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Ange Pitou Denkwürdigkeiten eines Arztes 3

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»In Beziehung auf Herrn Gilbert, dessen Anblick einen so starken Eindruck auf Sie gemacht hat.«

Andrée bebte, schüttelte aber nur, ein Leugnen bezeichnend, den Kopf.

»Dann halte ich Sie nicht zurück, liebe Gräfin, Sie sind frei.«

Und die Königin machte einen Schritt, um in das an ihr Zimmer anstoßende Kabinett zu gehen.

Andrée aber schritt, nachdem sie vor der Königin eine tadellose Verneigung gemacht hatte, auf die Ausgangsthüre zu.

Doch in dem Augenblick, wo sie öffnen wollte, erschollen Tritte im Korridor, und eine Hand legte sich auf den äußeren Drücker der Thüre.

Zu gleicher Zeit vernahm man die Stimme von Ludwig XVI., der seinem Kammerdiener für die Nacht Befehle gab.

»Der König! Madame!« sagte Andrée, während sie mehrere Schritte rückwärts that; »der König!«

»Nun! ja, der König!« erwiderte Marie Antoinette. »Macht er Ihnen dergestalt bange?«

»Madame, in des Himmels Namen,« rief Andrée, »daß ich den König nicht sehe, daß ich mich ihm wenigstens heute Abend nicht gegenüber befinde; ich würde vor Scham sterben.«

»Aber Sie werden mir doch sagen . . .«

»Alles, alles, wenn es Eure Majestät verlangt. Doch verbergen Sie mich.«

»Treten Sie in mein Boudoir ein,« sprach Marie Antoinette, »Sie werden es verlassen, sobald der König weggegangen ist. Seien Sie unbesorgt, Ihre Gefangenschaft wird nicht lange währen; der König bleibt nie lange hier.«

»Oh! Dank! Dank!« rief die Gräfin.

Und sie eilte in das Boudoir und verschwand in dem Augenblick, als der König, die Thüre öffnend, auf der Schwelle des Zimmers erschien.

Der König trat ein.

XXX.
An was der König in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 1789 dachte

Wie lange diese Unterredung gedauert, vermöchten wir nicht zu sagen, sie verlängerte sich indessen; denn erst gegen elf Uhr abends konnte man die Thüre des Boudoirs der Königin sich öffnen und Andrée auf der Thürschwelle beinahe knieend die Hand von Marie Antoinette küssen sehen.

Dann, als sie sich wieder erhob, wischte die junge Frau ihre von Thränen geröteten Augen ab, während die Königin ihrerseits in ihr Zimmer zurückkehrte.

Andrée, im Gegenteil, als ob sie sich selbst hätte entweichen wollen, entfernte sich rasch.

Von diesem Augenblick an blieb die Königin allein. Als die Dame vom Bettdienst eintrat, um ihr sich auskleiden zu helfen, fand sie Marie Antoinette mit funkelnden Augen und mit großen Schritten im Zimmer auf- und abgehend.

Sie machte mit der Hand eine rasche Geberde, die besagen wollte: Lassen Sie mich.

Die Dame vom Bettdienste entfernte sich sogleich wieder.

Nun war die Königin ganz allein; sie hatte verboten, sie zu stören, wäre es nicht wegen wichtiger, von Paris eintreffender Nachrichten.

Andrée erschien nicht wieder.

Was den König betrifft, so erklärte er, nachdem er sich mit Herrn de la Rochefoucault unterhalten hatte, der ihm den Unterschied, der zwischen einem Aufruhr und einer Revolution obwalte, begreiflich zu machen suchte – er erklärte, er sei müde, legte sich nieder und entschlummerte, nicht mehr und nicht minder ruhig, als wenn er auf der Jagd gewesen wäre und der Hirsch (ein wohl dressierter Hofmann) sich hätte im Schweizer-Teich fangen lassen.

Die Königin schrieb ein paar Briefe, ging in das nächste Zimmer, wo ihre zwei Kinder unter der Obhut der Frau von Tourzel schliefen, und legte sich zu Bette, nicht um zu schlafen, wie der König, sondern um nach ihrem Gefallen zu träumen.

Doch bald, als die Stille Versailles in Besitz genommen hatte, als der ungeheure Palast in Finsternis getaucht war, als man in der Tiefe der Gärten nur noch die auf dem Sande krachenden Tritte der Patrouillen, in den langen Korridors nur noch den sachte auf die Marmorplatte stoßenden Gewehrkolben hörte, stieg Marie Antoinette, ihrer Ruhe müde, das Bedürfnis zu atmen fühlend, aus ihrem Bette, zog ihre Sammetpantoffeln an, hüllte sich in ein langes Nachtgewand, trat ans Fenster, um die von den Kaskaden aufsteigende Kühle zu schlürfen und im Vorüberziehen die Ratschläge aufzufassen, die der Nachtwind den brennenden Stirnen, den gepreßten Herzen zuflüstert.

Dann durchging sie in ihrem Geiste alles, was ihr dieser seltsame Tag an unvorhergesehenen Ereignissen gebracht hatte:

Den Fall der Bastille, dieses sichtbaren Emblems der königlichen Gewalt; die Schwankungen Charnys, dieses ergebenen Freundes, dieses leidenschaftlichen Gefangenen, den sie seit so vielen Jahren unter dem Joche hielt, und der, nachdem er nur Liebe geseufzt hatte, zum ersten Mal Bedauern und Reue zu seufzen schien.

Mit jener Gewohnheit der Zusammenstellung, die den großen Geistern die Bekanntschaft mit Menschen und Dingen giebt, machte Marie Antoinette auf der Stelle zwei Teile aus dem Mißbehagen, das sie empfand und das ein politisches Unglück und einen Herzenskummer in sich schloß.

Das politische Unglück war die große Nachricht, die sich über die Welt verbreiten und in allen Geistern die bis dahin den Königen, als Mandataren Gottes, zugestandene Ehrfurcht angreifen sollte.

Der Herzenskummer war Charnys dumpfer Widerstand gegen die Allmacht seiner geliebten Fürstin. Es war wie eine Ahnung, daß, ohne aufzuhören treu und ergeben zu sein, die Liebe blind zu sein aufhören sollte und ihre Treue und Ergebenheit zu erörtern anfangen konnte.

Dieser Gedanke bedrückte ihr Herz gewaltig und füllte es mit jener bittern Galle, die man die Eifersucht nennt, ein scharfes Gift, das zugleich tausend Wunden in einer verletzten Seele schwären macht.

Kummer in Gegenwart von Unglück, das war indessen etwas Untergeordnetes für die Logik.

Mehr aus einem Vernunftschluß, als aus Bewußtsein, mehr aus Notwendigkeit, als aus Instinkt, überließ auch Marie Antoinette ihre Seele vor allem den ernsten Gedanken über die Gefahr der politischen Lage.

Wohin sie sich auch wenden mochte, so standen Haß und Ehrgeiz sich gegenüber, Schwäche und Gleichgültigkeit an ihrer Seite. Leute waren zu Feinden geworden, die, nachdem sie mit der Verleumdung angefangen, nun zu den Rebellionen fortschritten.

Ihre Verteidiger waren Menschen, die sich daran gewöhnt hatten, alles zu ertragen, und denen folglich das Gefühl fehlte für die Tiefe ihrer Wunden.

Also Leute, die zögern würden, einen Gegenschlag zu thun, aus Furcht, Lärm zu machen.

Man mußte also alles in der Vergessenheit begraben, sich den Anschein geben, als vergäße man, und sich dennoch erinnern; sich den Anschein geben, als verzeihe man, und dennoch nicht verzeihen.

Das war nicht würdig einer Königin von Frankreich, das war besonders nicht würdig einer Tochter von Maria Theresia, dieser Frau von Herz.

Kämpfen! kämpfen! das war der Rat des empörten königlichen Stolzes; aber kämpfen, war das klug? Besänftigt man die Leidenschaften des Hasses mit vergossenem Blut? war er nicht erschrecklich der Name: die Österreicherin? mußte man ihm zur Einweihung, wie es Isabeau und Katharine von Medicis mit dem ihrigen gethan, die Bluttaufe verleihen durch eine allgemeine Schlächterei?

Und dennoch blieb, wenn Charny wahrgesprochen, der Erfolg zweifelhaft.

Kämpfen und besiegt werden? Das waren auf der Seite des politischen Unglücks die Schmerzen der Königin, die aber bei gewissen Wandlungen ihres Nachsinnens aus der Tiefe ihrer Leiden als Königin die Verzweiflung der Frau auftauchen fühlte, die sich weniger geliebt glaubt, weil sie durch ein Übermaß der Liebe verwöhnt ist.

Charny hatte das, was wir ihn sagen hörten, nicht aus Überzeugung, sondern aus Müdigkeit gesagt; er hatte, wie so viele andere, aus demselben Becher mit ihr die Verleumdungen zum Überdruß getrunken. Hatte Charny, der zum erstenmal von seiner Frau, einem bisher von ihrem Manne vergessenen Geschöpf, mit so sanften Worten gesprochen, hatte Charny vielleicht bemerkt, daß diese junge Frau immer noch schön war? Und bei diesem einzigen Gedanken, der sie brannte wie der verzehrende Biß der Natter, erkannte Marie Antoinette mit Erstaunen, das Unglück sei nichts gegen den Kummer.

Denn was das Unglück nicht hatte machen können, bewirkte der Kummer bei ihr. Die Frau sprang wütend aus dem Lehnstuhl auf. Das ganze Verhängnis dieses von Leiden bevorzugten Geschöpfs enthüllte sich in der Seelenstimmung von Marie Antoinette während dieser Nacht.

Wie zugleich dem Unglück und dem Kummer begegnen? fragte sie sich mit unablässig wieder entstehenden Beängstigungen. Sollte man sich entschließen, das königliche Leben aufgebend, in der Mittelmäßigkeit glücklich zu leben; sollte man zu seinem wahren Trianon und zu seiner Hütte, zum Frieden des Sees und zu den unbekannten Freuden der Sennerei zurückkehren; sollte man dieses ganze Volk sich in die Fetzen des Königtums teilen lassen, einige geringfügige Parzellen ausgenommen, welche die Frau mit den bestrittenen Abgaben einiger Getreuen, die durchaus Vasallen bleiben wollten, sich würde aneignen können?

Ach! hier – fing die Schlange der Eifersucht wieder an, tiefer zu beißen.

Glücklich! wäre sie glücklich mit der Demütigung einer verachteten Liebe?

Glücklich! bei Herrn von Charny, der glücklich wäre bei irgend einer geliebten Frau, bei der seinigen vielleicht?

Doch mitten unter dieser fieberhaften Qual ein Blitz der Ruhe! mitten unter dieser bebenden Angst ein Genuß! Sollte Gott in seiner unendlichen Güte das Böse nur geschaffen haben, um das Gute schätzen zu lehren?

Andrée hatte der Königin ihre Bekenntnisse gemacht, sie hatte die Schande ihres Lebens ihrer Nebenbuhlerin enthüllt; Andrée hatte mit Thränen in den Augen, das Gesicht gegen die Erde gesenkt, Marie Antoinette gestanden, sie sei nicht mehr würdig der Liebe und der Achtung eines ehrlichen Mannes: Charny wird also Andrée niemals lieben.

Charny weiß aber nichts, Charny wird nie etwas wissen von jener Katastrophe von Trianon und von den Folgen, die sie gehabt hat. Für Charny ist es daher, als bestände die Katastrophe gar nicht.

 

Und während sie diese Betrachtungen anstellte, prüfte die Königin im Spiegel ihres Gewissens ihre abnehmende Schönheit, ihre verlorene Heiterkeit, ihre entflohene Jugendfrische.

Dann kehrte sie zu Andrée zurück, zu den seltsamen, beinahe unglaublichen Abenteuern, die sie ihr erzählt hatte.

Sie bewunderte die zauberhafte Kombination des Schicksals, die im Grunde von Trianon, im Schatten der Hütte oder im Kote der Bauernhäuser den kleinen Gärtnerjungen nahm, um ihn mit dem Geschick eines Edelfräuleins zu verbinden, das wiederum mit dem Geschicke einer Königin verbunden ward. Somit, sagte sie sich, somit hätte sich das in den niedrigsten Regionen verlorene Atom, durch eine Laune höherer Anziehungskräfte, ein Diamantteilchen, mit dem göttlichen Gestirne verschmolzen?

Dieser Gärtnerjunge, dieser Gilbert, war er nicht ein lebendiges Symbol von dem, was zu dieser Stunde sich ereignet, ein Mensch aus dem Volke, aus der Niedrigkeit seiner Geburt hervorgegangen, um sich mit der Politik eines großen Königreichs zu beschäftigen? ein seltsamer Schauspieler, der durch ein Privilegium des bösen Geistes, der über Frankreich schwebte, sowohl die dem Adel angethane Beschimpfung, als den durch den Pöbel gegen das Königtum gemachten Angriff in sich personifizierte.

Dieser Gilbert, ein Gelehrter geworden, mit dem schwarzen Rocke des dritten Standes bekleidet, der Rat des Herrn Necker, der Vertraute des Königs von Frankreich, würde sich nun durch ein Spiel der Revolution mit der Frau parallel finden, der er nächtlicherweise, wie ein Dieb die Ehre gestohlen!

Wieder Weib geworden und unwillkürlich schauernd bei der Erinnerung an die klägliche Geschichte, die ihr Andrée erzählt hatte, machte es sich die Königin gleichsam zur Pflicht, diesem Gilbert ins Gesicht zu schauen und durch sich selbst in den menschlichen Zügen lesen zu lernen, was Gott von der Offenbarung eines so seltsamen Charakters darin legen konnte. Und trotz des soeben erwähnten Gefühles, das sie über die Demütigung ihrer Nebenbuhlerin beinahe freudig stimmte, waltete dabei ein heftiges Verlangen ob, den Mann zu verletzen, der eine Frau so sehr ins Leid gestürzt hatte.

Dann war noch der Wunsch, ihn anzuschauen, wer weiß? vielleicht mit der Angst, die Ungeheuer einflößen, verknüpft, den außerordentlichen Mann zu bewundern, der durch ein Verbrechen sein gemeines Blut mit dem edelsten Blut Frankreichs vermischt hatte; diesen Mann, der, wie es schien, die Revolution hatte machen lassen, damit man ihm die Bastille öffne, in der er ohne diese Revolution hätte lernen müssen, es ewig zu vergessen, daß ein Mann vom Bürgerstand das Recht hat, ein Gedächtnis zu besitzen.

Durch diese fortziehende Folge ihrer Gedanken kam die Königin auf die politischen Schmerzen zurück, und sah auf einem und demselben Haupte die Verantwortlichkeit für alles, was sie gelitten, sich anhäufen.

Der Urheber der Volksrevolution, welche die königliche Gewalt durch die Zertrümmerung der Bastille erschüttert hatte, war also Gilbert, dessen Grundsätze den Billot, den Maillard, den Elie, den Hullin die Waffen in die Hände gegeben.

Gilbert war also zugleich ein giftiges und ein erschreckliches Geschöpf; giftig, denn er hatte Andrée als Liebender zu Grunde gerichtet; erschrecklich, denn er hatte die Bastille als Feind zertrümmern helfen.

Man mußte ihn also kennen, um ihn zu vermeiden, oder noch besser, ihn kennen, um sich seiner zu bedienen.

Man mußte um jeden Preis diesen Mann sprechen, ihn in der Nähe sehen, ihn durch sich selbst beurteilen.

Die Nacht war zu zwei Dritteln vorüber, es schlug drei Uhr, die Morgendämmerung bleichte die Gipfel der Bäume des Parkes von Versailles und die Spitzen der Statuen.

Ein schwerer und brennender Schlaf bemächtigte sich allmählich der unglücklichen Frau. Sie fiel, den Hals zurückgeworfen, auf die Lehne eines Fauteuils beim offenen Fenster nieder.

Sie träumte, sie gehe in Trianon spazieren, und aus einem Gartenbeete komme ein Erdgeist mit fahlem Lächeln, wie man sie in deutschen Balladen trifft, hervor, und dieses höhnische Ungeheuer sei Gilbert, der gekrümmte Finger gegen sie ausstreckte. Sie stieß einen Schrei aus.

Ein Schrei antwortete auf den ihrigen, der sie aufweckte.

Frau von Tourzel hatte ihn von sich gegeben; sie war bei der Königin eingetreten und hatte, als sie Marie Antoinette entstellt und röchelnd auf einem Lehnstuhl sah, den Ausbruch ihres Schmerzes und ihrer Bestürzung nicht zurückhalten können.

»Die Königin ist krank!« rief sie, »die Königin leidet! Soll ich einen Arzt rufen?«

Die Königin öffnete die Augen; die Frage von Frau von Tourzel war just eine Antwort auf das Verlangen ihrer Neugierde.

»Ja, einen Arzt,« erwiderte Sie, »den Doktor Gilbert, rufen Sie den Doktor Gilbert.«

»Wer ist der Doktor Gilbert?« fragte Frau von Tourzel.

»Ein neuer Quartalarzt, der, wie ich glaube, gestern bei seiner Ankunft von Amerika ernannt worden ist.«

»Ich weiß, wen Eure Majestät meint,« bemerkte schüchtern eine von den Damen der Königin.

»Nun?« fragte Marie Antoinette.

»Der Doktor ist im Vorzimmer des Königs.«

»Sie kennen ihn also?«

»Ja, Eure Majestät,« stammelte die Dame.

»Woher kennen Sie ihn denn? Er ist vor acht bis zehn Tagen von Amerika angekommen und hat gestern erst die Bastille verlassen.«

»Woher kennen Sie ihn?« fragte gebieterisch die Königin.

Die Dame schlug die Augen nieder.

»Werden Sie sich wohl entschließen, mir zu sagen, woher Sie ihn kennen?«

»Madame, ich habe seine Werke gelesen, und da mich seine Werke auf den Verfasser neugierig gemacht hatten, so ließ ich ihn mir heute morgen zeigen.«

»Ah!« versetzte die Königin mit einem unbeschreiblichen Ausdruck zugleich von Hochmut und von Zurückhaltung, »ah! es ist gut – da Sie ihn kennen, so sagen Sie ihm, ich sei leidend, und ich wünsche ihn zu sehen.«

Die Königin ließ mittlerweile ihre Frauen eintreten, zog ein Morgenkleid an und brachte ihren Kopfputz wieder in Ordnung.

XXXI.
Der Arzt des Königs

Einige Minuten, nachdem die Königin ihr Begehren ausgesprochen, erschien Gilbert, tief bewegt, doch ohne daß sich etwas auf der Oberfläche kundgab, was Marie Antoinette hätte bemerken können.

Die edle und sichere Haltung, die ausnehmende Blässe des Mannes der Wissenschaft und der Einbildungskraft, dem das Studium eine zweite Natur schafft; die feine, weiße Hand des Operateurs; das so feine, so zierliche, so wohl geformte Bein, daß keiner am Hofe ein besser modelliertes den Kennern und sogar den Kennerinnen des Oeil-de-Boeuf zeigen konnte; – bei alledem eine Mischung von schüchterner Ehrfurcht für die Frau, von ruhiger Kühnheit gegen die Kranke, nichts für die Königin; dies waren die raschen und deutlichen Schattierungen, die Marie Antoinette mit ihrem aristokratischen Verstand in der Person des Doktors Gilbert in dem Augenblick zu lesen wußte, wo sich die Thüre öffnete, um ihn in ihr Schlafzimmer einzulassen.

Je weniger herausfordernd Gilbert in seinem Wesen war, desto mehr fühlte die Königin ihren Zorn wachsen. Sie hatte sich aus diesem Menschen einen widrigen Typus gemacht, sie hatte sich ihn natürlich und beinahe unwillkürlich einem jener Helden der Unverschämtheit ähnlich, wie sie solche häufig um sich sah, vorgestellt. Den Urheber der Leiden von Andrée, diesen Bastard-Zögling von Rousseau, diese zum Mann gewordene Mißgeburt, diesen Doktor gewordenen Gärtner, diesen Philosoph und Seelenbändiger gewordenen Bäume-Abrauper, – Marie Antoinette stellte sich ihn unwillkürlich unter den Zügen Mirabeaus, des Mannes vor, den sie nach dem Kardinal von Rohan und Lafayette am meisten haßte.

Ehe sie Gilbert gesehen, hatte es ihr geschienen, er müßte auch dem Leibe nach etwas Kolossales sein, um seine kolossale Geisteskraft im Zaum zu halten.

Als sie aber einen jungen, geraden, schlanken Mann mit ungezwungenen, eleganten Formen sah, schien ihr dieser Mann, das neue Verbrechen begangen zu haben, in seiner äußern Erscheinung eine Lüge zu sein, das heißt, ein sichtbarer Widerspruch mit seinem Innern. Gilbert, ein Mensch aus dem Volke, von dunkler, unbekannter Geburt; Gilbert, ein gemeiner Bauer, war in den Augen der Königin des Verbrechens schuldig, sich das äußere Wesen des Edelmannes und des guten Menschen angemaßt zu haben. Die stolze Oesterreicherin, die geschworene Feindin der Lüge bei andern, entrüstete sich und faßte plötzlich einen wütenden Haß gegen das Atom, das so viele Belastungen zu ihrem Feinde machte.

Ihre Vertrauten konnten leicht sehen, daß ein Orkan voller Blitze und Donner in der Tiefe ihres Herzens tobte.

Doch wie hätte ein menschliches Geschöpf, und wäre es eine Frau gewesen, unter diesem Flammenwirbel von Zorn und Grimm der Spur der seltsamen entgegengesetzten Gefühle folgen können, die im Gehirn der Königin aneinander stießen, und ihr die Brust von allen den tödlichen Giften anschwellten, die Homer beschreibt?

Die Königin entließ mit dem Blick alle Welt, selbst Frau von Misery. Jedermann entfernte sich.

Die Königin wartete, bis die Thüre hinter der letzten Person geschlossen war; dann richtete sie die Augen wieder auf Gilbert, und bemerkte, daß er nicht aufgehört hatte, sie anzuschauen.

So viel Kühnheit brachte sie außer sich.

Dieser Blick des Doktors war scheinbar harmlos; aber stät und fortdauernd, sich absichtlich einbohrend, wurde er dergestalt lästig, daß sich Marie Antoinette genötigt fühlte, dagegen zu kämpfen.

»Nun! mein Herr,« sagte sie mit der Brutalität eines Pistolenschusses, »was stehen Sie so vor mir und schauen mich an, statt mir zu sagen, woran ich leide?«

Diese wütende Anrede, verstärkt durch die Blitze des Blickes, hätten jeden Höfling der Königin niedergeschmettert, zu den Füßen von Marie Antoinette um Gnade flehend, einen Marschall von Frankreich, einen Helden, einen Halbgott fallen gemacht.

Gilbert aber antwortete ruhig:

»Durch die Augen, Madame, urteilt der Arzt zuerst. Wenn ich Eure Majestät, die mich hat rufen lassen, anschaue, so befriedige ich nicht eine leere Neugierde, ich treibe mein Gewerbe, ich gehorche Ihren Befehlen.«

»So haben Sie mich studiert?«

»Soviel es in meiner Macht war, Madame.«

»Bin ich krank?«

»Nicht in der eigentlichen Bedeutung des Wortes. Eure Majestät leidet an einer Ueberreizung.«

»Ah! ah!« versetzte Marie Antoinette spöttisch, »warum sagen Sie nicht lieber kurzweg, ich sei zornig?«

»Eure Majestät, da sie einen Arzt hat rufen lassen, wird wohl erlauben, daß sich der Arzt des medizinischen Ausdruckes bedient.«

»Gut. Und woher diese Ueberreizung?«

»Eure Majestät hat zu viel Geist, um nicht zu wissen, daß der Arzt mittelst seiner Erfahrungen und Ueberlieferungen des Studiums bloß das materielle Uebel errät, daß er aber kein Wahrsager ist, um beim ersten Anblick die menschlichen Seelen ergründen zu können.«

»Damit meinen Sie, beim zweiten oder dritten Male können Sie sagen, nicht nur, was ich leide, sondern auch, was ich denke?«

»Vielleicht, Madame,« erwiderte Gilbert kalt.

Die Königin hielt bebend inne; man sah auf ihren Lippen das Wort bereit, brausend und zerfressend hervorzuspringen.

Sie bezwang sich.

»Man muß Ihnen glauben,« sagte sie, »Ihnen, einem gelehrten Mann.«

Und sie betonte diese letzten Worte mit einer so grimmigen Verachtung, daß auch das Auge Gilberts vom Feuer des Zorns zu flammen schien.

Doch eine Sekunde des Kampfes genügte für diesen Mann, daß er sich selbst besiegte.

Die Stirne ruhig und das Wort frei, antwortete er alsbald:

»Eure Majestät ist allzu gütig, daß sie das Patent eines gelehrten Mannes bewilligt, ohne mein Wissen erprobt zu haben.«

Die Königin biß sich auf die Lippen.

»Sie begreifen, daß ich nicht weiß, ob Sie gelehrt sind,« erwiderte sie, »aber man behauptet es, und ich sage es aller Welt nach.«

»Ei!« sprach Gilbert ehrerbietig, während er sich tiefer verbeugte, als er es vorher gethan hatte, »Eure Majestät, ein Verstand wie der Ihre sollte nicht blindlings wiederholen, was der gemeine Haufen behauptet.«

»Sie wollen sagen, das Volk?« versetzte die Königin übermütig.

»Der gemeine Haufen, Madame,« erwiderte Gilbert mit einer Festigkeit, die das Herz der für unbekannte Bewegungen so schmerzlich empfänglichen Frau beben machte.

»Streiten wir nicht hierüber,« sagte sie. »Man nennt Sie gelehrt, das ist das Wesentliche. Wo haben Sie studiert?«

»Ueberall, Madame.«

»Das ist keine Antwort.«

»Nirgends also.«

»Ich höre das lieber. Sie haben nirgends studiert?«

 

»Wie es Ihnen beliebt, Madame,« antwortete der Doktor, sich verbeugend. »Und dennoch ist das minder genau, als zu sagen: überall.«

»So antworten Sie,« rief die Königin außer sich, und ich bitte besonders, Herr Gilbert, »verschonen Sie mich mit diesen Phrasen.«

Dann fügte sie bei, als spräche sie mit sich selbst:

»Ueberall! Was soll das bedeuten? Das ist das Wort eines Charlatans, eines Empirikers, eines Arztes der öffentlichen Plätze. Beabsichtigen Sie etwa, mir durch großartig klingende Silben zu imponieren?«

Und mit glühenden Augen und bebenden Lippen streckte sie einen Fuß aus.

»Ueberall! führen Sie einiges an, Herr Gilbert, führen Sie einzelnes an.«

»Ich habe gesagt, überall,« antwortete Gilbert kalt, »weil ich in der That überall studiert habe: im Palast und in der Hütte, in der Stadt und in der Wüste, an uns und am Tier, an mir und an andern, wie es sich geziemt für einen Mann, der die Wissenschaft liebt und sie überall nimmt, wo sie ist, das heißt überall.«

Besiegt, schleuderte die Königin Gilbert einen furchtbaren Blick zu, indes der Doktor seinerseits sie mit einer in Verzweiflung setzenden Starrheit anschaute.

Sie schüttelte sich krampfhaft und warf, indem sie sich umwandte, den kleinen Gueridon um, auf dem man ihr ihre Chokolade in einer Tasse von Sèvres serviert hatte.

Gilbert sah den Tisch fallen, sah die Tasse zerbrechen, rührte sich aber nicht.

Die Röte stieg Marie Antoinette zu Gesicht; sie fuhr mit einer kalten, feuchten Hand an ihre brennende Stirne und war im Begriff, die Augen abermals zu Gilbert aufzuschlagen, wagte es aber nicht.

Nun schützte sie für sich selbst eine Verachtung vor, die größer sein sollte, als der Uebermut.

»Und unter welchem Meister haben Sie studiert?« fuhr die Königin, das Gespräch da, wo sie es gelassen hatte, wieder aufnehmend, fort.

»Ich weiß nicht, wie ich Eurer Majestät antworten soll, ohne Gefahr zu laufen, sie abermals zu verwunden.«

Die Königin fühlte den Vorteil, den ihr Gilbert geboten, und warf sich darauf wie eine Löwin.

»Mich verwunden! Sie mich verwunden!« rief sie. »Oh! mein Herr, was sagen Sie da? Sie eine Königin verwunden! Sie täuschen sich, das schwöre ich Ihnen. Ah! Herr Doktor Gilbert, Sie haben die französische Sprache nicht an so guten Quellen studiert, wie die Arzneikunde. Man verwundet die Leute von meinem Stande nicht, Herr Doktor Gilbert, man ermüdet sie nur.«

Gilbert verbeugte sich und machte einen Schritt nach der Thüre, doch ohne daß es der Königin möglich war, in seinem Gesicht die geringste Spur von Zorn, das kleinste Zeichen von Ungeduld zu entdecken.

Die Königin stampfte im Gegenteil vor Wut mit dem Fuß; sie machte einen Sprung, als wollte sie Gilbert zurückhalten.

Er begriff.

»Verzeihen Sie, Madame,« sagte er. »Es ist wahr, ich beging das unverzeihliche Unrecht, zu vergessen, daß ich als Arzt vor eine Kranke gerufen bin. Entschuldigen Sie: ich werde mich fortan dessen erinnern.«

Und er blieb.

»Eure Majestät,« fuhr er fort, »scheint mir einer Nervenkrise nahe zu sein. Ich möchte sie bitten, sich dieser Neigung nicht hinzugeben; bald wäre sie nicht mehr Meisterin darüber. In diesem Augenblick muß der Puls stocken, das Blut fließt zum Herzen zurück: Eure Majestät leidet. Eure Majestät ist dem Ersticken nahe, und vielleicht wäre es klug, wenn sie eine von ihren Frauen rufen ließe.«

Die Königin ging einmal im Zimmer auf und ab, setzte sich dann wieder und fragte:

»Sie heißen Gilbert?«

»Gilbert, ja, Madame.«

»Das ist seltsam! Ich habe eine Jugenderinnerung, deren sonderbare Existenz, wenn ich sie Ihnen mitteilte, Sie ohne Zweifel sehr verwunden würde. Doch gleichviel! verwundet, würden Sie sich heilen. Sie, der Sie nicht minder solider Philosoph, als gelehrter Arzt sind,« fügte die Königin bei.

Und sie lächelte spöttisch.

»So ist es gut, Madame,« sagte Gilbert, «lächeln Sie und bezähmen Sie allmählig Ihre Nerven durch den Spott. Es ist eines der schönsten Vorrechte des verständigen Willens, sich in solcher Weise selbst zu befehlen. Bezähmen Sie, Madame, bezähmen Sie, doch ohne zu zwingen.«

Diese Vorschrift des Arztes wurde mit einem so freundlichen und gutmütigen Wesen gegeben, daß die Königin, obgleich sie die Ironie fühlte, über das, was Gilbert ihr gesagt, nicht böse werden konnte.

Nur nahm sie den Angriff wieder auf, wo sie sich darin unterbrochen hatte, und sprach:

»Hören Sie also die Jugenderinnerung, von der ich rede.«

Gilbert verbeugte sich zum Zeichen, daß er höre.

Die Königin raffte sich zusammen, heftete ihren Blick auf den seinigen und sagte:

»Ich war damals Dauphine und wohnte in Trianon. Es befand sich da in dem Garten ein kleiner, ganz schwarzer, erdfarbiger, sehr verdrießlicher Junge, eine Art von kleinem Jean Jacques, der mit seinen gekrümmten Pfoten jätete, abraupte, grub. Er hieß Gilbert.«

»Das war ich, Madame,« sagte der Doktor phlegmatisch.

»Sie?« versetzte Marie Antoinette mit einem Ausdrucke des Hasses. »Ich hatte also recht! Sie sind also kein Mann der Studien!«

»Ich denke, da Eure Majestät ein so gutes Gedächtnis hat, so erinnert sie sich wohl auch der Epoche,« sagte Gilbert. »Es war, wenn ich mich nicht täusche, im Jahr 1772, als der kleine Gärtnerjunge, von dem Eure Majestät spricht, in den Blumenbeeten von Trianon die Erde umgrub, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Wir sind im Jahre 1789. Die Dinge, die Sie berühren, Madame, sind folglich vor siebzehn Jahren vorgefallen. Das sind viele Jahre in der Zeit, in der wir leben. Das ist mehr, als man braucht, um aus einem Wilden einen Gelehrten zu machen, die Seele und der Geist entwickeln sich rasch in gewissen Verhältnissen, wie die Pflanzen und die Blumen im warmen Gewächshaus frühzeitig treiben; die Revolutionen, Madame, sind die warmen Treibhäuser der Intelligenz. Eure Majestät schaut mich an, und trotz der Schärfe ihres Blickes bemerkt sie nicht, daß das Kind von sechzehn Jahren nunmehr ein Mann von dreiunddreißig ist; sie hat also unrecht, sich zu wundern, daß der unwissende, der unschuldige kleine Gilbert unter dem Flammenhauch von zwei Revolutionen ein Gelehrter und ein Philosoph geworden ist.«

»Unwissend, das mag sein; doch unschuldig, unschuldig haben Sie gesagt,« rief die Königin im höchsten Grade aufgeregt, ich glaube, Sie haben den kleinen Gilbert unschuldig genannt!

»Habe ich mich getäuscht, Madame, oder diesen kleinen Knaben mit einer Eigenschaft begabt, die er nicht besaß, so begreife ich nicht, inwiefern Eure Majestät es besser wissen kann, als ich, daß er den entgegengesetzten Fehler hatte.«

»Oh! das ist etwas Andres,« sagte die Königin verdüstert; »vielleicht werden wir eines Tages hiervon sprechen; doch mittlerweile, ich bitte Sie, kommen wir auf den Mann zurück, auf den gelehrten Mann, auf den vervollkommneten Mann, auf den vollkommenen Mann, den ich vor Augen habe.«

Dieses Wort vollkommen nahm Gilbert nicht auf. Er begriff zu sehr, daß es eine neue Beleidigung war.

»Kommen wir auf ihn zurück, Madame,« antwortete Gilbert einfach, »und sagen Sie, in welcher Absicht Eure Majestät ihm den Befehl hat zukommen lassen, bei ihr zu erscheinen.«

»Sie schlagen sich zum Arzt des Königs vor. Sie begreifen aber, mein Herr, daß mir die Gesundheit meines Gemahls zu sehr am Herzen liegt, um sie einem Manne anzuvertrauen, den ich nicht ganz genau kenne.«

»Ich habe mich vorgeschlagen, Madame, und ich bin angenommen worden, ohne daß Eure Majestät mit Recht den geringsten Verdacht hinsichtlich meiner Fähigkeit oder meines Eifers fassen kann. Ich bin hauptsächlich politischer Arzt, Madame, empfohlen durch Herrn Necker. Was das übrige betrifft, wenn der König je meiner Wissenschaft bedarf, so werde ich ihm, soweit das menschliche Wissen dem Werke des Schöpfers zu nützen vermag, auch ein guter physischer Arzt sein. Was ich aber besonders dem König sein werde, Madame – außer dem guten Rat und dem guten Arzt – das ist ein guter Freund.«

»Ein guter Freund!« rief die Königin mit einem neuen Ausbruch von Verachtung; »Sie, mein Herr, ein Freund des Königs!«

»Sicherlich,« antwortete Gilbert ruhig; »warum nicht, Madame?«

»Ah! ja, immer kraft Ihrer geheimen Gewalten, mit Hilfe Ihrer verborgenen Wissenschaft, murmelte sie. Wer weiß? wir haben die Jacques und die Maillotin gesehen; wir kehren vielleicht zum Mittelalter zurück! Sie rufen die Liebestränke und die Zaubermittel wieder ins Leben. Sie werden Frankreich durch die Magie regieren; Sie werden Faust oder Nikolas Flamel sein.«

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