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Die beiden Dianen

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XXI.
Der Graf von Montgommery

Immer auf den Knieen, erhob Gabriel nur seinen bleichem bestürzten Kopf und schaute mit einem finster ruhigen Blick umher. Er sah nur aus, als befragte er sich und als überlegte er.

Doch diese Ruhe. erschütterte und erschreckte Herrn Sazerac mehr, als alle Schreie und alles Schluchzen.

Dann wie von einem Gedanken berührt, legte er rasch seine Hand auf das Herz des Leichnams.

Er horchte und suchte ein paar Minuten lang.

»Nichts!« sprach er sodann mit gleichmäßiger und sanfter, aber gerade dadurch furchtbarer Stimme, »das Herz schlägt nicht mehr, doch die Stelle ist noch warm.

»Welch eine kräftige Natur,« sprach leise der Gouverneur, »er hätte noch lange leben können.«

Doch die Augen des Leichnams waren offen geblieben. Gabriel neigte sich über ihn und schloß ihm dieselben frommer Weise. Dann hauchte er einen ehrfurchtsvollen Kuß, den ersten und den letzten, auf diese armen erloschenen Lider, welche so viele bittere Thränen hatten befeuchten müssen.

»Mein Herr,« sagte Herr von Sazerac, der Gabriel durchaus von dieser gräßlichen Betrachtung abziehen wollte, »wenn der Todte Euch theuer war . . .«

»Ob er mir theuer war, mein Herr,« unterbrach ihn Gabriel. »Ja, es war mein Vater!«

»Nun, mein Herr, wenn Ihr ihm die letzte Pflicht erweisen wollt, man hat mir erlaubt, Euch ihn von hier wegbringen zu lassen.«

»Ah! wahrhaftig!« versetzte Gabriel mit derselben schrecklichen Ruhe. »Man ist sehr gerecht gegen mich und hält mir pünktlich Wort, ich muß es gestehen. Wißt, Herr Gouverneur, daß man mir vor Gott geschworen hatte, mir meinem Vater zurückzugeben. Man gibt ihn mir zurück, hier ist er. Ich muß anerkennen, daß man sich keines Wegs anheischig gemacht hat, ihn mir lebendig zurückzugeben.«

Er brach in ein scharfes Gelächter aus.

»Auf, Muth gefaßt,« sprach Herr von Sazerac, »es ist Zeit, demjenigen, welchen Ihr beweint, Fahrwohl zu sagen.«

»Das thue ich, wie Ihr seht mein Herr!« erwiderte Gabriel.

»Ja, doch ich meine, Ihr müßt Euch nun entfernen, die Luft, die man hier einathmet, ist nicht geeignet für die Brust von Lebendigen und ein längerer Aufenthalt unter diesen tödtlichen Miasmen könnte gefährlich werden.«

»Der Beweis hiervon ist hier unter unsern Augen,« sprach Gabriel und deutete auf den Leichnam.

»Vorwärts, kommt, kommt,« sagte der Gouverneur, der den jungen Mann unter dem Arm nehmen wollte, um ihn hinauszuziehen.

»Nun wohl, ja, ich werde Euch folgen,« erwiderte Gabriel, »doch habt die Gnade, laßt mich noch eine Minute hier,« fügte er mit flehendem Tone bei.

Herr von Sazerac machte eine Gebärde der Einwilligung und zog sich bis zur Thüre zurück, wo die Luft etwas minder mephitisch und dicht war.

Gabriel blieb auf den Knieen bei dem Leichnam und verharrte den Kopf gesenkt, einige Minuten unbeweglich und stumm, betend und träumend.

Was sagte er zu seinem todten Vater? fragte er seine ein wenig zu früh von dem unseligen Finger des Todes berührten Lippen nach dem Schlüssel zu dem Räthsel, den er suchte? Schwur er dem heiligen Opfer, es in dieser Welt zu rächen, bis es Gott in jener rächen würde? Suchte er in den entstellten Zügen, was dieser Vater gewesen war, den er zum zweiten Male sah, und wie süß und glücklich ein unter seinem Schutze hingebrachtes Leben hätte sein können? Dachte er endlich an die Vergangenheit oder an die Zukunft, an die Menschen oder an den Herrn, an die Gerechtigkeit oder an die Vergeltung?

Diese düstere Zwiesprache zwischen einem todten Vater und seinem Sohn blieb abermals ein Geheimnis zwischen Gabriel und Gott.

Vier oder fünf Minuten waren vergangen.

Der Athem fing schon an der Brust der zwei Männer zu fehlen, die eine Pflicht der Frömmigkeit und Menschlichkeit unter diese tödtlichen Gewölbe geführt hatte.

»Ich flehe Euch ebenfalls an,« sagte zu Gabriel der brave Gouverneur, »es ist die höchste Zeit, hinaufzugehen.«

»Hier bin ich,« erwiderte Gabriel, »hier bin ich.«

Er nahm die eisige Hand seines Vaters und küßte sie; er beugte sich über seine feuchte Stirne und küßte sie.

Dies Alles, ohne zu weinen. Er konnte es nicht.

»Auf Wiedersehen,« sagte er zu ihm, »auf Wiedersehen!«

Dann erhob er sich, stets ruhig und fest, der Haltung, wenn nicht dem Herzen nach, der Stirne, wenn nicht der Seele nach.

Er sandte seinem Vater einen letzten Blick und einen letzten Kuß zu, und folgte Herrn von Sazerac mit langsamem, ernsten Schritte.

Als er in das obere Stockwerk kam, verlangte er die dunkle, kalte Zelle wiederzusehen, wo der Gefangene so viele Jahre und so viele schmerzliche Gedanken zurückgelassen hatte, und wo er, Gabriel? schon einmal eingetreten war, ohne seinen Vater zu umarmen.

Er brachte hier einige Minuten stummen Nachsinnens und trostloser Schaugierde zu.

Als er mit dem Gouverneur wieder zum Tag und zum Leben hinaufstieg, schauerte Herr von Sazerac, der ihn in sein Zimmer führte, da er ihn beim Licht betrachtete.

Doch er wagte es nicht, dem jungen Mann zu sagen, daß weiße Büschel nun stellenweise seine kastanienbraunen Haare versilberten.

Nach einer Pause sagte er nur mit bewegter Stimme zu ihm:

»Vermag ich nun irgend etwas für Euch zu thun, mein Herr? Verlangt und ich werde glücklich sein, Euch Alles zu, bewilligen, was mir meine Pflicht nicht verbietet.«

»Mein Herr, Ihr habt mir gesagt, man erlaube mir, dem Todten die letzte Ehre zu erweisen. Diesen Abend werden von mir abgeschickte Männer kommen, und wenn Ihr die Güte haben wollt, den Körper vorher schon in einen Sarg legen zu lassen und ihnen zu erlauben, daß sie diesen Sarg wegtragen, so werden sie den Gefangenen in der Gruft seiner Familie bestatten.«

»Dies genügt, mein Herr,« erwiderte Herr von Sazerac, »doch ich muß Euch bemerken, daß man bei dieser Erlaubnis eine Bedingung gestellt hat.«

»Welche?« fragte Gabriel kalt.

»Die, daß Ihr einem geleisteten Versprechen gemäß bei dieser Gelegenheit kein Aergerniß veranlassen werdet.«

»Ich werde dieses Versprechen auch halten,« antwortete Gabriel. »Die Männer werden in der Nacht kommen und, ohne selbst zu wissen, um was es sich handelt, nur den Leichnam in die Rue des Jardins-Saint-Paul, in die Gruft der Grafen von . . .«

»Verzeiht,« unterbrach ihn rasch der Gouverneur des Châtelet, »ich wußte den Namen des Gefangenen nicht und will und darf ihn nicht wissen. Ich bin durch meine Pflicht und durch mein Wort genöthigt gewesen, über viele Punkte zu schweigen; Ihr seid also zu nicht weniger Zurückhaltung gegen mich verbunden.«

»Ich habe nichts zu verbergen,« entgegnete Gabriel mit stolzen Tone. »Nur die Schuldigen verbergen sich.«

»Und Ihr gehört nur zur Zahl der Unglücklichen,« sagte der Gouverneur. »Sprecht, ist das nicht viel mehr wert?«

»Uebrigens,« fuhr Gabriel fort, »übrigens habe ich das, was Ihr mir verschwiegen, errathen, und ich könnte es Euch sogar selbst sagen. Hört zum Beispiel, der mächtige Mann, der gestern Abend hierher kam und den Gefangenen sprechen wollte, um ihn sprechen zu machen, nun ich weiß ungefähr durch welches Zaubermittel er ihn sein Stillschweigen zu brechen veranlaßt . . . dieses Stillschweigen, von dem der Rest des Lebens abhing, den er bis dahin seinen Denkern streitig gemacht hatte.«

»Wie! Ihr wüstet? . . .« sagte Herr von Sazerac erstaunt.

»Ganz gewiß,« erwiderte Gabriel, »der mächtige Mann sagte zu dem Greise: »Euer Sohn lebt!« Oder: »Euer Sohn hat sich mit Ruhm bedeckt!« Oder auch: »Euer Sohn wird kommen und Euch befreien!« Kurz der Schändliche sprach ihm von seinem Sohn!«

Es entschlüpfte dem Gouverneur eine Bewegung des Erstaunens.

»Und bei diesem Sohnesnamen,« fuhr Gabriel fort, »vermochte der unglückliche Vater, der bis dahin vor seinem tödtlichsten Feinde an sich zu halten gewußt hatte, einen Ausbruch der Freude nicht zu bewältigen und stumm für den Haß, rief er für die Liebe: »Sprecht, ist das wahr, mein Herr?«

Der Gouverneur neigte das Haupt, ohne zu antworten.

»Es ist wahr, da Ihr es nicht leugnet,« sagte Gabriel. »Ihr seht wohl, daß es unnöthig war, mir verbergen zu wollen, was der mächtige Mann zu dem armen Gefangenen sprach! Und was den Namen dieses Mannes betrifft, so mochtet Ihr ihn immerhin mit Stillschweigen übergehen . . . soll ich ihn Euch nennen?«

»Herr! Herr!« rief Herr von Sazerac, »es ist wahr, wir sind allein, doch nehmt Euch in Acht! befürchtet Ihr nicht? . . .«

»Ich sagte Euch,« entgegnete Gabriel, »ich habe nichts zu fürchten! Dieser Mann heißt also der Herr Connétable Herzog von Montmorency! Der Henker ist nicht immer verlarvt.«

»Oh! mein Herr,« unterbrach ihn der Gouverneur, indem er voll Schrecken umherblickte.

»Was den Namen des Gefangenen betrifft,« fuhr Gabriel ruhig fort, »was meinen Namen betrifft, so wißt Ihr beide nicht. Doch nichts steht dem entgegen, daß ich sie Euch nenne. Ueberdies könntet Ihr mir schon begegnen und Ihr werdet mir noch im Leben begegnen können. Dann seid Ihr wohlwollend gegen mich in diesen äußersten Augenblicken gewesen, und wenn Ihr mich nennen hören werdet, was vielleicht in einigen Monaten geschieht, so ist es gut, daß Ihr wißt, der Mann, von dem man spricht, sei Euch von heute an verbunden.«

»Und ich werde glücklich sein, zu erfahren, daß das Schicksal nicht immer so grausam gegen Euch gewesen ist,« sprach Herr von Sazerac.

»Oh! für mich ist nicht mehr von diesen Dingen die Rede,« sagte Gabriel mit ernstem Tone. »Doch erfahrt in jedem Fall meinen Namen: ich heiße, seitdem mein Vater heute Nacht in diesem Kerker gestorben ist, Graf von Montgommery.«

Wie versteinert, fand der Gouverneur des Châtelet kein Wort zu erwidern.

»Hiernach lebt wohl, mein Herr« sprach Gabriel. »Lebet wohl und meinen Dank. Gott beschütze Euch!«

Er verbeugte sich vor Herrn von Sazerac und verließ das Châtelet mit festem Schritte.

 

Doch als die freie Luft und der helle Tag auf ihn einbrachen, blieb er einen Augenblick geblendet, wankend stehen. Das Leben setzte ihn gewissermaßen beim Ausgang aus dieser Hölle in Erstaunen.

Da jedoch die Vorübergehenden ihn voll Verwunderung zu betrachten anfingen, so raffte er seine Kräfte zusammen und entfernte sich von dem unseligen Platz.

Zuerst wandte er sich nach einem öden Orte der Grève. Er zog seine Schreibtafel und schrieb Folgendes an seine Amme:

»Meine gute Aloyse,

»Erwarte mich nicht, ich werde heute nicht zurückkehren. Es ist für mich Bedürfnis, einige Zeit allein zu sein, zu gehen, zu denken zu warten. Doch sei unbesorgt über mich: ich werde sicherlich zu Dir zurückkehren.

»Richte es diesen Abend so ein, daß sich Jedermann frühzeitig im Hause niederlegt. Du allein wirst wachen und vier Männern öffnen, die etwas spät am Abend, zur Stunde, wo die Straße verlassen ist, an die große Pforte klopfen.

»Du führst selbst diese vier Männer, welche mit einer traurigen und kostbaren Bürde beladen sind, in die Familiengruft.

»Du zeigst ihnen das offene Grab, in das sie denjenigen, welchen sie bringen, zu legen haben. Du wachst frommer Weise über dieser Bestattung. Haben sie dieselbe beendigt, so gibst Du jedem von diesen Männern vier Goldthaler. Du führst sie sodann geräuschlos zurück und kommst wieder zu dem Grab, um daran niederzuknieen und für Deinen Herrn und für seinen Vater zu beten.«

»Ich werde auch zu derselben Stunde beten, doch fern von dort. Es muß sein. Ich fühle, daß der Anblick dieses Grabes mich zu unklugen, heftigen, äußersten Schritten antreiben würde, und ich bedarf es viel mehr, von der Einsamkeit und von Gott Rath zu verlangen.«

»Auf Wiedersehen, meine gute Aloyse, auf Wiedersehen. Mahne André an das, was Frau von Castro betrifft, und erinnere Dich dessen, was meine Gäste Jean und Babette Peuquoy betrifft. Auf Wiedersehen und Gott behüte Dich.«

Gabriel von M.«

Sobald dieser Brief geschrieben war, suchte und fand Gabriel vier Männer aus dem Volk, vier Arbeiter.

Er gab zum Voraus jedem von ihnen vier Goldthaler und versprach ihnen eben so viel nachher. Um diese Summe zu gewinnen, mußte einer von ihnen vor Allem auf der Stelle einen Brief an seine Adresse tragen. Dann hatten sich alle Vier nur an demselben Abend etwas vor zehn Uhr im Châtelet einzufinden, aus den Händen des Gouverneurs, Herrn von Sazerac, einen Sarg in Empfang zu nehmen und diesen Sarg insgeheim und in der Stille nach der Rue des Jardins-Saint-Paul in das Hotel zu bringen, an das der Brief adressirt war.

Die armen Arbeiter dankten Gabriel mit vielen Worten und versprachen ihm, als sie ihn ganz freudig über die Spende verließen, gewissenhaft seine Befehle zu vollziehen.

»Nun, das macht wenigstens vier Glückliche!« sprach Gabriel mit einer traurigen Freude, wenn man so sagen darf zu sich selbst.

Er verfolgte sodann seinen Weg, um Paris zu verlassen.

Dieser Weg führte ihn vor den Louvre. In seinen Mantel gehüllt und die Arme über seiner Brust gekreuzt, blieb er einige Minuten stehen, um das königliche Schloß zu betrachten.

»Nun ist es an uns Beiden!« murmelte er mit einem Blick der Herausforderung.

Er setzte sich wieder in Marsch, und während er ging, wiederholte er sich in seinem Gedächtnis das Horoskop, das Meister Nostradamus für den Grafen von Montgommery geschrieben, und das nach des Meisters Aussage durch ein seltsames Zusammentreffen sich nach den Gesetzen der Astrologie als genau auf seinen Sohn passend erfunden hatte:

 
»Bei Spiel, bei Liebe wird er berühren
Des Königs Stirne
Mit Wunden schlagen oder Hörner setzen
Des Königs Stirne;
Er wolle oder nicht, er wird verletzen
Des Königs Stirne;
Ihn wird lieben, dann – o weh! – tödten
Des Königs Dame.«
 

Gabriel dachte, diese seltsame Weissagung sei in allen Punkten für seinen Vater in Erfüllung gegangen. In der That, der Graf von Montgommery, der noch jung bei einem Spiele König Franz l. mit einem Feuerbrand getroffen hatte, war sodann der Nebenbuhler von König Heinrich und am vorhergehenden Tage durch dieselbe Dame des Königs, die er geliebt, getödtet worden.

Bis jetzt war auch er, Gabriel, von einer Königin, von Catharina von Medicis, geliebt worden.

Würde er sein Geschick bis zum Ende verfolgen? Sollte ihn die Rache oder das Schicksal eben so den König besiegen und im Kampfspiel treffen lassen?

Geschah dies, so war es Gabriel sodann gleichgültig, ob ihn die Dame des Könige, die ihn geliebt, früher oder später tödtete.

XXII.
Der irrende Ritter

Längst an das Warten, an die Einsamkeit und an den Schmerz gewöhnt, brachte die arme Aloyse noch zwei oder drei ewige Stunden am Fenster sitzend zu und schaute, ob sie ihren vielgeliebten jungen Herrn nicht zurückkommen sehen würde.

Als der Arbeiter, den Gabriel mit seinem Briefe beauftragt hatte, an die Thüre klopfte, öffnete Aloyse hastig. Endlich kam Nachricht!

Eine furchtbare Nachricht! schon bei den ersten Zeilen fühlte Aloyse einen Schleier sich über ihrem Gesicht ausbreiten, und um ihre Erschütterung zu verbergen, mußte sie rasch auf ihr Zimmer gehen, wo sie nicht ohne Mühe den unseligen Brief mit thränenvollen Augen las.

Da es jedoch eine starke Natur und eine muthige Seele war, faßte sie sich wieder, trocknete ihre Thränen ab, ging hinaus und sagte zu dem Boten:

»Es ist gut. Diesen Abend! ich werde Euch mit Euren Kameraden erwarten.«

Der Page André befragte sie voll Angst. Doch sie verschob jede Antwort auf den andern Tag. Bis dahin hatte sie genug zu denken, genug zu thun.

Als der Abend gekommen war, schickte sie die Leute des Hauses frühzeitig zu Bett.

»Der Herr wird sicherlich heute Nacht nicht nach Hause kommen,« sagte sie zu ihnen. Doch als sie allein war, dachte sie:

»Doch! der Herr wird nach Hause kommen. Aber ach! es wird nicht der junge sein, sondern der alte. Denn welchen Leichnam würde man mir in die Gruft der Grafen von Montgommery legen zu lassen befehlen, wenn nicht den des Grafen von Montgommery? Oh! mein edler Herr! Ihr, für den mein armer Perrot gestorben ist, Ihr seid also mit diesem treuen Diener wiedervereinigt! Doch habt Ihr denn Euer Geheimnis in das Grab mitgenommen? O Geheimnisse! Geheimnisse! Ueberall Geheimniß und Schrecken! Gleichviel! ohne zu wissen, ohne zu begreifen, leider ohne zu hoffen, werde ich gehorchen, das ist meine Pflicht, mein Gott! und ich werde es tun.«

Die schmerzliche Träumerei von Aloyse endigte sich in einem glühenden Gebet. Das ist die Gewohnheit der menschlichen Seele: wird ihr das Gewicht des Lebens zu schwer, so flüchtet sie sich in den Schooß Gottes.

Gegen eilf Uhr waren damals die Straßen völlig öde und verlassen; ein dumpfer Schlag erscholl an der großen Pforte.

Aloyse erbebte und erbleichte; doch sie raffte ihren ganzen Muth zusammen, ging, eine Kerze in der Hand, hinab, und öffnete den mit der traurigen Bürde beladenen Menschen.

Mit einer tiefen, ehrfurchtsvollen Verbeugung empfing sie den Herrn, der so nach langer Abwesenheit nach Hause zurückkehrte. Dann sprach sie zu den Trägern:

»Folgt mir und macht so wenig als möglich Geräusch. Ich werde Euch den Weg zeigen.«

Und sie ging ihnen mit ihrem Licht voran und führte sie in das Grabgewölbe.

Hier angelangt legten die Männer den Sarg in eines von den offenen Gräbern und setzten den Deckel von schwarzem Marmor darauf; die armen Menschen, die das Leiden dem Tode gegenüber religiös gemacht hatte, nahmen sodann ihre Mützen ab, knieten nieder und verrichteten ein kurzes Gebet für die Seele des unbekannten Todten.

Als sie wieder aufstanden, führte sie die Amme stillschweigend zurück und drückte auf der Thürschwelle einem derselben die von Gabriel zugesagte Summe in die Hand. Sie entfernten sich wie stumme Schatten, ohne ein einziges Wort gesprochen zu haben.

Aloyse stieg wieder in die Gruft hinab und brachte den Rest der Nacht auf den Knieen betend und weinend zu.

Am andern Morgen fand sie André mit bleicher, aber ruhiger Stirne, und sie begnügte sich, zu ihm mit ernstem Tone zu sagen:

»Mein Kind, wir dürfen immerhin hoffen, doch wir dürfen den Herrn Vicomte d’Ermès nicht mehr erwarten. Seid also darauf bedacht, die Aufträge zu vollziehen die er Euch anvertraut hat, falls er nicht sogleich zurückkommen würde.«

»Es sei,« sprach traurig der Page. »Ich gedenke schon heute aufzubrechen, um Frau von Castro entgegenzugehen.«

»Im Namen des abwesenden Herrn danke ich Euch für diesen Eifer, André,« erwiderte Aloyse.

Der Jüngling that, was er sagte, und brach schon an demselben Tag auf.

Er erkundigte sich den ganzen Weg entlang nach der edlen Reisenden, doch er fand sie erst in Amiens.

Diana von Castro war kurz zuvor mit dem Geleite, das der Herzog von Guise der Tochter von Heinrich II. gegeben hatte, in dieser Stadt angekommen und abgestiegen, um einige Stunden bei Herrn von Thuré, dem Gouverneur des Platzes, auszuruhen.«

Sobald Diana den Pagen erblickte, wechselte sie die Farbe; doch sich bemeisternd hieß sie ihn durch ein Zeichen ihr in das anstoßende Zimmer folgen, und als sie allein war, fragte sie ihn:

»Nun, was bringt Ihr mir, André?«

»Nichts als dieses, Madame,« erwiderte der Page und übergab ihr den eingewickelten Schleier.

»Ach! es ist nicht der Ring!« rief Diana.

Das war Alles, was sie zuerst sah, und dann faßte sie sich ein wenig und befragte André, von der Neugierde ergriffen, welche bewirkt, daß die Unglücklichen ihrem Schmerz bis auf den Grund gehen wollen.

»Hat Euch Herr d’Ermès nicht außerdem mit etwas Schriftlichem für mich beauftragt!«

»Nein; gnädige Frau.«

»Ihr habt mir wenigstens eine mündliche Botschaft zu überbringen?«

»Ach!« antwortete der Page den Kopf schüttelnd, »Herr d’Ermès sagte nur, er gebe Euch alle Eure Versprechen zurück, gnädigste Frau, selbst dasjenige, dessen Unterpfand der Schleier sei; mehr fügte er nicht bei.«

»Unter welchen Umständen schickte er Euch jedoch an mich ab? Hat er meinen Brief von Euch erhalten? Was sagte er, nachdem er ihn gelesen hatte? Was sagte er, indem er Euch dieses einhändigte. Sprecht, André Ihr seid treu und ergeben, das Interesse meines Lebens liegt vielleicht in Euren Antworten, und die geringste Andeutung wird mich in dieser Finsternis zu führen und zu beruhigen vermögen.«

»Gnädige Frau,« erwiderte André, »ich will Euch Alles mittheilen, was ich weiß. Doch was ich weiß, ist sehr wenig.«

»Oh! sprecht immerhin,« rief Frau von Castro. André erzählte sodann, ohne etwas wegzulassen, denn es war ihm von Gabriel keine Geheimhaltung geboten, worden, Alles, was sein Gebieter, ehe er abging, Aloyse und ihm in der Voraussicht, seine Abwesenheit könnte sich Verlängern, empfohlen hatte; er sprach von dem Zögern und dem Bangen des jungen Mannes; nach dem Lesen des Briefes von Diana habe Gabriel zuerst reden zu wollen geschienen, dann aber habe er geschwiegen und es seien ihm nur einige unklare Worte entschlüpft. Seinem Versprechen gemäß vergaß André nichts, nicht eine Gebärde, nicht ein halbes Wort, doch er war, wie er es sogleich gesagt, kaum unterrichtet, und seine Erzählung vermehrte nur die Zweifel und die Ungewißheit von Diana.

Sie schaute traurig diesen schwarzen Schleier, den einzigen Boten und das wahre Symbol ihres Schicksals an, und schien ihn zu befragen und Rath von ihm zu verlangen.

»Es sind nur zwei Fälle denkbar,« sagte sie zu sich selbst, »entweder weiß Gabriel, daß er mein Bruder ist, oder er hat jede Hoffnung und jedes Mittel, eines Tags das unselige Geheimniß zu ergründen, verloren. Ich habe nur zwischen zwei Uebeln zu wählen. Ja, die Sache ist gewiß und es bleibt mir keine Illusion mehr. Doch hätte mir Gabriel nicht diese grausamen Zweideutigkeiten ersparen sollen? Er gibt mir mein Wort zurück; warum? Warum vertraut er mir nicht, was aus ihm werden soll und was er selbst thun will? Ah! dieses Stillschweigen erschreckt mich mehr, als jeder Zorn und jede Drohung!«

Diana berathschlagte mit sich, ob sie ihre erste Absicht verfolgen und diesmal, um nicht mehr daraus wegzugehen, in irgend ein Kloster in Paris oder der Provinz treten sollte, oder ob es nicht vielmehr ihre Pflicht wäre, an den Hof zurückzukehren, um hier Gabriel wiederzusehen, ihm die Wahrheit über die Ereignisse der Vergangenheit und über seine Pläne für die Zukunft zu entreißen und bei jeder Veranlassung über dem vielleicht bedrohten Leben des Königs, ihres Vaters, zu wachen.

 

Ihres Vaters? war denn Heinrich II. ihr Vater? war sie denn nicht gerade eine gottlose und strafbare Tochter wenn sie die Rache hemmte, welche den König treffen sollte? Eine martervolle Lage!

Doch Diana war eine Frau, und eine zarte edelmüthige Frau. Sie sagt sich, wie sie auch gehen möge, könne man den Zorn bereuen, nie aber die Vergeltung, und hingezogen von ihrer natürlichen Gutmüthigkeit, entschloß sie sich, nach Paris zurückzukehren und bis zu dem Tag, wo sie beruhigende Nachrichten von Gabriel und seinen Plänen hätte, wie eine Schutzwehr beim König zu bleiben. Wer könnte wissen, ob Gabriel nicht selbst ihrer Vermittlung bedürfen würde? Wenn sie diejenigen gerettet hätte, welche sie Beide liebte, wäre es immer noch Zeit, sich in den Schooß Gottes zu flüchten.

Als dieser Entschluß gefaßt war, zögerte die muthige Diana nicht mehr und setzte ihre Reise nach Paris fort.

Sie kam hier drei Tage hernach an und stieg im Louvre ab, wo sie Heinrich mit überströmender Freude und einer ganz väterlichen Zärtlichkeit empfing.

Doch unwillkührlich konnte sie diese Beweise von Liebe nur mit Traurigkeit und Kälte aufnehmen, und der König selbst, der sich der Neigung von Diana für Gabriel erinnerte, fühlte sich zuweilen verlegen und bewegt in Gegenwart seiner Tochter. Sie mahnte ihn an Dinge, die er lieber vergessen hätte.

Er wagte es auch nicht mehr, mit ihr von der beabsichtigten Heirath mit Franz von Montmorency zu sprechen und Frau von Castro war wenigstens über diesen Punkt ruhig.

Sie hatte genug andere Sorgen. Weder im Hotel Montgommery, noch im Louvre, noch sonst irgendwo hatte man bestimmte Kunde vom Vicomte d’Ermès.

Es vergingen Tage, Wochen, Monate und Diana mochte sich immerhin mittelbar oder unmittelbar erkundigen, Niemand konnte sagen, was aus Gabriel geworden war.

Einige glaubten ihn düster und traurig gesehen zu haben. Doch keiner hatte mit ihm gesprochen: der Trübselige, den sie für Gabriel gehalten, hatte sie beim ersten Anblick vermieden und geflohen. Ueberdies wichen Alle in ihren Aussagen in Beziehung auf den Ort ab, wo sie den Vicomte d’Ermès gesehen haben wollten; die Einen sagten in Saint-Germain, die Andern in Fontainebleau, Diese in Viencennes, Jene in Paris selbst. Was ließ sich Gründliches aus so vielen widersprechenden Berichten entnehmen?

Und dennoch hatten viele Recht. Durch eine schreckliche Erinnerung und durch einen noch viel schrecklicheren Gedanken fort getrieben, blieb Gabriel nicht einen Tag an demselben Platz. Ein ewiges Bedürfniß der Thätigkeit und der Bewegung jagte ihn von jedem Orte fort, sobald er angekommen war. Zu Pferd oder zu Fuß, in den Stadien oder auf dem Felde, mußte er rastlos wandern . . . bleich und finster und dem von den Furien verfolgten Orestes des Alterthums ähnlich.

Er irrte übrigens immer außen unter dem freien Himmel umher und trat nur in die Häuser, wenn er durch die Nothwendigkeit dazu gezwungen war.

Meister Ambroise Paré jedoch, der, nachdem seine Verwundeten geheilt und die Feindseligkeiten im Norden ein wenig eingestellt waren, nach Paris zurückgekehrt, sah einmal seinen alten Bekannten, den Vicomte d’Ermès, in sein Haus kommen und sich niedersetzen. Er empfing ihn ehrerbietig und herzlich als einen Edelmann und einen Freund.

Wie ein Mensch, der aus fremdem Lande kommt, befragte er den Wundarzt über Dinge, die Niemand unbekannt waren.

Nachdem er sich zuerst nach Martin-Guerre erkundigt hatte, der, nun völlig hergestellt, zu dieser Stunde schon auf dem Weg nach Paris sein mußte, fragte er nach dem Herzog von Guise und der Armee. Alles ging vortrefflich auf dieser Seite. Der Balafré lag vor Thionville. Der Marschall von Germes hatte Dünkirchen genommen; Gaspard von Tavannes hatte Guines und Oie wiedererobert. Es blieb somit den Engländern, wie es sich Franz von Lothringen geschworen hatte, nicht mehr ein Zoll breit Land im ganzen Königreich.

Gabriel hörte ernst und scheinbar ziemlich kalt diese guten Nachrichten an.

»Ich danke, Meister,« sagte er sodann, zu Ambroise Paré, »ich freue mich, zu erfahren, daß wenigstens für Frankreich unser Zug nach Calais nicht ganz ohne Erfolg sein wird. Nichtsdestoweniger war es nicht die Neugierde über diese Dinge, was mich hauptsächlich zu Euch führte. Ich erinnere mich, Meister, daß mich, ehe ich Euch bei der Arbeit, am Bette der Verwundeten anstaunte, Euer Wort an einem gewissen Tag des vergangenen Jahres in dem kleinen Hause der Rue Saint-Jacques tief erschütterte. Meister, ich komme, um mit Euch über diese Materien der Religion zu sprechen, in denen der Scharfblick Eures Geistes so weit vordringt. Ich denke, Ihr seid entschieden der Sache der Reform beigetreten?«

»Ja, Herr d’Ermès,« antwortete Ambroise Paré mit festem Tone. »Der Briefwechsel, den mit mir der große Calvin zu eröffnen die Güte hatte, hob meine letzten Zweifel und meine letzten Bedenklichkeiten. Ich bin nun der überzeugteste Religionär, der sich finden läßt.«

»Wohl, Meister,« sagte der Vicomte d’Ermès, »wollt Ihr an Eurer Erleuchtung einen Neophyten von gutem Willen Theil nehmen lassen? Ich spreche von mir selbst. Wollt Ihr meinen zögernden Glauben wieder befestigen, wie Ihr ein gebrochenes Glied wiederherstellt?«

»Es ist meine Pflicht, wenn ich es kann, die Seelen meiner Mitmenschen eben so gut als ihre Körper zu erleichtern,« sagte Ambroise Paré. »Ich gehöre ganz Euch, Herr d’Ermès.«

Und sie sprachen über zwei Stunden mit einander, Ambroise Paré glühend und beredt, Gabriel ruhig, traurig und gelehrig.

Nach Verlauf dieser Zeit stand Gabriel auf, drückte dem Wundarzt die Hand und sagte:

»Ich danke, diese Unterredung hat mir sehr wohl gethan. Die Zeit ist leider noch nicht gekommen, wo ich mich offen als reformiert erklären kann. Im Interesse der Religion muß ich warten. Würde ich dies nicht thun, so dürfte mein Uebertritt eines Tag Eure heilige Sache Verfolgungen oder wenigstens Verleumdungen aussetzen. Ich weiß, was ich sage. Doch durch Eure Belehrung, Meister, sehe ich nun ein, daß die Eurigen wahrhaft auf dem guten Wege wandeln, und glaubt mir, daß ich von jetzt an dem Herzen, wenn auch nicht der That nach, mit Euch bin. Gott befohlen, Meister Ambroise Paré. Wir werden uns wiedersehen.«

Und ohne sich weiter zu erklären, grüßte Gabriel den philosophischen Wundarzt und entfernte sich.

In den ersten Tagen des darauf folgenden Monats, im Mai 1558, erschien er zum ersten Male wieder seit seiner geheimnißvollen Entfernung in dem Hotel der Rue des Jardins-Saint-Paul.

Es fand sich hier Neues. Martin-Guerre war seit vierzehn Tagen zurückgekehrt und Jean Peuquoy wohnte hier seit drei Monaten. mit seiner Frau Babette.

Doch es war nicht Gottes Wille gewesen, daß Jean bis zum Ende litt, und vielleicht auch nicht, daß der Fehler von Babette völlig unbestraft blieb. Babette hatte vor der Zeit ein todtes Kind geboren.

Die arme Mutter weinte viel, doch sie beugte das Haupt vor einem Schmerz, der ihrer Reue wie eine Sühnung erschien, und wie ihr Jean Peuquoy edelmüthig sein Opfer geboten hatte, so bot sie ihm ihre Resignation.

Ueberdies fehlten die liebevollen Tröstungen ihres Gatten und die mütterlichen Ermuthigungen von Aloyse der sanften Bekümmerten nicht.

Auch Martin-Guerre richtete sie mit seiner gewöhnlichen Treuherzigkeit, so gut er konnte, wieder auf.

Und eines Tags, als alle Vier freundschaftlich mit einander plauderten, öffnete sich die Thüre und zu ihrem großen Erstaunen und ihrer noch viel größeren Freude trat plötzlich der Herr des Hauses, der Vicomte d’Ermès mit langsamem Schritte und ernster Miene ein.

Vier Schreie vermischten sich in einem einzigen und Gabriel war sogleich umgeben von seinen zwei Gästen, seinem Stallmeister und seiner Amme.

Als sich der erste Jubel gelegt hatte, wollte Aloyse denjenigen befragen, welchen sie laut ihren Herrn hieß, den sie aber in ihrem Herzen immer noch ihr Kind nannte.

Wie war es ihm während dieser langen Abwesenheit ergangen? Was wollte er nun thun? Würde er unter denjenigen bleiben, welche ihn liebten?

Gabriel legte einen Finger auf seine Lippen und ermahnte mit einem traurigen, aber festen Blicke die zarte Sorge von Aloyse zum Stillschweigen.

Offenbar wollte oder konnte er sich weder über die Vergangenheit, noch über die Zukunft erklären. Dagegen befragte er Babette und Jean Peuquoy über sie selbst. Hatte es ihnen an nichts gefehlt? Hatten sie kürzlich von ihrem braven Bruder Pierre, der in Calais geblieben, Nachricht erhalten?

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