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La San Felice Band 1

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Siebentes Capitel.
Der Sohn der Todten

Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, daß bei großen Ereignissen in der Natur sowohl als in der Politik – und wir müssen bemerken, daß es der Menschheit keineswegs zur Ehre gereicht – sich das Interesse allemal auf die Individuen concentriert, welche in dem einen wie in dem andern Falle die Hauptrollen spielen und von welchen man die Rettung oder den Triumph erwartet, während die untergeordneten Persönlichkeiten in den Schatten zurückgedrängt werden und man die Sorge, über ihnen zu wachen, jener sorglosen Vorsehung überläßt, welche für geborene oder zu fällige Egoisten ein bequemer Ausweg geworden ist, um alles Unglück, um welches sie selbst nicht Lust haben, sich zu bekümmern, dem lieben Gott aufzubürden.

Es geschah dies auch in dem Augenblick, wo die Barke, die den von den Verschwörern so sehnlich erwarteten Abgesandten trug, gegen die Felsenklippe geschleudert und an derselben zerschmettert ward.

Diese fünf Auserwählten mit redlichen, mitleidigen Herzen, welche als eifrige Apostel der Menschen bereit waren, ihr Leben für ihr Vaterland und ihre Mitbürger zu opfern, vergaßen vollständig, daß zwei Mitmenschen, Söhne desselben Vaterlands und folglich ihre Brüder, in den Abgrund des Meeres verschwunden waren und beschäftigten sich nur mit dem, welchen ein Band, nicht blos des allgemeinen, sondern auch des individuellen Interesses an die fesselte.

Alle ihre Aufmerksamkeit und Hilfe auf ihn concentrierend, glaubten sie, ein für ihre Pläne so nothwendiges Leben sei mit den beiden untergeordneten Existenzen nicht zu theuer bezahlt, und sie dachten daher, so lange die Gefahr dauerte, nicht weiter an dieselben.

»Aber es waren doch auch Menschen, wird der Philosoph murren.

»Nein,« wird der Politiker antworten; »es waren Nullen, die Einheit dagegen eine überlegene Persönlichkeit.«

Wie dem auch sein möge, so bezweifeln wir jedoch, daß die beiden unglücklichen Fischer von denen, welche sie verschwinden gesehen, sehr bemitleidet wurden, denn die Harrenden eilten mit freudiger Miene und offenen Armen dem Freunde entgegen, welcher, Dank seinem Muthe und seiner Kaltblütigkeit, an der Hand seines Freundes, des Grafen Ruvo, wohlbehalten und unversehrt vor sie hintrat.

Es war ein junger Mann von vier- bis fünfundzwanzig Jahren mit schwarzem Haar, welches jetzt, durch das Seewasser an den Schläfen und an den Wangen anklebend, ein von Natur bleiches Gesicht umrahmte, dessen ganze Bewegung und ganzes Leben sich in den Augen zu concentriren schienen, welche übrigens auch vollkommen hinreichten, eine Physiognomie zu beleben, welche ohne die aus diesen Augen zuckenden Blitze aus Marmor gemeißelt zu sein geschienen hätte.

Schwarze, nahe zusammenstehende Augenbrauen verliehen diesem monumentartigen Antlitz einen Ausdruck von unbeugsamem Willen, an welchem Alles, ausgenommen die geheimnißvollen, unwiderstehlichen Machtsprüche des Schicksals, zerschellen mußte.

Hätten die Kleider des jungen Mannes nicht von Wasser getrieft, hätten die Locken seines Haares nicht die Spuren seines Weges durch die schäumenden Wogen getragen, hätte der Sturm nicht gebrüllt wie ein wüthender Löwe, dem seine Beute entronnen ist, so wäre es unmöglich gewesen, auf einer Physiognomie das geringste Anzeichen von Gemüthsbewegung zu lesen, welches verrathen hätte, daß er vor wenigen Augenblicken noch in Todesgefahr geschwebt.

Es war mit einem Worte in jeder Beziehung der Mann, welchen Hector Caraffa versprach, dessen ungestüme Tollkühnheit sich darin gefiel, sich vor dem kalten ruhigen Muthe seines Freundes zu beugen.

Um jetzt das Bildniß dieses jungen Mannes zu vollenden, welcher bestimmt ist, wenn auch nicht die Hauptperson, doch wenigstens eine der Hauptpersonen dieser Geschichte zu werden, wollen wir uns beeilen hinzuzufügen, daß er jenes elegante, heroische und republikanische Costüm trug, welches die Hoche, die Marceau, die Detaix, die Kleber nicht blos historisch, sondern auch unsterblich gemacht haben, und wovon mir bei Gelegenheit des plötzlichen Erscheinens des französischen Gesandten Garat in Sir William Hamiltons Bankettsaale eine so genaue Beschreibung mitgetheilt haben, daß es überflüssig wäre, dieselbe hier zu wiederholen.

Der Leser wird vielleicht im ersten Augenblick meinen, es sei für einen mit geheimen Mittheilungen beauftragten Abgesandten sehr unklug gewesen, in Neapel sich in einem Costüm zu zeigen, welches mehr als eine Uniform, welches ein Symbol war.

Wir müssen jedoch hierauf entgegnen, daß unser Held seit bereits achtundvierzig Stunden Rom verlassen und daher eben so wenig als der General Championnet, dessen Abgesandter er war, Kenntniß von den Ereignissen hatte, die sich in einem Tage durch die Ankunft Nelsons und den unzweideutigen Empfang gehäuft, welchen man ihm angedeihen lassen.

Der junge Officier war scheinbar an den Gesandten, den man noch auf seinem Posten glaubte, als Ueberbringer von Depeschen abgeschickt, und die französische Uniform, die er trug, schien Respect in einem Lande einflößen zu müssen, welches, wie man wußte, im Herzen feindlich gesinnt war, aber wenigstens aus Furcht den Schein einer Freundschaft aufrecht zu erhalten suchen mußte, welche ihm in Ermangelung seiner Sympathie ein kürzlich geschlossener Friedenstractat auferlegte.

Die erste Conferenz des Abgesandten sollte mit den neapolitanischen Patrioten stattfinden, die er sich wohl hüten mußte zu compromittieren, denn wenn auch er durch seine Uniform und durch seine Eigenschaft als Franzose geschützt ward, so wurden doch sie selbst durch nichts geschützt, und das Beispiel Emanuels de Deo, Galinianis und Vitalianos, die auf den bloßen Verdacht eines Einverständnisses mit den französischen Republikanern hin gehängt wurden, bewies, daß die neapolitanische Regierung nur auf die Gelegenheit wartete, um die äußerste Strenge zu entwickeln und daß sie diese Gelegenheit, wenn sich dieselbe darböte, nicht versäumen würde.

Nachdem die Conferenz beendet wäre, sollte sie in allen ihren Einzelheiten dem französischen Gesandten mitgetheilt werden und ihm zur Richtschnur seines Benehmens gegen einen Hof dienen, dessen Treulosigkeit mit Recht in der Neuzeit denselben Ruf gewonnen wie die karthaginiensische Treue im Alterthum.

Wir haben gesagt, mit welchem Eifer ein Jeder dem jungen Officier entgegengeeilt war, und man kann sich denken, welchen Eindruck auf die empfängliche Organisation dieser Männer des Südens diese kaltblütige Tapferkeit machen mußte, welche die Gefahr schon vergessen zu haben schien, als diese kaum erst entschwunden war.

Wie begierig die Verschworenen auch sein mochten, die Neuigkeiten zu erfahren, deren Ueberbringer er war, so verlangten sie doch, daß er vor allen Dingen von Nicolind Caracciolo, der von derselben Körpergröße und Stärke war wie er und dessen Haus in der Nähe des Palastes der Königin Johanna stand,2 einen vollständigen Anzug annehme und diesen gegen seinen vom Seewasser durchnäßten zu vertausche, welcher in Verbindung mit der Frische des Ortes, an welchem man sich befand, für die Gesundheit des Gescheiterten ernste Uebelstände zur Folge haben konnte.

Trotz aller Einwendungen, die er dagegen erhob, mußte er doch nachgeben.

Er blieb demgemäß allein mit seinem Freund Hector Caraffa, der durchaus die Stelle eines Kammerdieners bei ihm vertreten wollte.

Als Cirillo, Manthonnet, Schipani und Nicolino wieder eintraten, fanden sie den strengen republikanischen Officier in einen eleganten Stutzer verwandelt, denn Nicolino Caracciolo gehörte, eben so wie sein Bruder der Herzog von Rocca Romana, zur Zahl der jungen Herren, welche in Neapel die Mode angaben.

Als unser Held die Männer, welche sich auf einen Augenblick entfernt, wieder eintreten sah, ging er seinerseits ihnen entgegen und sagte in vortrefflichem Italienisch:

»Meine Herren, mit Ausnahme meines Freundes Hector Caraffa, welcher die Güte gehabt hat, sich für mich zu verbürgen, kennt mich hier Niemand, während ich im Gegentheile Sie alle als gelehrte Männer oder als erprobte Patrioten kenne. Ihre Namen sind zugleich die Geschichte Ihres Lebens und berechtigen Sie zu dem Vertrauen Ihrer Mitbürger. Mein Name dagegen ist Ihnen unbekannt und Sie wissen von mir wie Caraffa und durch Caraffa blos einige muthige Thaten, welche ich mit den bescheidensten und unbekanntesten Soldaten der französischen Armee gemeinsam habe. Wenn man aber im Begriffe steht, für eine und dieselbe Sache zu kämpfen, für eine und dieselbe Idee sein Leben aufs Spiel zu setzen, ja vielleicht auf einem und demselben Blutgerüste zu sterben, so ist die Pflicht eines redlichen Mannes, sich kennen zu lernen und kein Geheimniß für diejenigen zu haben, die keines für ihn haben. Ich bin Italiener wie Sie, meine Herren, ich bin Neapolitaner wie Sie, nur mit dem Unterschiede, daß Sie zu verschiedenen Epochen Ihres Lebens geächtet und verfolgt worden sind, während ich schon vor meiner Geburt geächtet ward.«

Das Wort »Bruder!« entrang sich Aller Munde, die Hände Aller streckten sich den beiden offenen Händen des jungen Mannes entgegen.

»Die Geschichte meines Lebens oder vielmehr meiner Familie ist eine sehr traurige,« fuhr er fort, indem eine Augen ins Weite hinausblickten, als ob er ein für Alle außer für ihn selbst unsichtbares Phantom suchte. »Sie wird hoffentlich für Sie ein neuer Antrieb sein, die verhaßte Regierung zu stürzen, welche auf unserem Vaterlande lastet.«

 

Er schwieg einen Augenblick und fuhr dann fort:

»Meine ersten Erinnerungen datieren aus Frankreich. Mein Vater und ich, wir bewohnten ein kleines Landhaus, welches ganz allein mitten in einem großen Walde stand. Wir hatten blos einen Diener; wir empfingen Niemandes Besuch; ich entsinne mich nicht einmal mehr des Namens dieses Waldes.

»Oft, am Tage sowohl, als in der Nacht ward mein Vater abgeholt. Er stieg dann zu Pferde, nahm seine chirurgischen Instrumente mit und folgte der Person, welche ihn abrief. Dann erschien er zwei, vier, sechs Stunden, zuweilen erst am nächsten Tage wieder, ohne zu sagen, wo er gewesen war. Erst später erfuhr ich, daß mein Vater Wundarzt war und daß er sich so oft entfernte, um Dienste zu leisten, für welche er niemals Bezahlung annahm.

»Er allein beschäftigte sich mit meiner Erziehung, doch muß ich sagen, daß er mehr auf die Entwicklung meiner körperlichen Kraft und Gewandtheit bedacht war, als auf die meines Geistes.

»Er lehrte mich indessen lesen und schreiben und unterrichtete mich dann in der lateinischen und griechischen Sprache. Wir redeten bald italienisch, bald französisch. Die ganze Zeit, die uns nach diesen verschiedenen Lectionen übrig blieb, ward den Uebungen des Körpers gewidmet.

»Diese bestanden in Reiten, Fechten und Schießen mit Büchse und Pistole.

»Mit zehn Jahren war ich ein vortrefflicher Reiter, eine Schwalbe im Fluge verfehlte ich selten und traf mit meinen Pistolen ein an einem Faden hin- und herbaumelndes Ei fast auf jeden Schuß.

»Ich hatte soeben mein zehntes Jahr zurückgelegt, als wir nach England abreisten. Dort blieb ich zwei Jahre. Während dieser zwei Jahre ward ich im Englischen durch einen Lehrer unterrichtet, den wir ins Haus nahmen und der bei uns aß und schlief. Nach Verlauf von zwei Jahren sprach ich das Englische eben so geläufig wie das Französische und Italienische.

»Ich war etwas über zwölf Jahre alt, als wir England verließen, um nach Deutschland zu reisen. In Sachsen blieben wir. Auf dieselbe Weise, wie ich die englische Sprache gelernt, lernte ich auch die deutsche und nach Verlauf von weiteren zwei Jahren war mir diese letztere Sprache eben so geläufig wie die drei andern.

»Während dieser vier Jahre hatte ich auch meine physischen Studien fortgesetzt. Ich war ein vortrefflicher Reiter, ein Fechter ersten Ranges und hätte dem besten Tiroler Jäger den Preis als Schütze streitig machen können.

»Nie hatte ich meinen Vater gefragt, warum er mich alle diese Studien machen ließ. Ich fand Vergnügen daran und da mein Geschmack mit seinem Willen übereinstimmte, so hatte ich Fortschritte gemacht, die mich selbst angenehm beschäftigten, während sie zugleich ihm zufriedenstellten.

»Uebrigens aber war ich bis jetzt in der Welt umhergewandert, ohne dieselbe eigentlich zu sehen. Ich hatte in drei Ländern gewohnt, ohne sie kennen zu lernen. Mit den Helden des alten Griechenland und des alten Rom war ich genau bekannt, von meinen Zeitgenossen dagegen wußte ich nichts.

»Ich kannte weiter Niemanden als meinen Vater. Mein Vater war mein Gott, mein König, mein Meister, meine Religion. Mein Vater befahl, ich gehorchte. Meine Erkenntnisse und mein Wille kamen von ihm. Von Recht und Unrecht hatte ich für mich selbst nur sehr schwankende Begriffe.

»Ich zählte fünfzehn Jahre, als mein Vater eines Tages zu mir sagte, wie er schon früher zweimal gesagt hatte: »Wir reisen ab.« Es fiel mir nicht einmal ein, ihn zu fragen:

»Wo reisen wir hin?«

»Wir passierten Preußen, den Rheingau, die Schweiz, wir überstiegen die Alpen. Ich hatte erst deutsch, dann französisch gesprochen; plötzlich, als wir am Gestade eines großen Sees anlangten, hörte ich eine neue Sprache reden. Es war die italienische. Ich erkannte meine Muttersprache und zitterte vor Freuden.

»In Genua schifften wir uns ein und in Neapel stiegen wir ans Land. In Neapel hielten wir uns einige Tage auf. Mein Vater kaufte zwei Pferde und schien bei der Wahl derselben mit großer Aufmerksamkeit zu Werke zu gehen.

»Eines Tages kamen zwei herrliche Thiere, Bastarde von der englischen und arabischen Race, in den Stall. Ich versuchte das, welches für mich bestimmt war, und war ganz stolz, Herr eines solchen Thieres zu sein.

»Eines Abends brachen wir von Neapel auf und ritten einen Theil der Nacht hindurch. Gegen zwei Uhr des Morgens langten wir in einem kleinen Dorf an, wo wir Halt machten.

»Hier ruhten wir aus bis um sieben Uhr Morgens.

»Um sieben Uhr frühstückten wir. Ehe wir wieder aufbrachen, sagte mein Vater zu mir: »Salvato, lade deine Pistolen.«

»Dieselben sind schon geladen, mein Vater,« antwortete ich.

»Dann schieße sie ab und lade sie sorgfältig von Neuem, damit sie nicht versagen. Du wirst Dich heute ihrer bedienen müssen.«

»Ich wollte die Pistolen in die Luft abfeuern, ohne weiter etwas zu bemerken, wie ich überhaupt den Befehlen meines Vaters stets blindlings gehorchte. Mein Vater fiel mir jedoch in den Arm.

»Hast Du immer noch eine sichere Hand?« fragte er mich.

»Wünschest Du es zu sehen?«

»Ja.«

»Ein Nußbaum mit glatter Rinde beschattete die andere Seite des Weges. Ich schoß eine meiner Pistolen in den Baum hin ab und doublierte mit der zweiten Kugel die erste so genau, daß mein Vater anfangs glaubte, ich hätte den Baum gefehlt.

»Er stieg vom Pferde und überzeugte sich mit der Spitze eines Messers, daß die beiden Kugeln sich in einem und demselben Loche befanden.

»Gut,« sagte er zu mir. »Jetzt lade deine Pistolen wieder.«

»Es ist bereits geschehen.«

»Nun, dann wollen wir weiterreiten.«

»Ich steckte meine Pistolen in die Holftern und bemerkte, daß mein Vater die seinigen mit frischem Zündkraut versah.

»Gegen elf Uhr Morgens erreichten wir eine Stadt, in welcher sich eine bedeutende Menschenmenge bewegte. Es war Markttag und die Landleute der Umgegend strömten in Massen herbei.

»Wir ließen unsere Pferde im Schritt gehen und erreichten den Platz. Während des ganzen Weges hatte mein Vater sich stumm verhalten. Ich hatte mich darüber weiter nicht gewundert, denn er sprach oft mehrere Tage hinter einander kein Wort.

»Als wir auf dem Marktplatze anlangten, machten wir Halt. Mein Vater hob sich in den Bügeln und ließ die Augen in allen Richtungen umherschweifen.

»Vor einem Café stand eine Gruppe Männer, die besser gekleidet waren als die Andern. In der Mitte dieser Gruppe sprach eine Art Landedelmann von insolentem Aeußern laut, gesticulierte mit einer Reitgerte, die er in der Hand hielt, und machte es sich zum Vergnügen, damit ohne Unterschied auf die Menschen und die Thiere loszuschlagen, welche nahe genug an ihm vorüberkamen.

»Mein Vater berührte mich am Arme. Ich drehte mich nach ihm herum. Er war sehr bleich.

»Was ist Dir, mein Vater?« fragte ich ihn.

»Nichts, « antwortete er. »Siehst Du dort diesen Mann?«

»Welchen?«

»Den mit dem rothen Haar.«

»Ja, ich sehe ihn.«

»Ich werde mich ihm nähern und ihm einige Worte sagen. Wenn ich die Finger zum Himmel emporhebe, wirst Du Feuer geben und ihn mitten in die Stirn schießen. Hört Du wohl? Gerade mitten in die Stirn. – Mach deine Pistole fertig.«

»Ohne zu antworten, zog ich meine Pistole aus der Holfter. Mein Vater näherte sich dem Manne und sagte einige Worte zu ihm. Der Mann ward bleich. Mein Vater sah mich an und richtete den Zeigefinger gegen Himmel.

»Ich gab Feuer, die Kugel traf den Mann mit dem rothen Haar mitten in die Stirn. Er stürzte todt nieder.

»Es erhob sich ein großer Tumult und man wollte uns den Weg versperren; mein Vater aber erhob die Stimme:

»Ich bin Joseph Maggio Palmieri,« sagte er, »und dieser hier,« fügte er hinzu, indem er mit dem Finger auf mich zeigte, »ist der Sohn der Todten!«

»Die Menge öffnete sich vor uns und wir ritten zur Stadt hinaus, ohne daß es Jemanden eingefallen wäre, uns aufzuhalten, oder uns zu verfolgen.

»Sobald wir jedoch einmal aus der Stadt hinaus waren, setzten wir unsere Pferde in Galopp und machten nicht eher Halt, als bis wir das Kloster des Monte Caffino erreicht hatten.

»Am Abend erzählte mein Vater mir die Geschichte, die ich nun Ihnen erzählen will.«

Achtes Capitel.
Das Asylrecht

Der erste Theil der Geschichte, welche der junge Mann so eben erzählt, war seinen Zuhörern so seltsam erschienen, daß sie aufmerksam, stumm und ohne ihn zu unterbrechen zugehört hatten. Ueberdies konnte er aus dem Schweigen, welches sie während der augenblicklichen Pause, die er machte, zu beobachten fortfuhren, das Interesse, welches sie an seiner Erzählung fanden, und den Wunsch abnehmen, das Ende oder vielmehr den Anfang derselben zu hören.

Er zögerte auch nicht seine Erzählung wieder aufzunehmen.

»Unsere Familie,« fuhr er fort, »bewohnte seit undenklichen Zeiten die Stadt Larino in der Provinz Molisa. Ihr Name war Maggio Palmieri. Mein Vater Giuseppe Maggio Palmieri oder vielmehr Giuseppe Palmieri, wie man ihn gewöhnlicher nannte, beendete gegen das Jahr 1778 eine Studien auf der chirurgischen Schule zu Neapel.«

»Ich habe ihn gekannt,« bemerkte Domenico Cirillo. »Er war ein wackerer und redlicher junger Mann und einige Jahr jünger als ich. Gegen 1771 kehrte er in seine Provinz zurück. Es war dies um dieselbe Zeit, wo ich zum Professor ernannt ward. Nach Verlauf einiger Zeit hörten wir, er habe sich in Folge eines Zwistes mit seinem Gutsherrn, eines Zwistes, bei welchem Blut geflossen, genöthigt gesehen, das Land zu verlassen.«

»Seien Sie gesegnet und geehrt,« sagte Salvato, sich verneigend, »Sie, der Sie meinen Vater gekannt und ihm vor seinem Sohn Gerechtigkeit widerfahren lassen.«

»Erzählen Sie weiter, erzählen Sie weiter, sagte Cirillo. »Wir hören Sie.«

»Ja, erzählen Sie weiter!« wiederholten die andern Geschworenen wie aus einem Munde.

»Also gegen das Jahr 1771, wie so eben gesagt worden, verließ Giuseppe Palmieri, mit dem Doctordiplom versehen, Neapel. Er stand bereits im Rufe großer Geschicklichkeit, welche mehrere schwierige, von ihm mit großem Glück ausgeführte Curen außer allen Zweifel stellten.

»Er liebte ein junges Mädchen in Larino. Dieselbe hieß Louisa Angiolina Ferri. Schon vor ihrer zeitweiligen Trennung verlobt, hatten die Liebenden einander drei Jahre lang unverbrüchliche Treue bewahrt und ihre Vermählung sollte das Hauptfest der Rückkehr sein.

»Während der Abwesenheit meines Vaters war jedoch ein Ereigniß geschehen, welches ein Unglück zu nennen war. Der Graf von Molisa hatte sich in Angiolina Ferri verliebt. Sie, die Sie dieses Land bewohnen, wissen besser als ich, was für Menschen unsere Edelleute in der Provinz sind und wie es mit den Rechten steht, welche sie von ihrer Feudalgewalt herleiten. Eines dieser Rechte war auch das, daß sie ihren Gutsumterthanen die Erlaubniß, sich zu verheiraten, je nach ihrem Gutdünken gewähren oder versagen konnten.

»Weder Giuseppe Palmieri noch Angiolina Ferri waren aber Unterthanen des Grafen von Molisa. Beide waren frei geboren und unabhängig, ja noch mehr, mein Vater konnte sich in Folge seines Vermögens fast als dem Grafen ebenbürtig betrachten.

»Dieser hatte Alles – Drohungen eben so wie Versprechungen – aufgeboten, um von Angiolina auch nur einen Blick zu erlangen. Alles war an einer Keuschheit gescheitert, deren Symbol der Name des jungen Mädchens zu sein schien.

»Der Graf gab ein großes Fest und lud sie mit zu demselben ein. Während dieses Festes, welches nicht blos in dem Schloß, sondern auch in den Gärten des Grafen statt finden sollte, wollte sein Bruder, der Baron Bongano, Angiolina entführen und fiel auf das andere Ufer des Tortore in das Schloß Tragonara bringen.

»Angiolina, die wie alle Damen von Larino eingeladen worden, schützte eine Unpäßlichkeit vor, um dem Feste nicht beiwohnen zu müssen, am nächstfolgenden Tage schickte der Graf von Molisa, der nun alle Selbstbeherrschung verlor, seine Campieri ab, um die junge Dame mit Gewalt entführen zu lassen.

»Angiolina hatte, während die Leute des Grafen die Hausthür aufsprengten, nur eben noch Zeit, durch die Gartenthür in den bischöflichen Palast zu fliehen, einen Ort, der an und für sich schon und durch die Nähe der Kathedrale doppelt geheiligt war.

»Aus diesem Grunde genoß er das Asylrecht.

»Auf diesem Punkte waren die Dinge angelangt, als Giuseppe Palmieri nach Larino zurückkam.

»Der bischöfliche Stuhl war damals zufällig erledigt. Ein Vicar vertrat die Stelle des Bischofs. Giuseppe Palmieri begab sich zu diesem Vicar, einem alten Freunde seiner Familie, und die Vermählung ward heimlich in der Capelle des bischöflichen Palastes vollzogen.

 

»Der Graf von Molisa erfuhr, was geschehen war, trotz seiner Wuth aber respektierte er die Vorrechte des Ortes. Dabei aber umstellte er den ganzen Palast mit Bewaffneten, welche beauftragt waren, alle Einpassirenden, ganz besonders aber alle Auspassierenden genau zu überwachen.

»Mein Vater wußte recht wohl, daß diese Bewaffneten ganz besonders seinetwegen dastanden, und daß für seine Gattin die Ehre, für ihn aber das Leben auf dem Spiele stand.

»Auf ein Verbrechen kommt es unseren Edelleuten nicht an. Der Straflosigkeit sicher, hatte der Graf von Molisa schon seit langer Zeit aufgehört, ein Register über die Meuchelmorde zu führen, welche er selbst verübt, oder durch seine Sbirren hatte verüben lassen.

»Die Leute des Grafen hielten gut Wache. Man sagte, daß Angiolina lebend mit zehntausend und mein Vater todt mit fünftausend Ducaten bezahlt werden würde.

»Mein Vater blieb eine Zeit lang in dem bischöflichen Palast versteckt; unglücklicherweise aber war er nicht der Mann, der einen solchen Zwang lange ertragen konnte. Seiner Gefangenschaft überdrüssig, beschloß er eines Tages seinem Verfolger den Garaus zu machen.

»Nun hatte der Graf von Molisa die Gewohnheit, alle Tage eine oder zwei Stunden vor dem Ave Maria seinen Palast zu Wagen zu verlassen und eine Spazierfahrt bis an das Capuzinerkloster zu machen, welches ungefähr zwei Meilen von der Stadt entfernt war. Hier angelangt, befahl der Graf seinem Kutscher allemal, wieder nach dem Palast zurückzufahren; der Kutscher lenkte um und es ging dann in kurzem Trabe, beinahe im Schritt, nach der Stadt zurück.

»Auf der Mitte des Weges von Larino nach dem Kloster befindet sich der Brunnen des heiligen Pardo, des Schutzpatrones dieser Gegend, und hie und da um den Brunnen herum gibt es Strauchwerk und Hecken.

»Giuseppe Palmieri verließ den bischöflichen Palast in Mönchskleidung und täuschte die Wachsamkeit aller ihm auflauernden Verfolger.

»Unter seiner Kutte hielt er ein paar Degen und ein paar Pistolen verborgen.

»An dem Brunnen des heiligen Pardo angelangt, fand er den Ort günstig gelegen. Er machte Halt und versteckte sich hinter einer Hecke.

»Der Wagen des Grafen kam vorüber. Er ließ ihn fahren. Es war noch eine Stunde Tag.

»Eine halbe Stunde später hörte er das Rollen des zurückkommenden Wagens. Nun warf er sein Mönchsgewand ab und stand in seinen gewöhnlichen Kleidern da.

»Der Wagen näherte sich. Mit der einen Hand faßte Giuseppe Palmieri die entblößten Degen, mit der andern die gespannten Pistolen und stellte sich mitten auf die Straße.

»Als der Kutscher diesen Mann, von dem er schlimme Absichten vermuthete, erblickte, lenkte er die Pferde ein wenig seitwärts, mein Vater aber brauchte nur eine kleine Bewegung zu machen, um sich den Pferden gegenüber zu befinden.

»Wer bist Du und was willst Du?« fragte der Graf indem er sich in seinem Wagen erhob.

»Ich bin Giuseppe Maggio Palmieri,« antwortete ihm mein Vater, »ich will dein Leben.«

»Versetze diesem Schurken einen Peitschenhieb über das Gesicht und fahr zu!« sagte der Graf zu einem Kutscher.

Dann warf er sich wieder in seinen Wagen zurück.

»Der Kutscher hob die Peitsche, ehe dieselbe aber niederfallen konnte, drückte mein Vater eines seiner Pistolen auf ihn ab. Der Kutscher stürzte von seinem Sitz zur Erde herab.

»Die Pferde blieben unbeweglich stehen. Mein Vater trat an den Wagen und öffnete den Schlag.

»Ich komme nicht hierher, um Dich zu ermorden, obschon ich das Recht dazu hätte, weil ich mich im Fall gerechter Nothwehr befinde, sondern um mich ehrlich mit Dir zu schlagen, sagte er zu dem Grafen. »Wähle!! hier sind zwei Degen von gleicher Länge, hier sind auch zwei Pistolen. Von diesen beiden Pistolen ist blos noch eine geladen. Es wäre dies ein wahrhaftes Gottesurtheil.«

»Und mit einer Hand bot er ihm die beiden Degengriffe, mit der andern die beiden Pistolenholftern.

»Mit einem Untergebenen schlägt man sich nicht, sagte der Graf. »Man prügelt ihn einfach durch.«

»Und einen Stock hebend, schlug er meinen Vater ins Gesicht. Mein Vater ergriff die noch geladene Pistole und schoß dem Grafen die Kugel durchs Herz.

»Der Graf zuckte kein Glied und stieß keinen Laut aus. Er war todt.

»Mein Vater legte ein Mönchsgewand wieder an, steckte seine Degen in die Scheide, lud seine Pistolen wieder und kehrte ebenso unbemerkt in den bischöflichen Palast zurück, als wie er denselben verlassen.

»Was die Pferde betraf, so setzten sie sich, als sie sich frei fühlten, von selbst wieder in Bewegung, und da sie den Weg, den sie täglich zweimal zurücklegten, ganz genau kannten, so kehrten sie nach dem Palast des Grafen zurück. Seltsamerweise aber setzten sie, anstatt vor der hölzernen Brücke stehen zu bleiben, welche nach dem Thor des Schlosses führte, als ob sie gewußt hätten, daß jetzt nicht mehr ein Lebender, sondern ein Todter im Wagen saß, ihren Weg weiter fort und blieben erst an der Schwelle einer kleinen Kirche stehen, die unter dem Schutze des heiligen Franciscus stand und in welcher der Graf, wie er wiederholt gesagt, begraben zu sein wünschte.

»In der That ließ auch die Familie des Grafen, welche diesen Wunsch kannte, seine Leiche in dieser Kirche bestatten und errichtete ihm ein Grabmal.

»Dieser Vorfall machte großes Aufsehen. Der zwischen meinem Vater und dem Grafen bestandene Zwist war allgemein bekannt, und es versteht sich von selbst, daß mein Vater alle Sympathien für sich hatte. Niemand zweifelte, daß er der Urheber des Mordes sei, und als ob er selbst wünschte, daß man nicht daran zweifle, hatte er der Witwe des Kutschers eine Summe von zehntausend Francs zustellen lassen.

»Der jüngere Bruder des Grafen erbte das ganze Vermögen, erklärte sich aber auch gleichzeitig zum Erben seiner Rache. Er war es, welcher Angiolina entführen helfen gewollt. Er war ein Elender, der mit einundzwanzig Jahren schon drei oder vier Mordthaten begangen. Was die von ihm außerdem verübten Gewaltthaten betraf, so waren dieselben gar nicht zu zählen.

»Er schwur, daß dieser Schuldige ihm nicht entrinnen solle, verdoppelte die Zahl der Wächter, welche den bischöflichen Palast umringt hielten, und übernahm selbst das Commando derselben.

»Maggio Palmieri fuhr fort sich in dem bischöflichen Palast verborgen zu halten. Seine Familie und die seiner Gattin brachten ihnen Alles, was sie an Lebensmitteln und Kleidungsstücken brauchten.

»Angiolina war im fünften Monat schwanger. Die beiden jungen Ehegatten lebten nur sich und ihrer Liebe und waren so glücklich, als man es ohne die Freiheit sein kann.

»So vergingen zwei Monate. Der 26. Mai war da, der Tag, wo man in Larino das Fest des heiligen Pardo feiert, welcher, wie ich schon bemerkt habe, der Schutzpatron dieser Stadt ist.

»An diesem Tage findet eine große Prozession statt. Die Besitzer von Meiereien schmücken ihre Wagen mit Draperien, Guirlanden, Kränzen und Fähnchen von allen Farben, und bespannen sie mit Stieren, deren Hörner vergoldet und die mit Blumen und Bändern bedeckt sind.

»Diesen Wagen folgt die Prozession, welche, von der ganzen Bevölkerung von Larino und den umliegenden Dörfern begleitet und das Lob des Heiligen singend, die Büste desselben durch die Straßen trägt.

»Nun mußte diese Prozession, um in die Kathedrale zu gelangen, oder um dieselbe zu verlassen, an dem bischöflichen Palast vorbei, welcher den beiden jungen Leuten zur Freistätte diente.

»In dem Augenblick, wo die Prozession und das Volk, auf dem großen Platze der Stadt Halt machend, singend den Wagen umtanzte, näherte Angiolina, an den Gottesfrieden glaubend, sich dem Fenster – eine Unklugheit, vor welcher ihr Gatte sie doch wohlmeinend gewarnt hatte.

»Das Unglück wollte, daß der Bruder des Grafen diesem Fenster gerade gegenüber auf dem Marktplatze stand. Er erkannte Angiolina durch die Fensterscheibe hindurch, entriß einem Soldaten das Gewehr, legte an und gab Feuer.

»Angiolina stieß nur einen Schrei aus und sprach nur zwei Worte: »Mein Kind!«

»Bei dem Knall des Schusses, bei dem Klirren des zersplitterten Fensters, bei dem durch seine Gattin ausgestoßenen Ruf eilte Giuseppe Palmieri eben noch früh genug herbei, um sie in seinen Armen aufzufangen.

»Die Kugel hatte Angiolina gerade mitten in die Stirn getroffen.

»Außer sich vor Schmerz faßte ihr Gatte sie in seine Arme, trug sie auf ihr Bett, neigte sich über sie, und bedeckte sie mit Küssen. Alles aber war umsonst. Sie war todt.

2Der Verfasser hat denselben Nicolino Caracciolo, von welchem hier die Rede ist, persönlich gekannt. Derselbe bewohnte noch im Jahre 1860 dieses Haus, wo er 1863 in einem Alter von dreiundachtzig Jahren starb.
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