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Stilleben

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I

In einem ziemlich geräumigen, vor Kurzem frisch getünchten Zimmer eines herrschaftlichen Nebengebäudes im Dorfe Ssassowo, das im . . . schen Kreise des T. . . schen Gouvernements liegt, saß an einem alten krummgeworfenen Tischchen auf einem hölzernen schmalen Stuhle ein junger Mann im Paletot und war augenscheinlich mit dem Durchsehen von Rechnungen beschäftigt. Zwei Stearinkerzen in silberplattirten Reiseleuchtern brannten vor ihm; in einer Ecke stand auf einer Bank ein offener Flaschenkeller, in einer anderen schlug ein Diener ein eisernes Feldbett auf. Hinter einem niedrigen Verschlage summte und zischte ein Samowar, auf eben hereingebrachtem Heu raschelte ein Hund. In der Thür stand ein Bauer in neuem Wamse, mit einem rothen Gurte um den Leib, großem Barte und klugem Gesichte, allen Anzeichen nach der Dorfälteste; sein Blick war aufmerksam auf den sitzenden jungen Mann gerichtet. An einer der Wände stand ein sehr altes und kleines Klavier neben einer ebenso alten Commodes an deren Schlüssellöchern die Schilder fehlten. Zwischen den Fenstern war ein kleiner blinder Spiegel angebracht. An dem Verschlage hing ein altes, fast ganz abgeblättertes Portrait einer gepuderten Dame im Reifrocke mit einem schwarzen Bändchen um den seinen Hals. Der auffallenden Krümmung der Decke und der Senkung des spaltenreichen Fußbodens nach zu schließen, hatte das kleine Nebengebäude, in welches wir den Leser geführt, ein hübsches Alter; es war Niemandes beständiger Wohnsitz und diente nur der Gutsherrschaft als Absteigequartier. Der junge Mann, der am Tische saß, war nun eben der Besitzer des Ssassow’schen Dorfes. Erst am vergangenen Abende war er von seinem Hauptgute, das hundert Werst weiter lag, angekommen und beabsichtigte schon am folgenden Tage, nach Beendigung der Wirthschaftsangelegenheiten und nachdem er die Anliegen der Bauern angehört und alle Papiere in Ordnung gebracht haben würde, wieder abzureisen.

– Nun, genug damit, sagte er, sich aufrichtend – ich bin schon müde. Du kannst jetzt gehen, setzte er, zum Aeltesten gewendet, hinzu – morgen aber komm früher her und mache bei Zeiten den Bauern die Anzeige, sich zu versammeln, hörst Du?

– Zu Befehl!

– Und dem Gemeindeschreiber bedeute, er solle mir den verflossenen Monatsbericht einreichen. Du hast ganz gut gethan, setzte der Gutsherr, sich umschauend, hinzu die Wände weißen zu lassen. Es sieht doch reinlicher aus.

Der Dorfälteste ließ schweigend den Blick über die Wände gleiten.

– Nun, jetzt kannst du gehen.

Der Aelteste verneigte sich und ging. Der Gutsherr streckte die Glieder.

– He! rief er – gebt mir Thee . . . Es ist Zeit zu Bett zu gehen.

Der Diener begab sich hinter den Verschlag und kehrte bald mit einem Glase Thee, einem Bündel kleiner städtischer Kringel und einem Kännchen mit Sahne auf einem Theebrette von Eisenblech, zurück. Der Gutsherr begann seinen Thee zu trinken hatte jedoch kaum zwei Schlucke davon genommen, als im Nebenzimmer Tritte hereintretender Personen sich hören ließen und Jemand mit kreischender Stimme fragte:

– Ist Wladimir Sergeïtsch Astachow zu Hause und kann man ihn sprechen?

Wladimir Sergeïtsch, so hieß der junge Mann im Paletot, blickte seinen Diener befremdet an und flüsterte ihm hastig zu:

– Geh’, sieh wer da ist! Der Diener ging hinaus und warf die schlecht schließende Thiir hinter sich zu.

– Melde Wladimir Sergeïtsch, ließ sich wieder die kreischende Stimme vernehmen, – es sei sein Nachbar Ipatow, der ihn zu sehen wünsche, wenn es ihn nicht stört. Auch sei mit mir noch ein anderer Nachbar, Bodräkow, Iwan Iljitsch, hergekommen, der ihm gleichfalls seine Aufwartung zu machen wünscht.

Ein unwillkürlicher Ausruf von Aerger entfuhr Astachow, dennoch sagte er zu dem wiederkehrenden Diener:

– Bitte die Herren einzutreten.

In Erwartung der Gäste erhob er sich von seinem Sitze.

Die Thür ging auf und sie erschienen. Der eine derselben, ein kleiner, wohlbeleibter, grauhaariger Alter, mit rundem Kopfe und hellen Augen, ging voraus; der Andere, ein langer, magerer Mann, von dreißig und einigen Jahren, mit langgezogenem, bräunlichem Gesichte und unordentlichen, schwarzen Haaren, kam wackeligen Ganges hinterdrein. Der Alte hatte einen sauberen grauen Ueberrock mit großen Perlmutterknöpfen an; ein rosenfarbenes Halstüchelchen, zur Hälfte unter dem zurückgeschlagenen Kragen des weißen Hemdes versteckt, war leicht um den Hals geschlungen und Gamaschen bedeckten zierlich die Füße. Angenehm fielen die bunten Würfel seines schottischen Beinkleides in die Augen; mit einem Worte, der ganze Mann machte einen wohlgefälligen Eindruck. Sein Gefährte hingegen flößte dem Beschauer eine nicht so günstige Meinung ein: er hatte einen schwarzen bis oben zugeknöpften Frack an, seine Beinkleider, aus dickem Winterstoff, waren in der Farbe dem Frack ähnlich. Aber weder am Halse noch an den Handgelenken war etwas von Wäsche zu sehen. Das alte Männchen ging zuerst auf Astachow zu, verbeugte sich freundlich und redete ihn mit demselben quiekenden Stimmchen an:

– Habe die Ehre, Ihnen meine Aufwartung zu machen – Ihr nächster Nachbar und sogar Verwandten Ipatow, Michail Nikolaitsch. Habe schon längst gewünscht, mich des Vergnügens zu erfreuen, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich hoffe, ich störe doch nicht?

Astachow entgegnete, er sei auch sehr erfreut und habe gleichfalls den Wunsch gehabt . . . von Stören sei keine Rede, und ob es nicht gefällig wäre Platz zu nehmen und Thee zu trinken.

– Und dieser Edelmann, fuhr der Alte, nachdem er mit zuvorkommendem Lächeln die nicht zu Ende gesprochene Rede Astachow’s angehört hatte, indem er mit der Hand auf den Herrn im Frack deutete, fort: – auch Ihr Nachbar . . . und ein Freund von mir, Bodräkow, Iwan Iljitsch, hegt ebenfalls den Wunsch , Ihre Bekanntschaft zu machen.

Der Herr im Frack, nach dessen Aussehen zu urtheilen, wohl Niemand vermuthet hätte, er habe jemals in seinem Leben einen Wunsch hegen können, – so zerstreut und zugleich schläfrig war der Ausdruck dieses Gesichtes, – der Herr im Frack machte eine unbeholfene und träge Verbeugung Astachow erwiderte dieselbe und bat nochmals die Gäste, Platz zu nehmen.

Die Gäste ließen sich nieder.

– Es freut mich sehr, freut mich sehr, begann der Alte, wohlgefällig die Arme spreizend, während sein Gefährte mit halbgeöffnetem Munde den Blick an der Decke umherschweifen ließ, – freut mich sehr, daß mir endlich die Ehre zu Theil wird, Sie persönlich kennen zu lernen. Obschon der Ort, in welchem Sie sich aufzuhalten pflegen, ziemlich weit von hier entfernt liegt, so halten wir Sie doch auch, so zu sagen, für einen unserer Urgrundbesitzer.

– Sehr schmeichelhaft für mich, erwiderte Astachow.

– Schmeichelhaft oder nicht, es ist aber so. Sie müssen es uns, Wladimir Sergeïtsch, schon zu Gute halten, – wir, im . . .schen Kreise hier, sind ein gerades Volk von einfacher Lebensart und sprechen frisch von der Leber weg. Bei uns, will ich Ihnen sagen, fährt Einer zum Anderen sogar an seinem Namenstage nicht anders als im Ueberrock. Wahrhaftig! So ist es schon einmal bei uns Sitte! In den benachbarten Kreisen nennt man uns daher »die Ueberöcke«, und sogar Leute von schlechtem Ton; wir kehren uns aber nicht daran! Das fehlte noch, daß wir auf dem Lande uns Zwang auferlegen sollten!

– Gewiß, was kann es Besseres geben . . . auf dem Lande, als Ungezwungenheit des Benehmens, bemerkte Astachow.

– Und dabei, fuhr der Alte fort – giebt es in unserem Kreise, kann man wohl sagen, überaus kluge Köpfe, Leute von europäischer Bildung, obgleich sie keinen Frack tragen. So zum Beispiel Jewtückow, Stepan Stepanitsch, unser Geschichtsschreiber, er beschäftigt sich mit der urältesten russischen Geschichte, ist in Petersburg bekannt, ein außerordentlich gelehrter Kopf! Wir haben in unserer Stadt eine alte schwedische Kanonenkugel, müssen Sie wissen . . sie liegt dort auf dem Platze – die hat er entdeckt. Wahrhaftig! Zenteler, Anton Karlitsch . . . der hat Naturwissenschaft studirt; übrigens fällt diese Wissenschaft, wie man sagt, allen Deutschen leicht. Als bei uns vor zehn Jahren eine verlaufene Hyäne getödtet wurde, war es Anton Karlitsch der an der eigenthiimlichen Bildung des Schwanzes erkannte, daß es wirklich eine Hyäne war. Dann haben wir noch einen Gutsbesitzer Kaburdin, der schreibt meist leichte Artikel und führt eine sehr gewandte Feder; es sind Aufsätze von ihm in der Galathea1 gedruckt. Ferner Bodräkow . . . nicht Iwan Iljitsch, nein, Iwan Iljitsch befaßt sich nicht damit, ein anderer Bodräkow, Sergei . . . wie heißt er doch gleich, Iwan Iljitsch . . . wissen Sie es nicht?

– Sergeïtsch, half Iwan Iljitsch aus.

– Richtig, Sergei Sergeïtsch, der wieder macht Verse. Nun freilich, ein Puschkin ist er nicht, doch wäscht er Einem den Kopf, mit Respect zu sagen, ganz gehörig. Sie kennen doch wohl sein Epigramm auf Agei Fomitsch?

– Wer ist Agei Fomitsch?

– Ach, entschuldigen Sie, ich vergesse immer, daß Sie kein hiesiger Einwohner sind! Auf unseren Ordnungsrichter hat er ein sehr ergötzliches Epigramm gemacht Iwan Iljitsch, Du kennst es ja auswendig.

Agei Fomitsch – hob Bodräkow mit gleichgültigem Tone an – der Ordnungsrichter,

 
Gefällt dem Adel ungemein; . . .
 

– Sie müssen wissen, unterbrach ihn Ipatow, – daß er bei der Wahl lauter weiße Kugeln bekommen hat, denn es ist ein sehr verdienstvoller Mann.

 

Bodräkow wiederholte:

 
Agei Fomitsch, der Ordnungsrichter
Gefällt dem Adel ungemein,
Er ist und trinkt ganz in der Ordnung,
Sollt’ er kein Ordnungsrichter sein?
 

Der Alte lachte auf.

–Hi, hi, hi! nicht übel, nicht wahr? Sie können sich denken, daß seit dieser Zeit, wenn Einer von uns Agei Fomitsch begrüßt, er gewiß die Worte hinzusetzt: Sollt er kein Ordnungsrichter sein? Und glauben Sie etwa, Agei Fomitsch nähme es übel? Durchaus nicht! Nein – bei uns kommt das nicht vor. Sie mögen hier Iwan Iljitsch fragen.

Iwan Iljitsch blinzelte nur mit den Augen.

– Einen Scherz übel nehmen – wie ist das möglich! Hier zum Beispiel Iwan Iljitsch, wir haben ihm den Namen »Klappseele« gegeben, weil er immer sogleich Jedermann beipflichtet. Nun, fühlt sich etwa Iwan Iljitsch dadurch beleidigt? Niemals!

Mit trägem Blinzeln blickte Iwan Iljitsch zuerst den Alten, dann Astachow an.

Der Spitznamen »Klappseele« paßte in der That sehr gut für Iwan Iljitsch. Es war in ihm auch nicht eine Spur von dem, was man Willenskraft oder Charakter nennt. Er stand dem Ersten Besten, dem daran gelegen war, zu Gebote, und folgte Jedem, wohin es auch sein Erstes mochte. Man brauchte blos zu ihm zu sagen: Iwan Iljitsch, kommen Sie, so nahm er seine Mütze und ging; und kam ihm ein Anderer in den Weg und sagte ihm: Iwan Iljitsch, bleiben Sie, so legte er die Mütze fort und blieb. Er war von friedfertigem und stillem Gemüthe, nie verheirathet gewesen, spielte nicht Karten, liebte jedoch neben Spielenden zu sitzen und der Reihe nach jedem derselben in’s Gesicht zu schauen. Er konnte nicht ohne Gesellschaft leben und ertrug die Einsamkeit nicht; er wurde dann melancholisch, was übrigens nicht oft vorkam. Noch eine Eigenheit hatte er an sich; wenn er am Morgen sein Bett verließ, so pflegte er die alte Romanze vor sich hinzusummen:

 
»Es lebte auf seinem Gute
Vor Zeiten ein Baron . . . «
 

Wegen dieser Eigenheit nannte man Iwan Iljitsch auch den «Kernbeißer« Bekanntlich läßt dieser Vogel im Käsige nur ein Mal des Tages sein Pfeifen hören. So war Iwan Iljitsch Bodräkow.

Die Unterhaltung zwischen Ipatow und Astachow blieb noch ziemlich lange im Gange, wenn auch nicht in der anfänglichen, so zu sagen speculativen Richtung. Der Alte forschte Astachow über dessen Landgüter aus, über den Zustand seiner Waldungen und anderer Grundstücke, über Neuerungen, die derselbe in seinen Wirthschaftsangelegenheiten, theils einzuführen beabsichtigte, theils bereits eingeführt hatte; er theilte ihm einige seiner eigenen Beobachtungen mit und gab ihm unter Anderem den Rath, um die kleinen Erdhügel auf den Wiesen fortzuschaffen, dieselben rund herum mit Hafer zu bestreuen; das, meinte er, würde die Schweine bewegen, die Hügel mit ihren Rüsseln aufzuwühlen u. Dergl. m. Endlich jedoch, als der Alte gewahr wurde, daß Astachow’s Augen zufallen wollten und im Flusse der Rede sich eine gewisse Flauheit und Zusammenhanglosigkeit kund that, erhob er sich und erklärte auf die liebenswürdigste Weise, er wolle durch seine Gegenwart nicht länger beschwerlich fallen, hoffe aber, das Vergnügen zu haben, den theuren Gast schon morgen zu Tische bei sich zu sehen.

– Und mein Gut, setzte er hinzu, – den Weg dahin kann Ihnen nicht blos jedes Kind, das erste beste Huhn oder Bauernweib kann Ihnen denselben zeigen. Sie brauchen blos nach Ipatowka zu fragen. Die Pferde werden den Weg dorthin allein finden.

Astachow erwiderte mit einem leichten, ihm übrigens eigenen Stocken, er werde sich bemühen . . . wenn sonst kein Hinderniß dazwischen komme . . .

– Nein, nichts davon! Wir rechnen bestimmt darauf, unterbrach ihn freundlich der Alte, drückte ihm kräftig die Hand und ging behend hinaus, indem er ihm noch in der Thür, halb zurückgewendet, zurief: – ganz ohne Umstände!

Die »Klappseele« Bodräkow verneigte sich schweigend und verschwand gleich nach seinem Gefährten, nicht, ohne jedoch vorher über die Schwelle gestolpert zu sein.

Sogleich, als Astachow die ungebetenen Gäste los war, kleidete er sich aus, ging zu Bette und schlief ein.

Wladimir Sergeïtsch Astachow gehörte zu jener Classe von Menschen, welche, nachdem sie in verschiedenen Wirkungskreisen ihre Kräfte mit Vorsicht versucht haben, von sich selbst zu sagen pflegen, sie seien endlich zu dem Entschlusse gelangt, dem Leben vom praktischen Standpunkte aus ihr Augenmerk zuzuwenden und ihre freie Zeit der Vermehrung ihrer Einkünfte zu widmen. Er war kein dummer Mensch, ziemlich sparsam und sehr bedächtig, liebte die Lectüre, die Geselligkeit, die Musik, aber Alles mit Maß . . . und hielt sich sehr anständig. Junge Männer seines Schlages hat die Neuzeit in Menge aufzuweisen. Er war erst 27 Jahre alt, von mittlerem Wuchse, gut gebaut und hatte angenehme, aber flache Gesichtszüge, ihr Ausdruck wechselte fast nie und seine Augen zeigten stets denselben trockenen, hellen Blick; selten nur wurde er durch einen leichten Anflug von Schwermuth oder auch von Langeweile gemildert; ein verbindliches Lächeln kam fast nie von seinen Lippen. Sein Haar war sehr schön, blond, seidenweich und langgelockt. Wladimir Sergeïtsch besaß ein stattliches Grundeigenthum mit nahe an sechshundert Seelen und dachte an’s Heirathen; nur sollte es eine Heirath aus Neigung, zugleich aber eine vortheilhafte sein. Er wünschte besonders eine Frau zu finden, die Verbindungen hätte, denn er fand, daß er selbst deren zu wenig habe. Mit einem Worte – er verdiente den Namen eines Gentleman.

Als unser Gentleman am folgenden Morgen, seiner Gewohnheit gemäß, sehr zeitig ausgestanden war, ging er an die Arbeit, und man muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, er that es ziemlich gründlich, was man bei uns in Rußland nicht immer von praktischen jungen Männern sagen kann. Geduldig hörte er die verworrenen Anliegen und Klagen der Bauern an, verschaffte ihnen Genugthuung, soweit er dazu im Stande war, schlichtete entstandene Zwistigkeiten zwischen Verwandten, ermahnte den Einen, fuhr den Andern barsch an, sah den Bericht des Gemeindeschreibers durch, brachte ein paar Schelmereien des Dorfältesten an’s Licht – mit einem Worte – seine Anordnungen waren derartig, daß er mit sich selbst zufrieden war und auch die Bauern während der Rückkehr von der Zusammenkunft sich günstig über ihn äußerten. Ungeachtet seines am Vorabende Ipatow gegebenen Versprechens, beschloß Astachow dennoch zu Hause zu speisen und hatte auch schon bei seinem provisorischen Koche seine Lieblingssuppe aus Reis und Gekröse bestellt; plötzlich jedoch, vielleicht in Folge des Gefühls der Zufriedenheit, welche seit dem Morgen seine Seele erfüllte, blieb er mitten im Zimmer stehen, schlug sich mit der Hand vor die Stirn und rief in einem an Waghalsigkeit streifenden Tone laut: »Ich will doch zu dem alten Schwätzer fahren!« Gedacht, gethan. Eine halbe Stunde darauf saß er schon in seinem neuen, kleinen Tarantaß, welcher mit vier rüstigen Bauernpferden bespannt war und fuhr nach Ipatowka, das auf gutem Wege nicht über zwölf Werst entfernt war.

II

Michail Nikolaitsch Ipatows Wohnsitz bestand aus zwei einzelstehenden Häuschen, die einander gegenüber zu beiden Seiten eines großen Teiches erbaut waren. Ein langer, mit Silberpappeln besetzter Damm schloß diesen Teich ab, mit dem fast in gleicher Höhe auch das rothe Dach einer kleinen Mühle zu sehen war. Gleichförmig erbaut und mit violetter Farbe angestrichen, schienen die beiden Häuschen aus den hellen Scheiben ihrer kleinen sauberen Fenster über die breite Wasserfläche hinweg einander zuzunicken. In der Mitte jedes der Häuschen trat eine halbkreisförmige Terrasse vor und erhob sich ein spitzer Giebel, der von vier dicht neben einander stehenden weißen Säulen getragen wurde. Um den ganzen Teich herum zog sich ein altmodischer Garten, in welchem Lindenbäume in Alleen und in vereinzelten dichten Gruppen umher- standen; uralte Fichtenbäume, dunkele Eichen mit moosgelben Stämmen, prachtvolle Eschen streckten hier und dort ihre Gipfel hoch empor; das dichte Grün der üppig wuchernden Flieder- und Akazienbüsche reichte bis an die Seiten beider Häuschen und ließ blos die Vorderseiten derselben frei, von welchen sich mit Ziegelerde bestreute, fest gestampfte Wege den Abhang hinabschlängelten. Bunte Enten, weiße und graue Gänse schwammen in getrennten Zügen auf dem glatten Spiegel des Teiches, der in Folge zahlreicher Quellen, die aus dem Grunde einer jähen und steinigen Schlucht an seinem Saume hervorsprudelten, niemals sumpfig wurde. Die Lage des Landsitzes war gut gewählt: freundlich, einsam und bequem.

Das eine der beiden Häuschen bewohnte Michail Nikolaitsch selbst; in dem anderen lebte seine Mutter, eine gebrechliche siebzigjährige Frau. Auf dem Damme angekommen, wußte Astachow nicht, nach welchem der Häuser er seinen Weg nehmen sollte. Er blickte um sich – auf einem halbverfaulten, gespaltenen Baumstumpfe stand barfuß ein Knabe vom Hofgesinde und angelte. Astachow rief ihn an.

– Zu wem wollen Sie denn, zur alten Frau oder zum jungen Herrn? fragte der Knabe, ohne das Schwimmholz seiner Angel aus dem Auge zu lassen.

– Zu welcher alten Frau? entgegnete Astachow, – ich will zu Michail Nikolaitsch.

– Ah! zum jungen Herrn? Nu, dann fahren Sie rechts! Und der Knabe zog aus dem spiegelglatten Wasser eine mittelgroße, silberhelle Karausche an der Angel heraus. Astachow schlug den Weg nach rechts ein.

Michail Nikolaitsch spielte gerade mit »Klappseele« Dame, als ihm Astachows Ankunft gemeldet wurde. Er war sehr erfreut, sprang von seinem Sessel auf, lief in das Vorzimmer hinaus und umarmte und küßte drei Mal den Gast.

– Sie treffen mich, Wladimir Sergeïtsch begann der redselige Alte, mit meinem unzertrennlichen Freunde, Iwan Iljitsch, der, beiläufig gesagt, von Ihrer Liebenswürdigkeit ganz bezaubert ist. (Iwan Iljitsch warf schweigend einen Blick in die Ecke.) Er war so freundlich, bei mir zu bleiben und Dame mit mir zu spielen, meine Hausgenossen sind alle in den Garten gegangen, ich werde aber sogleich nach ihnen schicken . . .

– Stören Sie dieselben nicht! fiel Astachow ein . . .

– Was da, stören, das fehlte noch! He, Wanka, lauf’ rasch nach dem Fräulein . . . sage, es wäre Besuch gekommen! Nun, wie gefällt Ihnen unsere Gegend? Gar nicht übel, nicht war? Kaburdin hat sie in Versen besungen. »Ipatowka, Asyl der Wonne,« so fängt das Gedicht an, und auch das Uebrige ist schön, ich habe es aber nicht ganz behalten. Der Garten ist groß, das ist fatal, schwer im Stande zu erhalten. Und die beiden Häuser, die einander so ähnlich sind, wie Sie vielleicht zu bemerken beliebt haben, sind von zwei Brüdern erbaut, meinem Vater Nikolai und meinem Onkel Sergei; auch den Garten haben sie angelegt, wahre Busenfreunde waren die Beiden . . . Danton – und . . . da haben wir’s! Ganz vergessen wie der Andere hieß . . .

– Pythion, bemerkte Iwan Iljitsch.

– Ist’s auch wahr? nun, gleichviel. (Der Alte war zu Hause ungezwungener in seiner Ausdrucksweise, als wenn er irgendwo zu Gaste war.) Es ist Ihnen, Wladimir Sergeïtsch, wahrscheinlich bekannt, daß ich Wittwer bin, meine Frau verloren habe. Meine ältesten Kinder befinden sich in Kronsanstalten; hier bei mir habe ich nur die beiden jüngsten und meine Schwägerin, die Schwester meiner seligen Frau. Sie werden sie sogleich sehen. Das ist aber schön, ich vergesse ganz, Sie zu bewirthen. Iwan Iljitsch, mein Bester, sorgen Sie doch für den Imbiß . . . was für ein Schnäpschen ziehen Sie vor?

– Vor dem Essen trinke ich Nichts.

– Was Sie sagen, wäre es möglich! Uebrigens, wie es Ihnen beliebt. Jeder nach seinem Geschmack. Hier bei uns werden keine Umstände gemacht. Wir leben hier, darf ich wohl sagen, nicht gerade in einer Wildniß, aber in einem stillen Hafen, ja, wirklich, ein stiller Hafen ist es, ein abgelegener Winkel! Warum nehmen Sie aber nicht Platz?

Astachow setzte sich, ohne den Hut aus der Hand zu legen.

– Erlauben Sie, daß ich es Ihnen leicht mache, sagte Ipatow; indem er ihm behutsam den Hut abnahm. Er stellte denselben in eine Ecke, kehrte zurück, blickte seinem Gaste freundlich in die Augen und unschlüssig, was er ihm wohl Verbindliches sagen sollte, richtete er in dem herzlichsten Tone die Frage an ihn, ob er gern Dame spiele.

– Ich spiele alle Spiele schlecht, erwiderte Astachow.

– Und daran thuen Sie wohl, entgegnete Ipatow, – das Damenspiel ist aber eigentlich kein Spiel, vielmehr eine Erholung, ein Zeitvertreib; nicht so, Iwan Iljitsch?

Iwan Ilitsch sah Ipatow mit gleichgültigem Blicke an, als dächte er bei sich: »weiß der Teufel, was es ist – Spiel oder Zeitvertreib,« und eine Weile darauf sagte er:

– Nun ja, das Damenspiel – jawohl.

 

– Das Schachspiel aber, das ist ein anderes Ding, « sagt man, fuhr Ipatow fort, – das soll ein überaus schwieriges Spiel sein Ich denke indessen . . . aber, da kommen die Meinigen schon! unterbrach er seine Rede mit einem Blicke nach der halboffenstehenden Glasthür, die in den Garten führte.

Astachow erhob sich, wandte sich um und wurde zuerst zwei kleine Mädchen von ungefähr zehn Jahren in rosafarbenen Zitzkleidchen und breiten Hüten gewahr, die behend die Stufen der Terrasse heraufliefen; bald nach ihnen zeigte sich ein junges dunkel gekleidetes Mädchen von etwa zwanzig Jahren, von hohem Wachse und voller, schlanker Gestalt. Sie traten alle in’s Zimmer, die kleinen Mädchen machten vor dem Gaste einen zierlichen Knicks.

– Hier, sagte der Wirth, empfehle ich Ihnen meine Töchter.

Die da heißt Katia, diese hier Nastja, und das da ist meine Schwägerin, Maria Pawlowna, von welcher ich mit Ihnen gesprochen habe; empfehle sie Ihrer Gewogenheit.

Astachow grüßte Maria Pawlowna; sie erwiderte seinen Gruß mit einer kaum merklichen Neigung des Kopfes. Maria Pawlowna hielt ein großes aufgeschlagenes Messer in der Hand; ihr dichtes braunes Haar war etwas in Unordnung gerathen, ein grünes Blättchen hatte sich in dasselbe verirrt, die Flechte kam unter dem Kamme hervor, das bräunliche Gesicht war geröthet und die rothen Lippen geöffnet; das Kleid schien zerdrückt. Ihr Athem war rasch, die Augen glänzten; man sah, daß sie im Garten gearbeitet hatte. Sie verließ sogleich wieder das Zimmer und die kleinen Mädchen liefen ihr nach.

– Die Toilette muß ja erst in Ordnung gebracht werden, bemerkte der Alte, zu Astachow gewandt, – ohne die geht es doch nicht.

Astachow lächelte dazu und wurde nachdenkend. Marja’s Erscheinung hatte ihn überrascht. Schon lange war ihm eine solche echt russische, ländliche Schönheit nicht zu Gesicht gekommen. Sie kehrte bald zurück, setzte sich auf den Divan und verharrte unbeweglich. Sie hatte das Haar geordnet, ihr Kleid jedoch nicht gewechselt und nicht einmal Manchetten angelegt. Ihre Züge drückten nicht sowohl Stolz, als Strenge, ja beinahe Härte aus. Ihre Stirn war breit und niedrig, die Nase kurz und gerade; ihre Lippen kräuselten sich zu einem leisen, trägen Lächeln, während sie die geraden Brauen verächtlich zusammenzog. Ihre großen, dunklen Augen hielt sie fast immer gesenkt. Ich weiß, schien ihr ganzes unfreundliches Gesicht zu sagen, ich weiß, daß Ihr Alle mich angafft; nun, gafft nur, ich bin Eurer doch überdrüssig. Und wenn sie ihre Augen erhob, lag in ihrem Blicke etwas Wildes, Stumpfsinniges und doch etwas Schönes und Edles, das an den Blick des Rehes erinnerte. Sie war vortrefflich gebaut. Ein klassischer Poet hätte sie mit Ceres oder Juno verglichen.

– Was habt Ihr im Garten gemacht? fragte Ipatow, um sie in’s Gespräch zu ziehen.

– Wir haben die trockenen Aeste abgeschnitten und Blumenbeete gegraben, gab sie mit etwas gedämpfter, aber angenehmer, wohltönender Stimme zur Antwort.

– So, und Ihr seid wohl recht müde?

– Die Kinder sind es, ich nicht.

– Weiß schon, entgegnete lächelnd der Alte, – Du bist eine echte Bobelina!2 Seid Ihr auch bei der Großmutter gewesen?

– Ja, sie schläft.

– Sie sind eine Freundin von Blumen? fragte sie Astachow.

– Ja, ich liebe die Blumen.

– Warum setzest Du Deinen Hut nicht auf, wenn Du ausgehst? bemerkte Ipatow, – sieh Dich an, wie roth und verbrannt Du bist.

Sie strich schweigend mit der Hand über ihr Gesicht. Ihre Hände waren nicht groß, aber etwas breit und ziemlich roth. Handschuhe trug sie nicht.

– Sie lieben auch den Gartenbau? fragte Astachow weiter.

– Ja.

Astachow erzählte nun von dem sehr schönen Garten eines reichen Gutsbesitzers N.* aus seiner Nachbarschaft. Der Obergärtner, ein Deutscher, bekommt an Gehalt allein 2000 Silberrubel, sagte er unter Anderem.

– Und wie heißt dieser Gärtner? fragte plötzlich Iwan Iljitsch.

– Ich erinnere mich nicht, mir däucht Meyer oder Müller. Warum fragen Sie?

– Nur so, entgegnete Iwan Iljitsch. – Um den Namen zu wissen.

Astachow fuhr in seiner Erzählung fort. Die kleinen Mädchen, Michail Nikolaitschs Töchter, waren unterdeß auch wieder herein gekommen, hatten sich still hingesetzt und horchten dem Erzähler zu . . .

Ein Diener erschien in der Thür und meldete die Ankunft Jegor Kapitonitsch’s.

– Ah, bitte, bitte! rief Ipatow.

Ein kleines, dickes, altes Männchen, von der Gattung der sogenannten Dachsfüßler, mit einem vollen und dabei runzeligen Gesichtchen, einem gebratenen Apfel nicht unähnlich, trat in das Zimmer. Er hatte einen grauen Schnürrock mit schwarzem Besatze und stehendem Kragen an; seine weiten, kaffeebraunen Beinkleider aus Halbsammet reichten lange nicht bis an die Fußknöchel.

– Guten Tag, mein werthgeschätzter Jegor Kapitonitsch!l rief Ipatow, ihm entgegentretend, – wir haben uns lange nicht gesehen.

– Was wollen Sie, entgegnete Jegor Kapitonitsch mit schnarrender, weinerlicher Stimme, nachdem er vorher alle Anwesenden begrüßt hatte, – Sie wissen ja, Michail Nikolaitsch, bin ich denn mein eigener Herr?

– Und wie wären Sie es denn nicht, Jegor Kapitonitsch?

– Sie glauben nicht, Michail Nikolaitsch, Familie, Geschäfte . . . Und dann noch Matröna Markowna!

Er machte eine Bewegung mit der Hand.

– Was ist es denn mit Matröna Markowna? fragte Ipatow.

Und dabei zwinkerte er Astachow zu, als wollte er zum Voraus dessen Aufmerksamkeit wecken.

– Die alte Geschichte, erwiderte Jegor Kapitonitsch, indem er sich niederließ, – ist immer unzufrieden mit mir, als ob Sie es nicht wüßten! Was ich auch sagen mag, es ist immer nicht recht, nicht delikat, nicht anständig. Und warum es nicht anständig ist, das mag der Himmel wissen. Und meine Fräulein Töchter halten es mit der Mutter, nehmen sich dieselbe zum Muster. Ich kann nicht anders sagen, Matröna Markowna ist eine vortreffliche Frau, aber doch gar zu streng in Betreff der Manieren.

– Aber ich bitte Sie, Jegor Kapitonitsch, was wäre denn Anstößiges in Ihrem Benehmen?

– Das denke ich auch, es hält aber schwer, ihr’s recht zu machen. Gestern zum Beispiel sagte ich bei Tisch: »Matröna Markowna (und Jegor Kapitonitsch gab seiner Stimme einen möglichst einschmeichelnden Ton), Matröna Markowna, sage ich, was ist denn das aber, der Aldoschka schont ja die Pferde nicht, er versteht ja nicht zu fahren, sage ich, der schwarze Hengst ist schon ganz dämlich geworden. Ist sie da aufgefahren, meine Matröna Markowna, hat sie mich durchgehechelt; verstehst nicht anständig zu sprechen, sagte sie, in Gegenwart von Damen: die Mädchen sind alle gleich vom Tische aufgesprungen und am folgenden Tage wurde es den Birülew’schen Fräuleins, den Nichten meiner Frau, gleich wiedererzählt. Und was war denn Schlechtes in meinen Worten? sagen Sie selbst! Wenn mir zuweilen unvorsichtigerweise Etwas entschlüpft, was doch bei Jedem vorkommen kann, besonders zu Hause, am anderen Tage wissen es schon die Birülew’schen Fräuleins. Man weiß wirklich nicht mehr, wie man sich benehmen soll. Zuweilen sitze ich da und denke so vor mir hin, – Sie wissen vielleicht, wenn ich denke habe ich einen schweren Athem, – da fängt Matröna Markowna wieder an, mich vorzunehmen: was schnarchst Du? sagt sie, wer schnarcht denn heut zu Tage! Was schiltst Du, sage ich, Matröna Markowna? Ich bitte Dich, Mitleid solltest Du haben und Du schiltst! Auch zu denken habe ich jetzt aufgehört, wenn ich zu Hause bin. Ich sitze blos da und stiere den Fußboden an. Bei Gott! Erst vor Kurzem war es, da sagte ich, als wir zu Bette gingen, Matröna Markowna, sagte ich, Du verwöhnst aber auch gar zu sehr Deinen kleinen Dienstburschen, sieh doch das Ferkel an, nicht einmal Sonntags wäscht er sich das Gesicht. Nun? ich denke, hier habe ich mich doch zart genug ausgedrückt; aber auch darin hatte ich es nicht getroffen, wiederum nahm mich Matröna Markowna vor: Du verstehst Dich nicht in Damengesellschaft zu benehmen, und am andern Tage schon wußten die Birülew’schen Fräuleins Alles. Wie wollen Sie, daß ich da noch an Besuchemachen denke, Michail Nikolaitsch?

1Ein unbedeutendes eingegangenes literarisches Wochenblatt, welches zu Ende des zweiten Jahrzehnts in Moskau erschien.
2Berühmte Parteigängerin, die sich durch bedeutende Geldopfer am griechischen Befreiungskriege betheiligte.
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