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Die Zauberfabrik

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Oliver wurde ganz aufgeregt, wenn er über Physik sprach. Es störte ihn nicht, dass die anderen Kinder ihn anstarrten, als wäre er verrückt.

Er drehte sich wieder zur Tafel. Mrs. Belfry lächelte ihn stolz an.

„Und wisst ihr auch, was diese Erfinder gemeinsam hatten, die Wrights, die Montgolfiers und Robert Goddard, der Erfinder der Rakete? Ich werde es euch verraten: Sie haben Dinge getan, die alle anderen für unmöglich gehalten haben! Ihre Erfindungen waren verrückt. Stellt euch vor, jemand würde euch sagen, dass wir nach dem Prinzip der alten chinesischen Katapulte einen Menschen ins All schießen könnten! Klingt verrückt, oder? Trotzdem waren es weltbewegende Erfindungen, die die Geschichte der Menschheit für immer verändert haben!“

Oliver wusste, dass sie mit ihm redete. Sie sagte ihm, dass er niemals aufgeben sollte, egal was die anderen dachten.

Dann geschah etwas Bemerkenswertes. Als Reaktion auf Mrs. Belfrys Begeisterung wurde die ganze Klasse still. Es war nicht die angespannte Stille vor einem Angriff, sondern die demütige Stille, etwas Inspirierendes gelernt zu haben.

Oliver war stolz. Mrs. Belfry war wirklich die tollste Lehrerin, der er je begegnet ist. Sie war der einzige Mensch, der auch nur annähernd so begeistert von der Welt der wissenschaftlichen Erfindungen war, wie er selbst. Ihr Enthusiasmus brachte sogar seine ungehobelten Klassenkameraden zum Schweigen, wenn auch nur vorübergehend.

Als eine starke Windböe an den Fensterscheiben rüttelte, schreckten alle zurück. Sie sahen aus den Fenstern. Düstere Wolken hingen tief über der Erde.

„Sieht aus, als würde der Sturm uns bald erwischen“, sagte Mrs. Belfry.

Schon ertönte die Stimme des Direktors aus dem Lautsprecher.

„Liebe Kollegen, liebe Schüler, der Nationale Wetterdienst hat soeben eine Warnung herausgegeben. Wir erwarten einen Sturm von nie dagewesener Stärke. Uns wurde geraten, die Schüler vorzeitig aus dem Unterricht zu entlassen und nach Hause zu schicken.“

Alle schrien begeistert durcheinander und Oliver konnte nur mit Mühe die Ansage zu Ende hören.

„Der Sturm soll uns in der nächsten Stunde erreichen. Die Busse stehen draußen bereit. Bitte geht direkt nach Hause. Wenn der Sturm uns erreicht, soll niemand mehr draußen sein. Da die ganze Stadt von der Wetterwarnung betroffen ist, werden eure Eltern euch zu Hause erwarten. Jeder, der dann noch auf dem Schulgelände erwischt wird, muss mit einer Suspension rechnen.“

Außer Oliver schien sich niemand Sorgen zu machen. Die Kinder interessierten sich nur dafür, dass sie schulfrei hatten. Sie rafften ihre Bücher, Taschen und Jacken zusammen und rannten aus dem Klassenzimmer wie eine Herde Wasserbüffel.

„Das war wirklich beeindruckend“, sagte Mrs. Belfry zu Oliver, als sie ihre kleinen Modelle in einem Korb verstaut hatte. „Kommst du auch sicher nach Hause?“, fragte sie besorgt.

Oliver nickte. „Ich nehme den Bus, zusammen mit den anderen“, sagte er. Sofort wurde ihm klar, dass das bedeutete, mit Chris und den anderen Kindern fahren zu müssen. Er erschauderte.

Dann schwang er seinen Rucksack auf den Rücken und machte sich auf den Weg nach draußen. Der Himmel war inzwischen so schwarz, dass er fast dunkel war. Spannung lag in der Luft.

Mit gebeugtem Kopf ging Oliver zum Bus. Da bemerkte er etwas hinter sich, das ihm weit mehr Angst einjagte, als jeder Sturm. Chris und seine Spießgesellen.

Oliver drehte ab und rannte weg. Er rannte direkt zum ersten Bus in der Reihe. Er war bereits voll und wollte gerade anfahren, als Oliver gegen die Tür trommelte. Ohne zu sehen, wohin er ihn bringen würde, stieg er ein.

Die Tür schloss sich und der Bus fuhr los. Gerade rechtzeitig, bevor Chris ihn erreichen konnte. Er starrte Oliver wütend durch die geschlossene Scheibe an.

Doch Oliver bewegte sich bereits mit dem Bus in eine unbekannte Richtung. Oliver sah, wie sein Bruder in einen anderen Bus stieg, bevor er um die nächste Ecke bog und außer Sichtweite war.

Wenn der andere Bus die gleiche Route fuhr wie dieser, dann würden Chris und seine Freunde genau sehen, wo Oliver ausstieg. Er schluckte schwer. Sie würden ihm bestimmt eine Abreibung verpassen! Er biss sich auf die Unterlippe und sehnte sich nach seinem Unsichtbarkeits-Mantel. Wenn er doch nur schon fertig wäre! In dieser Situation wäre er perfekt!

Der Himmel brach auf und dicke Tropfen fielen auf die Straße. Keine Minute später zerriss der erste Blitz den Himmel. Sollte der Sturm sie nicht erst in einer Stunde erreichen?

Der Bus wankte gefährlich die Straße entlang. Oliver griff nach einer Metallstange und stieß gegen die Kinder, die um ihn herum standen. Seine Besorgnis war nun echter Furcht gewichen. Wieder zuckte ein Blitz über den Himmel. Einige Kinder schrien vor Schreck auf.

Oliver überlegte, ob er den Sturm zu seinem Vorteil nutzen konnte. Nachdem er wegen Chris nicht an seiner eigentlichen Haltestelle aussteigen konnte, musste er am besten in einer Schar von anderen untertauchen und spontan aussteigen. Der dichte Regen und der allgemeine Tumult würde ihm bestimmt helfen, von Chris unbemerkt davonzukommen.

Der Bus hielt an, eine Gruppe von Kids drängte sich zum Ausgang. Oliver sah sich um und erkannte, dass sie kurz davor waren, in sein schäbiges Viertel einzubiegen. Die meisten Kinder, die auf die Campbell Junior High gingen, wohnten in dem benachbarten, freundlicheren Viertel. Oliver kannte sich hier zwar nicht richtig aus, aber er hatte eine grobe Vorstellung davon, in welche Richtung er gehen musste.

Kurz entschlossen zog er den Kopf ein und stieg mit den anderen Kindern zusammen aus. Der Regen hatte ihn in wenigen Augenblicken vollkommen durchnässt. Er wollte sich mit der Menge von der Haltestelle wegbewegen, aber zu seinem Schreck verstreuten sich die Kinder sofort in alle Richtungen. Bevor er reagieren konnte, stand er alleine mitten auf dem Gehweg. Keine Sekunde später sah er den zweiten Bus ankommen. Chris hatte Oliver sofort gesichtet, wild gestikulierend machte er seine Freunde auf Oliver aufmerksam.

Jeden Augenblick würde sich die Tür öffnen und die Spießgesellen über ihn herfallen.

Oliver rannte los.

Er hatte keine Ahnung, wohin ihn die Straße führen würde, aber er rannte trotzdem immer weiter, ohne sich umzudrehen. Regen und Wind schlugen ihm entgegen und machten es ihm schwer, aber dies war eine der seltenen Situationen, in der es ein Vorteil war, klein und wendig zu sein. Chris hatte bestimmt noch größere Schwierigkeiten, sich gegen den Wind voranzukämpfen. Doch Chris war nicht sein einziges Problem. Seine Freunde waren auch hinter ihm her und Oliver wusste, dass das Mädchen sehr schnell rennen konnte. Er blickte über die Schulter und sah sie hinter sich.

Oliver rannte an ein paar Geschäften vorbei und bog in eine enge Gasse ein. Er knallte gegen kleine und große Hindernisse, wie einen alten Einkaufswagen, leere Kisten und Ähnliches.

Dann bog er um eine Ecke und war einen kurzen Moment lang außer Sichtweite der Bullys. Eine gewaltige Windböe warf eine große Mülltonne um. Plötzlich hatte er eine Idee. Ohne zu zögern kletterte er in die Tonne und versteckte sich zwischen alten Folien und Essensresten.

Er wartete.

Die Beine des Mädchens erschienen auf dem Gehsteig neben der Tonne. Sie wurden langsamer und drehten sich langsam um sich selbst. Sie suchte ihn. Dann hörte er weitere Schritte. Chris und die anderen waren angekommen.

„Wo ist er?“, rief einer.

„Wie konntest du ihn verlieren?“, fragte Chris.

„Ich hatte ihn die ganze Zeit im Blick und auf einmal war er weg!“, rief das Mädchen.

Oliver rührte sich nicht. Sein Herz klopfte wild und seine Beine zitterten vor Erschöpfung.

„Er hat einen seiner Tricks angewendet“, sagte Chris.

Oliver zog in der stinkigen, dunklen Tonne die Augenbrauen hoch. Wovon redete er?

„Meinst du, er hat sich selbst verschwinden lassen? Das ist sowas von gruselig!“

„Ich habe euch doch gesagt, dass er ein Freak ist!“, sagte Chris.

„Vielleicht ist er von Satan besessen oder so“, sagte einer der anderen Jungen.

„So ein Quatsch. Der ist einfach nur verrückt“, entgegnete Chris.

„Ich glaube, du hast recht“, sagte das Mädchen. Ihre Stimme wurde leiser, als würde sie sich entfernen.

Oliver konnte die Beine nicht mehr sehen. Gaben sie etwa auf?

Oliver lauschte gebannt. Ihre Stimmen wurden tatsächlich immer leiser. Aber selbst, als sie schon längst verklungen waren, harrte Oliver noch eine Weile in seinem Versteck aus. Bald wurde der Regen noch stärker und prasselte laut auf die Metalltonne. Erst jetzt traute er sich aus seinem Versteck. Selbst wenn Chris ihn unbedingt verprügeln wollte, würde er dafür nicht ewig im strömenden Regen stehen und seine Spießgesellen auch nicht.

Langsam begann er, aus der Tonne zu kriechen, als plötzlich ein starker Windstoß die Tonne erfasste und sie ins Rollen brachte.

Oliver versuchte sich festzuhalten, doch er wurde erbarmungslos herumgeschleudert und verlor schnell Halt und Orientierung. Panik und Übelkeit machten sich in ihm breit. Er hoffte, dass der Wind nachließ und die Tonne zum Stehen kam, doch es war vergeblich.

Sein Kopf schlug mit einem lauten Knall gegen das Metall. Sterne leuchteten vor seinen Augen auf. Dann wurde alles schwarz.

*

Oliver öffnete die Augen. Noch immer befand er sich in seinem Gefängnis aus Metall. Doch jetzt bewegte sich die Tonne nicht mehr. Oliver hörte immer noch den Sturm toben. Orientierungslos blinzelte er und fasste sich an en schmerzenden Kopf. Eine stinkende Pfütze von Dreck und verrottenden Essensresten ließ ihn würgen. Wie lange er wohl schon hier lag?

 

Schnell kroch er aus der Tonne heraus. Der Himmel war noch immer dunkel und der Regen fiel in dicken Bahnen. Frierend wurde er aufs Neue von Kopf bis Fuß durchweicht. Wenigstens wusch der Regen ihn wieder sauber. Er rieb sich die Arme und sah sich zitternd um. Oliver hatte nicht die geringste Ahnung, wo er war.

Als aus dem dichten Regenschleier plötzlich ein riesiges Gebäude auftauchte, begriff er, wohin die Tonne ihn gebracht hatte. Er war bei der Fabrik! Doch diesmal brannte darin Licht. Olivers Kinnlade klappte auf. Sah er es wirklich, oder hatte er eine Halluzination?

Der Regen peitschte weiterhin auf Oliver hinab. Er starrte die beleuchteten Fenster der Fabrik an. Sie schienen ihn magisch anzuziehen.

Er ging auf die Fabrik zu. Jeder Schritt patschte auf dem Asphalt. Schnell schlug er sich zwischen Brennnesseln und Efeu an dem Gebäude entlang, bis er auf die andere Seite gelangte. Bald hatte er die Tür erreicht, die wie am Vortag einen Spalt breit geöffnet war. Schnell zwängte er sich hindurch und befand sich wieder in der finsteren Halle.

Oliver atmete auf, erleichtert endlich im Trockenen zu sein. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnte hatten, sah er, dass alles aussah wie bei seinem letzten Besuch. Die alten, mit Spinnweben behangenen Maschinen staubten vor sich hin.

Doch etwas war anders…

Auf dem Boden bemerkte Oliver eine dünne gelbe Linie. Aber es war keine Farbe, sondern Licht. Als er die Quelle des Lichtstrahls geortet hatte, lief er schnell darauf zu. Er führte ihn direkt zu einer Wand aus Backstein.

Wie seltsam, dachte Oliver und legte seine Finger an die Wand. Licht kann doch nicht durch die Wand hindurch scheinen.

Es musste irgendwo einen Spalt geben. Er tastete die Wand ab, bis er etwas fühlte. War das ein Griff? Hoffnungsvoll drückte er darauf. Erstaunt sprang er zurück, als sich die Wand mit einem gewaltigen Knarren in Bewegung setzte.

Der Boden bebte und Oliver begann zu wanken. Er konnte sich nur mit Mühe auf den Füßen halten. Drehte er sich? Nein, die ganze Wand drehte sich! Sie musste auf einer Drehscheibe gebaut sein! Schon ergoss sich goldenes Licht über den Jungen.

In der gleißenden Helligkeit blinzelte er. Seine Beine zitterten, als die Scheibe so plötzlich zum Stehen kam, wie sie sich in Bewegung gesetzt hatte.

Klickend rastete die Wand in ihrer neuen Position ein.

Erstaunt sah Oliver sich um. Er befand sich jetzt in einem verborgenen Flügel der Fabrik. Überall standen fantastische, wirklich unglaubliche Geräte! Diese Erfindungen waren keine verstaubten und verrosteten Relikte, sondern glänzende, gigantische Neuschöpfungen.

Staunend ging er auf die nächstbeste Maschine zu. Ein beweglicher Arm schwang direkt über seinen Kopf hinweg. Er duckte sich in letzter Sekunde und sah, wie die Hand am Ende des Arms ein gekochtes Ei in einen Korb legte. Direkt daneben stand ein Gerät, dessen Hände über die Tasten eines Klaviers flogen und eine zauberhafte Melodie spielten, während ein Metronom den Takt dazu schlug.

Er war so bezaubert von diesen Erfindungen, dass Oliver das topfförmige Gebilde, das er am Vortag in der Dunkelheit gesehen hatte, gar nicht bemerkte. Ebenso wenig bemerkte er den alten Mann, der daran arbeitete. Erst als ein Kuckuck lärmend über seinen Kopf flog, erschrak er und stolperte rückwärts gegen ihn.

Oliver wirbelte herum. Er erkannte das Gesicht sofort. Auch wenn er einige Jahre älter geworden war, hätte er den Mann aus seinem Buch immer und überall erkannt.

Vor ihm stand Armando Illstrom.

Oliver schnappte nach Luft. Er konnte es nicht fassen! Sein großes Vorbild stand lebendig und kerngesund vor ihm!

„Aha“, sagte Armando lächelnd. „Ich habe mich schon gefragt, wann du mich finden würdest.“

KAPITEL FÜNF

Ungläubig rieb sich Oliver die Augen. Ganz anders als die düstere, verstaubte, verlassene Fabrik jenseits der Mauer, war diese Seite der Fabrik warm, hell und sauber. Das lebhafte Vibrieren von fleißig arbeitenden Maschinen lag in der Luft.

„Du bist ja völlig durchnässt. Ist dir kalt?“, fragte Armando.

Oliver sah ihn mit großen Augen an. Er konnte immer noch nicht fassen, dass er sein großes Vorbild wirklich gefunden hatte. Er brachte kein Wort heraus.

Er wollte sagen, dass er wirklich durchgefroren war, aber aus seiner Kehle kam nur ein leises Kratzen.

„Na komm, mein Junge, ich mache dir einen heißen Tee.“

Obwohl sein Gesicht viele Jahre älter aussah, war Oliver sich ganz sicher, dass es der Mann aus seinem Buch war. Oliver rechnete nach. Er wusste, dass diese Fabrik bereits im Zweiten Weltkrieg betrieben worden war und dass Armando um die zwanzig Jahre gewesen sein musste, als sie ihre Blütezeit erlebt hatte. Das bedeutete, dass er jetzt über neunzig Jahre alt sein musste! Erst jetzt bemerkte er, dass Armando seinen gebrechlichen Körper auf einen Gehstock stützte.

Langsam folgte er dem alten Mann durch die Fabrik. Die Beleuchtung in den Gängen war zu schwach um zu erkennen, was genau die großen Gebilde waren, an denen sie vorbei gingen. Oliver vermutete wunderbare Erfindungen dahinter, die im Gegensatz zu den verrosteten Maschinen auf der anderen Seite der Mauer einwandfrei funktionierten.

Sie gingen einen Gang entlang und Oliver konnte immer noch nicht glauben, dass das, was er sah, echt war. Er erwartete, jeden Moment aufzuwachen und festzustellen, dass es wirklich nur ein Traum war.

Es war schwer zu sagen, was fantastischer war: der großartige Erfinder oder die Fabrik an sich?

Die Fabrik erinnerte ihn an einen Kaninchenbau, ein Labyrinth mit Türen und Gängen und Treppen, die von der Haupthalle wegführten. Als er am Tag zuvor durch die äußeren Gänge gegangen war, war er nicht einmal auf die Idee gekommen, dass es hier einen verborgenen Flügel geben könnte. Es gab keinerlei Hinweise auf weitere Treppenaufgänge oder Ähnliches. Ja, die Fabrik war groß, von außen sah sie aus wie ein riesiges, rechteckiges Prisma. Niemand konnte ahnen, wie verschlungen die innere Struktur war. Er wusste, dass Armando außergewöhnlich war, aber dieses Gebäude war geradewegs bizarr!

Oliver sah sich aufmerksam um. Hinter einer Glastür sah er eine riesige Maschine, die Charles Babbages erstem Computer ähnlich sah. Durch eine andere Tür sah er einen Raum mit vielen Türen, wie eine Kirche. Und durch ein Fenster in einem Zwischengeschoss sah er eine ganze Reihe von großen Teleskopen aus Messing.

Immer weiter ging der tattrige Erfinder, sein Atem rasselte leise. Er sah in einen weiteren Raum voller unheimlich menschlich aussehender Roboter. In wieder einem anderen entdeckte er einen Panzer, der mit den komischsten Waffen ausgestattet war, die Oliver je gesehen hatte.

„Ich hoffe, du hast keine Angst vor Horatio“, sagte Armando plötzlich. Oliver zuckte zusammen. Er war ganz in Gedanken versunken.

Er sah sich nach dem ominösen Horatio um und stellte sich alle möglichen Maschinen vor, die diesen Namen tragen könnten, bis er einen klapprig aussehenden Jagdhund in einer Ecke in seinem Korb schlafen sah.

Armando redete weiter. „Seine Arthritis ist noch schlimmer als meine. Armes Ding. Die Schmerzen machen ihn ganz mürrisch.“

Oliver sah den alten Hund an, der neugierig die Luft schnüffelte. Dann legte er seinen Kopf seufzend wieder auf die Pfoten und schlief weiter.

Armando trottete in die Küche. Oliver folgte ihm. Es war eine kleine Küche, in der eine große Unordnung herrschte. Genau wie man es sich vorstellte bei einem Mann, der seit sechzig Jahren verrückte Erfindungen in einer verlassenen Fabrik erschuf.

Oliver blinzelte im fluoreszierenden Licht.

„Magst du Tomatensuppe?“, fragte Armando.

„Mhm“, brummte Oliver, der immer noch keinen vollständigen Satz herausbrachte.

„Das soll wohl ein Ja sein“, sagte Armando und lächelte freundlich.

Oliver sah zu, wie er zwei Dosen Suppe aus einem Schrank holte, dessen Türen ganz schief hingen. Dann nahm er ein Gerät aus der Schublade, das zwar wie ein Dosenöffner aussah, aber viel größer war – so groß, dass er zwei Hände brauchte um es zu bedienen.

„Es gibt einen Grund, warum man sagt, dass das Rad nicht neu erfunden werden muss“, sagte Armando kichernd, als er Olivers neugierigen Blick sah.

Als er die Dosen geöffnet hatte, goss er deren Inhalt in einen Topf und stellte ihn auf eine kleine Gasflamme. Oliver stand regungslos daneben. Er konnte nur noch den alten Mann anstarren. Ein paarmal kniff er sich in den Arm, nur um sicher zu gehen, dass er nicht träumte.

Es war wirklich wahr.

Er war mit Armando Illstrom in seiner unglaublichen Fabrik.

„Setz dich doch, mein Junge“, sagte Armando und stellte zwei dampfende Teller Suppe auf einen wackeligen Holztisch. „Iss.“

Wenigstens das konnte Oliver noch. Mit einem flauen Gefühl im Bauch setzte er sich auf einen Stuhl. Langsam nahm Armando ihm gegenüber Platz. Im Licht bemerkte Oliver, dass auf seinen Augen ein dünner, grauer Schleier lag und in seinem Gesicht ein paar Altersflecken zu sehen waren. Als Armando die Hände auf den Tisch legte, sah Oliver, wie rot und geschwollen seine Knöchel waren.

Die Suppe dampfte direkt in sein Gesicht. Olivers Magen knurrte, und obwohl er von der ganzen Situation völlig benommen war, übernahm sein Hunger das Kommando. Ganz automatisch nahm er den Löffel und begann zu essen. Die Suppe schmeckte wunderbar, besser als alles, was es zu Hause gab. Sie wärmte ihn im Handumdrehen.

„Schmeckt sie dir?“, fragte Armando, während er seine eigene Suppe weit langsamer löffelte.

Oliver nickte.

„Hoffentlich taust du bald ein bisschen auf“, fügte Armando freundlich hinzu.

Oliver war nicht sicher, ob er seinen durchgefrorenen Körper oder seine Sprachlosigkeit meinte. Hatte er überhaupt schon etwas gesagt, seit er hier angekommen war? Selbst wenn er etwas sagen wollte, fehlten ihm einfach die Worte.

Jetzt wollte er es wagen und die eine Frage stellen, die ihn die ganze Zeit schon unter den Nägeln brannte. Doch als er den Mund öffnete, kam nur ein lautes Gähnen heraus.

„Du bist ja ganz müde“, sagte Armando. „Ich habe ein Gästezimmer, in dem du dich hinlegen kannst, wenn du möchtest. Ich hole dir eine Decke. Es ist wirklich kalt draußen.“

Oliver sah ihn erstaunt an. „Mich hinlegen?“

Armando nickte. „Du willst doch nicht wieder in diesen Sturm hinausgehen, oder? Bei der letzten Radioansage habe sie dazu geraten, noch ein paar Stunden in Deckung zu bleiben.“

Erst jetzt dachte Oliver an seine Eltern. Sie hatten ganz sicher auch die Warnung gehört. Was würde wohl passieren, wenn sie feststellten, dass nur einer ihrer Söhne zu Hause angekommen war? Er hatte keine Ahnung, wie lange er in dieser Mülltonne bewusstlos gelegen hatte. Ob sie sich schon Sorgen um ihn machten? Ob sie sich überhaupt Sorgen machen würden?

Dann schüttelte Oliver den Gedanken ab. Seine Eltern hatten ganz bestimmt noch gar nicht bemerkt, dass er weg war. Wieso sollte er die Gelegenheit, in einem richtigen Bett zu schlafen, einfach aufgeben? Zu Hause wartete doch nur die kalte Nische im Wohnzimmer auf ihn.

Er sah Armando entschlossen an.

„Das klingt wunderbar. Vielen Dank.“ Endlich hatte er einen ganzen Satz herausgebracht. Nach einer kurzen Pause fügte er einen weiteren hinzu. „Ich habe so viele Fragen, die ich Ihnen stellen möchte.“

„Die laufen nicht weg, mein Junge. Jetzt ruh‘ dich erstmal richtig aus. Wenn du wieder wach bist, können wir weiterreden.“

Er sah ihn an, als wüsste er etwas über Oliver, das er selbst noch nicht verstanden hatte. Ob Armando etwas über seine seltsamen Kräfte und Visionen wusste? Er schüttelte den Kopf. Natürlich nicht. Armando war schließlich kein Hellseher. Er war ein Erfinder, das hatte nichts mit Magie zu tun.

Dann überwältigte die Müdigkeit ihn. Der Sturm, der Stress der letzten Tage, der Hunger und die Begeisterung über die Fabrik, das alles war zu viel für ihn.

„Einverstanden“, sagte Oliver schließlich. „Nur ein kleines Nickerchen.“

 

„Na also“, sagte Armando zufrieden.

Oliver stand auf und rieb seine müden Augen. Armando stützte sich auf seinen Stock. „Hier entlang“, sagte er und zeigte auf einen schmalen, finsteren Gang.

Langsam ging Oliver hinter dem alten Mann her. Sein Körper fühlte sich träge und schwer an.

Am Ende des Ganges befand sich eine niedrige, geschwungene Holztür, wie Oliver sie aus kleinen Kirchen kannte. In der Tür war sogar ein kleines Fenster mit einem polierten Metallrahmen.

Armando öffnete die Tür und schob Oliver in das Zimmer. Als Oliver über die Schwelle trat, war er überrascht.

Das Zimmer war viel größer, als er vermutet hatte, und auch viel ordentlicher, wenn man es mit dem Zustand der kleinen Küche verglich. In der Mitte stand ein großes Bett mit einer dicken, weichen Decke und passenden Kissen. Am Fußende lag noch eine zusätzliche Wolldecke ordentlich gefaltet. Unter dem Fenster mit den langen blauen Vorhängen stand ein kleiner Holztisch, auf dem unzählige Zinnsoldaten standen. In einer Ecke stand ein hübscher Sessel, daneben ein großes Bücherregal, das vollgestopft war mit interessant aussehenden Abenteuergeschichten.

Es war in jeder Hinsicht ein Zimmer, in dem ein elfjähriger Junge wie Oliver wohnen sollte, anstatt in einer kalten, schummrigen Nische in einem unmöblierten Wohnzimmer. Er wurde auf einmal wahnsinnig traurig. Noch stärker war das Gefühl von Dankbarkeit für diese unverhoffte Chance, seine verkorkste Welt für ein paar Stunden hinter sich zu lassen.

Er drehte sich zu Armando um. „Das ist wirklich ein sehr hübsches Zimmer“, sagte er. „Sind Sie sicher, dass es Ihnen nichts ausmacht, wenn ich ein wenig hier bleibe?“

Armando lächelte gütig und warf einen besorgten Blick auf Olivers nasse Kleidung. Oliver war bewusst, dass er eine nasse Spur durch die ganze Fabrik gezogen hatte. Doch Armando schien das kein bisschen zu stören. Nicht wie seine Mutter, die am Tag zuvor deswegen ganz wütend geworden war.

„Ich hoffe du schläfst gut und fühlst dich frisch und erholt, wenn du wieder wach wirst“, sagte er. Dann drehte er sich um und ging.

Ehrfürchtig stand Oliver noch einen Augenblick im Zimmer, bevor er spürte, dass seine Beine fast vor Erschöpfung nachgaben. Er wollte so gerne über all seine Erlebnisse nachdenken und versuchen, die Kette von Ereignissen zu verstehen, die ihn hierher geführt hatten, aber sein Körper wollte mit aller Macht schlafen.

Er zog seine nasse Kleidung aus und zog einen zu großen Pyjama an, der im Schrank hing. Dann kroch er ins Bett. Die Matratze war wahnsinnig gemütlich, die Decke war schnell warm und duftete nach frischem Lavendel.

In diesem großen, weichen Bett fühlte sich Oliver sicherer als je zuvor in seinem Leben.

Es kam ihm vor, als hätte er endlich seinen Platz in der Welt gefunden.

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