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Ritter von Harmental

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Unter allen andern Umständen würde Harmental den unverschämten Anmahner zum Teufel geschickt haben; aber er bedachte, daß ein Lärm im Hause seinem Rufe bei Madame Denis schaden würde, und daß er ein zu hohes Spiel spiele, um nicht mit der Ruhe eines Philosophen die kleinen Unbequemlichkeiten zu tragen, die seine dermalige Lage herbeiführte. Statt sich also gegen die, zwischen der Hauswirthin und ihren Miethsleuten ohne Zweifel bestehende Hausordnung zu opponieren, folgte er der an ihn gerichteten Aufforderung, auf so unbescheidene Weise sie auch stattgefunden.

Als das junge Mädchen einerseits nichts mehr hörte, zog sie sich vom Fenster zurück, ihr Licht verlosch, und sie verschwand in den Alkoven. Im Zimmer im fünften Stockwerk herrschte seit mehreren Stunden das tiefste Dunkel.

Harmental legte sich jetzt ebenfalls zur Ruhe, hoch erfreut, eine Art von Bindepunkt zwischen seiner schönen Nachbarin und sich gefunden zu haben.

Am folgenden Morgen trat der Abbé Brigaud mit der gewohnten Pünktlichkeit in das Zimmer unsers Helden. Der Chevalier hatte bereits seit einer Stunde sein Lager verlassen, und sich schon oft, jedoch vergeblich nach seiner schönen Nachbarin umgeschautet.

»Bei meiner Ehre!« rief er dem Abbé etwas verstimmt, entgegen, die geheime Polizei des Prinzen Cellamare ist die zuverlässigste von der Welt!«

»Was haben Sie denn gegen sie einzuwenden?« fragte der Abbé mit dem ihm eigenthümlichen Lächeln.

»Was ich gegen sie einzuwenden habe? Ich wollte mich gestern selbst von ihrer Genauigkeit überzeugen; ich habe gestern Abend vier Stunden beim Palaste Luxemburg gewartet, der Regent aber kam nicht zu seiner Tochter, im Gegentheil, die Herzogin fuhr zu ihm.«

»Ganz gut, das wissen wir.«

»So, Sie wußten es?«

»Allerdings! Wie auch, daß sie um neun ein halb Uhr mit Broglie zurückkehrte, der an der Tafel den Platz des Regenten einnahm, den man vergeblich erwartet hatte.«

»Und der Regent, wo war er?«

»Der Regent?«

»Nun ja!«

»Das ist eine andere Geschichte. Hören Sie aufmerksam zu, dann sollen Sie selbst entscheiden, ob Sie gegen die geheime Polizei des Prinzen Cellamare etwas einzuwenden haben werden.«

»Ich bin ganz Ohr!« »Unser Bericht lautete, daß der Regent sich um drei Uhr zum Ballspiel nach der Straße de Sein begeben würde.«

»Ich weiß, ich weiß.«

»Er begab sich wirklich dort hin. Nach ein halben Stunde kehrte er von dort zurück, indem sein Taschentuch vor den Augen hielt, er hatte sich selbst mit der Raquette einen so heftigen Schlag versetzt, daß er sich die Stirnhaut gesprengt hatte.«

»Ein Unfall also war es.«

»Nur Geduld! Der Regent ließ sich nun statt ins Palais Royal zurückzukehren, zur Frau von Sabran fahren. Sie wissen, wo Frau von Sabran wohnt?«

»Sie wohnte in der Straße de Tournon; ihr Gemahl aber maitre d’hôtel des Regenten geworden, wohnt sie da nicht in der Straße des bonenfans, ganz in der Nähe des Palais Royal?«

»Ganz recht! Nun scheint es, daß Frau von Sabran, welche bisher dem Herzog von Richelieu ihre Treue bewahrte, von dem beklagenswerten Zustand des Regenten gerührt, rücksichtlich seiner den alten Spruch bewähren wollte: Wer unglücklich im Spiele ist, ist glücklich in der Liebe. Der Herzog von Orleans zeigte um sieben ein halb Uhr durch ein kleines, aus dem Speisesaale der Frau von Sabran datiertes Billet, dem Herzoge von Broglie an, daß er sich nicht nach dem Luxembuorg begeben würde, und daß er statt seiner hingehen, und ihn bei der Herzogin von Berry entschuldigen möge.«

»Das ist also die Geschichte, welche Broglie der Herzogin erzählte, und diese laut lachen machte.«

»Das ist wahrscheinlich! Nun ist Ihnen jetzt die Sache klar?«

»Ich begreife! Da der Herzog von Orleans kein Doppelgänger ist, konnte er nicht zu gleicher Zeit bei Frau von Sabran und seiner Tochter seyn!«

»Und weiter ist Ihnen nichts klar?«

»Mein lieber Abbé, Sie sprechen ja wie ein Orakel, drücken Sie sich deutlicher aus, wenn ich bitten darf.«

»Diesen Abend werde ich Sie um acht Uhr abholen; wir wollen die Straße des bons Enfant einschlagen; die Localitäten werden dort statt meiner das Wort führen.«

»Aha! jetzt verstehe ich. So ganz in der Nähe des Palais Royal wird der Herzog zu Fuße gehen der Haupteingang des Hotels, welches Frau von Sabran bewohnt, befindet sich in der Straße des bon Enfans; zu einer bestimmten Stunde wird der Durchgang geschlossen, der von dem Palais Roy in diese Straße führt, um zurückzukehren, ist der Regent also genöthigt, den Cour de fontaine oder die Straße Neuve des bons Enfans zu passiren – dann, dann haben wir ihn! Alle Teufel, Sie sind ein großer Mann, Abbé, und wenn der Herzog von Maine Sie nicht zum Cardinal oder wenigsten zum Erzbischof macht, so giebt es in der Welt kein Gerechtigkeit mehr?

»Sie verstehen mich also?« sprach der Abbé Brigaud, »und müssen sich bereit halten.«

»Ich bin bereit!«

»Haben Sie die Mittel zur Ausführung des Plans schon organisiert?«

»Ist bereits geschehen.«

»Sie correspondieren also mit Ihren Verbündeten?«

Durch Signale.«

»Und diese Signale können Sie nicht verrathen?«

»Das ist ganz unmöglich!«

»In diesem Falle wird Alles nach Wunsch gehen! Jetzt aber zum Frühstück, denn mich verlangte so sehr danach, Ihnen diese gute Nachricht mitzutheilen, daß ich nüchtern hierher eilte.«

Zum Frühstück, lieber Abbé? Sie haben gut sprechen. Ich habe Ihnen nichts anzubieten, als die ueberreste der gestrigen Pastete, und drei oder vier Flaschen des trefflichen Weins, die, wie ich glaube, mit heiler Haut davon gekommen sind.«

»Hm, hm, murmelte der Abbé, »da müssen wir etwas Besseres anschaffen.«

»Ich bin zu Ihrem Befehl!«

»Wir wollen hinuntergehen, und bei unserer guten Wirthin, der Madame Denis frühstücken.«

»Wie, Teufel, wollen Sie daß ich dort frühstücke, ich kenne die Frau ja nicht.«

»Das ist meine Sache. Sie kommen mit mir, Sie sind mein Schützling.«

»Aber wir werden dort schlecht frühstücken.«

»Seyn Sie deswegen unbesorgt, sprach der Abbé, »ich kenne die Küche der Madame Denis.«

»Das wird aber eine langweilige Geschichte werden!«

»Gleichviel, Sie werden sich dadurch eine Frau zur Freundin machen, die wegen ihrer trefflichen Sitten im ganzen Stadtviertel berühmt ist, und deren Hingebung und Anhänglichkeit für die Regierung Jedermann kennt. Eine Frau, die Niemand für im Stande halten wird, einen Verschwörer zu beherbergen. Verstehen Sie mich?«

Wolan, so opfre ich mich! wenn es zum Heile unserer Sache beiträgt, Abbé.«

»Ganz abgesehen davon, daß dies ein höchst angenehmes Haus ist, in dem es zwei junge Mädchen giebt, von denen das eine die Viole d’Amour, das andere das Clavier spielt; ferner einen Sohn, der Schreiber bei einem Procurator ist; ein Haus, mit einem Worte, wo Sie sich des Sonntags amüsiren, wo Sie hinabgehen können, um Lotterie zu spielen.«

»Gehen Sie zum Teufel mit Ihrer Madame Denis. Aber Verzeihung, Abbé, Sie sind vielleicht ein Freund vom Hause, in diesem Falle habe ich nichts gesagt.«

»Ich bin ihr Seelsorger,« versetzte der Abbé in einem salbungsreichen Tone.

»Ah, da muß ich tausendmal um Verzeihung bitten. Uebrigens haben Sie ganz Recht, Madame Denis ist noch eine sehr hübsche Frau, recht gut conserviert; sie hat allerliebste Hände, und noch niedlichere Füße. Jetzt erst entsinne ich mich. Gehen Sie nur voran, ich folge sogleich.«

»Warum gehen wir nicht zusammen?«

»Ei, meine Toilette, bedenken Sie, Abbé! Soll ich mich den Demoiselles Denis in diesem nachlässigen Aufzuge präsentieren? Da soll mich der Himmel bewahren! Man mag eine Gestalt doch gern im schönsten Lichte zeigen. Und überdem ist es schicklicher, daß Sie mich anmelden. Ich habe nicht das Vorrecht eines Seelsorgers, wie Sie.«

»Sie haben recht, ich gehe voran, und melde Sie an. In zehn Minuten folgen Sie, nicht wahr?«

»In zehn Minuten.«

»Auf Wiedersehen bis dahin.«

»Auf Wiedersehen!«

Der Chevalier hatte nur zur Hälfte die Wahrheit gesprochen. Er blieb allerdings noch, um seine Toilette in den Stand zu setzen, aber auch in der Hoffnung, noch etwas von seiner schönen Nachbarin zu sehen, von der er die ganze Nacht geträumt hatte. Dieser Wunsch aber blieb unerfüllt; er mochte sich noch so oft hinter seinen Vorhang stellen, das Fenster des reizenden Mädchens mit dem blonden Haar und den schönen dunklen Augen blieb hermetisch verschlossen und verhängt. Dagegen aber bekam er den Mann im fünften Stockwerk zu Gesicht; welcher, wie am vergangenen Tage, das Wetter zuvor mit der Hand recognoscirte, und erst dann seinen Kopf heraussteckte. Diesmal aber zog er denselben sogleich wieder zurück, denn es fiel ein wenig Nebel, und die Pariser Bürger haben bekanntlich einen großen Widerwillen gegen denselben. Der Unsrige hustete deshalb auch einigemale gewaltig im tiefen Basse und zog sich als dann wieder in seine Behausung zurück, wie eine Schildkröte in ihre Schale. Harmental ward es jetzt einleuchtend, daß er die Kosten eines Barometers ersparen könne, und daß sein Nachbar gegenüber ihm vollständig einen jener hölzernen Capuziner ersetzen würde, die bei heiterem Wetter ihre Klause verlassen, an regnerischen Tagen aber hartnäckig in derselben verbleiben.

Die Erscheinung im vierten Stockwerke äußerte auf ihn stets dieselbe Wirkung. Wenn er das junge Mädchen erblickte, übte sie auf ihn einen solchen Zauber, daß er in ihr nichts sah, als das schöne junge weibliche Wesen, die kunstvolle Musikerin und Zeichnerin, das heißt: das entzückendste Geschöpf, das jemals einen Blicken begegnete. In solchen Momenten trug sie, gleich jenen glänzenden Phantomen, die einem zuweilen im Traume erscheinen, alles rings umher in den Schatten stellend, ihr Licht wie eine Alabasterlampe in sich selbst. Wenn aber dagegen der Mann von der Terrasse sich in den Augen des Chevaliers zeigte, mit seinem nichtssagenden Gesicht, seinem trivialen Wesen, mit jenem unverkennbaren Stempel der Gemeinheit; dann fand mit den Gefühlen des Chevaliers plötzlich eine gänzliche Umwandlung statt. Jede Poesie verschwand, wie auf der Bühne der Feenpalast auf die Pfeife des Machinisten. Alles bekam eine andere Ansicht, die unserm Helden angeborene Aristokratie gewann wieder die Oberhand, Bathilde war ihm nichts mehr, als die Tochter dieses Mannes, eine Grisette, nichts weiter. Ihre Schönheit, ihre Anmuth, ihre Eleganz, selbst ihre Talente waren alsdann für ihn nur eine Zufälligkeit, eine Verirrung der Natur. Dann zuckte Harmental die Schultern über sich selbst, lachte laut auf, und konnte nicht begreifen, wie er noch vor wenigen Augenblicken einen so tiefen Eindruck empfunden hatte; er schrieb denselben seiner augenblicklichen Stimmung, seiner seltsamen Lage, seiner Einsamkeit, kurz allem Andern, nur nicht der wahren Ursache zu, der allmächtigen und der unwiderstehlichen Gewalt der Schönheit und des Ausgezeichneten.

 

Harmental stieg daher jetzt zu seiner Wirthin in einer Stimmung hinab, die vollkommen geeignet war, ihn die Töchter derselben hübsch und angenehm finden zu lassen.

Zweiter Teil

I.
Die Familie Denis

Der Chevalier von Harmental und der Abbé Brigaud verließen das Dachstübchen und stiegen zu der Wirthin hinab. Madame Denis hatte es nicht für rathsam gehalten, daß zwei so unschuldige Mädchen wie ihre Töchter, mit einem jungen Mann frühstückten, welcher, obgleich er kaum drei Tage in Paris war, erst um elf Uhr Abends nach Hause kam und bis zwei Uhr Morgens Clavier spielte. Der Abbé Brigaud stellte ihr vergebens vor, daß diese zwiefache Versündigung gegen ihre häuslichen Polizeigesetze, den Character seines Schützlings keineswegs beeinträchtige, für dessen Sittlichkeit er sich selbst verbürge; alles was er von ihr erlangen konnte, war, daß die Demoiselles Denis beim Nachtisch erscheinen sollten.

Der Chevalier bemerkte indeß bald, daß wenn ihre Mutter ihnen auch verboten hatte sich zu zeigen, sie ihnen wenigstens nicht untersagt hatte, sich hören zu lassen. Kaum hatten die drei Tischgenossen an der kleinen runden Tafel Platz genommen, auf der das wahrhafte Frühstück einer Frömmlerin sich in vielen kleinen leckeren Schüsseln appetitlich den Blicken darbot, als auch im Nebenzimmer die Töne eines Spinetts zu erklingen begannen, welche eine Stimme begleiteten, die zwar umfangreich schien, aber so viele musikalische Böcke schoß, daß man leicht erkennen konnte, sie gehöre einer Anfängerin an. Bei den ersten Tönen legte Madame Denis ihre Hand auf den Arm des Abbé; »Hören Sie wohl, sprach sie mit einem wohlgefälligen Lächeln, »das ist unsere Athenais welche Clavier spielt und unsere Emilie welche singt.«

Der Abbé Brigaud bezeichnete durch ein freundliches Kopfnicken, daß er wisse wer die Musikspendenden wären, und trat dabei dem Chevalier auf den Fuß, um ihm zu verstehen zu geben, daß jetzt der Augenblick gekommen sei, ein Compliment zu machen.

»Madame« sprach sogleich der Chevalier, welcher die Aufforderung an seine Höflichkeit vollkommen begriff, »wir sind Ihnen doppelten Dank schuldig, denn Sie spenden uns nicht bloß ein treffliches Frühstück, sondern auch ein entzückendes Concert.«

»Es sind« entgegnete Madame Denis leichthin, »die Kinder, welche ihren Studien obliegen und mich wissen, daß hier Gesellschaft ist; ich will ihnen aber sogleich untersagen fortzuspielen.«

Madame Denis machte eine rasche Bewegung, so als wolle sie aufstehen.

»Wie Madame,« rief Harmental sie zurückhaltend, weil ich eben erst von Ravanne komme, halten Sie mich nicht für würdig die Talente der Hauptstadt kennen zu lernen?

Himmel bewahre mich, mein Herr, daß ich dergleichen von Ihnen denken sollte, versetzte die Hauswirthin mit einem etwas boshaften Lächeln, »weiß ich doch, daß Sie selbst Musiker sind. Der Bewohner des dritten Stockwerks hat es mir verrathen.«

»In diesem Falle hat er Ihnen gewiß keine hohe Idee von meinem Talente beigebracht,« versetzte lächelnd der Chevalier, »denn er schien nicht das Wenige zu würdigen, was ich zu leisten vermochte.«

»Er hat mir nur gesagt, daß ihm die Stunde nicht ganz passend schien, Musik zu machen. Aber hören Sie mein Herr,« fuhr Madame Denis fort, indem sie ihr Ohr der Thür zuneigte, »jetzt sind die Rollen gewechselt, Athenais singt und Emilie begleitet sie auf der Vióle d’Amour.

Es scheint daß Madame Denis eine besondere Vorliebe für Athenais hatte, denn statt daß sie, während Emilie sang, geschwatzt hatte, hörte sie jetzt von Anfang bis zu Ende die Romanze an, welche Athenais sang, die Augen zärtlich auf den Abbé Brigaud gerichtet, der, indem er sich die Speisen und den Wein trefflich schmecken ließ, sich damit begnügte, ihren Blick durch ein beifälliges Kopfnicken zu erwidern. Uebrigens sang Athenais etwas richtiger als ihre Schwester, ein Vorzug, welcher indeß durch einen Mangel wieder aufgehoben wurde, der auf das Ohr des Chevaliers furchtbar wirkte; sie besaß nämlich eine Stimme von außerordentlicher Gemeinheit.

Was nun Madame Denis betraf, so schlug sie mit ihrem Kopf so durchaus falsch den Tact auf eine Weise, die weit eher ihre mütterliche Liebe, als ihre musikalische Kenntniß beurkundete. Ein Duett folgte nun den Solis, die Demoiselles Denis schienen geschworen zu haben, ihr ganzes Repertoir erschöpfen zu wollen. Harmental suchte unter dem Tische die Füße des Abbé Brigaud, um ihm wenigstens einen zu zertreten, aber er begegnete nur denen der Madame Denis, welche ein leises Umhertappen als eine ihr gezollte Huldigung betrachtete, und sich daher mit coquetter Freundlichkeit zu ihm wandte.

»Herr Raoul, sprach sie, »Sie kommen also, um sich jung und unerfahren, allen Gefahren der Hauptstadt auszusetzen?

»Sie sehen, nahm schnell der Abbé Brigaud, besorgt, der Chevalier könne in seiner Erwiderung aus seiner Rolle fallen, das Wort, »Sie sehen in diesem jungen Manne den Sohn eines Freundes der mir sehr theuer war, (er wischte die Augen mit seiner Serviette) und der wie ich hoffe, der Erziehung die ich ihm spendete, Ehre machen wird, denn, ohne daß es den Anschein hat, wie Sie ihn da sehen, besitzt mein Zögling Ehrgeiz.«

»Und er hat Recht,« fiel Madame Denis ein, »wenn man die Gestalt und die Talente des jungen Herrn besitzt, kann man zu Allem gelangen.«

»Ei, ei, Madame Denis,« erwiderte der Abbé Brigaud, wenn Sie ihn mir gleich bei dem ersten Besuch verderben, werde ich ihn Ihnen nicht wieder zuführen, nehmen Sie sich in Acht. Raoul, mein lieber Sohn, fuhr er in einem väterlichen Tone zu Harmental gewandt, fort, »ich hoffe Du glaubst kein Wort von solchen Schmeicheleien. – Und zu dem Ohr der Madame Denis geneigt, flüsterte er, »wie Sie ihn da sehen, so hätte er ganz gut in Savigny bleiben können, er besitzt 3000 Livres Einkünfte in liegenden Gründen.«

»So viel denke ich grade einer jeden meiner Töchter mitzugeben, »versetzte Madame Denis mit gehobener Stimme, damit es der Chevalier vernehmen könne und indem sie einen Seitenblick auf diesen richtete, um zu sehen, wie die Ankündigung einer solchen Wohlhabenheit auf ihn wirke.

Zum Unglück aber für das künftige Etablissement der Demoiselles Denis, dachte Harmental in diesem Augenblick an ganz etwas Anderes als daran, die 3000 Livres jährlich, mit welchen die großmüthige Mutter eine jede ihrer Töchter ausstatten wollte, mit den 3000 Livres Renten zu vereinen, welche ihm der Edelmuth des Abbé Brigaud zugetheilt hatte. Emiliens grundfalsche Töne so wie die vulgaire Altstimme ihrer Schwester und das fehlerhafte Accompagnement. Beider, hatten ihn durch die Ideenverbindung an die reine, sanfte, himmlische Stimme und das Meisterspiel seiner reizenden Nachbarin erinnert. Er versank demnach in eine süße Träumerei; und die in seinem Dachstübchen vernommenen und jetzt in einem Herzen laut nachklingenden Melodien schützten ihn wie eine Zauberrüstung gegen die noch immer im Nebenzimmer erschallenden Töne.

»Oh sehen Sie nur, wie eifrig er hinhorcht,« sprach Madame Denis zu dem Abbé gewandt. »wahrlich, es gewährt Vergnügen, sich für einen jungen Mann, wie ihn, in Unkosten zu setzen. Auch werde ich Herrn Fremont den Kopf waschen.«

»Wer ist Herr Fremont?« fragte der Abbé, indem er ein Glas füllte. »Das ist mein Miethsmann im dritten Stockwerk. Ein kleiner Rentier mit 1200 Livres jährlicher Einkünfte, dessen Mops mich schon mit dem ganzen Hause in Zwietracht gebracht hat, und der sich jetzt bei mir beklagt, daß Herr Raoul ihn und seinen Hund im Schlafen gestört habe.«

»Meine liebe Madame Denis,« entgegnete der Abbé Brigaud, »Sie müßen sich darum nicht mit Herrn Fremont entzweien. Zwei Uhr Morgens ist eine unpassende Zeit; will mein Zögling durchaus wachen, so mag er am Tage musizieren und Nachts zeichnen.«

»Wie, Herr Raoul zeichnet auch!« rief Madame Denis, ganz erstaunt über diesen neuen Zuwachs von Geschicklichkeit.

»Ob er zeichnet? Wie Mignard.«

»Oh mein lieber Abbé!« rief Madame Denis, indem sie ihre Hände faltete, »wenn wir eines erlangen könnten« – –

»Und was wäre das? fragte der Abbé.

»Wenn wir es erlangen könnten, daß er uns das Portrait unserer Athenais fertigen wollte.«

Der Chevalier erwachte plötzlich aus seinen Träumereien, wie ein Wandrer auf dem Rasen, den die plötzliche Annäherung einer gefahrbringenden Schlange aufschreckt.

»Herr Abbé,« rief er, indem er auf den armen Abbé einen wüthenden Blick schleuderte, »Herr Abbé, keine Thorheiten, wenn ich bitten darf.«

»Hilf Himmel, was ficht ihren Zögling an? fragte Madame Denis ganz erschrocken.

Zum Glück für den Abbé, welcher auf das Ansinnen der Madame Denis nicht gleich eine passende Antwort finden konnte, um die Fragerin über dies auffallende Benehmen seines Zöglings zu beruhigen, öffnete sich in diesem Augenblick die Thür und die Demoiselles Denis traten herein, errötheten, und machten jede eine förmliche Menuettverbeugung.

»Nun, meine jungen Damen, sprach Madame Denis, indem sie einen strengen Ton affektierte, was heißt das, wer hat Ihnen erlaubt, Ihr Zimmer zu verlassen?

»Mama,« entgegnete eine Stimme, welche der Chevalier für die Emiliens erkannte, »wir bitten recht sehr um Verzeihung, wenn wir einen Fehler begangen haben, wir sind bereit uns sogleich wieder zurückzuziehen.«

»Aber Mama,« fiel eine zweite Stimme ein, welche ihrem tiefen Klange nach, Mademoiselle Athenais angehören mußte, »wir glaubten verstanden zu haben, daß wir zum Nachtisch erscheinen sollten.«

»Da Ihr nun einmal hier seid, Kinder, so mögt Ihr bleiben, es wäre lächerlich, Euch jetzt wieder fortzuschicken, entgegnete Madame Denis, und nunmehr ließ die Athenais zwischen sich und Brigaud, und Emilie zwischen sich und Harmental Platz nehmen. »Die jungen Mädchen sind immer am besten aufgehoben, wenn fiel sich unter den Flügeln ihrer Mutter befinden, nicht wahr Abbé?«

Während dieses vorging, hatte der Chevalier Zeit gehabt, die Töchter der Madame Denis näher zu betrachten. Demoiselle Emilie war eine hohe hagere Gestalt, von 22 bis 23 Jahren, welche, wie man versicherte, eine auffallende Aehnlichkeit mit ihrem Vater dem verstorbenen Herrn Denis hatte, ein Vorzug, welcher wie es schien, nicht hinreichte, ihr im Herzen ihrer Mutter, die Liebe zu verschaffen, die sie ihren beiden übrigen Kindern zuwandte. Auch hatte die arme Emilie, stets besorgt etwas unrecht zu machen und geschmäht zu werden, dadurch eine schüchterne, linkische Haltung bekommen, die selbst dem Bestreben ihres Tanzmeisters nicht hatte weichen wollen. Demoiselle Athenais dagegen war durchaus das Gegentheil ihrer Schwester, eine kleine runde Kugel, die, Dank sei es ihren sechzehn oder siebzehn Jahren, jene Schönheit besaß, die man beautu dé Diable nennt. Sie glich weder dem Herrn noch der Madame Denis, welcher Umstand früher die Lästerzungen in der Rue St. Martin in Bewegung setzte, wo Ersterer früher einen Tuchladen hatte, bis er das Haus in der Rue du Temps perdu erkaufte. Trotz dieser Unähnlichkeit mit ihren Aeltern, war Demoiselle Athenais dennoch nicht weniger der erklärte Liebling ihrer Mutter, welches ihr fortwährend die ganze Zuversicht verlieh, die der armen Emilie fehlte. Von gutmüthiger Sinnesart, wie sie war, benutzte Athenais übrigens diesen Vorzug, um die Fehler zu entschuldigen, welche fortwährend ihrer älteren Schwester zur Last gelegt wurden, Uebrigens glaubte der Chevalier, der als Zeichner auch ein guter Physiognomiker war, zwischen den Zügen der Athenais, und denen des Abbé Brigaud, eine gewisse Aehnlichkeit zu bemerken, die bei der Untersuchung einer Vaterschaft leicht als Leitfaden hätte dienen können.

Obgleich es erst elf Uhr Vormittags war, so waren die beiden Schwestern doch schon so geputzt, als ob sie sich auf einen Ball hätten begeben wollen; sie trugen an ihrem Halse, an ihren Armen und in ihren Ohren, alles was sie an Schmuck besaßen.

 

Ihre Erscheinung, welche so ganz und gar der Idee entsprach, die Harmental sich im Voraus von den Töchtern seiner Wirthin gemacht hatte, war für ihn eine neue Quelle der Betrachtungen. Da die Demoiselles Denis so ganz und gar das waren, was sie sein mußten, das heißt, daß sie in vollkommener Harmonie mit ihrem Stande und ihrer Erziehung, standen, warum, so fragte sich der Chevalier, warum war Bathilde, die dem Anscheine nach von niedrigerem Ursprunge war als sie, eben so ausgezeichnet als sie gemein? Woher kam zwischen jungen Mädchen aus einer und derselben Classen und von demselben Alter dieser ungeheure physische und moralische unterschied? Es mußte einerseits hier ein Geheimniß obwalten, welches, so hoffte Harmental, sich früh oder spät unfehlbar aufklären würde.

Eine zweite Aufforderung durch den Fuß des Abbé Brigaud, erinnerte den Chevalier daran, daß eine Betrachtungen immerhin ganz richtig sein konnten, daß er denselben aber zu einer sehr unpaßenden Stunde nachhing, und wirklich hatte Madame Denis ein so auffallend pikiertes Wesen angenommen, daß Harmental einsah, es sei die höchste Zeit einzulenken, wollte er bei seiner Wirthin den ungünstigen Eindruck heben, den seine Zerstreuung bei ihr hervorgebracht hatte.

»Madame, nahm er sofort mit der ausgezeichnetsten Freundlichkeit das Wort, »das was ich bisher von Ihrer Familie kennen lernte, erregt in mir den Wunsch, die Bekanntschaft aller Mitglieder derselben zu machen. Ist Ihr Herr Sohn nicht daheim, und werde ich nicht das Vergnügen haben ihm vorgestellt zu werden?«

»Mein Herr, erwiderte Madame Denis, der diese Rede ihre ganze Freundlichkeit wiedergegeben hatte, mein Sohn arbeitet bei einem Procurator, und wenn seine Gänge ihn nicht zufällig in dieses Stadtviertel führen, so ist es nicht wahrscheinlich daß er diesen Vormittag die Ehre haben wird, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Mein Seel,« sprach der Abbé Brigaud lächelnd, indem er auf die Thür deutete, »Sie scheinen Aladins Wunderlampe zu besitzen, kaum äußern Sie einen Wunsch, so ist er auch schon erfüllt.«

Und wirklich vernahm man in diesem Augenblick von der Treppe her das Lied von Marlborough erschallen, welches damals zu den Neuigkeiten des Tages gehörte; die Thür öffnete sich, ohne daß zuvor angeklopft wurde und herein trat ein derber junger Mann von rothem frischen Ansehen, welcher große Aehnlichkeit mit Demoiselle Athenais hatte.

»Charmant, charmant!« rief er, indem er die Arme über einander schlug, und die durch den Abbé Brigaud und Harmental vermehrte Gesellschaft des Wohnzimmers betrachtete. »Geniert Euch nicht, Mama! Da schickt sie Bonifaz zu seinem Procurator mit einem Brod und einem Stück Käse und spricht, geh’, geh’, mein Söhnchen, iß und verdirb Dir nicht den Magen! Und während einer Abwesenheit giebt es hier Feste und Gastmähler! Zum Glück aber hat der Bonifaz eine feine Nase. Er hat Geschäfte in der Straße Montmartre, ein Windstoß berührt ihn; was duftet denn da so lieblich in der Rue du Temps perdu, denkt er, und eilt hierher. Da ist er nun, also Platz gemacht!«

Indem er seinen Worten die dazu gehörige Handlung folgen läßt, rückt er ohne Weiteres einen Stuhl zum Tisch und setzt sich zwischen Brigaud und Harmental.

»Mein Herr Bonifaz,« nahm Madame Denis mit affektierter Strenge das Wort, »sehen Sie nicht, daß hier Fremde zugegen sind?«

»Fremde?« wiederholte ihr Sohn, indem er ohne Umstände zulangte, »etwa Sie, Papa Brigaud, oder Sie, Herr Raoul? Der ist ja auch kein Fremder, sondern unser Miethsmann!« Und nunmehr begann er seine Kinnbacken arbeiten zu lassen.

»In der That, Madame Denis,« bemerkte der Chevalier, »ich sehe mit Freuden, daß ich schon mehr errungen habe, als ich glaubte, denn ich wußte nicht, daß ich bereits die Ehre hatte, von Herrn Bonifaz gekannt zu seyn.«

»Es wäre ganz seltsam, wenn ich Sie nicht kennen sollte,« entgegnete der junge Schreiber mit vollem Munde, »Sie haben ja mein Zimmer bezogen.«

»Wie, meine werthe Madame Denis!« rief Harmental, »Sie ließen mich in Ungewißheit, daß ich die Ehre hatte die Wohnung einzunehmen, welche vor mir der muthmaaßliche Erbe Ihres Hauses inne hatte! Ich wundre mich jetzt nicht länger, daß ich dort alles so hübsch geordnet fand, man erkannte auf den ersten Blick die Sorge einer Mutter.«

»Nun wohl bekomm’s Ihnen,« versetzte Bonifaz, wenn ich Ihnen aber einen guten Rath geben soll, so gucken Sie nicht so oft aus dem Fenster.«

»Weshalb das nicht,« fragte Harmental. »Weil Ihnen gegenüber eine gewisse Nachbarin wohnt, welche – –

Ach, Sie meinen Mademoiselle Bathilde,« unterbrach ihn der Chevalier sich vergessend.

»Wie, Sie kennen Sie schon,« bemerkte Bonifaz, »vortrefflich, dann wird Alles gut gehen!«

»Wirst Du gleich schweigen, Bonifaz,« gebot rasch seine Mutter.

»Ei was, Mama!« rief Bonifaz, »man muß doch eine Miethsleute von Allem gehörig unterrichten, Sie arbeiten nicht bei einem Procurator, Mama, sonst würden Sie das wissen.«

»Was für eine Gemeinschaft kann zwischen Herrn Raoul und Mademoiselle Bathilde stattfinden?«

»Was er mit Ihr zu schaffen haben kann?« antwortete ihr hoffnungsvoller Sohn, »bevor acht Tage vergehen, wird er bis über die Ohren in sie verliebt seyn, oder er wäre kein Mann, und es ist keine Kleinigkeit eine Coquette zu lieben!«

»Eine Coquette?« fragte Harmental erstaunt.

»Ja, ja, eine Coquette, eine Coquette!« rief Bonifaz, »ich habe es einmal gesagt und ich widerrufe nicht. Eine Coquette, die mit jungen Leuten liebäugelt, und bei einem alten Manne wohnt. Ihre verwünschte Mirza nicht gerechnet, die meine Bonbons frißt, und zum Dank dafür jedesmal wenn sie mir begegnet, nach meinen Waden schnappt.«

»Stehen Sie auf Mademoiselles und entfernen sie sich,« rief Madame Denis, indem sie sich von ihrem Sitz erhob, »entfernen Sie sich, so reine Ohren wie die Ihrigen, dürfen solche leichte Reden nicht mit anhören.« Und sie trieb mit diesen Worten Athenais und Emilie in das Nebenzimmer, wohin sie ihnen folgte.

Was unsern Harmental betraf, so verspürte er große Lust, dem Herrn Bonifaz eine Flasche an den Kopf zu werfen, er begriff indeß, wie lächerlich er sich dadurch machen würde, und kämpfte seinen Zorn nieder. »Ich glaubte,« sprach er, »daß der ehrliche Bürger, den ich auf der kleinen Terasse gewahrte, denn der ist es doch ohne Zweifel den Sie meinen, Herr Bonifaz – –«

»Allerdings, der alte Schuft,« unterbrach ihn Bonifaz, »wer sollte das von ihm glauben?«

»Er ist ihr Vater, nicht wahr?« fragte der Chevalier.

»Ihr Vater? Hat die denn einen Vater diese Demoiselle Bathilde? Nein, ich sage Ihnen sie hat keinen Vater!«

»Oder vielleicht Ihr Oheim?«

»Ihr Oheim? Nun ja, vielleicht wie man das in der Bretagne meint, anders aber –

»Bonifaz,« sprach jetzt Madame Denis, welche wieder eintrat, nachdem sie ihre Töchter gewiß in das entlegendste Zimmer gebracht hatte, »ich habe Dich ein für allemal gebeten, in Gegenwart deiner sittlichen Schwestern keine so leichte Redensarten zu führen.«

»Ei was, Mama,« versetzte Bonifaz, indem er seinen Teller aufs Neue füllte, »meine Schwestern! glauben Sie etwa daß die Mädchen in ihrem Alter dergleichen Dinge nicht hören können, zumal Emilie, die schon 23 Jahr alt ist.«

»Emilie, mein Herr Bonifaz, ist rein und unschuldig, wie ein neugeborenes Kind,« entgegnete Madame Denis, indem sie ihren Platz zwischen dem Abbé und Harmental wieder einnahm.

»Unschuldig, nun ja! glauben Sie nur daran, Mama, und trinken Sie einmal darauf. Ich habe in dem Zimmer der lieben Unschuld einen schönen Roman gefunden, ich will Ihnen denselben einmal zeigen, Papa Brigaud, Ihnen, der ihr Beichtvater ist, Sie sollen sehen, wie gut sie ihre Fastenzeit angewandt hat.«

»Schweige bösartiges Kind,« sprach der Abbé, Du siehst welchen Kummer Du Deiner Mutter machst.«

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