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Ein tiefes Geheimniss

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Alle vier Briefe enthielten in Bezug auf Rosamunde zwei Fragen – erstens, ob Mistreß Frankland in Porthgenna Tower angelangt sei? Und zweitens, ob, wenn sie angelangt war, Onkel Joseph etwas von ihr gehört hätte? – Was die Adresse wegen einer Antwort betraf, so enthielten alle vier Briefe eine und dieselbe Weisung in den Worten: »Schreibe mir unter der Adresse S.J. poste restante Smith Street, London,« – und dann folgte auch allemal dieselbe Erklärung: »Entschuldige, daß ich dir nicht meine eigentliche Adresse angebe, ich unterlasse es aus Furcht vor einem etwaigen unglücklichen Zufall, denn selbst hier in London fürchte ich immer noch, daß man mich aufspüre. Ich lasse jeden Morgen auf dem Postbüro nachfragen, ob ein Brief an mich da ist, und deshalb kann ich gewiß sein, deine Antwort zu bekommen.«

»Ich sagte Ihnen schon, Madame,« begann der alte Mann wieder, als Rosamunde sich von den Briefen emporrichtete, »daß ich um Saras willen, als sie mich verließ, sehr ängstlich und besorgt war. Sie werden nun einsehen, daß ich, wenn ich diese vier Briefe alle so vor mich herlege, immer ängstlicher werden muß. Dieselben beginnen hier mit dem ersten zu meiner linken Hand und werden so wie sie näher zu meiner Rechten kommen, immer kürzer, kürzer und kürzer, bis der letzte nur acht kleine Zeilen enthält. Das ist aber noch nicht alles. Die Schrift des ersten Briefes hier, sehen Sie, ist sehr schön – das heißt, sehr schön für mich, weil ich Sara liebe und weil ich selbst sehr schlecht schreibe. In dem zweiten Briefe ist sie schon nicht mehr so gut; sie zittert ein wenig und die letzten Linien sind ein wenig krumm. In dem dritten ist sie noch schlechter – noch zitteriger, noch klecksiger, noch krümmer. Im vierten, wo es doch am wenigsten zu tun gegeben hat, sind Zittern, Kleckse und Krümme noch viel vorherrschender als in den andern drei allen zusammen. Das sehe ich, ich erinnere mich, daß sie schwach, müde und abgemattet war, als sie mich verließ, und ich sage bei mir selbst: Sie ist krank, obschon sie es nicht sagen will, denn die Handschrift verrät es.«

Rosamunde blickte wieder auf die Briefe herab und folgte den bedeutsamen Verschlechterungen der Handschrift Zeile um Zeile, sowie der alte Mann sie darauf aufmerksam machte.

»Das sage ich zu mir selbst,« fuhr er fort. »Ich warte und denke ein wenig nach und ich höre mein eigenes Herz mir zuflüstern: Geh, Onkel Joseph, nach London und hole, so lange es noch Zeit ist, sie zurück, um sie in deinem Hause wieder gesund, getröstet und glücklich zu machen. Dann warte ich und denke wieder ein wenig nach – nicht wegen meines Geschäfts und daß ich es auf ein paar Tage verlassen müßte, denn eher verließe ich es auf immer, als daß ich Sara etwas Schlimmes zustoßen ließe – sondern was ich tun soll, um sie zu bewegen, wieder zu mir zurückzukehren. Dieser Gedanke veranlaßt mich, wieder die Briefe anzusehen, die Briefe zeigen mir stets dieselben Fragen in Bezug auf Mistreß Frankland; ich sehe es so deutlich wie die Hand vor meinen Augen, daß ich Sara, meine Nichte, niemals werde bewegen können, zu mir zurückzukehren, wenn ich sie nicht zuvor wegen jenes Ausfragens durch Mistreß Frankland beruhigen kann, wovor sie sich fürchtet, als ob bei diesem Ausfragen Tod und Leben für sie auf dem Spiel stünde. Plötzlich weiß ich, was ich zu tun habe. Die Pfeife geht mir darüber aus, ich springe von meinem Stuhl auf, ich setze meinen Hut auf, ich reise hierher, wo ich mich schon einmal eingedrängt und wo ich, wie ich wohl weiß, gar nicht das Recht habe mich einzudrängen. Ich bitte Sie nun bei Ihrem Mitleid gegen meine Nichte und bei Ihrer Güte gegen mich, mir die Mittel, Sara zu mir zurückzubringen, nicht zu verweigern. Wenn ich ihr sagen kann: Ich habe Mistreß Frankland gesprochen und sie hat mir mit ihrem eigenen Munde gesagt, daß sie keine der Fragen an dich tun werde, die du so sehr fürchtest – wenn ich nur das sagen kann, so wird Sara mit mir in mein Haus zurückkehren und ich will Ihnen jeden Tag meines Lebens danken, daß Sie mich zu einem glücklichen Menschen gemacht haben.«

Die einfache Beredsamkeit, die in den Worten des alten Mannes lag, die unschuldige Innigkeit seines Wesens, rührten Rosamunde auf das tiefste.

»Ich will alles tun, ich will alles versprechen,« rief sie begierig, »um Ihre Nichte wieder zu Ihnen zurückführen zu helfen. Wenn sie mir nur erlauben will, sie zu sehen, so verspreche ich, nicht ein einziges Wort zu sagen, welches sie nicht von mir zu hören wünscht; ich verspreche, nicht eine einzige Frage – ja, auch nicht eine einzige – zu tun, deren Beantwortung ihr Schmerz verursachen könnte. O, welche tröstende Botschaft könnte ich ihr außerdem senden – was könnte ich sagen –«

Sie schwieg verlegen, denn sie fühlte, wie der Fuß ihres Gatten wieder den ihrigen berührte.

»O, sagen Sie nichts weiter – sagen Sie nichts weiter!« rief Onkel Joseph, indem er sein kleines Paket Briefe wieder zusammenband und während sein rotes Gesicht dunkler erglühte. »Das ist genug gesagt, um Sara zu mir zurückzuführen – das ist genug gesagt, um Ihnen meine Dankbarkeit für meine ganze Lebenszeit zu sichern! O, ich bin so glücklich, so glücklich, so glücklich! – Meine Haut ist zu klein, um mich noch zu halten.«

Er warf das Paket Briefe in die Luft, fing es auf, küßte es und steckte es wieder in die Tasche – alles in einem Augenblick.

»Sie wollen doch nicht fort?« sagte Rosamunde. »Sie wollen doch nicht schon wieder gehen?«

»Der Verlust ist mein, wenn ich hier fortgehe und ich muß mich darein fügen, aber ich habe dabei auch den Gewinn, daß ich desto eher zu Sara komme,« sagte Onkel Joseph. »Nur aus diesem Grunde werde ich Sie um Verzeihung bitten, wenn ich mich mit dankerfülltem Herzen wieder verabschiede und meiner Wege nach Hause gehe.«

»Wann gedenken Sie nach London aufzubrechen, Mr. Buschmann?« fragte Leonard.

»Morgen früh beizeiten, Sir,« entgegnete Onkel Joseph. »Ich werde die Arbeit, die ich noch zu besorgen habe, diese Nacht fertig machen, das Übrige Samuel, meinem Gehilfen, überlassen und dann mit der ersten Fahrgelegenheit zu Sara reisen.«

»Darf ich Sie um die Adresse Ihrer Nichte in London bitten, im Fall wir an sie zu schreiben wünschen?«

»Sie gibt mir ja selbst weiter keine Adresse als das Postbüro, Sir, denn selbst in der großen Entfernung von London wird sie noch von derselben Furcht gepeinigt, die sie hatte, als wir dieses Haus hier verließen. Ich kann Ihnen indessen den Ort sagen, wo ich selbst mein Nachtquartier aufschlagen werde,« fuhr der alte Mann fort, indem er eine kleine Adresskarte zum Vorschein brachte. »Es ist das Haus eines Landsmanns von mir, eines ausgezeichneten Zuckerbäckers, Sir, und eines wirklich sehr guten Mannes.«

»Haben Sie schon darüber nachgedacht, wie Sie die Adresse Ihrer Nichte ausfindig machen wollen?« fragte Rosamunde, indem sie zugleich die Adresse des Bäckers notierte.

»Jawohl, denn ich bin im Entwerfen meiner Pläne stets sehr rasch,« sagte Onkel Joseph. »Ich werde zu dem Postmeister gehen und zu ihm Folgendes und nichts weiter sagen: Guten Morgen, Sir. Ich bin der Mann, der die Briefe an S.J. schreibt. Es ist meine Nichte, wenn Sie erlauben, und ich wünsche weiter nichts zu wissen, als: Wo wohnt sie? – Dieser Plan ist ein sehr guter, sollte ich meinen – meinen Sie nicht auch, wie?«

Er breitete fragend die Hände aus und sah Mistreß Frankland mit selbstzufriedenem Lächeln an.

»Ich fürchte,« sagte Rosamunde, durch die Einfalt des guten Mannes halb ergötzt, halb gerührt, »daß die Offizianten des Postbüros die Adresse selbst nicht kennen werden. Ich glaube, es wäre besser, wenn Sie einen Brief, mit ‚S.J’ adressiert, mitnähmen und ihn früh, wenn die Briefe aus der Provinz ankommen, mit aufgäben, dann in der Nähe der Tür warteten und der Person, welche von Ihrer Nichte – wie sie Ihnen selbst schreibt – abgeschickt wird, um die Briefe für S.J. abzuholen, folgten.«

»Sie glauben, das wäre besser?« fragte Onkel Joseph, in seinem Innern überzeugt, daß seine eigene Idee unzweifelhaft die scharfsinnigere sei. »Gut. Das kleinste Wort, welches Sie zu mir sagen, Madame, ist ein Befehl, den ich von ganzem Herzen befolge.«

Mit diesen Worten zog er seinen zusammengedrückten Filz aus der Tasche und wollte Abschied nehmen, als Mr. Frankland ihn wieder anredete.

»Nicht wahr,« sagte Leonard, »wenn Sie Ihre Nichte gesund antreffen und dieselbe bereit ist, Ihnen zu folgen, dann werden Sie sie sofort nach Truro zurückführen? Und Sie werden es uns wissen lassen, wenn Sie beide zu Hause angelangt sind?«

»Jawohl, sofort, Sir,« sagte Onkel Joseph. »Auf diese beiden Fragen antworte ich: sofort.«

»Wenn also,« fuhr Leonard fort, »von heute an gerechnet eine Woche um ist, und wir nicht von Ihnen hören, so müssen wir daraus schließen, daß entweder Ihrer Rückkehr ein unvorhergesehenes Hindernis im Wege steht, oder daß Ihre Befürchtungen in Bezug auf Ihre Nichte nur zu wohl gegründet sind und daß sie nicht im Stande ist zu reisen.«

»Ja, Sir, so soll es sein. Ich hoffe aber, daß Sie von mir hören werden, ehe die Woche um ist.«

»Ich hoffe es auch – ich hoffe es innig!« rief Rosamunde. »Sie entsinnen sich doch noch meines Auftrags?«

»Ich habe mir ihn hier eingeprägt – Wort für Wort,« sagte Onkel Joseph, indem er die Hand aufs Herz legte. Dann drückte er die Hand, welche Rosamunde ihm entgegenstreckte, an seine Lippen. »Ich werde versuchen, Ihnen besser zu danken, wenn ich wieder da bin,« sagte er. »Für alle Ihre Güte gegen mich und meine Nichte segne Gott Sie beide und erhalte Sie gesund und fröhlich bis wir uns wiedersehen.«

Mit diesen Worten eilte er nach der Tür, schwenkte ein paar Mal den alten zusammengedrückten Hut und verließ das Zimmer.

»Der gute, schlichte, warmfühlende alte Mann!« sagte Rosamunde, als die Tür sich schloß. »Ich hätte ihm so gern alles gesagt, Lenny. Warum tatest du mir Einhalt?«

 

»Liebes Kind, eben diese Schlichtheit und Einfalt, welche du bewunderst und die auch ich bewundere, macht mich vorsichtig. Gleich bei dem ersten Ton seiner Stimme fühlte ich mich ebenso warm zu ihm hingezogen wie du; je mehr ich ihn aber sprechen hörte, desto fester ward ich überzeugt, daß es voreilig sein würde, ihm alles anzuvertrauen, da ja zu befürchten steht, er werde deiner Mutter sofort und zu früh enthüllen, daß wir ihr Geheimnis kennen. Die Möglichkeit, daß wir ihr Vertrauen gewinnen und eine Unterredung mit ihr erlangen, hängt, wie ich die Sache sehe, von unserm eigenen Takt ab, und wir müssen daher ihrem übertriebenem Argwohn und ihren ängstlichen Befürchtungen gegenüber mit der größten Umsicht zu Werke gehen. Dieser gute, alte Mann könnte trotzdem daß er die besten Absichten von der Welt hat, alles verderben. Wenn es ihm nur gelingt, seine Nichte wieder nach Truro zurückzubringen, so hat er alles getan, was wir hoffen und wünschen können. »Aber wenn es ihm nicht gelingt – wenn etwas vorfällt – wenn sie wirklich krank ist?«

»Laß uns warten, bis die Woche um ist, Rosamunde. Dann wird es noch Zeit genug sein, zu bestimmen, was wir in diesem Falle tun sollen.«

Sechstes Kapitel
Warten und Hoffen

Die Woche des Wartens verging, aber von Onkel Joseph ging keine Nachricht in Porthgenna Tower ein.

Am achten Tage schickte Mr. Frankland einen Boten nach Truro mit dem Auftrage, Mr. Buschmanns Laden aufzusuchen und dem in demselben zurückgelassenen Gehilfen zu fragen, ob er Nachricht von seinem Herrn erhalten habe.

Im Laufe des Nachmittags kehrte der Bote zurück und meldete, Mr. Buschmann habe seit seiner Abreise an seinen Gehilfen einen einzigen kurzen Brief geschrieben und ihn benachrichtigt, er sei gegen Abend glücklich in London angelangt, von seinem Landsmann, dem deutschen Zuckerbäcker, gastfreundlich bewillkommnet worden, habe die Adresse seiner Nichte durch einen Zufall entdeckt, der ihm alle Mühe der Nachforschung erspart, und beabsichtige nun, sie zu einer frühen Stunde des nächsten Morgens aufzusuchen. Seit dem Eingang dieses Briefes habe der Gehilfe keine weitere Mitteilung von ihm erhalten und wisse daher auch nicht, wann er seine Rückkehr erwarten könne.

Die auf diese Weise erlangte Nachricht war nicht von der Art, daß dadurch die Ermutigung, welche der Zweifel und die Ungewißheit der vergangenen Woche in Mistreß Frankland erzeugt, gehoben worden wäre.

Ihr Gatte bemühte sich, diese Niedergeschlagenheit ihres Gemüts zu bekämpfen, indem er sie darauf aufmerksam machte, daß Onkel Josephs ominöses Schweigen ebenso wahrscheinlich durch die Abgeneigtheit, als durch die Unfähigkeit seiner Nichte, mit ihm nach Truro zurückzukehren, verursacht werden könne. Im Hinblick auf Saras außerordentliche Empfindlichkeit und kopflose Scheu erklärte er es für möglich, daß Rosamundes Botschaft, anstatt sie zu beruhigen, ihr vielleicht im Gegenteil neue Befürchtungen eingeflößt habe und sie deshalb in dem Entschlusse bestärkte, sich außerhalb des Bereichs aller Mitteilungen von Porthgenna Tower zu halten.

Rosamunde hörte geduldig zu, während diese Ansicht des Falles ihr vorgetragen ward und gab zu, daß dieselbe unbestreitbar vernunftgemäß sei; dennoch aber war die Bereitwilligkeit, mit welcher sie zugab, daß ihr Gatte Recht und sie Unrecht haben könne, von keiner Besserung im Zustande ihrer Gemütsstimmung begleitet.

Die Auslegung, welche der alte Mann in Bezug auf die Verschlechterung von Mistreß Jazephs Handschrift gemacht, hatte einen lebhaften Eindruck auf ihr Gemüt geäußert und dieser Eindruck war durch ihre eigene Erinnerung an das bleiche Gesicht, als sie einander in West Winston gesehen, noch mehr bestärkt worden. Mochte daher Mr. Frankland auch noch so überzeugend folgern, so war er doch nicht im Stande, die Überzeugung seiner Gattin, daß Onkel Josephs Schweigen nur in der Krankheit seiner Nichte seinen Grund habe, zu erschüttern.

Die Rückkehr des Boten von Truro machte jeder weitern Diskussion über dieses Thema vor der Hand ein Ende, weil die beiden jungen Ehegatten dadurch bewogen wurden, sich mit der Erwägung einer Frage von weit größerer Bedeutung zu beschäftigen. Welches Verfahren hatten sie nun, nachdem sie einen Tag über die festgesetzte Woche gewartet, bei dem Mangel aller Nachrichten von London oder von Truro, wonach sie ihre künftigen Maßnahmen hätten richten können, einzuschlagen?

Leonards erste Idee war, sofort an Onkel Joseph unter der Adresse zu schreiben, welche dieser bei Gelegenheit seines Besuchs in Porthgenna Tower zuückgelassen. Als dieser Vorschlag Rosamunde mitgeteilt ward, widersprach sie demselben aus dem Grunde, weil die notwendige Frist, ehe die Antwort auf den Brief ankommen könnte, einen bedeutenden Zeitverlust zur Folge haben würde, während es vielleicht von der höchsten Wichtigkeit war, auch nicht den Verlust eines einzigen Tages zu riskieren. Wenn Mistreß Jazeph durch Krankheit abgehalten ward, die Reise zu unternehmen, so war es notwendig, sie sofort aufzusuchen, weil ja diese Krankheit sich verschlimmern konnte.

War sie bloß mißtrauisch gegen die ihr gemachten Mitteilungen, so war es ebenso wichtig, persönliche Unterhandlungen mit ihr zu eröffnen, ehe sie Gelegenheit fand, sich wieder an irgend einer Zufluchtsstätte zu verbergen, welche Onkel Joseph dann vielleicht nicht im Stande war, ausfindig zu machen.

Die Wahrheit dieser Folgerungen war einleuchtend, Leonard aber zögerte, denselben beizutreten, weil sie die Notwendigkeit einer Reise nach London in sich schlossen. Wenn er ohne seine Gattin dorthin ging, so gab seine Blindheit ihn in die Gewalt fremder Personen und Dienstleute, während es sich doch um Erörterungen von der zartesten Art handelte, bei welchen die größte Verschwiegenheit beobachtet werden mußte. Ließ er sich von Rosamunde begleiten, so ward es notwendig, das Kind mitzunehmen und dann auf einer langen und anstrengenden Reise von mehr als zweihundertfünfzig Meilen sich alle Arten von Verzögerungen und Unbequemlichkeiten preiszugeben.

Rosamunde begegnete diesen beiden Schwierigkeiten mit ihrer gewohnten Geradheit und Entschiedenheit. Den Gedanken, daß ihr Gatte in seinem hilflosen, abhängigen Zustande, unter irgend welchen Umständen irgend wohin reise ohne von ihr begleitet zu sein, erklärte sie sofort für etwas so Ungereimtes und Widersinniges, daß davon gar nicht die Rede sein könne.

Dem zweiten Einwand, daß es nicht geraten erscheine, das Kind den Zufälligkeiten und Anstrengungen einer langen Reise auszusetzen, begegnete sie durch den Vorschlag, daß sie gemächlich und in ihrem eigenen Wagen nach Exeter reisen und sich dadurch aller möglichen Bequemlichkeit und Fülle an Raum dadurch versichern sollten, daß sie, wenn sie die Eisenbahn in Exeter erreichten, einen Wagen für sich allein nähmen.

Nachdem sie auf diese Weise die Schwierigkeiten, welche sich der Reise entgegenzustellen schienen, beseitigt, kam sie wieder auf die unbedingte Notwendigkeit, dieselbe zu unternehmen, zurück. Sie erinnerte Leonard daran, wie wichtig es sei, sofort Mistreß Jazephs Aussage in Bezug auf die Echtheit des in dem Myrtenzimmer gefundenen Briefes sowohl wie in Bezug auf Ermittelung aller näheren Umstände des außerordentlichen Betrugs zu hören, welcher von Mistreß Treverton an ihrem Gatten verübt worden.

Ebenso sprach sie auch von ihrem eigenen sehr natürlichen Wunsche, den Schmerz, welchen sie, ohne es zu ahnen, in dem Schlafzimmer zu West Winston der Person zugefügt, deren Fehltritte und Kümmernisse sie zu achten verpflichtet war, so viel als in ihren Kräften stand, wieder gutzumachen, und nachdem sie auf diese Weise alle Beweggründe dargelegt, welche ihren Gatten und sie selbst nötigten, keine Zeit zu verlieren, in persönliche Mitteilung mit Mistreß Jazeph zu treten, kam sie wieder zu dem unvermeidlichen Schlusse, daß in der Lage, in welche sie jetzt versetzt wären, es keine andere Wahl für sie gäbe, als die Reise nach London unverweilt anzutreten.

Ein wenig weitere Überlegung überzeugte Leonard, der vorliegende dringliche Fall sei von der Art, daß dadurch alle Versuche, ihm durch halbe Maßregeln zu begegnen, unmöglich gemacht wurden. Er fühlte, daß seine eigenen Überzeugungen mit denen seiner Gattin übereinstimmten und er beschloß demgemäß, sofort und ohne weitere Unentschlossenheit oder weiteren Verzug zu handeln.

Ehe noch der Abend zu Ende ging, ward den Dienern in Porthgenna zu ihrem großen Erstaunen befohlen, die Reisekoffer zu packen und in der Poststadt zu einer frühen Stunde des nächsten Morgens Pferde zu bestellen.

Am ersten Tage der Reise brachen die Reisenden auf, sobald der Wagen bereit war, rasteten gegen Mittag in einem Gasthaus an der Landstraße und übernachteten in Liskeard. Am zweiten Tage langten sie in Exeter an und übernachteten hier. Am dritten Tage erreichten sie London mit der Eisenbahn zwischen sechs und sieben Uhr abends.

Als sie sich bequem in ihrem Hotel für die Nacht eingerichtet und nachdem eine Stunde Ruhe sie in den Stand gesetzt hatte, sich ein wenig von den Strapazen des Tages zu erholen, schrieb Rosamunde auf Geheiß ihres Gatten zwei Briefe.

Der erste war an Mr. Buschmann gerichtet und meldete diesem einfach ihre Ankunft und ihren angelegentlichsten Wunsch, ihn den nächsten Morgen so zeitig als möglich in ihrem Hotel zu sehen. Zum Schlusse ward er dringend ersucht, ihre Gegenwart in London seiner Nichte so lange zu verschweigen, bis er mit ihnen gesprochen habe.

Der zweite Brief war an den Anwalt der Familie, Mr. Nixon, gerichtet, denselben Gentleman, der vor länger als einem Jahre auf Mistreß Franklands Wunsch den Brief geschrieben, welcher Andrew Treverton von seines Bruders Tod und von den Umständen, unter welchen derselbe erfolgt war, in Kenntnis setzte. Jetzt schrieb Rosamunde in ihres Gatten und in ihrem eigenen Namen an Mr. Nixon weiter nichts, als daß er es möglich machen möchte, nächsten Morgen auf dem Wege nach seinem Bureau in ihrem Hotel mit vorzusprechen und seine Meinung über eine Privatsache von großer Wichtigkeit hören zu lassen, die sie genötigt habe, die Reise von Porthgenna nach London zu unternehmen.

Dieser Brief und der an Onkel Joseph wurden noch an demselben Abend, wo sie geschrieben worden, durch einen Boten an ihre Adresse befördert.

Der erste Besuch, welcher sich am nächsten Morgen einfand, war der Anwalt – ein kluger, geschmeidiger, höflicher alter Herr, welcher Kapitän Treverton und auch schon dessen Vater gekannt hatte. Er kam in der bestimmten Erwartung, in Bezug auf gewisse mit der Herrschaft Porthgenna zusammenhängende Schwierigkeiten befragt zu werden, welche der dortige Geschäftsagent nicht im Stande sei, zu schlichten und die vielleicht von zu verwickelter und verworrener Art seien, um mit leichter Mühe schriftlich dargelegt zu werden.

Als er hörte, worin die Angelegenheit eigentlich bestand und als ihm der in dem Myrtenzimmer gefundene Brief vorgelegt ward, sah er sich zum ersten Male im Laufe eines langen Lebens und einer mannichfaltigen Praxis unter allen möglichen Klienten so überrascht, daß seine Denkkraft auf einige Augenblicke geradezu gelähmt und er nicht im Stande war, auch nur ein einziges Wort hervorzubringen.

Als jedoch Mr. Frankland, nachdem er diese Mitteilung gemacht, den Entschluß zu erkennen gab, die Kaufsumme für Porthgenna Tower, sobald die Echtheit des Briefes genügend dargetan sei, wieder herauszuzahlen, erlangte der alte Jurist den Gebrauch seiner Zunge sofort wieder und protestierte gegen diese Absicht seines Klienten mit der aufrichtigen Wärme eines Mannes, welcher die Vorzüge des Reichtums gründlich zu schätzen und recht wohl wußte, was es heißt, ein Vermögen von vierzigtausend Pfund zu gewinnen oder zu verlieren.

Leonard hörte geduldig und aufmerksam zu, während Mr. Nixon von juristischem Standpunkte aus dagegen sprach, den Brief an und für sich als ein gültiges Dokument zu betrachten und Mistreß Jazephs Aussage in Verbindung damit in Bezug auf Mistreß Franklands wirkliche Herkunft als entscheidend gelten zu lassen. Er verbreitete sich über die Unwahrscheinlichkeit, daß Mistreß Trevertons vorgeblicher Betrug an ihrem Gatten begangen worden sei, ohne daß andere Personen, außer ihrer Zofe und ihr selbst, in das Geheimnis eingeweiht gewesen wären. Er erklärte es für übereinstimmend mit aller Erfahrung der menschlichen Natur, daß eine oder mehrere dieser Personen entweder aus Bosheit oder aus Mangel an Vorsicht von diesem Geheimnis gesprochen hätten und daß die daraus hervorgehende Bloßstellung der Wahrheit im Laufe einer so langen Zeit von zweiundzwanzig Jahren zur Kenntnis einiger der vielen Leute im Westen von England sowohl als in London, welche die Familie Treverton persönlich oder dem Rufe nach kannten, hätte kommen müssen.

Von diesem Einwand ging er auf einen zweiten über, welcher die mögliche Echtheit des Briefes als eines schriftlichen Dokuments zugab, aber zugleich die Wahrscheinlichkeit behauptete, daß es unter dem Einflusse einer Geistesstörung auf Mistreß Trevertons Seite zu Stand gekommen, welche die Zofe damals ein Interesse gehabt zu begünstigen, obschon sie vielleicht nach dem Tode ihrer Herrin gezögert, es bei einem Versuch, von dem Betruge Nutzen zu ziehen, auf die möglichen Folgen ankommen zu lassen.

 

Nachdem Mr. Nixon diese Ansicht, durch welche nicht bloß das Schreiben des Briefes, sondern auch das Verbergen desselben erklärt ward, geltend gemacht, bemerkte er in Bezug auf Mistreß Jazeph weiter, daß jede Aussage, die sie tun würde, in juristischer Beziehung von geringem oder gar keinem Werte sein würde und zwar wegen der Schwierigkeit, oder – wie er lieber sagen möchte – der Unmöglichkeit – die Identität des in dem Briefe erwähnten Kindes mit der Dame festzustellen, welche er jetzt die Ehre hätte als Mistreß Frankland anzureden und welche kein nicht mit voller gesetzlicher Glaubwürdigkeit begabtes Dokument in der ganzen Welt ihn veranlassen könnte, für eine andere Person als die Tochter seines alten Freundes und Klienten Kapitän Treverton zu halten.

Nachdem Leonard die Einwendungen des Juristen angehört, räumte er die Scharfsinnigkeit derselben ein, gestand aber gleichzeitig, daß sie in seiner Ansicht über den Inhalt des Briefes oder in seiner Überzeugung hinsichtlich des Verfahrens, welches er einzuschlagen für seine Pflicht halte, keine Änderung hervorgebracht hätten. Er wollte, sagte er, Mistreß Jazephs Aussage abwarten, ehe er einen entscheidenden Schritt täte; wäre diese Aussage aber von der Art und würde sie auf eine Weise gegeben, welche ihn überzeugte, daß seine Gattin kein moralisches Recht auf das Vermögen, welches sie jetzt besäße, habe, so würde er es der Person, welcher dieses Recht zustünde – nämlich Mr. Andrew Treverton – sofort zurückerstatten.

Als Mr. Nixon fand, daß keinerlei neue Argumente oder sonstige Vorstellungen Mr. Franklands Entschluß wankend machen und daß keine besondere Ansprache an Rosamunde sie im mindesten anstacheln konnte, ihren Einfluß zu benutzen, um ihren Gatten zu einer Änderung seines Entschlusses zu bewegen, da er ferner nach allem, was er gehört, überzeugt war, daß Mr. Frankland, wenn ihm noch viele weitere Einwendungen entgegengestellt würden, entweder einen andern Juristen zu Rate ziehen, oder es auf die Gefahr ankommen lassen würde, einen verhängnisvollen juristischen Irrtum dadurch zu begehen, daß er in der Sache hinsichtlich der Wiedererstattung des Geldes auf eigene Faust handle, so verstand er sich endlich – obschon unter Protest – dazu, seinem Klienten den Beistand, dessen er bedurfte, zu leisten, im Fall es notwendig ward, mit Andrew Treverton in Mitteilung zu treten.

Mit höflicher Resignation hörte er Leonards kurze Aufzählung der Fragen an, welche er Mistreß Jazeph vorzulegen gedachte, und sagte, als die Reihe des Sprechens an ihn kam, mit dem möglichst geringsten Anflug von Sarkasmus, daß dies vom moralischen Gesichtspunkt aus betrachtet ganz vortreffliche Fragen seien und ohne Zweifel Antworten zur Folge haben würden, die ein höchst romantisches Interesse besitzen müßten.

»Aber,« setzte er hinzu, »da Sie schon ein Kind haben, Mr. Frankland, und da Sie – wenn ich mir erlauben darf, in dieser Beziehung eine Vermutung auszusprechen – im Laufe der Jahre deren mehrere bekommen können und da diese Kinder, wenn sie heranwachsen, von dem Verlust Ihres mütterlichen Vermögens hören und zu wissen wünschen werden, warum es geopfert ward, so möchte ich – indem ich die Sache bloß auf Familienrücksichten basiere und von dem juristischen Standpunkt ganz absehe – empfehlen, daß Sie sich von Mistreß Jazeph außer der mündlichen Aussage, welche Sie ihr abzufragen gedenken – und gegen deren Zulässigkeit ich in diesem Falle nochmals protestiere – auch eine schriftliche Erklärung verschaffen, welche Sie einmal nach ihrem Tode zurücklassen und durch welche Sie in den Augen Ihrer Kinder gerechtfertigt werden können, im Fall die Notwendigkeit einer solchen Rechtfertigung sich in der Zukunft herausstellen sollte.«

Der Wert dieses Rats war zu einleuchtend, als daß derselbe hätte verschmäht werden können. Auf Leonards Wunsch setzte Mr. Nixon sofort das Schema einer Erklärung auf, in welcher die Echtheit des von der verstorbenen Mistreß Treverton auf ihrem Sterbebett an ihren Gatten gerichteten Briefes bestätigt und die Wahrheit der darin enthaltenen Angaben sowohl in Bezug auf den an Kapitän Treverton verübten Betrug, als auf die behauptete Herkunft des Kindes bezeugt ward.

Mr. Nixon sagte Mr. Frankland, daß er wohltun würde, Mistreß Jazephs Unterschrift dieses Dokument durch die Namen zweier gesetzlich gültigen Zeugen attestieren zu lassen, überreichte dann die Erklärung Rosamunde, damit diese sie ihrem Gatten vorläse, und als er fand, daß keine Einwendung gegen irgend einen Teil der Schrift gemacht ward und daß er in dem gegenwärtigen ersten Stadium der Maßnahmen von keinem weitern Nutzen sein könne, erhob er sich, um sich zu entfernen.

Leonard behielt sich, da nötig, eine weitere Besprechung im Laufe des Tages vor und Mr. Nixon beurlaubte sich, indem er bis zum letzten Augenblick seinen Protest wiederholte und erklärte, daß ihm im ganzen Laufe seiner Praxis noch nie ein so außerordentlicher Fall und ein so starrköpfiger Klient vorgekommen sei.

Beinahe eine Stunde verging nach der Entfernung des Juristen, ehe ein zweiter Besuch gemeldet ward. Nach Verlauf dieser Zeit hörte man das willkommene Geräusch von Fußtritten sich der Tür nähern und Onkel Joseph trat in das Zimmer.

Rosamundes durch Besorgnis und Unruhe geschärfte Beobachtungsgabe entdeckte gleich in dem Augenblicke, wo er erschien, eine Veränderung in seinem Aussehen und Benehmen. Sein Gesicht war abgezehrt und abgespannt und sein Gang hatte, als er weiter in das Zimmer hereinschritt, jene Munterkeit und Flinkheit verloren, die ihn auf so komische Weise kennzeichnete, als Rosamunde ihn in Porthgenna Tower zum ersten Male sah. Er versuchte seinen ersten begrüßenden Worten eine Entschuldigung wegen seines Spätkommens hinzuzufügen, Rosamunde aber unterbrach ihn in ihrer Begier, die erste wichtige Frage zu tun.

»Daß Sie die Adresse Ihrer Nichte ermittelt haben, wissen wir,« sagte sie hastig, »aber weiter wissen wir nichts. Ist es mit ihr wie Sie fürchteten? Ist sie krank?«

Der Alte schüttelte wehmütig den Kopf.

»Was sagte ich Ihnen, als ich Ihnen die Briefe zeigte?« entgegnete er. »Sie ist so krank, Madame, daß nicht einmal die Botschaft, die Sie mir in Ihrer Güte an Sie auftrugen, ihr etwas nützen konnte.«

Diese wenigen einfachen Worte erfüllten Rosamundes Herz mit einer seltsamen Furcht, welche sie gegen ihren eigenen Willen, als sie wieder zu sprechen versuchte, zum Schweigen brachte. Onkel Joseph verstand den besorgten Blick, den sie auf ihn heftete und die rasche Gebärde, die sie nach dem Stuhle machte, der dem Sofa, auf welchem sie mit ihrem Gatten saß, zunächst stand.

Onkel Joseph nahm auf dem Stuhle Platz und vertraute ihnen nun alles, was er zu sagen hatte.

Seine erste Frage, sagte er, als er die Wohnung seines Landsmanns, des deutschen Zuckerbäckers, erreicht hatte, bezog sich auf die Örtlichkeit des Postbüros, an welches die Briefe seiner Nichte adressiert waren, und er erfuhr, daß es kaum zehn Minuten Weges von dem Hause seines Freundes entfernt sei. Das Gespräch, welches in Bezug auf den Zweck seiner Reise nach London und die Hoffnungen und Befürchtungen, womit er sie unternommen, folgte, führte zu weitern Fragen und Antworten, welche mit der Entdeckung endeten, daß der Bäcker unter seinen anderen Kunden auch die Wirtin eines Logishauses in der Nähe mit gewissen leichten Zwiebacken versorgt, wegen welcher sein Laden berühmt war. Diese Zwiebacke wurden zum Gebrauche einer kranken Frau gekauft, welche in dem Logishause wohnte und die Wirtin gab bei einer der vielen Gelegenheiten, wo sie in den Laden kam und über ihre eigenen Angelegenheiten plauderte, ihre Verwunderung zu erkennen, daß eine so augenscheinlich achtbare und in allen ihren Zahlungen so pünktliche Person wie ihre Mitbewohnerin von keinem Freunde oder Bekannten besucht würde und daß sie unter dem Namen »Mistreß James« lebte, während ihre Wäsche mit »S. Jazeph« gezeichnet sei. Als man zu diesem außerordentlichen Ergebnis einer Konversation gelangte, die von dem einfachsten Beginn, den man ich denken konnte, ausgegangen war, hatte Onkel Joseph sich sofort die Adresse des Logishauses notiert und sich am nächsten Morgen zu einer frühen Stunde hinbegeben.

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