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Das adelige Nest

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Erster Theil

Erstes Kapitel

Ein heller Frühlingstag neigte sich zum Abend; hoch am klaren Himmel standen kleine rosafarbene Wölkchen und schienen dem Azurblau nicht vorbeizuschwimmen, sondern in dessen Tiefe zu dringen.

Vor dem offenen Fenster eines hübschen Hauses in einer der entlegenen Straßen der Gouvernementsstadt O. (im Jahre 1842) saßen zwei Frauen; die eine fünfzig Jahr alt, die andere, schon ein altes Mütterchen, stand den Siebzigen nahe. Erstere hieß Maria Dmitriewna Kalitin; ihr Mann, ein gewesener Gouvernementsprocurator und seiner Zeit als Geschäftsmann bekannt, – von heftigem und entschlossenem, galligem und eigensinnigem Character, – war vor ungefähr zehn Jahren gestorben; er hatte eine ziemlich gute Erziehung erhalten, hatte studirt, doch von armem Stande, hatte er früh die Nothwendigkeit, sich einen Weg durch’s Leben zu bahnen und sich Geld zu erwerben, begriffen. Maria Dmitriewna hatte ihn aus Liebe geheirathet; er war nicht übel, klug und, wenn er es wollte, sehr liebenswürdig. Maria Dmitriewna, eine geborene Pestoff, hatte in ihrer Kindheit schon die Aeltern verloren, einige Jahre in Moskau, in einem Institute verbracht, und lebte seit ihrer Rückkehr von dort, an fünfzig Werst von Moskau, auf ihrem väterlichen Rittergute Pokrowskoie mit ihrer Tante und ihrem ältesten Bruder.

Bald siedelte sich dieser Bruder nach Petersburg über, wo er in Staatsdiensten stand, und behandelte sowohl Schwester als auch Tante sehr schlecht, bis ein plötzlicher Tod seinem Leben ein Ende machte. Maria Dmitriewna erbte Pokrowskoie, blieb aber dort nicht lange; das zweite Jahr nach ihrer Hochzeit mit Kalitin, der es verstanden hatte, in einigen Tagen ihr Herz zu fesseln, wurde Pokrowskoie für ein anderes Rittergut umgetauscht, das viel einträglicher war, sich aber durch seine Lage nicht auszeichnete und kein Schloß hatte, – zu gleicher Zeit kaufte sich Kalitin ein Haus in O., wo er sich auch mit seiner Frau niederließ. Das Haus hatte einen großen Garten, der mit dem einen Ende an das Feld, außerhalb der Stadt stieß, also – entschied Kalitin, der kein Freund von ländlicher Ruhe war, – ist es ganz und gar nicht nöthig, im Sommer sich auf des Gut zu begeben. Oft seufzte Maria Dmitriewna im Stillen nach ihrem hübschen Pokrowskoie mit dem fröhlichen Flüßchen, den breiten Wiesen und dem grünen Wäldchen; doch niemals wagte sie ihrem Manne zu widersprechen und hatte tiefe Ehrfurcht vor seinem Geist und seiner Weltkenntniß. Als er nach einer Ehe von fünfzehn Jahren starb, einen Sohn und zwei Töchter hinterlassend, war Maria Dmitriewna schon so sehr an ihr Haus gewöhnt, daß sie selbst nicht mehr O. verlassen wollte.

In ihrer Jugend galt Maria Dmitriewna für eine hübsche Blondine und selbst in ihrem fünfzigsten Jahre hatten ihre Züge viel Angenehmes, obgleich sie etwas aufgedunsen und fett geworden waren. Sie war mehr sentimental als gut, und selbst in ihren reifen Jahren hatte sie die Gewohnheiten eines Institutsmädchens bewahrt; sie hatte sich verwöhnt, war leicht aufgeregt und weinte sogar, wenn man ihren Gewohnheiten zu nahe trat; dagegen war sie sehr liebenswürdig und freundlich, wenn alle ihre Wünsche erfüllt wurden. Ihr Haus gehörte zu den angenehmsten in der Stadt. Ihr sehr bedeutendes Vermögen war nicht sowohl von den Aeltern durch Erbschaft übergegangen, als von ihrem Manne erworben worden. Ihre beiden Töchter, hatte sie bei sich; ihr Sohn dagegen wurde in einem der besten Regierungsinstitute in Petersburg erzogen.

Die alte Dame, die mit Maria im Fenster saß, war dieselbe Taute, die Schwester ihres Vaters, mit welcher sie einst einige einsame Jahre in Pokrowskoie verbracht hatte. Diese Tante hieß Marthe Timotheewna Pestoff; man nannte sie sonderbar, denn sie hatte einen unabhängigen Character, schenkte einem Jeden reinen Wein ein und hielt sich bei sehr kargen Mitteln so, als ob sie Tausende zu verzehren hätte. Sie hatte den verstorbenen Kalitin nicht leiden können, und als ihre Nichte ihn geheirathet hatte, zog sie sich auf ihr Gütchen zurück, wo sie zehn Jahre lang bei einem Bauer in einer schmutzigen Hütte lebte. Maria Dmitriewna fürchtete sie. In ihrem Alter selbst ihr schwarzes Haar und ihren scharfen Blick bewahrend, klein mit spitzer Nase, hatte Marthe Timotheewna schnelle Bewegungen, hielt sich gerade und sprach schnell und vornehmlich mit feiner und hellklingender Stimme. Sie trug beständig eine weiße Haube und eine weiße Jacke.

»Was hast Du denn,« fragte sie plötzlich Maria Dmitriewna, »was seufzest Du denn, meine Liebe?«

»So!« sprach diese, »was für wunderschöne Wolken!«

»Thun Dir, also die Wolken leid?«

Maria Dmitriewna gab keine Antwort.

»Warum kömmt denn Gedeonowsky nicht?« sagte Martha Timotheewna, rasch ihre Stricknadeln bewegend. Sie strickte eine große wollene Schärpe. »Er hätte mit Dir geseufzt, – oder uns etwas vorgelogen.«

»Sie urtheilen immer streng über ihn! Sergei Petrowitsch ist ein ehrenwerther Mann.

»Ehrenwerth!« sprach die Alte mit vorwurfsvollem Tone.

»Und wie war er meinem verstorbenen Manne ergeben!« sagte Maria Dmitriewna; »auch jetzt kann er nicht gleichgültig an ihn denken.«

»Eine große Sache! Dieser hat ihn an den Ohren aus dem Schmutze herausgezogen,« murmelte Martha Timotheewna vor sich hin, und ihre Stricknadeln bewegten sich noch schneller in ihren Händen.

»Er sieht so fromm aus«, begann sie von Neuem, »sein Kopf ist schneeweiß, aber sobald er nur den Mund aufthut, lügt er einem etwas vor oder macht Klatschereien. Und das soll ein Staatsrath sein! Nun freilich, ein Popensohn!«

»Wer hat keine Fehler, Taute? Diese Schwäche hat er freilich. Sergei Petrowitsch hat keine Erziehung erhalten, spricht nicht französisch, aber Sie mögen sagen, was Sie wollen, es ist ein angenehmer Mann.«

»Freilich, er küßt Dir fortwährend die Hände. Daß er nicht französisch spricht, ist kein großes Unglück, ich selbst bin nicht stark im französischen »Dialect«. Besser wäre es, er spräche gar keine Sprache: wenigstens würde er dann nicht lügen. Da kömmt er aber auch,« fügte Martha Timotheewna hinzu, auf die Straße hinausblickend. »Wie schreitet er doch einher, Dein angenehmer Mann. Ist er aber doch lang, täuschend einem Storche ähnlich!«

Maria Dmitriewna brachte ihre Locken in Ordnung, – Martha Timotheewna blickte spöttisch auf sie.

»Was hast Du aber da nur, wenn ich mich nicht irre, ein graues Haar? Du mußt Deine Palaschke tüchtig auszanken, kann sie nicht achtsamer sein?«

»Aber Tante, Sie haben immer . . . «, murmelte ärgerlich Maria Dmitriewna und fing mit den Fingern auf der Sehne des Sessels an zu trommeln.

»Sergei Petrowitsch Gedeonowsky!« kreischte ein rothbäckiger à la Kosak gekleideter Knabe durch die Thüre, hereinspringend.

Zweites Kapitel

Es trat ein Mann von hohem Wachse herein, gekleidet in einen eleganten Rock, in kurze Hosen, graue Handschuhe aus semischen Leder und in zwei Halstücher, ein schwarzes oben und ein weißes darunter. Alles an ihm athmete Anstand und Lebensart, von seinem wohlgeformten Gesichte und den glattgekämmten Haaren an, bis zu seinen Stiefeln ohne Absätze. Er grüßte zuerst die Hausfrau, dann Martha Timotheewna und, nachdem er langsam seine Handschuhe ausgezogen, nahte er der Hand von Maria Dmitriewna. Nachdem er selbige ehrfurchtsvoll zweimal geküßt hatte, setzte er sich, ohne sich zu beeilen, auf einen Sessel und sagte lächelnd und mit den Fingerspitzen spielend:

»Befindet sich Elisabeth Michailowna wohl?«

»Ja,« erwiderte Maria Dmitriewna, »sie ist im Garten.«

»Und Helene Michailowna?«

»Lenchen ist auch im Garten.«

»Giebt es nichts Neues?«

»Wie sollte es nicht etwas geben, wie sollte es nicht!« erwiderte der Gast langsam blinzelnd und seine Lippen ausstreckend. Da hier ist meinethalben meine Neuigkeit und eine sehr wunderbare: Fedor Iwanitsch Lawretzky ist angekommen.«

»Fedia!« rief Martha Timotheewna, – »Lügst Du wirklich nicht, mein Theurer?«

»Nicht im Geringsten, ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen.«

»Nun, das ist noch kein Beweis.«

»Er hat sehr zugenommen,« fuhr Gedeonowsky fort, sich den Schein gebend, als hätte er die Bemerkung Martha Timotheewna’s nicht gehört. – »Er ist, noch breitschultriger geworden und Röthe spielt auf seinem ganzen Antlitze.«

»Er hat zugenommen?« sprach gedehnt Maria Dmitriewna. »Mir scheint er keine Ursache zu haben, zuzunehmen.«

»Ja,« erwiderte Gedeonowsky, »ein Anderer an seiner Stelle würde sich schämen, sich unter Leuten zu zeigen.«

»Und warum das?« unterbrach ihn Martha Timotheewna, »was ist das für ein Unsinn.« Ein Mann ist in seine Heimath zurückgekehrt, wo anders soll er denn hin? lind wenn er noch irgend eine Schuld trüge!«

»Ein Mann ist immer schuld, erlaube ich mir Ihnen, gnädige Frau, zu bemerken, wenn sich seine Frau schlecht aufführt.«

»Das sagst Du Freund, weil Du selbst niemals verheirathet gewesen bist.«

Gedeonowsky lächelte gezwungen.

»Erlauben Sie zu fragen,« sagte er nach kurzem Schweigen, »wem diese hübsche Schärpe bestimmt ist?«

Martha Timotheewna warf einen scharfen Blick auf ihn.

»Sie ist dem bestimmt,« entgegnete sie, »der niemals klatscht, nicht den Schlauen spielt und nicht falsch ist, wenn es einen solchen Mann auf Erden giebt; Fedia kenne ich sehr gut, seine einzige Schuld ist, daß er seine Frau verwöhnt hat. Nun, er hat sich aber auch aus Liebe verheirathet, und aus diesen Liebesehen wird niemals etwas Vernünftiges,« fügte die Alte hinzu, einen Seitenblick auf Maria Dmitriewna werfend und aufstehend. »Zerreiße Du jetzt, Freundchen, mit der Zunge, wen Du willst! – meinethalben auch mich; ich gehe fort, und werde nicht stören,« – und Marth Timotheewna entfernte sich.

 

»So ist sie immer«, sprach Maria Dmitriewna, ihre Tante mit den Augen begleitend.

»Das bringen einmal ihre Jahre mit sich! Was ist zu thun!« bemerkte Gedeonowsky. »Zum Beispiel sagte Ihre Frau Tante: Wer nicht den Schlauen spielt. Wer spielt aber nicht jetzt den Schlauen? Das bringt einmal das Jahrhundert mit sich. Einer meiner Freunde, ein höchst achtbarer Mann und, muß ich Ihnen sagen, ein Mann von nicht geringem Stande, hatte die Gewohnheit zu sagen: »Heut zu Tage das Huhn selbst nicht ohne Schlauheit dem hingeworfenen Körnchen naht, sucht immer von der Seite ihm beizukommen.« – Wenn ich Sie aber betrachte, gnädige Frau, Sie haben wirklich den Charakter eines Engels; dürfte ich Sie um Ihre schneeweiße Hand bitten?«

Maria Dmitriewna lächelte schwach und streckte Gedeonowsky ihre fette Hand hin, den fünften Finger getrennt haltend. Er drückte dieselbe an seine Lippen, sie rückte ihren Sessel zu ihm und fragte, etwas zu ihm gebeugt, ihn halblaut:

»Also haben Sie ihn gesehen? Ist er in der That ganz und gar nichts, – gesund, fröhlich?«

»Fröhlich, als ob nichts geschehen wäre,« erwiderte Gedeonowsky leise.

»Und haben Sie nicht gehört, wo seine Frau jetzt ist?«

»Die letzte Zeit war sie in Paris; jetzt hat sie sich, wie man sagt, nach Italien übergesiedelt.«

»Es ist schrecklich, in der That, – Fedia’s Lage; ich weiß nicht, wie er es verträgt. Jedermann trifft auf Erden zuweilen Unglück, das ist wahr; über ihn hat aber, kann man sagen, ganz Europa geschrieen.«

Gedeonowsky seufzte tief.

»Ja, ja, sie hat, sagt man, mit Künstlern und Pianisten, oder wie man dort sagt, mit Löwen und allerhand Thieren Bekanntschaft gemacht; sie soll jedes Schamgefühl gänzlich verloren haben.«

»Schmerzlich, sehr schmerzlich!« sagte Maria Dmitriewna, »besonders für mich, als einer Verwandten. Denn wie Sie, Sergei Petrowitsch wissen, ist er mein Vetter.«

»Freilich, freilich! wie sollte ich nicht alles wissen, was Ihre Familie angeht? – Können Sie so etwas glauben??«

»Wird er zu uns kommen, was meinen Sie?«

»Man sollte es glauben; übrigens will er, wie man hört, auf sein Gut reisen.«

Maria Dmitriewna blickte zum Himmel empor.

»Ach, Sergei Petrowitsch, wenn ich daran denke, wie wir Frauen doch vorsichtig sein müssen!«

»Die Frauen sind, Maria Dmitriewna, nicht alle einander ähnlich. Es giebt, zum Unglück, solche, – die einen unbeständigen Character haben, . . . nun, auch die Jahre; man hat ihnen auch nicht von klein auf Moral eingeschärft.«

Sergei Petrowitsch zog aus seiner Tasche ein quarrirtes blaues Taschentuch und begann es auseinander zu legen. »Es giebt freilich solche Frauen;« Sergei Petrowitsch berührte mit dem einem Ende des Schnupftuchs erst das eine, dann das andere Auge, – »aber im Allgemeinen zu reden, wenn man bedenkt, das heißt . . . In der Stadt ist es ungewöhnlich staubig,« schloß er.

»Mama, Mama!« rief in die Stube hereinlaufend, ein hübsches elfjähriges Mädchen, »Wladimir Nikolaitsch kommt zu Pferde zu uns!«

»Maria Dmitriewna stand auf; Sergei Petrowitsch stand ebenfalls auf und grüßte.

»Ich habe die Ehre, Helene Michailowna, ergebenst zu-grüßen,« sagte er, und aus Schicklichkeit sich in einen Winkel zurückziehend, begann er seine lange und regelmäßige Nase zu schnauben.

»Was hat er für ein schönes Pferd!« fuhr das Mädchen fort. »Eben war er an der Gartenthür und sagte mir und Lieschen, daß er an die Treppe heranreiten würde.«

Man vernahm Hufschlag und ein schlanker Reiter auf einem schönen braunen Pferde zeigte sich auf der Straße und hielt am offenen Fenster.

Drittes Kapitel

»Guten Tag, Maria Dmitriewna!« rief der Reiter mit klangvoller und angenehmer Stimme. »Wie gefällt Ihnen mein neuer Kauf?«

Maria Dmitriewna trat an’s Fenster.

»Guten Tag, Woldemar! Ach was für ein schönes Pferd! Bei wem haben Sie es gekauft?«

»Bei einem Remonteur . . . viel hat er aber von mir genommen, der Spitzbube.«

»Wie heißt es?«

»Orlandow. . . aber dieser Name ist dumm, ich will ihn verändern . . . Eh bien, eh bien, mon garcon. . . kannst Du nicht ruhig stehen?«

Das Pferd schnaubte, trampelte mit den Füßen und bewegte unruhig das schaumbedeckte Maul.

»Lenchen, streicheln Sie es, fürchten Sie nichts.«

Das Mädchen streckte die Hand aus dem Fenster, Orlandow bäumte sich plötzlich und warf sich aufs die Seite. Der Reiter fand sich aber gleich zurecht, drückte das Pferd fest zwischen seine Schenkel, gab ihm einen tüchtigen Schlag mit der Reitgerte auf den Hals und stellte es, so sehr es sich auch widersetzte, wieder vor das Fenster.

»Prenez garde, Prenez garde,« wiederholte Maria Dmitriewna.

»Lenchen, streicheln Sie es doch!« sagte der Reiter sich irgend eine Freiheit herauszunehmen.

Das Mädchen streckte wieder ihre Hand aus dem Fenster und berührte schüchtern die zitternden Nüstern Orlandow’s, der fortwährend auffuhr und am Gebiß nagte.

»Bravo!« rief Maria Dmitriewna; »jetzt steigen Sie aber ab und kommen Sie zu uns.«

Geschickt wandte der Reiter sein Pferd, bohrte ihm die Sporen in die Seiten und, nachdem er im kurzen Galopp die Straße durchritten hatte, trabte er in den Hof ein. Einen Augenblick später trat er, die Reitgerte in der Hand, aus der Thüre des Vorzimmers in den Saal; in demselben Augenblicke zeigte sich auf der Schwelle der entgegengesetzten Thür ein schlankes, hochgewachsenes Mädchen von ungefähr neunzehn Jahren.

Viertes Kapitel

Der junge Mann, den wir eben den Lesern vorgeführt haben, hieß Wladimir Nikolaitsch Panschin. Er diente in Petersburg als Beamter für besondere Aufträge im Ministerium des Innern. In die Stadt O. war er im zeitweiligen Auftrage der Regierung gekommen und stand dem Gouverneur, General Sonnenberg, dessen entfernter Verwandter er war, zur Verfügung. Panschin’s Vater, ein verabschiedeter Stabsrittmeister, bekannter Spieler, ein Mann mit süßlichen Augen, abgelebtem Gesichte und nervösem Zittern in den Lippen, hatte sich sein Leben lang in hohen Kreisen bewegt, besuchte die englischen Clubbs beider Residenzen und galt für einen geschickten, obgleich nicht sehr zuverlässigem aber angenehmen Lebemann. Trotz seiner Geschicklichkeit befand er sich fast fortwährend an der äußersten Grenze der Armuth und hinterließ seinem einzigen Sohne ein kleines und in der größten Unordnung befindliches Vermögen; dagegen hatte er sich, freilich nach seiner Art, um dessen Erziehung bekümmert. Wladimir Nikolaitsch sprach, französisch vortrefflich, englisch gut, deutsch schlecht. So muß es auch sein: ordentliche Leute schämen sich, gut deutsch zu sprechen, aber ein deutsches Wörtchen bei einigen meist spaßhaften Gelegenheiten in die Welt zu schicken, ist erlaubt; »c’est même trés chic,« wie sich die petersburger Pariser ausdrücken. Mit seinem fünfzehnten Jahre verstand es Wladimir Nikolaitsch, ohne verlegen zu sein, in jeden Saal zu treten, sich in demselben angenehm zu unterhalten und zur passenden Zeit sich zu entfernen.

Panschin’s Vater hatte seinem Sohne viele, Verbindungen verschafft; wenn er zwischen zwei Robber oder nach einem geschickten großen Schlemm mischte, vergaß er es nicht, irgend einem großen Herrn, einem Liebhaber von Cammersspielen, ein paar Worte über seinen Woldemar zuzuflüstern, Wladimir Nikolaitsch, seinerseits, als er sich auf der Universität befand, die er mit dem Rang eines wirklichen Studenten absolvirte, hatte die Bekanntschaft einiger jungen Leute von vornehmen Stande gemacht und sich Zugang in die besten Häuser verschafft. Ueberall wurde er gut aufgenonnnen; denn er hatte ein angenehmes Aeußere, war gewandt, witzig, immer gesund und zu Allem bereit; wo es nöthig war, achtungsvoll, wo es möglich war, frech, ein vortrefflicher Kamerad, un charmant garcon; ein Vielen verschlossenes Reich eröffnete sich ihm. Früh begriff Panschin die Geheimnisse der Lebensweisheit; er verstand es, die Gesetze der Welt aufrichtig zu achten, verstand es, mit einem halbspöttischen Ernste sich mit Unsinn zu befassen und sich den Schein zu geben, daß er alles Ernste für Unsinn halte; – er tanzte vortrefflich, kleidete sich nach englischer Mode. In kurzer Zeit hatte er sich den Ruf eines der liebenswürdigsten und geschicktesten jungen Leute in Petersburg verschafft.

In der That war Panschin sehr geschickt, – nicht weniger als sein Vater, – aber er war auch sehr begabt. Zu Allem hatte er Talent; er war guter Sänger, geschickter Zeichner, schrieb Verse, war ein sehr leidlicher Schauspieler; kaum achtundzwanzig Jahre alt, war er schon Kammerjunker und hatte, einen ziemlich hohen Rang. Panschin hatte festes Vertrauen in sich, in seinen Geist, in seinen Scharfsinn; kühn und fröhlich und festen Schrittes ging er vorwärts; sein Leben floß so schön dahin. Er war gewohnt, Allen zu gefallen, Jungen und Alten, und bildete sich ein, er kenne die Menschen, besonders die Frauen; freilich kannte er ihre gewöhnlichen Schwächen. Den Künsten nicht fremd, fühlte er in sich Glut und einige Hingebung und Begeisterung, und in Folge dessen erlaubte er sich verschiedene Abweichungen von den Regeln des Weltlebens. Er lebte flott, schloß Bekanntschaften mit Leuten, die nicht zur sogenannten Welt gehörten und hielt sich im Allgemeinen frei und einfach; in der Seele aber war er kalt und listig, und während der wildesten Orgien beobachtete und bemerkte sein kluges, braunes Auge Alles; dieser kühne, dieser freie Jüngling konnte sich niemals vergessen, konnte sich niemals ganz hinreißen lassen. Zu seiner Ehre muß man hinzufügen, daß er niemals mit seinen Eroberungen prahlte. In das Haus von Maria Dmitriewna fand er Eingang sofort nach seiner Ankunft in O. und war bald dort wie zu Haus. Maria Dmitriewna war ihm von ganzem Herzen zugethan.

Panschin grüßte freundlich Alle, die sich im Zimmer befanden, drückte die Hand von Maria Dmitriewna und Elisabeth Michailowna, gab Gedeonowsky einen leichten Schlag auf die Schulter und, sich auf seinen Absätzen herumdrehend, fing er Lenchen auf und küßte ihr die Stirn.

»Und Sie fürchten sich nicht, solch ein böses Pferd zu reiten?« fragte ihn Maria Dmitriewna.

»Um Gottes Willen! Mein Pferd ist ja sanft, wie ein Lamm; ich will Ihnen aber sagen, was ich fürchte: nämlich Preferance mit Sergei Petrowitsch zu spielen; gestern habe ich bei den Belenizyns ihm Hab und Gut verspielt.«

Auf Gedeonowsky spielte ein feines und demüthiges Lächeln: er buhlte um die Gunst des jungen, glänzenden Beamten aus Petersburg, des Lieblings des Gouverneurs. In seinen Gesprächen mit Maria Dmitriewna sprach er oft von den außerordentlichen Fähigkeiten Panschin’s. Denn, meinte er, wie sollte man auch ihn nicht loben? Der junge Mann bahnt sich einen Weg in der höhern Sphäre des Lebens, ist ein ausgezeichneter Beamter und hat nicht den geringsten Stolz. Uebrigens galt Panschin auch in Petersburg für einen guten Beamten; die Arbeit ging ihm flink von den Händen, er sprach von ihr wie im Spaße und wie es einem Weltmanne, der keine besondere Bedeutung seinen Bemühungen giebt, geziemt, doch war er ein »guter Arbeiter.« Die Obern lieben solche Untergebene; er selbst aber zweifelte nicht, daß er, wenn er es nur würde wollen, mit der Zeit Minister werden könne.

»Sie sagen, Sie hätten mir viel verspielt?« meinte Gedeonowsky; »wer hat aber vorige Woche von mir zwölf Rubel gewonnen? Und noch. . .«

»Ein schlauer Fuchs, ein schlauer Fuchs!« unterbrach ihn Panschin mit einer freundlichen, aber etwas verächtlichen Nachlässigkeit, und näherte sich, ihm keine Aufmerksamkeit mehr schenkend, Liesen.

»Ich konnte hier die Ouverture aus dem Oberon nicht finden,« begann er. »Madame Belenizyn prahlte zwar, sie hätte die ganze classische Musik, aber in der That hat sie nichts als Polkas und Walzer; ich habe schon nach Moskau geschrieben, und in einer Woche werden Sie diese Ouverture haben. A propos, ich habe gestern eine neue Romanze geschrieben; die Worte sind auch von mir. Wollen Sie, daß ich Sie Ihnen vorsinge? Ich weiß nicht, was an meiner Arbeit ist; Madame Belenizyn fand die Romanze sehr hübsch, aber ihre Worte haben gar keinen Werth. Ich möchte Ihre Meinung hören; übrigens glaube ich, ist es besser nachher.«

»Warum denn nachher?« mischte sich Maria Dmitriewna in das Gespräch; »warum denn nicht jetzt?«

»Wie Sie befehlen,« meinte Panschin mit einem frohen und süßen Lächeln, das sich bei ihm immer ebenso schnell zeigte, als es sich verlor; er rückte mit seinem Knie einen Stuhl an das Piano, setzte sich auf denselben und, nachdem er einige Accorde gegriffen hatte, begann er, die Worte stark betonend, folgende Romanze:

 
Der Mond schwimmt hoch, von Wolken rings umzogen
In bleicher Zahl;
Doch von der Höhe lenkt des Meeres Wogen,
Sein Zauberstrahl,
Gleich stürmischem Meer, erkannte Dich mein Herze
Als Mondenschein
Und es bewegt sich jetzt – in Freud und Schmerze —
Durch Dich allein.
Es bat mein Herz, vor Lieb’ und stummen Qualen
Jetzt keine Ruh’;
Mir ist so schwer . . . doch fremd, gleich Mondesstrahlen
Bist Stürmen Du.
 

Das zweite Couplet sang Panschin mit besonderem Ausdruck und besonderer Kraft, die stürmische Begleitung ahmte die Bewegung der Wellen nach. Nach den Worten: Mir ist so schwer . . . seufzte er leise, schlug die Augen nieder und senkte die Stimme – morendo. Als er geendigt hatte, lobte Liese das Motiv, Maria Dmitriewna sagte: »es ist reizend,« – Gedeonowsky aber rief: »himmlisch!« sowohl Poesie als auch Harmonie sind gleich himmlisch!« – Lenchen blickte mit kindlicher Ehrfurcht auf den Sänger. Mit einem Worte; das Werk des jungen Dilettanten gefiel allen Gegenwärtigen ausnehmend; im Vorzimmer aber, an der Thür des Saales stand ein eben gekommener schon alter Mann, welchem, dem Ausdrucke seines Antlitzes und den Bewegungen seiner Schultern nach zu urtheilen, Panschin’s Romanze, obgleich sie sehr hübsch war, kein besonderes Vergnügen verschafft hatte! Nachdem er einige Augenblicke gewartet, und den Staub von seinen Stiefeln mit einem dicken Schnupftuch: abgewischt hatte, kniff er seine Augen zusammen und seine Lippen nahmen einen finsteren Ausdruck an, er bückte seinen ohnedies schon gekrümmten Rücken noch tiefer und trat in den Saal hinein.

 

»Ach, Christophor Fedorowitsch« wie geht es?« rief vor allen Andern Panschin und sprang von seinem Stuhle auf. »Ich ahnte nicht, daß Sie hier seien, in Ihrer Gegenwart hätte ich mich niemals entschlossen, meine Romanze zu singen, denn ich weiß, Sie sind kein Freund von leichter Musik.«

»Ich habe nichts gehört,« sagte in schlechtem Russisch der Eingetretene und blieb, nachdem er Alle gegrüßt hatte, ungeschickt in der Mitte der Stube stehen.

»Sie kommen, Monsieur Lemm, meiner Liese eine Stunde zu geben?« fragte Maria Dmitriewna.

»Nein, nicht an Elisabeth Michailowna, sondern an Helene Michailowna.«

»Ja so, sehr schön, Lenchen, geh’ mit Herrn Lemm hinauf.«

Der Alte folgte dem Mädchen, Panschin aber hielt ihn auf.

»Gehen Sie nach der Stunde nicht fort, Christophor Fedorowitsch,« sagte er, »Elisabeth Michailowna will mit mir eine Sonate von Beethoven vierhändig spielen.«

Der Alte brummte etwas in den Bart, Panschin aber fuhr auf deutsch, die Worte schlecht aussprechend, fort:

»Elisabeth Michailowna hat mir die geistliche Cantate gezeigt, die Sie ihr gewidmet haben, – eine reizende Composition! Glauben Sie ja nicht, daß ich ernste Musik nicht zu würdigen weiß, – im Gegentheil: sie ist zuweilen langweilig, aber dafür sehr nützlich.«

Der Alte wurde bis hinter die Ohren roth; warf auf Liesen einen Seitenblick und eilte aus dem Zimmer.

Maria Dmitriewna bat Panschin die Romanze zu wiederholen; er entgegnete aber, er wünsche nicht die Ohren des gelehrten Deutschen zu zerreißen, und schlug Liesen vor, Beethovens Sonate vorzunehmen. Da seufzte Maria Dmitriewna und schlug ihrerseits Gedeonowsky vor, mit ihr in den Garten zu gehen. »Ich möchte,« sagte sie »mit Ihnen noch etwas sprechen und Sie um Rath wegen unseres armen Fedia fragen.«

Gedeonowsky zeigte seine Zähne, dankte, nahm mit zwei Fingern seinen Hut, auf dessen Krempe seine Handschuhe glatt und sauber lagen, und entfernte sich mit Maria Dmitriewna. In der Stube blieben nur Panschin und Liese; sie brachte und schlug die Sonate auf, beide setzten sich schweigend an’s Clavier. Undeutlich drangen von oben die Töne von Scalen, gespielt von Lenchens noch unsicheren Händen.

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