Trevellian und der Mann, der den Wind säte: Action Krimi

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3


Verhör, Spurensicherung und Fragen der Presse dauerten bis 17 Uhr. Tom Sommerby hatte es plötzlich eilig. Er wollte nur noch weg hier, wo er um ein Haar sein Leben ausgehaucht hätte. Er packte seine wenigen Habseligkeiten zusammen, zahlte an der Rezeption die Rechnung und fuhr mit dem Aufzug in die Tiefgarage. Da stand sein stahlblauer Chevy.

Er schaute sich um. Seit dem Anschlag vor drei Stunden misstraute er sogar seinem eigenen Schatten. Er war sich sicher, zu wissen, wer es auf sein Leben abgesehen hatte. Dass sie so weit gehen würden, hätte er nicht geglaubt. Im Traum hätte er nicht daran gedacht, dass Dexter Morgan seine hassvolle Prophezeiung in die Tat umsetzen würde.

Er hatte die Worte noch im Kopf, die Dexter Morgan ins Telefon brüllte: „Hören Sie endlich auf, uns die Hölle heiß zu machen, Sommerby. Ihr Sohn hatte es sich selber zuzuschreiben. Wir machen Sie kalt, wenn uns noch eine einzige Drohung ins Haus flattert. Das ist unsere letzte Warnung. Verschwinden Sie aus unserem Leben, lassen Sie uns in Ruhe. Ansonsten sind Sie ein toter Mann.“

Er, Tom Sommerby, hatte den vier ehemaligen Kumpels seines Sohnes als Antwort auf diese Drohung – diese leere Drohung, wie er meinte –, Pakete geschickt, deren Inhalt eine sauber geknüpfte Henkerschlinge war und ein Hinweis, dass sie hängen würden – genauso, wie sein Sohn gehängt worden war.

Er wollte sie nicht zur Ruhe kommen lassen.

Tom Sommerby warf die Reisetasche in den Kofferraum des Chevy, dann schwang er sich auf den Fahrersitz. Sommerby stieß zurück, legte den ersten Gang ein, den zweiten und folgte im Schritttempo den Hinweisen zur Ausfahrt.

Vor einer Schranke musste er anhalten und den Chip in einen Automaten werfen, damit die Schranke aufschwang.

In diesem Moment spürte er einen stahlharten Druck zwischen seinen Schulterblättern, eine scharfe Stimme sprang ihn an: „Ich weiß zwar nicht, wohin du fahren willst, Sommerby, aber das spielt jetzt auch keine Rolle. Denn ich werde dir sagen, wohin wir fahren.“

Erst überrollte Tom Sommerby eine Welle des Erschreckens, dann kam die kalte, verzehrende Furcht.

„Wer – wer sind Sie?“, brachte er mühsam hervor. Vergeblich versuchte er, das Zittern in seiner Stimme zu verbergen.

„Fahr weiter“, zischte der Bursche, der sich zwischen Rücksitz und Rückenlehne der vorderen Sitze versteckt hatte. Der Druck von Sommerbys Rücken verschwand. Der Bursche hinter Sommerby ließ wieder seine Stimme erklingen: „Ich werde dich durch die Rückenlehne erschießen, wenn du nicht spurst. Also, fahr los.“

„Wohin?“, entrang es sich Sommerby. Eine kalter Finger hatte sich mit hartem Druck auf sein Herz gelegt. Schweiß bildete sich in seinem Haaransatz, sein Atem ging stoßweise und flatternd.

„Zu den Chelsea Piers.“

„Was – warum – wer – wer schickt Sie? Gehören Sie zu dem Kerl – diesem Sergio Antonelli, der – der mich im Hotel umbringen sollte?“

Die Panik verzerrte Sommerbys Denken und ließ ihn keinen zusammenhängenden Satz sprechen.

„Nein. Den haben dir Morgan und O'Leary auf den Hals geschickt.“ Der geheimnisvolle Bursche hinter Sommerby lachte fast amüsiert auf. „Vor dem habe ich dich gerettet, Mann. Ich habe den Detektiv angerufen. Du bist mir was schuldig.“

Hinter ihnen hupte es anhaltend. Sommerby schaute in den Rückspiegel. Ein Auto wartete darauf, dass er weiter fuhr. Der Fahrer gestikulierte, seine Lippen bewegten sich, und es waren gewiss keine Freundlichkeiten, die er gegen die Windschutzscheibe spuckte.

Von seinem Kidnapper konnte Sommerby im Rückspiegel nichts sehen. Der kauerte hinter ihm und hielt gewiss die Pistole gegen die Rückenlehne.

Sommerby fuhr an. Er zwang sich zur Ruhe. „Wer schickt sie dann, wenn nicht diese Schufte?“ Er steuerte den Wagen zum Times Square und folgte der vierspurigen Seventh Avenue Richtung Midtown South.

Der Kidnapper lachte kehlig. „Einer, der dich lebend braucht.“

Verständnislos starrte Sommerby auf das Heck des Autos, das vor ihm fuhr. Er hatte Mühe, sich auf den Verkehr zu konzentrieren. „Ich verstehe nicht“, murmelte er.

„Das ist auch nicht notwendig.“

„Was haben Sie vor, Mister? Was soll ich bei den Chelsea Piers. Was erwartet mich dort?“

Vor ihm gingen die Bremslichter an, im letzten Moment trat auch Sommerby aufs Pedal.

„Bau nur keinen Unfall. Könnte peinlich für mich werden.“ Der Bursche im Fond des Chevy kicherte. „Was ich vorhabe? Das kann ich dir sagen, Sommerby. Ich werde dich dort auf einem alten Kahn verstecken, der etwas abseits dümpelt und vor sich hin rostet. Ja, ich werde dich so lange dort verstecken, bis du nicht mehr gebraucht wirst.“

Siedend durchfuhr eine neue Woge der Angst Tom Sommerby. „Und wenn ich nicht mehr gebraucht werde?“, stotterte er.

„Mal seh‘n.“

Der Chevy ruckte wieder an.

„Sie werden mich umbringen?“

„Wahrscheinlich. Du hast genug Unheil angerichtet.“

Sommerby zermarterte sich das Hirn nach einem Ausweg. Bremsen und aus dem Wagen springen!, überlegte er. Nein, seine Kugel ist schneller! Das Seitenfenster runter und um Hilfe schreien! Unsinn! Mein Gott! Was tun? Er versuchte es mit Bestechung.

„Ich – ich kann Sie bezahlen“, hechelte er. „Wie viel zahlt Ihnen Ihr Auftraggeber? Ich gebe Ihnen das Doppelte, wenn Sie mich laufen lassen.“

„Du könntest mir nicht mal die Hälfte bezahlen, Sommerby.“

Sommerby schwieg längere Zeit. Er steuerte den Wagen immer noch geradewegs nach Süden. Dann, als er das unerträgliche Schweigen nicht mehr aushielt: „Woher wussten Sie, dass ich mich im Marriott Marquis verkrochen hatte?“

„Bist du wirklich so naiv, Sommerby? Nachdem du die makabren Pakete mit den Hanfschlingen versandt hattest, war bei Morgan und seinen Kumpanen das Maß voll. Sie heuerten Antonelli an. Antonelli beobachtete dein Haus, ich beobachtete dein Haus und Antonelli. So landeten wir schließlich alle drei im Marriott Marquis.“

„Warum? Woher wussten Sie das mit den Schlingen, von Morgans Drohung, davon, dass sie einen Killer auf mich ansetzten?“

„Das sage ich dir vielleicht, bevor ich dich in den Hudson werfe. Sollte ich dich laufen lassen, erfährst du‘s natürlich nie. Denn du bist eine Bazille, und man wird dich nicht mehr los. Die ehemaligen Kumpels deines Sohnes können ein Lied davon singen.“

Der Unterton in der Stimme des anderen ließ schlimme Ahnungen in Tom Sommerby aufwallen. Und mehr und mehr wurde ihm klar, dass am Ende sein Tod stehen würde.

Wer hier die Drähte zog, darauf kam er nicht. Er war auch gar nicht mehr in der Lage, Ordnung in seine Gedanken zu zwingen. Sie drifteten auseinander und zur Angst gesellte sich die Verzweiflung.

Von jetzt an herrschte Schweigen zwischen ihnen.

Irgendwann gebot der Kidnapper Sommerby, nach rechts abzubiegen. Sie befanden sich auf der West 14th Street. Nach etwa anderthalb Meilen erreichten sie die Chelsea Piers.

Die Piers selbst waren zweckentfremdet worden. Sie waren umfunktioniert zum Chelsea Piers Sports & Entertainment Complex. Man hatte Cafés, Restaurants, Filmstudios und eine Reihe von Sportanlagen geschaffen, sogar eine vierstöckige Driving Range für reiche und verwöhnte Golfer.

Hier herrschte viel zu viel Leben, als dass es der Kidnapper wagen konnte, sich und Tom Sommerby zu zeigen. Er dirigierte Sommerby durch Seitenstraßen und Wege zur Twelfth Avenue und dann zu einer Bucht, in der ein alter Frachter lag, dessen Farbe einem umfassenden Rostrot gewichen war. In den Ritzen zwischen den Betonplatten auf dem Steg, an dem der Dampfer festlag, wucherte Unkraut. Hierher kam höchstens mal ein Angler – wenn überhaupt.

Am Beginn des Steges musste Sommerby anhalten und aussteigen.

Die Fondtür öffnete sich.

Jetzt konnte Sommerby seinen Entführer zum ersten Mal sehen. Es war ein mittelgroßer Mann mit dunkler Hautfarbe und gelockten, schwarzen Haaren, etwa 40 Jahre alt. Wahrscheinlich ein Puertoricaner.

Den 38er auf Sommerby gerichtet befahl er: „Vorwärts, Sommerby. Der Kahn wird in den nächsten Tagen dein Zuhause sein.“ Er grinste herablassend. „Nicht gerade komfortabel, aber du wirst ein Dach über dem Kopf haben und nicht nass, falls es regnet.“

Er trieb Sommerby vor sich her über den schmalen Pier. Es ging eine steile Steintreppe die Kaimauer hinunter, und sie befanden sich auf der unteren Betonplattform mit den soliden, aber von der Erosion zerfressenen Eisenstempeln, an denen die Schiffe vertäut wurden. Eine Brücke auf den Dampfer gab es nicht. Sie mussten springen. Der Abstand zwischen Anlegestelle und Bootsrand betrug jedoch höchstens einen Yard.

Der Puertoricaner nötigte Sommerby unter Deck. Im Maschinenraum zog er ein paar Handschellen aus der Jackentasche. Sommerby musste sich auf einen Gitterrost setzen, der wie eine Bank an der Schiffswand befestigt war. Früher war das mal eine Sitzgelegenheit für die Maschinisten. Der Puertoricaner fesselte Sommerbys rechte Hand an ein Eisenrohr, das fest am Boden verankert war und durch die Decke des Maschinenraums verschwand. Dann zündete er sich eine Zigarette an.

 

In Tom Sommerbys Gesicht zuckten die Muskeln. Kalter Angstschweiß rann über seine Stirn und seine Wangen.

„Ich werde jetzt dein Auto verschwinden lassen, Sommerby“, murmelte der Kidnapper und stieß eine Wolke Zigarettenrauch aus. „Und mach dir keine Hoffnungen. Hierher kommt kein Schwein. Auch Schreien wird dir nicht helfen. Aus dem Maschinenraum dringt kein Ton nach draußen.“

Er hielt Sommerby die angerauchte Zigarette hin. „Willst du?“

Sommerby schüttelte den Kopf. Sein Hals war wie zugeschnürt.




4


Wir hockten im gemeinsamen Büro, diktierten unseren Bericht über die Sache im „The Marriott Marquis“, und hassten beide mit der selben Inbrunst diese Arbeit. Es galt, eine Akte anzulegen und den Computer zu füttern. Für uns war der Fall Sergio Antonelli noch lange nicht abgeschlossen.

Mr. McKee hatten wir Bericht erstattet. Er erklärte uns, was wir jedoch selber wussten, dass der Vorfall eine Untersuchung nach sich ziehen würde, versicherte uns aber mit dem nächsten Atemzug, dass er schon dafür sorgen würde, dass es wegen der tödlichen Schüsse keine Probleme geben werde.

In dieser Hinsicht konnten wir uns blind auf unseren Chef verlassen.

Mein Telefon schlug Alarm. Sofort unterbrachen wir unsere Arbeit. Es war, als hätten wir in stillschweigendem Einvernehmen nur darauf gewartet, dass etwas unseren recht gemäßigten Tatendrang am Schreibtisch unterbricht.

Es war Lew Harker. Er rief uns aus der Redaktion der New York Times an. Und er schien seine Alterssenilität überwunden zu haben, denn er feixte in den Hörer: „Herr Doktor, mir ist‘s wieder eingefallen.“

„Na, dann schieß mal los, Amigo mio“, forderte ich ihn auf zu sprechen.

„Vor über drei Jahren haben sie unten in Malaysia einen Robert Sommerby mit anderthalb Kilo Heroin im Gepäck erwischt. Er wurde zum Tode verurteilt. Er war mit vier Kumpeln dort unten. Immer wieder versicherte er, dass ihm einer von denen oder vielleicht sogar alle zusammen das Rauschgift in den Koffer gesteckt haben. Die vier haben das natürlich abgestritten, und weil man bei ihnen nichts fand, durften sie ausreisen.“

Lew machte eine Pause.

„Weiter“, drängte ich.

„Robert Sommerby wurde vor knapp einem Jahr in Kuala Lumpur aufgehängt. Gnadengesuche sind in Malaysia so überflüssig wie bei uns in Texas, zumindest solange ein gewisser Herr dort unten Gouverneur war. Sein Vater setzte alle Hebel in Bewegung, aber er konnte seinen Sohn nicht vor dem Henker retten.“

„Diese vier Kumpels. Hat sie der Narcotic Squad in die Mangel genommen?

„Himmel, Jesse, so weit bin ich noch nicht. Ich muss mal im Archiv stöbern. Vielleicht finde ich noch mehr heraus. Ich lass es euch wissen.“

„Danke, Lew.“

Ich legte auf und gab Milo preis, was ich wusste.

„Warum rufen wir nicht einfach mal an bei den Narcs. Seit sie uns mit diesen Höllenmaschinen“, Milo deutete mit knapper, verächtlicher Geste auf den PC, „ausgestattet haben, genügt es doch, wenn du drei Buchstaben in den Suchlauf tippst, um über die Geheimnisse dieser Welt informiert zu werden.“

Ich wies mit dem Kinn aufs Telefon. „Bitte.“

Milo hatte einen Kollegen vom Rauschgiftdezernat an der Strippe. Fünf Minuten nur dauerte es, dann war er schlauer. Er hatte mit seiner Klaue irgend etwas auf ein Blatt Papier gefuchselt. Milo sah mich an.

„Okay. Sie haben die vier Kumpels von Robert Sommerby in die Mangel genommen damals. Negativ. Sie stritten es ab, irgendwie in Malaysia mit Rauschgift in Berührung gekommen zu sein. Das Gegenteil konnte ihnen nicht bewiesen werden.“

„Also war Robert der Dumme.“

„Oder der Schuldige. Der dumme Schuldige. Denn wenn du in Malaysia aus dem Flugzeug steigst, siehst du als erstes ein großes Schild mit einer sauber geknoteten Hanfschlinge und einem Totenschädel. Darunter stehen Hinweise, dass sie einem eine solche Schlinge um den Hals legen, wenn man mit gewissen Rauschgiftmengen geschnappt wird. Also kann man es nur mit Dummheit bezeichnen, wenn einer trotzdem das Schicksal herausfordert.“

Wo er recht hatte, da hatte er eben recht.

„Hast du die Namen der vier Knaben?“

„Ja. Ich hab sie notiert.“

„Kannst du das überhaupt lesen?“ Ich schaute betont skeptisch. „Ich kann‘s zum Entschlüsseln geben.“

„Wer im Glashaus sitzt, Jesse, der sollte nicht mit Steinen um sich schmeißen“, rezitierte Milo gehässig, allerdings mit der selben Überbetonung.

Wir wurden wieder ernst. Ich sagte nachdenklich: „Ob zwischen den Vieren und Tom Sommerby eine Verbindung besteht? Wenn ja, hängt der Anschlag auf Sommerby damit zusammen?“

„Was sollten die vier für einen Grund haben, ihn umzunieten? Umgekehrt fände ich schon eher ein Motiv. Tom Sommerby wird seinem Sohn geglaubt haben.“

„Aber Antonelli hat nun mal auf Sommerby geschossen.“

„Vielleicht hat Sommerby sie bedroht. Vielleicht hat er etwas herausgefunden, was unseren Jung vom Narcotic Squad nicht gelungen ist. Wer weiß das schon? Die vier haben zusammen gelegt, einen Hitman angeheuert, und waren bis zu den Meldungen in Radio und TV fest davon überzeugt, keinen Ärger mehr am Hals zu haben.“

„Wir sollten uns die vier mal vorknöpfen“, schlug ich vor. „Vorher aber sollten wir uns noch einmal mit Mr. Sommerby unterhalten.“

Ich rief im „The Marriott Marquis“ an. Mr. Sommerby war verschwunden.

Von einem Kollegen im Police Departement erfuhr ich, dass man Mr. Sommerby vernommen hatte, dass aber das Ergebnis gleich Null war. Man versprach mir, uns das Protokoll zu mailen. Das brauchten wir für unsere Unterlagen.

„Dann werden wir jetzt diesen Mist fertig machen“, knurrte ich freudlos und wies auf den Kram auf meinem Schreibtisch. „Und morgen fangen wir mal an, die vier Burschen unter die Lupe zu nehmen, die mit Robert Sommerby in Malaysia waren.“

„Das wollte ich gerade vorschlagen“, kam es von Milo. „Um dir etwas auf die Sprünge zu helfen, Jesse“, flachste er.




5


Der Gangster war auf den Dampfer zurückgekehrt. Er hatte Brot und Käse sowie zwei Dosen Bier mitgebracht und sich einen Stuhl in den Maschinenraum gestellt. Jetzt saß er Sommerby gegenüber. Am Boden stand eine Kerze und spendete vages Licht. Draußen war es schon dunkel. Im Maschinenraum des alten Kahns wäre es ohne die mickrige Lichtquelle finster gewesen wie im Schlund der Hölle.

Sie aßen. Dazu tranken sie das Bier.

„Hattest du eigentlich wirklich vor, die Kumpels deines Sohnes abzuservieren?“, fragte der Gangster irgendwann.

„Unsinn“, murmelte Sommerby. „Ich wollte sie mürbe machen, ihnen den Schlaf rauben. Sie sollten – solange ich lebe – an Bob erinnert werden, den sie schmählich im Stich gelassen, wahrscheinlich sogar schnöde verraten haben.“

„Irgendwie ist das pervers“, murmelte der Puertoricaner. „Findest du nicht? Kein Wunder, dass die Kerle ausgeflippt sind und einen Hitman auf dich ansetzten. – Okay, Sommerby. Du wirst nicht erwarten können, dass ich dir die ganze Nacht hier in dieser tristen Umgebung Gesellschaft leiste. Ich werde jetzt verschwinden. Lass dir die Zeit nicht lang werden.“

Er erhob sich, holte eine Stablampe aus der Jacke und knipste sie an. Er richtete den Lichtstrahl in Sommerbys Gesicht, und Sommerby senkte geblendet die Lider.

„Ich müsste noch mal austreten“, gab Sommerby fast zaghaft zu verstehen. „Würden Sie die Fessel aufschließen? Ich kann doch hier nicht in die Hose machen.“

Er blinzelte. Der Lichtkegel schien nicht mehr direkt in sein Gesicht, und er öffnete die Augen.

Der Gangster verzog das Gesicht. Schließlich schien er ein Einsehen mit Sommerbys Not zu haben. „Keine krummen Gedanken, Sommerby“, warnte er. „Der 38er wird auf dich gerichtet sein.“

Was hab ich schon zu verlieren?, durchfuhr es Tom Sommerby. „Auf ein vorzeitiges Ende bin ich gewiss nicht scharf, Mister“, murmelte er.

Der Gangster grinste breit. Das Kerzenlicht legte dunkle Schatten in seine Züge. Seine Zähne glitzerten weiß.

Er schloss die Stahlklammer, die um Sommerbys Handgelenk lag, auf. Schnell trat er zurück, versenkte den Schlüssel in der Jackentasche, nahm die Pistole in die Hand und wedelte mit ihr. „Ich leuchte dir, Sommerby. Große Ansprüche wirst du ja nicht stellen. Du wirst irgendwo dort vorne beim Aufgang zum Deck in eine Ecke pinkeln. Klar?“

Sommerby drückte sich hoch. Der Gangster beobachtete ihn wachsam. Seine Augen glitzerten wie Glas.

Sommerby wusste, dass er alles auf eine Karte setzen musste. Alles in ihm straffte sich. Er ging zur schmalen Tür des Maschinenraums. Vor seinen Füßen huschte der Lichtstrahl der kleinen Taschenlampe über den Boden. Der Gangster war einen Schritt hinter Sommerby.

Die Stahltür stand offen. Sommerby hoffte, dass sie in den Angeln nicht zu sehr festgerostet war. Seine Rechte legte sich um den senkrechten Rand der Tür. Der Gangster konnte es nicht sehen, denn außerhalb der dünnen Lichtbahn war es finster.

Ein kräftiger Ruck mit dem rechten Arm, ein Sprung, in den Angeln kreischend flog die Tür zu. Der Schuss krachte, die Kugel durchschlug die Stahlblechwände der Tür, traf aber Sommerby nicht, der sich an die Wand daneben in Sicherheit gebracht hatte.

Er stolperte los. Seine Hände tasteten sich an den Wänden entlang. Vor ihm fiel fahles Sternenlicht durch die Ausstiegsluke auf den Boden. Die eiserne Treppe war schemenhaft wahrzunehmen. Hinter ihm kreischte wieder die Tür, als der Gangster sie fluchend aufstieß.

Der Strahl der Taschenlampe zerschnitt die Finsternis.

Sommerby hetzte die Treppe hinauf, warf sich auf Deck zur Seite, als hinter ihm der 38er röhrte, stolperte und flog lang hin. Ein schmerzerfülltes Stöhnen stieg aus seiner Brust. Seine Hände tasteten über den Boden, fühlten etwas rundes, hartes – eine Eisenstange oder ein Stück Rohr. Sommerby zog es an sich heran. Es wog schwer in seiner Faust, schwer genug, um als Waffe zu dienen.

Überlaut waren die Schritte des Gangsters zu hören. Die Gitterroste der Stufen schepperten. Der Kopf des Burschen erschien.

Sommerby hatte den rechten Arm abgewinkelt. Die Faust, die die Eisenstange hielt, lag am Boden. In dem Moment, als er den Unterarm nach vorne schnellen wollte, um der Stange Schwung zu verleihen, zog der Puertoricaner den Kopf wieder zurück.

Dafür schoben sich seine Fäuste über den Rand des Ausstiegs. In der einen lag die Taschenlampe, in der anderen der 38er.

 

Der Gangster musste ihn trotz des Gerümpels, das hier überall herumlag und des unwirklichen Lichts, auf dem Boden des Decks wahrgenommen haben, denn sowohl Taschenlampe als auch Pistolenmündung schauten in seine Richtung.

Sommerby wartete nicht einen Lidschlag länger. Sein Unterarm fegte im Halbkreis herum, die Eisenstange wurde herumgerissen. Ein gequälter Aufschrei erklang. Taschenlampe und Pistole waren samt den Händen, die sie hielten, verschwunden. Ein Poltern und Scheppern stieg aus der Luke. Sommerby sprang auf. Er packte die Stange mit beiden Händen und schleuderte sie kraftvoll in die schwarz gähnende, rechteckige Öffnung.

Der Gangster brüllte seinen Schmerz hinaus.

Sommerby spurtete los. Als er über die Schulter zurückschaute, sah er seinen Gegner auf Deck. Er setzte ihm nach. Sommerby erreichte das Ruderhaus. Keuchend ging er dahinter in Deckung. Er wusste nicht, ob der andere noch mit der 38er bewaffnet war.

Seine Hand ertastete einen leeren Kanister. Er packte ihn am Griff.

Der Gangster war langsamer geworden, nachdem er von Sommerby nichts mehr sah.

Geduckt und darauf eingestellt, blitzschnell zu reagieren, schlich er näher. Sommerby, der um die Ecke des Ruderhauses lugte, konnte jetzt auch die Pistole in seiner Hand erkennen. Er wagte kaum noch zu atmen.

Der Puertoricaner war greifbar nahe. Sommerby schlug mit dem Kanister zu. Mit hohlem Klang prallte das Gefäß gegen die Pistole. Der Gangster kam ins Straucheln. Seine geprellte Hand öffnete sich, er schrie auf, weil ihm von dem Schlag schmerzhaft das Handgelenk nach hinten gebogen wurde. Der 38er polterte auf den Boden.

Sommerby ließ sogleich einen zweiten Schlag folgen. Er traf den Gangster seitlich am Kopf. Der Bursche fiel auf die Knie. Mit einem Kick beförderte Sommerby die Pistole außer Reichweite. Sie schlitterte zwischen das Gerümpel und verschwand in der Finsternis.

Tom Sommerby führte einen dritten Schlag. Von oben sauste der Kanister auf den Schädel des Gangsters herunter. Der Puertoricaner kippte zur Seite.

Sommerby setzte seine Flucht fort.

Aber der Kerl war härter im Nehmen, als Sommerby es für möglich gehalten hatte. Als er vom Bootsrand aus auf den Kai springen wollte, klammerte sich der Kidnapper von hinten an ihn. Ein böses Knurren löste sich in seiner Brust, ähnlich dem Knurren eines zornigen Bären. Sie stürzten beide auf Deck. Der Gangster hing an Sommerby wie eine Klette. Tom Sommerby rammte den Ellenbogen nach hinten und stieß auf Widerstand. Der Klammergriff um seinen Oberkörper lockerte sich. Ein zweiter Stoß mit dem Ellenbogen, ein verlöschendes Ächzen, und er war frei.

Er federte in die Höhe.

Die Angst verlieh ihm ungeahnte Geschmeidigkeit und ungeheure Kraft.

Als sich auch der Gangster hoch stemmte, schlug Sommerby zu. Der Schwinger trieb den Puertoricaner in die Höhe. Er flog gegen die Reling. Eine Dublette landete an seinem Kopf. Sommerby hatte das Empfinden, die Knöchel seiner Hände waren von diesen Treffern gesplittert. Der Kopf des Gangsters flog nach rechts, dann nach links.

Sommerby bückte sich, umklammerte beide Beine des anderen, kraftvoll hob er den Körper hoch. Ein Stich fuhr ihm durch den unteren Rücken, Sommerby ignorierte es. Der Gangster kippte nach hinten. Eine letzte verzweifelte Kraftanstrengung Sommerbys, und er verlor das Gleichgewicht. Er stürzte in die Tiefe, schlug am Rand des Kais auf, und schließlich rollte er ins Wasser und versank.

Sommerby lehnte sich aufatmend über die Reling. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen, als wollte er mit dieser Geste einen bösen Traum verscheuchen.

Die Wasseroberfläche glättete sich wieder.

Der Gangster blieb verschwunden.

Sommerby kehrte zurück zum Ruderhaus und suchte nach der Pistole. Er hatte in seinem Kopf wieder den roten Faden gefunden. Sein Hirn arbeitete präzise und klar.

Er fand die Waffe und steckte sie ein.

Dann verließ Tom Sommerby den ungastlichen Ort, der ihm wohl zum Schicksal werden sollte.

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