Ich war ein Roboter

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KLANGWERK AUF DEM MARS?

KLINGKRAFT GESCHMOLZEN?

Düsseldorf, 15. Februar 1999 +++ Ich sitze mit zwei visionären Kraftwerk-Freunden zusammen, und sie erzählen mir, dass sie einem etwaig neuen Kraftwerk-Album eher mit Skepsis entgegensähen. Martin und Markus aus Düsseldorf nehmen an, dass es eine große Enttäuschung werden könnte. Nachdem die Fans aus aller Welt nun seit über zwölf Jahren auf einen neuen Ton warteten, sei dies nicht mehr so lustig, und die allgemeine Erwartungshaltung wäre derart hochgeschaukelt, dass wohl kaum eine musikalische Befriedigung erreicht werden könne. Die Herren Ralf und Florian seien ja mittlerweile auch im betagten Alter, und da würde man bekanntlich behäbig und sei nicht mehr so neugierig. Neugierde sei aber fürs Forschen von substantieller Wichtigkeit. Die Kraftwerker waren für die beiden Helden, Wissenschaftler, Erfinder und Erforscher von präzisem Klang und romantischer Poesie. Die Kraftwerker waren für sie Raumfahrer, die sie durch den Dunst des Lebens in eine klang-klingende Galaxis flogen, um sie dort sich selbst zu überlassen. »Am besten wäre jetzt ein mythisches Verschwinden der Gruppe«, meinen die beiden. Martin stellt sich vor, wie die NASA Kraftwerk dazu einlädt, mit dem nächsten Shuttle auf den Mars zu fliegen und dort das erste intergalaktische Konzert zu geben. »Auf dem Weg ins All«, spinnt Markus den Faden fort, »gerät die Raumsonde in den Teilchenstrom einer Aurora Borealis, und die Verbindung zum Schiff reißt ab. Sind sie nun auf dem fernen Planeten gelandet, oder wurde Kraftwerk mit dem neuen, niemals gehörten Ton von der verschleierten Sphinx des eiskalten Nordlichts ins dunkle All gesogen?« So könnte der Mythos ihrer geliebten Gruppe am besten eingefroren und in aller Zukunft weitergepflegt werden - meinen Martin und Markus.

Köln, 17. Februar 1999 +++ Die Intellektuellen Ralph und Robert aus Köln meinen dagegen, dass Ralf und Florian von Kraftwerk eines Tages feststellen, dass sie zu viele Musiker verschlissen haben. Ohne die Inspiration ihrer langjährigen Mitstreiter Karl und Wolfgang sei der Humor der Themen und die Leichtigkeit der Töne dahin, und die beiden Erfinder begeben sich auf meditative Wanderschaft. Florian zieht in seiner neuen Eigenschaft als Prediger in die weite Welt. Ralf träumt immer noch von einer Fusion zwischen Mensch und Maschine. Er fährt mit seinem Rennrad um die Erde und erklimmt mit ihm als erster den Mount Everest. In der Erkenntnis, dass er nie mit seinem Rad eins werden kann, begibt er sich schließlich in die Einsiedelei eines tibetanischen Klosters. Das fünfte System von Kraftwerk, der Kling Klang-Reaktor, beginnt derweil ein Eigenleben zu führen und entwickelt heiße Gefühle. Vor glühender Verzweiflung wegen seiner mangelhaften Töne-Entsorgung beginnt er zu einem großen Klumpen zusammenzuschmelzen. Die Roboter reißen sich aus ihrer Ecke los und müssen vom vergeblichen Liebesspiel ablassen. Wütend, dass man ihnen keinen Unterleib mehr gegönnt hat, schalten sie hektisch den Kling Klang Reaktor ab. Aber sie sind dabei allzu hektisch - ihre stakeligen Arm- und Beinprothesen behindern sie. Aus Unflexibilität kommen sie an den falschen Schalter und zerstören tragischerweise auch sich selbst. Heute steht der elektronische Schmelzwertklumpen ausgerechnet im Kölner Museum Ludwig als mahnendes Kunstwerk für alle, die zu spät gekommen sind - meinen Ralph und Robert.

Ich wusste es schon immer. Unsere Freunde haben große Fantasie und einen köstlichen Humor. Wer diese Komponenten besitzt, zieht sich gegenseitig an wie ein Magnet. Und was für die Fans gilt, das gilt auch für die Musiker. So gesehen konnte ich 1973 gar nicht an Kraftwerk vorbeigehen. Selbst wenn sie eine kriminelle Vereinigung gewesen wären, hätte mich das wohl kaum abgeschreckt.

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AUF EINLADUNG VON RALF UND FLORIAN

Düsseldorf, 19. Juli 1973 +++ Im heißesten Sommer der frühen 70er Jahre suchten mich Ralf Hütter und Florian Schneider-Esleben im dem Architekturbüro auf, wo ich mein Praktikum für Ladenbau absolvierte. Einige Monate vor dem Besuch der beiden Musiker hatte ich meine dritte Amateurband, die Spirits of Sound, auflösen müssen. Unser Gitarrist Michael Rother war von einer Profigruppe abgeworben worden. Seine neue Band hieß Kraftwerk, und sie hatte in Düsseldorf ein sonderbares und abgehobenes Image. Meine Bandkollegen und ich selbst, damals 25 Jahre alt, machten eine deprimierende Zeit durch. Es war einfach kein guter Gitarrist zu finden, und schon gar keiner, den man mit Michael hätte vergleichen können. Natürlich waren wir auch neidisch auf unseren geliebten Kollegen, der jetzt mit einer Profigruppe ›ging‹.

Als ich mein Praktikum begann, geschah das ja mehr aus Pragmatismus, denn aus echtem Interesse am Architektenberuf. Eine Lehre als Tischler hatte ich nach der Schulzeit auf Drängen meiner Eltern zwar erfolgreich abgeschlossen, doch die vier Semester Innenarchitektur waren nur halbherzig absolviert. Nachdem es nun meine Spirits nicht mehr gab, fühlte ich mich verlassen und unglücklich, was meine musikalische Zukunft betraf. Auch mein tolles Schlagzeug hatte ich trotzig verkauft - ausgerechnet an Klaus Dinger, den Kraftwerk-Drummer von vor meiner Zeit, der sich auf mein Zeitungsinserat bei mir gemeldet hatte. Fünfzehnhundert Mark musste der Typ damals blechen - dafür bekam er mein ›Pearl‹.

Während ich am Zeichenbrett saß und Grundrisse und Pläne für Wandansichten großer Kaufhausabteilungen zeichnete, wanderten meine Gedanken aber immer wieder zur Musik. Die Erinnerungen an meine frühen Bands ließen mich einfach nicht los. Sie waren mein Leben und meine ganze Liebe gewesen. An den Wochenenden mit den Freunden im rostigen VW-Bus unterwegs zu sein und Auftritte in Clubs und Schulen zu haben, das bedeutete für mich Freiheit, Anerkennung und Glück überhaupt. Es fehlte mir so sehr.

Von Michaels neuer Gruppe hatte ich nur eine vage Vorstellung. Einmal war ich bei einem ihrer Auftritte im Clara-Schumann-Gymnasium in Düsseldorf-Golzheim gewesen. Da gab es nur ‘ne Menge Krach und ihre Darbietung klang wie Stukka-Angriffe. Offensichtlich machte es ihnen Spaß, Kriegsgeräusche zu imitieren. Das war doch keine Musik! Was war es dann? Ich war entsetzt. Und bei sowas machte Michael mit? Ich mochte es jedenfalls nicht. Man nannte es schlicht experimentelle Musik und interpretierte es als ›Kunst‹ - alles was jedenfalls damals keinem bekannten musikalischen Format entsprach. Dann kam doch noch ein Stück, das irgendwie eine Art Songstruktur hatte. Es hieß ›Ruck-Zuck‹. Der Song lief ab und zu sogar im Radio, und das Interessante daran war, dass Florian darin rhythmisch und akzentuiert die Flöte blies. Gesang gab es nicht, aber die Komposition hatte noch eine Besonderheit, weil das Schlagwerk von Klaus Dinger so stoisch und mechanisch klang.

Nun also standen Ralf und Florian plötzlich in meinem Büro und drucksten ein bisschen herum. Beide wirkten ziemlich unsicher auf mich und sie fingen an, mir Komplimente zu machen. Hätten mich früher mit meiner Band in einem Club in Mönchengladbach gesehen und gehört, wie ich Schlagzeug spielte. Der Club hieß ›Budike‹ und war in der Stadt eine seltene Adresse, wo Amateurbands auftreten konnten. Wir Spirits hatten dort ziemlich perfekt Radio-Hits nachgespielt, sowie erste eigene Sachen. Es war die beste Ausbildung an unseren Instrumenten. Manchmal gab es sogar Geld. Viel brauchten wir ja nicht, da die meisten von uns noch bei ihren Eltern lebten. Ralf und Florian hatten mich also dort gehört und meinten, dass ich ›‘n juter Drummer‹ wäre. Mein Timing sei klasse und ich würde schön wenig spielen. Und dann fragten mich die beiden doch glatt, ob ich nicht Lust hätte, einmal mit ihnen in ihren Proberaum zu kommen, um eine Session zu machen. Das überraschte mich nun wirklich, da ich mir überhaupt nicht vorstellen konnte, wo mein Platz in ihrer Musik hätte sein können, und ich dachte wieder an Michael. Doch die Verlockung, wieder Musik machen zu können, und das angenehme Gefühl ihrer Schmeichelei ließen mir keine andere Wahl, als den beiden eine vorsichtige Zusage zu machen. Diese Band mit dem merkwürdigen Namen eines Energieunternehmens hatte schon eine richtige Star-Aura. Außerdem bin ich immer neugierig gewesen, und schon deshalb wollte ich einmal ihren Übungsraum sehen. Wir verabredeten uns also für einen der nächsten Abende in der ›Mata Hari‹, einer hippen Bistropassage in der Altstadt, die erst im Februar 2002 geschlossen wurde, und die für ihr halbseidenes Publikum bekannt war.

Wir alle liebten solche bunten Orte. Dort trafen sich allerlei Gestalten aus der In-Szene. Die zartesten Showboys, die Disco-Queens, die Schönen aus der Modewelt und oft, wenn die Messe IGEDO war, natürlich auch die hübschesten Models aus aller Welt. Vor allem war es auch ein Treffpunkt für die lokalen Altstadtganoven, die Zocker und die echten Gangster. Als ich zum verabredeten Zeitpunkt in der ›Mata Hari‹ eintraf, saßen Ralf und Florian dort schon auf einer gepolsterten Eckbank an einem kleinen Tischchen, von wo aus sie einen guten Überblick über das Kommen und Gehen hatten. Hier zeigte man sich, hier schaute man gern zu. Eine knallige Beleuchtung aus vielen bunten Neons und Werbeschildern tauchte das gesamte Etablissement in eine kitschige Atmosphäre, wo jeder seinen selbstverliebten Auftritt zelebrieren konnte.

Ralf saß mit eng überkreuzten Beinen auf der Bank. Er wirkte puppenhaft mit seinem hellen Teint. Schüchtern grinste er, aber offensichtlich genoss er die Situation. Mit seiner Kassengestellbrille aus den 50er Jahren und seinen schulterlangen Haaren ähnelte er eher einer Figur aus einem klassischen Psycho-Film. Ralfs hautenge, schwarze Lederhose war geradezu legendär für ihn. Der Stil von Jim Morrison von den Doors hatte ihn beeindruckt, das konnte ich sehen. Auch die spitzen Beatles-Stiefeletten sah man immer an ihm, er hatte wohl mehrere davon. Jedenfalls bemerkte ich fast immer nur diese Sorte Schuhe, außer weißer Mokkasins, die er später, als wir schon unterwegs waren, eher mit weißer Schuhfarbe tünchte, anstatt sie zu putzen. Auch fielen mir Ralfs transparent lackierten Fingernägel auf. Er wirkte schon ganz schön kokett auf mich, und das gefiel mir gut, weil ich Männer mit femininen Attitüden mochte.

 

Florian dagegen hatte eine Vorliebe für deutsche Folkloremode: Lodenjankerl, Baumwollhemd mit Pepitamuster, Flanellhose und ein elegantes Halstuch. Er hätte in einem deutschen Heimatfilm mitspielen können. Mir kamen die beiden sehr abgehoben vor, denn wir hatten schließlich die auslaufende Hippie-Zeit mit viel Romantik und noch mehr Buntem. Viele liefen noch mit diesen breiten Slop-Hosen und eingenähten Quetschfalten herum.

Ich selbst machte gern Latzhosen und weiße Seidenhemden zu meinem täglichen Erscheinungsbild. Und vor allem die Plateauschuhe! Wie liebte ich die neuen Renner, die Größermacher. Sie erhöhten mich um mindestens zwei Zentimeter. Ich habe mich früher mit 1,72 m entschieden zu klein gefühlt. Deshalb hing ich auch noch so lange an diesen Blocktretern, die ich mir manchmal mit Autolack grünmetallic spritzte. Ich wollte mit meiner Erscheinung auffallen, wollte unbedingt in sein. Was sonst hätte damals mein Selbstbewusstsein aufbauen können? Sogar einen Schnurrbart à la Dartagnan von den Musketieren hatte ich mir wachsen lassen.

Derart unterschiedlich im Äußeren wie auch in der inneren Einstellung und unserem familiären Background, trafen wir uns nun an diesem warmen musikhistorischen Sommerabend und wussten nicht genau, wie es weitergehen sollte mit uns. Ralf hatte ein Whisky-Cola bestellt, Florian trank Bitter Lemon, und ich nahm eine Coca-Cola mit ausgepreßter Zitrone, was auch heute noch mein Lieblingsgetränk an heißen Tagen ist. Alkoholische Getränke interessierten mich mit 25 überhaupt nicht. Aber ich rauchte gern Zigaretten, was die beiden mit hochgezogenen Augenbrauen beobachteten, jedoch ohne Kommentar beließen. Wir plauderten ein bißchen über dies und das und was wir in den letzten Jahren alles schon so gemacht hatten. Unsere Unterhaltung war jedoch stockend und überdeckt von peinlichen Übersprungshandlungen. Das Meeting war echt verklemmt, derart fremd waren wir uns. Ralf rettete schließlich die Situation, indem er vorschlug, dass wir einfach mal rüber in ihren Übungsraum fahren sollten. »Mal sehen, was wir da so machen können, hm-hm-hm ...« Er hatte so eine ganz eigene Art, sich hinten im Gaumen zu räuspern, wenn er unsicher oder wenn ihm etwas peinlich war.

Die beiden bezahlten unsere Drinks, und wir gingen durch die Passage zur Pendeltür an der Hunsrückenstraße. Durch die Fenster der Modeboutique ›Superstar for Men‹ grüßten Ralf und Florian einige in Leder gekleidete zart wirkende Verkäufer, die mit smarten Bewegungen zurückwinkten. Sie schienen sich gut zu kennen. Ralf besaß einen alten mattgrauen VW-Käfer, der aussah wie ein städtisches Verwaltungsfahrzeug. Die Sitze waren mit grau-geprägtem Sky-Kunstleder bezogen, das unangenehm säuerlich roch. Über die Kasernenstraße ging die Fahrt, dann links in die Graf-Adolf-Straße bis zum Stresemannplatz. Fast schon am Hauptbahnhof, dann rechts in die Mitropstraße ging es weiter. Das erste Mal ins Kraftwerk-Studio, seinerzeit noch ein Experimentalkeller. ›Experimental‹ - wie unangenehm fand ich dieses Wort damals.

Ralf fuhr behutsam und souverän. Er brauchte sein Auto nicht, um sich damit zu schmücken oder zu protzen - was man mit einem grauen VW sowieso nicht konnte. Seine Sicherheit im Verkehr gefiel mir außerordentlich gut. Ich bewunderte das. Wir hielten vor einem gekachelten Haus mit großem Rolltor, ein hässliches Gebäude aus den 50er Jahren mit vielen gleich großen Fenstern, ein typisches Bürohaus, wie man sie nach dem Krieg überall in deutschen Städten hochgezogen hatte - funktionelle Architektur ohne irgendwelche Besonderheiten, bis auf die ekelig gelbe Kachelfassade. Florian, der auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, steckte einen BKS-Schlüssel in das Elektroschloß seitlich des Tores, das sich mit einem lauten metallischen Knacken in Bewegung setzte. Das Geräusch habe ich so oft gehört, dass es heute noch in meinem Kopf abgespeichert ist. Das Tor war aus horizontalen Aluminiumlamellen gefertigt, die mittels Elektromotor auf eine Rolle gewickelt wurden. Als es die halbe Öffnung freigegeben hatte, fuhr Ralf den Wagen in einen rechteckig schattigen Hof hinter dem Haus. Florian schloss sofort hinter uns ab, und das Lamellentor senkte sich wieder.

Hässlich wie das gesamte Gebäude war auch der Innenhof. Alles war dunkelbraun mit Fassadenfarbe gestrichen. Ich hasste Dunkelbraun! In Kombination mit Orange und Olivgrün war es der unästhetischste Farbmix der 70er Jahre. Rechts gab es einen hölzernen Ladesteg für die LKWs einer Elektroinstallationsfirma, die im oberen Stockwerk ihre Räume hatte. Im Erdgeschoß und im Souterrain befanden sich außerdem noch Lager anderer Firmen. Wir gingen über die Rampe durch eine offenstehende Gebäudetür aus Stahl und standen vor einer einfachen Holztür billiger Qualität. Nachdem sie einer der beiden Jungs aufgeschlossen hatte, gingen wir durch einen kleinen Vorraum, der voller Gerümpel lag, und dann weiter durch eine ebenso amateurhaft wirkende Türe. Diese war nicht verschlossen, da wir uns schon im Studio selbst befanden, einem Saal mit ungefähr zehn mal sechs Meter Ausdehnung und ungefähr viereinhalb Meter hoch. Die Decke war ein querlaufendes Gewölbe aus Ziegelsteinen, die dünn verputzt waren, so dass die ursprüngliche Struktur noch durchschien. Auf Wänden aus nackten Ziegeln klebten teilweise Eierkartons, dort angebracht in der Hoffnung, etwas Studiocharakter und Schalldämpfung zu erreichen. Auch ein Fenster gab es direkt links hinter der Tür. Es war mit einer simplen Konstruktion in Form eines geschlossenen Holzkastens aus Spanplatten verschlossen, der ringsherum mit dickem braunem Filz beklebt war. Der Kasten hatte die Innenmaße der Fensterhöhlung und hing an Scharnieren, die an der Seitenwand angedübelt waren. Durch die Drehgelenke konnte man den Kasten in die Fensterhöhlung schwenken und fest hineinpressen. Das Filzband dichtete hervorragend ab. Es war eine einfache, aber wirkungsvolle Schalldämpfung nach außen und sie war auch dringend nötig, wie ich später erfuhr.

Hier standen wir drei nun auf glattem Betonboden, der an einigen Stellen riesige Löcher aufwies. Das Licht einer nackte Deckenlampe, die Florian eingeschaltet hatte, wurde von ihm sogleich durch mehrfarbige Beleuchtung erweitert. Es gab zwei auf dem Boden stehende Neonkästen in hellblauer Leuchtschrift mit den Vornamen der beiden Musiker. Dazu schaltete Florian noch einige farbige Neonröhren ein, die in den Ecken auf dem Boden lagen und die Wände in kaltes buntes Licht tauchten. Auch eine Messing-Wohnzimmerstehlampe mit Schwanenhälsen und farbigen Papiertüten und einer Plastikananas gab es. Solche Lampen waren mir gut bekannt aus meiner elterlichen Wohnung. Sie waren die Staubfänger der 50er Jahre und gehörten einfach zur repräsentativen Couchgarnitur. Ich habe solche Leuchter jedoch nie gemocht, und hier erkannte ich ihre ironische Existenz als eine Verhöhnung des Bürgerlichen.

Florian bemerkte meine befremdliche Stimmung und versuchte, mit netten Worten und charmanten Witzchen ein wenig Verbindlichkeit zu schaffen. Ich hatte das Gefühl, dass er mich mochte, während mir Ralf gefühlsmäßig distanziert vorkam. Es sah so aus, als ob es zwei Arbeitsplätze für die Musiker gab. Ich erkannte es am Aufbau der vorhandenen Tasteninstrumente, die mir fremd waren, da ich ja aus einer Gitarrenband kam. Ralf hatte seinen Platz links im Raum, und Florian gruppierte seine Geräte rechts. Und das sollte sich die folgenden Jahre nicht mehr ändern.

Zögernd gingen die beiden an ihre Instrumente, knipsten diverse Schalter an und ließen viele Lämpchen aufleuchten. Das sah spannend aus, weil es so elektrisch wirkte. Die ersten Tasten, die sie drückten, ließen für meine Ohren nie gehörte Sounds erklingen. Ich wusste ja nicht, dass sie einen Synthesizer benutzten. Es war einfach umwerfend, mit wie wenig Tönen dieses für mich neuartigen Instruments man solch umwerfende Wirkung erzielen konnte. Der Synthie klang samtartig satt oder gnadenlos hart. Und ich war einigermaßen überrascht. Das gesamte Equipment wirkte eher wie das Labor eines Geheimrates Prof. Dr. Analysius, geradezu eingerichtet für Experimente am offenen Ohr, also doch Experimentalmusik? Ralf zeigte mir voller Stolz seinen Synthesizer. Ein pures Forschungsgerät. Es war ein Minimoog, so teuer wie ein neuer Volkswagen. Ein Vermögen war das damals für ihn. Dann spielte er noch eine Farfisa-Orgel, und in der Ecke hinter ihm stand eine alte Hammond B3, in der Mitte durchgesägt, damit sie bei Transporten zu Gigs transportabel war.

Florians ›Hexenküche‹ war schwerer zu durchschauen. Er besaß eine kleine Anzahl von merkwürdigen Effektmaschinchen, ein kleines Mischpult, ein Bandecho mit dem berühmten magischen Auge. Er benutzte auch eine seiner Querflöten, die er über ein Shure-Mikrophon verstärkte und mit tollen Echos verfremdete. Auch ein Oszilloskop stand oben auf seinen Kästen, das unablässig das optische Frequenzbild der gespielten Töne auf einem grünen Bildschirm wiedergab. Das sah zwar modern und technisch aus, aber eben wie auf einer musikalischen Intensivstation - steril und antiseptisch.

Was aber sollte ich hier? Es gab ja gar kein richtiges Schlagzeug, obwohl mir die beiden doch eines offeriert hatten. Nur ein kleines Miniaturset für Kinder oder ganz kleine Leute stand hinten links in der fensterlosen Ecke. Zusammengesetzt war es aus einer wackeligen Baßtrommel, einer Snare Drum mit schrecklich ausgeleiertem Fell und einem Tom, das jämmerlich an der Seite hing und fürchterlich klang. Die Hi-Hat und die anderen zwei Becken schepperten billig und fürchterlich blechern. Es war einfach unerträglich. Dennoch bemühte ich mich tapfer, hinter dem Ganzen eine Sitzposition auf dem immerhin professionellen Drummersitz einzunehmen. Dann trommelte ich drauflos und versuchte, auf meine Weise zu den Klängen der beiden einen stützenden Rhythmus zu finden, aber so minimal, wie möglich.

Ralf und Florian zeigten keinerlei Reaktion. Es kam überhaupt kein Session-Gefühl an diesem ersten Abend auf. Bei meinen früheren Bands hatten wir immer ganz konkrete Songs einstudiert, aber hier mussten ja erst einmal welche erfunden werden. Das war absolut neu für mich. Nach gut zwei Stunden brachen wir den befremdlichen Abend ab, und Ralf fuhr mich mit seinem VW zu meiner Bude zurück. Er brachte mich übrigens immer gern, er hatte Zeit und nutzte einfach jede Gelegenheit, um unter Kollegen zu sein. Einen Freund nach Hause zu fahren war für ihn Gesellschaft und es machte ihm anscheinend Spaß, was ich sehr genoss.

Zu Hause angekommen, war ich aber doch ganz schön frustriert über den Abend und über eine Musik, die mir fremder nicht hätte sein können. Nichts hatte mein Herz erwärmt. In den nächsten Wochen dachte ich bald nicht mehr an die Begegnung mit den beiden Merkwürden und ich drückte mich in der Zwischenzeit, wie meistens abends, in der Düsseldorfer Altstadt herum. In meinen Lieblingslokalen, der ›Uel‹, dem ›Goldenen Einhorn‹ und dem ›Ratinger Hof‹, wo damals noch wie in holländischen Coffee-Shops dicke Teppiche auf den Tischen lagen, versuchte ich, mich in auffällige Pose zu setzen, um das Interesse der Damenwelt zu wecken. Ich war schüchtern, schaffte es aber manchmal trotzdem, eine auf mich aufmerksam zu machen. Meistens waren es gerade die starken Frauen, die ich reizte, und das befriedigte meine Eitelkeit. Ich wollte doch nur flirten, mich aber nicht fest binden, war viel zu freiheitsliebend für sowas.

Einige Wochen später kamen Ralf und Florian noch einmal in mein Büro. Sie sagten etwas wie, dass sie mich noch mal auf eine weitere Session treffen wollten und dass sie die letzte ganz gut gefunden hätten. Ich war total überrascht und hatte mit einem weiteren Meeting nicht mehr gerechnet, da unser letztes lange zurück lag, ich mich bei ihnen nicht gemeldet hatte und sie sich auch nicht bei mir. So dachte ich, die Sache sei wohl erledigt.

Ralf eröffnete mir dann: »Wir haben nämlich demnächst einen Fernsehauftritt im Kulturmagazin ›Aspekte‹ vom ZDF.« Er sagte, dass sie mindestens drei Stücke einüben wollten, die sie dort spielen würde, und: »Wir fänden es toll, wenn du mitmachst. Wir hatten nämlich ein gutes Gefühl, mit dir zu musizieren. Es gibt auch Kohle dafür und wir fliegen zusammen übers Wochenende nach Berlin. Wir haben ein Hotel und gehen abends aus.«

 

Ich konnte gar nicht verstehen, was sie so toll an unserer Session gefunden hatten, hatte ich doch noch gar nicht richtig gespielt. Ralfs Angebot wirkte auch so, als stünden sie irgendwie unter Zeitdruck. Ich konnte den Gedanken auch nicht abschütteln, dass sie vielleicht keinen anderen Drummer finden konnten. Jedenfalls war ich ziemlich unsicher, was ich machen sollte. Einerseits lockte mich das Angebot, in der schon bekannten Avantgarde-Band mitzuspielen und im Fernsehen aufzutreten und auch mal aus der Stadt herauszukommen - ich hatte ja noch nicht so viel von der Welt gesehen - andererseits sagte mir die Musik dieser Band, die ich nicht selbst gegründet hatte, wenig zu. Doch schließlich verwarf ich meine Zweifel. Hinaus, hinaus auf die Bühne! Das war es, was mich reizte. Unterwegs sein, Musik machen und reisen! Man wird sich schon irgendwie arrangieren und aneinander gewöhnen. Ich sah eine Chance und griff zu. Oft habe ich in meinem Leben so entschieden, intuitiv, und es nicht bereut.

Als ich nach Michael Rother fragte, den ich ja auch noch in der Gruppe glaubte, bekam ich allerdings die enttäuschende Antwort, dass der nicht mehr dabei wäre, weil er sich nicht in ihre Musik hatte einpassen können. Er wollte eine eigene Band zusammen mit Klaus Dinger gründen. Das kam mir allerdings ziemlich mutig vor, denn ich hatte keine Ahnung, wie Michael es anstellen wollte, mit diesem äußerst exzentrisch wirkenden Musiker auszukommen. Traurig war ich schon, dass er nun doch nicht dabei war und ich keinen der alten Kollegen aus meiner Amateurband wiedertreffen würde. Aber irgendwie spürte ich, dass die Amateurzeit endgültig vorüber war und ich wollte nun Farbe bekennen in der aufstrebenden Formation. Wollte trommeln, was das Zeug hielt, wollte unbedingt wieder so schnell wie möglich auf die Bühne.

Zunächst musste aber erst einmal geprobt werden. Die Stücke, die die beiden Kraftwerker vortragen wollten, gab es schon. Kompositionen wie ›Ruck-Zuck‹, ›Heimatklänge‹ und ›Tanzmusik‹ waren schon auf ihren ersten Platten in Deutschland veröffentlicht worden. Beim nächsten Treffen wollten wir also diese Stücke einüben. Die beiden erzählten mir auch von ihren früheren Versuchen, mit anderen Künstlern die Band zu verstärken, um mehr Präsenz auf der Bühne zu haben. Sie berichteten mir von ihren Auftritten mit Andreas Hohmann, einem damals bekannten Jazz-Drummer aus Düsseldorf. Nach ihm versuchten sie dann, mit Klaus Dinger klarzukommen. Aber es muss ein Drama für sie gewesen sein, weil diese Percussionisten komplizierte Persönlichkeiten waren und außerdem ihr Schlagzeug als Soloinstrument betrachteten. Sie konnten sich als Musiker in Kraftwerks Musik wohl nicht so recht zurückhalten. Und deshalb gründete Klaus Dinger eben mit Michael Rother eine eigene Band namens Neu!. Und ich sollte Recht behalten. Auch diese beiden hielten es nicht lange miteinander aus. Zwei Jahre höchstens.

Es war das ewige Dilemma der Percussionisten, die sich auch gern als tonangebende Künstler sahen und deshalb bei vielen anderen Bands, die ich damals gesehen habe, während ihrer Auftritte solch nervend lange Schlagzeugsoli trommelten. Bei einigen dieser Konzerte konnte man erleben, dass sich die gesamte übrige Band während des Solos von der Bühne verkrümelte, um dann später, nach ewig langem Geknüppel ihrer Drummer, wieder erlösend einzusteigen. Solch ein Schlagzeuger war ich nie. Dafür war ich auch gar nicht trainiert genug. Ich war aber gut wegen meiner simplen Art und wegen meines Einfühlungsvermögens. Das wusste ich, und das sagte man mir auch oft. Die Musik der Kraftwerker war ja schon stark minimiert. Ein komplizierter Drum-Part hätte sie nur all zu sehr dominiert.

Erneut im Studio konnte ich jetzt einmal etwas ausgiebiger die merkwürdigen Klang-Maschinen begutachten und natürlich auch anhören. Es gab einen vortrefflich klingenden Baßlautsprecher, der hinter Ralf stand - ein Eigenbau aus Sperrholz, gebaut wie ein riesiges Horn, das man in seiner Form eher von den Hochtönern her kennt. Aber dieses hier war nach einem Akustik-Bauplan gebaut, schrankgroß und sehr laut. Ein wahnsinniger Druck kam aus ihm heraus, der sich erst einige Meter davor so richtig ausrollte und ›angenehme‹ Gefühle im Magen bereitete. Obenauf lag ein Mittel-Hochtonhorn aus massivem Aludruckguss. Jemand hatte es blattvergoldet, und es konnte einem das Trommelfell zerfetzen, wenn man zu nah heranging und die Musik zu laut spielte. Auf jeden Fall sah es beeindruckend aus. Ob das Baßhorn nach allen Regeln der Akustikbauweise zusammengeschraubt war, konnte ich nicht beurteilen. Auf jeden Fall erinnere ich mich daran, dass es in dem riesigen Kasten knarrte und dröhnte.

Ich bemerkte bei Florian, der eifrig mit seinen Geräten hantierte, dass in seiner Ecke auch Geigen und eine Hawaii-Gitarre lagen. Er schien also auch mit anderen Instrumenten vertraut zu sein. Allerdings kann ich mich nicht erinnern, dass er sie je in meinem Beisein gespielt hat. Sie gehörten wohl noch in eine Frühphase ihrer musikalischen Experimente. Damals hatten sie sich Organisation genannt und oft mit Laien gespielt, wie ich von Ralf erfuhr.

Beim Proben ging es diesmal äußerst locker und langsam zu. Ich versuchte, aus den Schlagzeugfragmenten einen einigermaßen verbindlichen Klang herauszuholen. Aber es demütigte mich schon, an diesen Kindertrommeln zu sitzen und den Künstler zu mimen. Ich sehnte mich nach einem Erwachsenenschlagzeug, hatte aber nicht den Mut, die beiden zu fragen, ob sie mir nicht ein richtiges Set kaufen könnten. Ich selbst hatte damals kein Geld dafür. Mit meinem kleinen Praktikumshonorar war eine Neuanschaffung nicht drin. Und die Kohle vom Verkauf meines ehemaligen Pearl war längst verbraucht. So hoffte ich wenigstens, dass sich eines Tages die Gelegenheit ergeben würde, doch wieder zu einer guten Drum-Maschine zu kommen. Wenn ich damals auch nur geahnt hätte, womit ich einmal berühmt werden würde – ganz bestimmt nicht mit einem klassischen Schlagzeug-Set.


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