Psychologie

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Philosophie als Vorläuferin der Psychologie

Im frühen Griechenland galten Politik und Ökonomie als Lehrgebiete zur Erlangung eines „guten Lebens“, in Verbindung mit vielen praktischen Regeln für das „Haus“ (griech. „oikos“) und für die „Stadt“ (griech. „polis“). Der Naturphilosoph Thales von Milet (625– 547 v. Chr.) kann als erster Philosoph im Sinne der abendländischen Denktradition gelten, da er Naturphänomene nicht mehr mythisch, sondern rational zu erklären versuchte (z.B. Vorhersage der Sonnenfinsternis im Jahre 585 v. Chr.). Er war einer der „Sieben Weisen“, die auch Regeln für eine vernünftige Lebensführung und für die Einschätzung sozialer Situationen entwickelten.

Eine gute Lebensführung wurde in der Antike oft mit seelischer Gesundheit in Verbindung gebracht, wie etwa bei den Pythagoräern, die in klosterähnlichen Gemeinschaften in Süditalien lebten und gemäß der „orphischen Lehre“ den (minderwertigen) Körper als Gefängnis der (höherwertigen) Seele betrachteten. Der Seele wurde potenziell die Teilhabe an einer höheren ideellen, nicht an die aktuelle Lebenswelt gebundenen Wirklichkeit zugeschrieben – vorausgesetzt, sie gelangt zu Ordnung und Harmonie. Um dies zu erreichen, glaubte man im Wesentlichen an vier Bildungswege: 1. Beschäftigung mit Mathematik und Astronomie („Theorie“), 2. Befassung mit Kunst und Musik, 3. Askese (Mäßigkeit im Triebleben) und 4. die Pflege von Freundschaften (gemeinsame Verantwortung, Gemeinschaftseigentum). Je nach Qualität der Lebensführung im Sinne der angegebenen Regeln sollte der Mensch in unterschiedlichem Ausmaß Zugang zum Göttlichen und zur absoluten Harmonie erreichen, mit der Chance auf eine (hochwertige) Wiedergeburt (Capelle, 1953, zit. nach Schönpflug, 2000).

In weiterer Folge kam es im antiken Griechenland zu einer philosophischen Blüte, in der bereits viele Erkenntnisse seelischer Prozesse (z.B. Logik, Ethik) und etliche wissenschaftliche Grundfragen (z.B. nach dem „Erkenntnisursprung“ und der „Erkenntnisgültigkeit“) vorweggenommen wurden. Die in psychologischer Hinsicht bedeutendsten Philosophen des Altertums waren Sokrates, Platon und Aristoteles, von denen bis in die Neuzeit wichtige Denkanregungen für die Analyse geistiger und emotionaler Prozesse ausgingen.

Jahrhunderte später haben unter religiösem Vorzeichen Augustinus und Thomas von Aquin die antike Philosophietradition weitergeführt, allerdings mit jeweils unterschiedlichem Ausgangspunkt im neoplatonistischen bzw. neoaristotelischen Ansatz. Für den ursprünglich in Rhetorik geschulten, skeptizistisch eingestellten Augustinus war nach seiner christlichen Bekehrung die innere Erfahrung die letzte Gewissheit, während Thomas von Aquin – etwa 900 Jahre später – als wahrscheinlich bedeutendster Kirchenlehrer („doctor ecclesiae“) stärker empiristisch und rationalistisch (intellektuell) orientiert war.

Die Neuzeit ist im Wesentlichen durch die Gegensätzlichkeit zwischen rationalistischer und empiristischer Erkenntnisorientierung geprägt, wobei Rene Descartes und Christian Wolff der ersteren und David Hume der zweiten Richtung zuzuordnen sind. Kant hat mit seiner Vermittlungsposition eine „kopernikanische Wende“ in der Erkenntnistheorie eingeleitet, indem er nicht nur das, was erkannt werden soll, zu analysieren vorschlägt, sondern auch die Anschauungs- und Denkformen als die Voraussetzungen für Erkenntnisse. Der Verstand könne nichts begreifen, was nicht bereits zuvor in der sinnlichen Erfahrung gegeben gewesen sei. Doch die Sinne allein könnten ohne Verstand ebenfalls keine Erkenntnisse liefern.

Die Phase vor der Institutionalisierung der Psychologie in den Labors und an den Universitäten war durch die allgemeine Begeisterung der Wissenschaftler für die Fortschritte der Naturwissenschaften charakterisiert.

Merksatz

Seit etwa 2500 Jahren erfährt die Seele in der abendländischen Kultur eine religiöse Interpretation und wurde zunehmend auch als Gegenstand der philosophischen und wissenschaftlichen Analyse gesehen.

Die Mathematik als Grundlagendisziplin naturwissenschaftlicher Fächer wurde immer stärker auch für die empirisch-wissenschaftliche Aufklärung psychischer Prozesse eingefordert, was sich klar in Herbarts und Fechners Lehrbüchern manifestiert. Ebenso bedeutend war in dieser Zeit der Aufschwung der Physiologie und der Medizin, sodass auch von dort wichtige Beiträge für eine Neukonzeption der bisher philosophisch dominierten Psychologie kamen. Wesentlich war schließlich Darwins „Evolutionstheorie“ als denkrevolutionärer Ansatz zur Erklärung der Menschheitsentwicklung, welche bis zu diesem Zeitpunkt nur religiös begründet werden konnte („Schöpfungsgeschichte“). Der bei Wissenschaftlern vor dem 19. Jahrhundert noch stark verbreitete Widerstand, die Entstehung des Menschen und seine seelische Existenz (in Widerspruch zur Kirche) unabhängig von religiösen Glaubenspostulaten zu diskutieren („Gottesbeweise“), wurde mit Darwin zunehmend aufgebrochen.


1.4 |Die Entwicklung der akademischen Psychologie

Dem Enthusiasmus über die neue Idee einer naturwissenschaftlichen Aufklärung psychischer Strukturen und Abläufe (Helmholtz, Fechner, Wundt) folgten Gegenreaktionen sowohl von geisteswissenschaftlicher Seite (z.B. Dilthey) als auch im Sinne einer stärkeren Betonung des dynamischen und intentionalen Charakters psychischer Prozesse (z.B. James, Freud).

Der wissenschaftliche Aufbruch der Psychologie hatte in den USA und in Europa die Gründung von psychologischen Zeitschriften (z.B. „American Journal of Psychology“, 1887; „Zeitschrift für Psychologie“, 1890), von psychologischen Vereinigungen („American Psychological Association“, 1892; „Gesellschaft für Experimentelle Psychologie“, 1904) und von mehr als 40 Forschungs- und Lehreinrichtungen (Laboratorien, Institute, Seminare) zur Folge (Schönpflug, 2000).

Die frühen Dekaden des 20. Jahrhunderts (Box 1.6) waren durch gegensätzliche Forschungsansätze gekennzeichnet (Experimentalpsychologie, Psychoanalyse, Gestaltpsychologie, Behaviorismus), deren Vertreter sich in den 1920er- und 1930er-Jahren heftige Streitigkeiten lieferten. Dieser Wettbewerb verschiedener theoretischer Richtungen wurde von Karl Bühler (1927) in Wien als „Aufbaukrise“ interpretiert, der er sein methodenpluralistisches Integrationskonzept entgegensetzte. Psychologische Forschung sollte sowohl kontrollierte Selbstbeobachtung, systematische Verhaltensbeobachtung als auch die hermeneutische Interpretation einbeziehen (Benetka & Guttmann, 2001, 129–131). In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg (Box 1.7) setzte sich auch im deutschsprachigen Raum der angloamerikanische Trend zu einer naturwissenschaftlich orientierten, empirisch-statistischen Psychologie weiter fort (Haggbloom et al., 2002), welcher sich bis heute an den meisten europäischen, amerikanischen und asiatischen Universitätsinstituten erhalten hat.

Erste Hälfte des 20. Jahrhunderts | Box 1.6

ŸŸ• Freud, Sigmund (1856–1939): „Traumdeutung“ (1900), Aufzeigen des Einflusses psychodynamischer Vorgänge (unbewusste Triebe, Konflikte) auf das menschliche Verhalten und psychische Störungen („Neurosen“), Begründung der Psychoanalyse

ŸŸ• Watson, John (1878–1958): „Psychology as a behaviorist views it“ (1913), Ablehnung von Introspektion und allen damit verbundenen Begriffen (Bewusstsein, Wahrnehmung, Vorstellung, Wille etc.), ausschließliche Konzentration auf objektiv fassbare Reize und Verhaltensweisen sowie auf deren Zusammenhangsbeschreibung

ŸŸ• Stern, William (1871–1938): „Psychologie der frühen Kindheit“ (Stern & Pawlik, 1911/1994), Entwicklung der Grundidee einer Messung von Intelligenz (IQ, Anfänge der Differentiellen Psychologie)

ŸŸ• Bühler, Karl (1879–1963): „Die Krise der Psychologie“ (1927), Interpretation des Widerstreites der Schulen als „Aufbaukrise“ und Vorschlag eines Methodenpluralismus in der Psychologie: 1. Beobachtung (Verhalten) – 2. Introspektion (Erleben) – 3. Interpretation (Deutung von Texten)

ŸŸ• Skinner, Borrhus (1904–1990): Seit Anfang der Dreißigerjahre grundlegende Publikationen über (operante) Konditionierung (Verstärkung, Löschung, Shaping), Begründer der Verhaltenstherapie und Verfechter eines konsequenten Einsatzes von Lerntheorien in der Pädagogik

ŸŸ• Maslow, Abraham (1908–1970): „A theory of human motivation“ (1943), Motivationstheorie mit Bezügen zum Funktionalismus, zur Gestaltpsychologie und zur Tiefenpsychologie; Interpretation des Menschen als zielstrebiges Wesen, das sich an einer Hierarchie von Bedürfnissen orientiert

ŸŸ• Rohracher, Hubert (1903–1973): „Einführung in die Psychologie“ (1946), Betonung des Experiments als psychologisch-wissenschaftliche Methode, Rückführung psychischer Prozesse auf spezifische neuronale „Erregungskonstellationen“ im Gehirn

Box 1.7 | Zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts

ŸŸ• Rogers, Carl (1902–1987): „Client-centered Therapy“ (1951), Betonung der Einzigartigkeit, Autonomie und Eigenverantwortlichkeit des Menschen, humanistische Gegenposition zu Behaviorismus und Psychoanalyse

ŸŸ• Lorenz, Konrad (1903–1989): „Das sogenannte Böse“ (1963), Interpretation auch der menschlichen Psyche als Produkt ihrer umweltbezogenen Anpassungsleistungen im evolutionären Entwicklungsprozess

ŸŸ• Holzkamp, Klaus (1927–1995): „Kritische Psychologie“ (1972), neomarxistisch fundierte psychologische Forschung und Praxis; Hauptkritik: Die „bürgerliche“ Psychologie betrachte das Individuum abgelöst von seinen gesellschaftlichen Bedingungen und ignoriere die bestehenden, bewusstseinsbestimmenden „Produktions- und Herrschaftsinteressen“

ŸŸ• Lindsay, Peter H. & Norman, Donald A.: „Human Information Processing. An Introduction to Psychology “ (1977), konsistente Darstellung von Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Vorstellung, Lernen, Denken und Handeln als Ergebnisse neuronaler bzw. psychischer Informationsverarbeitung

 

ŸŸ• Anderson, John R.: „Cognitive Psychology and its Implications“ (1980), Gesamtdarstellung einer kognitionswissenschaftlichen Sicht psychologischer Prozesse (ACT-Modell als Prototyp eines Gesamtmodells; s. 3.7.8)

ŸŸ• Rumelhart, David E. & McClelland, James L.: „Parallel Distributed Processing: Explorations in the Microstructure of Cognition“ (1986), Hinweis auf simultane Verarbeitungsprozesse im Zentralnervensystem, Annahme überwiegend autonom arbeitender psychischer Module

Etwa ab 1960 löste dabei der Kognitivismus („Kognitive Wende“) den vor allem in den USA dominierenden Behaviorismus ab. Das Verhalten des Menschen wird nun nicht mehr durch einfache „ReizReaktions-Modelle“ erklärt, sondern durch komplexe, hierarchische Regulationsprozesse eines kognitiven Systems, dem psychische Funktionen zugeschrieben werden (Interpretation, Klassifikation, Lernen, Denken, Urteilen etc.). Die Zeit zwischen 1960 und 1970 war durch den sogenannten „Methodenstreit“ unter deutschsprachigen Psychologen gekennzeichnet, bei dem Erich Mittenecker, Peter Hofstätter, Gustav Lienert und Kurt Pawlik erfolgreich für die Anwendung eines statistischen Methodenkanons in der Psychologie eintraten, wie er durch die amerikanische Psychologie bereits vorgezeichnet war. Ab dieser Zeit kam es an deutschsprachigen Universitäten zu Zuwachsraten an Studenten im Ausmaß von 800- bis 1000 Prozent – übrigens meist ohne entsprechende Aufstockung des wissenschaftlichen Personals (s. auch Benetka, Benetka & Guttmann, 2001).

Wissenschaftliche Paradigmen sind normative disziplinspezifische Grundüberzeugungen über wissenschaftliche Praktiken, Methoden und Theorien.

Neben dem vorherrschenden wissenschaftlichen Paradigma in der psychologischen Lehre behaupten sich – zumindest in praxisorientierten, pädagogischen und therapeutischen Nischen – auch einige mit dem „Mainstream“ konkurrierende Strömungen der Psychologie, wie etwa die Psychoanalyse, die Humanistische Psychologie, die geisteswissenschaftliche und die Kritische Psychologie. Da sich Englisch weltweit als Wissenschaftssprache durchsetzt, steigt zudem auch innerhalb des Fachs Psychologie die Berücksichtigung und Bedeutungseinschätzung englischer und amerikanischer Veröffentlichungen.

Merksatz

Die Entwicklung der akademischen Psychologie begann vor etwa 150 Jahren und erfuhr in den letzten Jahrzehnten eine rasante Ausweitung in Forschung und Praxis.

Welche Bedeutung bestimmte Psychologinnen und Psychologen im 20. Jahrhundert auf die Entwicklung der modernen Psychologie hatten, lässt sich heute kaum objektiv abschätzen. Ein oft kritisierter Ansatz liegt darin, die Qualifikation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf Basis der Frequenz abzuschätzen, mit der sie in Fachpublikationen zitiert werden („Science Citation Index“). In einer amerikanischen Studie (Haggbloom et al., 2002) wurde der Versuch unternommen, die bekanntesten, einflussreichsten und anerkanntesten Psychologinnen und Psychologen des 20. Jahrhunderts so zu bestimmen, dass man verschiedene Kennwerte zusammenrechnete: die Häufigkeit der Zitate in Fachjournalen sowie in Einführungswerken, die von der Person geprägten Fachausdrücke („Eponyme“), die Anzahl von Ehrungen und das Ergebnis von Meinungsbefragungen unter amerikanischen Fachpsychologinnen und -psychologen. Auf die ersten fünf Plätze kamen dabei Burrhus Skinner, Jean Piaget, Sigmund Freud, Albert Bandura und Leon Festinger.

Zusammenfassung

Fast jeder Mensch bildet sich im Laufe seines Lebens gewisse psychologische Meinungen und Überzeugungen, oft in der Art von „Lebensweisheiten“ oder des subjektiven Gefühls von „Menschenkenntnis“. Diese als Trivialpsychologie bezeichneten Einstellungen stehen aber nicht selten in Widerspruch zu wissenschaftlichen Ergebnissen. Hinzu kommt das Bedürfnis des Menschen, in Fragen der Lebens- und Menscheneinschätzung recht zu behalten.

Für die Entwicklung von Seelenvorstellungen und religiösen Ideologien kann eine Reihe möglicher Gründe angeführt werden: 1. Durch eine Anthropomorphisierung der Welt, in welcher Götter, Dämonen und Geister mit menschlichen Zügen existieren, wird diese leichter verstehbar und vermeintlich besser beeinflussbar. 2. Die Furcht vor dem Tod wird durch die Annahme einer unsterblichen Seele, des Weiterlebens im Jenseits oder die Vorstellung von einer Seelenwanderung gemindert. 3. Religiöse Vorstellungen fördern das Vertrauen in eine gerechte Welt und eine faire Lebensordnung, in der gute und schlechte Taten über ein Totengericht im Paradies oder Nirwana abgegolten werden. 4. Religionen haben zumeist auch eine gesellschaftliche und soziale Ordnungsfunktion (Stärkung sozialer Verbundenheit, Machtsicherung). 5. Subjektiver Lebenssinn wird erlangt durch das „Bündnis“ mit (einem) höheren idealen Wesen. 6. Die Annahme einer Körper-Seele-Dichotomie liefert einfache Erklärungen für außergewöhnliche Erfahrungen (durch Träume, Fieberdelirien, Ekstase, Drogenerfahrungen, Schädelverletzungen). 7. Frühe gehirnorganische Entwicklungen könnten das Hören von Stimmen begünstigt haben („Bicameral Mind“). 8. Durch die Evolution hat sich möglicherweise eine genetische Disposition für Gottesglaube und Religiosität herausgebildet.

In der griechischen Philosophie vollzogen sich die ersten Schritte von einer spekulativen, mythischen und religiösen Auffassung der Seele in Richtung einer rationalistischen und empiristischen Betrachtungsweise. Vor allem aber die Philosophen der Neuzeit (z.B. Hume, Descartes, Kant) mit ihren verschiedenen Erklärungskonzepten für menschliche Erkenntnisgewinnung können als Wegbereiter einer wissenschaftlichen Analyse der Seele und des Bewusstseins gelten. Im vorletzten Jahrhundert schließlich, im Zuge des allgemeinen Fortschritts der Naturwissenschaften, entstanden in Europa und in Amerika die ersten psychologischen Labors und Institute. In den letzten hundert Jahren fand die empirische Psychologie als akademische Disziplin weltweit Eingang in die universitäre Forschung und Lehre und befindet sich derzeit in einem explosiven Wachstum, sowohl was die Studierendenzahlen als auch was die psychologischen Tätigkeitsfelder betrifft.

Fragen

1. Wodurch unterscheidet sich „Volkspsychologie“ bzw. „Laienpsychologie“ von „Populärpsychologie“?

2. Wie verlässlich ist der „gesunde Menschenverstand“?

3. Weshalb müssen auch plausible und trivial erscheinende Phänomene des Alltags wissenschaftlich untersucht werden?

4. Welche Bedeutung hat Psychologie für alltägliche Lebenssituationen?

5. Welche Erklärungsansätze kommen für die Entstehung von Religiosität und Seelenvorstellungen infrage?

6. Was versteht man unter dem „Rückschaufehler“?

7. Von welchen Annahmen geht das Konzept des „Bicameral Mind“ aus?

8. Welche gegensätzlichen Strömungen zur Aufklärung seelischer Prozesse kennzeichneten die Neuzeit?

9. Welche Wissenschaftsentwicklungen im 19. Jahrhundert förderten die Entstehung einer akademischen psychologischen Disziplin?

Literatur

Allesch, C. G. (2004). Geschichte und Systeme der Psychologie. Salzburg

Benetka, G. (2002). Denkstile der Gegenwart. Wien

Benetka, G. (2016). „Ich werde Naturforscher“. Giselher Guttmann im Gespräch mit Gerhard Benetka über sich und die akademische Psychologie in Österreich 1955- bis heute. Wien

Fernuniversität Hagen (2007). Interessante Links zur Psychologiegeschichte. http://psychologie.fernuni-hagen.de/PGFA/ (15.3.2016)

Hinterhuber, H. (2001). Die Seele. Natur- und Kulturgeschichte von Psyche, Geist und Bewusstsein. Wien

Lück, H. E. (2009). Geschichte der Psychologie. Strömungen, Schulen, Entwicklungen. Stuttgart

Lück, H. E., Grünwald, H., Geuter, U., Miller, R. & Rechtien, W. (1987). Sozialgeschichte der Psychologie. Eine Einführung. Opladen Schönpflug, W. (2013). Geschichte und Systematik der Psychologie. Ein Lehrbuch für das Grundstudium. Weinheim

Definition, Ziele und Positionen der Psychologie | 2

Inhalt

2.1 Definitionen von Psychologie

2.2 Allgemeine Zielsetzungen wissenschaftlicher Psychologie

Beschreiben

Erklären

Vorhersagen

Verändern

2.3 Kontroversielle Grundannahmen der Psychologie

Leib – Seele

Anlage – Umwelt

Vergangenheit – Gegenwart

Freier Wille – Determiniertheit

Bewusst – unbewusst

Allgemeingültigkeit – Einzigartigkeit

Wertfreiheit – Wertbekenntnis

Objektivität – Subjektivität

Zergliederung – Ganzheitlichkeit

Statik – Dynamik

Quantitativ – qualitativ

2.4 Gegenwärtige Forschungsorientierungen der Psychologie


Definitionen von Psychologie| 2.1

Das Wort Psychologie bedeutet, wie erwähnt, „Seelenkunde“ oder „Seelenlehre“ (griech. „psyche“: Hauch, Leben, Seele; griech. „logos“: Wort, Begriff). Die Auffassungen darüber, was unter Seele verstanden wird, unterscheiden sich jedoch ziemlich. Nachfolgend sollen einige innerhalb des Wissenschaftsfaches Psychologie verbreitete Definitionen und Umschreibungen für „Psychologie“ präsentiert werden.

„Die Psychologie ist eine empirische Wissenschaft. [...] Ihr Gegenstand ist das (zumeist menschliche) Erleben und Verhalten, ihr Ziel ist es, allgemeingültige Aussagen über diesen Gegenstand zu machen – ihn zu beschreiben, beobachtbare Regelmäßigkeiten und Zusammenhänge aufzudecken, diese zu erklären, und womöglich Vorhersagen zu machen“ (Hofstätter & Wendt, 1974, 1). In ähnlicher Weise versteht Traxel (1974, 15) die Psychologie als Erfahrungswissenschaft, die als ein „System methodisch gewonnener Aussagen über einen bestimmten Gegenstand“ zu definieren ist.

Merksatz

Psychologie untersucht die Zustände und Veränderungen des Verhaltens, des Erlebens und des Bewusstseins.

Als zentral für die Definition von Psychologie wird oft die Angabe des Forschungsgegenstands angesehen, mit dem sich das Fach zu beschäftigen hat. Bourne und Ekstrand (1992, 2) formulieren: „Die Psychologie ist die wissenschaftliche Erforschung von Verhalten.“ Bei dieser breiten Definition könnte das Missverständnis entstehen, es sei nur das „äußere“ (beobachtbare) Verhalten gemeint. In Rohrachers international viel beachtetem Werk „Einführung in die Psychologie“ gelten dagegen die bewussten Prozesse mit ihren Auslösern und Effekten als Hauptcharakteristikum des Forschungsfelds der Psychologie: „Psychologie ist die Wissenschaft, welche die bewußten Vorgänge und Zustände sowie ihre Ursachen und Wirkungen untersucht“ (Rohracher, 1965, 7). Hier werden die zahlreichen unbewussten, automatisch ablaufenden psychischen Vorgänge noch vernachlässigt, zumindest aber ergibt sich eine Abgrenzung zu anderen Humanwissenschaften.

Zimbardo und Gerrig (1999, 2) definieren: „Gegenstand der Psychologie sind Verhalten, Erleben und Bewusstsein des Menschen, deren Entwicklung über die Lebensspanne und deren innere (im Individuum angesiedelte) und äußere (in der Umwelt lokalisierte) Bedingungen und Ursachen.“ Diese Definition ist bereits spezifischer. Die Bedeutung „innerer“ (introspektiver) Prozesse für die psychologische Forschung – der europäischen Tradition entsprechend – wird ebenso angesprochen wie der Aspekt des „Interaktionismus“ mit Einflüssen seitens der Umwelt.

Regulation ist eine Steuerung, welche die Stabilität eines dynamischen Systems aufrechterhält.

Mandler (1979, 32) dagegen formuliert: Psyche ist ein komplexes, einem Individuum zugeschriebenes Informationsverarbeitungssystem, „das Input verarbeitet (einschließlich dem Input aus seinen eigenen Handlungen und Erfahrungen) und Output an die verschiedenen Subsysteme und die Außenwelt abgibt.“ In dieser Umschreibung des Forschungsfeldes der Psychologie wird Mandler sowohl den unbewussten als auch den bewussten Prozessen gerecht, indem er die Psyche als komplexes Regulationssystem definiert, innerhalb dessen dem Bewusstsein nur eine „Lupenfunktion“ zukommt (s. unten).

Merksatz

Psychologie ist eine Erfahrungswissenschaft, die in möglichst erschöpfender Breite und mit möglichst großer Realitätsnähe die Psyche bzw. ihre „Produkte“ erforscht, nämlich das Verhalten, Erleben und Bewusstsein von Lebewesen.

 

Interdisziplinarität ist die Zusammenarbeit verschiedener Wissenschaftsdisziplinen zur Lösung eines Problems. Transdisziplinarität erfordert den Einbezug von Praktikerinnen und Praktikern in den wissenschaftlichen Diskurs.

Dörner und Selg (1996, 20) definieren im Sinne der Kybernetik: Psychologie ist die „Wissenschaft von den offenen oder variablen Regulationen“ (Bischof, 2016). Als „offen“ werden Regulationen dann bezeichnet, wenn sie „nicht genau durch genetische Vorprogrammierungen“ festgelegt sind (Dörner & Selg, 1996, 20). Gemeint sind kybernetische Regelsysteme, die sich plastisch entwickeln können (z.B. Lern- und Denkvorgänge) und nicht genetisch fixiert sind (z.B. Reflexe oder Erbkoordinationen). Dass die Unterscheidung zwischen variablen und stabilen Regulationen auf empirischer Basis – zumindest bis heute – noch äußerst schwerfällt, erschwert allerdings die Anwendung dieser Definition.

Dörner und Selg (1996, 24) formulieren weiter: „Gegenstand der Psychologie kann alles werden, was erlebbar ist und / oder sich im Verhalten äußert [...]“. Übereinstimmend mit einigen vorigen Definitionen werden hier introspektives Erleben und beobachtbares Verhalten als gleichwertige Datenquellen der Psychologie verstanden. Vorteilhaft an dieser breiten, aber pragmatischen Definition erscheint außerdem ihre Orientierung in Richtung Interdisziplinarität - und Transdisziplinarität, ohne die eine erschöpfende und realitätsnahe Erklärung psychischer Phänomene kaum möglich ist.


Allgemeine Zielsetzungen wissenschaftlicher Psychologie| 2.2

In verbreiteten Einführungswerken der Psychologie (vgl. etwa Bourne & Ekstrand, 2005; Gerrig & Zimbardo, 2008; Ulich, 2000) finden sich – gut vergleichbar mit anderen empirischen Sozial- und Humanwissenschaften (wie etwa der Soziologie, der Ökonomie oder der Medizin) – vier Hauptziele für die Wissenschaftsdisziplin Psychologie:

Box 2.1 | Häufige Artefakte bei Befragungen

ŸŸ• Unklarheiten in der Formulierung von Fragen (z.B. Mehrdeutigkeit, zu komplizierte Sätze)

ŸŸ• Fehlinterpretationen von Anweisungen („Instruktionen“)

ŸŸ• Sequenzeffekte (Ermüdung, „Trainingseffekte“)

ŸŸ• Hawthorne-Effekt (sich beobachtet oder analysiert zu fühlen, erhöht zumeist die Leistungsbereitschaft)

ŸŸ• Mangelnde Bereitschaft zur Selbstenthüllung (bei privaten Inhalten)

ŸŸ• Motive zur Selbstdarstellung, Effekt der sozialen Erwünschtheit (bei Interviewpartnerinnen und -partnern einer Befragung einen bestimmten Eindruck zu hinterlassen, sich nicht zu blamieren etc.)

ŸŸ• Befürchtung negativer Konsequenzen (Zweifel an anonymer Verarbeitung der Daten)

ŸŸ• Sponsorship-Bias (Vermutungen über die Absichten der Auftraggeberinnen und -geber von Befragungen)

ŸŸ• Kontext-Effekte (z.B. Einfluss von Stimmungen)

ŸŸ• Urteilsheuristiken (pragmatische, zeitsparende und oft unlogische Art der Schlussfolgerungen)

ŸŸ• Anwesenheitseffekte (Beeinflussung des Antwortverhaltens durch anwesende Personen)

In Anlehnung an Bortz & Döring (1995)


2.2.1 |Beschreiben

Merksatz

Die Beschreibung von Forschungsphänomenen in der Psychologie (Datenerhebung) geschieht hauptsächlich über Selbst- und Fremdbeobachtung, Befragung, Messung, Experiment, Test, Textanalyse, Inhaltsanalyse, Skalierung, Simulation oder Fallstudien, wobei einer verfälschungsfreien Erfassung der Daten besondere Beachtung geschenkt wird (Gütekriterien).

Darunter versteht man das (möglichst) präzise, systematische und theoriegeleitete Erfassen von Informationen (Daten) über die zu untersuchenden psychischen Phänomene. Häufig verwendete Erhebungsverfahren sind Selbst- und Fremdbeobachtungen, Befragungen (Interviews), Experimente, Tests, nichtreaktive Verfahren (z.B. Archive, Abnützungsgrad von Böden oder Gebrauchsgegenständen), Textanalysen (z.B. Tagebücher), Inhaltsanalysen (Häufigkeit und Bedeutung verwendeter Begriffe), Skalierungen (Semantisches Differential bzw. Polaritätsprofil), Simulationen (z.B. Computermodelle, Szenarien), hirnelektrische Ableitungen (z.B. EEG), Messungen (z.B. Reaktionszeiten) oder Labordaten (z.B. blutchemische Werte). Die Auswahl der Beschreibungsmittel von psychologischen Phänomenen richtet sich primär nach der wissenschaftlichen Grundorientierung der forschenden Person, nach der Art des Phänomens, und bei quantitativen Daten auch nach deren statistischer Verwertbarkeit.

Als Objektivitätsproblem bezeichnet man die Schwierigkeit, Daten unverfälscht zu erfassen (Box 2.1). Bei diagnostischen Verfahren zur Beschreibung von Störungsbildern oder Personenmerkmalen werden hohe Gütekriterien gefordert, die sinngemäß für alle psychologischen Datenerhebungen gelten (s. 3.6):

1. Objektivität: Sie ist umso größer, je ähnlicher die Daten bei unterschiedlichen datenerhebenden Personen sind.

2. Reliabilität: Die sogenannte „Zuverlässigkeit“ von Daten ist umso größer, mit je weniger Erhebungsfehlern sie überlagert sind.

3. Validität: Die „Gültigkeit“ von Daten nimmt in dem Maße zu, in dem sie tatsächlich jene Eigenschaft beschreiben, die registriert werden soll (z.B. Intelligenz und nicht auch Konzentration oder Bildung).

Daneben sollten jedoch noch weitere Qualitätsanforderungen an psychologische Daten gestellt werden, nämlich bezüglich der Skalierung (Wiedergabe korrekter Quantitäten), der Normierung (Normen bzw. Bezugssysteme für Ergebnisse sollen vorhanden sein), der Fairness (Daten über verschiedene soziale Gruppen dürfen nicht systematisch verfälscht sein), der Ökonomie (der Aufwand der Datenerhebung soll vertretbar sein), der Zumutbarkeit (Konsequenzen für Probanden sowie deren Akzeptanz sind zu berücksichtigen), der Unverfälschbarkeit (Ergebnisse sollen nicht manipulierbar sein) und der Nützlichkeit (Daten sollen zweckentsprechend sein).


2.2.2 |Erklären

Eine zweite wichtige Zielsetzung der Psychologie ist die Erklärung der beobachteten oder gemessenen Phänomene. Dies geschieht durch Gesetze- oder durch deren Zusammenfassungen, die Theorien. Diese werden durch Ableitung von Hypothesen über zu erwartende Ergebnisse in empirischen Untersuchungen getestet. Die Resultate dieser Befragungen, Experimente oder Beobachtungen werden inhaltlich interpretierend (qualitativ) oder statistisch (quantitativ) auf Gesetzlichkeiten überprüft und mit den hypothetisch postulierten Zusammenhängen verglichen. Stimmen die empirisch gefundenen Zusammenhänge mit den erwarteten überein, dann spricht man von einer Verifikation der Hypothesen, im gegenteiligen Fall von deren Falsifikation. Eine solche Hypothesentestung setzt die Formulierung einer Theorie oder zumindest die Vorannahme einer Gesetzlichkeit voraus. In diesem Falle spricht man von einer konfirmativen (bestätigenden) Vorgangsweise, im Gegensatz zu einem explorativen Verfahren, wenn es darum geht, an einem Pool gewonnener Daten unbekannte Zusammenhänge erst zu finden.

Merksatz

Hypothesen sind wissenschaftlich begründete Annahmen (Wenn-dann-Aussagen) über Zusammenhänge von Ereignissen. Bestätigte Hypothesen nennt man Gesetze. Als Theorie bezeichnet man zumeist ein System von Gesetzen.

Gesetze und Hypothesen sind zumeist in Form von „Wenndann-Aussagen“ formuliert und beziehen sich auf vermutete Kausalzusammenhänge in der Realität. Die „Wenn-Komponente“ von Hypothesen beschreibt jeweils die Ursachen, Bedingungen oder Auslöser von Wirkungen, während die Effekte oder ausgelösten Veränderungen in der „Dann-Komponente“ formuliert werden (Box 2.2; Westermann, 2000). Ein Beispiel eines Gesetzes aus der Kognitionsforschung (Yerkes-Dodson-Gesetz): Eine zu hohe oder zu niedrige psychophysiologische Aktivierung (Wenn-Komponente) verringert die Konzentrations-, Denk- und Gedächtnisleistungen (Dann-Komponente).

Merksatz

Wichtige Qualitätskriterien für Gesetze und Theorien sind ihr Grad an Repräsentativität, ihr Realitätsbezug sowie ihre zeitliche und situative Stabilität.

Ein grundlegendes Problem bei der Interpretation von Untersuchungsergebnissen, das sogenannte Repräsentativitätsproblem, ist die Frage nach der Verallgemeinerbarkeit, nämlich danach, wie gut von den jeweils beobachteten Daten – den Fällen der Stichprobe – auf die Grundgesamtheit bzw. Population zu schließen ist (s. auch Replikationsproblem; Open Science Collaboration, 2015).

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