SPATZ

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Christiane Weller / Michael Stuhr

SPATZ

Ein Tiermärchen

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Widmung:

01 FÜRCHTENIX UND FLÜCHTEFIX

02 NESTRÄUBER

03 DAS GELBE TIER

04 DIE FLUCHT

05 DAS ICH

06 GESETZ UND ORDNUNG

07 DIE VERTREIBUNG

08 IM KAMIN

09 DER EINSAME SCHATTEN

10 DIE NEUEN REGELN

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Leseprobe:

Impressum neobooks

Widmung:

Für Laura

Lass es Dir mal vorlesen, wenn Du so weit bist.

01 FÜRCHTENIX UND FLÜCHTEFIX

Als das Rollmüffel mit viel Gestank vorfuhr, kam Unruhe auf und Ciori unterbrach die Futtersuche. Sie warnte Miall mit einem durchdringenden Ruf. Eilig flog sie hinter den Reisighaufen, der am Zaun lag, bereit, eventuelle Angreifer vom Nest abzulenken. Diese lärmenden, glänzenden Dinger waren gefährlich.

Cioris ganze Sorge galt ihren Jungen und zurzeit regte sie sich über jede Kleinigkeit auf, was eigentlich unnötig war, wie Miall fand. Dennoch unterstützte er sie natürlich nach Kräften dabei, Feinde von den Jungen fern zu halten, obwohl ja im Grunde genommen kaum etwas passieren konnte.

Miall war sehr zufrieden mit dem Zuhause, das er für sich und Ciori in dem kleinen Obstgarten geschaffen hatte. Er liebte die Sicherheit und hatte die Brutkugel so geschickt unter dem Dach des alten Schuppens verborgen, dass sie für Feinde kaum zu sehen und so gut wie nicht zu erreichen war. Die dünn bemoosten, glatten Bretterwände boten Krallen nur wenig Halt und der Dachvorsprung schützte das Nest nach oben hin. - Hier konnten sie die Jungen aufziehen, ohne ständig Nesträuber abwehren zu müssen.

Dennoch waren Ciori und Miall wachsam, denn Feinde gab es überall. Nicht nur der schreckliche Marder bedrohte die Jungen, man musste auch auf die Elstern und die Raben achten. Selbst das Eichhorn, das sich doch eigentlich nur von Eicheln und Nüssen ernährte, konnte zu einer schrecklichen Gefahr werden, wenn es die hilflosen Spatzenküken entdeckte. Da war es schon beruhigend, dass das Nest so gut verborgen, so schwer zu erreichen und so leicht zu verteidigen war.

Rollmüffel raubten keine Nester aus, das taten sie nie, deshalb hatte Ciori sich nur selbst in Sicherheit gebracht und Miall war ihr gefolgt. Sie hielten sich hinter dem Reisighaufen verborgen und beobachteten genau, wie ein großes Wuchtig und zwei Kleinwuchtig das Rollmüffel mit viel Türgeschepper verließen.

Noch war die Gefahr nicht sehr groß. Die Wuchtig waren plumpe, laute Bodentiere, die schlecht klettern, nicht sehr hoch springen und auch nur langsam laufen konnten. Trotzdem war es besser, wachsam zu sein, denn sie waren schlau. Obwohl sie zum Beispiel viel zu schwer für die Kronen der Obstbäume waren, schafften sie es doch, bis in die Spitze zu gelangen. Sie brachten sich einfach ein Langes mit und kletterten daran empor, bis sie ganz oben waren. - Vor allem hatten sie aber die Rollmüffel, und die waren wirklich gefährlich: Der Einsame Schatten, von dem in der uralten Spatzenlegende erzählt wurde, war ihr ständiger Begleiter. Sie waren enorm schnell, und wenn man ihnen in den Weg kam dann war das das Ende von Laufen und Fliegen - sogar, wenn man ein Wuchtig war.

Ja, auch die Wuchtig hatten Angst und sie taten alles, um die Rollmüffel zu besänftigen. Sie bauten ihnen feste, breite Wege, Ruheplätze und sogar Nester aus Holz und Stein; sie pflegten ihnen das Fell und dafür trugen die Rollmüffel sie mit viel Krach und Gestank hierhin und dorthin.

Miall duckte sich ein wenig tiefer hinter die dürren Zweige, aber es sah nicht so aus, als solle der Obstgarten gestürmt werden. Schnell machte er ein paar beruhigende Geräusche, damit Ciori sich ein wenig entspannte. Sie ließ sich aber nicht ablenken und sah wie gebannt zur anderen Straßenseite hinüber.

Manchmal kamen die Wuchtig, die in dem steinernen Nest auf der anderen Seite der Straße wohnten, in den Obstgarten, aber damit konnte man leben. Sie schienen schon älter zu sein. Sie gingen langsam, bückten sich gemächlich und richteten sich noch viel bedächtiger wieder auf. Manchmal gingen sie auch in den Schuppen. Das war zwar unangenehm, aber nicht sonderlich beängstigend - Kaum vorstellbar, dass eines von ihnen plötzlich an der Schuppenwand emporklettern könnte, um das Nest zu plündern.

Unangenehmer war es da schon, dass auch ein Krallentier in dem Haus wohnte. Zwar war es schon alt und kam nur ganz selten über die Straße; es lag lieber faul in der Sonne herum und man sah es nie klettern, weil es dafür zu dick war, aber einer Katze darf man nie trauen, wenn man ein Spatz ist.

Manchmal träumte Miall, dass Katzenaugen vor dem Nest schwebten und eine krallenbewehrte Tatze durch das Schlupfloch eindrang. Er wachte dann immer zitternd und mit jagendem Herzen auf; aber das waren dumme Träume, denn Krallentiere können nicht fliegen und das alte, dumme Räubergesicht von gegenüber schon gar nicht!

Seltsame Wesen, die mit einer Katze zusammenlebten, fand Miall, aber sie wurde wenigstens gefüttert, so dass ihr Appetit auf Spatzenküken wohl nicht sehr groß sein konnte. - Das Futter war übrigens nicht einmal übel, wie Miall festgestellt hatte, als das alte Räubergesicht einmal vor dem Haus im Gras gelegen hatte und der Napf unbewacht dastand. Seitdem bediente er sich ab und zu mit der gebotenen Vorsicht und so war sogar die alte, doofe Katze zu etwas gut. Man musste nicht wirklich Angst vor ihr haben, da gab es Schlimmeres:

Das alte Großwuchtig, das kaum noch Fell auf dem Kopf hatte, machte manchmal Brandgeruch, wenn es im Obstgarten war. Miall kam jedesmal fast um vor Angst und Sorge um das Nest, denn er wusste, wie gefährlich das Gelbe Tier war, das das Wuchtig sich direkt vor das Gesicht hielt um Rauch zu machen. Das Gelbe Tier fraß und fraß, bis nichts mehr da war, das es verschlingen konnte und dann starb es. Es fraß Reisig, Stroh und Laub, ja, ganze Äste fielen ihm zum Opfer. Es prasselte und knackte, Sein Atem war heiß und wer nicht floh, war verloren. - Warum spielte das Wuchtig bloß damit herum? Warum steckte es diese kurzen, schneeweißen Zweiglein in Brand und saugte daran? Es hielt sich wohl für so schlau, dass es glaubte, das Gelbe Tier könne ihm nichts anhaben.

Miall hatte die Reste eines solchen Zweigleins einmal untersucht. Es hatte zertreten auf einem Stein gelegen und braune, stinkende Krümel waren herausgequollen. - Absolut ungenießbar und wahrscheinlich sogar giftig! Miall hatte dreimal im Staub baden müssen, bevor er den Gestank wieder losgeworden war. Wie konnte man so etwas nur freiwillig berühren? Miall verstand das nicht, aber wer konnte schon ein Wuchtig verstehen? Es lohnte sich einfach nicht, darüber nachzudenken.

Allein die Töne, die diese seltsamen Tiere von sich gaben! Es war kein Zwitschern, kein Trillern und kein Gesang, ja nicht einmal ein Krächzen oder Krähen. Es waren dumpfe Geräusche, so wie Donner in der Ferne, aber die Wuchtig schienen sich damit verständigen zu können. - Völlig unbegreifliche Wesen: Ganz ohne Federn, wie riesige Frösche mit ein bisschen Fell auf dem Kopf; so riesig, so plump und so laut! Am Besten, man kümmerte sich gar nicht um sie, sondern behielt sie nur aus Sicherheitsgründen ein wenig im Auge!

Die beiden Altwuchtig kamen aus dem Haus und begrüßten die Ankömmlinge. Ihre dumpfen, dröhnenden Stimmen vermischten sich mit den helleren, eher piepsigen Lauten der Kleinwuchtig und sie alle hoben aufgeregt ihre jämmerlich federlosen Flügel.

Ciori saß etwas abseits und Miall sah am Zittern ihrer Schwungfedern, dass sie fluchtbereit war. Er spreizte langsam die Flügel und zog sie dann wieder eng an den Körper. Sie sollte sehen, dass er sich nicht fürchtete, und er wollte ihr etwas von seiner Ruhe vermitteln.

Die Wuchtig lärmten noch ein wenig herum, umschlangen einander und schließlich gingen alle ins Haus.

Ciori entspannte sich ein wenig und auch Miall richtete sich aus der geduckten Haltung auf.

„Atzung!“ vermutete Miall mit einem Seitenblick auf Ciori, denn er hatte schon herausbekommen, dass die Kleinwuchtig nicht wie Spatzenküken in ihrem eigenen Nest blieben, und auf Nahrung warteten, sondern dass sie gern andere Nester aufsuchten um dort die Vorräte zu plündern.

„Angst vorbei?“ Miall legte fragend den Kopf schräg.

 

Ciori blieb sitzen und knabberte verlegen an einer vertrockneten Knospe herum. Miall beschloss, das Thema fallenzulassen. Sie war manchmal unleidlich, wenn sie sich gefürchtet hatte.

Kaum hatte Miall den Gedanken zu Ende gebracht, da flog Ciori auch schon auf und raste auf eine Amsel zu, die in aller Unschuld auf der anderen Seite des Zauns im Gras stöberte. Sie landete knapp vor dem viel größeren Vogel und machte mit halb ausgebreiteten Flügeln zeternd noch ein paar wilde Sätze, sodass die erschreckte Amsel hastig aufflog und machte, dass sie davonkam.

„Futterdieb!“ stellte Ciori fest, als sie zurückkam. „Sturm gekommen, weggeweht!“ fügte sie zufrieden hinzu und kiekste vergnügt, als Miall sie „Fürchtenix“ nannte. Unverzüglich fing sie an, die halb verfaulten Blätter unter dem Reisig umzuwenden und auch Miall machte, dass er wieder an die Futtersuche kam, denn schließlich hatten die Kleinen immer Hunger.

Ciori und Miall hatten für nur drei Junge zu sorgen, was Ciori ein bisschen wenig fand, aber Miall war es ganz recht so. Flügelschlag, Langfeder und Blättersitz konnten ihre Eltern nämlich auch zu dritt ständig in Atem halten. Sie waren zwar erst drei Sonnen alt und winzig klein, aber sie bestanden fast nur aus weit aufgerissenen Schnäbeln, die ständig gestopft sein wollten. Kaum hatte die stolze Ciori ihnen ihre Nestnamen gegeben, da forderten sie schon Futter und ihre feinen Stimmen klangen so jämmerlich, dass man gar nicht anders konnte, als eilig etwas Nahrhaftes heranzuschaffen. Kaum waren aber der fette Falter, das würzige Würmchen oder der knusprige Käfer verschlungen, da ging es schon wieder los. „Gib, gib, gib!“ piepsten die Kleinen in einem fort und die Eltern gaben den ganzen Tag lang, was sie nur konnten.

Das Einzige, was Ciori und Miall für eine Weile von ihren Pflichten entband, war die Nacht. Wenn es dunkelte, beruhigten sich die Kleinen, kuschelten sich aneinander und schliefen. Dann endlich hatten die Eltern Zeit, ein wenig für sich selbst zu sorgen, bevor die Finsternis sich über den Obstgarten legte. Auch dabei mussten sie sich beeilen, denn wenn es kühl wurde, froren die Kleinen schnell. Die paar Federstoppelchen, die sie hatten, konnten die Körperwärme noch nicht halten und so deckte Ciori schon bald ihren Flaum über Flügelschlag, Langfeder und Blättersitz, die die wohlige Wärme dankbar genossen und sich bis zum frühen Morgen nicht mehr rührten.

Als letzter war dann Miall noch in der Dämmerung unterwegs, der, nachdem er selbst gefressen hatte, auch den einen oder anderen Käfer zu Ciori brachte, bevor die Dunkelheit ihn zwang, aufzuhören und sich mit in das Nest zu kuscheln. Es war anstrengend, aber es war auch schön, sich um die Kleinen zu kümmern. Man konnte förmlich dabei zusehen, wie sie gediehen und je unverschämter sie forderten, umso stolzer waren die Eltern.

Eine Zeit lang blieb es ruhig im Haus und die Futtersuche ging ungestört weiter. Miall hatte ganz dicht bei der Straße ein Stück lockerer Erde entdeckt und scharrte eifrig darin herum. Ein paar alte Grassamen kamen zum Vorschein und er pickte die, die noch nicht verdorben waren, vorsichtig heraus. Das war noch nichts für die Kleinen, die brauchten weiches Futter mit viel Fett, damit sie schnell wuchsen!

Plötzlich kamen die beiden Kleinwuchtig um das steinerne Nest herumgelaufen. Sie mussten es auf der anderen Seite, da, wo der kleine Teich und die vielen Blumen waren, verlassen haben. Ärgerlich über die Störung schwirrte Miall ein Stück weit in den Obstgarten hinein, wo Ciori gerade das Mistbeet untersuchte.

Laut waren sie, diese Kleinwuchtig! Ihre Stimmen taten den Ohren fast noch mehr weh, als das dumpfe Gebrummel der Älteren. Außerdem waren sie schnell. - Zu schnell für Mialls Geschmack. Sie rannten hin und her und man wusste nie, was sie im nächsten Moment tun würden. Miall überzeugte sich nochmals davon, dass Ciori im hinteren Teil des Obstgartens in Sicherheit war, stieg dann auf und setzte sich auf einen Ast, der bis an die Straße heranreichte.

Die Kleinwuchtig zogen dem Krallentier ein altes Hundehalsband an, so sehr es sich auch wehrte, und versuchten, mit ihm spazieren zu gehen. Miall hielt einen Augenblick lang inne und sah sich das Schauspiel schaudernd an. Er konnte das alte Räubergesicht zwar nicht leiden, aber trotzdem bekam er bei dem Anblick Herzklopfen. Ein Halsband, wie schrecklich! - Aber da konnte man mal sehen, was es brachte, wenn man sich mit den Wuchtig einließ! Die Katze schien im Moment derselben Meinung zu sein, sie maunzte jämmerlich und schon kam ein Großwuchtig aus dem Haus und machte eine Menge dumpfer Töne. Die Kleinwuchtig versuchten, auch etwas zu sagen, aber das ging ganz in dem Gedonner unter und schon war das Krallentier wieder frei. Hastig sprang es auf die Fensterbank, schlug mit dem Schwanz, legte die Ohren zurück und hob eine Pfote. Jeder der Krallentiere kannte, konnte sehen, dass es schlechte Laune hatte.

„Rumtreiber, Baumhocker, Luftgucker!“ gellte es aus dem Ginsterbusch vor dem Schuppen und sofort machte Miall sich schuldbewusst wieder an die Futtersuche. Ciori hatte ja Recht, man durfte die Kleinen nicht vernachlässigen. Trotzdem konnte er es sich nicht verkneifen, leise „Krallentier!“ zu rufen, als er den Kopf tief in die Blätter gewühlt hatte.

Ciori machte einen Luftsprung und raste „Wo, wo, wo?“ zeternd in den höchsten Wipfel.

„Wiewas?“ Miall reckte sich und sah sie fragend an.

„Einer ruft Krallentier!“ Ciori spähte misstrauisch durch die Zweige. „Komm schnell rauf!“

„Keine Zeit!“ Miall nahm geschickt einen fetten Käfer in den Schnabel. „Kinder warten - Baumhocker, Flüchtefix!“ Eilig flog er zur Brutkugel und gab Langfeder das Futter, weil der den Schnabel am weitesten aufriss. Sofort war auch Ciori da und brachte eine kleine Made aus dem Mistbeet die Blättersitz erhielt. Sie sah ein bisschen ärgerlich und zugleich verlegen aus. Flüchtefix ließ sie sich nämlich überhaupt nicht gerne nennen, und Miall nahm sich vor, keine blöden Späße mehr mit ihr zu machen. Schon ihr Nestname war Schrecklein gewesen, und sie hatte ihr ängstliches Verhalten nie ganz ablegen können. Sie kämpfte aber tapfer dagegen an und manchmal, wenn sie in Wut geriet, wurde sie so mutig, dass es Miall ganz flau im Magen wurde. Nur gut, dass sie hier auf dem Land lebten, und nicht mitten in der Stadt, denn dort herrschten noch ganz andere Sitten als hier und die Aufregungen nahmen kein Ende.

Die Kleinwuchtig blieben für den Rest des Tages hinter dem Haus und niemand kam über die Straße in den Obstgarten. Ciori und Miall fanden viel gutes Futter und als die Sonne sich dem Horizont näherte, waren die Kleinen so vollgefuttert, dass sie endlich Ruhe gaben und einschliefen.

Auf der anderen Seite der Straße wurde es laut. Miall und Ciori nahmen sich ein wenig Zeit, zu beobachten, was dort vor sich ging. Ein Großwuchtig war in das Rollmüffel geklettert, das nun einen furchtbaren Lärm und schlechten Geruch machte. Miall dachte daran, sich zurückzuziehen, aber die Neugier hielt ihn an seinem Platz und auch Ciori hielt stand. Die Kleinwuchtig wedelten in der Luft herum. Miall und Ciori waren fluchtbereit. Das Rollmüffel wurde immer lauter. Es brüllte mit heiserer Stimme, rollte los und stieß urplötzlich einen wilden Kampfschrei aus. - Ohne zu überlegen schwang Miall sich in die Luft und jagte davon, bis er sich am Ende des Obstgartens mit jagendem Herzen hinter einer flachen Mauer verbergen konnte. Hierher würde das Rollmüffel ihm nicht folgen, denn es jagte immer nur auf den breiten Steinstreifen, die die Wuchtig überall bauten.

„Ha, Flüchtefix!“ Ciori landete mit einem eleganten Flugmanöver neben dem zitternden Miall und machte spöttische Bewegungen mit ihren Schwungfedern.

„Himmelsturz, Krallentier, Flügelbruch!“ schimpfte Miall. „Rollmüffel töten!“ Er hatte mal gesehen, wie eine Taube solch einem brüllenden Ungeheuer in den Weg gekommen war. „Federwolke, Erde liegen!“ versuchte er Ciori klar zu machen, was er gesehen hatte. „Krähenfutter!“

Ciori war bei Mialls Worten erschreckt zurückgewichen und da tat ihm sein Ausbruch schon wieder Leid. Mit einem kleinen Hopser war er bei ihr und schob sich so nah an sie heran, dass ihre Flügelspitzen sich berührten. Da spürte sie, dass er nicht wirklich verärgert war und dass er es nicht böse gemeint hatte. Gemeinsam flogen sie auf und strebten dem Nest zu, denn es wurde dunkel. Später, als sie alle gemütlich in der Brutkugel vor sich hin dösten, fiel Miall etwas ein, aber er sagte nichts, um die Kleinen nicht unnötig zu stören: Die Kleinwuchtig waren immer noch in dem steinernen Nest auf der anderen Straßenseite. - Das Rollmüffel hatte sie nicht mitgenommen und wenn sie morgen noch da waren, würde es ein unruhiger Tag werden!

02 NESTRÄUBER

Der nächste Morgen brachte Für Ciori und Miall eine ganze Reihe von Überraschungen. Noch bevor der erste Sonnenstrahl die Kronen der Obstbäume erreichte, waren sie schon unterwegs und stärkten sich für den herannahenden Tag. Solange Flügelschlag, Langfeder und Blättersitz noch schliefen, stöberten sie eilig unter Laub und im Gras, um sich selbst auch ein wenig Fettfutter zu gönnen. Schnell genug würden die Kleinen erwachen, und dann hieß es wieder, die leckersten Sachen abzuliefern.

Heute hatten sie kaum begonnen, im ersten Morgenlicht nach Futter zu suchen, da wurde es im Haus unruhig und bald darauf kam das Altwuchtig mit dem schütteren Pelz auf dem Kopf über die Straße. Es balancierte einen flachen Pappkarton, der mit den merkwürdigsten Dingen gefüllt war, die Miall je gesehen hatte. Es waren kreisrunde Nester, wie sie vielleicht eine Ente bauen würde, aber viel zu auffällig. Das seltsam kräuselige Gras, aus dem sie gemacht waren, war so grün, dass es den Augen weh tat und die Eier darin waren so schrill bunt, dass Miall auf seinem Ast verwundert kiekste. Das Wuchtig wollte offenbar brüten - aber doch hoffentlich nicht hier im Obstgarten!

Das Gartentor quietschte und das Altwuchtig schob sich ungeschickt hindurch. Fast wäre ihm dabei der Karton heruntergefallen. Vor lauter Schreck hüpfte Miall einen Ast weiter nach oben.

Das Wuchtig stellte den Karton auf dem Hauklotz vor dem Schuppen ab und sah sich um. Miall sah Ciori, die auf einem Ast über ihm saß, vielsagend an. Na, das würde schwer werden, für diese grellbunten Entennester, deren aufdringlicher Geruch selbst hier oben zu spüren war, ein geeignetes Versteck zu finden!

Ciori war ganz Mialls Meinung. „Bodenbrüter, Feindanlocker!“ schilpte sie verächtlich und machte eine spöttische Bewegung mit den Flügelspitzen, aber das Wuchtig reagierte in keiner Weise - es sah noch nicht einmal auf. Es schien zu überlegen, was es jetzt tun sollte. Unschlüssig stand es herum und jetzt wunderte sich Miall überhaupt nicht mehr, warum die Wuchtig so wenig Junge hatten. Der Morgen war noch kalt und die Gelege standen völlig ungeschützt auf dem Hauklotz. Begriff dieses Wuchtig denn überhaupt nicht, dass sie auskühlen würden? Die ganze Brut würde verderben, wenn es sich nicht schleunigst auf die Nester hockte, das war sicher!

Das Wuchtig dachte überhaupt nicht daran, die Gelege zu wärmen. Grunzend kratzte es sich am Kopf und nahm dann eines der Nester auf, um es im hohen Gras dicht bei einem Apfelbaum zu verstecken; aber wie dumm stellte es sich auch dabei nun wieder an: Statt es ordentlich zu verbergen, stellte es das Nest einfach ab und zupfte obendrein noch an dem Gras herum, bis so gut wie keine Deckung mehr da war. - Von einer vernünftigen Tarnung konnte hier nicht die Rede sein; baute das Wuchtig vielleich darauf, dass die schrillen Farben Nesträuber abschrecken würden? - Wenn es sich da nur nicht täuschte!

Das Altwuchtig stellte nun ein Nest nach dem anderen auf, aber es ging so tölpelhaft dabei vor, dass es Miall grauste! Ciori klammerte sich krampfhaft an den Ast auf dem sie saß und schüttelte sich vor Vergnügen. „Maulwurf! Oh, dummer Maulwurf!“ sang sie immer wieder und ihre Stimme zitterte dabei vor Belustigung, denn für Spatzen sind Maulwürfe die dümmsten Tiere, weil sie immer unter der Erde leben und den Wind und die Sonne scheuen.

Miall konnte seiner Frau nur Recht geben. - Kein Wunder, dass das maulwurfsblöde Altwuchtig allein hier im Obstgarten war. Kein, aber auch wirklich kein Weibchen konnte so dumm sein, sich um diese jämmerlichen Machwerke zu kümmern, die Nester darstellen sollten! Wie sollte man denn wohl brüten, wenn die Nester über den ganzen Garten verstreut waren? Es ging Miall ja eigentlich nichts an, aber er fand es direkt beschämend, wie dumm dieses Männchen sich anstellte.

 

Endlich war die unwürdige Vorstellung beendet und Miall war gespannt, auf welches der Nester das Wuchtig sich setzten würde, aber nichts dergleichen geschah. Es stellte sich nur stolz in die Mitte des Gartens und sah sich um, ganz, als habe es eine großartige Leistung vollbracht. Dann wandte es sich dem Gartentor zu, überquerte mit seinen plumpen, wuchtigen Schritten die Straße und war kurz darauf im Haus verschwunden.

„Oh Maulwurf! Oh, dummer Maulwurf!“ Ciori konnte sich überhaupt nicht beruhigen und auch Miall spürte ein Gefühl in sich, das irgendwo zwischen Verärgerung und Belustigung lag. Er vergewisserte sich kurz, dass niemand sonst im Garten war und schwang sich von seinem Ast herab, um eines der Nester näher in Augenschein zu nehmen. Da kam aber schon eine Elster herangerauscht und landete dicht vor dem Nest, in dem das größte und glänzendste Ei lag.

Mit Elstern war nicht zu spaßen! Eilig drehte Miall ab und landete mit ein paar Flügelschlägen wieder auf seinem alten Platz im Baum. Eine Elster! Ein Nesträuber! Sofort verdrängte die Sorge um die Brut alle anderen Gefühle und eine heiße Welle der Wut tobte durch Mialls Körper. Sollte die Elster es wagen, dem Schuppen und der Brutkugel zu nahe zu kommen, dann würde sie sich, Krallentier nochmal, gewaltigen Ärger einhandeln!

Ciori hatte von ihrem Platz aus alles verfolgt und machte nun ein paar ruckende Bewegungen, als wolle sie zum Nest fliegen, um die Jungen zu beschützen. Das verbot sich aber von selbst. Noch wußte die Elster nicht, dass es unter dem Schuppendach eine Brutkugel gab und es wäre der allergrößte Fehler gewesen, sie darauf aufmerksam zu machen! Ablenkung war die einzige Chance, die Ciori und Miall hatten, wenn sie noch näher herankam. Dann würden sie die Elster zu zweit so lange zeternd ganz dicht umkreisen müssen, bis sie aufgab und abzog! - Ein gefährliches Spiel, denn Elstern waren viel stärker als Spatzen und trotz ihrer Größe enorm wendig. Außerdem waren sie allesamt zänkisch und deshalb erfahrene Kämpfer, die ihre scharfen Schnäbel gut zu gebrauchen wussten!

Zum Glück war diese Elster im Moment nicht darauf aus, Spatzenküken zu verschlingen. Sie interessierte sich viel mehr für das große, bunt schillernde Nest am Apfelbaumstamm. Zuerst beäugte sie es nur aus der Entfernung, aber als sich nichts rührte, war sie mit ein paar schnellen Schritten heran, zerrte etwas von dem Gras aus dem Nest und brachte sich eilig wieder in Sicherheit. Der nächste Angriff wurde schon mutiger ausgeführt und als es klar war, dass das Nest völlig ohne Schutz war, sprang die Elster mitten hinein und machte sich an dem bunten Glitzerkram zu schaffen.

Auch wenn es nicht seine Nester waren, so fand Miall es doch schrecklich, mit ansehen zu müssen, wie die Elster über das Gelege herfiel. Es war doch bekannt, dass Elstern Nester ausraubten; warum passte das Wuchtig bloß nicht besser darauf auf?

Die Elster beschäftigte sich gerade mit einem besonders großen, glänzenden Ei. Sie hatte die Schale aufgepickt und zerrte daran herum. Etwas Braunes kam darunter zum Vorschein, aber dafür interessierte sie sich nicht. Mit aller Kraft riss sie an der glitzernden Schale herum und fetzte schließlich ein großes, dreieckiges Stück davon herunter. Überrascht ließ sie es fallen und beäugte es einen Moment lang misstrauisch, dann hob sie es wieder auf und erhob sich mit einem Satz in die Luft, um die Beute in Sicherheit zu bringen.

Miall keckerte verächtlich, aber so waren die Elstern halt. - Immer auf Raub aus! Besonders wenn etwas blinkte und glitzerte, war ihnen jedes Futter egal; dann mussten sie es unbedingt haben, um es in ihr Nest einzubauen! Miall verachtete so etwas. Sein Nest war auch ohne diesen Schnickschnack schön, und er war froh, dass Ciori so etwas nicht von ihm forderte!

Die Elster war weg und Miall flog auf den Boden, um sich den Schaden genauer anzusehen. Vorsichtig ging er hinter einem Maulwurfshaufen in Deckung und erst als alles ruhig blieb, hüpfte er noch ein Stück weit auf das Nest zu. - Ah, unter der glitzernden Oberfläche war die wirkliche Schale zum Vorschein gekommen! Dunkelbraun und fest schimmerte sie durch das Geflitter und der Geruch, den sie ausströmte, war so süß, dass er Miall fast betäubte.

Miall hielt Abstand, denn da waren noch viele andere Gerüche und keiner davon war angenehm. Das Nest stank fast so schlimm wie ein Rollmüffel, wenn es auch ein ganz anderer Geruch war. Eigentlich hatte Miall das Gelege ja genauer untersuchen wollen, aber es war ihm einfach nicht möglich, näher heranzugehen. Was er sah, reichte aber auch so schon: Ganz viele Eier in den verschiedensten Entwicklungsstadien lagen in dem Nest. Manche waren kleiner als Eicheln und andere größer als Kastanien. Die Krönung war aber das große Ei, das die Elster beschädigt hatte. Erst jetzt, als er direkt davor stand, konnte Miall erkennen, wie groß es wirklich war: Die ganze Brutkugel hätte darin Platz gehabt, es war einfach unglaublich!

„Vorsicht!“ rief Ciori aus der Baumkrone, aber Miall hatte selbst schon gehört, dass viele Wuchtig kamen. Unüberhörbar drangen ihre dumpfen Stimmen durch die klare Morgenluft und ihre Schritte ließen den Boden erbeben. Ein zartes Piepsen drang unter dem Schuppendach hervor und Miall erkannte Langfeders Stimme. Sofort fielen auch Flügelschlag und Blättersitz ein. Die Kleinen waren aufgewacht und hatten Hunger, aber darum konnte er sich jetzt nicht kümmern, denn die Wuchtig stürmten den Obstgarten. Ciori stieß einen schrillen Warnruf aus, und sofort waren die Kleinen ganz still.

Was für ein Durcheinander brach jetzt los! Miall flog auf und zog sich mit Ciori in den hinteren Teil des Gartens zurück. Trotzdem zitterte er vor Aufregung, als die Kleinwuchtig das Tor so heftig aufstießen, dass es an den Zaun krachte. Johlend rannten sie in den Garten und schon hatte eines von ihnen eines der bunten Nester entdeckt. Statt nun aber vorsichtig damit umzugehen, riss es das Gelege achtlos empor und fing sofort an, es zu plündern. Das andere Kleinwuchtig hatte derweil das nächste Versteck gefunden und zerstörte die Brutstelle auf genau dieselbe Art. Beide stopften sich schnell einige kleinere Eier in den Mund und so ging es immer weiter.

Einen Moment lang verspürte Miall den Impuls, die Nester zu verteidigen, aber die Großwuchtig standen ja daneben und konnten alles sehen. Sie schienen sogar damit einverstanden zu sein, dass die ganze Brut geplündert wurde, was sollte man da noch machen? - Wenn die Großwuchtig sich das gefallen ließen, dann war das nicht Mialls Sorge, auf jeden Fall merkte er sich aber, dass auch die Kleinwuchtig Nester ausraubten. Sie waren gefährlich! - Viel gefährlicher als die Großen, und Miall würde sehr darauf achten, dass sie der Brutkugel nicht zu nahe kamen!

Nach langer Zeit wurde das Geschrei leiser und die Bewegungen der Kleinwuchtig wurden langsamer. Die halb geplünderten Nester lieferten sie bei den Großen ab, die sie in denselben Karton zurückstellten, in dem sie gebracht worden waren.

Oh, du großer Sperling, dauerte das lange! Miall wurde vor Angst ganz steif, denn was sollte er tun, wenn nun eines der Kleinwuchtig auf die Idee kam, die Brutkugel zu plündern? Ob sie das Nest wohl riechen konnten? Ob sie sich wohl gleich ein Langes holten, um am Schuppen emporzuklettern? Wie konnte man der Katastrophe begegnen? Mialls Herz raste vor Aufregung und er sah, dass es Ciori nicht besser erging.

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