Störtebekers Erben

Текст
Автор:
0
Отзывы
Читать фрагмент
Отметить прочитанной
Как читать книгу после покупки
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

Kapitel 10

Es war einfach lächerlich, der Typ wollte wohl einen auf Pferdeflüsterer machen. Finster sah Robert Galinowski dem Mann mit Cowboyhut hinterher, der in einem runden Holzverschlag ein dickes braunes Pferd im Kreis traben ließ. Die Menkendorf hatte ihn dafür eingeteilt, den Ortsvorsteher Kai-Uwe König nochmals zu ihren bisherigen Erkenntnissen zu befragen und mit seiner Hilfe das Beziehungsnetz von Peter Hein auf der Insel zu rekonstruieren.

Seine Freunde hatten neidisch zugehört, als er während ihrer wöchentlichen Skatrunde den Marschbefehl für die Insel in der Nordsee bekam, doch er selbst hätte gerne darauf verzichtet. Dieses ganze Gelaufe ging ihm auf die Nerven, diese Insel war autofrei. Das musste man sich ja einmal vorstellen in unserem Jahrhundert! Bis auf die Müllabfuhr, die Feuerwehr und ein paar Traktoren gab es keine motorisierten Privatfahrzeuge. Den Vorschlag, das Feuerwehrauto zu beschlagnahmen, hatte die von Menkendorf mit empört gespitzten Lippen zurückgewiesen. Das sah der Frau ähnlich.

Zum Glück war das entgegengesetzte Ende der Insel nicht weit entfernt, in einer Stunde hatte man Neuwerk sogar komplett umrundet. Er war aber nicht außen am Deich entlang zu den Häusern im Norden der Insel gegangen, sondern hatte den Mittelweg hinter dem Leuchtturm genommen, einen Plattenweg, der einen öden Blick auf die flache Landschaft ohne Bäume bot. Kühe glotzten ihn blöde aus ihren großen Augen an, dahinter weideten die Pferde, die wohl Königs Kutschen ziehen mussten. Vom Meer sah Galinowski nichts, der Deich im Norden versperrte den Blick auf die Nordsee. Er fragte sich, warum hier jemand seinen Urlaub verbrachte. Er würde sich schnellstmöglich mit der Dienstpistole ins Jenseits befördern, wenn er hierher versetzt würde. König ignorierte ihn noch immer, er räusperte sich schließlich.

»Kriminaloberkommissar Galinowski. Ich ermittle in einem Mordfall, würden Sie sich bitte zur Befragung bequemen?«

Der Cowboy knurrte: »Hab schon mit Chefin gesprochen.« Galinowski kochte innerlich– die Menkendorf, von wegen Chefin. Wenn er wüsste, mit wem die auf der Besetzungscouch gelegen hatte. Die war erst nach ihm in die Mordkommission gekommen und vollkommen unerfahren. Das wäre eigentlich sein Fall. Aber seine Stunde würde kommen, da war er ganz sicher. Gemächlich hatte der Cowboy das Pferd zur Koppel geführt, das Halfter gelöst und war gerade rechtzeitig beiseitegetreten, als das Tier mit großen Sprüngen auf die Wiese stürmte.

»In welchem Verhältnis standen Sie zu dem Toten?« Der Mann würdigte ihn keines Blickes.

»Schulkamerad.«

Knapper ging es nicht, dem musste man tatsächlich jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen.

»Ist ja einen Moment her, oder? Und wie war das Verhältnis heute?« Galinowski folgte dem Mann, der in das Stallgebäude weiterlief und ihn einfach wie Luft behandelte. An einer Box war er stehen geblieben: »Man kann sich auf einer Insel schlecht aus dem Weg gehen.« Na, wenn das kein Ansatzpunkt war.

»Aus dem Weg gehen– gab es Streit?«, fragte Galinowski hoffnungsvoll.

»Nix Streit, drehen Sie mir nicht das Wort im Mund rum, sonst sag ich nichts mehr«, bellte der Cowboy drohend und fragte dann missmutig: »War’s das, ich hab einen Betrieb zu führen.«

Ohne die Antwort abzuwarten, kehrte er Galinowski den Rücken zu und setzte mit finsterem Blick seinen Weg in die Stallgasse fort.

Galinowski war in Rage und beschloss, sich erst mal ein Bierchen im Nachbarlokal zu gönnen, bevor er sich den nächsten redseligen Insulaner vornahm.

Direkt nebenan lag das Restaurant »Seemannsgarn«, das in seinem Reiseführer als besonders empfehlenswert vermerkt wurde. Hier würde doch hoffentlich ein wohlschmeckendes Helles gezapft, und vielleicht hörte er sogar etwas Nützliches von den Gästen. Dann las er seine Notizen durch, war das tatsächlich der Jo Prell?

Er war es, stellte er fest, als sich der Hüne ihm gegenüber an den Tresen stellte.

»Womit kann ich dienen, Herr Hauptkommissar?«

Galinowski schien ein paar Zentimeter zu wachsen und ließ den Irrtum unwidersprochen. Der wusste offenbar, wen er vor sich hatte.

»Sie waren also auch ein Schulkamerad von Hein, Ihr Nachbar auch – alle in einer Klasse?«

Der bekannte Musiker war eindeutig gesprächiger als sein Cowboynachbar. Alle Kinder auf der Insel hatten schon immer gemeinsam die Schulbank gedrückt. Aber damals war die Schulklasse mit 15 Kindern noch deutlich größer, während heute nur eine einzige Schülerin dort lernte.

»Seitdem haben wir uns etwas aus den Augen verloren«, berichtete Prell. »Kein einfacher Mensch«, sagte er über den Toten und sah nachdenklich über den Tresen hinweg.

»Er hat immer einen Konkurrenten in mir gesehen. Denn eigentlich war Peter Hein das große Unterhaltungstalent in der Klasse, er spielte die Hauptrollen bei unseren Weihnachtsstücken und sang in der Schülerband. Damit war es dann leider vorbei mit der künstlerischen Karriere. Am Ende wurde er Alleinunterhalter für Touristen, als er vom Schwiegervater den Laden übernahm. Seine Frau bediente, er machte Konversation und sonnte sich in der Bewunderung seines Publikums.« Er rieb den Daumen an den Zeigefinger. »Das ist natürlich eine Goldgrube, aber eben auch ein Goldener Käfig. Als ich meinen ersten Hit gelandet hatte, der im Radio lief, hat er das richtiggehend übel genommen und kaum noch mit mir geredet.« Prell schüttelte den Kopf, als er an seine Anfänge auf der Bühne zurückdachte.

Kurz danach hatte Prell auch sein Restaurant »Seemannsgarn« eröffnet, doch dies hätte beinahe in der Pleite geendet. »Anfangs hatten wir in unserem Lokal zwei Jahre lang kaum Gäste. Bis zu dem Tag, als mitten in der Saison wirklich alle Lokale voll waren, und eine Familie langjähriger Inselbesucher zögerlich hereinspazierte.«

Damals hatte ihnen das Wasser bis zum Hals gestanden, die Bank begann die Geduld zu verlieren und hatte bereits mit einer Zwangsversteigerung gedroht. »Wir waren so knapp vor dem Untergang«, theatralisch presste er Zeigefinger und Daumen zusammen. Dann war diese Familie gekommen, hatten sich umgesehen und erstaunt festgestellt, dass es im »Seemannsgarn« hübsch und sauber war. Sie waren danach jeden Tag bei ihnen essen, mit immer mehr Freunden und Bekannten. Am Ende seines Urlaubs hatte der Vater dieser Familie zu Prell gesagt: »Wissen Sie, wir haben uns lange gar nicht herein getraut, weil wir beim Kaufmann die Geschichte von den toten Ratten in der Küche gehört hatten.« Er stellte Galinowski ein volles Glas auf den Tresen und schlug dann auf den Tisch.

»Ich fiel damals aus allen Wolken. Solche Lügen hatte mein alter Kumpel verbreitet, und da die Touristen immer zuerst beim Kaufmann landen, haben die einen großen Bogen um das ›Seemannsgarn‹ gemacht. Das hat sich dann aber schlagartig geändert«, erinnerte sich Prell.

Galinowski hatte fleißig mitstenografiert und fragte dann: »Wo waren Sie denn gestern Abend?«

Prell sah ihn ungläubig an: »Junger Mann, diese Ereignisse sind über 20 Jahre her, Sie wollen mich doch wohl nicht verdächtigen?«

Reine Routine, versicherte er, allerdings wäre der Sänger höchst verdächtig, wenn er nicht ausgerechnet an dem Abend bei der Feuerwehr das Rettungsboot repariert hätte. Trotzdem hatte er einen Knüller, dachte er und beeilte sich, um rechtzeitig zur Besprechung mit allen Kollegen im Leuchtturm zu kommen. Prell war vielleicht nicht der Einzige, den Peter Hein verleumdet hatte. Die anderen saßen schon im Ratssaal und waren mit ihren Computern beschäftigt, er war gespannt, wie sie auf seine Entdeckung reagieren würden. Doch in der Sitzung, die die Menkendorf kurz darauf anberaumte, kam er gar nicht mehr zu Wort.

Es war ausgerechnet diese Neue aus dem Osten, Mareike Schmidt, die ihm die Schau stahl. Denn die hatte eine Beschreibung des mutmaßlichen Mörders: »Ein durchtrainierter Typ in schwarzer Windjacke mit einem Pferdeschwanz und ausrasierten Schläfen und Nacken.« Zwei befreundete Paare, die abends am Deich entlang spaziert waren, hatten ihn auf den Friedhof der Namenlosen gehen sehen. Sie hatten ein Fernglas und Kameras dabei, da sie Vogelbeobachtungen machten, und ihn eindeutig identifiziert, als er den beleuchteten Mittelweg entlanggelaufen war. Sie hatte die Vernehmungen aufgenommen und spielte sie ihnen vor. Beide Paare waren sich vollkommen sicher, und sie hatten ihn zudem noch zufällig mit abgelichtet, als sie die dreiarmige Straßenlaterne mit dem Wappen Hamburgs fotografiert hatten, die am Anfang des Mittelwegs stand.

Der Mann, so folgerte die Menkendorf, musste Paul Conelly sein, den hatten sie beim Frühstück gesehen, und die Beschreibung passte sehr genau. Die Zeugen hatten ihn auf einem Handybild zudem erkannt. Er hatte alles abgestritten und dann gar nichts mehr gesagt, aber nach der Durchsuchung seines Zimmers im Leuchtturm waren sie überzeugt, den Richtigen gefunden zu haben. Ihm blieb ein Zweifel, das war einfach zu schnell gegangen. Aber er hatte ja sowieso nichts zu sagen. Und wenn die Menkendorf sich blamierte, konnte das nur gut für ihn sein.

Kapitel 11

Sie hatten ihm tatsächlich Handschellen angelegt. Mit den Händen auf dem Rücken war es mühsam, die ausgetretene Holztreppe am Turm hinabzugehen. Gegenüber dem gepflasterten Platz stand der Hubschrauber startbereit auf der Wiese. Paul hatte den tosenden Fluglärm gehört, als er noch beim Frühstück saß, und sich gefragt, ob es irgendeinen Notfall gab. Dann war alles ganz schnell gegangen.

Die von Menkendorf und ihr etwas kurz geratener Kollege, dessen Namen er vergessen hatte, standen vor ihm und hatten ihm erklärt, dass er festgenommen sei und nach Hamburg überstellt werde. Der Polizist half ihm, in den Hubschrauber einzusteigen, löste seine Handschellen, um ihn anzuschnallen, und fixierte ihn dann am Sitz. Ihm gegenüber nahm die Menkendorf Platz, an seiner Seite deren jüngere Kollegin.

 

Der Hubschrauber stieg senkrecht in die Höhe, bis er sich weit über der grünen Spitze des Turms befand, drehte einen Kreis in Richtung der nördlich gelegenen Vogelinseln Scharhörn und Nigehörn, die unter ihnen gelblich aus dem Wattenmeer ragten. Hunderte von Vögeln waren, von ihrer Ankunft aufgeschreckt, losgeflattert und flüchteten sich in einer beeindruckenden V-Formation in die Ferne. Der Pilot drehte über die grau-silbern glitzernde Landschaft in Richtung Festland ab. Paul sah hinab auf das Meer, das gerade begonnen hatte, sich zurückzuziehen, und die kleine grüne Erhebung mit dem roten Turm. Insel meiner Hoffnung – er lächelte bitter. Wie kurz hatte er vor dem Ziel gestanden, und nun?

Unter anderen Umständen hätte er den komfortablen und schnellen Transport in seine Heimatstadt durchaus geschätzt. Aber mit den Handschellen am Sitz fixiert war ein Helikopterflug nicht wirklich ein Vergnügen. Er sah zur Kommissarin gegenüber, die mit unbewegtem Gesicht in einem Aktenordner las. Die hatte sich in ihn als Verdächtigen Nummer 1 verbissen.

Sie hatte ihn mit nüchternem Magen schon vor dem Frühstück zur ersten Vernehmung gebeten und ihn später verhaftet, nachdem ihn mehrere Menschen durch die Tür hindurch angesehen und heftig genickt hatten. Offenbar hatten die ihn am Todesabend von Hein gesehen, er hatte daher auch nicht länger seine zwei Besuche auf dem Friedhof geleugnet. Sie wollte ihm jedoch nicht glauben, dass er Peter Hein bei seinem zweiten Grabungsversuch an dem Abend dort tot aufgefunden hatte.

Er musste an Störtebeker denken, der vor über 600 Jahren ebenso unfreiwillig die Reise nach Hamburg angetreten hatte. Das war zumindest eine der unzähligen Geschichten, die über den Piraten erzählt wurden. Einer der Überlieferungen zufolge soll der Anführer der Vitalienbrüder im April 1401 bei Helgoland seinen Verfolgern wortwörtlich ins Netz gegangen sein, nachdem ein Verräter flüssiges Blei in die Schiffssteuerung gegossen hatte und die Kogge danach manövrierunfähig war. Die Soldaten der Hanse hatten das Schiff geentert und ein Netz über den gefürchteten Kämpfer geworfen, um ihn so außer Gefecht zu setzen. Nach der Ergreifung hatten sie ihn im Keller des Neuwerker Turms eingesperrt, bevor er seine letzte Reise zur Hinrichtung auf dem Grasbrook in Hamburg antrat.

Wie gut, dass das Mittelalter vorüber war, so musste Paul zumindest nicht mit Ketten an den Füßen herumlaufen. Er fragte sich, ob er die U-Haft auch Margo zu verdanken hatte. Schließlich hatte die Pittbull-Frau sie auch in die Mangel genommen und war nicht gerade zimperlich, diese ehrgeizige Karrieristin. Wollte ihren adligen Namen wohl in Kürze durch den davorstehenden Dienstgrad Hauptkommissarin aufpolieren.

Er dachte wieder an Margo und bedauerte, dass er sich von der Insel entfernen musste. Sie war seine absolute Traumfrau. Er dachte an den tiefgründigen Blick ihrer blauen Augen und ihre seidigen langen Haare, die ihr wie ein glänzender Umhang über den Rücken fielen, an ihre weibliche Figur. Er hatte noch nie solche hageren Emanzen, wie die Kommissarin eine war, gemocht, die sicher ihren Körper durch stundenlanges Training im Fitnessstudio und Marathons stählte. Wie anders war doch Margo, einerseits sehr weiblich, ein Genussmensch mit einer leicht extravaganten Note, wie ihre Kleidung verriet. Gleichzeitig war sie hochintelligent, witzig und schlagfertig, er musste beim Gedanken an seinen nächtlichen Besuch lächeln. Naiv war sie wirklich nicht, und irgendetwas führte sie im Schilde, diese geheimnisvolle erotische Frau.

Und wenn sie ihn verraten hatte, dann würden die Bullen bald mit Heins Karte wedeln, oder? Er hatte ein Gespräch mitgehört, das sie mit der Kommissarin geführt hatte, und sie hatte sich nicht im geringsten die Butter vom Brot nehmen lassen.

Doch wie waren sie sonst auf ihn als ihren Hauptverdächtigen gekommen und hatten die Gegenüberstellung und eine Hausdurchsuchung machen können? Dabei hatten sie das Geld gefunden, das er in seiner grenzenlosen Dämlichkeit mit einer Quittung von Hein in seiner Tasche liegen lassen hatte. Er ärgerte sich über seine eigene Nachlässigkeit.

Natürlich wären 50.000 Euro wohl für den einen oder anderen ein Motiv. Das wäre mehr als sein offizielles Jahreseinkommen. Gebrauchen konnte er dieses Geld natürlich, seine Forschungen und Expeditionen verschlangen Unsummen und er musste immer neue Finanzquellen anzapfen. Doch diese entsetzliche Grausamkeit des Mörders, niemals wäre er dazu in der Lage, auch nicht für den größten Fund seines Lebens.

Unablässig dachte Paul über ein Detail nach. Warum war der Leichnam auf diese Weise zugerichtet und genau dort abgelegt worden? Er dachte an den aufgespießten Kopf und fragte sich, ob sich dahinter eine Botschaft an ihn verbarg. Hatte es etwas mit seiner Suche zu tun, wollte der Täter eine Warnung abgeben oder Mitwisser vernichten? Dann war er selbst in Gefahr.

Kapitel 12

Glücklich schloss Rike die Tür ihres weißen Hauses auf, öffnete die Fensterläden und ließ etwas Luft hinein. Diese duftete noch immer nach Lavendel und Rosen, zumindest diese Pflanzen ihrer geliebten Großmama hatte sie nach deren Tod retten können.

Jetzt lebte sie schon seit 14 Jahren in dem früheren Fischerhäuschen im Treppenviertel von Blankenese. Damals schien ihr Hamburg einfach wie die große weite Welt, und sie war froh, bei der Omama eine Bleibe zu finden, als sie als unerfahrenes Erstsemester vom Lande in die Großstadt kam. Zwölf Jahre hatten sie zusammengelebt, und es waren die glücklichsten Jahre in Rikes Leben. Die Omama hatte ihr beigestanden, als sie sich traute, ihren eigenen Weg zu gehen.

Es war eine schwierige Entscheidung, die sie noch stärker von ihrer Familie in Soltau, einem südlich von Hamburg in der Lüneburger Heide liegenden Städtchen, entfremdet hatte, als sie beschloss, die Juraausbildung an den Nagel zu hängen und sich an der Polizeiakademie zu bewerben.

Eigentlich war sie als Nachfolgerin im Notariat ihres Vaters vorgesehen gewesen. Der hatte sich irgendwann damit abgefunden, dass er »nur zwei Töchter« bekommen hatte, wie er sich ausdrückte, und keinen Stammhalter. Aber dann hatte er sich mit der Idee versöhnt, dass seine Tochter Friederike die Kanzlei und die Rolle als örtliche Honoratiorin übernehmen würde. Rike hatte das Jurastudium gelegen, sie lernte fast mühelos Paragrafen und Fälle, schrieb bei den Klausuren Bestnoten und hatte keinerlei Probleme, ein Referendariat bei Waissmayr, dem berühmtesten Strafverteidiger Hamburgs, zu bekommen. Doch bei der praktischen Arbeit war sie gleichsam vom Glauben abgefallen. Natürlich war es die Pflicht des Verteidigers, all diese Totschläger, Vergewaltiger oder gar Mörder zu vertreten. Aber Rike konnte sich nicht damit abfinden, von Berufs wegen auf der falschen Seite stehen zu müssen. Nach fünf Monaten übergab sie dem völlig perplexen Waissmayr ihre Kündigung, er hatte gedacht, dass sie sich abwerben lassen hatte, und wollte nicht glauben, dass eine so brillante Studentin tatsächlich in die schlecht bezahlte Beamtenlaufbahn bei der Polizei wechseln wollte. Rike hatte auch ihre privaten Gründe für den Wechsel, die sie allerdings geheim halten wollte.

In der Heide, bei ihrer Familie, hatte sie sich erst wieder sehen lassen, als sie schon das erste Jahr an der Polizeiakademie hinter sich hatte. Ihr alter Herr hatte getobt, gebettelt und schließlich angekündigt, sie zu enterben. Ihre Mutter hatte nur vorwurfsvoll geschluchzt. Und ihre Schwester Felicitas schien das Spektakel zu genießen. »Sieh an, die Streberin … bald in blauer Uniform.«

Das war der vorletzte Kontakt, bis sie schließlich auf Omamas Beerdigung wieder mit ihrer Familie zusammentraf. Dass die alte Dame ihr Hamburger Häuschen an Rike vererbt hatte, trug nicht unbedingt zu einer Verbesserung des Verhältnisses bei.

Wie sehr erinnerte sie alles hier an Omama, die ihr noch bei vielen Gelegenheiten fehlte. Aber immer in einem solchen Moment, wenn sie die Traurigkeit und das Gefühl der Einsamkeit überfielen, kam ihr tollpatschiger verspielter Vierbeiner und warf ihr einen unwiderstehlichen Blick zu. Er stupste Rike an und legte ihr bettelnd seine schmutzige Pranke auf den Schoß, um sie zu einer kleinen Tour an den Elbstrand zu überreden. Prinz hatte ein sehr feines Gespür für die Gemütsregungen seines Frauchens. Auch heute sprang er ungeduldig um sie herum und hatte sein neuestes Lieblingsspielzeug, ein halb zerkautes Stoffkrokodil, im Maul, das er überall hin mitschleppte. Hinter dem fröhlich bellenden Hund lief sie die kleine Gasse vor ihrem Haus entlang und stieg dann eine der vielen Treppen, denen das Viertel seinen Namen verdankte, hinab zum Strand. Von unten sah ihr Treppenviertel in Blankenese mit seinen in den Berg hinein gebauten weißen Fischerhäusern fast aus wie ein kleines griechisches Dorf auf einer Mittelmeerinsel. Früher fuhren hier fast alle Männer zur See, die Frauen hielten am Ufer Ausschau und warteten manchmal vergeblich. Aus dem armen volkstümlichen Viertel war mittlerweile eine wohlhabende Wohngegend geworden. Wenn es nicht einen chronischen Mangel an Parkplätzen gäbe, würden wohl noch mehr Porsches und dicke Geländewagen vor den Häusern parken.

Als sie mit Prinz über den Sand entlang der Elbe schlenderte, kehrten Rikes Gedanken zum Fall zurück. Erst hatte es keinerlei Ansatzpunkte gegeben, aber dann hatten sich die Touristen gemeldet, die den Verdächtigen abends zum Friedhof gehen gesehen hatten, und ihn identifiziert. Bei der Hausdurchsuchung am Vortag hatten sie bei ihm 50.000 Euro und eine Quittung von Hein gefunden, die bestätigte, dass er das Geld erhalten hatte. Sie wurden gerade noch auf Fingerabdrücke untersucht. Hoffentlich konnten sie noch DNA-Spuren isolieren, und stimmten diese überein, dann konnten sie die Akte schließen. Auch wenn noch wesentliche Fragen offenblieben. Computer und Handy des Inselkaufmanns fehlten, das Haus war von Einbrechern durchsucht worden, nachdem sie die Siegel angebracht hatten. Sie hatten auch die Frage nicht klären können, was der Historiker von Hein gewollt hatte und weshalb er bereit war, diesem so viel Geld zu bezahlen.

Бесплатный фрагмент закончился. Хотите читать дальше?
Купите 3 книги одновременно и выберите четвёртую в подарок!

Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке:

  1. Нажмите на многоточие
    рядом с книгой
  2. Выберите пункт
    «Добавить в корзину»