Held, Verräter, Tochter

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Из серии: Für Ruhm und Krone #6
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Stephania war das egal. Erst als der letzte Kampfherr zu Boden ging, hob sie ihre Hand, um den Kampf zu beenden.

„So viele…“ begann eine der Adligen und Stephania fuhr sie an.

„Sei nicht dumm. Wir haben Ceres’ Truppen lahmgelegt und das Schloss zurückerobert. Nichts anderes ist von Bedeutung.“

„Was ist eigentlich mit Ceres?“ fragte einer Wachen. „Ist sie tot?“

Stephanias Augen verengten sich bei dieser Frage, denn es war das einzige an ihrem Plan, das sie störte.

„Noch nicht.“

Sie mussten das Schloss halten bis entweder die Invasion so weit war oder die Rebellen irgendwie einen Weg gefunden hatten, zurückzuschlagen. Dann würden sie Ceres als Pfand einsetzen können oder einfach nur als Gabe, sodass die Fünf Steine von Felldust ihren Sieg vorzeigen konnten. Sie zu behalten, würde vielleicht sogar Thanos anlocken, sodass Stephania all ihrer Rache zur gleichen Zeit frönen konnte.

Das hieß, dass Ceres im Augenblick nicht sterben durfte, aber sie würde immerhin leiden.

Oh ja, das würde sie.

KAPITEL FÜNF

Ceres flog über Inseln aus sanftem Stein und einer Schönheit so einzigartig, dass sie beinahe weinen wollte. Sie erkannte das Werk der Uralten wieder, und sofort musste sie an ihre Mutter denken.

Dann erblickte Ceres sie, irgendwo dort vor ihr noch in den Dunst eingehüllt. Ceres rannte ihr nach, und sie sah, wie ihre Mutter sich umdrehte, doch sie schien noch immer nicht schnell genug zu sein, sie einzuholen.

Jetzt klaffte zwischen ihnen eine Lücke auf, und Ceres sprang mit ausgestreckter Hand. Sie sah, wie ihre Mutter die Hände nach ihr ausstreckte, und für einen kurzen Moment dachte Ceres, dass Lycine sie fangen würde. Ihre Finger berührten sich leicht und dann stürzte Ceres in die Tiefe.

Sie fiel in ein Schlachtfeld, das im vollen Gange war. Gestalten kämpften um sie herum. Dort waren Tote, deren Ableben sie anscheinend nicht davon abhielt, weiterzukämpfen. Lord West kämpfte an Ankas Seite und Rexus gegen hundert Männer, die Ceres in unzähligen Schlachten getötet hatte. Sie alle umschwirrten Ceres, kämpften gegeneinander und gegen die Welt…

Der Letzte Atemzug stand ihr bevor und der frühere Kampfherr hatte nichts von seiner düsteren und angsteinflößenden Erscheinung eingebüßt. Ceres sprang über den Klingenstab, den er schwang und wollte ihn wie zuvor in Stein verwandeln.

Doch nichts geschah dieses Mal. Der Letzte Atemzug schlug zu, sodass sie auf dem Boden landete und er sich triumphierend über sie stellte. Jetzt hatte er sich in Stephania verwandelt und hielt eine Flasche anstatt des Stabs in der Hand. Die Dämpfe drangen Ceres noch immer beißend in die Nase.

Dann wachte sie auf, und die Wirklichkeit war kaum besser als ihr Traum.

Ceres spürte rauen Stein unter sich. Für einen Moment dachte sie, dass Stephania sie vielleicht auf dem Boden ihres Zimmer zurückgelassen hatte oder schlimmer noch, dass sie noch immer über ihr stand. Ceres drehte sich um und versuchte aufzustehen, um weiterzukämpfen. Doch sie musste feststellen, dass es dafür nicht genügend Platz gab.

Ceres musste sich zwingen, langsam zu atmen und die Panik zu verdrängen, die sich in ihr anbahnte, als sie erkannte, dass sie von Steinmauern umgeben war. Erst als sie aufblickte und ein Metallgitter sah, erkannte sie, dass sie sich in einem Graben befand und nicht lebendig begraben worden war.

Der Graben war kaum breit genug, um darin zu sitzen. Auf keinen Fall hätte sie sich voll ausgestreckt hineinlegen können. Ceres griff nach oben und riss an den Gitterstäben über ihr. Sie versuchte die Kraft in ihr zu wecken, um sie zu biegen oder zu brechen.

Doch nichts geschah.

Jetzt spürte Ceres, wie Panik sich in ihr breit machte. Sie versuchte es ein zweites Mal mit aller Vorsicht, denn sie erinnerte sich daran, wie ihre Mutter sie darauf hingewiesen hatte, dass Ceres bei dem Versuch die Stadt einzunehmen, ihre Kräfte ausgelaugt hatte.

Jetzt fühlte es sich genauso an und doch in vielerlei Hinsicht auch anders. Zuvor hatte es sich so angefühlt als ob die Kanäle, durch die ihre Kraft floss, abgebrannt worden waren bis sie so sehr schmerzten, dass sie sie nicht mehr benutzen konnte und Ceres ausgebrannt zurückließen.

Jetzt fühlte sie sich wie ein normaler Mensch, auch wenn das nichts im Vergleich zu dem war, wie sie sich noch vor einer kurzen Weile gefühlt hatte. Es bestand auch kein Zweifel, was ihr diesen Zustand eingebrockt hatte: Stephania und ihr Gift. Irgendwo, irgendwie hatte sie einen Weg gefunden, Ceres der Kräfte zu berauben, die das Blut der Uralten ihr verlieh.

Ceres konnte den Unterschied zwischen dem, was gerade geschehen war und früheren Situationen spüren. Sonst war es immer wie mit einer Verblendung: mit dem richtigen Mittel kam alles schnell und in vollem Umfang zurück. Doch jetzt fühlte es sich eher an, als hätten Krähen ihr die Augen ausgehakt.

Sie griff dennoch ein weiteres Mal nach den Gitterstäben, hoffend, dass sie sich irrte. Sie gab alles, legte ihre ganze Kraft in den Versuch, die Gitterstäbe zu biegen. Doch sie bewegten sich keinen Millimeter, auch als Ceres so sehr an dem Metall zerrte, dass ihre Handinnenflächen zu bluten begannen.

Sie schrie überrascht auf, als jemand Wasser zu ihr in die Grube goss, sodass sie sich an die Steinwand drückte und dennoch klatschnass wurde. Als Stephania über dem Gitter stehend in ihr Sichtfeld trat, versuchte Ceres sie herausfordernd und böse anzufunkeln, doch das kalte Wasser und fehlende Kraft vereitelten ihren Versuch.

„Das Gift hat also gewirkt“, sagte Stephania ohne weitere Einleitung. „Nun, das sollte es auch. Ich habe auch viel dafür bezahlt.“

Ceres sah, wie sie über ihren Bauch strich, doch Stephania fuhr fort, bevor Ceres fragen konnte, was sie damit meinte.

„Wie fühlt es sich an, wenn dir das einzige genommen wird, das dich auszeichnet?“ fragte Stephania.

Als hätte man mir die Flügel geraubt, sodass ich zu kriechen kaum fähig bin. Doch Ceres würde ihr diese Genugtuung nicht gönnen.

„Waren wir hier nicht schon einmal, Stephania?“ fragte sie stattdessen. „Du weißt doch, wie das ausgeht. Ich entkomme und du bekommst, was du verdienst.“

Stephania ließ daraufhin einen weiteren Wasserregen auf sie niederprasseln, und Ceres sprang an die Stäbe. Sie hörte Stephanias Lachen, und das machte Ceres nur noch wütender. Es war ihr egal, dass sie gerade nicht auf ihre Kräfte zählen konnte. Ihr blieb noch immer die Kampfherrenausbildung und das, was sie von dem Waldvolk gelernt hatte. Sie würde Stephania mit ihren bloßen Händen erwürgen, wenn es sein musste.

„Sieh dich nur an. Wie das Tier, das du nun einmal bist“, sagte Stephania.

Das genügte, um Ceres ein wenig auszubremsen, denn sie wollte Stephania nicht die Macht geben, aus ihr etwas zu machen, das sie wollte.

„Du hättest mich töten sollen, als du die Chance dazu hattest“, sagte Ceres.

„Das wollte ich auch erst“, antwortete Stephania, „doch die Umstände erfordern manchmal Anderes. Sieh dir nur an, wie die Sache zwischen dir und Thanos gelaufen ist. Oder zwischen mir und Thanos. Eigentlich bin ja immer noch ich diejenige, die mit ihm verheiratet ist, oder?“

Ceres musste ihre Hände gegen die Steinwand stemmen, um sich davon abzuhalten, abermals auf Stephania loszugehen.

„Ich hätte dir den Hals durchgeschnitten, wenn ich nicht die Kriegshörner gehört hätte“, sagte Stephania. „Und dann ist mir aufgegangen, dass es nicht schwer sein würde, das Schloss zurückzugewinnen. Und das habe ich dann auch getan.“

Ceres schüttelte den Kopf. Sie konnte es nicht glauben.

„Ich habe das Schloss befreit.“

Sie hatte mehr als nur das getan. Sie hatte es mit Rebellen gefüllt. Sie hatte diejenigen eingesperrt, die dem Reich weiter die Treue geschworen hatten. Den anderen hatte sie durchaus eine zweite Chance gegeben, sie hatte…

„Ah, du fängst an, es zu verstehen, oder?“ fragte Stephania. „All die Menschen, die so schnell waren, dir für ihre Freiheit zu danken, haben sich mir genauso schnell wieder angeschlossen. Ich muss sie im Auge behalten.“

„Da solltest du Einiges im Auge behalten“, zischte Ceres zurück. „Glaubst du etwa, dass die Kämpfer der Rebellion dich hier rumsitzen lassen und zusehen, wie du Königin spielst? Oder etwa die Kampfherren?“

„Ah“, sagte Stephania mit einer überzogen gespielten Verlegenheit, die Ceres fürchten ließ, was als Nächstes kommen würde. „Ich fürchte, dass ich im Bezug auf die Kampfherren schlechte Neuigkeiten für dich habe. Wie sich herausgestellt hat, sterben auch die besten Kämpfer, wenn man einen Pfeil in ihr Herz jagt.“

Sie sagte das so beiläufig, so spöttisch, doch wenn es auch nur zur Hälfte der Wahrheit entsprach, dann brach es Ceres das Herz. Sie hatte neben den Kampfherren gekämpft. Sie hatte mit ihnen zusammen trainiert. Sie waren ihre Freunde und Verbündeten gewesen.

„Du genießt es, grausam zu sein“, sagte Ceres.

Doch überraschenderweise schüttelte Stephania ihren Kopf.

„Lass mich raten. Du denkst, dass ich kaum besser bin als dieser Idiot Lucious? Ein Mann, der keine Freude empfinden konnte, außer ein anderer schrie vor Schmerzen? Du glaubst, dass ich so bin?“

Es schien eine zutreffende Beschreibung zu sein, soweit Ceres das beurteilen konnte. Vor allem angesichts all dessen, was wahrscheinlich gleich geschehen würde.

„Nicht?“ fragte Ceres. „Oh, Verzeihung, wie konnte ich nur denken, dass du mich zum Sterben in eine Steingrube gesperrt hast.“

„Um dich zu foltern eigentlich“, sagte Stephania. „Nur für dich. Du verdienst genau das nach allem, was du versucht hast, mir wegzunehmen. Thanos gehörte mir.“

Vielleicht glaubte sie das wirklich. Vielleicht dachte sie wirklich, dass es normal sei, seine Rivalen in Beziehungen und Leben einfach zu ermorden.

 

„Und alles andere?“ fragte Ceres. „Wirst du jetzt versuchen, mich zu überzeugen, dass du eigentlich eine nette Person bist, Stephania? Ich glaube das Schiff ist in dem Moment abgefahren, in dem du mich auf die Gefangeneninsel geschickt hast.“

Vielleicht hätte sie sich nicht derart über sie lustig machen sollen, denn Stephania hob einen dritten Eimer mit Wasser empor. Sie schien einen Moment lang nachzudenken, zuckte mit den Schultern und ergoss seinen eiskalten Inhalt über Ceres.

„Von Nettigkeit war hier keine Rede, du dumme Bäuerin“, raunte sie der bibbernden Ceres zu. „Wir leben in einer Welt, in der dir ohne zu fragen alles genommen wird. Vor allem wenn du eine Frau bist. Gauner wie Lucious gibt es überall. Es gibt immer welche, die nehmen und nehmen.“

„Deshalb haben wir gekämpft“, sagte Ceres. „Wir haben die Menschen befreit! Wir beschützen sie.“

Sie hörte Stephania lachen.

„Du glaubst wirklich, dass dieser Leichtsinn funktioniert, oder?“ fragte Stephania. „Du glaubst an das Gute im Menschen und dass alles gut wird, wenn man ihnen nur eine Chance gibt.“

Sie sagte das, als wäre es etwas, über das man sich lustig machte und nicht eine gute Lebensphilosophie.

„Das Leben ist nicht so“, fuhr Stephania fort. „Das Leben ist wie ein Kriegszustand, in dem jedes Mittel recht ist, sich durchzuschlagen. Man gibt niemandem Macht über sich selbst und man selbst nimmt all die Macht, die man kriegen kann, denn auf diese Weise hast du die Stärke, sie zu vernichten, wenn sie dich betrügen sollten.“

„Ich habe nicht das Gefühl, vernichtet worden zu sein“, konterte Ceres. Sie würde nicht zulassen, dass Stephania sah, wie schwach und leer sie sich in diesem Moment fühlte. Sie würde Stärke vortäuschen und hoffen, dass sie so wirklich stark wurde.

Sie sah, wie Stephania mit den Schultern zuckte.

„Das wirst du noch. Deine Rebellion kämpft gerade eine Schlacht gegen die Armee von Felldust. Vielleicht gewinnen sie und dann werde ich dich gegen einen Fluchtweg aus der Stadt eintauschen und dabei soviel mitnehmen wie ich nur kann. Ich würde allerdings davon ausgehen, dass Felldust wie ein Wirbelsturm über die Stadt fegen wird. Sie können sich an den Mauern dieses Schlosses abarbeiten, bis sie bereit sind, mit mir zu sprechen.“

„Du denkst, dass solche Männer einfach nur reden werden?“ fragte Ceres. „Sie werden dich töten.“

Ceres wusste nicht, warum sie Stephania diese Art von Warnung gab. Die Welt würde zu einem besseren Ort, wenn sie jemand tötete, auch wenn es die Armeen von Felldust wären.

„Du denkst, dass ich meinen Plan nicht durchdacht habe?“ erwiderte Stephania. „Felldust ist leicht reizbar. Es kann sich nicht leisten, seine Soldaten auf die Besetzung eines Schlosses anzusetzen, dass es nicht einnehmen kann. Nach ein paar Wochen würden sie sich untereinander in die Haare bekommen, wenn nicht schon früher. Sie werden mit mir reden müssen.“

„Und du glaubst, dass sie sich an das halten werden, was sie dir versprechen?“ fragte Ceres.

Sie konnte manchmal kaum glauben, wie arrogant Stephania war.

„Ich bin kein Idiot“, sagte Stephania. „Ich bereite eine meiner Zofen darauf vor, mich in einem ersten Treffen zu doubeln, sodass ich Zeit habe, durch die Tunnel aus der Stadt zu fliehen, sollten sie uns zu hintergehen versuchen. Danach werde ich dich auf Knien und in Ketten dem Ersten Stein Irrien anbieten. Eine Gabe um Friedensverhandlungen einzuleiten. Und wer weiß? Vielleicht lässt sich der Erste Stein Irrien davon überzeugen… unsere zwei Staaten zu vereinen. Ich habe das Gefühl, dass ich neben einem solchen Mann so einiges leisten könnte.“

Ceres schüttelte bei diesem Gedanken den Kopf. Sie würde sich auf Stephanias Befehl hin genauso wenig hinknien wie auf den Befehl jedes anderen Adligen. „Du denkst, dass ich dir diese Genugtuung geben werde – “

„Ich glaube nicht, dass ich warten muss, bis du mir irgendetwas gibst“, zischte Stephania zurück. „Ich kann mir von dir nehmen, was immer ich will, dein Leben miteingeschlossen. Denk daran, wenn es soweit ist: wenn es keinen Krieg gegeben hätte, dann hätte ich mich gnädig gezeigt und dich einfach getötet.“

Diese Auffassung von Gnade war genauso seltsam wie Stephanias Verständnis von allen anderen Dingen in dieser Welt.

„Was ist dir nur zugestoßen?“ fragte Ceres sie. „Was treibt dich an, so etwas zu tun?“

Stephania lächelte. „Ich habe gesehen, wie die Welt wirklich ist. Und jetzt denke ich, ist es Zeit, dass die Welt dich als das sieht, was du bist. Ich kann dich nicht töten, also zerstöre ich das Symbol, zu dem du geworden bist. Du wirst für mich kämpfen Ceres. Immer und immer wieder und das ohne die Kräfte, die dich in den Augen der anderen so besonders gemacht haben. Und in der Zwischenzeit finden wir Wege und Mittel, es für dich noch schlimmer zu machen.“

Das klang nicht viel anders als das, was Lucious oder die anderen Adligen versucht hatten.

„Du wirst mich nicht brechen“, versprach Ceres ihr. „Ich werde nicht nachgeben und dich um deiner Unterhaltung oder erbärmlichen Rache willen anbetteln.“

„Das wirst du“, versprach Stephania ihr. „Du wirst vor dem Ersten Stein von Felldust niederknien und ihn anbetteln, seine Sklavin zu sein. Dafür werde ich sorgen.“

KAPITEL SECHS

Felene hatte unterdessen einige Boote in ihre Gewalt gebracht und stellte zufrieden fest, dass das letzte zu den besseren gehörte. Es war nicht viel mehr als ein Ruderboot, aber es glitt leicht über das Wasser und schien augenblicklich zu reagieren, sodass es sich wie ein Teil ihres Körpers anfühlte.

„Dafür bräuchte es mehr Löcher“, sagte Felene, die sich nach vorne beugte, um das Wasser, was über die Seiten gedrungen war, wieder aus dem Boot zu schöpfen. Selbst das verursachte Schmerzen und dann erst das Rudern selbst, wenn der Wind nicht blies…

Felene zuckte beim bloßen Gedanken daran zusammen.

Sie hatte die Wunde behutsam untersucht und ihren Arm in jede Richtung gehoben, um so ihre Rückenmuskulatur zu dehnen. Bei einigen Bewegungen konnte sie den Schmerz ganz gut ignorieren, aber es gab auch andere –

„Zugrunde mit euch!“ fluchte Felene als heißer Schmerz sie durchflutete.

Das Schlimmste war, dass jeder Stich die Erinnerung an die Tat zurückbrachte. Elethes geweitete Augen im Moment, als Stephania sie von hinten erstach. Jeder physische Schmerz brachte auch die Qual des Betrugs mit sich. Sie hatte zu glauben gewagt, dass…

„Was“, fragte Felene. „Dass du endlich glücklich werden könntest? Dass du mit einer Prinzessin und einem süßen Mädchen in den Sonnenuntergang segelst und die Welt dich einfach in Ruhe genießen lassen würde?“

Das war dumm gewesen. In dieser Welt existierten keine glücklichen Ausgänge so wie in den Geschichten der Barden. Mit Sicherheit nicht für eine Diebin wie sie. Was auch immer geschah, es würde immer irgendetwas zu stehlen geben, ob es Juwelen waren oder ein Stückchen von einer Landkarte oder das Herz eines Mädchens, die sich dann als…

„Hör auf“, sagte Felene sich selbst, aber das war leichter gesagt als getan. Manche Wunden verheilten einfach nicht.

Davon abgesehen, dass auch die physischen Wunden noch längst nicht verheilt waren. Sie hatte sie so gut es ging am Strand genäht, doch Felene begann sich um die Einstichstelle, die Stephanias Messer in ihrem Rücken hinterlassen hatte, Sorgen zu machen. Sie zog ihr Hemd nach oben und spritzte Seewasser über die Wunde. Sie biss die Zähne vor Schmerzen zusammen, als sie die Wunde sauberwusch.

Felene war in ihrem Leben bereits verwundet worden und das hier fühlte sich wie eine der schlimmeren Verletzungen an. Sie hatte diese Art von Wunden gesehen und das war in den seltensten Fällen gut ausgegangen. Sie erinnerte sich an einen Kletterführer, der von einem Eisleoparden zerfleischt worden war, als Felene gerade aus einem der toten Tempel etwas hatte stehlen wollen. Felene erinnerte sich an das Sklavenmädchen, dass sie spontan vor ihrem Herren, der es blutig gepeitscht hatte, gerettet hatte, nur um ihr beim Sterben zusehen zu müssen. Dann erinnerte sie sich an diesen Spieler, der darauf bestanden hatte, am Tisch sitzen zu bleiben, nachdem er sich seine Hand an der Scherbe eines zerbrochenen Glases verletzt hatte.

Das einzig Vernünftige, was sie jetzt tun konnte, war, den Rückweg anzutreten, einen Heiler zu suchen und sich so lange auszuruhen bis sie wieder die Alte war. Dann würde die Invasion wahrscheinlich vorbei sein und alle, die an ihr beteiligt waren, in alle Winde zerstreut sein. Doch Felene würde es wieder gut gehen und sie würde hingehen können, wo auch immer sie wollte.

Es hätte ihr eigentlich egal sein können, was mit der Invasion geschah. Sie war eine Diebin. Diebesgut würde es immer geben genauso wie es immer Menschen geben würde, die sie fangen wollten. Nach dem Krieg würde es wahrscheinlich noch mehr von ihnen geben, wenn die Dinge etwas außer Kontrolle gerieten. Aber letztlich gab es für jene, die durchtrieben genug waren, immer eine Lücke, durch die sie schlüpfen konnten.

Sie konnte zurück nach Felldust gehen, sich ausgiebig ausruhen und dann nach einem neuen Abenteuer ausschauhalten. Sie konnte nach langvergessenen Inseln suchen oder zu den Landen fahren, die fest von Eis überzogen waren. Sie würde Schätze und Gewalt, Frauen und Alkohol antreffen. All die Dinge, die sich in ihrem bisherigen Leben so bereitwillig zusammengefügt hatten.

Was sie jedoch antrieb, den Ruderstock weiterhin auf Delos zu richten war einfach: dort würden Stephania und Elethe sein. Stephania hatte sie in Bezug auf Thanos reingelegt. Sie hatte sie benutzt, um nach Felldust zu gelangen und dann hatte sie versucht, sie zu töten. Mehr als nur das, sie hatte versucht, Thanos zu töten, auch wenn die Gerüchteküche Felldusts munkelte, dass er zumindest den Sieg der Rebellen miterlebt haben musste.

Felene konnte Stephania einfach nicht davonkommen lassen. Felene hatte auf ihren Reisen viele Feinde zurückgelassen, doch sie ließ ungern eine Rechnung offen. Ein Jahr zuvor hatte sie wegen einer Beleidigung ein Duell in Oakford gefochten. Ein anderes Mal war sie einem Schmied, der versucht hatte, sie um ihren Anteil zu bringen, durch das halbe Grasland nachgejagt.

Stephania würde für das, was sie getan hatte, sterben. Und Elethe…

In vielerlei Hinsicht war ihr Betrug noch schlimmer. Stephania war eine Schlange. Das hatte Felene von dem Augenblick an, als Stephania ihren Fuß auf das Boot gesetzt hatte, gewusst. Elethe hatte sich gewagt, sie etwas fühlen zu lassen. Es war einer der seltenen Momente in ihrem Leben gewesen, in dem Felene nicht an den nächsten Diebstahl gedacht hatte, sondern zu träumen angefangen hatte.

„Welch ein Traum“, sagte Felene zu sich selbst. „Die Welt bereisen, schöne Prinzessinnen retten und holde Maiden verführen. Wer glaubst du, bist du? So eine Art Heldin?“

Das klang eher nach etwas, das Thanos getan hätte und nicht jemand wie sie.

„Mein Leben wäre so viel einfacher, wenn ich dich nicht getroffen hätte, Prinz Thanos“, sagte Felene. Sie riss an einer der Leinen ihres Boots, sodass es in eine neue Richtung glitt.

Doch das glaubte sie nicht wirklich. Ohne die Begegnung mit Thanos wäre ihr Leben vor allem kürzer gewesen. Ohne ihn wäre sie auf der Gefangeneninsel gestorben und dann…

Er schien ein Mann zu sein, der ein Ziel verfolgte. Der für etwas einstand, auch wenn Felene ihn hatte daran erinnern müssen, was das war. Er war ein Mann, der bereit war, gegen alles zu kämpfen, mit dem er aufgewachsen war. Er hatte gegen das Reich gekämpft, auch wenn es leichter gewesen wäre, es nicht zu tun. Er war bereit gewesen, sein Leben für jemanden wie Stephania zu geben, was tatsächlich heldenhaft war.

„Wenn mir nur der Sinn so stehen würde, dann würde ich mich wohl in dich verlieben“, sagte Felene, als sie über den Prinzen nachdachte. Es war sicher besser, sich in ihn zu verlieben als in jemanden wie Elethe. Aber man bekommt eben nicht immer, was man will in diesem Leben. Mit Sicherheit konnte man sich nicht aussuchen, in wen man sich verliebte.

Es genügte, dass Thanos ein Mann war, dem man Respekt vielleicht sogar Bewunderung entgegenbringen musste. Es genügte, dass der Gedanke an das, was er in solch einer Situation täte, Felene zu einem besseren Menschen machte.

„Wenn auch zu keinem besonders sensiblen.“

Felene seufzte. Dieser innere Kampf führte sie nirgendwo hin. Sie wusste, was sie tun würde.

Sie würde nach Delos fahren. Sie würde Thanos finden, wenn es glückliche Umstände zugelassen hatten, dass er noch am Leben war. Sie würde Stephania finden, sie würde Elethe finden und Blut und Tod würden ausgleichende Gerechtigkeit herstellen. Thanos hätte wahrscheinlich für einen freundlicheren und zivilisierteren Kurs plädiert, aber ihr Wille ihm nachzueifern, hörten eben auch irgendwo auf. Auch wenn er ein Prinz war.

 

Jetzt musste sie es nur noch nach Delos schaffen. Felene hatte keinen Zweifel, dass sich die Stadt bei ihrer Ankunft im Krieg befinden würde, wenn sie nicht sogar schon vor die Hunde gegangen war. Felldusts Flotte würde wie eine schwimmende Barrikade vor der Stadt liegen, denn es war geläufige Taktik in Zeiten des Kriegs, die Häfen zu blockieren.

Nicht, dass Felene sich über derlei Dinge Gedanken machte. Sie hatte oft kräftig verdient, wenn sie Güter an Blockaden vorbei geschmuggelt hatte. Nahrung, Informationen, Menschen, die fliehen wollten, es war immer das Gleiche gewesen.

Felene konnte sich jedoch nicht vorstellen, dass Felldusts Soldaten ihr sonderlich wohlgesonnen sein würden, wenn sie dumm genug war, einfach in die Stadt zu stürmen. Felene erblickte bereits Teile von Felldusts Flotte vor sich, Schiffe reihten sich zwischen Felldust bis zum Reich wie einer Perlenkette über das Wasser. Die Hauptflotte war schon vor einer ganzen Weile aufgebrochen, doch jetzt kamen stoßweise neue Schiffe in Dreier- oder Vierergruppen hinzu, denn sie hofften, so viel wie möglich aus der Invasion herausholen zu können.

Es sprach viel dafür, dass sie zu den Vorsichtigeren gehörten. Felene hatte schon immer einen Hang zu den Menschen gespürt, die zum Stehlen nach einer Schlacht auftauchten als zu jenen, die ihr Leben riskierten. Sie waren diejenigen, die auf sich aufzupassen verstanden. Das waren Felenes Leute.

Ihr kam eine Idee und Felene steuerte ihren Kahn in Richtung einer der Gruppen. Mit ihrem guten Arm zog sie ein Messer hervor.

„Hoy, ihr dort!“ rief sie in ihrem besten Felldustakzent.

Ein Mann mit einem auf sie gerichteten Bogen tauchte an der Reling auf. „Ich denke du, wärest eine gute – “

Er gurgelte als Felene ihn mit ihrer Klinge das Wort abschnitt. Er kippte vom Boot und landete mit einem Klatschen im Wasser.

„Er war einer meiner besten Männer“, sagte die Stimme eines Mannes.

Felene lachte. „Das bezweifele ich, dann hättest du ihn nicht vorgeschickt, um herauszufinden, ob ich eine Bedrohung darstelle. Bist du der Kapitän?“

„Das bin ich“, rief er zurück.

Das war gut. Felene wollte keine Zeit mit denen verschwenden, die sowieso in keiner Verhandlungsposition waren.

„Bist du auf dem Weg nach Delos?“ fragte er.

„Wohin sollten wir sonst fahren?“ rief der Kapitän zurück. „Denkst du etwa, wir sind zum Fischen hergekommen?“

Felene musste an die Haie denken, die sie auf dem Weg zum Ufer gejagt hatten. Sie dachte an den Körper, der zu ihnen ins Wasser gefallen war. „Warum nicht. Da schwimmt jetzt ein Köder im Wasser und in diesen Breiten gibt es so einige Hauptgewinne abzusahnen.“

„Und noch viel größere in Delos“, rief die Stimme zurück. „Versuchst du gerade, dich unserem Konvoi anzuschließen?“

Felene zuckte mit den Schultern, als wäre es ihr egal. „Ich denke mal, dass du eine zusätzliche Schwerthand gebrauchen könntest.“

„Und zusätzliche fünfzig wären sicherlich gut für dich. Aber du siehst so aus, als könntest du kämpfen. Du hältst uns nicht auf und isst dein eigenes Essen. Klar?“

Mehr als klar, wenn Felene so einen Weg nach Delos hinein fand. Wie vorsichtig sie die Stadt auch abschotten mochten, Felldusts Flotte würde sie kein zweites Mal ansehen, wenn sie Teil der Flotte war.

„Klar“, rief sie zurück. „Solange ihr mich nicht aufhaltet!“

„Scharf auf das Gold. Das gefällt mir.“

Sie sollten mögen, was immer sie wollten, solange sie Felene in Ruhe ließen. Lass sie nur denken, dass sie dem Gold nachjagte. Das einzige was zählte, war –

Ein Hustenanfall überraschte Felene und traf sie mit beinahe doppelter Wucht. Er durchdrang sie und ihre Lungen fühlten sich an, als stünden sie in Flammen. Sie legte eine Hand an ihren Mund, und sie bemerkte das Blut an ihren Fingern.

„Alles klar da unten?“ fragte der Kapitän des Felldustschiffes mit eindeutig hörbarer Skepsis. „Ist das Blut? Du schleppst doch keine Plage mit dir rum, oder?“

Felene hatte keinen Zweifel, dass sie alleine weiterreisen musste, wenn er das dachte. Oder er feuerte auf ihr Boot, um sicher zu sein, dass ihm die Krankheit auf keinen Fall zu nahe kam.

„Musste im Hafen ein paar üble Schläge in den Magen einstecken“, log sie und wischte ihre Hand an der Reling ab. „Keine große Sache.“

„Wenn du Blut hustest, scheint es übel zu sein“, rief der Kapitän zurück. „Du solltest an Land gehen und einen Heiler aufsuchen. Du kannst kein Gold ausgeben, wenn du tot bist.“

Das war wahrscheinlich ein guter Ratschlag, doch Felene war nicht so gestrickt, auf die Ratschläge anderer zu hören. Vor allem dann nicht, wenn sie Besseres zu tun hatte. Wenn es nur um Gold gegangen wäre, dann hätte sie vielleicht genau das getan, was der Mann ihr geraten hatte.

„So sagt man“, witzelte Felene. „Ich, ich sage, dass sie Weicheier sind.“

Sie ließ den anderen Schiffskapitän in Lachen ausbrechen. Sie hatte Besseres zu tun.

Es war Zeit, Stephania und Elethe zu töten.

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