Utopia

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Als ich eines Tages an seiner Tafel saß, wollte es der Zufall, daß einer von euren Laienjuristen zugegen war. Dieser begann – ich weiß nicht, wie er darauf kam –, eifrig jene strenge Justiz zu loben, die man damals in England Dieben gegenüber übte. Wie er erzählte, wurden allenthalben bisweilen zwanzig an einem Galgen aufgehängt. Da nur sehr wenige der Todesstrafe entgingen, wundere er sich, so meinte er, um so mehr, welch widriges Geschick daran schuld sei, daß sich trotzdem noch überall so viele herumtrieben. Da sagte ich – vor dem Kardinal wagte ich es nämlich, offen meine Meinung zu äußern –: »Da brauchst du dich gar nicht zu wundern; denn diese Bestrafung der Diebe geht über das, was gerecht ist, hinaus und liegt nicht im Interesse des Staates.

Als Sühne für Diebstähle ist die Todesstrafe nämlich zu grausam, und, um vom Stehlen abzuschrecken, ist sie trotzdem unzureichend. Denn einerseits ist einfacher Diebstahl doch kein so schlimmes Verbrechen, daß es mit dem Tode gebüßt werden müßte, anderseits aber gibt es keine so harte Strafe, diejenigen von Räubereien abzuhalten, die kein anderes Gewerbe haben, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Wie mir daher scheint, folgt ihr in dieser Sache – wie ein guter Teil der Menschheit übrigens auch – dem Beispiel der schlechten Lehrer, die ihre Schüler lieber prügeln als belehren. So verhängt man harte und entsetzliche Strafen über Diebe, während man viel eher dafür hätte sorgen sollen, daß sie ihren Unterhalt haben, damit sich niemand der grausigen Notwendigkeit ausgesetzt sieht, erst zu stehlen und dann zu sterben.«

»Dafür ist ja doch zur Genüge gesorgt«, erwiderte er. »Wir haben ja das Handwerk und den Ackerbau. Beides würde sie ernähren, wenn sie nicht aus freien Stücken lieber Gauner sein wollten

»Halt, so entschlüpfst du mir nicht!« antwortete ich. »Zunächst wollen wir nicht von denen reden, die, wie es häufig vorkommt, aus inneren oder auswärtigen Kriegen als Krüppel heimkehren wie vor einer Reihe von Jahren aus der Schlacht gegen die Cornwaller und unlängst aus dem Kriege mit Frankreich. Für den Staat oder für den König opfern sie ihre gesunden Glieder und sind nun zu gebrechlich, um ihren alten Beruf wieder auszuüben, und zu alt, um sich für einen neuen auszubilden. Diese Leute wollen wir also, wie gesagt, beiseite lassen, da es nur von Zeit zu Zeit zu einem Kriege kommt, und betrachten wir nur das, was tagtäglich geschieht!

Da ist zunächst die so große Zahl der Edelleute. Selber müßig, leben sie wie die Drohnen von der Arbeit anderer, nämlich von der der Bauern auf ihren Gütern, die sie bis aufs Blut aussaugen, um ihre persönlichen Einkünfte zu erhöhen. Das ist nämlich die einzige Art von Wirtschaftlichkeit, die jene Menschen kennen; im übrigen sind sie Verschwender, und sollten sie auch bettelarm dadurch werden. Außerdem aber scharen sie einen gewaltigen Schwarm von Tagedieben um sich, die niemals ein Handwerk gelernt haben, mit dem sie sich ihr Brot verdienen könnten. Diese Leute wirft man sofort auf die Straße, sobald der Hausherr stirbt oder sie selbst krank werden; denn lieber füttert man Faulenzer durch als Kranke, und oft ist auch der Erbe gar nicht in der Lage, die väterliche Dienerschaft weiter zu halten. Inzwischen leiden jene Menschen tapfer Hunger oder treiben tapfer Straßenraub. Was sollten sie denn sonst auch tun? Haben nämlich erst einmal ihre Kleider und ihre Gesundheit durch das Herumstrolchen auch nur ein wenig gelitten, so mag sie, die infolge ihrer Krankheit von Schmutz starren und in Lumpen gehüllt sind, kein Edelmann mehr in Dienst nehmen. Aber auch die Bauern getrauen es sich nicht; denn sie wissen ganz genau: einer, der in Nichtstun und genießerischem Leben groß geworden und gewohnt ist, mit Schwert und Schild einherzustolzieren, mit von Eitelkeit umnebelter Miene auf seine gesamte Umgebung herabzublicken und jedermann im Vergleich mit sich zu verachten, eignet sich keineswegs dazu, einem armen Manne mit Hacke und Spaten für geringen Lohn und karge Kost treu zu dienen.«

»Und doch müssen wir gerade diese Menschenklasse ganz besonders hegen und pflegen«, erwiderte der Rechtsgelehrte. »Denn gerade auf diesen Männern, die mehr Mut und Edelsinn besitzen als Handwerker und Landleute, beruht die Kraft und Stärke unseres Heeres, wenn es einmal nötig ist, sich im Felde zu schlagen.«

»In der Tat«, antwortete ich, »ebenso gut könntest du sagen, um des Krieges willen müsse man die Diebe hegen und pflegen; denn an ihnen wird es euch ganz gewiß nie fehlen, solange ihr diese Menschenklasse noch habt. Und gewiß, Räuber sind keine feigen Soldaten und die Soldaten nicht die feigsten unter den Räubern: so gut passen diese Berufe zueinander. Indessen ist diese weitverbreitete Plage keine Eigentümlichkeit eures Volkes; sie ist nämlich fast allen Völkern gemeinsam. Frankreich z. B. sucht eine noch andere, verderblichere Pest heim: das ganze Land ist auch im Frieden – wenn jener Zustand überhaupt Frieden ist – von Söldnern überschwemmt und bedrängt. Sie sind aus demselben Grunde da, der euch bestimmt hat, die faulen Dienstleute hierzulande durchzufüttern, weil nämlich närrische Weise der Ansicht gewesen sind, das Staatswohl erfordere die ständige Bereitschaft einer starken und zuverlässigen Schutztruppe besonders altgedienter Soldaten; denn zu Rekruten hat man kein Vertrauen. Daher müssen sie schon deshalb auf einen Krieg bedacht sein, um geübte Soldaten zur Hand zu haben, und sie müssen sich nach Menschen umsehen, die kostenlos abgeschlachtet werden können, damit nicht, wie Sallust so fein sagt, Hand und Herz durch Untätigkeit zu erschlaffen beginnen.

Wie verderblich es aber ist, derartige Bestien zu füttern, hat nicht bloß Frankreich zu seinem eigenen Schaden erfahren; auch das Beispiel der Römer, Karthager, Syrer und vieler anderer Völker beweist es. Bei diesen allen haben die stehenden Heere bald bei dieser und bald bei jener Gelegenheit nicht bloß die Regierung gestürzt, sondern auch das flache Land und sogar die festen Städte zugrunde gerichtet. Aber wie unnötig ist solch ein stehendes Heer! Das kann man schon daraus ersehen, daß auch die französischen Söldner, die doch durch und durch geübte Soldaten sind, sich nicht rühmen können, im Kampfe mit euren Aufgeboten sehr oft den Sieg davongetragen zu haben. Ich will jetzt nichts weiter sagen; es könnte sonst den Anschein erwecken, als wollte ich euch, die ihr hier zugegen seid, schmeicheln. Aber man kann gar nicht glauben, daß sich eure Handwerker in der Stadt und eure ungeschlachten Bauern auf dem Lande vor dem faulen Troß der Edelleute sehr fürchten außer denjenigen, denen es infolge ihrer körperlichen Schwäche an Kraft und Kühnheit fehlt oder deren Energie durch häusliche Not geschwächt wird. So wenig ist also zu befürchten, daß diese Leute etwa verweichlicht werden könnten, wenn sie für einen nützlichen Lebensberuf ausgebildet und in Männerarbeit geübt werden. Vielmehr erschlaffen jetzt ihre gesunden und kräftigen Körper – die Edelleute geruhen nämlich, nur ausgesuchte Leute zugrunde zu richten – durch Nichtstun, oder sie werden durch fast weibische Beschäftigung verweichlicht. Auf keinen Fall liegt es, will mir scheinen, – wie es sich auch sonst mit dieser Sache verhalten mag – im Interesse des Staates, nur für den Kriegsfall, den ihr doch nur habt, wenn ihr ihn haben wollt, eine unermeßliche Schar von Menschen dieser Sorte durchzufüttern, die den Frieden so gefährden, auf den man doch um so viel mehr bedacht sein sollte als auf den Krieg.

Und doch ist das nicht der einzige Zwang zum Stehlen. Es gibt noch einen anderen, der euch, wie ich meine, in höherem Grade eigentümlich ist.«

»Welcher ist das?« fragte der Kardinal.

»Eure Schafe«, sagte ich. »Sie, die gewöhnlich so zahm und genügsam sind, sollen jetzt so gefräßig und wild geworden sein, daß sie sogar Menschen verschlingen sowie Felder, Häuser und Städte verwüsten und entvölkern. In all den Gegenden eures Reiches nämlich, wo die feinere und deshalb teurere Wolle gewonnen wird, genügen dem Adel und den Edelleuten und sogar bisweilen Äbten, heiligen Männern, die jährlichen Einkünfte und Erträgnisse nicht mehr, die ihre Vorgänger aus ihren Gütern erzielten. Nicht zufrieden damit, daß sie mit ihrem faulen und üppigen Leben der Allgemeinheit nichts nützen, sondern eher schaden, lassen sie kein Ackerland übrig, zäunen alles als Viehweiden ein, reißen die Häuser nieder, zerstören die Städte, lassen nur die Kirchen als Schafställe stehen und, gerade als ob bei euch die Wildgehege und Parkanlagen nicht schon genug Grund und Boden der Nutzbarmachung entzögen, verwandeln diese braven Leute alle bewohnten Plätze und alles sonst irgendwo angebaute Land in Einöden.

Damit also ein einziger Verschwender, unersättlich und eine grausige Pest seines Vaterlandes, einige tausend Morgen zusammenhängenden Ackerlandes mit einem einzigen Zaun umgeben kann, vertreibt man Pächter von Haus und Hof. Entweder umgarnt man sie durch Lug und Trug oder überwältigt sie mit Gewalt; man plündert sie aus oder treibt sie, durch Gewalttätigkeiten bis zur Erschöpfung gequält, zum Verkauf ihrer Habe. So oder so wandern die Unglücklichen aus, Männer und Weiber, Ehemänner und Ehefrauen, Waisen, Witwen, Eltern mit kleinen Kindern oder mit einer Familie, weniger reich an Besitz als an Zahl der Personen, wie ja die Landwirtschaft vieler Hände bedarf. Sie wandern aus, sage ich, aus ihren vertrauten und gewohnten Heimstätten und finden keinen Zufluchtsort. Ihren gesamten Hausrat, der ohnehin keinen großen Erlös bringen würde, auch wenn er auf einen Käufer warten könnte, verkaufen sie um ein Spottgeld, wenn sie ihn sich vom Halse schaffen müssen. Ist dann der geringe Erlös in kurzer Zeit auf der Wanderschaft verbraucht, was bleibt ihnen dann schließlich anderes übrig, als zu stehlen und am Galgen zu hängen – nach Recht und Gesetz natürlich – oder sich herumzutreiben und zu betteln, obgleich sie auch dann als Vagabunden eingesperrt werden, weil sie herumlaufen, ohne zu arbeiten? Und doch will sie niemand als Arbeiter in Dienst nehmen, so eifrig sie sich auch anbieten. Denn mit der Landarbeit, an die sie gewöhnt sind, ist es vorbei, wo nicht gesät wird; genügt doch ein einziger Schaf- oder Rinderhirt als Aufsicht, um von seinen Herden ein Stück Land abweiden zu lassen, zu dessen Bestellung als Saatfeld viele Hände notwendig waren.

 

So kommt es auch, daß an vielen Orten die Lebensmittel wesentlich teurer geworden sind. Ja, auch die Wolle ist so im Preis gestiegen, daß eure weniger bemittelten Tuchmacher sie überhaupt nicht mehr kaufen können und dadurch in der Mehrzahl arbeitslos werden. Nachdem man nämlich die Weideflächen so vergrößert hatte, raffte eine Seuche eine unzählige Menge Schafe hinweg, gleich als ob Gott die Habgier der Besitzer hätte bestrafen wollen mit der Seuche, die er unter ihre Schafe sandte und die – so wäre es gerechter gewesen – die Eigentümer selbst hätte treffen müssen. Mag aber auch die Zahl der Schafe noch so sehr zunehmen, der Preis der Wolle fällt nicht, weil der Handel damit, wenn man ihn auch nicht Monopol nennen darf, da ja nicht bloß einer verkauft, sicher doch ein Oligopol ist. Die Schafe befinden sich nämlich fast sämtlich in den Händen einiger weniger, und zwar eben der reichen Leute, die keine Notwendigkeit dazu drängt, eher zu verkaufen, als es ihnen beliebt, und es beliebt ihnen nicht eher, als bis sie beliebig teuer verkaufen können. Wenn ferner auch die übrigen Viehsorten in gleicher Weise im Preise gestiegen sind, so ist dafür derselbe Grund maßgebend, und zwar hierfür erst recht, weil sich nämlich nach Zerstörung der Bauernhöfe und nach Vernichtung der Landwirtschaft niemand mehr mit der Aufzucht von Jungvieh abgibt. Jene Reichen treiben nämlich nur Schafzucht, ziehen aber kein Rindvieh mehr auf. Sie kaufen vielmehr anderswo Magervieh billig auf, mästen es auf ihren Weiden und verkaufen es dann für viel Geld weiter. Und nur deshalb empfindet man, meine ich, den ganzen Schaden dieses Verfahrens noch nicht in vollem Umfange, weil jene bis jetzt die Preise nur dort hochgetrieben haben, wo sie verkaufen. Schaffen sie aber erst einmal eine Zeitlang das Vieh schneller fort, als es nachwachsen kann, so nimmt dann schließlich auch dort, wo es aufgekauft wird, der Bestand allmählich ab, und es entsteht dann durch starken Mangel notwendigerweise eine Notlage. So hat die ruchlose Habgier einiger weniger das, was das ganz besondere Glück dieser eurer Insel zu sein schien, gerade euer Verderben werden lassen. Denn diese Verteuerung der Lebensmittel ist für einen jeden der Anlaß, soviel Dienerschaft wie möglich zu entlassen: wohin, so frage ich, wenn nicht zur Bettelei oder, wozu man ritterliche Gemüter leichter überreden kann, zur Räuberei?

Was soll man aber dazu sagen, daß sich zu dieser elenden Verarmung und Not noch lästige Verschwendungssucht gesellt? Denn sowohl die Dienerschaft des Adels wie die Handwerker und fast ebenso die Bauern selbst, ja, alle Stände überhaupt, treiben viel übermäßigen Aufwand in Kleidung und zu großen Luxus im Essen. Denke ferner an die Kneipen, Bordelle und an die andere Art von Bordellen, ich meine die Weinschenken und die Bierhäuser, schließlich an die so zahlreichen nichtsnutzigen Spiele, wie Würfelspiel, Karten, Würfelbecher, Ball-, Kugel- und Scheibenspiel! Treibt nicht alles dies seine Anbeter geradeswegs zum Raube auf die Straße, sobald sie ihr Geld vertan haben?

Bekämpft diese verderblichen Seuchen! Trefft die Bestimmung, daß diejenigen, die die Gehöfte und ländlichen Siedlungen zerstört haben, sie wieder aufbauen oder denen abtreten, die zum Wiederaufbau bereit sind und bauen wollen! Schränkt jene üblen Aufkäufe der Reichen und die Freiheit ihres Handels ein, der einem Monopol gleichkommt! Die Zahl derer, die vom Müßiggang leben, soll kleiner werden; der Ackerbau soll wieder aufleben; die Wollspinnerei soll wieder in Gang kommen, damit es eine ehrbare Beschäftigung gibt, durch die jene Schar von Tagedieben einen nutzbringenden Erwerb findet, sie, die die Not bisher zu Dieben gemacht hat oder die jetzt Landstreicher oder müßige Dienstmannen sind und ohne Zweifel dereinst Diebe sein werden! Soviel steht fest: wenn ihr diesen Übelständen nicht abhelft, so mögt ihr euch umsonst eurer Gerechtigkeit bei der Bestrafung von Diebstählen rühmen! Eure Justiz blendet wohl durch den Schein, aber gerecht oder nützlich ist sie nicht. Wenn ihr den Menschen eine klägliche Erziehung zuteil werden und ihren Charakter von zarter Jugend an allmählich verderben laßt, um sie offenbar erst dann zu bestrafen, wenn sie als Erwachsene die Schandtaten begehen, die man von Kindheit an bei ihnen dauernd erwartet hat, was tut ihr da anderes, ich bitte euch, als daß ihr sie erst zu Dieben macht und dann bestraft?«

Schon während ich so sprach, hatte sich jener Rechtsgelehrte zum Reden fertig gemacht und sich entschlossen, jene übliche Methode der Schuldisputanten anzuwenden, die sorgfältiger wiederholen als antworten; in dem Grade macht für sie ihr Gedächtnis einen guten Teil ihres Ruhmes aus. »Was du da sagst, klingt in der Tat recht hübsch«, erwiderte er. »Freilich darf man nicht vergessen, daß du als Fremder über diese Dinge mehr nur etwas hast hören als genau erforschen können, was ich mit wenigen Worten beweisen werde. Und zwar will ich zuerst deine Ausführungen der Reihe nach durchgehen; sodann will ich zeigen, worin du dich infolge von Unkenntnis unserer Verhältnisse getäuscht hast; zum Schluß will ich alle deine Thesen entkräften und widerlegen.

Um also mit dem ersten Teile meines Versprechens zu beginnen, so hast du, wie mir scheint, ...«

»Still!« rief da der Kardinal. »Da du nämlich so anfängst, wirst du, wie mir scheint, nicht mit einigen wenigen Worten nur antworten wollen. Deshalb soll dir für den Augenblick die Mühe zu antworten erspart bleiben. Wir wollen dir jedoch diese Verpflichtung uneingeschränkt für eure nächste Zusammenkunft aufheben, die ich schon morgen stattfinden lassen möchte, falls ihr, du und Raphael, nichts anderes vorhaben solltet. Inzwischen aber hätte ich von dir, mein Raphael, sehr gern gehört, warum du der Ansicht bist, Diebstahl sei nicht mit dem Tode zu bestrafen, und welche andere Strafe du selbst vorschlägst, die mehr dem öffentlichen Interesse entspricht; denn dafür, den Diebstahl einfach zu dulden, bist du doch gewiß auch nicht. Wenn man aber jetzt sogar trotz der Lebensgefahr das Stehlen nicht läßt, welche Gewalt oder welche Befürchtung könnte dann die Verbrecher abschrecken, nachdem ihnen erst einmal ihr Leben gesichert ist? Würden sie es nicht so auffassen, als ob die Milderung der Strafe sie gewissermaßen durch eine Prämie zum Verbrechen geradezu ermuntere?«

»Ich bin durchaus der Ansicht, gütiger Vater«, erwiderte ich, »daß es ganz ungerecht ist, einem Menschen das Leben zu nehmen, weil er Geld gestohlen hat; denn auch sämtliche Glücksgüter können meiner Meinung nach ein Menschenleben nicht aufwiegen. Wollte man nun aber sagen, diese Strafe solle die Rechtsverletzung oder die Übertretung der Gesetze, nicht das gestohlene Geld aufwiegen, müßte man dann nicht erst recht jenes strengste Recht als größtes Unrecht bezeichnen? Denn weder darf man Gesetze nach Art eines Manlius billigen, so daß bei einer Gehorsamsverweigerung auch in den leichtesten Fällen sofort das Schwert zum Todesstreiche gezückt wird, noch so stoische Grundsätze, daß man die Vergehen alle als gleich beurteilt und der Ansicht ist, es sei kein Unterschied, ob einer einen Menschen tötet oder ihm nur Geld raubt, Vergehen, zwischen denen überhaupt keine Ähnlichkeit oder Verwandtschaft besteht, wenn Recht und Billigkeit überhaupt noch etwas gelten. Gott hat es verboten, jemanden zu töten, und wir töten so leichten Herzens um eines gestohlenen Sümmchens willen? Sollte es aber jemand so auffassen wollen, als ob jenes göttliche Gebot die Tötung eines Menschen nur insoweit verbiete, als sie nicht ein menschliches Gesetz gebietet, was steht dann dem im Wege, daß die Menschen auf dieselbe Weise unter sich festsetzen, inwieweit Unzucht zu dulden sei und Ehebruch und Meineid? Gott hat einem jeden die Verfügung nicht nur über ein fremdes, sondern sogar über das eigene Leben genommen; wenn aber menschliches Übereinkommen, sich unter gewissen Voraussetzungen gegenseitig töten zu dürfen, so viel gelten soll, daß es seine dienstbaren Geister von den Bindungen jenes Gebotes befreit und diese dann ohne jede göttliche Strafe Menschen ums Leben bringen dürfen, die Menschensatzung zu töten befiehlt, bleibt dann nicht jenes Gottesgebot nur insoweit in Geltung, als Menschenrecht es erlaubt? Und so wird es in der Tat dahin kommen, daß auf dieselbe Weise die Menschen festsetzen, inwieweit Gottes Gebote beachtet werden sollen! Und schließlich hat sogar das mosaische Gesetz, obwohl erbarmungslos und hart, da es für Sklavenseelen, und zwar für verstockte, erlassen war, den Diebstahl trotzdem nur mit Geld und nicht mit dem Tode bestraft. Wir wollen doch nicht glauben, daß Gott mit dem neuen Gesetz der Gnade, durch das er als Vater seinen Kindern gebietet, uns größere Freiheit gewährt hat, gegeneinander zu wüten!

Das sind die Gründe, die ich gegen die Todesstrafe vorzubringen habe. In welchem Grade aber widersinnig und sogar verderblich für den Staat eine gleichmäßige Bestrafung des Diebes und des Mörders ist, das weiß, meine ich, jeder. Wenn nämlich der Räuber sieht, daß einem, der wegen bloßen Diebstahls verurteilt ist, keine geringere Strafe droht, als wenn der Betreffende außerdem noch des Mordes überführt wird, so veranlaßt ihn schon diese eine Überlegung zur Ermordung desjenigen, den er andernfalls nur beraubt hätte. Denn abgesehen davon, daß für einen, der ertappt wird, die Gefahr nicht größer ist, gewährt ihm der Mord sogar noch größere Sicherheit und mehr Aussicht, daß die Tat unentdeckt bleibt, da ja der, der sie anzeigen könnte, beseitigt ist. Während wir uns also bemühen, den Dieben durch allzu große Strenge Schrecken einzujagen, spornen wir sie dazu an, gute Menschen umzubringen.

Was ferner die übliche Frage nach einer besseren Art der Bestrafung anlangt, so ist diese viel leichter zu finden als eine noch weniger gute. Warum sollten wir denn eigentlich an der Nützlichkeit jener Methode der Bestrafung von Verbrechen zweifeln, die, wie wir wissen, in alten Zeiten so lange den Römern zugesagt hat, die doch so große Erfahrung in der Staatsverwaltung besaßen? Diese pflegten nämlich überführte Schwerverbrecher zur Arbeit in den Steinbrüchen und Bergwerken zu verurteilen, wo sie dauernd Fesseln tragen mußten. Jedoch habe ich in dieser Beziehung auf meinen Reisen bei keinem Volke eine bessere Einrichtung gefunden als in Persien bei den sogenannten Polyleriten, einem ansehnlichen Volke mit einer recht verständigen Verfassung, das dem Perserkönig nur einen jährlichen Tribut zahlt, im übrigen aber unabhängig ist und nach eigenen Gesetzen lebt. Sie wohnen weitab vom Meere, sind fast ganz von Bergen eingeschlossen, begnügen sich in jeder Beziehung durchaus mit den Erträgnissen ihres Landes und pflegen mit anderen Völkern wenig Verkehr. Infolgedessen sind sie auch, einem alten Herkommen ihres Volkes entsprechend, nicht auf Erweiterung ihres Gebietes bedacht. Innerhalb dieses selbst aber bieten ihnen ihre Berge sowie das Geld, das sie dem Eroberer zahlen, mühelos Schutz vor jeder Gewalttat. Völlig frei vom Kriegsdienst, führen sie ein nicht ebenso glänzendes wie bequemes Leben in mehr Glück als Vornehmheit und Berühmtheit, ja nicht einmal dem Namen nach, meine ich, hinreichend bekannt außer in der Nachbarschaft. Wer nun bei den Polyleriten wegen Diebstahls verurteilt wird, gibt das Gestohlene dem Eigentümer zurück, nicht, wie es anderswo Brauch ist, dem Landesherrn, weil dieser nach ihrer Meinung auf das gestohlene Gut ebenso wenig Anspruch hat wie der Dieb selbst. Ist es aber abhanden gekommen, so ersetzt und bezahlt man seinen Wert aus dem Besitz der Diebe, den Rest behalten ihre Frauen und Kinder unverkürzt, und die Diebe selbst verurteilt man zu Zwangsarbeit. Nur wenn schwerer Diebstahl vorliegt, sperrt man sie ins Arbeitshaus, wo sie Fußfesseln tragen müssen; sonst behalten sie ihre Freiheit und verrichten ungefesselt öffentliche Arbeiten. Zeigen sie sich widerspenstig und zu träge, so legt man sie zur Strafe nicht in Fesseln, sondern treibt sie durch Prügel zur Arbeit an; Fleißige dagegen bleiben von Gewalttätigkeiten verschont; nur des Nachts schließt man sie in Schlafräume ein, nachdem man sie durch Namensaufruf kontrolliert hat. Die dauernde Arbeit ist die einzige Unannehmlichkeit in ihrem Leben. Ihre Verpflegung ist nämlich nicht kärglich. Für diejenigen, die öffentliche Arbeiten verrichten, wird sie aus öffentlichen Mitteln bestritten, und zwar in den einzelnen Gegenden auf verschiedene Weise. Hier und da nämlich deckt man den Aufwand für sie aus Almosen; wenn diese Methode auch unsicher ist, so bringt doch bei der mildtätigen Gesinnung jenes Volkes keine andere einen reicheren Ertrag. Anderswo wieder sind gewisse öffentliche Einkünfte für diesen Zweck bestimmt. In manchen Gegenden findet dafür auch eine feste Kopfsteuer Verwendung. Ja, an einigen Orten verrichten die Sträflinge keine Arbeit für die Öffentlichkeit, sondern, wenn ein Privatmann Lohnarbeiter braucht, so mietet er die Arbeitskraft eines beliebigen von ihnen auf dem Markte für den betreffenden Tag und zahlt dafür einen festgesetzten Lohn, nur etwas weniger, als er für freie Lohnarbeit würde zahlen müssen. Außerdem steht ihm das Recht zu, faule Sklaven zu peitschen. Auf diese Weise haben sie niemals Mangel an Arbeit, und außer seinem Lebensunterhalt verdient jeder täglich noch etwas, was er an die Staatskasse abführt. Sie allein sind alle in eine bestimmte Farbe gekleidet und tragen das Haar nicht vollständig geschoren, sondern nur ein Stück über den Ohren verschnitten, und das eine Ohr ist etwas gestutzt. Speise, Trank und Kleidung von seiner Farbe darf sich jeder von seinen Freunden geben lassen; wer dagegen ein Geldgeschenk gibt oder annimmt, wird mit dem Tode bestraft; und nicht weniger gefährlich ist es auch für einen Freien, aus irgendeinem Grunde von einem Sträfling Geld anzunehmen, und ebenso für die Sklaven – so nennt man nämlich die Sträflinge –, Waffen anzurühren. Jede Landschaft macht ihre Sklaven durch ein eigenes, unterscheidendes Zeichen kenntlich, das abzulegen bei Todesstrafe verboten ist. Dieselbe Strafe trifft auch den, der sich außerhalb seines Bezirks sehen läßt oder mit einem Sklaven eines anderen Bezirks ein Wort spricht. Die Planung einer Flucht ist ebenso gefährlich wie ihre Ausführung; schon von einem solchen Plane gewußt zu haben, bedeutet für den Sklaven den Tod und für den Freien Knechtschaft. Dagegen sind auf Anzeigen Preise ausgesetzt, und zwar erhält ein Freier Geld, ein Sklave dagegen die Freiheit; beiden aber gewährt man Verzeihung und Straflosigkeit, auch wenn sie von der Sache gewußt haben. Dadurch will man verhüten, daß es mehr Sicherheit bietet, auf einem schlimmen Plane zu beharren als ihn zu bereuen.

 

So also ist diese Angelegenheit gesetzlich geregelt, wie ich es beschrieben habe. Wie menschlich und zweckmäßig dieses Verfahren ist, kann man leicht einsehen. Übt es doch nur insoweit Strenge aus, als die Verbrechen beseitigt werden; dabei kostet es kein Menschenleben, und die Übeltäter werden so behandelt, daß sie gar nicht anders können, als gut zu sein und den Schaden, den sie vorher angerichtet haben, durch ihr weiteres Leben wieder gutzumachen.

Daß ferner Sträflinge in ihre alte Lebensweise verfallen könnten, ist durchaus nicht zu befürchten. Infolgedessen halten sich auch Fremde, die irgendwohin reisen müssen, unter keiner anderen Führung für sicherer als unter der jener Sklaven, die dann von einer Gegend zur anderen unmittelbar wechseln. Denn sie besitzen nichts, was sie zu einem Raubüberfall reizen könnte: in der Hand haben sie keine Waffe, Geld würde ihre verbrecherische Tat nur verraten, und der Ertappte müßte mit Bestrafung und völliger Aussichtslosigkeit, irgendwohin fliehen zu können, rechnen. Wie sollte es nämlich jemand auch fertig bringen, völlig unbemerkt zu fliehen, wenn sich seine Kleidung in jedem Stück von der seiner Landsleute unterscheidet? Er müßte sich denn gerade nackend entfernen. Ja, auch in dem Falle würde den Ausreißer das Ohr verraten. Aber könnten die Sträflinge nicht vielleicht an eine Verschwörung gegen den Staat denken? Wäre das nicht doch eine Gefahr? Als ob irgendeine Gruppe solch eine Hoffnung hegen dürfte, ehe nicht die Sklaven zahlreicher Landschaften unruhig geworden und aufgewiegelt sind, denen es nicht einmal erlaubt ist zusammenzukommen, miteinander zu sprechen oder sich gegenseitig zu grüßen, die also noch viel weniger eine Verschwörung anzetteln könnten! Sollte man ferner annehmen dürfen, sie würden diesen Plan inzwischen unbesorgt ihren Anhängern anvertrauen, während sie doch wissen, daß Verschweigen gefährlich, Verrat aber höchst vorteilhaft ist? Und dabei hat niemand so gänzlich die Hoffnung aufgegeben, doch irgendwann einmal die Freiheit wieder zu erlangen, wenn er sich gehorsam zeigt und eine Besserung in der Zukunft zuversichtlich erwarten läßt. Wird doch in jedem Jahre ein paar Sklaven zum Lohn für geduldiges Ausharren die Freiheit wieder geschenkt.«

So sprach ich. Als ich dann noch hinzufügte, es liege meiner Meinung nach gar kein Grund vor, dieses Verfahren nicht auch in England anzuwenden, und zwar mit viel größerem Erfolg als jenen Rechtsbrauch, den der Jurist so sehr gelobt hatte, da erwiderte mir dieser sofort: »Niemals ließe sich dieser Brauch in England einführen, ohne daß der Staat dadurch in die größte Gefahr geriete!« Und bei diesen Worten schüttelte er den Kopf, verzog den Mund und schwieg dann, und alle Anwesenden stimmten ihm zu. Da meinte der Kardinal: »Man kann nicht so leicht voraussagen, ob die Sache günstig oder ungünstig ausgeht, solange man sie überhaupt noch nicht erprobt hat. Aber nach Verkündigung eines Todesurteils könnte ja der Landesherr einen Aufschub der Vollstreckung anordnen und unter Einschränkung der Privilegien der Asylstätten dieses neue Verfahren erproben. Sollte es sich durch den Erfolg als zweckmäßig bewähren, so wäre es wohl richtig, es zur dauernden Einrichtung zu machen. Andernfalls könnte man ja die vorher Verurteilten auch dann noch hinrichten, und das wäre von nicht geringem Vorteil für den Staat und nicht ungerechter, als wenn es gleich geschähe, und auch in der Zeit des Aufschubs könnte keine Gefahr daraus erwachsen. Ja, wie mir sicher scheint, würde dieselbe Behandlung auch den Landstreichern gegenüber sehr angebracht sein; denn gegen sie haben wir zwar bis jetzt eine Menge Gesetze erlassen, aber trotzdem noch nichts erreicht.«

Sobald der Kardinal das gesagt hatte – dasselbe, worüber sich alle verächtlich geäußert hatten, als sie es von mir hörten –, wetteiferte jeder, ihm das höchste Lob zu spenden, besonders jedoch seinem Vorschlag in betreff der Landstreicher, weil er den von sich aus hinzugefügt hatte.

Vielleicht wäre es besser, das, was jetzt folgte, gar nicht zu erwähnen – es war nämlich lächerlich –, aber ich will es doch erzählen; denn es war nicht übel und gehörte in gewissem Sinne zu unserer Sache. Es stand zufällig ein Schmarotzer dabei, der offenbar den Narren spielen wollte, sich aber so schlecht verstellte, daß er mehr einem wirklichen Narren glich, indem er mit so faden Äußerungen nach Gelächter haschte, daß man häufiger über seine Person als über seine Worte lachte. Zuweilen jedoch äußerte der Mensch auch etwas, was nicht ganz so albern war, so daß er das Sprichwort bestätigte: »Wer viel würfelt, hat auch einmal Glück.« Da meinte einer von den Tischgenossen, ich hätte mit meiner Rede gut für die Diebe gesorgt und der Kardinal auch noch für die Landstreicher; nun bleibe nur noch übrig, von Staats wegen auch noch die zu versorgen, die durch Krankheit oder Alter in Not geraten und arbeitsunfähig geworden seien. »Laß mich das machen!« rief da der Spaßvogel. »Ich will auch das in Ordnung bringen! Denn es ist mein sehnlicher Wunsch, mich vom Anblick dieser Sorte Menschen irgendwie zu befreien. Mehr als einmal sind sie mir schwer zur Last gefallen, wenn sie mich mit ihrem Klagegeheul um Geld anbettelten. Niemals jedoch konnten sie das schön genug anstimmen, um auch nur einen Pfennig von mir zu erpressen. Es ist bei mir nämlich immer das eine von beiden der Fall: entweder habe ich keine Lust, etwas zu geben, oder ich habe nicht die Möglichkeit dazu, weil ich nichts zu geben habe. Infolgedessen werden die Bettler jetzt allmählich vernünftig. Um sich nämlich nicht unnötig anzustrengen, reden sie mich gar nicht mehr an, wenn sie mich vorübergehen sehen. So wenig erhoffen sie von mir noch etwas, in der Tat nicht mehr, als wenn ich ein Priester wäre. Aber jetzt befehle ich, ein Gesetz zu erlassen, dem zufolge alle jene Bettler ohne Ausnahme auf die Benediktinerklöster verteilt und zu sogenannten Laienbrüdern gemacht werden; die Weiber aber, ordne ich an, sollen Nonnen werden.«

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