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La San Felice Band 1

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»Bei dieser schmerzlichen letzten Umarmung aber fühlte er plötzlich das Kind, welches im Schoße der Todten zuckte.



»Er stieß einen Schrei aus, ein Blitz durchzuckte ein Gehirn und er ließ seinerseits seinem Herzen die beiden Worte entschlüpfen:



»Mein Kind!«



»Die Mutter war todt, aber das Kind lebte. Das Kind konnte gerettet werden.



»Mit gewaltiger Selbstbeherrschung trocknete er sich den Schweiß, der auf seiner Stirn perlte, und die Thränen, welche seinen Augen entrannen. Dann murmelte er mit sich selbst sprechend: »Sei ein Mann!« Hierauf nahm er sein Besteck, öffnete es, wählte das schärfte seiner Instrumente und entriß, das Leben aus dem Schooße des Todes ziehend, das Kind den zerrissenen Eingeweiden der Mutter.



»Dann legte er es noch mit Blut bedeckt in ein Tuch, welches er mit den vier Zipfeln zusammenknüpfte, nahm das Tuch zwischen die Zähne, eine Pistole in jede Faust, und sprang, selbst mit Blutüberströmt, mit bis an die Ellbogen gerötheten Armen und mit dem Blick den Platz messend, den er zu überschreiten, und die Zahl der Feinde berechnend, die er zu bekämpfen hatte, die Stufen hinab, öffnete das Thor des bischöflichen Palastes und stürzte sich mit gesenktem Haupte mitten unter das Menschengewimmel, indem er zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurchschrie:



»Platz für den Sohn der Todten!«



»Zwei Bewaffnete wollten ihn aufhalten; er schoß sie beide nieder. Ein dritter versuchte ihm den Weg zu versperren; er streckte ihn durch einen Schlag mit der Kolbe seiner Pistole zu seinen Füßen nieder. Er rannte über den Platz trotz des Feuers der Wächter und ohne daß eine ihrer Kugeln ihn getroffen hätte, erreichte einen Wald, durchschwamm den Biferno, sah auf einer Wiese ein ohne Aufsicht weidendes Pferd, schwang sich auf den Rücken desselben, erreichte Manfredonia, ging an Bord eines dalmatischen Fahrzeuges, welches eben den Anker lichtete, und erreichte Triest.



»Das Kind war ich. Das Uebrige des Abenteuers kennen Sie bereits. Sie wissen, wie fünfzehn Jahre später der Sohn der Todten seine Mutter rächte.



»Und nun,« setzte der junge Mann hinzu, »nun, wo ich Ihnen meine Geschichte erzählt habe, nun, wo Sie mich kennen, beschäftigen wir uns mit dem, was ich zu thun gekommen bin. Es bleibt mir noch eine zweite Mutter zu rächen – das Vaterland!«




Neuntes Capitel.

Die Wahrsagerin

Zum Verständnisse der Thatsachen, welche wir hier erzählen und besonders um der Harmonie willen, welche diese Thatsachen gegenseitig bewahren müssen, ist es nöthig, daß unsere Leser einen Augenblick den politischen Theil dieses Werkes, dem wir zu unserm großen Bedauern keinen geringern Umfang zu geben vermocht, verlassen, um mit uns eine Excursion in die malerischen Partien zu unternehmen, welche sich auf solche Weise daran knüpfen, daß wir die eine nicht von der andern trennen können.



Demzufolge gehen wir, wenn unser Leser uns wieder zum Führer nehmen will, wieder über das Brett, welches Nicolino Caracciolo in seinem Eifer, das Seil herbeizuschaffen, welches so viel zur Rettung des Helden unserer Geschichte – denn wir wollen nicht länger verschweigen, daß es die Rolle ist, welche wir ihm bestimmt – beigetragen, von seinem doppelten Stützpunkte wegzunehmen vergessen.



Nachdem wir das Brett passiert, steigen wir die Böschung hinab, gehen zu derselben Thür hinaus, welche uns Einlaß gewährt, und den Abhang des Pausilippo hinunter, bis wir, nachdem wir an dem Grabmale Sannazar's und an dem Landhause des Königs Ferdinand vorbei sind, mitten in Mergellina zwischen dem ebengedachten Gebäude und dem sogenannten Löwenbrunnen vor einem Hause Halt machen, welches in Neapel gewöhnlich das Palmenhaus genannt wird, weil in dem Garten desselben ein stattliches Exemplar dieser Familie eine Kuppel von mit goldenen Früchten geschmückten Orangenbäumen um zwei Drittheile seiner Höhe überragt.



Nachdem wir dieses Haus erreicht, welches wir der Neugier unserer Leser so genau bezeichnet, um nicht die zu erzürnen, welche vielleicht mit einer kleinen Thür zu schaffen haben könnten, die in der Mauer angebracht ist und sich gerade dem Punkte gegenüber befindet, wo wir stehen geblieben sind, verlassen wir die Straße, gehen längs der Gartenmauer hin und erreichen einen Abhang, von welchem wir, wenn wir uns auf die Fußspitzen stellen, vielleicht einige der Geheimnisse erspähen können, welche diese Mauern in sich schließen.



Und es müssen reizende Geheimnisse sein, welchen unsere Leser nicht umhin können ihre ganze Sympathie zuzuwenden, sobald sie nur die Person gesehen, welche uns diese Geheimmisse kennen lehren soll.



Trotz des immer noch rollenden Donners, trotz der leuchtenden Blitze, trotz des heulenden Sturmes, welch die Orangenbäume schüttelt, deren Früchte, sich von ihren Zweigen ablösend, wie ein goldener Regen herabfallen und die Palme hin- und herdreht, deren lange, breite Blätter aufgelösten Haarflechten gleichen, erscheint nämlich eine junge Frauengestalt von zwei- bis dreiundzwanzig Jahre in einem battistenen Pudermantel und mit einem über den Kopf geworfenen Spitzenschleier von Zeit zu Zeit auf eine steinernen Rampe, welche aus dem Garten nach dem erste Stockwerke führt, wo, nach einem Lichtstrahle zu urtheilen der jedes Mal, wo die Thür sich öffnet, sichtbar wird, die Wohngemächer sich zu befinden scheinen.



Diese Erscheinungen sind nicht von langer Dauer, den jedesmal, wenn die Dame erscheint, oder ein Blitz zuckt oder ein Donnerschlag kracht, stößt sie einen leichten Schrei aus, macht das Zeichen des Kreuzes und geht wieder hin ein, indem sie die Hand auf die Brust drückt, wie um da heftige Schlagen ihres Herzens zu beschwichtigen.



Wer sie so, trotz der Furcht, welche ihr der Aufruhr der Elemente einzujagen scheint, so von fünf zu fünf Minuten hartnäckig diese Thür öffnen sähe, welche sie jedes mal mit Zögern öffnet und erschrocken wieder schließt, würde darauf wetten wollen, daß diese ganze Ungeduld und Aufregung eine unruhige oder eifersüchtige Liebende verrathe welche den Gegenstand ihrer Neigung erwartet oder belauert.



Dennoch aber würde man sich, wenn man dies glaubt vollständig täuschen. Keine Leidenschaft hat bis jetzt die Oberfläche dieses Herzens, eines wahrhaften Spiegels der Keuschheit, getrübt und in dieser Seele, wo alle sinnlich und feurigen Gefühle noch schlummern, wacht blos kindische Neugier. Nur diese ist es, welche, die Macht einer jener bis jetzt unbekannten Leidenschaften entlehnend, all diese Unruhe und Aufregung verursacht.



Ihr Milchbruder, der Sohn ihrer Amme, ein Lazzarone der Marinella, hat auf ihr dringendes Bitten versprochen, ihr eine alte Albaneserin zuzuführen, deren Prophezeiungen für untrüglich gelten.



Diese alte Wahrsagerin gehört einer Familie an, welche schon bei dem Tode Skanderbegs des Großen, das ißt im Jahre 1467, die ursprüngliche Heimat mit den Gebirgen Calabriens vertauscht und seit dieser Zeit ihre vermeinte Sehergabe von Generation zu Generation vererbt hat.



Was die junge Dame, welche die Wahrsagerin erwartet, betrifft, so empfindet sie gleichzeitig Furcht, während die Zukunft zu kennen wünscht, welcher sie bis jetzt blos mit seltsamen Ahnungen entgegensieht.



Ihr Milchbruder hatte ihr versprochen, ihr noch diesen Abend um Mitternacht, zu der kabbalistischen Stunde, die Person zuzuführen, welche – während ihr Gemahl bis um zwei Uhr Morgens den Festlichkeiten des Hofes beiwohnen muß – ihr die räthelhaften Geheimnisse jener Zukunft offenbaren kann, die Licht und Schatten für ihre Träume ist.



Sie erwartete also ganz einfach den Lazzarone Michele, der Narr genannt, und die Wahrsagerin Nanno.



»Uebrigens werden wir bald sehen, ob man uns getäuscht hat.



Drei regelmäßig auf einander folgende Schläge haben sich an der kleinen Thür des Gartens in dem Augenblick vernehmen lassen, wo aus den braunen Wolken große, schwer Regentropfen herabzufallen beginnen.



Auf das Geräusch dieser Schläge schwebt etwas, was einer Gazewolke gleicht, an dem Geländer der Rampe hin die Gartenthür öffnet sich, läßt zwei Personen eintreten um schließt sich dann wieder hinter ihnen.



Eine dieser Personen ist ein Mann, die andere ein Frau.



Der Mann trägt leinene Hosen, die rothwollene Mütze und den Fischerkittel der Marinella.



Die Frau hat sich in einen großen schwarzen Mantel gehüllt, auf dessen Schultern, wenn es hell genug wäre einige von einer vormaligen Stickerei zurückgebliebene verblichene Goldfäden schimmern würden.



Von dem übrigen Costüm der Frau sieht man nicht und nur ihre beiden Augen leuchten aus dem Schatten her vor, den die ihren Kopf bedeckende Capuze über das Gesich wirft.



Beim Durchschreiten des Raumes, welcher die Thür von den ersten Stufen der Rampe trennt, hat die jung Frau dem Lazzarone zugeflüstert:



»Du hast ihr doch nicht gesagt, Michele, wer ich bin, nicht wahr, nicht?«



»Nein, liebe Schwester, bei der Madonna, sie kennt nicht einmal den Anfangsbuchstaben deines Namens.«



Oben auf der Rampe angelangt, trat die junge Frau zuerst ein. Der Lazzarone und die Wahrsagerin folgten ihr.



Als sie das erste Zimmer durchschritten, konnte man den Kopf einer jungen Zofe sehen, welche einen Tapetenvorhang aufhob und mit neugierigem Blick ihrer Gebieterin und den seltsamen Gästen folgte, welche sie bei sich einführte.



Der Vorhang fiel hinter ihnen.



Wir treten ebenfalls ein.



Der Auftritt, welcher hier stattfinden wird, hat zu viel Einfluß auf die künftigen Ereignisse unserer Geschichte, als daß wir denselben nicht auf das Umständlichte erzählen sollten.



Das Licht, von welchem wir von Zeit zu Zeit einen Strahl in den Garten fallen gesehen, kam aus einem kleinen Boudoir, welches nach Art derer von Pompeji mit Divans und Vorhängen von rosenfarbener Seide mit hellblauen Blumen ausgestattet war.



Die Lampe, welche jenen Schein verbreitete, befand sich in eine Alabasterkugel eingeschlossen und stand auf einem Tisch von weißem Marmor, dessen einziger Fuß einen Greif mit ausgebreiteten Flügeln vorstellte.

 



Ein Sessel von griechischer Form, welchem die Reinheit seiner Sculptur Anspruch auf einen Platz in dem Boudoir Aspasiens hätte geben können, verrieth, daß das Auge eines Kunstliebhabers die Ausstattung dieses Zimmers in ihren geringsten Einzelheiten geleitet hatte.



Eine dem Eingang, welchen unsere drei Personen passiert hatten, gegenüber befindliche Thür führte in eine Reihe Zimmer, welche die ganze Länge des Hauses einnahmen. Das letzte dieser Zimmer stieß nicht blos an das Nachbarhaus, sondern hatte auch eine Verbindungsthür, welche in letzteres führte.



Diese Thatsache hatte in den Augen der jungen Frau ohne Zweifel eine gewisse Bedeutung, denn sie machte Michele darauf aufmerksam, indem sie zu ihm sagte:



»Im Falle, daß mein Gemahl nach Hause käme, würde Nida uns sofort benachrichtigen und Ihr würdet Euch dann beide durch das Haus der Herzogin Fusco entfernen.«



»Ja, Signora,« antwortete Michele, indem er sich ehrerbietig verneigte.



Als die Wahrsagerin, welche eben im Begriffe war ihren Mantel abzunehmen, diese letzten Worte hörte, drehte sie sich um und fragte in einem Tone, der einen gewissen Anflug von Bitterkeit hatte:



»Seit wann nennen sich Milchgeschwister einander nicht mehr Du? Sind Kinder, welche an einer und derselben Brust gesogen, nicht ebenso nahe mit einander verwandt als die, welche unter einem und demselben Herzen getragen worden? Nennt Euch Du, Kinder!« fuhr sie in sanftem Tone fort. »Gott freut sich, wenn seine Geschöpfe trotz der Entfernung, die sie trennt, einander lieben.«



Michele und die junge Dame sahen einander mit erstauntem Blicke an.



»Sagte ich Dir nicht, daß es wirklich eine Zauberin ist, Schwesterchen?« rief Michele. »Ich zittere an allen Gliedern.«



»Warum zittert Du, Michele?« fragte die junge Dame.



»Weißt Du, was sie mir erst heute Abend, ehe wir hiehergingen, prophezeit hat?«



»Nein.«



»Sie hat mir prophezeit, ich würde in den Krieg ziehen, Oberst werden und –«



»Nun, was noch?«



»Es läßt sich nicht gut sagen.«



»Sag' es nur!«



»Und am Galgen enden.«



»Ach, mein armer Michele!«



»So ist es aber.«



Die junge Dame richtete ihre Augen mit einer gewissen Scheu wieder auf die Albaneserin.



Diese hatte sich ihres Mantels vollständig entledigt und denselben auf die Erde geworfen. Sie zeigte sich nun in ihrem von langem Gebrauch etwas unscheinbar gewordenen, aber immer noch reichen Nationalcostüme.



Nur war es nicht der mit früher glänzenden Blumen geschmückte weiße Turban, welcher ihr Haupt umschloß und unter welchem lange, schwarze, mit Silberfäden gemischte Haarflechten hervorfielen, auch war es nicht das rothe, goldgestickte Mieder, ebensowenig als der braunrothe, schwarz und blau gestreifte Rock, welcher die Aufmerksamkeit der jungen Dame fesselte. Es war dies vielmehr der Blick der grauen durchbohrenden Augen der Wahrsagerin, welche auf sie geheftet waren, als ob sie in ihrem tiefstem Herzen lesen wollte.



»O Jugend, neugierige, unkluge Jugend!« murmelte die Wahrsagerin, »wirst Du denn stets durch eine Macht, die stärker ist als dein Wille, getrieben werden, jener Zukunft entgegenzueilen, welche doch so schnell Dir entgegenkommt?«



»Bei dieser unerwarteten Anrede, die in gellendem, schneidendem Tone erfolgte, durchrieselte ein Schauer die Adern der jungen Frau und sie bereute in diesem Augen blicke fast, Nanno gerufen zu haben.



»Es ist noch Zeit,« antwortete diese, als ob ihrem begierig forschenden, durchdringenden Auge kein Gedanke verborgen bleiben könnte. »Die Thür, welche uns Einlas gewährt, steht noch offen und die alte Nanno hat zu oft unter dem Baume von Benevento geschlafen, um nicht an Wind, Donner und Regen gewöhnt zu sein.«



»Nein, nein,« murmelte die junge Frau, »da Ihr einmal da seid, so bleibt.«



Und sie sank in einem Sessel, der neben dem Tisch stand, warf dem Kopf zurück und war auf diese Weise den vollen Schein der Lampe ausgesetzt.



Die Wahrsagerin näherte sich ihr um zwei Schritt und sagte, wie mit sich selbst sprechend:



»Blondes Haar und schwarze Augen – große, schöne helle, feuchte, samtene, wollüstige Augen.«



Die junge Frau erröthete und bedeckte sich das Gesich mit beiden Händen.



»Nanno!«, murmelte sie.



Diese aber schien sie nicht zu hören und die Hände betrachtend, welche ihr die weitere Musterung des Gesicht unmöglich machten, fuhr sie fort:



»Die Hände sind rund und mit Grübchen versehen. Die Haut derselben ist rosig, weich, fein, matt und lebhaft zu gleicher Zeit.«



»Nanno!« sagte die junge Frau, indem sie die Hände auseinander that, wie um sie zu verbergen, wobei aber ein lächelndes Gesicht zum Vorschein kam, »ich habe Euch nicht gerufen, daß Ihr mir Complimente machen sollt.«



Nanno aber fuhr, ohne auf sie zu achten, fort, indem sie sich wieder an das ihr aufs Neue preisgegebene Gesicht hielt:



»Die Stirn ist schön, weiß, rein, von blauen Aederchen durchfurcht. Die schwarzen, gutgezeichneten Augenbrauen beginnen an der Wurzel der Nase und zwischen ihnen zeigen sich drei oder vier kleine gebrochene Linien. O schönes Geschöpf, Du bist dem Dienste der Venus geweiht!«



»Nanno! Nanno!« rief die junge Frau.



»So laß' sie doch schwatzen, Schwesterchen!«, sagte Michel. »Sie behauptet, Du seist schön. Weißt Du das nicht vielleicht selbst? Sagt Dir dein Spiegel es nicht alle Tage? Ist nicht Jeder, der Dich sieht, derselben Meinung wie dein Spiegel? Sagt nicht alle Welt, daß der Chevalier San Felice seinen Namen in der That trägt, weil er nicht blos

glücklich

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   Wir brauchen wohl kaum zu erwähnen, daß die Worte: San Felice im Italienischen heilig glücklich bedeuten.



 heißt, sondern es auch ist?«



»Michele!« rief die junge Frau, unzufrieden, daß ihr Milchbruder auf diese Weise den Namen ihres Mannes und zugleich den ihrigen verrieth.



Die ganz in ihre Betrachtung versunkene Wahrsagerin fuhr aber fort:



»Der Mund ist klein und roth, die Oberlippe ist ein wenig größer als die Unterlippe, die Zähne sind weiß und gut geordnet. Die Lippen sind korallenfarbig. Das Kinn ist rund, die Stimme ist weich, ein wenig schleppend und wird leicht heiser. Sie sind an einem Freitag geboren, nicht wahr? Um Mitternacht, oder kurz vor oder nach Mitternacht?«



»Ja, das ist wahr, « murmelte die junge Frau mit einer Stimme, die in der That durch die Gemüthsbewegung, welche sie empfand und welcher sie wider Willen nachgab, ein wenig heiser geworden war; »meine Mutter hat mir oft gesagt, daß mein erstes Weinen sich mit dem letzten Summen der Pendule gemischt, welche die Stunde geschlagen, die den letzten Tag des April von dem ersten des Mai trennte.«



»April und Mai! Die Monate der Blumen! Ein Freitag, der Tag, welcher der Venus geweiht ist. Nun er klärt sich Alles. Darum regieret die Venus!« hob die Wahrsagerin wieder an, »die Venus, die einzige Göttin, welche ihre Herrschaft unter uns bewahrt, während alle übrigen Götter die ihre verloren haben. Sie sind unter der Vereinigung der Venus und des Mondes geboren, Signora, und die Venus trägt den Sieg davon und gibt Ihnen diesen weißen runden Hals von mittlerer Länge, welchen wir den elfenbeinernen Thurm nennen. Die Venus gibt Ihnen diese runden, ein wenig herabfallenden Schultern, dieses wallende seidenweiche Haar, diese zierliche runde Nase mit den sich blähenden, sinnlichen Nüstern.«



»Nanno,« sagte die junge Frau in gebieterischem Tone, indem sie sich aufrichtete und die Hand auf den Tisch stützte.



Die Unterbrechung war jedoch vergeblich.



»Venus,« fuhr die Albaneserin fort, »gibt Ihnen diesen geschmeidigen Wuchs, diese feinen Gelenke, diese Fuß eines Kindes; Venus gibt Ihnen die Vorliebe für elegante Kleider von hellen zarten Farben. Venus macht Sie sanft, leutselig, naiv, geneigt zu romantischer, aufopfernder Liebe.«



»Ob ich zur Aufopferung geneigt bin, weiß ich nicht Nanno,« sagte die junge Frau in sanftem, beinahe traurigem Ton; »was jedoch die Liebe betrifft, so irrst Du Dich sicherlich.«



Dann sank sie, als ob ihre Füße nicht mehr die Kraft hätten, sie zu tragen, in ihrem Sessel zurück und setzte mit einem Seufzer hinzu:



»Denn ich habe noch nie geliebt!«



»Du hast noch nie geliebt!« hob Nanno wieder an, und in welchem Alter sagst Du das? Mit zweiundzwanzig Jahren, nicht wahr? Aber warte nur! warte nur!«



»Du vergissest, daß ich vermält bin,« sagte die junge Frau in einem schmachtenden Tone, welchem sie umsonst Festigkeit zu geben versuchte, »und daß ich meinen Gatten liebe und achte.«



»Ja, ja! Dies weiß ich Alles, entgegnete die Wahrsagerin, »aber ich weiß auch, daß er beinahe dreimal so alt ist als Du. Ich weiß, daß Du ihn liebt und achtet, aber ich weiß auch, daß Du ihn liebst wie einen Vater und daß Du ihn achtest wie einen Greis. Ich weiß, daß Du die Absicht, ja sogar den Willen hast, rein und tugendhaft zu bleiben, aber was vermögen die Absicht und der Wille gegen den Einfluß der Gestirne? – Habe ich Dir nicht gesagt, daß Du aus der Vereinigung der Venus und des Mondes, der beiden Gestirne der Liebe, hervorgegangen bist? Vielleicht aber entrinnst Du ihrem Einflusse doch noch. Laß uns deine Hand sehen. Hiob, der große Prophet, sagt: »In die Hand der Menschen hat Gott die Zeichen gelegt, an welchen man sein Werk erkennt.«



Und die Wahrsagerin streckte ihre runzelige, knochige, schwarze Hand aus, in welche sich, wie in Folge eines magischen Einflusses, die weiche, weiße und feine Hand der San Felice legte.




Zehntes Capitel.

Das Horoskop

Es war die linke Hand, die, in welcher die Kabbalisten des Alterthums die Geheimnisse des Lebens lesen zu können behaupteten, gerade wie dies auch von Kabbalisten der Neuzeit noch geschieht.



Nanno betrachtete einen Augenblick lang die Rückseite dieser reizenden Hand, ehe sie dieselbe umdrehte, um in dem Innern zu lesen, gerade wie man ein Buch, welches Aufschluß über unbekannte und übernatürliche Dinge geben soll, einen Augenblick in der Hand hält, ohne sich mit dem Oeffnen zu übereilen.



Sie betrachtete die Hand, wie man ein schönes Marmorkunstwerk betrachtet, und murmelte:



»Die Finger sind lang, glatt und ohne Knoten – die Nägel rosenfarben, schmal und spitzig – eine Künstlerhand, eine Hand, welche bestimmt ist, allen Instrumenten, den Saiten der Leier ebenso wie den Fasern des Herzens Töne zu entlocken.«



Endlich drehte sie die schauernde Hand, welche zu ihren gebräunten einen so wundersamen Gegensatz bildete, herum und ein stolzes Lächeln verklärte ihr ganzes Gesicht.



»Hatte ich nicht Alles gut errathen?«, sagte sie.



Die junge Frau betrachtete die Wahrsagerin mit unruhigem Blick.



Michele seinerseits näherte sich, als ob er etwas von der Chiromantie verstünde.



»Beginnen wir mit dem Daumen, hob die Wahrsagerin wieder an. »Er ist es, in welchem sich alle andern Zeichen der Hand wiederholen. Der Daumen ist das Hauptorgan des Willens und der Einsicht. Blödsinnige werden gewöhnlich ohne oder mit mißgestalteten Daumen geboren. Die Epileptischen schließen in ihren Anwandlungen die Daumen eher als die andern Finger. Um den bösen Blick zu beschwören, streckt man den Zeigefinger und Goldfinger aus und verbirgt den Daumen in der flachen Hand.«



»Das ist wahr, Schwesterchen, rief Michele. »So mache ich es allemal, wenn ich das Unglück habe, dem Canonicus Jorio zu begegnen.«



»Das erste Glied des Daumens, das, welches den Nagel trägt, ist das Zeichen der Willenskraft. Bei Ihnen ist das erste Gelenk des Daumens kurz, folglich sind Sie schwach, ohne Willen und leicht zu verleiten.«



»Das könnte man fast übelnehmen, rief lachend die junge Frau, welcher diese mehr wahre als schmeichelhafte Erklärung gegeben ward.



»Sehen wir einmal den Venusberg, sagte die Wahrsagerin, indem sie mit ihrem Nagel, welcher einer in Ebenholz gefaßten Hornkralle glich, auf den fleischigen, erhabebenen Theil drückte, welcher die Basis des Daumens bildete. »Dieser ganze Theil der Hand, in welchem die Zeugung und die sinnlichen Begierden liegen, ist der unwiderstehlichen Göttin gewidmet. Die Lebenslinie umgibt ihn wie ein Bach, der am Fuße eines Hügels rinnt, und sondert ihn ab wie eine Insel. – Venus, welche bei Ihrer Geburt regiert hat, Venus, welche gleich jenen Feen, die als verschwenderische Pathen jungen Prinzessinnen erschienen, Venus, welche Ihnen Anmuth, Schönheit, Melodie, Liebe zu schönen Formen, den Wunsch zu lieben, das Bedürfniß zu gefallen, Wohlwollen, Mitleid und Zärtlichkeit verliehen hat, zeigt sich hier mächtiger als jemals. – Ach, wenn wir auch die andern Linien eben so günstig fänden wie diese, obschon –«

 



»Obschon?«



»Nichts.«



Die junge Frau betrachtete die Wahrsagerin, deren Augenbrauen sich einen Augenblick lang gerunzelt hatten.



»Dann gibt es wohl noch andere Linien als die des Lebens?« fragte sie.



»Ja, es gibt deren drei. Er sind diese drei Linien, welche in der Hand das M bilden, welches das gemeine Volk als den ersten Buchstaben des Wortes Mors, der Tod, bezeichnet, und von welchem es glaubt, es sei von der Natur selbst bestimmt, den Menschen daran zu erinnern, daß er sterblich ist. Die beiden andern sind die Linie des Herzens. Hier ist sie. Sie erstreckt sich von der Basis des Zeigefingers bis zu der des kleinen Fingers. Jetzt sehen Sie noch die Kopflinie. Es ist die, welche die Mitte der Hand durchschneidet.«



Michel näherte sich abermals und verfolgte die Demonstrationen der Wahrsagerin mit gespannter Aufmerksamkeit.



»Warum hast Du nicht auch mir dies Alles erklärt? fragte er sie. »Hieltest Du mich für zu dumm, um es zu begreifen?



Nanno zuckte die Achseln, ohne ihm zu antworten, und fuhr dann fort sich an die junge Frau zu wenden.



»Folgen wir vor allen Dingen der Linie des Herzens,« sagte sie. »Schau, wie sie sich von dem Berg des Jupiter, das heißt von der Basis des Zeigefingers, bis zum Berg des Mercur, das heißt bis zur Basis des kleinen Fingers, erstreckt! Ist sie kurz, so bedeutet die Glück, ist sie allzulang, wie bei Dir, so bedeutet sie furchtbare Leiden. »Unter dem Saturn, das heißt unter dem Mittelfinger, bricht sie sich. Dies bedeutet Verhängniß. Sie hat eine lebhaft rothe Farbe, welche gegen das matte Weiß der Hand absticht. Dies ist Liebe, feurige, bis zur Heftigkeit gesteigerte Liebe!«



»Das ist es eben, was mich abhält, an deine Vorhersagungen zu glauben, Nanno,« sagte die San Felice lächelnd. »Mein Herz ist ruhig.«



»Warte nur! warte nur! hab' ich Dir schon gesagt,« entgegnete die Wahrsagerin heftig werdend. »Warte nur, warte nur, Ungläubige, denn der Augenblick, wo eine große Veränderung in deinem Schicksal eintreten soll, ist nicht mehr fern. Hier bemerke ich noch ein unheilvolles Anzeichen. Schau. Die Linie des Herzens vereinigt sich, wie Du siehst, mit der Kopflinie zwischen Daumen und Zeigefinger. Es ist dies, wie gesagt, ein unheilverkündendes Zeichen, welches aber durch ein entgegengesetztes Zeichen in der andern Hand bekämpft werden kann. Sehen wir einmal die rechte Hand!



Die junge Frau gehorchte und reichte der Sibylle die Hand, welche sie verlangte.



Nanno schüttelte den Kopf.



»Hier sehe ich dasselbe Zeichen,« sagte sie, »dieselbe Vereinigung.«



Gedankenvoll ließ sie die Hand fallen und da sie nicht sogleich wieder fortfuhr zu sprechen, so hob die San Felice an:



»Sprich doch. Ich sage Dir nochmals, daß ich Dir nicht glaube.«



»Um so besser, um so besser,« murmelte Nanno. »Möge die Wissenschaft trügen, möge das Unfehlbare nicht in Erfüllung gehen!«



»Was bedeutet denn die Verschmelzung dieser beiden Linien?«



»Schwere Verwundung, Gefangenschaft, Todesgefahr.«



»Ach, wenn Du mir mit körperlichen Leiden drohst, Nanno, dann wirst Du mich allerdings schwach werden sehen. Hast Du nicht selbst gesagt, daß ich nicht muthig sei? Und wo werde ich verwundet werden? Sprich.«



»Es ist seltsam. – An zwei Stellen – am Hals und in der Seite.«



Dann ließ sie die linke Hand ebenso wieder sinken, wie sie die rechte hatte sinken lassen, und fuhr fort:



»Vielleicht aber entrinnst Du der Gefahr doch – hoffen wir!«



»Nein,« hob die junge Frau wieder an, »vollende, Du durftest mir nichts sagen, oder Du mußt mir Alles sagen.«



»Ich habe Alles gesagt.«



»Dein Ton und deine Augen beweisen, daß dies nicht der Fall ist. Uebrigens hast Du auch gesagt, daß es drei Linien gäbe.«



»Die Lebenslinie, die Linie des Herzens und die Kopflinie.«



»Nun und?«



»Nun, Du hast nur zwei geprüft – die Lebenslinie und die Linie des Herzens. Es bleibt also noch die Kopflinie übrig.«



Und mit gebieterischer Geberde reichte sie der Wahrsagerin nochmals die Hand hin.



Nanno ergriff dieselbe und sagte mit verstellter Gleichgültigkeit:



»Du kannst es eben so gut sehen wie ich. Die Kopflinie durchschneidet die Ebene des Mars und neigt sich unter den Berg des Mondes. Dies bedeutet: Traum, Phantasie, Chimäre – das Leben, wie es im Mond, nicht wie es hiemieden ist.«



Plötzlich stieß Michel, welcher die Hand seiner Schwester aufmerksam betrachtete, einen Schrei aus:



»Schau doch, Nanno!« rief er.



Und er deutete mit dem Ausdruck des gewaltigsten Schreckens auf ein Zeichen in der Hand seiner Milchschwester.



Nanno drehte den Kopf herum.



»Aber so schau doch!« rief er nochmals. »Luisa hat in der hohlen Hand dasselbe Zeichen wie ich.«



»Dummkopf!« rief Nanno.



»Meinetwegen nenne mich einen Dummkopf,« rief Michel. »Ein Kreuz in der Mitte dieser Linie bedeutet Tod auf dem Blutgerüst – hast Du mir das nicht selbst gesagt?«



Die junge Frau stieß einen lauten Schrei aus und betrachtete mit scheuer Miene abwechselnd ihren Milchbruder und die Wahrsagerin.



»So schweig doch!« rief letztere, indem sie ungeduldig mit dem Fuße stampfte.



»Sieh, Schwesterchen, sieh!« sagte Michel, indem er seine linke Hand öffnete. »Schau selbst, ob wir nicht beide dasselbe Zeichen haben – ein Kreuz.«



»Ein Kreuz!« wiederholte Luisa erbleichend. Dann faßte sie die Wahrsagerin beim Arme und rief:



»Weißt Du, daß dies wahr ist, Nanno? Was soll das heißen? Gibt es in der Hand des Menschen wirklich Zeichen je nach seinem Stande, und ist das, was für den einen tödtlich ist, für den andern gleichgültig? Da Du einmal begonnen hast, so vollende auch.«



Nanno machte ihren Arm sanft von der Hand los, welche sich bemühte ihn festzuhalten.



»Peinliche Dinge dürfen wir nicht enthüllen, sagte sie, ›wenn sie, das Siegel des unbedingten Verhängnisses tragend, trotz aller Anstrengungen des Willens und des Verstandes unvermeidlich sind.‹



Nach einer Pause setzte sie hinzu:



»Vorausgesetzt, daß die bedrohte Person, in der Hoffnung, das Verhängniß zu bekämpfen, nicht diese Offenbarung von uns verlangt.«



»Verlange, Schwesterchen, verlange!« rief Michel; »Du bist reich, Du kannst fliehen. Vielleicht existiert die Gefahr, welche Du läuft, blos in Neapel. Vielleicht würde sie Dich in Frankreich, in England, in Deutschland nicht verfolgen.«



»Und warum willst Du nicht auch fliehen?« antwortete Luisa. »Du behauptet ja, daß wir beide ein und dasselbe Zeichen tragen?«



»Ach, mit mir ist es etwas Anderes. Ich kann Neapel nicht verlassen. Ich bin an die Marinella gefesselt wie der Stier an's Joch. Ich bin arm und muß mit der Arbeit meiner Hände nicht blos mich, sondern auch meine Mutter ernähren. Was sollte aus der armen alten Frau werden, wenn ich fortginge?«



»Und wenn Du stirbst, was wird dann aus ihr?«



»Wenn ich sterbe, so hat Nanno die Wahrheit gesprochen, Luisa, und wenn sie die Wahrheit gesprochen hat, so werde ich, ehe ich sterbe, Oberst sein. Wohlan, wenn ich Oberst bin, dann gebe ich ihr mein ganzes Geld und sage zu ihr: Lege dies auf die Seite, Mama, und wenn man mich dann hängt – denn mich hängt man – so ist sie meine Erbin.«



»Oberst! Armer Michele! Du glaubst an diese Prophezeiung?«



»Nun, was ist weiter dabei? Es ist stets gut, das Schlimmste vorauszusetzen. Meine Mutter ist alt, ich bin arm und wenn wir Eines oder das Andere das Leben verlieren, so ist der Verlust für Keines sonderlich groß.«



»Und Affunta?« fragte die junge Frau lächelnd.



»O, Affunta macht mir weniger Unruhe als meine Mutter. Affunta liebt mich, wie eine Geliebte ihren Anbeter liebt, aber nicht wie eine Mutter ihren Sohn liebt. Eine Witwe tröstet sich mit einem anderen Mann, eine Mutter aber tröstet sich nicht mit einem andern Kind. Doch lassen wir die alte Mechelemma und kommen wir wieder auf Dich zurück, Schwesterchen, auf Dich, die Du jung, reich, schön und glücklich bist. O Nanno, Nanno! Höre, was ich sage: Du mußt Luisa augenblicklich mittheilen, woher die Gefahr kommen wird, oder wehe Dir!«



Die Wahrsagerin hatte ihren Mantel wieder aufgerafft und war eben beschäftigt, ihn sich wieder um die Schultern zu werfen.

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