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Frühlingsfluthen

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Frühlingsfluthen
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»Die Jahre der Gluthen,
Die Tage voll Wonnen —
Wie Frühlingsfluthen
Sind sie verronnen!«
 
(Aus einer alten Romanze.)

. . . Um zwei Uhr in der Nacht kehrte er in sein Arbeitszimmer zurück. Er schickte den Diener, der die Lichter angezündet hatte, hinaus, warf sich in seinen Sessel am Kamine und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen.

Noch nie hatte er eine solche Müdigkeit – wie des Körpers so der Seele – gefühlt. Den ganzen Abend hatte er mit anmuthigen Damen, mit gebildeten Männern zugebracht; mehrere der Damen waren schön, beinahe alle Männer zeichneten sich durch Geist, durch Talente aus – er selbst hatte sich mit vielem Glücke und selbst glänzend an der Unterhaltung betheiligt . . . und bei alledem, hatte nach nie das taedium vitae, von dem schon die Römer sprachen, jener Widerwillen gegen das Leben, sich seiner mit so unwiderstehlicher Gewalt bemächtigt, nach nie so wie jetzt an ihm gewürgt. Wäre er etwas jünger gewesen, er hätte vor Gram, Langeweile, Aufregung geweint: eine Bitterkeit, beißend und brennend wie die des Wermuths, erfüllte seine Seele. Ein Gefühl des Ekels, zudringlich und schwer aufliegend, drang wie die dunkle Herbstnacht auf ihn von allen Seiten ein, und er wußte nicht, wie er diesem Dunkel, dieser Bitterkeit sich entziehen sollte. Auf Schlaf war nicht zu rechnen: er wußte, daß er nicht einschlafen werde.

Er überließ sich schweren Gedanken . . . sie kamen langsam, faul, bitter.

Er dachte nach über das Eitle, die Nutzlosigkeit und das elende Falsch des menschlichen Daseins. Die verschiedenen Altersstufen zogen an seinem seelischen Blick vorüber (er selbst hatte unlängst zwei und fünfzig Jahre zurückgelegt) und keine fand Gnade vor ihm. Ueberall dasselbe ewige Fällen des bodenlosen Fasses, dasselbe »Wasserkneten«, derselbe theils aufrichtige, theils bewußte Selbstbetrug – einerlei womit das Kind spielt, nur weinen soll es nicht – Und dann plötzlich – wie das Gewitter aus hellem Himmel, befällt uns das Alter – und mit ihm zusammen jene stets wachsende, Alles benagende und auffressende Furcht vor dem Tode – und marsch in den Abgrund! Noch gut, wenn das Leben sich so abspielt! – Sonst überziehen uns zu allerletzt, wie der Rost das Eisen, Krankheiten Qualen. . . Nicht mit brausenden Wellen überzogen, wie die Dichter es beschreiben, erschien ihm das Lebensmeer; nein – unbewegt, glatt, regungslos und durchsichtig bis zum düsteren Grunde dünkte ihm dieser See; er selbst sitzt im kleinen, schwankenden Kahne, – und dort auf jenem dunklen, schlammigen Grunde rühren sich, ungeheuren Fischen ähnlich, unförmliche Schreckensgebilde: sämmtliche menschliche Schwächen, Krankheiten, Leiden, Wahnsinn, Armuth, Blindheit . . . Er blickt hin: und siehe, eines der Gebilde löst sich ab aus dem Dunkel, erhebt sich immer höher und höher, wird immer deutlicher, immer wiederwärtiger deutlich . . . Noch ein Augenblick – und der von dem Ungethüm aufgehobene Kahn schlägt um! Doch es scheint wieder zu verschwinden, es entfernt sich, senkt sich auf den Grund – und liegt da, die Riesenflossen kaum bewegend . . . Doch kommen wird der verhängnißvolle Tag – und es wirft den Kahn um.

Er schüttelte den Kopf, sprang vom Sessel auf, ging in der Stube auf und ab, setzte sich zum Schreibtisch und fing, eine Schublade nach der anderen aufziehend, in seinen Papieren, alten, größtentheils von Frauen herrührenden Briefen, zu wühlen an. Er wußte selbst nicht, warum er es thue, er suchte nichts – er wollte einfach durch irgend eine äußere Beschäftigung die Gedanken, die ihn peinigten, verscheuchen. Nachdem er auf‘s Gerathewohl mehrere Briefe geöffnet (in einem derselben befand sich eine trockene Blume mit einem verblichenen Bändchen umwunden) zuckte er nur mit den Achseln, und legte sie, nachdem er einen Blick auf den Kamin geworfen, zur Seite, wahrscheinlich mit der Absicht, diesen unnützen Trödel zu verbrennen. Mit den Händen hastig bald in diesen, bald in jenen Kasten fahrend, öffnete er plötzlich weit die Augen, und nahm aus einem derselben langsam eine kleine, achteckige altmodische Schachtel, die er behutsam öffnete. In der Schachtel lag unter doppelter Schichte gelbgewordener Watte ein kleines, mit Granaten besetztes Kreuz.

Mit Verwunderung betrachtete er dieses Kreuz während einiger Augenblicke – und plötzlich ließ er – B – einen leisen Schrei verlauten . . . Weder Bedauern noch Freude drückten seine Gesichtszüge aus. Einen solchen Ausdruck nimmt das Gesicht eines Menschen an, der unerwartet einem anderen begegnet, den er längst aus den Augen verloren, den er früher zärtlich geliebt, und der jetzt plötzlich ihm gegenübertritt – immer der Alte und doch durch die Jahre ganz verändert.

Er stand auf – und zum Kamin tretend, ließ er sich wieder auf den Sessel nieder – wiederum bedeckte er mit den Händen sein Gesicht. . . Warum heute? gerade heute? dachte er – und erinnerte sich an vieles längst Geschehene.

Er erinnerte sich . . .

Doch zuerst ist sein Eigen, Vater- und Familien-Namen mitzutheilen. Er hieß Dimitrij Pawlowitsch Sanin.

Er erinnerte sich an Folgendes:

I

Es war im Sommer 1840. Sanin war eben zwei und zwanzig Jahre alt und befand sich in Frankfurt a. M. auf seiner Rückkehr aus Italien nach Rußland. Er hatte kein großes Vermögen, doch war er vollständig unabhängig und ohne Familie. Nach dem Tode eines entfernten Verwandten waren ihm einige Tausend Rubel zugefallen, und er hatte beschlossen, dieselben im Auslande zu verzehren, vor dem Eintreten in den Staatsdienst, vor dem definitiven Anlegen dieses Baumes, ohne welchen eine sorgenlose Existenz für ihn undenkbar war. Sanin führte sein Vorhaben gewissenhaft aus, und wußte es so geschickt einzurichten, daß am Tage seiner Ankunft in Frankfurt a. M. ihm gerade so viel Geld übrig blieb, als nöthig war, um Petersburg zu erreichen. Im Jahre 1840 waren nur sehr wenige Eisenbahnen vorhanden; die Herren Reisenden bedienten sich der Post. Sanin nahm einen Platz im »Beiwagen«, doch die Post fuhr erst um 11 Uhr Abends. Zeit blieb genug übrig. Zum Glück war das Wetter ausgezeichnet und Sanin, nachdem er in dem damals berühmten Gasthause »zum weißen Schwan« gespeist hatte, ging in die Stadt flaniren. Er sah sich die Ariadne von Danecker an, die ihm nur wenig gefiel; er besuchte das Haus von Goethe, von dessen Werken er bloß die Leiden des Werther gelesen – und dies in französischer Uebersetzung; er spazierte an den Ufern des Main, langweilte sich, wie es einem anständigen Reisenden geziemt; endlich gegen sechs Uhr Abends befand er sich, müde und mit bestaubten Stiefeln in einer der unbedeutendsten Straßen Frankfurts. Diese Straße konnte er nachher lange nicht vergessen. Auf einem der nicht zahlreichen Häuser derselben sah er ein Schild: die »Italienische Conditorei von Giovanni Roselli« empfahl sich den Vorübergehenden. Sanin trat hinein, um ein Glas Limonade zu trinken, doch im ersten Zimmer, wo hinter dem bescheidenen Ladentisch in dem gefärbten Schenk, an eine Apotheke erinnernd, mehrere Flaschen mit goldenen Aufschriften und ebenso viele Glasbüchsen mit Zwieback, Chocoladen und Brustbonbons standen – in diesem Zimmer befand sich keine Seele; nur auf dem hohen, geflochtenen Stuhl am Fenster blinzelte mit den Augen ein grauer Kater, bald die eine, bald die andere Pfote vorwärts streckend; auf der Diele, grell durch den schiefen Strahl der Abendsonne beleuchtet, lag ein großer Knäuel rother Wolle neben einem umgeworfenen Körbchen aus geschnitztem Holze. Ein undeutliches Geräusch war aus dem nächsten Zimmer zu vernehmen. Sanin blieb eine Weile stehen – dann, als die Glocke der Thür ausgetönt, rief er die Stimme erhebend:

»Ist Niemand hier?«

In demselben Augenblicke wurde die Nebenstube geöffnet – und Sanin mußte unwillkürlich staunen.

II

Mit den über die entblößten Schultern ausgeschütteten Locken, die nackten Arme nach vorwärts ausgestreckt, kam ein Mädchen von etwa neunzehn Jahren hastig in den Laden gelaufen und stürzte, Sanin erblickend, sofort auf ihn zu, ergriff ihn am Arme und tief, ihn nach sich ziehend, mit erstickender Stimme: »Schneller, schneller! hierher, hierher! Retten Sie!« Nicht augenblicklich folgte Sanin dem Mädchen, und zwar nicht aus Unlust, ihr zu gehorchen, sondern aus Uebermaß der Verwunderung: er fühlte sich wie an die Stelle gebannt. Noch nie in seinem Leben hatte er eine solche Schönheit gesehen! Sie wandte sich zu ihm – und rief mit solcher Verzweiflung in der Stimme, im Blick, in der Bewegung der geballten Hand, die sie krampfhaft zur blassen Wange führte: »Aber kommen Sie doch, kommen Sie!« – daß er durch die geöffnete Thür ihr jählings nacheilte.

Im Zimmer, in welches er hinter dem Mädchen eingetreten war, lag auf altmodischem, mit Roßhaarstoff überzogenem Sopha kreideweiß – weiß, mit gelben Schattierungen, wie die des Wachses oder alten Marmors, ein Knabe von vierzehn Jahren, dem Mädchen äußerst ähnlich, augenscheinlich ihr Bruder. Seine Augen waren geschlossen, der Schatten feiner dichten, schwarzen Haare fiel wie ein Fleck auf die wie versteinerte Stirn, auf die feingezeichneten, regungslosen Augenbrauen; durch die blau gewordenen Lippen sah man die fest zusammengedrückten Zähne. Es schien, daß er nicht athme – ein Arm hatte sich zur Diele gesenkt, der andere lag über dem Kopfe.

Der Knabe war angezogen und zugeknöpft, ein festgebundenes Tuch preßte seinen Hals.

Das Mädchen eilte schluchzend zu ihm.

»Er ist gestorben! er ist gestorben!« schrie sie. »Noch eben saß er hier, sprach mit mir – und mit einem Mal ist er umgefallen, bewegungslos geworden . . . Mein Gott! kann man denn wirklich ihm nicht helfen? Und die Mutter ist nicht da! – Pantaleone, Pantaleone!I wo ist der Doktor?« fügte sie plötzlich hinzu. – »Bist du nach dem Doctor gegangen?«

 

. . . »Signora, ich bin nicht hingegangen, ich habe Louise geschickt,« hörte man eine heisere Stimme hinter der Thüre – und in das Zimmer trippelte auf kurzen, krummen Beinen ein alter Mann im Lilafrack mit schwarzen Knöpfen besetzt, hoher, weißer Cravate kurzen Nanking-Hosen und blauen, wollenen Strümpfen. Sein kleines Gesichtchen verschwand gänzlich unter der ungeheuren Masse greifen eisenfärbiger Haare. Von allen Seiten sich hoch hinaufthürmend und dann wieder in unordentlichen Haarbüscheln zurückfallend, verliehen sie der Erscheinung des Alten eine Aehnlichkeit mit einem schopfigen Huhn, die um so auffallender war, als man unter ihrer dunkelgrauen Masse nur die gespitzte Nase und die großen, gelben Augen erkennen konnte.

»Louise wird schneller hinlaufen, ich kann ja nicht laufen,« fuhr der Alte italienisch fort, die platten, vorn Podagra gelähmten Füße, die in hohen, mit Schleifen gezierten Schuhen steckten, nach einander erhebend. »Da habe ich Wasser gebracht.«

In seinen trockenen krummen Fingern hielt er den langen Hals einer Flasche.

»Aber unterdessen wird Emil sterben!« rief das Mädchen und streckte die Hände nach Sanin aus. – »O mein Herr! – können Sie ihn denn nicht retten?«

»Man muß ihm zur Ader lassen – das ist der Schlag,« bemerkte der Alte, der Pantaleone hieß.

Obgleich Sanin nicht den geringsten Begriff von Heilkunde hatte, wußte er doch sicher, daß vierzehnjährige Knaben nicht vom Schlage getroffen werden.

»Das ist eine Ohnmacht, kein Schlag,« rief er, sich zu Pantaleone wendend. »Haben sie Bürsten?«

Der Alte erhob sein Gesichtchen – »Was?«

»Bürsten, Bürsten!« wiederholte Sanin deutsch und französisch. »Bürsten,« fügte er hinzu, sich den Anschein gebend, als wolle er Kleider reinigen.

Endlich begriff ihn der Alte:

»Ach, Bürsten! Spazzette! Freilich!«

»Bringen Sie sie her; wir wollen ihm den Rock ausziehen und ihn reiben.«

»Gut . . . Benone!« Und soll man ihm nicht Wasser auf den Kopf gießen?«

»Nein. . . nachher; holen Sie jetzt schnell die Bürsten.«

Pantaleone stellte die Flasche auf die Diele, lief hinaus und kehrte sofort mit zwei Bürsten, einer Haar- und einer Kleiderbürste zurück. Ein krauser Pudel begleitete ihn und blickte, eifrig mit dem Schwanze wedelnd, bald den Alten, bald das Mädchen, ja selbst Sanin neugierig an – als ob er wissen wollte, was diese ganze Unruhe bedeuten solle.

Sanin zog dem daliegenden Knaben rasch den Rock aus, band das Halstuch los, streifte die Aermel des Hemdes zurück und fing, mit der Bürste, bewaffnet, aus allen Kräften Brust und Arme zu reiben an. – Pantaleone rieb ebenso eifrig mit der anderen – der Haarbürste, Stiefel und Hosen des Knaben. Das Mädchen war neben dem Sopha niedergekniet und mit beiden Händen den Kopf ihres Bruders umfaßt haltend, blickte sie starr dessen Gesicht an, ohne selbst die Augenwimpern zu bewegen.

Sanin rieb – und blickte sie von der Seite an. Gott! war das eine Schönheit!

III

Ihre Nase war ein wenig groß, doch von edler Adlerform, die obere Lippe war unmerklich von leichtem Flaum beschattet; dafür war ihre Gesichtsfarbe gleichmäßig matt, wie Elfenbein oder wie milchweißer Bernstein; der schillernde Glanz ihrer Haare wie bei der Judith von Allori im Palazzo Pitti – und vor Allem ihre Augen dunkelgrau, mit schwarzen Rändern um den Augenstern, prachtvoll, triumphierend – selbst jetzt – wo Schrecken und Schmerz ihren Glanz verdunkelten . . . Unwillkürlich wurde Sanin an das schöne Land erinnert, von dem er zurückkehrte . . . Aber auch in Italien hatte er nichts Aehnliches gesehen! Das Mädchen athmete selten und ungleichmäßig; es schien, daß sie bei jedem Athemzuge erwarte, ob nicht ihr Bruder zu athmen anfangen werde? Sanin rieb immer weiter; doch blickte er nicht das Mädchen allein an. Die originelle Figur von Pantaleone fesselte ebenfalls seine Aufmerksamkeit. Der Alte war ganz schwach geworden und außer Athem gerathen; bei jedem Rucke mit der Bürste hüpfte er und ächzte er wimmernd; die langen Haarbüschel aber, vom Schweiß naß geworden, wogten schwerfällig hin und her, wie die Wurzeln einer großen Pflanze, die das Wasser untergraben.

»Ziehen Sie ihm wenigstens die Stiefel aus,« wollte Sanin ihm sagen . . .

Der Pudel, wahrscheinlich durch das Ungewöhnliche des Vorganges aufgeregt, stemmte die Vorderbeine auseinander – und fing zu bellen an. – »Tartaglia – canaglia!« herrschte der Alte ihn an . . . Doch in diesem Augenblick veränderte sich das Gesicht des Mädchens. Ihre Augenbrauen erhoben sich, ihre Augen wurden noch größer und strahlten vor Freude.

Sanin wandte sich um . . . Auf dem Gesichte des Knaben zeigte sich Röthe; die Augenlider regten sich . . . die Nasenlöcher erzitterten. Er zog durch die noch zusammengepreßten Zähne Luft ein, er athmete . . .

»Emil!« rief das Mädchen . . . »Emilio mio

Langsam öffneten sich die großen, schwarzen Augen. Sie blickten noch stumpf, doch lächelten sie bereits, wenn auch schwach; dasselbe schwache Lächeln breitete sich über die bleichen Lippen aus. Dann bewegte er den herabhängenden Arm – und ließ ihn schwer auf seine Brust fallen . . .

»Emilio!« wiederholte das Mädchen und erhob sich. Der Ausdruck ihres Gesichtes war so heftig und gespannt, daß es schien, sie werde sofort entweder in Weinen oder in Lachen ausbrechen.

»Emil! Was soll das? Emil!« hörte man hinter der Thüre rufen, und mit schnellen Schritten trat in das Zimmer eine gut gekleidete Dame mit silberweißem Haare und von dunkler Gesichtsfarbe. – Ein Mann gesetzten Alters folgte ihr; hinter dessen Rücken erblickte man das Gesicht der Dienerin.

Das Mädchen lief ihnen entgegen.

»Mutter, er ist gerettet, er lebt!« rief sie, die eingetretene Dame krampfhaft umarmend.

»Was ging denn hier vor?« wiederholte diese.

»Ich kehre zurück. . . und begegne plötzlich dem Herrn Doctor und Louise.«

Das Mädchen begann zu erzählen, was vorgefallen, der Doktor aber trat zu dem Kranken, der immer mehr und mehr zu sich kam – und fortwährend lächelte: er schien sich über die von ihm verursachte Unruhe zu schämen.

»Sie haben, wie ich sehe, ihn mit Bürsten gerieben,« wandte sich der Doktor zu Sanin und Pantaleone, »das ist ausgezeichnet . . . Ein glücklicher Gedanke . . . Jetzt will ich zusehen, welches Mittel . . .«

Er fühlte den Puls des Knaben. – »Hm! zeigen Sie die Zunge!«

Die Dame neigte sich besorgt über ihn. Er lächelte noch freimüthiger, richtete seine Augen auf sie – und s erröthete . . .

Sanin glaubte, er sei überflüssig und trat in die Conditorei hinein. Doch er hatte noch nicht die Klinke der Straßenthür erfaßt, als das Mädchen schon wieder vor ihm stand und ihn zurückhielt.

»Sie gehen weg?« fing sie an ihm freundlich in die Augen blickend; »ich halte Sie nicht zurück, doch Sie müssen durchaus heute Abend zu uns kommen; wir sind ihnen so verbunden. – Sie haben ja den Bruder vielleicht gerettet – wir wollen uns bei Ihnen bedanken – die Mutter will es durchaus. Sie müssen uns sagen, wer Sie Sind, Sie müssen an unserer Freude theilnehmen . . .«

»Ich fahre aber heute nach Berlin,« wagte Sanin zu entgegnen.

»Sie werden noch Zeit haben,« entgegnete das Mädchen. »Kommen Sie zu uns in etwa einer Stunde zu einer Tasse Chocolade. Sie versprechen es? Ich muß zu ihm! . . . Sie kommen doch?«

Was blieb Sanin übrig?

»Ich komme,« antwortete er.

Die Schöne drückte ihm rasch die Hand, eilte in das Hinterzimmer – und er befand sich auf der Straße.

IV

Als Sanin nach anderthalb Stunden in die Conditorei von Roselli zurückkehrte, wurde er wie ein Verwandter empfangen. Emilio saß auf demselben Divan, auf dem man ihn gerieben hatte; der Doktor hatte ihm eine Arznei verschrieben und ihn sorgfältig »vor Gemüthserschütterung zu behüten« anempfohlen – da das Subjekt von nervösem Temperament und zu Herzleiden geneigt sei. Bereits früher hatte er an Ohnmachten gelitten, doch noch nie war der Anfall so anhaltend und stark gewesen. Im Uebrigem hatte der Doktor erklärt, jede Gefahr sei vorüber. Emil hatte, wie es einen Genesenden ziemt, einen weiten Schlafrock an; die Mutter hatte ein blaues wollenes Tuch um seinen Hals gewickelt; sein Aussehen war heiter, ja festlich; auch Alles umher sah festlich aus. Vor dem Divan erhob sich auf einem mit reiner Serviette bedeckten runden Tische, von Tassen, Caraffen mit Fruchtsäften, Biskuits, Brötchen – selbst Blumen umgeben – eine große Porzellankanne mit duftender Chocolade gefüllt; sechs dünne Wachskerzchen brannten in zwei alten, silbernen Armleuchtern; aus der einen Seite des Divans breitete ein behaglicher Lehnstuhl seine weichen Arme aus – und Sanin mußte in demselben Platz nehmen. Alle Bewohner der Conditorei, mit denen er an dem Tage bekannt geworden, waren anwesend, der Pudel Tartaglia und der Kater nicht ausgenommen; alle schienen überaus glücklich zu sein: der Pudel nieste sogar vor Vergnügen, nur der Kater war wie früher, verlegen und blinzelte mit den Augen. Sanin mußte sagen, wer er sei, woher er komme und wie er heiße; als er sagte, er sei Rasse – wunderten sich die beiden Damen, ließen selbst ein leises »Ach!« vernehmen – und erklärten sofort übereinstimmend, daß er ausgezeichnet deutsch spreche; daß aber, wenn es ihm geläufiger sei, französisch zu sprechen, er sich dieser Sprache bedienen möge – da sie dieselbe kennen. Sanin benutzte sofort diesen Vorschlag. »Sanin! Sanin!« die Damen hatten gar nicht erwartet, daß ein russischer Name so leicht auszusprechen sei; sein Eigenname »Dimitrij« gefiel auch außerordentlich. Die ältere Dame bemerkte, daß sie in ihrer Jugend eine Oper: »Demetrio e Polibio« gehört habe, daß aber »Dimitri« viel hübscher sei als »Demetrio.« In solcher Weise unterhielt sich Sanin über eine Stunde. Ihrerseits f weihten ihn die Damen in alle Einzelheiten ihrer Lebensweise ein. Am meisten sprach die Mutter, die Dame mit weißen Haaren. Sanin erfuhr von ihr, daß sie Lenora Roselli heiße; daß ihr verstorbener Mann Giovanni Battista Roselli vor fünf und zwanzig Jahren sich in Frankfurt als Conditor angesiedelt hatte; daß Giovanni Battista aus Vicenza gebürtig war und ein ausgezeichneter, wenn auch ein wenig heftiger und leidenschaftlicher Mensch, ja sogar Republikaner gewesen sei. Bei diesen Worten zeigte Frau Roselli auf sein Bild in Oelfarbe, das über dem Divan hing. Man mußte annehmen, daß der Maler – »ebenfalls ein Repuplikaner!« bemerkte mit einem Seufzer Frau Roselli – nicht ganz die Aehnlichkeit fassen konnte, denn auf dem Bilde glich der selige Roselli einem finsteren und grimmigen Briganten – in der Art des Rinaldo Rinaldini. Die Frau Roselli selbst war aus der alten, wunderschönen Stadt Parma gebürtig, wo sich die prachtvolle Kirchenkuppel mit den Fresken des unsterblichen Correggio befindet; doch durch den langen Aufenthalt in Deutschland war sie beinahe ganz zur Deutschen geworden. Dann fügte sie, den Kopf traurig schüttelnd, hinzu, daß ihr Nichts geblieben sei, als diese Tochter und dieser Sohn (sie zeigte auf Beide nach einander mit dem Finger), daß die Tochter Gemma, der Sohn Emilio heiße; daß sie Beide gute und gehorsame Kinder seien, namentlich Emilio (»Und ich nicht?« warf hier die Tochter ein. »Ach, Du bist auch eine Republikanerin!« antwortete die Mutter), – daß die Geschäfte jetzt allerdings nicht so gut wie bei ihrem Manne gingen, der im Conditorfach ein großer Meister gewesen . . . (»Un grand uomo!« rief mit finsterer Miene Pantaleone); daß man dennoch, Gott sei Dankt leben könne.

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