Seelenheilung

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Unsere Seele funktioniert also nicht ausschließlich nach einem - ihr von Natur aus mitgegebenem - Programm, dass uns automatisch durch alle Wirrnisse des Lebens führt. Sie ist vor allem von unseren im Laufe unseres Lebens getroffenen Entscheidungen und dadurch gemachten Erfahrungen abhängig. Es ist unsere Aufgabe, mittels dieser Entscheidungen und Erfahrungen unser eigenes seelisches Gleichgewicht zu gewährleisten.

Hindernisse

Allerdings sollte man mit einer einmal getroffenen Entscheidung, wie zum Beispiel der Neuausrichtung in einer Partnerschaft oder im Beruf, nicht die Illusion verknüpfen, dass ab sofort alles ganz anders wird - nur, weil man sich entschieden hat (oder gerade Silvester ist). Es kommt ja zur eigenen Entscheidung meist noch eine äußere Umgebung - beispielsweise in Form anderer Menschen - hinzu. Schließlich gilt der Mensch gemeinhin als soziales Wesen. Hier - in der sozialen Umgebung - wird diese persönlich mit scheinbar großer Klarheit getroffene Entscheidung unter Umständen täglich von Neuem auf ihre Ernsthaftigkeit getestet. Da wird der klare Vorsatz zur beruflichen Veränderung durch unvorhergesehene Einwände aus dem familiären Umfeld in Frage gestellt, die eigenen Entscheidungen innerhalb der Partnerschaft treffen unweigerlich auf einen entsprechenden ‚Gegenpart‘. Das heißt, wir sind einerseits herausgefordert, uns selbst immer wieder neu zu entscheiden. Andererseits müssen diese Entscheidungen in Einklang mit unserer jeweiligen Lebenswelt gebracht werden, neudeutsch formuliert ‚kompatibel gemacht werden‘. Klingt anstrengend, ist es nach meiner Erfahrung auch.

Als zusätzliche Erschwernis kommt schließlich noch ein weiterer Aspekt hinzu: Nachdem der Mensch als Gewohnheits‘tier‘ beschrieben wird (wobei ich persönlich über den Vergleich mit dem Tierreich nicht wirklich glücklich bin), können jahrelange frühere Erfahrungen und Verhaltensweisen nicht einfach ausgelöscht und abgelegt werden. Wir alle sind ein Produkt unserer früheren Erfahrungen und nichts hat der Mensch im Laufe seines Lebens tatsächlich mehr lieb gewonnen als seine Gewohnheiten. Selbst wenn diese alles andere als erquicklich sind, für andere oder auch für mich selbst. Stichworte wie ‚Gesundheitsfürsorge‘ oder ‚Ernährungsgewohnheiten‘, Schlagworte wie Nikotin, Koffein, Zucker & Co. lösen vielleicht beim einen oder anderen Leser wohlbekannte und gewohnheitsmäßige Reaktionsweisen wie schlechtes Gewissen, schlichtes Verdrängen oder gar lautstarkes Wehklagen aus. Diese uns und unserer Gesundheit abträglichen Gewohnheiten sind uns zwar meist sehr gut bekannt und bewusst. Aber andere gewohnte innere Stimmen und Gedanken halten uns immer wieder davon ab, die eigentlich notwendigen Entscheidungen zu treffen und die geeigneten Schritte einzuleiten. Diesen so genannten ‚inneren Schweinehund‘ - den wohl jeder Mensch heutzutage täglich Gassi führt - haben wir zum großen Teil selbst herangezüchtet. Eben aufgrund der früher - bewusst oder unbewusst - getroffenen Entscheidungen. Sie wurden zu Gewohnheiten im Denken, Fühlen und Verhalten.

Aufgrund der jahrelangen Programmierung durch unsere Erfahrungen und Entscheidungen und ihren grundsätzlich loyalen - also ihrem jeweiligen „Herrn“ ergeben dienenden Charakter - fügt sich unsere Seele scheinbar in ihr Schicksal. Nur gelegentlich, manchmal - wenn wir uns etwas mehr Zeit nehmen, sie ein wenig baumeln zu lassen - spüren wir ein Aufflackern: Das Gefühl von Übersättigung oder des Überdrusses nach gewohnheitsmäßiger Völlerei oder anderer Formen von Maßlosigkeit. Dann taucht vielleicht sogar das berühmte schlechte Gewissen auf, verbunden mit der entschiedenen Entschlossenheit, fortan sein Leben endlich und endgültig gesundheitsbewusster gestalten zu wollen. Die Wirkung dieser Entscheidung lässt leider meist schon bei der nächsten, sich bietenden Gelegenheit schlagartig nach. Dennoch erfüllt unsere Körperseele auch weiterhin ihren Auftrag, uns zumindest seelisch halbwegs im Gleichgewicht zu halten. Dafür nimmt sie es oft genug sogar in Kauf, dass wir uns körperlichen Schaden - wie oben beschrieben - zufügen. Und so wird aus einem Akt der vorsätzlichen Körperverletzung, wie etwa der doppelten Zufuhr toxischer Substanzen beim Genuss einer Zigarre zusammen mit einem starken, nachtschwarzen Espresso, schnell ein Sinnbild für einen, in seinem seelischen Gleichgewicht schwebenden Menschen. Unser Seelenanteil, der sich um die körperliche Unversehrtheit bemüht, schreit währenddessen laut um Hilfe.

Die konservative Seite der Seele

Die Körperseele hat also zusammengefasst eine vor allen Dingen konservative, also Wert erhaltende Funktion für den Menschen. Dies bietet Vorteile im Überlebenskampf des Daseins. Die Körperseele dirigiert und orchestriert uns in der Vielfalt der täglichen Lebensanforderungen, ohne dass wir uns dessen allzu bewusst seien müssen. Sie gewährleistet dadurch eine grundlegende Stabilität im physischen und psychischen Leben. Sie bewahrt uns sozusagen vor den gröbsten Dummheiten. Vom Zusammenspiel der Organe bis zur Verarbeitung der Tagesereignisse im Schlaf und Traum - vieles von dem, was uns im Leben widerfährt, scheint mehr oder minder automatisch gesteuert zu werden. Wir müssen nicht über jeden einzelnen unserer Atemzüge nachdenken. Wir werden sozusagen beatmet. Und lassen nur ganz schwer von diesen automatischen, gewohnheitsmäßigen Prozessen ab, wie man am Beispiel des Atemreflexes unschwer nachvollziehen kann: Willentlich und dauerhaft die Atmung einzustellen ist eine der schwierigsten Übungen für den Menschen. Da kann die Entscheidung noch so ernsthaft getroffen worden sein, der lebenserhaltende und den Bestand sichernde Aspekt der Seele ist - Gott sei Dank - eine sehr schwer zu überwindende Hürde. Die Seele hat also offensichtlich einen fürsorglichen und beschützenden Aspekt, der sich teilweise ohne unser bewusstes Zutun um den Erhalt der wesentlichen Lebensabläufe kümmert. Vorausgesetzt, der Mensch hat es gelernt, auf seine inneren Stimmen zu hören und damit diese aufrechterhaltende Funktion der Seele zur Geltung kommen zu lassen.

Und doch hatte diese Art der Seelenfunktion auch einen gewissen einschränkenden Charakter. Unsere Seele würde alles dafür tun, um uns in einem sicheren und balancierten Zustand zu halten oder zu versetzen. Neues und Ungewohntes wird erst einmal kritisch beäugt und durchleuchtet. Nicht umsonst heißt es, vor nichts habe der Mensch mehr Angst als vor dem Unbekannten. Wer kennt sie nicht, die Momente, in denen man vor der Qual der Wahl steht, etwas gänzlich Neues wie beispielsweise eine andere berufliche Tätigkeit zu beginnen. Die Angst vor einem eventuellen Scheitern ist oft so groß, dass wir im Zweifelsfalle lieber in einem uns zwar unangenehmen, aber bekannten und gewohnten Zustand verharren. Die Leidensfähigkeit des Menschen scheint hierbei nahezu grenzenlos zu sein. Gerade im Berufsleben hat die Zunahme des Burnout-Syndroms beängstigende Ausmaße erreicht. Oft genug wurde dabei eine klare Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt versäumt. Manches Mal muss man im Leben eben gewisse Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen, wenn man sich entscheidend verändern will. Oder, wie es der Hirnforscher Joe Dispenza formuliert: „In all meinen Studien, Reisen und Vorträgen über Veränderung ist es meine persönliche Erfahrung, …, dass es sich nicht gut anfühlt und unbequem ist.“ Dabei ist die Erkenntnis nicht wirklich neu, dass der Mensch an der Aufgabe beziehungsweise am Widerstand wächst und nicht durch Bequemlichkeit. Selbst das Laufen haben wir durchs Stolpern gelernt. Ein Teil unseres Seelenlebens findet diese Vorstellung von möglicher Veränderung mehr oder weniger schrecklich und ist daran interessiert, uns einem möglichst geringen Risiko auszusetzen. Im Wortsinn hat dieser Aspekt unserer Seele also einen konservativen (conservare = erhalten) Charakter.

Höhere seelische Funktionen

Wenn dem so ist, dass die Körperseele tatsächlich vor allen Dingen auf die Bestandssicherung hin ausgerichtet ist, wie können wir uns dann überhaupt seelisch weiterentwickeln? Gibt es außer der erhaltenden noch weitere Funktionen der Seele?

Schon Platon unterschied, wie zuvor erwähnt, zwischen verschiedenen Funktionen der Seele: Er spricht von der Körper­seele, einer Ich-Seele sowie der so genannten Vernunftseele. Letztere befähigt uns im Zusammenwirken mit dem Geist, uns über bestimmte konservative Grenzen hinwegzusetzen und dabei auch neue Territorien zu erschließen. Dies lässt sich im bildhaften Sinne am Beispiel der Entdecker und Erforscher des Mittelalters verdeutlichen: Ganze Schiffs­besatzungen nahmen wochenlange Entbehrungen auf sich, u­m neue Horizonte für den Menschen zu erschließen. Dass dabei die seelischen Bedürfnisse auf der körperlich-emotionalen Ebene massiv leiden mussten, steht außer Zweifel. Die auf diese Art Wohlbefinden ausgerichtete Körperseele hatte an solchen Unternehmungen vermutlich denkbar wenig Vergnügen. Da wird der Satz von „Wer neue Kontinente entdecken will, muss den Mut haben, alle Küsten aus den Augen zu verlieren“ ganz schnell zur wahren Belastungsprobe für das Sicherheitsempfinden und lässt bei unserer Körperseele die Alarmglocken hörbar schrillen.

Diese Art der Seelenqualen können wir nicht nur auf hoher See spüren und erleben, auch im Alltag kennt wohl jeder das Gefühl der inneren Zerreißprobe: Stehe ich morgens mit dem Gefühl auf, einen neuen Tag gewinnen zu können oder schleppe ich mich mühsam gegen alle inneren Widerstände zuerst ins Bad und anschließend in den Tag hinein? Gönne ich mir im Tagesgeschehen Auszeiten, um einen Teil meiner Seele - wenn auch nur für kurze Zeit - baumeln zu lassen oder spule ich eisern und von abendlichen Erschöpfungszuständen begleitet, mein Tagespensum ab? Immer wieder scheinen wir die Erfahrung zu machen, dass zwei gänzlich verschiedene und gegensätzliche Seelenkräfte in uns wirken. Goethes Faust spricht von den „Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust“ und meint damit den Spagat zwischen der Hinwendung zu irdischen Genüssen und dem gleichzeitigen Streben nach dem Überirdischen, sprich Geistigen. Man muss an dieser Stelle gar nicht an göttlich-spirituelles Streben denken, um zu verstehen, dass wir ein Wesen sind, das aus verschiedenen Komponenten, sprich Körper, Geist und Seele, besteht. Nicht immer gelingt das Zusammenspiel zufrieden stellend. Der Geist sei willig, aber das Fleisch sei schwach, heißt es dazu an anderer Stelle. Im seelischen Zusammenhang gesprochen, würde dies bedeuten, unsere Körperseele ist willig bis zu gewissen Grenzen, aber ein anderer Teil unserer Seele sehnt sich vielleicht gerade nach Überwindung dieser als einengend empfundenen Grenzen. Mitunter ist dieser höhere Teil unserer Seele sogar recht kreativ bei der Grenzüberschreitung. Man denke in diesem Zusammenhang nur an den Rausch der Befriedigung, der sich einstellen kann, wenn man sich entweder auf der körperlichen Ebene - etwa beim Sport - oder aber der geistigen Ebene - wie bei der Erschaffung eines Kunstwerkes - verausgabt hat. C.G Jung beschreibt diese scheinbar im Menschen eingebaute Leidensbereitschaft, wenn es um einen höheren Sinn und Zweck geht, mit dem Satz: „Aus dem Leiden der Seele entspringt jegliches schöpferische Handeln des Menschen.“

 

Offensichtlich gibt es also noch eine andere seelische Triebkraft im Menschen, die ihn dazu befähigt, über seine gewohnten und bekannten Fähigkeiten hinauszuwachsen, ja, ihn sogar dazu veranlasst, diese Grenzüberschreitung als selbst gewähltes und erklärtes Ziel verfolgen zu wollen.

Seelische Erfüllung

Unsere Seele verhält sich normalerweise auch dann noch loyal, wenn wir bei der Verwir­klichung einer Aufgabe oder einer Unternehmung körperliche, emotionale oder mentale Strapazen erleiden. Die Wichtigkeit, die wir einer Aufgabe beimessen und die Entschlossenheit, mit der wir an ihre Umsetzung herangehen, sind die ausschlaggebenden Faktoren, wenn es darum geht, ob wir von unserer Seele genügend Energie zur Verfügung gestellt bekommen. Extrembergsteiger sind immer wieder bereit, sich in Todesgefahr zu begeben, um das rauschhafte Gefühl zu erleben, dass sich bei der Eroberung eines Berges scheinbar einstellt. Manche Künstler arbeiten wie besessen an ihren Kunstwerken, manchmal tage- und nächtelang ohne nennenswerte Pausen oder Nahrungsaufnahme. Wenn das Ziel klar genug von uns formuliert ist, scheint sich unsere Seele entsprechend zu verhalten und unterstützt uns in dem, was wir verwirklichen wollen. Natürlich gibt es auch hier Grenzen der Belastbarkeit: Selbst der leidenschaftlichste Künstler oder Sportler wird irgendwann eindeutige Warnsignale von seiner Körperseele erhalten. Ob er der Aufforderung, innezuhalten und abzuwägen, Folge leistet, liegt in seinem Ermessen. Überschreitet er die Grenze zu oft und zu nachhaltig, kann auch die loyalste Körperseele den Untergang nicht verhindern.

Man muss jedoch als Normalsterblicher nicht notwendiger­weise in diese Grenzbereiche (un)menschlicher Anstrengung eindringen, um in den Genuss der höheren Seelenfunktionen zu gelangen. Auch die Umsetzung recht bodenständiger Ideen und Vorstellungen erfordert immer wieder ein gewisses Maß an Leidensfähigkeit und Durchhaltewillen: Wer schon einmal ein für ihn selbst wichtiges Ziel verfolgt hat - sei es im Beruflichen oder im Privaten -, weiß um die Kraft und Energie, die ein entschlossener Wille freisetzen kann. Die Kräfte, die beispielsweise im Zustand der Verliebtheit freigesetzt werden, reichen meist aus, um Bäume auszureißen, wenn nicht gar die ganze Welt aus den Angeln zu heben. Und welche Qualen wurden für dieses hohe Gut der Liebe nicht schon ausgestanden. Die schönsten Gedichte und Lieder wurden just aus diesem Leiden heraus geschaffen. Und unsere Seele vermag mit ihrer höheren Funktion uns und unseren Gedanken und Gefühlen die dazu nötigen Flügel zu verleihen. Dieser Teil der Seele vermag uns also in einen Zustand zu versetzen, der uns scheinbar über uns selbst erhöht und gleichzeitig doch auf unser ganz persönliches und individuelles Glück und Wohlbefinden ausgerichtet ist. Die höheren Funktionen der Seele führen uns somit heraus aus den ‘Niederungen‘ unserer gewöhnlichen Erfahrungen und ermöglichen uns, über den eigenen Horizont hinauszusehen. Sie lassen uns erahnen, was es heißen könnte, ein erfülltes Leben zu führen.

Seele und Geist

Wenn man nun von ‚höheren Funktionen‘ des Seelenlebens spricht, empfiehlt es sich an dieser Stelle, eine begriffliche Unterscheidung zu machen. In all den überlieferten Mythen und Darstellungen kann es nämlich immer wieder passieren, dass es zu einer gewissen Begriffsverwirrung kommt: Um die nicht greifbaren und ungesehenen Einflüsse im und auf den Menschen zu bezeichnen, wurden im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wieder verschiedene Begrifflichkeiten verwendet. So wird vor allen Dingen in vielen religiösen Zusammenhängen die Unterscheidung gemacht zwischen ‚Geist‘ und ‚Seele‘, wobei der Geist (im Englischen spirit) eigentlich immer den unpersönlichen, übergeordneten göttlichen Aspekt meint und die Seele als die Instanz angesehen wird, die den individuellen und persönlichen Anteil des Menschen an der Göttlichkeit bezeichnet. Diese Art Geist gilt es zudem zu unterscheiden von dem persönlichen, zum Denken befähigenden Etwas, mit dem jeder Mensch grundsätzlich ausgestattet ist, im Englischen mit ‚mind‘ bezeichnet. Damit hat man darüber hinaus zu den verschiedenen Facetten und Ebenen der Seele selbst noch einen zusätzlichen Begriff, der im wahrsten Sinne des Wortes durch die Geschichte der Menschheit ‚geistert‘. Manche Philosophen wie Platon sprechen von einer überirdischen, unpersönlichen ‚Weltseele‘, in die der Mensch von Zeit zu Zeit eintauchen kann. Andere Religionen wie der Katholizismus sehen im ‚Heiligen Geist‘ eine überirdische und außerhalb des menschlichen Einflussbereichs liegende göttliche Kraft, die das individuelle Seelenleben zwar beeinflussen kann, aber auch unabhängig von ihm existiert. Manchmal kann man es auch spüren, wie man von etwas so inspiriert wird, das die Trennung zwischen dem eigenen Ich und etwas Übergeordnetem, größerem Ganzen wie aufgehoben zu sein scheint. Meist währen diese Momente nicht allzu lange. Manchmal findet man sie in der Natur, manchmal in einem sehr bewegenden Musikstück, manchmal tauchen sie in einer intensiven zwischenmenschlichen Begegnung auf. Der Unterschied zum rein seelischen Wohlbefinden, dem Zustand, in dem man sich mit sich selbst und seiner irdischen Umgebung im Einklang fühlt, ist wahrnehmbar, aber nicht wirklich erklärbar. Über die Jahrhunderte hinweg haben die Mystiker der verschiedenen Kulturen und Religionen versucht, das Gefühl der Verbindung des eigenen seelischen Erlebens mit einer göttlichen Präsenz zu beschreiben. Dieses Gefühl jedoch in Worte zu fassen, fiel ihnen vermutlich ähnlich schwer, wie wenn ich Sie dazu auffordern würde, das Gefühl zu beschreiben, wenn Sie sich selbst in einem solchen Zustand der ‚Entrückung‘ befinden.

Der entscheidende Punkt bei all diesen Betrachtungen: Der Mensch ist ein sehr vielschichtiges Wesen, das durch die Benennung und Offenlegung dieser Schichten einen ent­schei­denden Schritt auf dem Weg zur Entfaltung der ihm innewohnenden Möglichkeiten tun kann. Der Weg zur Heilung und Ganzwerdung kann nach meiner Auffassung nur über die Vertiefung, Anwendung und Umsetzung all dieser Bewusstheit erfolgen. Das Kenntlichmachen der verschiedenen Instanzen und Funktionen im Menschen kann dabei als Formsache, als Zwischenschritt verstanden werden. Am Ende ist es vielleicht sogar unbedeutend, wie ich die verschiedenen Instanzen benenne und wie fein zwischen den verschiedenen Seelen- und Geistanteilen unterschieden wird. Das Bewusstsein darüber, dass ich als Mensch mit irdischen Kräften ebenso ausgestattet bin wie mit überirdisch-kosmischen Verbindungsmöglichkeiten, das ist letzten Endes der Casus knaxus, die wesentliche Erkenntnis, die man daraus ziehen kann. Ob es die Seele ist, die uns persönlich und individuell dazu befähigt, uns der großen kosmisch-geistigen Welt näher zu bringen, oder ob es unser persönlicher Geist ist, der den Weg dahin frei macht, ist im Endresultat vielleicht nicht von entscheidender Bedeutung. Aber um den Weg selbst überhaupt erkennen zu können und die ersten Schritte auf ihm zu unternehmen, bedarf es eines wahrnehmbaren Signals vom planetarischen Teil des Menschen hin zu den überirdischen Welten.

Aus der Physik weiß man, dass der Blitz nicht wahl- und ziellos einschlägt, sondern dort, wo er zuvor ein Signal von diesem Platz der Erde erhalten hat, selbst wenn dieses Signal nur Millisekunden zuvor ausgesendet wurde. Auf die Situation des Menschen bezogen, der sich auf der Suche nach seinem Seelenheil befindet, heißt dies: Meine Seele kann den lebensspendenden Nährboden für eine Befruchtung durch höhere geistige Welten bilden und nur im Zusammenwirken dieser beiden Kräfte kann ich zu einer tatsächlichen Heilung gelangen.

Männlicher Geist und weibliche Seele?

Wenn man an diesem Punkt der Nachforschungen über das Wesen der Seele angekommen ist, stößt man auf ein entscheidendes Konzept auf dem Weg zum Seelenverständnis: Die Unterscheidung zwischen der eher weiblichen Natur des Seelischen und der eher männlichen Natur des Geistigen. Anhand einer Vielzahl von Beispielen aus der Geschichte, über die verschiedenen Kulturen und Religionen hinweg, lässt sich dieses Phänomen verfolgen: Von der bildhaften Darstellung der Psyche als Frauengestalt in der griechischen Mythologie und der vom römischen Gelehrten Augustinus getroffenen Unterscheidung zwischen dem Geist- und Vernunftprinzip Animus und der an die Körperlichkeit gebundenen Seele Anima bis zum chinesischen Yin (weiblich-seelisch) -Yang (männlich-geistig) -Prinzip reicht das Spektrum. Dabei taucht immer wieder die Vorstellung von einer weiblich-empfangenden Seele und einem männlich-erzeugenden Geist auf. Auch in der sehr plakativen Darstellung der Befruchtung der beseelten ‚Mutter Erde‘ durch die ‚gottväterlichen‘ geistigen Energien - in der Bibel beispielsweise mit dem Bild der vom Heiligen Geist befruchteten, ansonsten jungfräulichen Maria beschrieben - kann man diese Zuordnung erkennen.

Die Verwendung der Begriffe männlich und weiblich ist hierbei weniger auf das physische Geschlecht als vielmehr auf die damit verbundenen Qualitäten und Eigenschaften bezogen. Schließlich schlummert in jedem menschlichen Lebewesen - unabhängig von der eigenen geschlechtsspezifischen Aus­stattung - die Fähigkeit zur Vielseitigkeit. Jeder Mensch verfügt über weibliche und männliche Anteile, wenn auch in verschiedener Dosierung. Im Hineinversetzen in das Gegen­über - auch und gerade wenn es dem anderen Geschlecht zugehörig ist - liegt nach meiner Auffassung einer der Schlüssel für die eigene seelische und spirituelle Entwicklung. Jedem Menschen wurde die Fähigkeit zur Empathie, das heißt des verstehenden Ein- und Mitfühlens, mitgegeben. Damit besteht zumindest die Möglichkeit, die Welt auch aus einer scheinbar gegensätzlichen Perspektive wahrnehmen zu können. Dies mag in manchen Einzelfällen und im Angesicht der Realität des zwischenmenschlichen Zusammenlebens nicht immer und so klar erkennbar sein, was jedoch nichts am Konzept selbst ändert.

Das Ziel ist es dabei nicht, einen künstlichen Graben zu ziehen zwischen zwei sich scheinbar gegenüberliegenden Prinzipien, sondern eine Verbindung zwischen diesen beiden Polen herzustellen. Gemäß dem schönen Sinnspruch: „Es ist eine der schönsten Künste, Brücken zu bauen, damit die Menschen trockenen Fußes zueinander finden.“ ist es unsere Aufgabe, die nötigen Schritte zu unternehmen, um in uns selbst zwischen der befruchtenden Funktion des Geistes und der empfangenden Funktion der Seele eine Brücke zu bauen. Wir selbst sind es schließlich, die zwischen unseren geistigen, seelischen und körperlichen Bedürfnissen entlang unseres Lebensflusses hin- und herschwanken. Oft genug holen wir uns dabei nicht nur nasse Füße, sondern verlieren manches Mal den Boden unter denselbigen. Daher sind diese Brücken sowohl zwischen unseren weiblichen und männlichen, seelischen und geistigen, empfangenden und abgebenden Anteilen von so großer Wichtigkeit. Wenn uns dies nämlich innerhalb unseres eigenen Kosmos gelingt, haben wir gute Chancen, auch in zwischenmenschlicher und spiritueller Hinsicht in die Nähe und die Verbindung mit anderen kosmischen Energien zu gelangen.

Dieses Prinzip der scheinbaren Gegensätzlichkeit zwischen dem ewig Männlichen und dem ewig Weiblichen hat also eine wesentliche Bedeutung für ein vertieftes Seelenverständnis und wird daher im Mittelpunkt des folgenden Kapitels stehen.

 
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