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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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»Ich danke abermals,« sagte Sebastian mit einer noch sanfteren Stimme, denn er hatte die Zartheit dieses Vorschlags begriffen; »ich danke, ich will Sie seiner Dienste nicht berauben.«

Man brauchte sich nur noch zu verständigen, die Friedenspräliminarien waren gestellt.

»Nun wohl, thun Sie etwas, was noch besser, als alles dies, Sebastian, steigen Sie bei mir hinten auf. Der Tag bricht an; um zehn Uhr diesen Morgen werden wir in Dammartin, das heißt aus dem halben Wege sein. Wir lassen dort unsere Pferde, welche uns nicht weiter bringen sollen, unter der Obhut von Baptist, und wir nehmen eine Postchaise, die uns nach Paris bringen wird. Dies gedachte ich zu thun, und es ändert sich also durch Sie nichts in meinen Anordnungen.«

»Ist das wirklich wahr, Herr Isidor?«

»Bei meinem Ehrenwort!«

»Dann . . .machte der junge Mensch zögernd, aber zugleich sterbend vor Begierde, den Vorschlag anzunehmen.

»Steige ab, Baptist, und hilf Herrn Sebastian aufsteigen.«

»Ich danke, das ist unnöthig, Herr Isidor,« versetzte Sebastian; und behende wie ein Schüler, sprang er aus das Kreuz des Pferdes von Charny.

Dann entfernten sich die drei Menschen und die zwei Pferde im Galopp und verschwanden bald aus der Steige von Gondreville.

IX
Die Erscheinung

Die drei Reiter hatten ihren Weg, wie es verabredet war, zu Pferde bis Dammartin verfolgt.

Sie kamen nach Dammartin gegen zehn Uhr.

Alle hatten das Bedürfniß, etwas zu sich zu nehmen; überdies mußte man sich nach einem Wagen und Postpferden erkundigen.

Während man das Frühstück Isidor und Sebastian vorsetzte, – welche, Sebastian von Bangigkeit, Isidor von Traurigkeit erfüllt, nicht ein Wort gewechselt hatten, – besorgte Baptist die Pferde seines Herrn und war bemüht, eine Carriole und Postpferde zu finden,

Um Mittag war das Frühstück beendigt, und die Pferde warteten mit der Carriole vor der Thüre.

Nur wußte Isidor, der immer in seinem Wagen mit der Post gereist war, nicht, daß man, wenn man mit den Wagen der Post reist, auf jeder Station damit wechseln muß.

So kam es, daß die Postmeister, welche strenge die Vorschriften beobachten ließen, aber sich wohl hüteten, sie selbst zu beobachten, nicht immer Wagen in ihren Remisen und Pferde in ihren Ställen hatten.

Dem zu Folge waren die Reisenden, welche um die Mittagsstunde von Dammartin abgingen, erst um halb fünf Uhr bei der Barriere und erst um fünf Uhr Abends bei den Thoren der Tuilerien.

Hier mußte man sich anerkennen lassen. Herr von Lafayette hatte sich aller Posten bemächtigt und bewachte in diesen unruhigen Zelten, da er sich für die Person des Königs gegen die Nationalversammlung verantwortlich gemacht, Ludwig XVI, mit aller Gewissenhaftigkeit.

Als aber Charny sich nannte, als er sich aus den Namen seines Bruders berief, ebneten sich die Schwierigkeiten, und man führte Isidor und Sebastian in den Schweizerhof ein, von wo sie in den mittleren Hof gelangten.

Sebastian wollte sich aus der Stelle nach der Rue Saint-Honoré und in das Haus, das sein Vater bewohnte, führen lassen. Isidor bemerkte ihm aber, da der Doctor Gilbert Arzt des Königs sei, so werde man beim König besser als irgendwo erfahren, wie es ihm ergangen.

Sebastian, der vollkommen verständig war, stimmte mit diesem Schlusse überein und folgte Isidor.

Obgleich man am Tage vorher erst angekommen, hatte man doch schon eine gewisse Etiquette im Palaste der Tuilerien festgestellt. Isidor wurde aus der Ehrentreppe eingeführt, und ein Huissier ließ ihn in einem großen, grau ausgeschlagenen Saale warten, den nur schwach zwei Candelaber erleuchteten.

Der übrige Palast war in eine Halbdunkelheit versunken; da der Palast immer durch Privatleute bewohnt worden war, so hatte man die großen Beleuchtungen, welche einen Theil des königlichen Luxus bilden, vernachlässigt.

Der Huissier sollte sich zugleich nach dem Herrn Grafen von Charny und nach dem Doctor Gilbert erkundigen.

Das Kind setzte sich auf ein Canapé, Isidor ging auf und ab.

Nach zehn Minuten erschien der Huissier wieder.

Der Herr Graf von Charny befand sich bei der Königin.

Was den Doctor Gilbert betrifft, so war ihm nichts begegnet; man glaubte sogar, doch ohne sich dafür verbürgen zu können, er sei beim König, – denn der König hatte sich, wie der Kammerdiener vom Dienste geantwortet, mit seinem Arzte eingeschlossen.

Nur, da der König vier Aerzte, welche im Dienste abwechselten, und seinen gewöhnlichen Arzt hatte, wußte man nicht, ob der mit Seiner Majestät eingeschlossene Arzt Herr Gilbert war.

Sollte er es sein, so würde man ihn bei seinem Abgange benachrichtigen, es warte Jemand auf ihn in den Vorzimmern der Königin.

Sebastian athmete frei; er hatte also nichts mehr zu befürchten, sein Vater lebte und war gesund und unversehrt.

Er ging zu Isidor und dankte ihm, daß er ihn geführt hatte.

Isidor umarmte ihn weinend.

Der Gedanke, daß Sebastian seinen Vater wiedergefunden, machte ihm den Bruder, den er verloren hatte und nicht wiederfinden würde, noch theurer.

In diesem Augenblick öffnete sich die Thüre; ein Huissier rief:

»Der Herr Vicomte von Charny?«

»Das bin ich,« antwortete Isidor vortretend.

»Man verlangt nach dem Herrn Vicomte bei der Königin,« sagte der Huissier, aus die Seite tretend.

»Nicht wahr, Sebastian,« sprach Isidor, »Sie werden auf mich warten, wenn nicht etwa der Herr Doctor Gilbert Sie holt?  . . . Bedenken Sie, daß ich für Sie bei Ihrem Vater verantwortlich bin.«

»Ja, mein Herr,« erwiederte Sebastian, »und mittlerweile empfangen Sie noch einmal meinen Dank.«

Isidor folgte dem Huissier, und die Thüre schloß sich.

Sebastian nahm wieder seinen Platz aus dem Canapé.

Ruhig über die Gesundheit des Vaters, ruhig über sich selbst, sicher, es würde ihm vom Doctor der Absicht wegen verziehen werden, wandte sich sein Geist zum Abbé Fortier und zu Pitou zurück, und er dachte an die Besorgniß, welche dem Einen seine Flucht, dem Andern sein Brief bereiten würde.

Er begriff sogar nicht, wie bei allem Verzug, den sie unter Wegs erlitten hatten, Pitou, der nur den Zirkel seiner langen Beine zu öffnen brauchte, um so schnell zu gehen als die Post, sie noch nicht eingeholt.

Und, durch den einfachen Mechanismus der Ideen, dachte er ganz natürlich, indem er an Pitou dachte, an seinen gewöhnlichen Rahmen, das heißt, an jene großen Bäume, an jene schattigen Wege, an jene bläulichen Fernen, welche die Horizonte der Wälder schließen; dann, durch eine stufenweise Verkettung, erinnerte er sich der seltsamen Visionen, welche ihm zuweilen unter diesen großen Bäumen, in der Tiefe dieser ungeheuren Gewölbe erschienen.

Er dachte an die Frau, die er so oft im Traume und nur einmal, er glaubte es wenigstens, in Wirklichkeit gesehen, am Tage, wo er sich im Walde von Satory erging, und wo diese Frau kam, vorüberzog und verschwand wie eine Wolke, entführt in einer prächtigen Caleche durch den Galopp zweier herrlicher Pferde.

Und er erinnerte sich der tiefen Gemüthserschütterung, welche dieser Anblick immer bei ihm verursachte, und halb in diesen Traum versunken, murmelte er leise:

»Meine Mutter! meine Mutter! meine Mutter!«

Plötzlich öffnete sich die Thüre wieder, die sich hinter Isidor von Charny geschlossen hatte. Diesmal erschien eine Frau.

Durch Zufall waren die Augen des Kindes auf diese Thüre im Momente der Erscheinung gerichtet.

Die Erscheinung stand so gut im Einklang mit dem, was in seinem Geiste vorging, daß das Kind bebte, da es seinen Traum sich durch ein wirkliches Geschöpf beleben sah.

Doch es war noch ganz anders, als Sebastian in der Frau den Schatten und die Wirklichkeit erkannte: den Schatten seiner Träume, die Wirklichkeit von Satory.

Er richtete sich ganz gerade auf, als ob ihn eine Feder aus seine Füße gestellt hätte.

Seine Lippen thaten sich aus, sein Auge vergrößerte sich, sein Augenstern erweiterte sich.

Seine keuchende Brust versuchte es vergebens, einen Ton zu bilden.

Die Frau ging majestätisch, stolz, kalt, hoffärtig, ohne ihm eine Aufmerksamkeit zu schenken, vorbei.

So ruhig sie äußerlich zu sein schien, so mußte doch diese Frau mit den zusammengezogenen Brauen, mit der bleichen Gesichtsfarbe, mit dem pfeifenden Athem unter einer gewaltigen Nervenerregung leiden.

Sie durchschritt schräge den Saal, öffnete die Thüre der entgegengesetzt, durch welche sie erschienen war, und entfernte sich in den Corridor.

Sebastian begriff, sie würde ihm abermals entschlüpfen, wenn er sich nicht beeilte. Er schaute mit einer erschrockenen Miene, als wollte er sich der Wirklichkeit ihres Durchzugs versichern, die Thüre an, durch welche sie eingetreten, die Thüre, durch welche sie abgegangen, und stürzte auf ihrer Spur nach, ehe die Schleppe ihres seidenen Kleides an der Ecke des Corridors verschwunden war.

Doch sie, da sie Schritte hinter sich hörte, ging schneller, als hätte sie verfolgt zu werden befürchtet.

Sebastian beschleunigte seinen Lauf, so sehr er konnte; der Corridor war düster; er befürchtete, auch diesmal könnte die theure Erscheinung entfliehen.

Sie, da sie die Schritte immer näher kommen hörte, lief doppelt so rasch, während sie sich umwandte.

Sebastian gab einen schwachen Freudenschrei von sich: sie war es, immer sie.

Die Frau ihrerseits, welche einen Knaben mit ausgestreckten Armen ihr folgen sah, ohne etwas von dieser Verfolgung zu begreifen, kam oben aus eine Treppe und eilte die Stufen hinab.

Doch kaum war sie einen Stock hinabgestiegen, als Sebastian ebenfalls am Ende des Corridors erschien und: »Madame! Madame!« rief.

Diese Stimme brachte eine seltsame Empfindung im ganzen Wesen der jungen Frau hervor; es schien ihr, ein Schlag, halb schmerzlich, halb wohlthuend, habe sie im Herzen getroffen und verbreite, mit dem Blute durch die Adern laufend, einen Schauer durch ihren ganzen Körper.

 

Und dennoch, da sie weder den Ruf, noch die Gemüthsbewegung, welche sie erfaßte, begriff, verdoppelte sie ihre Schritte und ging vom Laufen gewisser Maßen in die Flucht über.

Doch sie hatte nicht mehr genug Vorsprung vor dem Kinde, um ihm zu entgehen.

Sie kamen beinahe miteinander unten an die Treppe.

Die junge Frau stürzte in den Hof; ein Wagen erwartete sie hier, ein Bedienter hielt den Schlag des Wagens offen.

Sie stieg rasch ein und setzte sich.

Doch ehe man den Schlag wieder geschlossen hatte, war Sebastian zwischen den Bedienten und diesen Schlag geschlüpft; er ergriff das Untertheil des Kleides der Flüchtigen, küßte es voll Leidenschaft und rief:

»Oh! Madame! oh! Madame!«

Die junge Frau schaute nun den reizenden Knaben an, der sie Anfangs erschreckt hatte, und mit einer Stimme sanfter, als sie gewöhnlich war, obgleich diese Stimme noch eine Mischung von Aufregung und Furcht beibehalten hatte, sagte sie:

»Nun! mein Freund, warum laufen Sie mir nach? warum rufen Sie mich? was wollen Sie von mir?«

»Ich will Sie sehen,« antwortete das Kind ganz keuchend, »ich will Sie küssen.«

Und leise genug, daß es nur die junge Frau hören konnte fügte er bei:

»Ich will Sie meine Mutter nennen.«

Die junge Frau stieß einen Schrei aus, nahm den Kopf des Kindes in ihre beiden Hände, zog ihn, wie durch eine plötzliche Eingebung bewogen, rasch an sich und drückte ihre glühenden Lippen aus seine Stirne.

Dann, als befürchtete sie, es könnte Jemand kommen und ihr den Knaben nehmen, den sie soeben wiedergefunden, hob sie ihn zu sich empor, bis er ganz im Wagen war, schob ihn auf die entgegengesetzte Seite, schloß selbst den Schlag, ließ das Fenster nieder, das sie sogleich wieder aufzog, und sagte:

»Zu mir, Rue Coq-Héron Nr. 9, am ersten Thorweg von der Rue Platrière aus.«

Und sie wandte sich gegen das Kind um und fragte:

»Dein Name?«

»Sebastian.«

»Ah! komm, Sebastian, komm hierher . . .hierher, an mein Herz!l«

Dann warf sie sich zurück, als wäre sie einer Ohnmacht nahe, und murmelte:

»Oh! was für eine unbekannte Empfindung ist denn das? Sollte es das sein, was man das Glück nennt?«

X
Der Pavillon von Andrée

Der Weg war nur ein zwischen der Mutter und dem Sohne ausgetauschter langer Kuß.

Der Pavillon von Andrée.


Also dieser Knabe, – ihr Herz zweifelte nicht einen Augenblick, daß er es sei, – dieser Knabe, der ihr in einer erschrecklichen Nacht, in einer Nacht der Bangigkeiten und der Schande geraubt worden war; dieser Knabe, der verschwunden war, ohne daß der Räuber eine andere Spur, als die seiner Fußstapfen im Schnee zurückließ; dieser Knabe, den sie Anfangs gehaßt, verflucht, so lange sie nicht seinen ersten Schrei gehört, sein erstes Wimmern aufgefaßt hatte; dieser Knabe, den sie gerufen, gesucht, zurückverlangt, den ihr Bruder in der Person von Gilbert bis auf den Ocean verfolgt hatte; dieser Knabe, den sie fünfzehn Jahre beklagt hatte, welchen je wiederzusehen sie verzweifelt war, an den sie nur noch dachte, wie man an einen geliebten Todten, an einen theuren Schatten denkt; dieser Knabe findet sich da, wo sie ihn am wenigsten zu treffen erwarten durfte, plötzlich durch ein Wunder wieder, durch ein Wunder erkennt er sie, läuft er ihr nach, verfolgt sie, nennt sie seine Mutter! diesen Knaben hält sie an ihrem Herzen, drückt sie an ihre Brust! ohne sie je gesehen zu haben, liebt er sie mit einer kindlichen Liebe, wie sie ihn mit einer mütterlichen Liebe liebt! ihre, von jedem Kusse reine, Lippe findet alle Freuden ihres verlorenen Lebens in dem ersten Kusse wieder, den sie ihrem Kinde gibt!

Es gab also über dem Haupte der Menschen etwas mehr als den leeren Raum, in dem die Welten rollen; es gab also im Leben der Menschen etwas Anderes, als den Zufall und das Verhängniß.

»Rue Coq-Héron, Nr. 9, am ersten Thorweg von der Rue Plattiere aus,« hatte die Gräfin von Charny gesagt.

Seltsames Zusammentreffen, das nach Verlauf von vierzehn Jahren das Kind in dasselbe Haus zurückführte, wo es geboren worden, wo es den ersten Hauch des Lebens eingeathmet hatte, und wo es von seinem Vater geraubt worden war!

Dieses kleine Haus, einst vom alten Baron von Taverney erkauft, als mit der großen Gunst, mit der die Königin seine Familie beehrte, einiger Wohlstand in die Verhältnisse des Barons wiedergekehrt war, hatte Philipp von Taverney behalten, und es wurde von einem alten Concierge bewacht, den die ehemaligen Eigenthümer mit dem Hause verkauft zu haben schienen. Es diente als Absteigequartier für den jungen Mann, wenn er von seinen Reisen zurückkam, oder für die junge Frau, wenn sie in Paris übernachtete.

Nach der letzten Scene, welche Andrée mit der Königin gehabt nach der Nacht, die sie in ihrer Nähe zugebracht, hatte Andrée beschlossen, sich von dieser Nebenbuhlerin zu entfernen, welche ihr den Gegenschlag von jedem ihrer Schmerzen zusandte, und bei der die Mißgeschicke der Königin, so groß sie waren, immer noch unter den Herzensbeklemmungen und Befürchtungen der Frau waren.

Schon am Morgen hatte sie ihre Dienerin nach dem Hanse der Rue Coq-Héron mit dem Befehle geschickt, den Pavillon in Bereitschaft zu setzen, der, wie man sich erinnert, aus einem Vorzimmer, einem kleinen Speisezimmer, einem Salon und einem Schlafzimmer bestand.

Früher hatte Andrée, um Nicole neben sich unterzubringen, aus dem Salon ein zweites Schlafzimmer gemacht: doch seitdem diese Nothwendigkeit verschwunden, war jedes Zimmer seiner ursprünglichen Bestimmung zurückgegeben worden, und die Kammerfrau, welche den untern Theil ganz ihrer Gebieterin überließ, die übrigens selten und immer allein hierher kam, hatte sich zu einer kleinen, im Dache angebrachten Mansarde bequemt.

Andrée hatte sich also bei der Königin, daß sie das Zimmer in der Nähe des ihrigen nicht behalte, damit entschuldigt, daß die Königin, welche so enge wohne, mehr einer ihrer Kammerfrauen, als einer Person bedürfe, welche nicht speciell ihrem Dienste zugetheilt sei.

Die Königin hatte nicht daraus gedrungen, Andrée bei sich zu behalten, oder sie hatte wenigstens nur so weit die Schicklichkeit es erheischte, daraus gedrungen, und als Nachmittags gegen vier Uhr die Kammerfrau erschien und Andrée meldete, der Pavillon sei bereit, hatte sie ihr befohlen, auf der Stelle nach Versailles abzugehen und ihre Effecten, welche sie in der Hast der Abreise in der Wohnung, die sie im Schlosse inne gehabt, zurückgelassen, zusammenzupacken und ihr am andern Tage diese Effecten nach der Rue Coq-Héron zu bringen.

Um fünf Uhr halte die Gräfin von Charny dem zu Folge die Tuilerien verlassen, wobei sie als einen genügenden Abschied die paar Worte betrachtete, die sie am Morgen der Königin gesagt, da sie ihr die Verfügung über das Zimmer, welches sie eine Nacht inne gehabt, zurückgab.

Als sie aus dem Gemache der Königin, oder vielmehr aus dem an das Gemach der Königin anstoßenden Zimmer wegging, hatte sie den grünen Salon, wo Sebastian wartete, durchschritten, war sie, verfolgt von ihm, durch die Corridors geflohen, bis zu dem Augenblick, wo ihr Sebastian in den Fiacre nachgestürzt war, der, zum Voraus von der Kammerfrau bestellt, sie vor dem Thore der Tuilerien, im Prinzenhofe erwartete.

Alles trug so dazu bei, für Andrée aus diesem Abend einen glücklichen Abend zu machen, den nichts stören sollte. Statt in ihrer Wohnung in Versailles oder in ihrem Zimmer in den Tuilerien, wo sie dieses so wunderbar wiedergefundene Kind nicht hätte empfangen können, wo sie wenigstens sich nicht dem ganzen Ergusse ihrer mütterlichen Liebe hätte hingeben können, befand sie sich in einem ihr gehörigen Hause, in einem abgesonderten Pavillon, ohne Bedienten, ohne Kammerfrau, ohne einen fragenden Blick!

Sie gab auch mit einem Ausdruck tief gefühlter Freude die von uns oben erwähnte Adresse, welche den Stoff zu dieser ganzen Abschweifung geliefert hat.

Es schlug sechs Uhr, als sich der Thorweg auf den Ruf des Kutschers öffnete und der Fiacre vor der Thüre des Pavillon anhielt.

Andrée wartete nicht einmal, bis der Kutscher von seinem Bocke stieg; sie öffnete den Schlag und sprang, Sebastian nach sich ziehend, aus die erste Stufe der Freitreppe.

Dann gab sie geschwinde dem Kutscher ein Geldstück vom doppelten Werthe dessen, was sie ihm schuldig war, und eilte, immer den Knaben an der Hand haltend, in das Innere des Pavillon, nachdem sie sorgfältig die Thüre des Vorzimmers geschlossen hatte.

Im Salon angelangt, blieb sie stehen.

Der Salon war nur durch das im Herde brennende Feuer und durch zwei aus dem Kamin angezündete Kerzen beleuchtet.

Andrée zog ihren Sohn auf eine Art von Causeuse fort, wo sich das doppelte Licht concentrirte.

Dann rief sie mit einem Freudenausbruch, in welchem noch ein letzter Zweifel zitterte:

»Oh! mein Kind, mein Kind, Du bist es also wirklich?«

»Meine Mutter!« erwiederte Sebastian mit einem Ergusse des Gemüths, der sich wie ein mildernder Thau aus dem springenden Herzen und den fieberhaften Adern von Andrée verbreitete.

»Und hier, hier,« rief Andrée umherschauend, da sie sich in demselben Salon befand, wo sie Sebastian geboren, mit Angst und Schrecken dieses Zimmer betrachtend, wo er ihr geraubt worden war.

»Hier,« wiederholte Sebastian, »was will dies besagen, meine Mutter?«

»Dies will besagen, mein Kind, daß Du vor bald fünfzehn Jahren hier in diesem Zimmer, wo wir sind, geboren worden bist, und daß ich die Barmherzigkeit des allmächtigen Gottes preise, der Dich nach Verlauf von fünfzehn Jahren so wunderbar zurückgeführt hat.«

»Oh! ja, wunderbar,« sprach Sebastian; »denn hätte ich nicht für das Leben meines Vaters gefürchtet, so wäre ich nicht allein und bei Nacht nach Paris abgegangen; wäre ich nicht allein und bei Nacht nach Paris abgegangen, so würde ich nicht verlegen gewesen sein, zu erfahren, welchen von den zwei Wegen ich wählen mußte; ich hätte nicht aus der Landstraße gewartet; ich hätte nicht Herrn Isidor von Charny, als er vorüberritt, gefragt; er hätte mich nicht erkannt, mir nicht angeboten, mit ihm nach Paris zu kommen, er hätte mich nicht in den Palast der Tuilerien geführt, und ich hätte Sie auch nicht in dem Augenblick gesehen, wo Sie durch den grünen Salon schritten; ich hätte Sie nicht erkannt; ich wäre Ihnen nicht nachgelaufen; ich hätte Sie nicht eingeholt: ich hätte Sie endlich nicht meine Mutter genannt! ein Wort, das sehr süß und sehr zärtlich auszusprechen ist!«

Bei den Worten von Sebastian:

»Hätte ich nicht für das Leben meines Vaters gefürchtet,« empfand Andrée eine scharfe Herzbeklemmung, sie schloß die Augen und warf den Kopf zurück.

Bei den Worten: »Hätte mich Herr Isidor von Charny nicht erkannt, hätte er mir nicht angeboten, mit nach Paris zu kommen, hätte er mich nicht in den Palast der Tuilerien geführt,« öffneten sich ihre Augen wieder, ihr Herz that sich auf, ihr Blick dankte dem Himmel; denn in der That, es war ein Wunder, das Sebastian, geführt vom Bruder ihres Gatten, zurückbrachte.

Bei den Worten endlich: »Ich hätte Sie nicht Mutter genannt! ein Wort, das sehr süß und sehr zärtlich auszusprechen ist,« drückte sie, zum Gefühle ihres Glückes zurückgerufen, Sebastian abermals an ihre Brust.

»Ja, ja, Du hast Recht, mein Kind,« rief sie; »sehr süß! es gibt nur eines, das vielleicht süßer und zärtlicher ist, es ist das, welches ich Dir sage, indem ich Dich an mein Herz drücke: mein Sohn! mein Sohn!«

Dann trat ein Augenblick des Stillschweigens ein, und man hörte nur das sanfte Beben der über die Stirne des Kindes hinschweifenden mütterlichen Lippen.

»Aber,« rief plötzlich Andrée, »es ist unmöglich, daß Alles so geheimnisvoll in mir und um mich her bleibt; Du hast mir wohl erklärt, wie Du da warst, aber Du hast mir nicht erklärt, wie Du mich erkanntest, warum Du mir nachliefst, warum Du mich Deine Mutter nanntest.«

»Kann ich es Ihnen sagen?« erwiederte Sebastian, Andrée mit einem unaussprechlichen Ausdruck von Liebe anschauend, »ich weiß es selbst nicht, Sie sprechen von Geheimnissen: Alles ist geheimnißvoll in mir wie in Ihnen.«

»Aber es hat Dir doch Jemand in dem Augenblick wo ich vorüberging, gesagt: »»Kind, da ist Deine Mutter!««

»Ja  . . .mein Herz.«

»Dein Herz? . . .«

»Hören Sie, meine Mutter, ich will Ihnen etwas erzählen, was an’s Wunderbare grenzt.«

Andrée rückte noch näher zu dem Kinde, während, sie einen Blick zum Himmel sandte, als wolle sie ihm dafür danken, daß er, als er ihr ihren Sohn zurückgab, ihn so zurückgab.

 

»Es sind zehn Jahre, daß ich Sie kenne, meine Mutter.«

Andrée bebte.

»Sie begreifen nicht?«

Andrée schüttelte den Kopf.

»Lassen Sie sich sagen, ich habe zuweilen seltsame Träume, die mein Vater Sinnestäuschungen nennt.«

Bei der Erinnerung an Gilbert, welche wie eine stählerne Spitze von den Lippen des Kindes in ihr Herz eindrang, schauerte Andrée.

»Schon zwanzigmal habe ich Sie gesehen, meine Mutter.«

»Wie so?«

»In den Träumen, von denen ich so eben sprach,« Andrée dachte ihrerseits an die schrecklichen Träume, die ihr Leben bewegt hatten, an den Traum, dem ihr Kind seine Geburt verdankte.

»Stellen Sie sich vor, meine Mutter,« fuhr Sebastian fort, »wenn ich, noch ein Kind, mit den Kindern des Dorfes spielte und im Dorfe blieb, waren meine Eindrücke ganz die der andern Kleinen, und nichts erschien mir, als die wirklichen Gegenstände; doch, sobald ich das Dorf verließ, sobald ich die letzten Gärten überschritt, sobald ich den Saum des Waldes hinter mir hatte, fühlte ich etwas wie das Rauschen eines Kleides an mir vorüberziehen; ich streckte die Arme aus, um es zu fassen, doch ich faßte nur die Luft; da entfernte sich das Phantom. Aber von unsichtbar, wie es Anfangs war, wurde es allmälig sichtbar; im ersten Augenblick war es ein Dunst durchsichtig wie eine Wolke, ähnlich der, mit welcher Virgil die Mutter des Aeneas umhüllte, da sie ihrem Sohne auf der Küste von Carthago erschien; bald verdichtete sich dieser Dunst und nahm eine menschliche Gestalt an; diese menschliche Gestalt, welche die einer Frau war, glitt mehr über den Boden hin, als daß sie aus der Erde ging: da zog mich eine unbekannte, seltsame, unwiderstehliche Gewalt ihr nach. Sie drang in die dunkelsten Orte des Waldes ein, und ich verfolgte sie hier mit ausgestreckten Armen, stumm wie sie; denn obgleich ich ihr zu rufen versuchte, gelang es meiner Stimme doch nie, einen Ton zu articuliren, und ich verfolgte sie so, ohne daß sie stille stand, ohne daß ich sie einholen konnte, bis das Wunder, das mir ihre Gegenwart verkündigt hatte, mir ihren Abgang bezeichnete. Die Erscheinung verschwand allmälig, doch sie schien ebenso sehr als ich unter diesem Willen des Himmels zu leiden, der uns trennte, denn sie entfernte sich, indem sie sich nach mir umschaute, und, gelähmt vor Müdigkeit, als ob ich nur durch ihre Gegenwart aufrecht erhalten worden wäre, fiel ich an derselben Stelle, wo sie verschwunden war, nieder.«

Diese Art von zweiter Existenz von Sebastian, dieser in seinem Leben lebende Traum glich zu sehr dem, was Andrée selbst begegnet war, als daß sie sich nicht in ihrem Kinde hätte wiedererkennen sollen.

»Armes Kind,« sagte sie, indem sie ihn an ihr Herz drückte, »es war also unnütz, daß der Haß Dich von mir entfernte; Gott halte uns einander genähert, ohne daß ich es vermuthete; nur sah ich Dich, weniger glücklich als Du, weder im Traume, noch in der Wirklichkeit, und dennoch, als ich durch den grünen Salon ging, ergriff mich ein Schauer; als ich Deine Tritte hinter den meinigen hörte, zog etwas wie ein Schwindel zwischen meinem Geiste und meinem Herzen durch; als Du mich Madame nanntest, wäre ich beinahe stille gestanden; als Du mich meine Mutter nanntest, wäre ich beinahe ohnmächtig geworden; als ich Dich berührte, erkannte ich Dich.«

»Meine Mutter! meine Mutter! meine Mutter!« wiederholte Sebastian dreimal, als wollte er seine Mutter darüber trösten, daß sie so lange diesen süßen Namen nicht gehört.

»Ja, Deine Mutter!« erwiederte die junge Frau mit einem unbeschreiblichen Liebesentzücken.

»Und nun, da wir uns wiedergefunden haben,« sagte das Kind, »da Du so zufrieden und glücklich bist, mich wieder zusehen, werden wir uns nicht mehr verlassen, nicht wahr?«

Andrée bebte, sie hatte die Gegenwart im Vorüberziehen, die Augen halb über die Vergangenheit, ganz über die Zukunft schließend, ergriffen.

»Mein armes Kind, wie würde ich Dich segnen, wenn Du ein solches Wunder bewirken könntest.«

»Laß mich machen,« sagte Sebastian, »ich werde Alles dies ordnen,«

»Und wie?« fragte Andrée.

»Ich kenne die Ursachen nicht, die Dich von meinem Vater getrennt haben.«

Andrée erbleichte.

»Aber,« fuhr Sebastian fort, »so ernst und gewichtig sie auch sein mögen, sie werden verschwinden vor meinen Bitten und vor meinen Thränen, wenn es sein muß.«

Andrée schüttelte den Kopf.

»Nie! nie!« rief sie.

»Höre,« versetzte Sebastian, der nach den Worten die ihm Gilbert gesagt: »»Kind, sprich mir nie von Deiner Mutter,«« hatte glauben müssen, das Anrecht der Trennung sei auf ihrer Seite, »höre, mein Vater betet mich an.«

Die Hände von Andrée, welche die ihres Sohnes hielten, lösten sich; der Knabe schien nicht daraus zu merken und merkte vielleicht nicht daraus.

Er fuhr fort:

»Ich werde ihn vorbereiten, Dich wiederzusehen; ich werde ihm all das Glück erzählen, das Du mir gegeben Hast; dann, eines Tages, werde ich Dich bei der Hand nehmen, zu ihm führen und sagen: »»Hier ist sie! schau Vater, wie schön sie ist!««

Andrée stieß Sebastian zurück und stand auf.

Der Knabe heftete seine Augen ganz erstaunt aus sie; sie war so bleich, daß sie ihm bange machte.

»Nie!« wiederholte sie, »nie!«

Und diesmal drückte ihr Ton noch etwas mehr als den Schrecken, er drückte die Drohung aus.

Der Knabe wich aus dem Canapé zurück; er hatte in dem Gesichte dieser Frau jene erschrecklichen Linien entdeckt, welche Raphael den erzürnten Engeln gibt.

»Und warum,« fragte er mit dumpfer Stimme, »warum weigerst Du Dich, meinen Vater zu sehen?«

Bei diesen Worten brach, wie beim Zusammenstoß von zwei Wolken wahrend des Sturmes, der Blitzstrahl hervor.

»Warum?« versetzte Andrée, »Du fragst mich, warum? In der That, armes Kind, Du weißt es nicht?«

»Ja,« sagte Sebastian mit Festigkeit, »ich frage, warum?«

»Nun wohl,« erwiederte Andrée, unfähig, länger unter den Bissen der gehässigen Schlange, die ihr das Herz zernagte, an sich zu halten, »weil Dein Vater ein elender ist! weil Dein Vater ein Schändlicher ist!«

Sebastian sprang von dem Canapé auf, auf dem er saß, und stand aufrecht vor Andrée.

»Von meinem Vater sagen Sie das, Madame!« rief er, »von meinem Vater, das heißt, vom Doctor Gilbert, von demjenigen, welcher mich erzogen hat, von demjenigen, welchem ich Alles verdanke, von demjenigen, welchen ich allein kenne? Ich täuschte mich, Madame, Sie sind nicht meine Mutter!«

Der Knabe machte eine Bewegung, um nach der Thüre zu laufen.

Andrée hielt ihn zurück.

»Höre,« sagte sie, »Du kannst nicht wissen, Du kannst nicht urtheilen, Du kannst nicht begreifen.«

»Nein! aber ich kann fühlen, und ich fühle, daß ich Sie nicht mehr liebe!«

Andrée stieß einen Schmerzensschrei aus.

Doch in derselben Sekunde lenkte ein äußeres Geräusch die Gemüthsbewegung ab, die sie empfand, obgleich sich diese Gemüthsbewegung ihrer für den Augenblick ganz und gar bemächtigt hatte.

Dieses Geräusch war das des Hofthores, welches sich öffnete, und eines Wagens, der vor der Freitreppe anhielt.

Bei diesem Geräusch überlief ein solcher Schauer die Glieder von Andrée, daß dieser Schauer von ihrem Körper zu dem ihres Kindes überging.

»Warte!« sagte sie zu ihm, »warte und schweige!«

Unterjocht, gehorchte das Kind.

Andrée richtete sich auf, unbeweglich, stumm, die Augen starr aus die Thüre geheftet, bleich und kalt wie die Bildsäule der Erwartung.

»Wen werde ich der Frau Gräfin melden?« sagte die Stimme des alten Concierge.

»Melden Sie den Grafen von Charny und fragen Sie die Gräfin, ob sie mir die Ehre erweisen wolle, mich zu empfangen.«

»Oh!« rief Andrée, »in dieses Zimmer, Kind, in dieses Zimmer! er darf Dich nicht sehen, er darf nicht wissen, daß Du existirst.«

Und sie schob das erschrockene Kind in das anstoßende Zimmer.

Dann, während sie die Thüre hinter ihm schloß, sprach sie: »Bleibe hier, und wenn er weggegangen ist, werde ich Dir sagen, werde ich Dir erzählen  . . .Nein! nein! nichts von Allem dem, ich werde Dich umarmen, und Du wirst einsehen, daß ich wirklich Deine Mutter bin.«

Sebastian antwortete nur durch eine Art von Seufzer.

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thüre des Vorzimmers, und, mit seiner Mütze in der Hand, entledigte sich der alte Concierge seines Auftrags.

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