Sklaverei

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Из серии: Reclam Taschenbuch
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Eine Welt- und Globalgeschichte, die Sklaverei und die sozialen Gruppen, die sie konstituieren (Versklavte, Sklavenhalter, Sklavenhändler und Personal) als Ordnungsprinzip nutzt, soll nicht zur Inflation eines ›europäischen‹ Begriffs beitragen. Sklavereien sowie Versklavte (und weitere Gruppen) können in gegebenen Gesellschaften durchaus empirisch lokalisiert und erforscht werden. Wenn dabei der Eindruck entsteht, alles sei Sklaverei gewesen (ich übertreibe etwas), so ist dieser Eindruck generell nicht ganz falsch. Es gibt einen wahren Kern – in allen Gesellschaften der Welt hat es Versklavte gegeben und in vielen Gesellschaften sogar Massen von Versklavten, die globalgeschichtlich meist nicht nach europäisch-westlichen Rechtsformen definiert waren. Und sie waren oft für global operierende Europäer oder »Westler« und »Westlerinnen«, die Quellen wie Briefe, Tagebücher oder Reiseberichte schrieben, einfach nicht als Sklavinnen und Sklaven erkennbar. Der Eindruck entsteht aber auch, weil oftmals die Frage nach globalen Sklavereiformen überhaupt nicht gestellt worden ist und – zusätzlich – viele Gesellschaften, Individuen und Institutionen lieber den Schleier des »forgetting« darüber wallen lassen würden. Dazu kommt, dass sich eine Welt- und Globalgeschichte der Sklaverei und der Versklavten sowie Versklaver eben auf ihren Gegenstand zu konzentrieren hat.

Wie eine ganze Reihe von Historikern subsumiert der Konstanzer Globalhistoriker Jürgen Osterhammel Sklaverei unter servitude:

»Servitude umfasst neben (1) Sklaverei mindestens vier weitere Formen: (2) Leibeigenschaft (serfdom), (3) Indentur (indentured service), (4) Schuldknechtschaft (debt bondage) und (5) Zwangsarbeit im Strafvollzug (penal servitude)«.31

Allerdings ist fraglich, warum man für globale Sklavereiformen unter Einbeziehung der heutigen Formen ›moderner‹ Sklavereien diskursiv übergeordnete Ersatzworte wie Servilität, bondage oder servitude sowie »Leibeigenschaft«, »Schuldknechtschaft«, »Zwangsarbeit« oder »Knechtschaft« nutzen soll und welcher Erkenntnisgewinn für eine globale Weltgeschichte der Sklaverei in solchen anderen Begriffen liegen könnte. (Gleichwohl können Letztere als Differenzierungen im konkreten lokalen Rahmen, in legalen Systemen oder innerhalb eines Forschungsfeldes durchaus sinnvoll sein.) Die Ablehnung des Wortes Sklaverei als Oberbegriff wird meist mit Rechtsformen begründet, beruht aber historisch oft auf Diskursstrategien wie einer gezielten Politik des »Schweigens« über Sklaverei bzw. Sklaven. Oder sie wurzelt in einer gezielten »Nichtsichtbarmachung« – man verzeihe mir das Wortungetüm – von Versklavten sowohl gerade wegen der Existenz von Versklavten in Realzeit (wie im Heiligen Römischen Reich im 18. Jahrhundert)32, aber auch in Bezug auf »the work of forgetting slavery« in Großbritannien nach 1808 (Abolition des Sklavenhandels auf britischen Schiffen) und 1838 (Abolition der Sklaverei in britischen atlantischen Gebieten).33 Gezieltes forgetting ging und geht weltgeschichtlich weit über das britische Beispiel hinaus, cum grano salis gilt das für alle Sklavereimächte und ehemaligen Sklavereimächte, aber auch für Imperien, die sich bisher in gewisser Weise als »sklavenfrei« oder wenigstens »sklavenhandelsfrei« konzipiert haben bzw. konzipiert worden sind (wie das spanische Weltreich). Und Nichtsichtbarmachung von Versklavten ist auch heute gängig.

Am wenigsten Sinn ergibt die Unterscheidung aus post-postkolonialer Sicht, wenn die »Kolonialität von Arbeit« an den Rändern des »Westens« (und in seinen peripheren Einflussgebieten, wenn man, wie ich, die Wallersteinschen Peripherien nicht so mag) konstatiert wird, meist nachdem auf die Konzeptualisierung von Sklaverei als »Anomalie« und als »niedrigere Form« von Arbeit durch Adam Smith und Karl Marx verwiesen wurde: Man spricht dann von »einer Theorie des Weltsystems, die Sklaverei und Leibeigenschaft zusammen mit Pachtverhältnissen, Kontraktsklaverei und anderen Formen der Zwangsarbeit als Arbeitsregime an der Peripherie des modernen kapitalistischen Systems begreift«.34

Hinter dem Unwillen, Sklaverei auch Sklaverei und Sklaven Versklavte zu nennen, steht nicht nur kulturalistischer Relativismus, sondern neben dem aktiven Vergessen auch einerseits eine Politik des Schweigens über Sklaverei, die historisch sehr alt ist, und andererseits ein funktionalistischer Unwille gegen die heute gängige Sklavereirhetorik des Neoabolitionismus, der mediengerecht gegen neo-slavery vorgeht. Der rhetorische »Kampf gegen Sklaverei und Sklavenhandel« ist seit den Umbruchzeiten um 1800 ein Mittel, um die Gefühle möglichst vieler Menschen an Wirtschafts-, Sozial- und Lebensformen sowie an die Kultur von Gesellschaften zu binden, die für sich Freiheit und Modernität als normative Hauptwerte proklamieren, während sie Wirtschaftsformen der direkten Kontrolle des Körpers von Ausgebeuteten (»Sklaverei«) für alt und unmodern erklären.

Hat sich irgendeiner der (westlichen) ›Wertehistoriker‹ schon einmal gefragt, wie ein Bogen großer Emotionen (»Moral«, humanitarian feeling) von der Abolitionsbewegung in Großbritannien Ende des 18. Jahrhunderts hin zu medial inszenierten Großspektakeln der Neoabolitionisten gegen »moderne Sklaverei und trafficking« geschlagen werden konnte? Großbritannien prägte um 1800–1840 eine neue »moralische Ordnung« der Globalgeschichte. »Britisch sein« bedeutete nach den Napoleonischen Kriegen nach 1815 und vor allem nach 1840, zur siegreichen »Zivilisation« zu gehören und den »Freihandel« zu unterstützen. Die Menschen in Gegenden zukünftiger britischer Herrschaft (und anderer europäischer Kolonialherren) waren Opfer und sollten es bleiben. Julia O’Donnell nennt die heutige Anknüpfung an die von Großbritannien ausgerufene »neue moralische Ordnung« in einer scharfen Argumentation die Wahl zwischen Viktimisierung und Konsumentenbekehrung, in der sich Regierungen und NGOs mit Coca-Cola und Microsoft einig seien.35

Sehr verkürzt gesagt unterliegen Menschen, die versklavt werden, einer inneren und einer äußeren Degradierung ihres Status. Innere Degradierung bedeutet, dass versklavte Menschen am unteren Ende der Hierarchie einer gegebenen Gruppe, Gemeinschaft (community) oder Gesellschaft in der Geschichte angesiedelt wurden. Ihre Körper wurden oft markiert – durch Torturen, Peitschenhiebe, mit einer Verstümmelung oder einem Zeichen, Tabus, einer bestimmten Kleidung oder Nicht-Kleidung (etwa keine Schuhe), oder mittels bestimmter Arbeiten, die mit Schmutz, Unreinheit, Blut, Leichen, Ekel, Dreck und schwerster Routine zu tun hatten. Ich nenne sie »Versklavte« statt »Sklaven und Sklavinnen«, um deutlich werden zu lassen, dass die Menschen keine »geborenen Sklaven« waren, wie es bei Aristoteles heißt, sondern zu Sklaven gemacht wurden (selbst wenn sie wirklich als Sklaven geboren wurden). Meist handelte es sich um Frauen oder Kinder, die ihre Verwandten verloren hatten (oder von ihnen weggegeben wurden), neu in eine Gruppe gekommen waren, oder um Schuldner.

Je länger es diesen Status in einer gegebenen Gruppe oder Gesellschaft gab, oder im Fall massiver Konflikte oder Expansionen, desto mehr wurde die innere Degradierung verschärft, bis hin zu typischen Mutilationen oder rechtlichen Fixierungen des Sklavenstatus wie im alten Rom oder in anderen Sklavengesellschaften. In China existierte eine scharf umrissene legale Festschreibung des Sklavenstatus nur für Staats- und Militärsklaven sowie für Verbrecher und für Menschen, die in Gebiete außerhalb Chinas verschleppt wurden, oder die sich am Beginn des slaving-Prozesses »freiwillig« verpflichteten und dann in Sklavereigesellschaften transportiert wurden. Eines der Körpermutilationsmodelle für Dauersklaven ist im Alten Testament auf folgende Weise beschrieben: »So bringe ihn sein Herr vor Gott und stelle ihn an die Tür oder Pfosten und durchbohre mit einem Pfriemen sein Ohr, und er sei Sklave für immer«.36 Aber auch Spanien oder England im Mittelalter und in der frühen Neuzeit kennen Mutilationen und Brandzeichen im Gesicht, wie den berühmt-berüchtigten »ese« und »clavo« (ein S-Zeichen mit dem Symbol eines Nagels in der vertikalen Mitte – heute das Dollarsymbol ($); zugleich das spanische Wort für Sklave – ese + clavo (= esclavo) oder Namen von Eigentümern, die auf die Wangen gebrannt wurden. Das wichtigste Besitzzeichen ist das bereits erwähnte Brandzeichen (carimba oder carimbo), meist auf Schulter oder Rücken, im Bereich der atlantischen Sklaverei.37

Es gab auch Elitesklaven, die vor allem im islamischen Bereich in verschiedenen Sultanaten Militär-, Verwaltungs- und Herrschaftsbeamte wurden, etwa im Safawiden-Reich (Persien) oder unter den Osmanen, im Mamluken-Sultanat sowie im Sokoto-Kalifat. Die meisten dieser Sklavensoldaten entstammten der Tradition der türkisch-mongolischen Militär- oder Elitesklaverei aus Asien. Eine Statuserniedrigung spielte aber auch in den Biografien dieser Versklavten eine Rolle, oft ganz am Anfang, etwa wenn »weiße« Jungen aus christlichen Familien oder Mädchen aus bestimmten Regionen (meist aus dem Kaukasus, aus Südrussland/Ukraine oder aus dem Sudan) verschleppt wurden. Ehud R. Toledano nennt diese Elitesklaven im Osmanischen Reich »kul-type slaves«38. Als Staats- und Elitesklaven arbeiteten sie meist in Palastkomplexen, aus denen sich Herrschaftseliten rekrutierten – auch im direkten biologischen Sinne, wenn versklavte Mädchen und Frauen (»Harem«) für den Nachwuchs sorgen mussten.

Bestimmte Typen der Opfersklaverei – z. B. für gefangene Elitekrieger in Mittelamerika – gingen ebenfalls mit zeitweilig hohem gesellschaftlichem Status einher. Das Phänomen findet sich in allen Imperien und Häuptlingstümern Amerikas sowie speziell bei hochrangigen aztekischen Opfersklaven. Für die Verkörperung des Kriegsgottes der Mexica wurde ein junger, schöner und angenehmer Kriegsgefangener sehr hohen Rangs ausgewählt, der neben dem offiziellen Mexica-Machthaber (tlatoani = Großer Sprecher) für ein Jahr Tezcatlipoca (»Rauchender Spiegel« oder »Rauch des Spiegels«) verkörperte, die oberste Macht und Gottheit. Der Opfer-Repräsentant Tezcatlipocas wählte nach einem Jahr den Zeitpunkt seines Todes selbst aus. Dieser zeitweilige extrem hohe Status wurde aber nur ausgesuchten Opfersklaven zuteil, einen mittleren Status nahmen gefangen genommene Krieger ein und bei Massenopfern wurden auch Menschen niedrigen Status getötet.39

 

Eliteversklavte, die mit ihrem Wissen, ihren Fertigkeiten und ihrem Körper Dienste leisten mussten, gab es auch im atlantischen Westen (in geringerem Umfang) mit den sogenannten Königssklaven, den esclavos del rey (z. B. die bekannten congos reales als Artilleristen) oder nègres du roi. Die Versklavten verstanden sich als Elite und brachten dieses Statusbewusstsein auch zum Ausdruck. Trotzdem hatten sie zwischen Versklavungsort in Afrika und dem Sklavereiort in den Amerikas Status eingebüßt, wie auch die genannten Elitesklaven. Mamluken etwa wurden nach Ende der Ausbildung (im Alter von 18 bis 19 Jahren) freigelassen. Die Nucai der Manchu (Militärsklaven, Bannermänner), die im 17. Jahrhundert China eroberten, wurden zwar nicht formell freigelassen, stiegen aber innerhalb des Militärsklavenstatus auf und erreichten sehr hohe Positionen.

»Schuldner zu sein« und die Schulden nicht zurückzuzahlen, führt beinahe in der ganzen Weltgeschichte zu einem schlechten Status. Fast alle Gesellschaften, mit Ausnahme vielleicht der vorderasiatischen und nordafrikanischen islamischen Kernterritorien, mussten sich mit dem Problem herumschlagen, ob sie Schuldner zu Sklaven machen oder nicht (siehe die Reformen des Solon im 6. Jahrhundert v. Chr., die den Status eines Schuldners vom Status der Versklavung trennten). Die meisten Gesellschaften kannten grundsätzlich keine Trennung zwischen Sklaverei und Schuldnerstatus, und auch in Rom selbst kam es in Krisen zu einer Zunahme von Neuversklavungen wegen Schulden. Verschuldung war oft der Einstieg in ein Sklavenleben.

Martin Krieger beschreibt die indische Schuldknechtschaft folgendermaßen:

»Üblicherweise bildete das freiwillige Eintreten armer, verschuldeter Landbewohner in die Schuldknechtschaft den Beginn des Daseins als Sklave. Gerade in Notzeiten, als nach Missernten die Reispreise stiegen, begaben sich zahllose Menschen selbst in ein solches Verhältnis oder verkauften ihre Familienangehörigen«.40

Ich werde mich deshalb mit dem Problem der Steuerschuldner als Sklaven in der Welt- und Globalgeschichte auseinandersetzen, aber eher selten den Begriff bond-servants benutzen, sondern in der Annahme, dass diese Menschen in Sklavereipraktiken und Gewaltstrukturen gerieten und meist klar zu Sklavenarbeiten, die auch den Körper betrafen, oder Körperdienstleistungen degradiert wurden, von bond-slaves sprechen.41 Chinesische bäuerliche Schuldner etwa, die zu Sklaven degradiert wurden, waren klar für niedere Arbeiten wie Wasserschleppen, Holzsammeln, Entenhüten, Reinigen, Feuermachen sowie die Entsorgung von Abwässern und Fäkalien, Blut, Leichen und Kadavern zuständig. Die innere Degradierung konnte bis zur Negierung der Ehre der jeweiligen normalen Gruppe oder Gemeinschaft reichen (in China etwa die Kaste der jian), ohne dass diejenigen, die es traf, automatisch mit dem Begriff »Sklave« belegt wurden. Aber aus dieser Gruppe stammten viele informell Versklavte. Es ist fast müßig zu sagen, dass »Status« in Gemeinschaften/Gesellschaften nicht einfach für sich steht, sondern immer auch eine extrem wichtige kulturelle Dimension von »lokalem Selbstverständnis […] von Verwandtschaft und von politischer Gruppenbildung«42 sowie Abhängigkeit darstellt.

Gab es nur wenige Sklaven von außen, blieb es bei der inneren Statusdegradierung. Die versklavten Menschen blieben trotz des niedrigen Status real immer noch Mitglieder der jeweiligen Gruppe oder Gesellschaft, sie waren keine Fremden und trugen »nur« das zeitweilige Stigma der niederen Stellung in der jeweiligen sozialen Hierarchie und Ordnung. In anderen Fällen wurden sie von Eliten bzw. vom Staat in festumrissenen Termini als Sklaven definiert und in der Realität als solche behandelt, oft auf sehr grausame Weise. Sklaverei war in diesen Fällen nicht oder wenig institutionalisiert. Diese Sklavereien vor allem von Frauen und Kindern existierten und existieren überall auf der Welt, aber in sehr lokalen Ausprägungen – was sich meist in einer Vielfalt von »Namen« der jeweiligen Sklavereien ausdrückt. Als Anlass für die Integration Fremder und den Übergang zu auch äußerer Statusdegradierung gilt das Interesse, die eigene Kommunität zu stärken und zu vergrößern, verbunden auch mit internen Kämpfen um Machtpositionen. In einer nächsten Stufe, bei Staatsbildungen, Territorialkonflikten, Verschleppungen, Razzien, Migrationen, Expansionen oder Konflikten mit anderen oder weiter entfernten Gruppen (meist im Zuge der historischen Entstehung und Entwicklung militärisch-monarchischer Regimes, den »Imperien«), kam es zu immer massiveren Statusdegradierungen der von außen in die Gemeinschaft Verschleppten bzw. der eroberten Gruppen und Gesellschaften, meist gebunden an die »Herkunft« oder das Herkunftsgebiet der Versklavten oder Verschleppten.

Die Hauptmotivation dürfte der Versuch gewesen sein, die von außen in eine bestimmte Gemeinschaft gekommenen Menschen von ihrer Herkunftsgruppe (»Vorfahren«, »Ahnen«, Genealogie) zu trennen. Je mehr Menschen per Zwang und Gewalt von außen in eine Gruppe oder Gesellschaft kamen, desto mehr wurden diese Menschen wegen ihrer »ahnenlosen« sowie verwandtschaftslosen Herkunft oder wegen bestimmter Merkmale stigmatisiert – visuell, nach ›Farben‹, sprachlich, räumlich, religiös oder biologisch (»Tiere«; Herkunft aus Tier-/Mensch-Verbindungen)43 – schließlich auch sichtbar als Körpermarkierung in Ritualen. Diese markierte »Fremdheit«, die Stigmatisierung des ganz »Anderen«, ist also eine ganz archaische Dimension aller Sklavereien.44

Die meisten Sklavereiforscher, vor allem die der modernen Geschichte (drittes Sklaverei-Plateau), gehen davon aus, dass härteste Routinetätigkeiten auf Feldern, im Bergbau, im Transport oder im Bau sowie niedere Dienste in Häusern die Realität des Lebens von fast allen Versklavten prägten. Es gibt hunderte, möglicherweise tausende Arten von realer Arbeit. Versklavte erledigten meist die schlechten, schmutzigen, ekligen sowie extrem schweren Arbeiten, oftmals mit der immer gleichen Routine bzw. Langeweile. Dazu kamen Tätigkeiten, die mit Tod, Blut, Schmutz, Ekel und Entwürdigung zu tun hatten oder körperlichem Ausgeliefertsein – Letzteres mussten zumindest zeitweilig auch Eliteversklavte (Mamluken oder Frauen und Mädchen für Harems) über sich ergehen lassen. Deshalb gibt es heute in Brasilien eine Debatte über »Sklavenarbeit« (ohne legal ownership). In den Zeiten vor dem dritten Plateau wird meist darauf verwiesen, dass Versklavte unterschiedlichste andere Tätigkeiten und Dienstleistungen verrichten mussten oder Elitesklaven waren, die oft mit Krieg und Tod, unbeliebten Exekutivaufgaben oder körperlichen Diensten zu tun hatten. Aber auch die Versklavten prähistorischer Zeiten, vor allem Frauen und Kinder, mussten niedere Arbeiten (menial works) und eklige Dienste leisten oder mit Tod, Blut, Abfall, Unrat oder Reinigung umgehen. Meist hatten sie auch keine Kontrolle über die Dauer der Arbeiten oder Dienste.

Sklavenarbeit sowie lange und/oder unregelmäßige Arbeitszeit, Überarbeitung sowie bestimmte Formen der Ernährung (»Sklavenessen«) wirken sich auf Körper, Gesundheit und Psychen von Versklavten aus. Zum Glück ist nie in der bisherigen Geschichte über so viele Generationen Sklaverei ausgeübt worden, dass neue Menschengattungen entstanden wären. Stattdessen hat es immer wieder Rebellionen, Widerstand, Revolutionen, Systemzusammenbrüche und Niedergänge von Imperien gegeben. Sklavereien haben sich zudem weltgeschichtlich in ganz kleinem Umfang, d. h., in kleineren Gruppen unterhalb der Ebene von Staat oder Ähnlichem, in den letzten 20 000 Jahren eher opportunistisch entwickelt. Das bedeutet, dass Sklavereien »ohne Institution« meist nur auf die in diesem Status lebende Person bezogen und nicht generationsübergreifend waren. Das bedeutet aber auch, dass informelle Sklavereien immer wieder entstehen.

Quellen über institutionalisierte Sklavereien haben wir in schriftlicher Form seit um 2000 v. Chr., materielle Quellen, die mit den Ideen von Fernhandel und Elitenetzwerken verbunden sind, schon seit der Bronzezeit (Beginn um 4000–3000 v. Chr.). Zugleich spielt die aus Vergleichen gewonnene Idee eine wichtige Rolle, dass Jäger und Sammler wirklich extrem opportunistisch Versklavung einzelner Individuen (Frauen, Kinder, Fremde) betrieben. Versklavte stellten in der (kleinen) Gruppe noch eher eine Belastung dar. Größere Gewaltinfrastrukturen und Nachfrage nach dauerhaft Versklavten entstanden überhaupt erst mit Bodenbau, Viehhaltung und festen Häusern (auch Paläste, Tempel und Jurten), d. h. im Laufe des Neolithikums, einigermaßen sicher wahrscheinlich, wie gesagt, in der jeweiligen Bronzezeit.

Auch wenn sich viele Texte über Versklavte mit Widerstand, Rebellionen oder Formen von institutionalisierter Sklaverei beschäftigten, wurde die absolute Masse der Versklavten im Laufe der gesamten Welt- und Globalgeschichte zu Sklavenarbeit und Sklavendiensten gezwungen. Der Großteil dieser Versklavten wird in dieser langen Zeit seit vor 20 000 Jahren eher opportunistisch erworbene Sklavinnen »ohne Institution« gewesen sein (wie es die Masse der dem Sklavenstatus zum Opfer fallenden Menschen auch heute wieder ist). Und die einzelnen institutionalisierten Sklavereisysteme und -gesellschaften existierten meist nur auf mittlere historische Epochendauer (300–500 Jahre). Sklavenhalter konnten innerhalb dieser Systeme und Wirtschaftsordnungen trotzdem, je mehr Macht sie hatten und je niedriger der Status ihrer Untergebenen war, Tages-, Wochen-, Jahres- und Lebensarbeitszeit der Versklavten bestimmen.

Mit der mutterrechtlichen Regelung »Sklavenbauch gebiert Sklaven«, die einige der wichtigsten Sklavereigesellschaften des zweiten und dritten Plateaus prägte, konnten die Bestimmung für bestimmte Arbeitsbereiche und der Status sozusagen für immer und ewig im Sklavereirecht festgeschrieben werden. Das Kriterium der faktisch unbegrenzten Arbeitszeit scheint mir ein sehr starkes zu sein – und natürlich ein extrem umstrittenes (weil Arbeitszeit ein grundlegendes Element jeder Wirtschaft ist – bis heute).45

Es ist erstaunlich, wie nachhaltig Sklaverei und Sklavenexistenzen aus der Erinnerung vor allem Mitteleuropas verdrängt worden sind (zu den Diskurs- und Medienpraktiken dieser Verdrängung siehe das Kapitel »Kein Ende nach dem Ende«). Ich will diese Einführung mit zwei etwas gewagten Thesen beenden, die aber vieles über die Schwierigkeiten sagen, Sklaverei aus heutiger Perspektive, d. h. samt der vielfältigen »modernen« Sklavereien, zu definieren.

Erstens: Keine und keiner von uns, einschließlich des Autors, ist in der Geschichte seiner Vorfahren mit globalhistorischen Sklavereiformen nicht in Berührung gekommen – in der absoluten Mehrheit waren das Versklavte oder Leibeigene. Oder glaubt jemand wirklich, seine Vorfahren waren Prinzessinnen, strahlende Ritter oder Könige »ohne Leibeigenschaft oder Versklavung«? Selbst diejenigen, die behaupten würden, ihre Vorfahren seien keine Versklavten gewesen, wie Adlige oder die heute wieder in den Medien so beliebten royals, sollten sich ihre Familienchroniken mit kritischer Distanz anschauen. Die ersten Vertreter einer ›Familie‹ oder eines ›Hauses‹ waren fast immer Ministeriale (in Mitteleuropa, siehe zweites Sklavereiplateau). Ministeriale waren zunächst waffenfähige Versklavte der Kirche, von Königen oder Adligen. Eventuell gehörten sie zur Minderheit derer, die Sklavenarbeit nutzten oder Menschen versklavt haben. Darauf ist heute kaum jemand mehr stolz. Früher, zu Zeiten der jeweiligen Sklaverei, war es aber eine Grundvoraussetzung dafür, wirtschaftlich aufzusteigen sowie einer Elite anzugehören und die Meinung darüber zu prägen, was als »gut« und »nützlich« galt.

Zweitens: Wir können Versklavte der heutigen »modernen« Sklavereiformen (siehe das Kapitel »Und heute?«) selten erkennen, obwohl sie ubiquitär sind und sich so kleiden und präsentieren, wie wir es von der großen Masse unserer Mitmenschen erwarten. Das verbindet Sklavereigeschichte aus heutiger Sicht (inklusive ›moderner‹ Sklaverei) mit den Versklavten und den Sklavereien in anderen Gesellschaften als den großen, uns allen aus Filmen und Büchern mehr oder weniger bekannt erscheinenden Sklavereien, in denen Versklavte auch visuell und im Recht ganz klar unterschieden waren (wie den antiken Sklavereigesellschaften des Mittelmeerraumes, der Karibik, Brasiliens oder dem Süden der USA – siehe das Kapitel zum dritten Sklavereiplateau). Die Eliten der Gesellschaften, vor allem des ersten und des zweiten Sklavereiplateaus außerhalb des »Westens« mit seinem Recht in »römischer« und katholisch- sowie protestantisch-christlicher Tradition, d. h. des historischen Russland, China, Indien, Südostasien, Afrika, Ozeanien, Zentral- und Westasien sowie Nordafrika, können alle mit Nachdruck sagen: Bei uns hat es keine tropischen Plantagen mit versklavten Schwarzen und keine Massen von Sklavenschiffen gegeben (was für Afrika und die arabisch-islamischen Gebiete sowie viele Inseln des Indischen Ozeans nicht ganz stimmt). Bei uns, so diese Eliten und viele heutige Historiker, gehörten Sklaven zur Familie. Das Wort »Sklave« wird in dieser Argumentation freilich nicht benutzt, sondern eine Vielzahl anderer Worte.

 
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