und die Sabrina schon seit Jahrzehnten kannte. Früher war sie einmal Kundin der „Oase“ gewesen, ehe ihr Mann gestorben war und sie ihre Rente dadurch aufbesserte, dass sie stundenweise in der „Oase“ arbeitete. Sie war zuverlässig und vertrauenswürdig und gehörte zu den wenigen Menschen, an denen Sabrina etwas lag, was durchaus auf Gegenseitigkeit zu beruhen schien. Es war also durchaus möglich, dass die grundgute Frau Krein viel mehr über die Details seines Verhängnisses wusste, als er selbst, und einen Augenblick dachte er daran, sie zu befragen. Aber was hätte er fragen können, was nicht indiskret und peinlich geklungen hätte?



Nach einem kurzen Zögern überreichte Ralf die Blumen und den Brief Frau Krein und bat sie, seine Frau zu grüßen. Frau Krein nickte, sagte aber nichts.



Ralf bedankte sich und ging zu seinem Wagen zurück. Vielleicht war Sabrina mit ihrem Geliebten schon wieder im Oldtimer unterwegs, und sie ließen es sich am Meer oder in den Bergen gut gehen, während er daheim schwachsinnige Briefe verfasste. Dafür sprach, dass er auch in den nächsten Tagen keinerlei Reaktion auf Blumenstrauß und Brief erhielt. Es war aus. Je eher er sich das eingestand, umso besser.



Nachdem er eine weitere Woche lang kaum geschlafen hatte, bemerkte er an einem Freitagmorgen zum ersten Mal, dass auch die Kammern des Kummers nicht unendlich waren. An diesem Morgen waren sie einfach leer, und er erlebte Stunden einer relativen Ruhe. Auch der Schmerz unterlag offenbar Rhythmen und Gezeiten, die Ralfs Verbündete werden konnten, wenn es nur gelang, ihre Gesetzmäßigkeiten zu ergründen. Die Gegenwart von Menschen tat meistens gut, wenngleich nicht immer. Erinnerten ihn Frauen an Sabrina, dann erreichte die Agonie neue Höhen. Wenn Passanten ihn nervten, fehlte ihm die Kraft zur Gelassenheit. Wahrscheinlich hatte auch die Nahrung Einfluss auf seine Befindlichkeit, doch er aß viel zu wenig, um darüber Genaueres herausfinden zu können. Konzentriertes Arbeiten war noch immer nicht möglich, und der bloße Gedanke, sich wie früher entspannt und heiter seinen Gedanken am Schreibtisch hingeben zu können, glich einer Utopie, doch es gelang ihm nun immer öfter, sich wenigstens für ein oder zwei Stunden an seinem Schreibtisch aufzuhalten, um die dringendsten Arbeiten durchzuführen.



Am Ende der vierten Woche nach der Trennung hatte er es zum ersten Mal gewagt, den ganzen Sonntag daheim zu bleiben. Es war schon Nachmittag, als das Telefon schellte.



Sabrina war am Apparat. Die Welt um Ralf verschwand sofort.



„Ich will zurückkommen“, sagte sie ohne Umschweife, und als er sprachlos blieb und nichts mehr sagen konnte, fügte sie mit Wärme und Freundlichkeit in der Stimme hinzu: „Schatz, es ist vorbei, ich komme wieder nach Hause. Du kannst mich morgen abholen. Ich muss heute Abend nur noch Manuel meinen Abschied schonend beibringen.“



Er vermochte noch immer nichts zu sagen. Sein Kopf war wie leergefegt.



„Bist du dir auch ganz sicher?“ fragte er schließlich.



„Ja. Hundertprozentig.“



„Gut, ich komme morgen gegen neunzehn Uhr in den Laden und hole dich ab. Und bitte, überleg es dir nicht wieder anders.“



„Nein, du kannst dich auf mich verlassen. Und wenn du willst, kannst du für unseren Hochzeitstag etwas Schönes vorbereiten.“



„Das mache ich. Ich freue mich so. Und glaub mir: alles wird gut.“



„Bis morgen, Ralf.“



„Bis morgen, meine Liebe.“



Als er aufgelegt hatte, war seine Stimmung gekippt. Was er nicht mehr zu hoffen gewagt hatte, war eingetreten, sie würde heimkehren. Irgendein

deus ex machina

 hatte den Gang der Handlung verändert.



Er nahm sich eine Flasche Grappa aus dem Schrank und lief nach nebenan zu Klaus-Peter und Birgit, um den beiden die Neuigkeit zu erzählen.



Sie empfingen ihn freundlich, holten die Schnapsgläser aus dem Schrank und stellten Kekse auf den Tisch. Was die gute Nachricht jedoch betraf, blieben sie skeptisch.



„Sie kommt also zurück“, resümierte Birgit, als sie Ralfs Bericht gehört hatte. „Das erstaunt mich, wenn ich an das denke, was sie mir vor der Trennung erzählt hatte.“



Ralf hätte gerne gewusst, was Sabrina erzählt hatte, doch weil er sich sicher war, dass das keinesfalls etwas Freundliches hatte sein können, fragte er nicht nach.



„Männer kommen zurück“, sagte Klaus-Peter, während er drei Schnaps einschenkte. „Wenn Frauen aber gehen, ist die Liebe meistens zu Ende. So war es auch bei meiner Frau gewesen.“



Klaus-Peter war als Fleischermeister im gleichen Jahr nach Overath gekommen, in dem auch Sabrina und Ralf das Haus bezogen hatten, und was Ralf derzeit erlitt, hatte Klaus-Peter gleich nach seinem Umzug erleben müssen. Seine Frau, mit der er ein alteingesessenes Fleischereifachgeschäft übernommen hatte, wurde der Plackerei überdrüssig und brannte durch. Sie verließ Klaus-Peter nach einundzwanzig Ehejahren wegen einer Urlaubsbekanntschaft und zog zurück nach Köln. Klaus-Peter blieb alleine in Overath und erlebte den Niedergang des Geschäftes, den Rinderwahn, die Hühnerpest und welche Katastrophen in diesen turbulenten Jahren auch immer über die Fleischereifachwelt hereingebrochen waren.



Nun hob er das Glas und blickte Ralf an, der sich unbehaglich fühlte und sich gar nicht sicher war, ob er hören wollte, was Klaus-Peter nun sagen würde.



„Auch meine Frau kam mehrfach zurück“, fuhr Klaus-Peter fort. „Aber am Ende ist sie auch immer wieder gegangen, und schließlich ist sie für immer in Köln geblieben.“ Klaus-Peters gutmütiges Gesicht war ernst und traurig, diese Wunde würde für den Rest des Lebens nicht mehr geschlossen werden.



„Na ja“, wandte Birgit ein. „Das muss ja nicht immer so sein.“ Sie war eine herzensgute Frau in den Vierzigern, die sich auch nach zwei gescheiterten Ehen ihre mädchenhafte Ehrlichkeit bewahrt hatte. Nach zwei Jahren Einsamkeit hatte das Schicksal dem Fleischermeister Klaus-Peter die alleinstehende Birgit zugeführt, die nach einer kurzen, aber intensiven Phase der Freiung zusammen mit Mister Meier, einem irischen Wolfshund, und Miss Ellie, einer Schäferhündin, zu Klaus-Peter gezogen war.



„Allerdings kann ich auch Sabrina nicht mehr verstehen“, fügte sie hinzu. „Wenn eure Ehe so schlimm gewesen war, wie sie es mir immer erzählt hat, dann kann sie jetzt unmöglich zurückkommen. Und wenn sie nicht so schlimm gewesen ist, dass sie jetzt schon nach wenigen Wochen zurückkommen kann, dann hätte sie gar nicht auf diese Weise gehen dürfen.“



„Jede Geschichte ist anders“, sagte Ralf, dem die Vorbehalte von Klaus-Peter und Birgit nicht entgingen. „Kommt, lasst uns einen trinken und haltet mir die Daumen.“



Angetrunken und glücklich kam Ralf am späten Abend nach Hause. Der Druck auf Brust und Magen hatte sich gelockert, auch die Angst vor der Nacht war verschwunden, und er schlief tief und fest bis weit in den nächsten Morgen.



Doch schon am nächsten Morgen begann ihn die Befürchtung zu quälen, Sabrina würde anrufen und ihre Rückkehr wieder absagen. Bei jedem Telefonklingeln fuhr er zusammen und hoffte inständig, dass sie es nicht sei. Doch sie meldete sich nicht, und wie vereinbart fuhr er gegen Abend nach Wipperfürth, um sie abzuholen.



Doch schon als er das Geschäft betrat, erwartete ihn eine böse Überraschung. Er brauchte kein Wort von ihr zu hören, um zu erkennen, dass sie ihre Meinung geändert hatte.



„Ich weiß nicht, ob wir das richtig machen, ich weiß nicht, ob ich zurück kann, selbst wenn ich es wollte“, jammerte sie, während sie ihm einen flüchtigen Begrüßungskuss gab.



Ralfs Mund war sofort wie ausgetrocknet, er konnte kaum sprechen. Stattdessen nahm er sie in die Arme, doch sie war eine steife, kalte Puppe, die sich nicht rührte. „Was redest du da? Lass uns erst einmal nach Hause fahren.“



Als sie zu ihrem Wagen gingen, sah er, dass sie ihren alten und verschrammten Polo gegen einen schmucken Fiesta eingetauscht hatte, ein gepflegtes und blitzblank poliertes Fahrzeug, mit dem sie ihm so zögerlich hinterherfuhr, als wolle sie am liebsten wieder umkehren. Vor dem Haus in Overath weigerte sie sich, den Wagen hinter Ralfs Fahrzeug in die Garage zu stellen. Alle sahen es, und Ralf schämte sich vor den Nachbarn dafür, wie entschieden sie den Parkplatz für ein fremdes Auto einzig und allein unter dem Aspekt aussuchte, jederzeit und sofort wieder nach Wipperfürth zurückfahren zu können.



Als sie kurz darauf in der Bergischen Pfanne eine Kleinigkeit aßen, gab sie sich verschlossen wie eine Auster, sagte kein Wort und stocherte lustlos im Essen herum.



Ralf war ratlos. Nun war sie wieder da, und doch nicht da. Er wollte sie nicht bedrängen und schwieg auch seinerseits, so dass die Stimmung fast unerträglich wurde.



Schließlich berührte er sie am Arm und sie zuckte zusammen.



„Nein, bitte fass mich nicht an.“



„So kommen wir nicht weiter“, erwiderte Ralf, während er seine Hand zurückzog. „Wollen wir nicht reden? Vielleicht können wir das, was geschehen ist, vergessen, ich wäre bereit dafür.“

 



„Aber ich nicht“, gab sie sofort zurück. Ihre Apathie war dabei, in Feindseligkeit umzuschlagen. „Ich kann nichts vergessen.“



„Was habe ich denn eigentlich so Schreckliches verbrochen, dass du bei Nacht und Nebel mit zwei eilig gepackten Taschen aus dem Haus laufen musstest? Kannst du mir das einmal sagen?“



„Dass du das nicht weißt, sagt mir alles. Dass du das nicht weißt, zeigt mir, dass es keinen Sinn hat.“



Ralf hob die Hände. „Sinn hat es nur, wenn wir beide nach vorne blicken und uns ändern. Ich habe dir doch gesagt, wo ich meine Fehler sehe. Vielleicht kannst du dich auch ein wenig ändern, und dann schaffen wir es.“ Er hasste sich für diese windelweichen Sprüche, doch er wusste, dass sie sofort aufstehen und das Restaurant verlassen würde, wenn er etwas anderes sagen würde.



„Ich brauche mich nicht zu ändern“, zischte Sabrina. „Immerhin gibt es jemanden, der mich so liebt, wie ich bin.“



Ralf fühlte, wie sich die Verzweiflung wieder in ihm ausbreitete. Aber er wollte nicht aufgeben. „Ich bin bereit mich zu ändern“, wiederholte er. „Ich habe für meine Fehler in den letzten Wochen reichlich gebüßt. Willst du denn das nicht wenigstens anerkennen?“



„Was passiert ist, war die gerechte Strafe für dein saumäßiges Verhalten im letzten Jahr unserer Ehe. Das hast du verdient! Ja, wenn ich ehrlich bin: ich habe ich dir diesen Schmerz gegönnt, denn du hast während unserer Ehe auch nicht nach meinem Schmerz gefragt.“



„Ich kann mich nicht daran erinnern, dich betrogen zu haben.“



„Betrogen vielleicht nicht -

vielleicht

 sage ich, denn wer weiß das schon? Aber meine Verlassenheit war dir nicht einmal ein Achselzucken wert. Es war die Hölle für mich. Ich lief monatelang weinend mit dem Hund durch den Wald, weil ich nicht weiter wusste vor Verzweiflung, und du hast nichts gemerkt.“



Ralf schob den Teller von sich, er bekam keinen Bissen mehr herunter. „Ich habe durchaus bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Aber das war nicht alleine meine Schuld, und außerdem hatten wir vereinbart, im Urlaub über alles zu reden. Weißt du das nicht mehr? Zwei Tage vor dem Urlaub bist du ohne Warnung abgehauen.“



„Zu Recht bin ich abgehauen. Aber Manuel verlasse ich jetzt zu unrecht. Dass er nun leidet, ist ungerecht. Das hat er nicht verdient.“



Pause. Ralf schloss die Augen.



„Es war so schön, jemanden zu haben, der mir zuhörte und mit dem ich reden konnte“, sagte sie, während sie den Teller an den Rand des Tisches schob. „Das ist auch etwas, was mit dir unmöglich war. Dein hochgestochenes Geschwafel war am Ende kaum noch zu ertragen. Dr. Sani vorne, Dr. Sani hinten, und alles nur heiße Luft, kein Quäntchen Gefühl, du furztrockener Kopfmensch.“



Ralf schwieg, griff in die Jackentasche und zahlte.



Als sie nach dem Essen heimfuhren, rechnete er damit, dass sie noch am gleichen Abend nach Wipperfürth zurückkehren würde. Tatsächlich stieg sie sofort in ihr Auto, kramte ihr Handy aus der Tasche und rief in Wipperfürth an.



Ralf ging ihr nach, öffnete ihre Wagentüre, weil er den Augenblick seiner Niederlage sehen und hören wollte. Er hatte die Empfindung, dass hier etwas geschah, das er sein Leben lang nicht vergessen würde.



„Mein Gott, mein Gott“, wiederholte sie immer wieder, während ihr Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung ununterbrochen sprach.



„Nein!“ rief sie. „Nein, tu das nicht. Wenn du das tust, siehst du mich nicht wieder!“



Ende des Gespräches.



„Was ist passiert?“ fragte er.



„Manuel ist dabei, seine ganze Wohnung kurz und klein zu schlagen. Er ist vollkommen betrunken und außer sich.“ Sabrina war fassungslos, aber auch alarmiert. Sie war in ihrem Leben von betrunkenen Männern schon zu oft geschlagen worden, um nicht über solche Exzesse zu erschrecken.



Sie überlegte einen Augenblick und schüttelte den Kopf. „Er ist ein Chaot, es geht nicht anders.“ Sie griff zu ihren Taschen, die noch immer auf dem Rücksitz lagen, und folgte ihm ins Haus.



In der Nacht lag Ralf wie ein Aussätziger neben ihr, während sie sich sofort verkrampfte, sobald er sie auch nur zufällig berührte. Mal weinte sie über den Liebeskummer, den der verlassene Manuel nun ertragen musste, mal klagte sie über hef

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