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Ritter von Harmental

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X.
Der Vertrag

Der Chevalier reichte dem Capitain Roquefinette die Hand hin, und sprach: »Sie sind ein Mann von Wort; aber treten Sie schnell ein, es ist nothwendig, daß unsere Nachbarn nicht aufmerksam auf uns werden.«

»In diesem Falle bin ich stumm wie ein Fisch erwiderte der Capitain; »übrigens haben Sie,« – hier deutete er auf die kalte Pastete und die Weinflaschen, die den Tisch füllten, – »das rechte Mittel gefunden, mir den Mund zu stopfen.«

Der Chevalier schloß die Thür und schob den Riegel vor.

»Ah, wie ich sehe, ein Geheimniß!« rief der Mann mit dem rothen Achselbande, desto besser, ich liebe das Geheimnißvolle, es ist fast immer etwas zu verdienen bei Leuten, die da ihre Rede beginnen mit: »Still, um Gotteswillen, ich bitte, schweigen Sie;« – »in jedem Falle konnten Sie sich an Niemand Besseres wenden, als an Ihren gehorsamen Diener, Sie sehen in mir« – der geneigte Leser bemerke, daß der Capitain seine mythologische Redeweise fortsetzt – »Sie sehen in mir den Abkömmling des Harpokrates, des Gottes der Verschwiegenheit. Sprechen Sie also frei heraus; genieren Sie sich nicht.«

»Das ist sehr schön, mein lieber Capitain;« entgegnete Harmental, »ich habe Ihnen allerdings Dinge mitzutheilen, die höchst wichtig sind und Ihrer ganzen Verschwiegenheit bedürfen.«

»Sie können fest auf mich zählen, Chevalier. Während ich dem jungen Ravanne eine Lektion gab, beobachtete ich von der Seite Ihr Degenspiel – und ich interessiere mich für die tapferen Kämpfer. Dann haben Sie mir einen kleinen unbedeutenden Dienst, der gar nicht einmal zu nennen ist, durch das Geschenk eines vortrefflichen Pferdes vergolten, das unter Brüdern 100. Louisd’ors werth war; und ich liebe die großmüthigen Leute. Da Sie also zwiefach mein Mann sind, warum wäre ich nicht einmal der Ihre?«

»Ich sehe, Capitain, daß wir uns leicht mit einander verständigen werden, sprach der Chevalier.

»Sprechen Sie, ich bin ganz Ohr,« entgegnete der Capitain, indem er eine höchst ernste Miene annahm.

»Sie werden mich besser sitzend anhören, mein lieber Gast, nehmen wir daher Platz und frühstücken wir.«

»Sie sprechen goldene Worte, wie der heilige Johannes,« versetzte der Capitain, indem er Hut und Degen auf das Clavier legte und sich dem Chevalier gegenüber setzte, »es ist ganz unmöglich, je andrer Meinung zu seyn, als Sie. So, da sitze ich, jetzt kommandieren Sie, und ich werde einhauen!«

Prüfen Sie diesen Wein, während ich diese Pastete attaquire

»Ganz recht!« lachte der Capitain, »theilen wir unsere Macht und greifen wir den Feind von verschiedenen Seiten an; später vereinigen wir uns wieder um seine Ueberreste zu vertilgen.«

und schnell die Praxis der Theorie folgen lassend, erfaßte der Capitain eine der Weinflaschen, ließ den Pfropfen derselben springen, schenkte sich ein Glas bis zum Rande voll und goß den Inhalt mit einer Geschwindigkeit hinunter, welche glauben machen konnte, die Natur habe ihn mit einem ganz besonderen Verschlingungstalente begabt. Um ihm indes Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, müssen wir berichten, daß der Wein, den er so ohne weitere Verfehlungen hatte, kaum hinunter war, als er auch schon bemerkte, daß dessen ganz ausgezeichnete Qualität eine ganz besondere Beachtung und Behandlung verdiene.

»Alle Teufel!« rief er, indem er mit der Zunge schnalzte und das Glas langsam wieder auf den Tisch stellte, »was habe ich da gemacht? Ich Unglücklicher! Da gieße ich den köstlichen Nectar hinunter, als ob es Krätzer wäre. Und das zu Anfang des Mahls! Ha,« fuhr er fort, indem er ein Glas aus derselben Flasche aufs Neue füllte, und mit dem Kopfe schüttelte, »Roquefinette, wein guter Freund, Du fängst an alt zu werden. Vor zehn Jahren hättest Du bei dem ersten Tropfen, der deine Zunge berührte, gewußt, mit wem Du es zu thun hattest während Du jetzt mehrere Versuche anstellen mußt, um den Werth der Dinge kennen zu lernen. Ihre Gesundheit, Chevalier!

Und dieses mal schlürfte der Capitain seinen Wein langsam hinunter, und setzte das Glas, bis er es geleert hatte, dreimal von den Lippen, wobei er beifällig, mit den Augen blinzelte. Als er getrunken hatte, rief er mit einer wahren Kennermiene: »Das ist Eremitage vom Jahre 1702. Wenn Ihr Lieferant von diesem Weine Vorrath hat, und Credit gibt, so geben Sie mir seine Adresse, er soll an mir einen guten Kunden haben.«

»Capitain, entgegnete der Chevalier indem er eine gewaltige Scheibe der kalten Pastete auf den Teller seines Gastes gleiten ließ, »mein Lieferant gibt nicht nur Credit, sondern er giebt meinen Freunden sogar den Wein umsonst.«

»O, der unvergleichliche Mann!« rief der Capitain in einem wahrhaft gerührten Tone, und nach einer kurzen Pause, während welcher ein ruhiger Beobachter sich überzeugt haben würde, daß er die Pastete eben so sorgsam prüfe, als vorhin den Wein, stemmte er beide Ellbogen auf den Tisch und sprach zwischen Gabel und Messer durch, zu einem Wirth gewandt: »Wir haben also eine Verschwörung vor, mein lieber Chevalier, und wir möchten, wie es scheint, daß der gute Capitain Roquefinette uns dabei hilfreiche Hand leiste.«

»Und wer, in aller Welt, hat Ihnen das gesagt?« fragte der Chevalier, indem er unwillkürlich zusammenschauderte.

»Wer mir das gesagt hat? Zum Teufel, das war kein schweres Räthsel. Ein Mann, der Pferde zu hundert Louisd’ors verschenkt, der Wein trinkt, zu einer Pistole die Flasche, und der in einer Dachstube der Straße du Temps perdu wohnt, was, zum Henker, kann der anders vorhaben als eine Verschwörung?«

»Wohlan, Capitain,« nahm Harmental das Wort, »ich will nicht länger hinter dem Berge halten, – Sie haben vielleicht grade das Rechte getroffen. Erschreckt Sie eine Verschwörung?« Er füllte das Glas seines Gastes aufs Neue.

»Ich, ich mich erschrecken? Was in der großen weiten Welt gäbe es wohl, wovor sich der Capitain Roquefinette erschrecken könnte?

»Ich bin von Ihrem Muthe überzeugt, Capitain. Gleich nach unserm ersten Zusammentreffen, nachdem wir nur einige Worte mit einander gewechselt hatten, beschloß ich auf der Stelle, Sie zu meinem Unterbefehlshaber zu wählen.«

»Das heißt mit andern Worten: Daß wenn Sie zwanzig Fuß hoch gehängt werden, soll ich nur zehn Fuß hoch baumeln.«

»Ey zum Henker, Capitain,« rief Harmental, indem er aufs Neue einschenkte, »wenn man, wie Sie jetzt, alle Dinge im schwarzen Lichte sähe, würde man nie etwas unternehmen.«

»Meinen Sie, weil ich von dem Galgen sprach? wandte der Mann mit dem rothen Achselbande ein, »was ist denn der Galgen in den Augen eines Philosophen? Was ist er anders, als einer von den Millionen Wegen, aus dieser Welt zu gehen, und es ist, meiner Treu, grade keiner der unangenehmsten. Man sieht, Sie haben die Sache noch nicht im rechten Lichte betrachtet, sonst würden Sie nicht so davor zurückschaudern. Uebrigens würde man uns nur den Kopf abschlagen, wie dem Herrn von Rohan. Haben Sie es mit angesehen, wie man dem Herrn von Rohan den Kopf abschlug?« Hier faßte der Capitain den Chevalier von Harmental scharf ins Auge. »Es war ein schöner, junger Mann, wie Sie, auch so ungefähr von Ihrem Alter! Er hatte eine Verschwörung vor, wie Sie eine vorhaben. Aber die Sache mißlang. Was thut’s, man kann sich irren. Man erbauete für ihn ein schönes, erhabenes Schafott; man gestattete ihm das Gesicht nach dem Fenster zu drehen, wo eine Geliebte stand, man schnitt ihm mit der Scheere den Kragen seines Hemdes ab. Der Scharfrichter aber, hören Sie, war ein Tölpel, er war nur an das Hängen, nicht an das Enthaupten gewöhnt, so daß er dreimal zuschlagen mußte, bevor der Kopf fiel, und doch kam er nur zum Zweck mit Hilfe eines Messers, das er aus der Tasche zog und mit dem er so lange hin und her feilte, bis er endlich den Kopf vom Halse geschnitten hatte. – – Ihre Hand, Chevalier, ich sehe jetzt, daß Sie Muth besitzen, fuhr der Capitain nach einer Pause fort, während welcher er den Chevalier forschend betrachtet hatte, der bei der schaudervollen Schilderung keine Miene verzog. »Schlagen Sie ein, ich bin Ihr Mann! Nun aber heraus mit der Sprache, gegen wen wird die Verschwörung gerichtet. Gegen den Herzog von Maine, oder gegen den Herzog von Orleans? Gilt es dem Hinkenden das andere Bein ab, oder dem Einäugigen das andere Auge auszuschlagen? Ich bin zu allem bereit!

»Nichts von dem Allen, Capitain, mit Gottes Hilfe soll kein Blut vergossen werden.«

»Wovon ist denn aber die Rede?«

»Hörten Sie nie von der Entführung des Secretairs des Herzogs von Mantua erzählen?«

»Des Secretairs Matthioli?«

»Desselben.

»Alle Teufel, die Geschichte kenne ich besser als irgend ein Anderer. Ich sah ihn, wie man ihn nach Pignerol brachte die Herren von Saint Mar und Villebois führten den Streich aus: sie empfing jeder dreitausend Livres für sich und ihre Leute.«

»Das war schlecht bezahlt!« entgegnete verächtlich Harmental.

»Finden Sie das, Chevalier? Dreitausend Livres sind dennoch viel Geld.«

»Würden Sie denn die Sache für Dreitausend Livres übernommen haben, Capitain?«

»Ich hätte sie für diese Summe über mich genommen,« antwortete Roquefinette.

»Wenn es nun aber statt der Entführung Secretairs, der des Herzogs gegolten hätte?«

»Dann hätte man freilich mehr zahlen müssen.«

»Aber die Sache, Sie hätten sie doch gewagt.«

»Warum nicht? Ich hätte das Doppelte verlangt und damit basta.«

»Und wenn man Ihnen nun das Doppelte zusicherte, und ein Mann wie ich zu Ihnen spräche, Capitain, ich will Sie keineswegs allein in die Gefahr werfen; ich selbst theile sie mit Ihnen, ich wage wie Sie meinen Namen, meine Zukunft, meinen Kopf; was würden Sie alsdann diesem Manne geantwortet haben?«

»Ich würde ihm die Hand gereicht haben, wie ich sie jetzt Ihnen reiche. Nun sprechen Sie frei heraus, worauf kommt es an?«

Der Chevalier füllte sein Glas und das des Capitains.

 

»Auf die Gesundheit des Regenten!« sprach er, »möge er eben so wohlbehalten die Spanische Grenze erreichen, als Matthioli in Pignerol anlangte!«

»Ah, ha,« rief der Capitain, indem er sein Glas bis zur Höhe seines Auges führte, »und warum sollte er nicht? Er ist ja nur ein Mensch! – Das einzige dabei zu bemerken ist, daß man uns weder hängen noch köpfen, sondern rädern würde. Jedem Andern würde ich sagen, das würde theurer zu stehen kommen, für Sie, Chevalier, aber habe ich keine doppelten Preise. Sie zahlen mir sechstausend Livres, und ich sorge für ein Dutzend entschlossener Kerle.

»Aber dies Dutzend Kerle, fragte der Chevalier lebhaft, »kann man ihnen vertrauen? »Sie dürfen nicht wissen, warum es sich handelt, bemerkte der Capitain, es betrifft eine Wette.«

»Und was mich betrifft, Capitain,u fuhr der Chevalier fort, indem er seinen Schrank öffnete, und einen gefüllten Beutel hervorzog, mich will Ihnen beweisen, daß ich mit meinen Freunden nicht handle. Hier sind zweitausend Livres in Gold, nehmen Sie sie einstweilen a conto, wenn es gelingt, erfolgt das Uebrige; scheitern wir, muß jeder sehen, wo er bleibt.«

»Chevalier,« entgegnete der Capitain, indem er wohlgefällig den Beutel in der Hand wog, »Sie begreifen, daß ich nicht die Unhöflichkeit begehen werde, das Geld nachzuzählen; wann aber soll die Sache vor sich gehen?«

»Das ist noch unbestimmt, mein lieber Capitain, wenn Sie aber die kalte Pastete und den Wein erträglich gefunden haben, und wenn Sie mir täglich das Vergnügen machen wollen, wie heute, mit mir zu frühstücken, so sollen Sie pünktlich erfahren, wie es um unsere Angelegenheit steht.«

»Das geht nicht, Chevalier, das geht nicht,« versetzte der Capitain, jetzt heißt es die Sache ernst betrachten. Käme ich auch nur drei Tage hinter einander zu Ihnen, so würde die Polizei des verdammten Argention auf unseren Fersen seyn. Glücklicherweise sind wir eben so schlau als er. Nein, mein Chevalier, bis zu dem Moment des Handelns, müssen wir so selten als möglich, zusammenkommen, noch besser, wir sehn uns gar nicht. Ihre Straße ist nicht lang, und da Sie von der einen Seite in die Straße Gros, Chenet und auf der andern in der Straße Montmartre ausläuft, so brauche ich sie nicht einmal zu passiren. Hier nehmen Sie dies Band,« bei diesen Worten löste er das rohe Achselband von der Schulter, an dem Tage, an welchem ich zu Ihnen kommen soll, befestigen Sie es außerhalb Ihres Fensters, ich weiß, dann was das sagen will, und komme zu Ihnen.«

»Wie Capitain, fragte Harmental, als er gewahrte, daß sein Gast seinen Degen wieder umschnallte und seinen Hut nahm, »Sie gehen, ohne die Flasche zu leeren? Was hat der gute Wein verschuldet, den Sie vor kurzem so sehr priesen, und den Sie jetzt zu verachten scheinen.«

»Grade, weil ich ihn hochschätze, trenne ich mich jetzt von ihm,« fügte der Capitain hinzu, indem er sich noch ein Glas einschenkte; »ich sage ihm jetzt das letzte Lebewohl. Auf Ihre Gesundheit, Chevalier. Köstliche Tropfen, bei meiner Seele! Von jetzt an aber setze ich mich auf die Wassercur, bis zu dem Tage, an welchem ich das rothe Band am Fenster flattern sehe. Sorgen Sie, daß das recht bald geschieht, bedenken Sie, daß das Wasser meiner Constitution durchaus zuwider ist.«

»Aber, warum brechen Sie so schnell auf?«

»Weil ich die Ehre habe, den Capitain Roquefinette zu kennen. Er ist ein trefflicher Mann, wenn er aber eine Flasche vor sich hat, so muß er trinken, und wenn er getrunken hat, muß er schwatzen. Wenn man zu viel schwatzt, sagt man leicht etwas Dummes. Adieu, Chevalier, vergessen Sie nicht das rothe Band, ich wirke indessen für unsere Angelegenheit.«

»Auf Wiedersehen,« sprach Harmental, »ich sehe mit Vergnügen, daß ich Ihnen keine Vorsicht anzuempfehlen brauche.«

Der Capitain legte den einen Finger auf seine Lippen, setzte den Hut gerade und breit auf die Stirn, hob seinen langen Degen, damit er auf der Treppe nicht wieder Geklapper verursache, und stieg diesmal die Stufen so leise hinab, als ob er gefürchtet hätte, das Geräusch seiner Schritte hätte in dem Hôtel des Herrn von Argention einen Widerhall gefunden.

XI.
Die Communication

Der Chevalier blieb allein. Diesmal aber gab ihm seine Unterredung mit dem Capitain so viel Stoff zum Nachdenken, daß er weder Langeweile empfinden, noch an sein Clavier oder an das Zeichnen denken konnte. Wirklich hatte sich Harmental, bis jetzt nur theilweise in die Angelegenheit eingelassen, rücksichtlich welcher die Herzogin von Maine und der Prinz von Cellamare ihm eine so glänzende Aussicht gezeigt, der Capitain Roquefinette ihm aber so eben unverholen und in den deutlichsten Ausdrücken das schaudervollste und blutigste Ende enthüllt hatte. Bis jetzt war er nur der Endpunkt einer Kette, und leicht war es ihm sich derselben zu entwinden. Jetzt war er ein Mittelring derselben geworden, der von beiden Seiten eingeengt, auf der einen Seite mit dem, was die Gesellschaft am vornehmsten bot; auf der anderen aber, was sie am niedrigsten umschloß, vereinigt war. Kurz, von dieser Stunde gehörte er sich nicht mehr selbst an, er glich dem Reisenden, der sich in den Alpen verirrt, auf einem unbekannten Wege seine Schritte hemmt, und mit dem Auge zum erstenmal die sich vor ihm erhebende Felsmasse, und den sich zu seinen Füßen hinabsenkenden Abgrund zu messen versucht.

Zum Glück besaß der Chevalier jenen kalten, ruhigen und entschlossenen Muth, der bei heftigem Aufwallen im ersten Augenblicke, später eine ruhige Ueberlegung gestattet. Er warf sich in die Gefahr mit der ganzen Lebhaftigkeit eines Sanguinikers, prüfte sie aber, wenn er sich einmal darin befand, mit großer Besonnenheit. Hieraus ergibt sich, daß der Chevalier eben so gefährlich in einem Zweikampf, als in einer Verschwörung war; denn in einem Duell gestattete ihm seine Ruhe, selbst den kleinsten Fehler seines Gegners zu benutzen; und in der Letzteren erlaubte ihm ein kaltes Blut, die etwa zerrissenen kleinen Fäden, von denen oft das Gelingen des wichtigsten Unternehmens abhängt, schnell wieder zusammen zu knüpfen. Die Herzogin von Maine hatte also recht, wenn sie gegen Fräulein de Launay bemerkte, daß ihre Laterne ihr gute Dienste geleistet, weil sie einen Menschen gefunden habe.

Dieser Mann aber war jung, er zählte erst sechsundzwanzig Jahre: das heißt, er besaß ein Herz, empfänglich für alle Täuschungen, für alle Poesie der Jugend. Als Kind hatte er seine Kronen zu den Füßen seiner Mutter niedergelegt, als junger Mann hatte er in seiner Obristenuniform vor seiner Geliebten geglänzt; kurz bei allen Unternehmungen seines Lebens hatte ihm ein theures Bild vorgeschwebt, und er hatte sich in die Gefahr gestürzt, mit dem beseeligenden Gedanken, daß, falls er unterliegen sollte, doch irgend jemand ein Schicksal beweinen, sein Andenken getreulich aufbewahren würde. Seine Mutter aber ruhte bereits im Grabe; die letzte Frau, von der er sich geliebt wähnte, hatte ihn verrathen. Er fühlte sich allein in der Welt und nur durch das Interesse mit Menschen verbunden, denen er ein Hinderniß ward, sobald er aufgehört hatte, ihr Werkzeug zu seyn; und die, falls er untergehen sollte, statt seinen Tod zu beweinen, denselben nur als einen Beruhigungsgrund für sich selbst betrachten würden. In diesem Moment hätte der Chevalier alles darum gegeben, in dieser Welt nur von irgend einem Wesen geliebt zu werden.

In diese und ähnliche trübe Gedanken versunken, war er mehrmals in seinem Zimmerchen auf und ab geschritten, als er plötzlich bemerkte, daß das Fenster seiner schönen Nachbarin gegenüber geöffnet say. Er fuhr mit der Hand über die Stirn, so als wolle er die finsteren Ideen verscheuchen, und suchte, indem er seine Aufmerksamkeit auf äußere Dinge lenkte, jenen eine andere Richtung zu geben. Der Mensch aber ist nicht mehr Herr seines Wachens, als seines Schlafs; und seine Träume mit offenen oder geschlossenen Augen, sind stets nur die Folgen einer innerlichen Entwickelung. Die entgegengesetztesten Gegenstände nähern sich einander, die unzusammenhängendsten Gedanken begegnen sich und unsere Seele wird in solchen Momenten m unter von Lichtstrahlen erhellt, die, wenn sie nicht in der Schnelligkeit eines Blitzes wieder verschwände uns vielleicht die Zukunft enthüllen würden. Man fühlt als dann, daß sich in uns etwas Fremdartiges zuträgt; man begreift alsdann, daß man nichts als eine Art Maschine ist, deren Fäden durch eine Unsichtbare Hand gelenkt werden.

So ging es auch jetzt unserm Helden; vergebe suchte er sich durch äußere Gegenstände zu zerstreuen. seine finsteren Gedanken kehrten immer wieder und wieder zurück.

Das junge Mädchen, welches er am Morgen geschauet hatte, saß jetzt am Fenster, und arbeitete so als wolle sie die Strahlen der untersinkend Sonne benutzen; sie war mit einer Stickerei beschäftigt, ihr Clavier stand geöffnet, und auf ein Tabouret zu ihren Füßen schlummerte das kleine milchweiße Windspiel, welches jedoch, nach der Gewolltheit dieser Thiere, bei dem leisesten Geräusch auf der Straße, aus seinem leichten Schlaf auffuhr, sein zierliche Köpfchen zum Fenster hinaus steckte, die Ohren spitzte und sich dann wieder zum Schlummer legte, wobei es eines seiner niedlichen Pfötchen auf dem Schooße seiner Gebieterin ruhen ließ. Dies alles war von dem bezaubernden Lichte der untergehenden Sonne magisch beleuchtet, welche die bronzenen Verzierungen des Claviers und der vergoldete Rahmen eines Gemäldes zurückwarfen; alles Uebrige war nur im Dämmerlichte zu schauen.

Es schien jetzt dem Chevalier in seiner dermaligen Gemüthstimmung, daß dieses junge Mädchen mit dem ruhigen sanften Antlitz, zum erstenmal, wie hinter einem Vorhang hervor, in sein Lebensschauspiel getreten say, einer Bühnenkünstlerin gleich, die erst in dem zweiten oder dritten Acte eines Dramas erscheint, und der Handlung desselben plötzlich eine andere Wendung giebt. Seit jener Zeit, in welcher man in seinen Träumen noch Engel sieht, hatte sich nichts Aehnliches seinen Blicken gezeigt. Das junge Mädchen hatte mit keinem der weiblichen Wesen Aehnlichkeit, welche er bis jetzt geschaut. Es war eine Mischung von Schönheit, Unschuld und Einfalt, wie man sie oft in Köpfen findet, die Greuse so musterhaft kopiert hat, nicht nach dem Leben, sondern nach dem Spiegel seiner Einbildungskraft.

Alles vergessend, den niederen Stand, in dem sie aller Wahrscheinlichkeit nach geboren, die armseelige Straße in der sie wohnte, das bescheidene Zimmer, das ihr zum Aufenthalte diente, verlieh Harmental ihr ein Herz, das ihrem Antlitze glich, und pries denjenigen unbeschreibbar glücklich, der dieses Herz zum erstenmal heftiger schlagen machen, der mit diesen wundervollen Augen liebevoll angeblickt seyn, und der von diesen frischen Rosenlippen den ersten süßen Kuß der Liebe pflücken würde.

So verschieden sind die Ansichten, welche ein und dieselben Gegenstände nach unserer jedesmaligen Gemüthstimmung uns darbieten. Vor acht Tagen noch hätte Harmental, wo er sich in keine Gefahr bringende Unternehmung eingelassen, sondern seine Tage zwischen delikatem Frühstück und köstlichem Mittagsessen, zwischen dem Ballspiel bei Farolet und einem Souper bei der Fillon theilte, dieses junge Mädchen erblickt, er würde in ihr nichts als eine niedliche Grisette gesehen haben, und hätte ihr vielleicht einen Kammerdiener nachgesandt und ihr ein Geschenk von 25 Louisd’ors haben anbieten lassen. Der Harmental von vor acht Tagen aber existierte jetzt nicht mehr! An die Stelle des eleganten, seinen, zuversichtlichen jungen Cavaliers war jetzt ein junger isolierter Mann getreten, der im Dunkeln und allein einen gefahrvollen Weg wandelte, über dessen Haupte plötzlich der Himmel zusammenstürzen, zu dessen Füßen sich mit jedem Augenblick ein unabsehbarer Abgrund erschließen konnte. Der jetzige Harmental bedurfte einer Stütze, so schwach sie auch immer sein mochte, er bedurfte jetzt der Liebe, er bedurfte der Poesie. Es ist daher völlig begreiflich, daß er, indem er eine Madonna suchte, zu der er beten konnte, in seiner Einbildungskraft das oft erwähnte junge Mädchen ihrer natürlichen und prosaischen Sphäre enthob, sie in die seinige zog, und sie auf das leere Piedestall der Gegenstände seiner früheren Verehrung stellte.

Plötzlich erhob das junge Mädchen das Haupt, blickte zufällig aus dem Fenster, und gewahrt durch die Scheiben ihr gegenüber das sinnende Antlitz des Chevaliers. Es war ihr augenblicklich klar, daß der junge Mann um ihretwillen dastand, und daß sie es say, nach der er schauete. Eine hohe Röthe überflog plötzlich ihr schönes Gesicht; sie stellte sich indeß, als ob sie nichts bemerkt habe, und senkte das Auge wieder zu ihrer Stickerei hinab. Nach einigen Augenblicken aber stand sie auf, machte sich Manches im Zimmer zu schaffen, und schloß dann das Fenster, ohne jedoch dabei irgend eine besondere Absicht zu verrathen. Harmental aber blieb wo er war, und wanderte, trotz des geschlossenen Fensters, fortwährend in dem Phantasieenreiche umher, welches er sich geschaffen hatte. Einige Mal schien es ihm, als ob der herabgelassene Vorhang sich bewege und ein wenig gelüftet würde, so als wolle sich die Bewohnerin des Zimmers überzeugen, ob der Unbescheidene, welcher sie von ihrem Platze vertrieben, noch immer seinen Beobachtungsposten behaupte. Endlich wurden drüben einige rasche Accorde vernehmbar, eine sanfte Harmonie folgte, und nunmehr kam die Reihe an Harmental sein Fenster zu öffnen.

 

Er hatte sich nicht getäuscht, seine Nachbarin besaß eine ganz außerordentliche Kunstfertigkeit, sie exekutierte zwei bis drei Piecen, ohne jedoch ihren Gesang mit dem Clavierspiele zu vereinigen und Harmental fand fast eben so viel Vergnügen daran, ihr Spiel zu hören, als sie selbst zu schauen. Plötzlich hielt sie mitten in einem Tacte inne; Harmental vermuthete, daß sie entweder ihn erblickt und für seine Neugier bestrafen wolle, oder daß jemand ins Zimmer getreten say, und daß dieser Jemand sie gestört habe; er zog sich daher zurück, jedoch so, daß er das Fenster nicht aus den Augen verlor. Nach wenigen Augenblicken überzeugte er sich, daß sich seine letzte Vermuthung bestätigte; ein Mann trat ans Fenster, schob den Vorhang hinweg, legte ein breites Gesicht an eine der Scheiben, während er auf einer anderen mit seiner Hand trommelte. Der Chevalier erkannte auf den ersten Blick, trotz des veränderten Anzuges, den Mann vom Springbrunnen, den er diesen Morgen auf der Terrasse geschaut, und der im Tone größter Vertraulichkeit, mehrmals den Namen Bathilde gerufen hatte.

Diese so ganz prosaische Erscheinung brachte die Wirkung hervor, die sie natürlich den mußte, das heißt, sie führte Harmental aus dem Ideealen Leben in das wirkliche zurück. Er hatte ganz um gar jenen Mann vergessen, der einen so seltsame und auffallenden Contrast zu dem jungen Frauenzimmer bildete, dessen Vater, Liebhaber oder Gatte ohne Zweifel seyn mußte. Was konnte in jedem Falle mit dem edlen aristokratischen Chevalier der Tochter, Geliebte oder Gattin eines solchen Mann gemein haben?

Auch konnte Harmental nicht umhin, seine eigen Thorheit zu belächeln, und da unterdessen die Nacht hereingebrochen war, beschloß er ein wenig umher zu schlendern, um sich von der Genauigkeit der Bericht der geheimen Polizei des Prinzen Cellamare persönlich zu überzeugen. Er hüllte sich dicht in seinen Mantel stieg die vier Stockwerke hinab und schlug die Richtung nach dem Luxemburg ein, wo, wie es der Bericht, den ihm der Abbé Brigaud an diesem Morgen gegeben, versichert hatte, der Regent an diesem Abend soupiren, und von wo er ohne Leibwache nach der Palais-Royal zurückkehren würde.

Vor dem Palaste Luxemburg angelangt, gewahrte der Chevalier durchaus nichts, was verkündigt hätte, daß der Herzog sich bei seiner Tochter befinde; vor dem Eingangsportale stand nur eine einzige Schildwache, obgleich man jedes mal, wenn der Regent anlangte, eine zweite hinzuzufügen pflegte, Ueberdem gewahrte man im Hofe weder einen harrenden Wagen, noch Läufer, noch Pikeurs; es war also klar, daß der Herzog von Orleans noch nicht eingetroffen say. Der Chevalier wartete daher, um ihn anlangen zu sehen; denn da der Regent niemals frühstückte, und nur um zwei Uhr eine Tasse Chocolade trank, so war es selten, daß er später als sechs Uhr soupirte, und es hatte bereits fünf dreiviertel Uhr geschlagen.

Der Chevalier wartete unterdessen anderthalb Stunden, ohne daß sich irgend etwas von dem Herzog zeigte. Um sieben dreiviertel Uhr bemerkte er einige Bewegung im Luxemburg. Ein von reitenden Pikeurs mit Fackeln in den Händen begleiteter Wagen, rollte vor das Portal; einen Augenblick darauf stiegen drei Damen ein, und man rief dem Kutscher zu:

»Nach dem Palais Royal!«

Die Pikeurs sprengten rasch von dannen, der Wagen folgte, die Schildwache präsentierte das Gewehr, und in dem mit dem königlichen Wappen Frankreichs geschmückten Wagen erkannte Harmental im Vorüberrollen bei dem Fackellichte, die Herzogin von Berry, Frau von Mouchy ihre Ehrendame, und Madame de Pons ihre Hofdame.

Nichtsdestoweniger wartete der Chevalier noch immer, denn der Regent konnte durch irgend Etwas abgehalten worden seyn; eine Stunde darauf kehrte der Wagen zurück, die Herzogin von Berry lachte über eine Geschichte, welche ihr Broglie, der sich jetzt bei ihr befand, erzählte. Es war dem Regenten also nichts Schlimmes begegnet, und die geheime Polizei des Prinzen Cellamare hatte falsch berichtet.

Der Chevalier kehrte um zehn Uhr in seine Wohnung zurück, ohne Jemand begegnet, oder von irgend Jemand erkannt worden zu sein. Er hatte Mühe in das Haus zu gelangen; denn in Folge der in demselben herrschenden patriarchalischen Sitte, hatte sich der Portier bereits zur Ruhe gelegt. Der Letztere zog daher, vor sich hin brummend, die Riegel weg. Harmental ließ einen kleinen Thaler in seine Hand gleiten, und bemerkte, daß er mitunter etwas spät heimzukehren pflege, daß er aber jedesmal dasselbe Trinkgeld zahlen werde, worauf der Portier sich in Danksagungen ergoß, und versicherte: der Herr könne zu jeder Stunde heimkehren, wann er wolle, ja, wenn es ihm beliebe, die Nacht ganz und gar ausbleiben.

Auf einem Stübchen angelangt, gewahrte Harmental, daß in dem seiner schönen Nachbarin noch Licht brenne; er verbarg seine Kerze und trat an’s Fenster, so daß er, so weit es der Mousselin-Vorhang gestattete, sehen konnte, was sich drüben zutrug, ohne daß man von dort aus ihn bemerken konnte.

Das junge Mädchen saß an einem Tische und schien mit Zeichnen beschäftigt; nach einigen Augenblicken schob sich ein zweiter Schatten, in dem der Chevalier ganz deutlich den Mann von der Terrasse erkannte, zwischen das Licht und das Fenster hindurch. Endlich näherte sich der Schatten dem jungen Mädchen, diese hielt ihre Stirn hin, der Schatten drückte einen Kuß darauf und entfernte sich, einen brennenden Wachstock in der Hand. Einen Augenblick darauf zeigte sich Licht in dem Fenster des fünften Stockwerks; alle diese kleinen Umstände verkündeten deutlich, daß der Mann von der Terrasse nicht der Liebhaber oder Gatte, sondern wahrscheinlich der Vater des jungen Mädchens say.

Ohne eigentlich recht zu wissen warum, war Harmental ob dieser Entdeckung hoch erfreut; er öffnete ein Fenster wieder so leise er es vermochte, und gab sich, die Blicke auf den Schatten der reizenden Nachbarin gerichtet, aufs Neue den Träumereien hin, aus denen ihn die Erscheinung des Gartenanbauers vorhin geweckt hatte. Nach ungefähr einer Stunde erhob sich das junge Mädchen von ihrem Sitze, legte eine Mappe bei Seite, näherte sich dem Alkoven, kniete nieder und betete.

Harmental begriff, daß jetzt ihr Tagewerk vollbracht say; er erinnerte sich ihrer Neugier, welche sie an den Tag gelegt hatte, als er seinerseits musizierte, er wollte einen Versuch machen, sie noch länger wach zu halten, und setzte sich zum Clavier. Was er vorausgesehen hatte, geschah; bei den ersten Tönen, welche zu ihr drangen, schlüpfte die reizende Nachbarin, die nicht wußte, daß man durch den Mousselin-Vorhang ihren Schatten erschauen konnte, bis zum Fenster und horchte, überzeugt, unbemerkt zu seyn, mit Behagen den nächtlichen Klängen.

Harmentals musikalische Leistung hätte vielleicht noch mehrere Stunden gewährt, denn entzückt ob ihres Resultats, spielte er mit großem Eifer und ungewohntem Feuer. Zum Unglück aber schien der Bewohner des dritten Stockwerks durchaus kein Musikfreund zu seyn; denn das laute Pochen mit einem Stock gegen den Fußboden seines Zimmers, bewies ihm ganz unverkennbar, daß man dort wünsche, er möge seine melodische Beschäftigung auf eine passendere Stunde verlegen.

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