Die toten Seelen

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Diese für den Gast höchst schmeichelhafte Meinung, die sich über ihn in der Stadt bildete, erhielt sich so lange, bis eine gewisse seltsame Eigentümlichkeit und Unternehmung des Fremden oder eine Passage, wie man in der Provinz zu sagen pflegt, fast die ganze Stadt in höchstes Erstaunen versetzte.

Zweites Kapitel

Schon mehr als eine Woche lebte der Fremde in der Stadt; er besuchte Abendunterhaltungen und Diners und verbrachte die Zeit, wie man so sagt, auf eine höchst angenehme Weise. Endlich entschloß er sich, seine Besuche auch auf das flache Land auszudehnen und die Gutsbesitzer Manilow und Ssobakewitsch aufzusuchen, denen er das Wort gegeben hatte. Vielleicht bewegte ihn hierzu auch ein anderer, wesentlicherer Grund, eine ernstere Sache, die ihm mehr am Herzen lag . . . Von alledem wird aber der Leser allmählich und zu seiner Zeit erfahren, wenn er nur die Geduld hat, die vorliegende sehr lange Erzählung zu lesen, die später, je mehr sie sich dem Ende, das dem Ganzen die Krone aufsetzt, nähert, immer weitläufiger und breiter werden wird. Der Kutscher Sselifan bekam den Befehl, am frühen Morgen die Pferde vor den uns schon bekannten Wagen zu spannen; Petruschka aber sollte zu Hause bleiben und auf das Zimmer und den Koffer achtgeben. Es wird für den Leser nicht überflüssig sein, diese beiden leibeigenen Diener unseres Helden kennenzulernen. Sie sind zwar gar nicht hervorragende, eher zweitrangige oder sogar drittrangige Personen; auch beruhen die wichtigsten Vorgänge und Triebfedern dieses Werkes nicht auf ihnen, sondern streifen sie nur ab und zu – aber der Autor liebt es, in allen Dingen äußerst ausführlich zu sein und will, obwohl er selbst Russe ist, doch so genau sein wie ein Deutscher. Dies wird übrigens nicht viel Zeit und Raum in Anspruch nehmen, weil dem, was der Leser schon weiß, nämlich daß Petruschka einen etwas zu weiten braunen Rock, der von seinem Herrn stammte, trug und wie die Leute seines Standes eine dicke Nase und ebensolche Lippen hatte, nicht mehr viel hinzuzufügen ist. Von Charakter war er eher schweigsam als redselig und hatte sogar einen edlen Hang zur Bildung, das heißt zur Lektüre von Büchern, deren Inhalt ihm übrigens keine Schwierigkeiten machte: es war ihm völlig gleichgültig, ob er die Abenteuer eines verliebten Helden oder eine Schulfibel oder ein Gebetbuch in die Hand bekam; er las alles mit dem gleichen Interesse; hätte man ihm ein Buch über Chemie gegeben, so gäbe er sich auch damit zufrieden. Vergnügen bereitete ihm nicht das, was er las, sondern das Lesen selbst, oder richtiger der Prozeß des Lesens; ihn freute es, daß aus den Buchstaben immer irgendein Wort entstand, das mitunter, der Teufel weiß was, bedeutete. Mit diesem Lesen befaßte er sich gewöhnlich in liegender Stellung, in seiner Kammer, auf dem Bette und auf der Matratze, die infolge dieses Umstandes so fest und flach wie ein Pfannkuchen geworden war. Außer dieser Eigenschaft hatte er noch zwei andere Angewohnheiten, die zwei charakteristische Züge seines Wesens bildeten: er schlief immer, ohne sich auszukleiden, immer in dem gleichen Rock und trug stets einen eigenen Geruch mit sich herum, der ein wenig an stickige Zimmerluft erinnerte, so daß er nur irgendwo, und selbst in einem bisher unbewohnten Zimmer, sein Bett aufzustellen und seinen Mantel mit den übrigen Habseligkeiten hereinzuschleppen brauchte, um dem Zimmer einen Geruch zu verleihen, als sei es schon seit zehn Jahren von Menschen bewohnt. Tschitschikow, der recht empfindlich und in manchen Fällen auch launisch war, pflegte, wenn er des Morgens mit frischer Nase diese Luft einatmete, nur das Gesicht zu verziehen, den Kopf zu schütteln und dabei zu sagen: »Weiß der Teufel, du schwitzt wohl, oder was. Wenn du doch wenigstens mal ins Bad gehen wolltest.« Worauf Petruschka nichts erwiderte und sich nur bemühte, irgendeine Arbeit vorzunehmen: entweder ging er mit der Bürste zu dem zum Putzen aufgehängten Frack seines Herrn oder räumte einfach etwas auf. Was dachte er sich wohl, während er so schwieg? Vielleicht sagte er zu sich selbst: »Auch du bist gut: es ist dir doch nicht zu dumm geworden, vierzigmal dasselbe zu wiederholen . . .« Das weiß Gott allein, es ist schwer zu ergründen, was sich so ein Leibeigener denkt, wenn ihm sein Herr eine Rüge erteilt. Das ist also alles, was man zunächst von Petruchka zu wissen braucht. Der Kutscher Sselifan war jedoch ein ganz anderer Mensch . . . Der Autor kann sich aber nicht entschließen, seine Leser solange mit Leuten der niederen Klasse zu unterhalten, da er aus Erfahrung weiß, wie ungerne sie die Bekanntschaft der niederen Stände machen. So ist einmal der Russe: er ist sehr darauf erpicht, einen Menschen, der auch nur um eine Stufe höher steht als er, kennenzulernen, und die flüchtigste Bekanntschaft eines Grafen oder Fürsten ist ihm mehr wert als die intimste Freundschaft eines anderen Menschen. Der Autor hat sogar einige Bedenken, daß sein Held nur Kollegienrat ist. Hofräte werden vielleicht seine Bekanntschaft nicht verschmähen, aber diejenigen, die dem Generalsrang nahestehen, werden ihm vielleicht einen jener verächtlichen Blicke zuwerfen, die der Mensch hochmütig auf alles wirft, was ihm zu Füßen kriecht; oder sie werden, was noch schlimmer wäre, an ihm mit einer für den Autor tödlichen Nichtachtung vorbeigehen. Wie traurig aber auch das eine wie das andere sein mag, wir müssen doch zu unserem Helden zurückkehren. Nachdem er also noch am Vorabend die nötigen Befehle erteilt hatte, erwachte er früh am Morgen, wusch sich, rieb sich vom Kopf bis zu den Füßen mit einem nassen Schwamm ab – was er nur an Sonntagen zu tun pflegte –, rasierte sich so sorgfältig, daß die Wangen in Bezug auf Glätte und Glanz dem echten Atlas gleich wurden, zog den Frack von preißelbeerfarbenem Tuch mit Glanz an, darüber einen mit einem ausgewachsenen Bären gefütterten Mantel, stieg, bald auf der einen, bald auf der anderen Seite vom Gasthofdiener gestützt, die Treppe hinunter und setzte sich in den Wagen. Der Wagen rollte mit Donnergepolter aus dem Gasthoftore auf die Straße. Ein vorbeigehender Pope zog den Hut, und einige Jungen in schmierigen Hemden streckten ihre Hand aus und bettelten: »Herr, schenk etwas der armen Waise!« Als der Kutscher merkte, daß der eine von ihnen großer Liebhaber war, auf das hintere Trittbrett zu steigen, zog er ihm eins mit der Peitsche über, und der Wagen begann über die Steine zu springen. Nicht ohne Freude erblickte man in der Ferne den gestreiften Schlagbaum, welcher verhieß, daß das schlechte Pflaster, ebenso wie jede andere Qual, bald ein Ende nehmen würde. Nachdem Tschitschikow seinen Kopf einige Male ziemlich heftig am Wagenkasten angeschlagen hatte, fuhr der Wagen endlich auf weichem Boden weiter. Kaum war die Stadt hinter ihnen geblieben, als zu beiden Seiten der Landstraße die bei uns überall verbreiteten unharmonischen Bilder auftauchten: Erdhügel, Tannengestrüpp, niedere, verkümmerte, junge Fichten, angebrannte Stämme alter Fichten, wildes Heidekraut und ähnlicher Unsinn. Hie und da fuhren sie durch Dörfer, die sich schnurgerade hinzogen und deren Häuser an aufgestapeltes altes Brennholz erinnerten; sie waren mit grauen Dächern gedeckt, unter denen geschnitzte Verzierungen in Form gestickter Handtücher herabhingen. Wie gewöhnlich saßen einige Bauern müßig in ihren Schafpelzen auf den Bänken vor den Toren; die Weiber mit dicken Gesichtern und eingeschnürten Brüsten blickten aus den oberen Fenstern heraus; aus den unteren Fenstern sah hie und da ein Kalb heraus oder steckte ein Schwein seine blinde Schnauze hervor. Mit einem Worte, die bekannte Landschaft. Nachdem er schon die fünfzehnte Werst hinter sich hatte, erinnerte sich Tschitschikow, daß hier nach Manilows Aussage dessen Gut liegen mußte; aber auch der sechzehnte Werstpfahl flog vorbei, ohne daß vom Gute etwas zu sehen wäre. Wären sie nicht zwei Bauern begegnet, so hätten sie sich kaum zurechtgefunden. Auf die Frage: »Ist das Dorf Samanilowka noch weit?« zogen die Bauern die Mützen, und der eine von ihnen, der etwas klüger war und einen Knebelbart trug, antwortete: »Vielleicht Manilowka und nicht Samanilowka?«

»Na ja, Manilowka.«

»Manilowka! Wenn du noch eine Werst gefahren bist, so bist du da, das heißt das Gut liegt dann gerade rechts.«

»Rechts?« fragte der Kutscher.

»Rechts«, sagte der Bauer. »Das ist die Straße nach Manilowka; ein Samanilowka gibt es hier nicht. So heißt eben das Dorf: Manilowka. Ein Samanilowka gibt es nicht. Dort siehst du gerade auf dem Berg ein steinernes einstöckiges Haus, das ist das Herrenhaus, in dem der Herr selbst wohnt. Das ist Manilowka, ein Samanilowka hat es hier aber niemals gegeben.«

Sie machten sich also auf die Suche nach Manilowka. Nach zwei weiteren Werst bogen sie auf einen Feldweg ab; nun waren sie schon wohl zwei, drei oder sogar vier Werst auf diesem Wege gefahren, aber vom einstöckigen steinernen Hause war noch immer nichts zu sehen. Tschitschikow erinnerte sich der alten Regel: wenn ein Freund einen zu sich aufs Gut einlädt, das fünfzehn Werst von der Stadt entfernt sein soll, so sind es sicher dreißig Werst. Das Dorf Manilowka konnte wohl kaum jemand durch seine Lage verlocken. Das Herrenhaus stand ganz einsam auf einer Anhöhe, die jedem Winde offen war, dem es nur zu blasen einfiel; der Abhang des Berges, auf dem es stand, war mit geschorenem Rasen bekleidet. Darauf waren auf englische Manier zwei oder drei Beete mit Fliederbüschen und gelben Akazien angelegt; hie und da erhoben kleine Gruppen von fünf bis sechs Birken ihre kleinblättrigen, dünnen Wipfel. Unter zwei dieser Birken war ein Pavillon zu sehen, mit flacher grüner Kuppel, blauen Holzsäulen und der Inschrift: »Tempel einsamer Betrachtung«; etwas tiefer befand sich ein mit grünem Schlamm überzogener Teich, wie er in den englischen Parks russischer Gutsbesitzer gar nicht selten ist. Am Fuße dieser Anhöhe und auch hier und da auf ihrem Abhange lagen kreuz und quer graue, roh aus Balken gezimmerte Bauernhäuser, die unser Held aus unbekannten Gründen sofort zu zählen begann: er zählte ihrer über zweihundert. Zwischen ihnen erblickte man nirgends ein Bäumchen oder irgendein Grün: man sah nichts als die nackten Balken. Das Bild belebten zwei Bauernweiber, die, die Röcke malerisch hochgerafft, bis an die Knie durch den Teich wateten und an zwei Klötzen ein zerrissenes Schleppnetz zogen, in dem zwei in die Maschen geratene Krebse und einige silbern schimmernde Plötzen zu sehen waren; die Weiber hatten sich anscheinend gezankt und wechselten ab und zu Schimpfworte. Etwas weiter abseits dunkelte ein Fichtenwald in einem langweiligen Graublau. Selbst das Wetter war sehr entsprechend: der Tag war weder heiter noch trübe, sondern von dem eigentümlichen Hellgrau, das man an den Uniformen der Garnisonsoldaten sieht – dieses im übrigen sehr friedlichen, doch an Sonntagen oft angetrunkenen Heeres. Zur Vervollständigung des Bildes fehlte es nicht an einem Hahn, dem Künder der Witterungsumschläge, der, obwohl sein Kopf von den Schnäbeln anderer Hähne anläßlich gewisser Liebeshändel fast bis zum Gehirn durchlöchert war, sehr laut krähte und sogar mit den Flügeln schlug, die zerzupft waren wie alte Bastmatten. Als Tschitschikow sich dem Hofe näherte, erblickte er den Hausherrn selbst, der in einem grünwollenen Rocke auf dem Flur stand und die Augen mit den Händen beschattete, um die sich nähernde Equipage besser sehen zu können. In dem Maße, als der Wagen sich dem Hause näherte, wurden seine Augen lustiger und sein Lächeln breiter.

 

›Pawel Iwanowitsch!‹ schrie er, während Tschitschikow aus dem Wagen stieg: ›Endlich haben Sie sich unser doch erinnert!‹

Die beiden Freunde tauschten herzliche Küsse aus, und Manilow führte seinen Gast ins Zimmer. Obwohl die Zeit, in der sie durch den Flur, das Vorzimmer und das Esszimmer gehen werden, etwas kurz ist, wollen wir doch versuchen, inzwischen etwas über den Hausherrn zu sagen. Hier muß aber der Autor gestehen, daß solch ein Unternehmen recht schwierig ist. Es ist viel leichter, große Charaktere zu schildern, da darf man die Farben mit vollen Händen auf die Leinwand werfen: glühende, schwarze Augen, buschige Brauen, eine durchfurchte Stirn, ein über die Schulter geworfener schwarzer oder feuerroter Mantel – und das Bildnis ist fertig; doch alle diese Herren, von denen es so viele auf der Welt gibt und die einander äußerlich so sehr ähnlich sehen, sich aber, wenn man genauer hinsieht, durch eine Menge kaum erfaßbarer Eigentümlichkeiten unterscheiden – diese Herren bilden dem Bildnismaler ungeheure Schwierigkeiten. Da muß man seine Aufmerksamkeit außerordentlich anspannen, ehe man alle die feinen, beinahe unsichtbaren Züge erkennt, und muß überhaupt seinen in der Wissenschaft der Menschenkenntnis geschärften Blick sehr tief versenken.

Gott allein weiß es vielleicht zu sagen, was für einen Charakter Manilow hatte. Es gibt eine Sorte von Menschen, die weder Fisch noch Fleisch sind oder, wie es in einem russischen Sprichwort heißt: weder in der Stadt ein Bogdan noch auf dem Lande ein Sselifan. Zu solchen Leuten wäre vielleicht auch Manilow zu zählen. Äußerlich war er nicht unansehnlich; seine Gesichtszüge ermangelten nicht einer gewissen Anmut, aber in dieser Anmut steckte etwas zu viel Zucker; in seinen Manieren und Redewendungen lag ein gewisses Streben nach Zuneigung und Intimität. Er lächelte angenehm und hatte blondes Haar und blaue Augen. In den ersten Augenblicken eines Gespräches mit ihm mußte jeder sagen: ›Welch ein angenehmer und guter Mensch!‹ Im folgenden Augenblick sagte man nichts, aber im dritten dachte man sich: ›Da kennt sich der Teufel aus!‹ und ließ ihn stehen, und wenn man ihn nicht stehenließ, so spürte man tödliche Langeweile. Von ihm bekam man nie ein lebhaftes oder herausforderndes Wort zu hören, wie man es von jedem anderen Menschen hören kann, wenn man einen Gegenstand berührt, der diesem besonders nahegeht. Jeder Mensch hat so ein Thema, das ihm am Herzen liegt: für den einen sind es die Windhunde, ein anderer hält sich für einen großen Musikliebhaber und glaubt alle Tiefen der Musik zu erfassen; der dritte ist ein Meister im Essen; ein vierter möchte gern eine Rolle spielen, die auch nur um einige Zoll höher wäre als die, die ihm beschieden ist; ein fünfter, dessen Wunschbereich beschränkter ist, schläft und träumt davon, wie er sich auf der Promenade seinen Freunden und Bekannten und selbst den Unbekannten in Gesellschaft eines Flügeladjutanten zeigen kann; ein sechster ist mit einer solchen Hand begabt, daß er stets ein unüberwindliches Verlangen spürt, einer Schellenass oder zwei die Ecken umzubiegen, während die Hand des siebenten nur danach trachtet, Ordnung zu stiften und sich am Gesicht eines Stationsaufsehers oder eines Postkutschers zu vergreifen; mit einem Worte, jeder hat das Seine, aber Manilow hatte nichts Derartiges. Zu Hause sprach er sehr wenig und dachte viel nach; worüber er aber nachdachte, das weiß Gott allein. Man konnte auch nicht sagen, daß er sich viel mit der Wirtschaft befaßte; er fuhr niemals aufs Feld hinaus, aber die Wirtschaft ging irgendwie von selbst. Wenn der Verwalter zu ihm sagte: »Gnädiger Herr, es wäre nicht schlecht, dies oder jenes zu machen«, so pflegte er zu antworten: »Ja, es wäre wirklich nicht schlecht«, wobei er immer die Pfeife rauchte; dieses Rauchen hatte er sich noch zu der Zeit angewöhnt, als er in der Armee diente, wo er als der bescheidenste, taktvollste und gebildetste Offizier galt. »Ja, es wäre wirklich nicht schlecht!« wiederholte er. Wenn zu ihm ein Bauer kam, der sich den Nacken kratzte und sagte: »Gnädiger Herr, gib mir Urlaub, damit ich mir Geld für die Steuern verdienen kann«, so pflegte er, immer die Pfeife rauchend, zu antworten: »Geh!«, wobei es ihm nie einfiel, daß der Bauer sich nur betrinken wollte. Wenn er vom Flur aus seinen Hof und den Teich betrachtete, pflegte er zuweilen zu sagen, daß es gut wäre, vom Hause aus einen unterirdischen Gang zu graben oder eine steinerne Brücke über den Teich zu bauen, mit Kaufläden zu beiden Seiten, in denen Kaufleute allerhand Kram, den die Bauern brauchen, feilbieten sollten. Bei solchen Gedanken blickten seine Augen ungemein süß, und sein Gesicht zeigte eine zufriedene Miene. Alle seine Projekte beschränkten sich übrigens nur auf Worte. In seinem Kabinett lag immer ein Buch mit einem Lesezeichen auf Seite vierzehn; dieses Buch las er ständig seit zwei Jahren. In seinem Hause fehlte immer etwas: im Salon standen wunderschöne Möbel, die mit herrlicher Seide überzogen waren und sicher nicht wenig gekostet hatten; aber für zwei Sessel hatte der Stoff nicht gereicht, und sie standen mit einfachem Bastgeflecht überzogen da; übrigens warnte der Hausherr jeden Gast schon seit einigen Jahren mit den Worten: »Setzen Sie sich nicht in diesen Sessel, er ist noch nicht fertig.« In manchen Zimmern gab es überhaupt keine Möbel, obwohl Manilow in den ersten Tagen nach der Hochzeit zu seiner Frau gesagt hatte: »Herzchen, man muß morgen schauen, daß in dieses Zimmer wenigstens für einige Zeit Möbel hereinkommen.« Abends stellte man auf den Tisch einen höchst eleganten Armleuchter aus dunkler Bronze mit drei antiken Grazien und einem hübschen Lichtschirm aus Perlmutter; neben ihm stand aber ein kupferner, lahmer, verbogener, über und über mit Talg betropfter Invalide, und weder der Hausherr noch die Hausfrau noch die Dienerschaft merkten dies. Seine Frau . . . sie waren übrigens miteinander durchaus zufrieden. Obwohl sie schon seit mehr als acht Jahren verheiratet waren, pflegte eines dem anderen bald ein Stückchen Apfel, bald einen Bonbon oder eine Nuss darzureichen und dabei mit rührend zärtlicher Stimme zu sagen, die von vollkommener Liebe zeugte: »Herzchen, mach doch dein Mündchen auf, ich will dir dieses Stückchen hineinlegen.« Es versteht sich von selbst, daß das Mündchen in solchen Fällen äußerst graziös geöffnet wurde. Zu Geburtstagen gab es immer Überraschungen, z. B. ein perlengesticktes Beutelchen für einen Zahnstocher. Sehr oft geschah es, daß sie, auf dem Sofa sitzend, ganz plötzlich, aus unbekanntem Grunde, der eine seine Pfeife und die andere ihre Handarbeit, falls sie diese gerade in der Hand hatten, zur Seite legten und einander einen so langen, schmachtenden Kuss auf die Lippen drückten, daß man währenddessen Zeit hatte, eine kleine Virginiazigarre zu rauchen. Mit einem Worte, sie waren, wie man es so nennt, glücklich. Natürlich könnte man einwenden, daß es im Hause außer den langen Küssen und Geburtstagsüberraschungen auch noch andere Aufgaben gibt; man könnte überhaupt viele Einwendungen machen. Warum bei ihnen z. B. so dumm und sinnlos gekocht wurde? Warum die Vorratskammern leer waren? Warum die Haushälterin stahl? Warum die Diener schmutzig und versoffen waren? Warum das ganze Hausgesinde die eine Hälfte des Tages schlief und die übrige Zeit nichts tat? Aber das sind lauter gemeine Themen, während Frau Manilowa eine gute Erziehung genossen hatte. Die gute Erziehung erwirbt man sich bekanntlich in Pensionen; in den Pensionen bilden aber bekanntlich drei Hauptgegenstände die Grundlage der menschlichen Tugenden: die französische Sprache, die für das glückliche Familienleben unumgänglich ist; das Klavierspiel, um dem Gatten angenehme Augenblicke zu bereiten, und schließlich die eigentliche Hauswirtschaft: das Häkeln von Geldbeuteln und sonstigen Überraschungen. Es gibt übrigens manche Vervollkommnungen und Veränderungen in den Methoden, insbesondere in der allerletzten Zeit: alles hängt von der Verständigkeit und den Fähigkeiten der Pensionsbesitzerinnen ab. In manchen Pensionen steht an erster Stelle das Klavierspiel, dann kommt die französische Sprache und zuletzt die Hauswirtschaft. Es kommt aber auch vor, daß der wirtschaftliche Teil, d. h. das Häkeln von Überraschungen, an erster Stelle steht und dann erst die französische Sprache und zuletzt das Klavierspiel folgt. Es gibt eben verschiedene Methoden. Es wäre nicht überflüssig, hier zu bemerken, daß Frau Manilowa . . . ich muß aber gestehen, daß ich einige Scheu habe, über die Dame zu sprechen; außerdem ist es längst Zeit, daß ich zu unseren Helden zurückkehre, die schon seit einigen Minuten vor der Türe des Gastzimmers stehen und um den Vortritt streiten.

»Tun Sie mir den Gefallen, machen Sie sich meinetwegen keine Umstände, ich komme nach Ihnen«, sagte Tschitschikow.

»Nein, Pawel Iwanowitsch, nein, Sie sind der Gast«, sagte Manilow, mit der Hand auf die Tür weisend.

»Bemühen Sie sich nicht, ich bitte Sie, bemühen Sie sich nicht; gehen Sie bitte voran«, sagte Tschitschikow.

»Nein, Sie müssen schon entschuldigen, ich kann es nicht zulassen, daß ein so angenehmer und gebildeter Gast nach mir über die Schwelle tritt.«

»Warum denn gebildet? . . . Ich bitte Sie, gehen Sie voran!«

»Nein, wollen Sie nur vorangehen.«

»Warum denn ich?«

»Darum!« sagte Manilow mit einem angenehmen Lächeln.

Endlich gingen die beiden Freunde gleichzeitig seitwärts durch die Türe, wobei sie sich ein wenig die Seiten eindrückten.

»Gestatten Sie, daß ich Ihnen meine Frau vorstelle«, sagte Manilow. »Herzchen! Das ist Pawel Iwanowitsch!«

Tschitschikow erblickte jetzt tatsächlich eine Dame, die er vorhin ganz übersehen hatte, als er sich in der Türe mit Manilow wegen des Vortrittes auseinandersetzte. Sie war gar nicht übel und trug ein Kleid, das ihr zu Gesicht stand. Das helle Hauskleid aus Seidenstoff saß ihr sehr gut. Die kleine feine Hand warf etwas schnell auf den Tisch und drückte ein Batisttaschentuch mit gestickten Ecken zusammen. Sie erhob sich vom Sofa, auf dem sie gesessen hatte. Tschitschikow küßte ihr nicht ohne Vergnügen die Hand. Frau Manilowa sagte, indem sie sogar das »r« auf Petersburger Art wie ein »g« aussprach, daß er ihnen mit seinem Besuch eine große Freude bereitet habe, und daß ihr Mann sich jeden Tag seiner erinnert hätte.

»Ja,« bemerkte Manilow, »sie fragte mich jeden Tag: ›Warum kommt dein Freund noch immer nicht?‹ – ›Warte nur, Herzchen, er wird schon kommen.‹ – Und nun haben Sie uns mit Ihrem Besuche beehrt. Einen solchen Genuss haben Sie uns damit verschafft – es ist ein wahrer Maitag, ein Namenstag des Herzens . . .«

Als Tschitschikow hörte, daß die Rede schon auf den Namenstag des Herzens kam, wurde er sogar ein wenig verlegen und erwiderte bescheiden, daß er weder einen berühmten Namen noch einen hohen Rang habe.

»Sie haben alles«, unterbrach ihn Manilow mit dem gleichen angenehmen Lächeln: »Sie haben alles und sogar noch mehr.«

»Wie gefiel Ihnen unsere Stadt?« fragte Frau Manilowa. »Haben Sie da Ihre Zeit angenehm verbracht?«

»Eine ausgezeichnete Stadt, eine herrliche Stadt«, erwiderte Tschitschikow. »Ich habe auch die Zeit sehr angenehm verbracht: die Gesellschaft ist außerordentlich liebenswürdig.«

 

»Und wie fanden Sie unseren Gouverneur?« fragte Frau Manilowa.

»Nicht wahr, er ist doch ein außerordentlich ehrenwerter und liebenswürdiger Mann?« fügte Manilow hinzu.

»Sehr richtig,« sagte Tschitschikow, »ein außerordentlich ehrenwerter Mann. Und wie er in seinem Amte aufgeht, wie er es auffaßt! Es ist nur zu wünschen, daß wir möglichst viel solche Menschen haben.«

»Wie er das versteht, wissen Sie, einen jeden richtig zu empfangen und in allen seinen Handlungen den Takt zu wahren«, fügte Manilow lächelnd hinzu; vor Vergnügen kniff er dabei die Augen zusammen wie ein Kater, den man leicht hinter den Ohren kraut.

»Ein sehr liebenswürdiger und angenehmer Herr,« fuhr Tschitschikow fort, »und was für ein Künstler! Ich hätte es nie geahnt, was für schöne häusliche Handarbeiten er zu machen versteht! Er zeigte mir einen Geldbeutel seiner Arbeit: nicht jede Dame versteht so schön zu sticken.«

»Und der Vizegouverneur? Nicht wahr, ein reizender Mann?« versetzte Manilow, die Augen wieder zusammenkneifend.

»Ja, ein höchst würdiger Mann«, erwiderte Tschitschikow.

»Aber gestatten Sie, wie gefiel Ihnen der Polizeimeister? Nicht wahr, ein höchst angenehmer Herr?«

»Ja, ein höchst angenehmer, kluger und belesener Herr! Ich habe bei ihm mit dem Staatsanwalt und dem Gerichtsvorsitzenden bis in den hellen Tag hinein Whist gespielt. Ein außerordentlich würdiger Mann!«

»Was halten Sie aber von der Frau des Polizeimeisters?« warf Frau Manilow ein. »Nicht wahr, eine außerordentlich liebenswürdige Dame?«

»Oh, eine der würdigsten Damen, die ich kenne«, antwortete Tschitschikow.

Sie gingen dann zum Kammervorsitzenden und dem Postmeister über und nahmen auf diese Weise fast alle Beamten der Stadt durch, die sich sämtlich als die würdigsten Menschen herausstellten.

»Leben Sie immer auf dem Lande?« fragte nun Tschitschikow seinerseits.

»Wir leben meistens auf dem Lande«, antwortete Manilow. »Zuweilen fahren wir übrigens auch in die Stadt, doch nur, um mit gebildeten Menschen zusammenzukommen. Wenn man so ganz abgeschlossen lebt, kann man leicht verwildern.«

»Allerdings«, bemerkte Tschitschikow.

»Etwas anderes ist es,« fuhr Manilow fort, »wenn man eine angenehme Nachbarschaft hat, wenn z. B. ein Mensch in der Nähe wohnt, mit dem man einigermaßen über gute Manieren und Umgangsformen sprechen oder irgendeine Wissenschaft verfolgen kann, so daß die Sinne sich regen und man sozusagen in die Höhe schwebt . . .« Er wollte noch etwas hinzufügen, merkte aber, daß er sich schon vergaloppiert hatte und machte nur eine unbestimmte Handbewegung. Darauf fuhr er fort: »Das Leben auf dem Lande und die Einsamkeit hätten natürlich viele Annehmlichkeiten. Aber es gibt hier wirklich niemand in der Nähe. Höchstens daß man ab und zu eine Zeitung liest.«

Tschitschikow stimmte ihm durchaus bei und fügte hinzu, daß es nichts Angenehmeres gäbe, als in der Einsamkeit zu leben, den Anblick der Natur zu genießen und ab und zu irgendein Buch zu lesen . . .

»Aber wissen Sie,« wandte Manilow ein, »wenn man keinen Freund hat, mit dem man seine Empfindungen teilen kann, ist das alles . . .«

»Oh, das ist durchaus richtig und wahr!« unterbrach ihn Tschitschikow. »Was bedeuten alle Schätze der Welt? ›Trachte nicht nach Geld, trachte nur nach Umgang mit guten Menschen‹, hat einmal ein Weiser gesagt.«

»Und wissen Sie was, Pawel Iwanowitsch«, sagte Manilow, während sein Gesicht nicht nur einen süßen, sondern auch einen faden Ausdruck annahm: von solcher faden Süße sind die Mixturen, mit denen mancher geschickte Modearzt seine Patienten zu erfreuen glaubt. »Wissen Sie, dann fühlt man einen sozusagen geistigen Genuss . . . So zum Beispiel jetzt, wo mir der Zufall das, ich darf wohl sagen, seltene und klassische Glück verschaffte, mit Ihnen zu sprechen und Ihre angenehme Unterhaltung zu genießen . . .«

»Aber erlauben Sie, was ist das für eine angenehme Unterhaltung? . . . Ich bin nur ein unbedeutender Mensch und sonst nichts«, erwiderte Tschitschikow.

»Ach, Pawel Iwanowitsch! Gestatten Sie mir, daß ich aufrichtig spreche: gerne würde ich die Hälfte meines Vermögens hingeben, um nur einen Teil der Vorzüge zu besitzen, die Sie auszeichnen! . . .«

»Im Gegenteil, ich würde es meinerseits für das größte Glück . . .«

Es ist unbekannt, wie weit diese gegenseitigen Gefühlsausbrüche der beiden Freunde noch gehen könnten, wenn nicht ein Diener meldete, daß das Essen aufgetragen sei.

»Ich bitte ergebenst«, sagte Manilow.

»Sie müssen entschuldigen, daß wir Ihnen kein Mittagessen bieten können, wie man es auf Parkett und in den Hauptstädten bekommt; bei uns ist alles einfach, nach russischer Sitte, einfache Kohlsuppe, aber sie kommt von Herzen. Ich bitte ergebenst.«

Sie stritten wieder eine Weile, wer zuerst vorangehen sollte, und endlich trat Tschitschikow seitwärts ins Speisezimmer.

Im Speisezimmer standen schon zwei Jungen, die Söhne Manilows, die sich schon in dem Alter befanden, wo man die Kinder am Tische mitessen läßt, sie aber noch auf eigenen hohen Stühlen sitzen. Bei ihnen stand der Hauslehrer, der sich vor dem Gast höflich, mit einem Lächeln verbeugte. Die Hausfrau setzte sich vor die Suppenschüssel; der Gast kam zwischen den Herrn und die Dame des Hauses zu sitzen, und der Diener band den Kindern Servietten vor.

»Was für nette Kinder!« sagte Tschitschikow, mit einem Blick auf die Jungen. »Und wie alt sind sie?«

»Der älteste ist sieben, der jüngere ist gestern sechs geworden«, antwortete Frau Manilowa.

»Themistoklus!« wandte sich Manilow an den älteren, der sein Kinn aus der Serviette, die ihm der Diener vorgebunden hatte, befreien wollte. Tschitschikow zog eine Augenbraue hoch, als er diesen zum Teil griechischen Namen hörte, dem Manilow, man wußte nicht warum, die Endung »us« angehängt hatte; aber er beeilte sich sofort, seinem Gesicht den gewöhnlichen Ausdruck wiederzugeben.

»Themistoklus, sag mir, welches ist die schönste Stadt in Frankreich?«

Der Hauslehrer richtete nun seine ganze Aufmerksamkeit auf Themistoklus und schien ihm in die Augen springen zu wollen, aber schließlich beruhigte er sich wieder und nickte mit dem Kopfe, als Themistoklus die Antwort gab: »Paris.«

»Und welches ist die schönste Stadt bei uns?« fragte Manilow wieder.

Der Hauslehrer spannte wieder seine ganze Aufmerksamkeit an.

»Petersburg«, antwortete Themistoklus.

»Und welche noch?«

»Moskau«, antwortete Themistoklus.

»Du bist ein kluges Kind, Herzchen!« sagte darauf Tschitschikow. »Sagen Sie aber . . .« fuhr er fort, sich mit einigem Erstaunen an Manilow wendend: »In so jungen Jahren schon solche Kenntnisse! Ich muß Ihnen sagen, das Kind verspricht außerordentliche Fähigkeiten!«

»Oh, Sie kennen ihn noch nicht!« entgegnete Manilow. »Er hat außerordentlich viel Geist. Der jüngere, Alkides, ist zwar nicht so schnell, aber wenn er irgendwo ein Käferchen oder dergleichen bemerkt, so leuchten seine Augen gleich auf; er läuft dem Insekt nach und wendet ihm seine ganze Aufmerksamkeit zu. Ich will aus ihm einen Diplomaten machen. Themistoklus!« fuhr er fort, sich wieder an den älteren wendend: »Willst du Botschafter werden?«

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