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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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XXVI
Der Bäcker François

Wir werden es versuchen, zu schildern, wie diese Nacht für die zwei Frauen verlief.

Erst um neun Uhr finden wir die Königin wieder, die Augen durch die Thränen geröthet, die Wangen durch die Schlaflosigkeit gebleicht. Um acht Uhr, das heißt bei Tagesanbruch, denn man befand sich in der traurigen Jahreszeit, in der die Tage kurz und düster sind, um acht Uhr hatte sie das Bett verlassen, wo sie vergebens während der ersten Stunden der Nacht Ruhe gesucht, und wo sie während der letzten nur einen fieberhaften, bewegten Schlaf gesunden.

Seit einigen Augenblicken, obgleich nach den gegebenen Befehlen Niemand in ihr Zimmer zu treten wagte, hörte sie um ihre Wohnung das Hin- und Herlaufen, das plötzliche Gelärme und das anhaltende Geräusch, was anzeigt, daß außen etwas Ungewöhnliches vor sich geht.

In diesem Augenblick war die Toilette der Königin beendigt; die Pendeluhr schlug die neunte Stunde.

Mitten unter allen diesen verworrenen Geräuschen, welche in den Gängen zu laufen schienen, hörte sie die Stimme von Weber Stillschweigen fordern.

Sie rief dem getreuen Kammerdiener.

Auf der Stelle hörte jedes Geräusch auf.

Die Thüre öffnete sich.

»Was gibt es denn, Weber?« fragte die Königin; »was geht denn im Schlosse vor, und was bedeuten alle diese Geräusche?«

»Majestät,« erwiederte Weber, »es scheint, es ist Lärmen aus der Seite der Cité.«

»Lärmen!« versetzte die Königin, »und aus welchem Anlaß?«

»Man weiß es noch nicht, Majestät, doch man sagt, es bilde sich ein Ausstand wegen des Brodes.«

Früher wäre der Königin der Gedanke nicht gekommen, es gebe Leute, welche Hungers sterben; aber seitdem sie aus der Fahrt von Versailles den Dauphin Brod von ihr hatte fordern hören, ohne daß sie ihm geben konnte, begriff sie, was die Hungersnoth war.

«Arme Leute!« murmelte sie, indem sie sich der Worte, die sie aus dem Wege gehört, und der Erklärung erinnerte, die ihr Gilbert von diesen Worten gegeben hatte. »Arme Leute! sie sehen nun wohl, daß es weder die Schuld des Bäckers, noch die der Bäckerin ist, wenn sie kein Brod haben.«

Dann fragte sie laut:

»Und befürchtet man, es werde ernst?«

»Ich vermöchte es Eurer Majestät nicht zu sagen. Nicht zwei Berichte gleichen sich,« erwiederte Weber.

»Nun denn!« sprach die Königin, »lauf bis zur Cité, Weber, das ist nicht weit von hier; sieh mit Deinen Augen, was vorgeht, und komm und melde es mir.«

»Und der Herr Doctor Gilbert?« fragte der Kammerdiener.

»Sage Campan oder Misery, daß ich ihn erwarte, und die Eine oder die Andere wird ihn bei mir einführen.«

In dem Augenblick aber, wo Weber zu verschwinden im Begriffe war, rief ihm die Königin nach:

»Schärfe den Leuten ein, daß sie den Doctor nicht warten lassen, Weber; er, der von Allem unterrichtet ist, wird uns erklären, was vorgeht.«

Weber verließ das Schloß, erreichte das Pförtchen des Louvre, eilte auf die Brücke, und geleitet durch das Geschrei, der Woge folgend, die gegen den erzbischöflichen Palast rollte, kam er aus den Notre-Dame-Platz.

Je mehr er gegen das alte Paris vorgerückt war, desto mehr war die Menge angewachsen, desto lebhafter war das Geschrei geworden.

Unter diesem Geschrei oder vielmehr unter diesem Gebrülle hörte man von jenen Stimmen, wie man sie nur am Himmel an Sturmtagen und aus der Erde an Revolutionstagen hört; man vernahm Stimmen, welche riefen:

»Das ist ein Aushungerer! Tödtet ihn! tödtet ihn! An die Laterne!«

Und Tausende von Stimmen, welche nicht einmal wußten, wovon die Rede war, und unter denen man die der Weiber unterschied, wiederholten im Vertrauen und in der Erwartung von einem der Schauspiele, die das Herz der Menge immer vor Freude springen machen:

»Das ist ein Aushungerer! Tödtet ihn! An die Laterne!«

Plötzlich fühlte sich Weber von einer von jenen heftigen Erschütterungen getroffen, wie sie bei einer großen Menschenmasse stattfinden, wenn sich eine Strömung bildet, und er sah durch die Rue Chanoinesse eine menschliche Woge, einen lebendigen Katarakt kommen, in dessen Mitte sich ein unglücklicher bleicher Mensch in zerrissenen Kleidern zerarbeitete.

Auf ihn hatte es all dieses Volk abgesehen; gegen ihn erhoben sich alle diese Schreie, all dies Gebrülle, alle diese Drohungen.

Ein einziger Mann vertheidigte ihn gegen diese Menge; ein einziger Mann bildete einen Damm gegen diesen menschlichen Strom.

Dieser Mann, der eine Ausgabe des Mitleids unternommen hatte, welche die Kräfte von zehn Menschen, von zwanzig Menschen, von hundert Menschen überstieg, war Gilbert.

Allerdings fingen Einige aus der Menge, die ihn erkannt hatten, an zu rufen:

»Es ist der Doctor Gilbert, ein Patriot, der Freund von Herrn Lafayette und von Herrn Bailly. Hören wir den Doctor Gilbert.«

Auf diese Rufe fand einen Augenblick ein Halt statt, etwas wie jene vorübergehende Stille, die sich aus den Wellen zwischen zwei Windstößen ausbreitet.

Weber benützte dies, um sich einen Weg bis zu dem Doctor zu bahnen.

Es gelang ihm mit großer Mühe.

»Herr Doctor Gilbert,« sagte der Kammerdiener.

Gilbert wandte sich nach der Seite um, woher die Stimme kam.

»Ah! Sie sind es, Weber?« versetzte der Doctor.

Dann winkte er ihn zu sich und sagte ihm leise:

»Gehen Sie und melden Sie der Königin, ich werde vielleicht später kommen, als sie mich erwartet. Ich bin beschäftigt, einen Menschen zu retten.«

»Oh! ja, ja!« rief der Unglückliche, der diese letzten Worte hörte, »nicht wahr, Sie werden mich retten, Doctor?«  . . .Sagen Sie ihnen, ich sei unschuldig, sagen Sie ihnen, meine Frau sei guter Hoffnung  . . .Ich schwöre Ihnen, daß ich kein Brod verborgen habe, Doctor.«

Doch als hätten diese Klage und diese Bitte den halb erloschenen Zorn und Haß wieder in Brand gesteckt, verdoppelte sich das Geschrei, und die Drohungen suchten sich in Tätlichkeiten zu verwandeln.

»Meine Freunde,« rief Gilbert, mit einer übermenschlichen Stärke gegen die Wüthenden kämpfend, »dieser Mensch ist ein Franzose, ein Bürger wie Ihr; man kann, man darf einen Menschen nicht umbringen, ohne ihn zu hören. Führt ihn zum Districte, und hernach wird man sehen.«

»Ja!« riefen einige Stimmen, welche denjenigen gehörten, die den Doctor erkannt hatten.

»Herr Gilbert,« sagte der Kammerdiener der Königin, »halten Sie fest. Ich will die Officiere vom District benachrichtigen  . . . der District ist nur ein paar Schritte entfernt; in fünf Minuten werden sie hier sein.«

Und er entschlüpfte und verschwand durch die Menge, ohne nur die Gutheißung von Gilbert abzuwarten.

Fünf bis sechs Personen waren indessen dem Doctor zu Hilfe gekommen und hatten aus ihren Leibern eine Art Verschanzung für den Unglücklichen gemacht.

Dieser Wall, so schwach er war, hielt für den Augenblick die Mörder im Zaume, welche indessen mit ihrem Geschrei die Stimme des Doctors und die der guten Bürger, die sich ihm angeschlossen hatten, zu bedecken fortfuhren.

Zum Glück entsteht nach fünf Minuten eine Bewegung in der Menge, ein Gemurmel folgt daraus, und dieses Gemurmel übersetzt sich durch die Worte:

»Die Officiere vom District! die Officiere vom District!«

Vor den Officieren vom District verstummen die Drohungen, tritt die Menge zurück. Die Mörder haben wahrscheinlich das Losungswort noch nicht.

Man führt den Unglücklichen nach dem Stadthause.

Er hat sich an den Doctor angehängt, er hält ihn beim Arme, er will ihn nicht loslassen.

Wer ist nun dieser Mensch?

Wir wollen es Ihnen sogleich sagen.

Es ist ein armer Bäcker Namens Denis François, derselbe, dessen Namen wir schon ausgesprochen, und der die kleinen Brode den Herren von der Nationalversammlung lieferte.

Am Morgen ist eine Frau in sein Magazin in der Rue du Marché-Palu in dem Augenblick eingetreten, wo er sein sechstes Geback8 Brod ausgetheilt hat und das siebente zu bereiten anfängt.

Die alte Frau fordert einen Laib Brod.

»Es ist keiner mehr da,« antwortet François, »aber wartet aus mein siebentes Geback, und Ihr sollt zuerst bedient werden.«

»Ich will sogleich Brod haben,« entgegnet die Frau; »hier ist Geld.«

»Wenn ich Euch sage, daß keines mehr da ist . . .« versetzt der Bäcker.

»Laßt mich sehen.«

»Oh! tretet ein, seht, sucht, das ist mir ganz lieb.«

Die alte Frau tritt ein, sucht, riecht, durchstöbert, öffnet einen Schrank und findet in diesem Schranke drei altbackene Brodlaibe, jeden von vier Pfund, welche die Knechte für sich aufbewahrt hatten.

Sie nimmt einen, geht ab, ohne zu bezahlen, und aus die Reclamation des Bäckers wiegelt sie das Volk auf und schreit, François sei ein Aushungerer, und er verberge die Hälfte von seinem Geback.

Der Rus Aushungerer bezeichnete zu einem beinahe gewissen Tod denjenigen, welcher der Gegenstand desselben war.

Ein ehemaliger Dragoner-Werber, genannt Fleur d’Epine, der in einer Schenke gegenüber trank, tritt aus dieser Schenke und wiederholt mit einer weingrünen Stimme den von der Alten ausgestoßenen Schrei.

Bei diesem doppelten Geschrei läuft das Volk brüllend herbei, erkundigt sich, erfährt, wovon die Rede ist, wiederholt die ausgestoßenen Schreie, stürzt nach der Bude des Bäckers, überwältigt die vier Mann Wache, welche die Polizei vor seine Thüre, wie vor die seiner Zunftgenossen gestellt hatte, verbreitet sich im Magazin, und findet außer den zwei von der Alten zurückgelassenen und denuncirten altgebackenen Laiben Brod zehn Dutzend frische kleine Brode, welche für die Deputirten, die ihre Sitzungen im erzbischöflichen Palaste, das heißt, hundert Schritte von François, halten, reservirt worden waren.

 

Von da an ist der Unglückliche verurtheilt; es ist nicht mehr eine Stimme, es sind hundert Stimmen, es sind tausend Stimmen, welche schreien: »Auf den Aushungerer!«

Eine ganze Menge brüllt: »An die Laterne!«

In diesem Augenblick wird der Doctor Gilbert, der von einem Besuche bei seinem Sohne zurückkommt, den er wieder zum Abbé Bérardier, ins Collége Louis le Grand, geführt hatte, durch den Lärmen herbeigezogen; er sieht ein ganzes Volk, das den Tod eines Menschen verlangt, und eilt diesem Menschen zu Hilfe.

Hier hatte er mit ein paar Worten von François erfahren, um was es sich handelte; er hatte die Unschuld des Bäckers erkannt und ihn zu vertheidigen gesucht.

Da hatte die Menge zugleich den unglücklichen Bedrohten und seinen Vertheidiger, Beide in dasselbe Anathem hüllend und bereit, Beide mit einem Schlage niederzuschmettern, mitfortgerissen.

In diesem Augenblick war Weber, von der Königin abgesandt, aus den Notre-Dame-Platz gekommen und hatte Gilbert erkannt.

Wir haben gesehen, wie nach dem Abgange von Weber die Officiere vom Districte erschienen und der unglücklichen Bäcker unter Bedeckung nach dem Stadthause geführt wurde.

Angeklagter, Wachen des Districts, gereizter, aufgebrachter Pöbel, Alles drang durch einander in das Stadthaus ein, dessen Platz alsbald gefüllt war mit Arbeitern ohne Arbeit und Hungers sterbenden armen Teufeln, welche immer bereit, sind in alle Meutereien zu mischen und Jedem, der in den Verdacht gerieth, die Ursache der öffentlichen Noth zu sein, einen Theil von dem Elend, das sie erduldeten, zurückzugeben.

Kaum war auch der unglückliche François unter der gähnenden Halle des Stadthauses verschwunden, als das Geschrei sich verdoppelte.

Es schien allen diesen Menschen, man habe ihnen eine Beute, die ihnen gehörte, entführt.

Individuen mit Unheil weissagenden Gesichtern durchfurchten die Menge und flüsterten ihr zu:

»Es ist ein vom Hofe bezahlter Aushungerer, darum will man ihn retten.«

Und die Worte: »Es ist ein Aushungerer! es ist ein Aushungerer!« schlängelten sich durch diesen ausgehungerten Pöbel wie die Lunte eines Feuerwerks, allen Haß entzündend, allen Zorn in Brand steckend.

Zum Unglück war es noch sehr früh am Morgen, und Keiner von den Männern, welche Gewalt über das Volk hatten, – weder Bailly, noch Lafayette, – war da.

Sie wußten es wohl, diejenigen, welche in den Gruppen wiederholten: »Es ist ein Aushungerer! es ist ein Aushungerer!«

Endlich, da man den Angeklagten nicht wieder erscheinen sah, verwandelten sich die Schreie in ein ungeheures Hurrah, die Drohungen in ein allgemeines Gebrülle.

Die Menschen, von denen wir gesprochen, schlüpften unter der Halle durch, krochen längs der Treppen hin und drangen bis in den Saal ein, wo der unglückliche Bäcker war, den Gilbert nach seinen besten Kräften vertheidigte.

Die Nachbarn von François ihrerseits, welche beim Tumulte herbeigelaufen waren, bestätigten, er habe seit dem Anfange der Revolution die größten Beweise von Eifer gegeben; er habe bis zehn Ofen voll jeden Tag gebacken; wenn es seinen Zunftgenossen an Mehl gefehlt, habe er ihnen von dem seinigen gegeben; um sein Publikum rascher zu bedienen, habe er außer seinem Ofen den eines Zuckerbäckers gemiethet, wo er sein Holz trocknen lasse.

Am Ende der Aussagen und Angaben ist erwiesen, daß dieser Mann, statt einer Strafe, eine Belohnung verdient.

Doch auf dem Platze, auf den Treppen, im Saale sogar schreit man fortwährend: »Er ist ein Aushungerer!« und fordert den Tod des Schuldigen.

Plötzlich findet ein unerwarteter Einbruch in den Saal statt: er öffnet die Glieder der Nationalgarde, welche François umgeben, und trennt ihn von seinen Beschützern. Gegen das improvisirte Tribunal zurückgestoßen, sieht Gilbert zwanzig Arme sich erheben. Von ihnen gepackt, zurückgezogen, harpunirt, schreit der Angeklagte um Hilfe, streckt flehend seine Hände aus, aber umsonst., . Vergebens macht Gilbert eine verzweifelte Anstrengung, um ihn zu erreichen; die Oeffnung, durch welche der Unglückliche allmälig verschwindet, schließt sich wieder hinter ihm. Wie ein von einem Wirbel angezogener Schwimmer, hat er einige Secunden, die Hände krampfhaft geballt, die Verzweiflung in den Augen, die Stimme in der Kehle erstickt, gekämpft; dann hat ihn die Woge wieder bedeckt, der Schlund hat ihn verschlungen!

Von diesem Augenblick an ist er verloren.

Oben von den Treppen herabgerollt, hat er aus jeder Stufe eine Wunde erhalten. Unter der Halle ist sein ganzer Leib schon nur eine große Wunde.

Es ist nicht mehr das Leben, um was er bittet, es ist der Tod!

Wo verbarg sich denn der Tod zu jener Zeit, daß er so bereit war, herbeizulaufen, wenn man ihn rief?

In einer Secunde ist der Kopf des unglücklichen François vom Leibe getrennt und erhebt sich aus der Spitze eines Spießes.

Bei dem Geschrei aus der Straße stürzen die Aufrührer, die sich aus den Treppen und den Sälen befinden, rasch die Stufen hinab. Man muß das Schauspiel bis zum Ende sehen.

Es ist etwas Merkwürdiges, ein Kopf aus der Spitze eines Spießes; seit dem 6. October hat man keinen mehr gesehen, und man ist am 21.

»Oh! Billot! Billot!« murmelte Gilbert, während er aus dem Saale eilte, »wie glücklich bist Du, daß Du Paris verlassen hast!«

Er war über den Grève,Platz, dem Ufer der Seine folgend, gegangen und hatte diesen Spieß, diesen blutigen Kopf und das brüllende Geleite sich über den Pont-Neuf entfernen lassen, als er aus der Hälfte des Quai Pelletier fühlte, daß man seinen Arm berührte.

Er richtete den Kopf auf, gab einen Schrei von sich, wollte stehen bleiben und sprechen: aber der Mann, den er erkannt hatte, schob ihm ein Billet in die Hand, legte einen Finger aus seinen Mund und entfernte sich, gegen den bischöflichen Palast zuschreitend.

Ohne Zweifel wollte dieser Mann das Incognito beobachten; doch eine Dame der Halle, die ihn erkannt hatte, klatschte in die Hände und rief:

»Ah! das ist unser Mütterchen Mirabeau!«

»Es lebe Mirabeau!« riefen sogleich fünfhundert Stimmen; »es lebe der Vertheidiger des Volks! es lebe der patriotische Redner!«

Und der Schweif vom Cortége, der dem Kopfe des unglücklichen François folgte, wandte sich, als er dieses Geschrei hörte, um und bildete eine Escorte für Mirabeau, den nun eine unermeßliche Menge, beständig schreiend, bis zur Thüre des erzbischöflichen Palastes begleitete.

Es war in der That Mirabeau, der aus dem Wege zur Sitzung der Nationalversammlung Gilbert begegnet war und ihm ein Bittet zugestellt hatte, welches er auf dem Comptoir eines Weinhändlers geschrieben, mit der Absicht, es ihm in seiner Wohnung zukommen zu lassen.

XXVII
Der Vortheil, den man aus einem abgeschnittenen Kopfe ziehen kann

Gilbert hatte rasch das Billet gelesen, das ihm Mirabeau zugesteckt, er hatte es langsam ein zweites Mal gelesen und sodann in seine Westentasche geschoben. Hierauf hatte er einen Fiacre gerufen und dem Kutscher Befehl gegeben, ihn in die Tuilerien zu führen.

Bei seiner Ankunft fand er alle Gitter geschlossen und alle Wachen verdoppelt, auf Befehl von Lafayette, der, so bald er erfahren, es finden Unruhen in Paris statt, damit angefangen, daß er aus die Sicherheit des Königs und der Königin bedacht gewesen war, wonach er sich an den Ort, wo, wie man ihm gesagt, die Unruhen stattfanden, begeben hatte.

Gilbert gab sich dem Concierge der Rue de l’Echelle zu erkennen und gelangte in das Innere.

Als ihn Madame Campan, welche von der Königin das Losungswort erhalten hatte, erblickte, ging sie ihm entgegen und führte ihn sogleich ein. Weber war, der Königin gehorchend, zu den Orten zurückgekehrt, wo Neues sich ereignete.

Als sie Gilbert gewahrte, stieß die Königin einen Schrei aus.

Ein Theil des Rockes und des Jabot von Gilbert war in dem Kampfe, den er ausgehalten, um den unglücklichen François zu retten, zerrissen worden, und einige Blutstropfen befleckten seine Hand.

»Madame,« sagte er. »ich bitte Eure Majestät um Verzeihung, daß ich so vor ihr erscheine; aber ich habe sie unwillkürlich schon lange genug warten lassen, und ich wollte sie nicht länger warten lassen.«

»Und der Unglückliche, Herr Gilbert?«

»Er ist todt, Madame, er ist ermordet, in Stücke zerrissen worden  . . .«

»Er war doch wenigstens schuldig?«

»Er war unschuldig, Madame.«

»Oh! mein Herr, das sind die Früchte Ihrer Revolution! Nachdem sie die adeligen Herren, die Staatsbeamten, die Garden umgebracht haben, erwürgen sie einander unter sich; es gibt also kein Mittel, Gerechtigkeit an diesen Mördern zu üben?«

»Wir werden bemüht sein, dies zu thun; mehr werth wäre es aber, den Mördern zuvorzukommen, als sie zu bestrafen.«

»Wie soll man denn zu diesem Ziele gelangen? Mein Gott!l der König und ich verlangen ja nichts Anderes.«

»Madame, alle diese unglücklichen Vorfälle rühren von einem großen Mißtrauen des Volkes gegen die Agenten der Macht her: stellen Sie an die Spitze der Regierung Männer, welche das Vertrauen des Volkes haben, und nichts Aehnliches wird mehr vorfallen.«

»Ja, ja. Herrn von Mirabeau, Herrn von Lafayette, nicht wahr?«

»Ich hoffte, die Königin habe mich rufen lassen, um mir zu sagen, sie habe den König dahin gebracht, daß er aufhöre, gegen die von mir vorgeschlagene Combination feindlich gesinnt zu sein.«

»Vor Allem, Doctor, verfallen Sie in einen schweren Irrthum, einen Irrthum, in den übrigens auch Andere als Sie verfallen: Sie glauben, ich habe Einfluß auf den König? Sie glauben, er folge meinen Eingebungen? Sie täuschen sich; wenn Jemand Einfluß aus den König hat, so ist es Madame Elisabeth und nicht ich, und zum Beweise dient, daß er gestern erst einen von meinen Dienern, Herrn von Charny, in einer Mission abgeschickt hat, ohne daß ich weiß, wohin derselbe geht und in welchem Zwecke er abgereist ist.«

»Und dennoch, wenn die Königin ihren Widerwillen gegen Herrn von Mirabeau überwinden wollte, könnte ich ihr dafür stehen, daß der König meinen Wünschen beizutreten bestimmt würde.«

»Sprechen Sie, Herr Gilbert/’ versetzte die Königin lebhaft, »werden Sie mir zufällig sagen, dieser Widerwille sei nicht motivirt?«

»In der Politik, Madame, soll es weder Sympathie, noch Antipathie geben: es soll Verwandtschaften der Principien oder Combinationen der Interessen geben, und ich muß Eurer Majestät zur Schande der Menschen bemerken, daß die Combinationen der Interessen viel sicherer sind, als die Principienverwandtschaften.«

»Doctor, werden Sie mir im Ernste sagen, ich soll mich einem Manne anvertrauen, der den 5. und 6. October gemacht, und mit einem Redner einen Vertrag abschließen, der mich öffentlich auf der Tribune beschimpft hat?«

»Glauben Sie mir, Madame, nicht Herr von Mirabeau hat den 5. und 6. October gemacht; die Hungersnoth, das Elend haben das Werk des Tags begonnen, ein geheimnißvoller, mächtiger, erschrecklicher Arm aber hat das Werk der Nacht gemacht . . .Vielleicht werde ich eines Tags im Stande sein, Sie auf dieser Seite zu vertheidigen und mit der finstern Macht zu kämpfen, welche nicht nur Sie allein, sondern auch alle die anderen gekrönten Häupter, nicht nur den Thron von Frankreich, sondern auch alle Throne der Erde verfolgt. So wahr ich die Ehre habe, mein Leben zu Ihren Füßen und zu denen des Königs zu legen, Madame, eben so wahr ist Herr von Mirabeau nicht betheiligt an jenen gräßlichen Tagen, und er hat in der Nationalversammlung wie die Andern, vielleicht ein wenig früher als die Andern, durch ein Billet, das ihm zugestellt wurde, erfahren, das Volk marschire gegen Versailles.«

»Werden Sie auch das leugnen, was weltkundig ist, ich meine die Beleidigung, die er mir aus der Tribüne angethan hat?«

»Madame, Herr von Mirabeau ist einer von den Männern, die ihren Werth kennen und sich erbittern, wenn, während sie sehen, wozu sie taugen und von welcher Hilfe sie sein können, die Könige halsstarrig sie nicht verwenden; ja, damit Sie die Augen gegen ihn wenden, Madame, wird Herr von Mirabeau jedes Mittel, sogar die Beleidigung gebrauchen; es wird ihm lieber sein, wenn die erhabene Tochter von Maria Theresia, Königin und Frau, einen zornigen Bück aus ihn wirst, als wenn sie ihn gar nicht anschaut.«

»Sie glauben also, Herr Gilbert, dieser Mann würde einwilligen, uns zu gehören?«

»Er ist ganz und gar hierzu bereit, Madame; entfernt sich Herr von Mirabeau vom Königthum, so ist es wie bei einem Pferde, das Seitensprünge macht und nur den Zügel und den Sporn seines Reiters zu fühlen braucht, um aus den rechten Weg zurückzukehren.«

 

»Da er aber schon dem Herrn Herzog von Orleans gehört, so kann er nicht der ganzen Weit gehören?«

»Darin liegt gerade der Irrthum, Madame.«

»Herr von Mirabeau gehört nicht dem Herrn Herzog von Orleans?« versetzte die Königin.

»Er gehört so wenig dem Herrn Herzog von Orleans, daß er, als er vernahm, der Prinz habe sich nach England vor den Drohungen von Herrn von Lafayette zurückgezogen, in seinen Händen das Billet von Herrn von Lauzun, welches ihm diese Abreise meldete, zerknitternd, sagte: »»Man behauptet, ich gehöre zur Partei dieses Menschen. Ich möchte nicht einmal für meinen Lackei etwas von ihm!««

»Ah! das söhnt mich wieder ein wenig mit ihm aus,« sprach die Königin, indem sie zu lächeln suchte, »und wenn ich glaubte, man könnte wirklich aus ihn zählen?  . . .«

»Nun?«

»Nun, vielleicht wäre ich weniger weit als der König davon entfernt, auf ihn zurückzukommen.«

»Madame am Morgen nach dem Tage, wo das Volk von Versailles Eure Majestät, sowie der König und die königliche Familie zurückgeführt hat, traf ich Herrn von Mirabeau  . . .«

»Berauscht von seinem Siege am vorhergehenden Tage . . .«

»Erschrocken über die Gefahren, welche Sie liefen, und über die, welche Sie noch lausen könnten.«

»Wahrhaftig, sind Sie dessen sicher?« versetzte die Königin mit einer Miene des Zweifels.

»Soll ich Ihnen die Worte mittheilen, die er mir gesagt hat?«

»Ja, Sie werden mir Vergnügen machen.«

»So vernehmen Sie dieselben, Wort für Wort; ich habe sie in mein Gedächtniß eingegraben, in der Hoffnung, ich werde eines Tags Gelegenheit haben, sie Eurer Majestät zu wiederholen: »»Wissen Sie ein Mittel, sich beim König und bei der Königin Gehör zu verschaffen, so bringen sie ihnen die Ueberzeugung bei, daß Frankreich und sie verloren sind, wenn die königliche Familie Paris nicht verläßt. Ich beschäftige mich mit einem Plane, um ihren Abgang zu bewerkstelligen. Wären sie im Stande, ihnen die Versicherung zu geben, daß sie auf mich zählen können?««

Die Königin wurde nachdenkend.

»Also,« sagte sie, »es ist also auch die Ansicht von Herrn von Mirabeau, daß wir Paris verlassen sollen?«

»Es war seine Ansicht damals.«

»Und er hat sie seitdem geändert?«

»Ja, wenn ich einem Bittet glauben darf, welches ich vor einer halben Stunde erhalten habe.«

»Von wem?«

»Von ihm selbst.«

»Kann man dieses Bittet sehen?«

»Es ist für Eure Majestät bestimmt,« erwiederte Gilbert.

Und er zog das Papier aus seiner Tasche.

»Eure Majestät wird entschuldigen, es ist auf Schülerpapier und auf dem Comptoir eines Weinhändlers geschrieben worden.«

»Oh! seien Sie hierüber unbesorgt: Papier und Pult, Alles ist im Einklang mit der Politik, welche in diesem Augenblick getrieben wird.«

Die Königin nahm das Papier und las:

»Das Ereignis, von heute verändert das Angesicht der Dinge.

»Man kann einen großen Nutzen aus diesem abgeschnittenen Kopfe ziehen.

»Die Nationalversammlung wird bange haben und das Martialgesetz verlangen.

»Herr von Mirabeau kann das Martialgesetz unterstützen und votiren lassen.

»Herr von Mirabeau kann behaupten, es sei nur Heil darin zu suchen, daß man die Macht der Exekutivgewalt zurückgebe.

»Herr von Mirabeau kann Herrn von Necker über die Lebensmittel angreifen und ihn stürzen.

»An der Stelle des Ministeriums Necker mache man ein Ministerium Mirabeau und Lafayette, Herr von Mirabeau steht für Alles!«

»Nun?« sagte die Königin, »dieses Billet ist nicht unterzeichnet?«

»Hatte ich nicht die Ehre gehabt, Eurer Majestät zu sagen, Herr von Mirabeau habe es mir selbst übergeben?«

»Was denken Sie von Allem dem?«

»Meine Ansicht, Madame, ist, daß Herr von Mirabeau vollkommen Recht hat, und daß die Verbindung, die er vorschlägt, allein Frankreich retten kann.«

»Gut; Herr von Mirabeau lasse mir durch Sie eine Denkschrift über die Lage der Dinge und den Entwurf eines Ministeriums zukommen; ich werde Alles dem König vorlegen.«

»Und Eure Majestät wird es unterstützen?«

»Ich werde es unterstützen.«

»Mittlerweile also, und als erstes dem Königthum gegebenes Pfand, kann Herr von Mirabeau das Martialgesetz vertheidigen und verlangen, daß die Macht der Executivgewalt zurückgegeben werde?«

»Er kann das.«

»Dagegen würde, sollte der Sturz von Herrn von Necker dringlich werden, ein Ministerium Lafayette und Mirabeau nicht ungünstig ausgenommen?«

»Durch mich? Nein. Ich will beweisen, daß ich bereit bin, alle meine persönlichen Gefühle dem Wohle des Staates zu opfern. Nur, wie Sie wissen, stehe ich nicht für den König.«

»Würde uns Monsieur bei dieser Angelegenheit beistehen?«

»Ich glaube, daß Monsieur seine eigenen Projecte hat, die ihn verhindern werden, die von Andern zu unterstützen.«

»Und die Königin hat von den Projecten von Monsieur keine Idee?«

»Ich glaube, er ist der ersten Ansicht von Herrn von Mirabeau, nämlich, daß der König Paris verlassen soll.«

»Eure Majestät ermächtigt mich, Herrn von Mirabeau zu sagen, daß diese Denkschrift und dieser Entwurf eines Ministeriums von Eurer Majestät verlangt werden?«

»Ich mache Herrn Gilbert zum Richter über das Maaß, welches er einem Manne gegenüber zu beobachten hat, der unser Freund von gestern ist und morgen wieder unser Feind werden kann.«

»Oh! in diesem Punkte verlassen Sie sich aus mich; nur, da die Umstände ernst sind, ist keine Zeit zu verlieren; erlauben Sie also, daß ich in die Nationalversammlung gehe und Herrn von Mirabeau heute noch zu sehen suche; sehe ich ihn, so wird Eure Majestät in zwei Stunden die Antwort haben.«

Die Königin machte mit der Hand ein Zeichen der Beistimmung und des Abschieds. Gilbert entfernte sich.

Eine Viertelstunde nachher war er in der Nationalversammlung.

Er fand die Versammlung in großer Aufregung wegen des vor ihren Thüren begangenen Verbrechens, und zwar begangen an einem Manne, der gleichsam ihr Diener war.

Die Mitglieder gingen von der Tribune zu ihren Bänken, von ihren Bänken in den Corridor hin und her.

Mirabeau saß allein, unbeweglich aus seinem Platze. Er wartete und hatte die Augen auf die öffentliche Tribune geheftet.

Als er Gilbert erblickte, klärte sich sein Löwengesicht auf.

Gilbert machte ihm ein Zeichen, das er durch eine Bewegung des Kopfes von oben nach unten erwiederte.

Gilbert riß ein Blatt aus seinen Tabletten und schrieb:

»Ihre Vorschläge sind angenommen, wenn nicht von beiden Partien, doch wenigstens von derjenigen, welche Sie für die einflußreichere von beiden halten und die ich auch dafür halte.

»Man verlangt eine Denkschrift für morgen, den Entwurf eines Ministeriums für heute.

»Bewirken Sie, daß die Macht der Executivgewalt zurückgegeben wird, und die Executivgewalt wird mit Ihnen rechnen.«

Dann legte er das Papier in Briefform zusammen, schrieb als Adresse daraus: »An Herrn von Mirabeau,« rief einem Huissier und ließ das Billet an seine Bestimmung tragen.

Von der Tribune, wo er war, sah Gilbert den Huissier in den Saal eintreten, gerade aus den Abgeordneten von Aix zugehen und ihm das Billet übergeben.

Mirabeau las es mit einem Ausdrucke so tiefer Gleichgültigkeit, daß es seinem nächsten Nachbar unmöglich gewesen wäre, zu errathen, das Billet, welches er so eben empfangen, entspreche seinen glühendsten Wünschen; und mit derselben Gleichgültigkeit schrieb er aus ein halbes Blatt Papier, das er vor sich hatte, ein paar Zeilen, faltete es nachlässig zusammen, gab es, immer mit derselben scheinbaren Sorglosigkeit, dem Huissier und sagte:

»Der Person, welche Ihnen das Billet, das Sie mir gebracht zugestellt hat.«

Gilbert öffnete rasch das Papier.

Es enthielt folgende paar Zeilen, welche vielleicht für Frankreich eine andere Zukunft in sich schlossen hätte der Plan, den sie vorschlugen, zur Ausführung gebracht werden können:

»Ich werde sprechen.

»Morgen werde ich die Denkschrift schicken.

»Hier ist die verlangte Liste; man wird ein paar Namen modificiren können.

»Herr Necker, erster Minister  . . .«

Dieser Name ließ Gilbert beinahe zweifeln, daß das Billet, welcher er las, von der Hand von Mirabeau sei.

Da aber eine Note zwischen zwei Klammern auf diesen Namen wie auf die andern folgte, so fuhr er fort:

»Herr Necker, erster Minister. (Man muß ihn so ohnmächtig machen, daß er unfähig ist, und dennoch seine Popularität dem König erhalten.)

»Der Erzbischof von Bordeaux, Kanzler. (Man wird ihm empfehlen, mit großer Sorgfalt seine Redacteurs zu wählen)

»Der Herzog von Liancourt, Krieg. (Er hat Ehre, Festigkeit, persönliche Zuneigung für den König, was dem König Sicherheit geben wird.)

8Ofen voll.
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