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Der Index gibt einen ersten, möglicherweise hilfreichen Überblick über Wahlen weltweit.37 Allerdings lässt die Transparenz der von Expertinnen und Experten zwar anhand objektiver Kriterien, aber dennoch subjektiv vorgenommenen Länderbewertungen zu wünschen übrig. Auch fördert der Index mitunter Bewertungen zutage, die kontraintuitiv sind, schon gar im interregionalen Vergleich. So ist beispielsweise schwer nachvollziehbar, dass die Wahlen im Sudan weit mehr Punkte erhalten als die sicherlich kritikwürdigen, aber doch kompetitiveren Wahlen in Honduras und Nicaragua. Ländervergleiche, zumal über verschiedene Weltregionen hinweg, sind bei solchen Indizes mit großer Vorsicht zu genießen, da die Bewertungen insbesondere vor dem Hintergrund des nationalen und allenfalls noch des regionalen Kontexts erfolgen, nicht aber auf Grundlage eines zumal interregionalen Vergleichs. Es wäre daher stets zu prüfen, welche Aspekte der Wahlen für eine bessere oder schlechtere Bewertung der Wahlen ausschlaggebend waren und wie sich etwaige Bewertungsvarianzen begründen lassen. Die aggregierten Länderdaten geben hierzu kaum Aufschluss. Zugleich können die kumulativen Ergebnisse die Unterschiede der Integrität von Wahlen in ein und demselben Land verwischen. Mitunter sind auch Wahlen, die zu abweichenden Bewertungen kommen, noch nicht erfasst: In der knapp 20-jährigen Vorzeigedemokratie Westafrikas, Benin, die für den Zeitraum zwischen 2012 und 2018 eine sehr hohe Bewertung erhielt, wurden bei den Parlamentswahlen im Mai 2019 nur zwei regierungsnahe Parteien zugelassen, fünf Oppositionsparteien(-bündnisse), darunter auch jene des ehemaligen Präsidenten Boni Yayi, wurde die Zulassung verwehrt. Die Wahlbeteiligung sank rapide auf rund 23 %, und es folgten schwere Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstrierenden.

Wahlbeobachtung – inzwischen weit verbreitet

Internationale Wahlbeobachtung spielt eine potenziell wichtige Rolle für die Transparenz und Integrität des Wahlgangs. Durch Wahlbeobachtung lassen sich Wahlunregelmäßigkeiten und Wahlmanipulationen nicht nur aufdecken, sondern möglicherweise auch vermeiden. Angesichts der Präsenz von Wahlbeobachtungsteams nehmen die politischen Kontrahentinnen und Kontrahenten gegebenenfalls von (allzu offenem) Wahlbetrug Abstand. Zum anderen können unabhängige Wahlbeobachtungsmissionen auch bezeugen, wenn die Wahlen hinreichend frei und fair abliefen. Der Ausweis, dass die Wahlen internationalen Standards genügten, kann die Legitimität der Wahlen stärken, gerade dann, wenn diese infrage gestellt wird. Vor allem in solchen Gesellschaften, in denen – beispielsweise nach Bürgerkriegen oder im Rahmen von Demokratisierungsprozessen – großes Misstrauen zwischen den kandidierenden Personen und Parteien herrscht, kann Wahlbeobachtung zur Vertrauensbildung beitragen. Gleiches gilt für Länder, in denen eine ausgeprägte politische oder gesellschaftliche Polarisierung einen demokratischen Wahlprozess erschwert. Selbst in etablierten Demokratien können Empfehlungen von Wahlbeobachtungsteams wahlrechtliche oder wahlorganisatorische Reformen anstoßen.

Die Vereinten Nationen entsandten bereits zwischen 1956 und 1990 rund 30, meist kleine Wahlbeobachtungsmissionen in die sich damals entkolonialisierenden Staaten Afrikas und Asiens. Doch die von den Vereinten Nationen überwachten Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung im November 1989 in Namibia, auf die im März 1990 die Unabhängigkeit des Lands folgte, bildeten vom Umfang her eine Zäsur: Die dortige United Nations Transaction Assistance Group umfasste 8.000 Personen.38 Es folgten die bis dahin international am besten beobachteten Wahlen in einem souveränen Staat: die Wahlen 1990 in Nicaragua, aus denen das sandinistische Revolutionsregime (1979 – 1990) nach siegreichen Wahlen 1984 überraschend als Verlierer hervorging und die Regierungsmacht abgab. Die Wahlen waren Teil des zentralamerikanischen Friedensprozesses39 und wurden nicht nur von den Vereinten Nationen beobachtet, sondern auch von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), die zwischen 1962 und 1990 an mehr als 20 kleineren Wahlbeobachtungsmissionen in der Region teilgenommen hatte, sowie von etlichen weiteren internationalen NGOs, wie etwa dem Carter Center. Während sich die Vereinten Nationen im Laufe der 1990er Jahre zusehends aus der Wahlbeobachtung zurückzogen, waren bei den darauffolgenden Wahlen 1996 in Nicaragua die OAS, die Europäische Union sowie eine kaum überschaubare Anzahl an internationalen Wahlorganisationen, NGOs, Stiftungen, Parteien, Botschaften und Abgeordneten vor Ort. Sie trugen erheblich zur Integrität der Wahlen und zur neuerlichen Akzeptanz der Wahlniederlage durch die Sandinisten bei.

Im Zuge der Demokratisierungsprozesse auch in anderen Weltregionen entwickelten weitere Institutionen eine kontinuierliche, professionelle Wahlbeobachtung. Im OSZE-Raum mit seinen 57 Teilnahmestaaten ist hier vor allem das Office for Democratic Institutions and Human Rights (ODIHR) der OSZE hervorzuheben. Es entsandte 1996 sein erstes Langzeitwahlbeobachtungsteam und hat bis Ende 2018 insgesamt 358 Beobachtungen von Wahlen und Referenden durchgeführt.40 Die EU wiederum schickte, beginnend mit einer Mission nach Russland im Jahr 1993, bis Ende 2019 insgesamt 197 Wahlbeobachtungsteams in sogenannte „Drittstaaten“.41

Mit dabei waren von Beginn an Wahlbeobachterinnen und Wahlbeobachter aus Deutschland, da internationale Wahlbeobachtung schon früh als Instrument der Demokratisierungshilfe erachtet wurde.42 Deren Beteiligung wurde in den 1990er Jahren direkt über das Auswärtige Amt koordiniert, später übernahm das 2002 gegründete Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) die Rekrutierung und Ausbildung deutscher Wahlbeobachterinnen und -beobachter. Bis Ende 2019 vermittelte das ZIF insgesamt 4.306 Kurzzeit- und 539 Langzeitwahlbeobachterinnen und -beobachter an Wahlbeobachtungsmissionen von ODIHR und 366 bzw. 324 an jene der EU. Nicht einbezogen sind hierbei die direkt bei der OSZE oder der EU beschäftigten Personen. Darüber hinaus entsandten auch nicht staatliche Organisationen Wahlbeobachterinnen und -beobachter von Deutschland aus ins Ausland.

Entsandte Wahlbeobachterinnen und Wahlbeobachter (ZiF)


Quelle: ZIF, zusammengestellt von Dominika Eichstädt

* STO: Short-term observers, LTO: Long-term observers.

Neben der internationalen Wahlbeobachtung wuchs zugleich die Bedeutung der Wahlbeobachtung durch nationale und lokale Organisationen innerhalb der jeweiligen Länder, gerade auch seitens der dortigen Zivilgesellschaft (domestic observers, citizens observers). Hinzu kommen in vielen Ländern „observers“, „agents“ oder „proxies“ der kandidierenden Personen und Parteien.

Als ein frühes Beispiel für eine umfassende und erfolgreiche nationale Wahlbeobachtung gelten die Präsidentschaftswahlen 1986 auf den Philippinen, die ein wichtiger Baustein der dortigen Demokratisierung waren. Sie wurden von rund 500.000 Freiwilligen beobachtet. Die National Citizens’ Movement for Free Elections (NAMFREL) hatte landesweit Bemühungen unternommen, um Wahlbetrug zu verhindern oder zu dokumentieren. NAMFREL diente als Inspiration für zahlreiche weitere nationale Wahlbeobachtungen in Asien. Zu nennen sind beispielsweise die 1991 gegründete Citizens’ Coalition for Clean and Fair Elections (CCCFE) in Südkorea oder in Bangladesch die Bangladesh Movement for Fair Elections (BMNA), die ebenfalls 1991 entstand, sowie später die Fair Election Monitoring Alliance (FEMA), die zu den Wahlen 1996 gegründet worden war. Auch in anderen asiatischen Staaten wie Thailand, Nepal oder Sri Lanka, in denen in der erste Hälfte der 1990er Jahre erstmals Mehrparteienwahlen stattfanden, bildeten sich, vorübergehend oder dauerhaft, kleinere oder größere Wahlbeobachtungsorganisationen und -netzwerke heraus.43

In anderen Weltregionen, allen voran in Lateinamerika, gewannen ab Ende der 1980er Jahre nationale Wahlbeobachtungen ebenfalls stark an Bedeutung. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie CIVITAS in Chile, Participación Ciu-dadana in der Dominikanischen Republik, Alianza Cívica in Mexiko, die Comisión Justicia y Paz in Panama oder Transparencia in Peru beobachteten die Wahlen in den sich (re-)demokratisierten Staaten der Region.44 Bei den bereits erwähnten Wahlen von 1996 in Nicaragua wurden die internationalen Wahlbeobachtungsmissionen durch etwa 5.000 nationale Wahlbeobachterinnen und -beobachter sowie ungefähr 30.000 bis 50.000 Vertreterinnen und Vertreter von Parteien ergänzt. In Europa gründeten im Dezember 2012 insgesamt 13 unabhängige zivilgesellschaftliche Wahlbeobachtungsorganisationen die European Platform for Democratic Elections (EPDE),45 die wiederum Mitglied des Global Network of Domestic Election Monitors (GNDEM) ist, in dem auch zahlreiche Organisationen und Netzwerke aus Afrika, Asien, Europa und Lateinamerika mitwirken.46

Selbst wenn die Wahlgesetze (gerade von etablierten Demokratien) nicht immer Abschnitte zur Wahlbeobachtung enthalten, sind mittlerweile bei vielen Wahlen weltweit internationale wie nationale Beobachtungsteams akkreditiert und zugegen. Dadurch geraten auch Wahlautokratien unter Handlungsdruck. So ist nur vorderhand erstaunlich, dass autokratische Regierungen internationale Wahlbeobachtungsteams ins Land lassen. Behnke, Grotz und Hartmann erklären dies dadurch, dass eine Verweigerungshaltung – sofern diese möglich ist47 – leicht als Täuschungsabsicht wahrgenommen werden könnte.48 Tatsächlich nährt die Nichtzulassung oder Behinderung internationaler Wahlbeobachtung oft berechtigte Zweifel an dem politischen Willen der Regierung, demokratische Wahlen abzuhalten. Aus diesem Grund sind Autokraten dazu übergegangen, mittels einer selektiven Einladungspolitik – zusätzlich oder ausschließlich – Wahlbeobachtungsgruppen von befreundeten Regimen und angeblich unabhängigen Organisation einzuladen, die ein gefälliges Bild der Wahlen zeichnen. Bereits erwähnte Beispiele sind hier Aserbaidschan, Zimbabwe und Venezuela. Ohnehin können Autokraten, wie später noch gezeigt werden wird, den Ausgang der Wahlen bereits lange vor dem Wahltag beeinflussen (oder schlimmstenfalls sogar festlegen), sodass offener Wahlbetrug am Wahltag, also dem Höhepunkt der Kurzzeitwahlbeobachtung, nicht mehr unbedingt nötig ist.

Bei den russischen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2018 beispielsweise war zwar eine große ODIHR-Wahlbeobachtungsmission zugegen. Doch blieb etlichen anderen „unerwünschten“ ausländischen Wahlbeobachtungsorganisationen eine Einreise verwehrt. Auch lud die Regierung eigens rund 300 Personen (darunter auch AfD-Politiker aus Deutschland) zur Wahlbeobachtung ein, die hauptsächlich dazu dienten, die „Legitimität“ der Wahlen zu bestätigen. Da der Regierung an einer hohen Wahlbeteiligung gelegen war, nutzte sie ferner regimeloyale nationale Wahlbeobachtungsgruppen, um die Bürgerinnen und Bürger zur Wahlteilnahme zu bewegen.49 Regimekritische nationale Wahlbeobachtungsteams wurden hingegen schikaniert. Zugleich setzte die Regierung darauf, dass der eigentliche Wahltag, auf den sich die Hauptaufmerksamkeit von Kurzzeitwahlbeobachtungen richtete, vergleichsweise ruhig und geordnet verlief, was internationale Wahlbeobachtungsteams – trotz mancher Unregelmäßigkeit – auch bestätigten. Allerdings machte ODIHR deutlich, dass im Vorfeld der Wahlen deren Freiheit und Fairness unzulässig beschnitten worden waren.

Dass Wahlautokratien inzwischen gezielt versuchen, über ihnen genehme Wahlbeobachtungen Legitimation für nur beschränkt kompetitive Wahlen zu gewinnen, lässt sich auch für andere Länder feststellen. In Kambodscha sollten beispielsweise fragwürdige internationale und nationale Wahlbeobachtungsgruppen den Umstand kompensieren, dass etliche anerkannte internationale Organisationen keine Wahlbeobachtungsteams zu den schon im Vorfeld erkennbar undemokratischen Parlamentswahlen 2018 entsandten.50 Auch bei den Präsidentschaftswahlen 2019 in Kasachstan und den Parlamentswahlen 2020 in Aserbaidschan wurde von ODIHR die politische Unabhängigkeit manch nationaler Wahlbeobachtungsgruppen infrage gestellt. Dies zeigt einmal mehr, dass die Verantwortlichen in Autokratien gelernt haben, auch Wahlen für ihre Zwecke zu nutzen. Gleichwohl bleiben internationale und nationale Wahlbeobachtungen, sofern sie seriös und unabhängig durchgeführt werden, wichtige Garanten für die Durchführung freier und fairer Wahlen, vor allem in jungen und entstehenden Demokratien. Auch zeitigen sie Auswirkungen auf den Wahlwettbewerb in Autokratien.51

34 Vgl. Nohlen 1978, 2014, Krennerich 1993, 1996a und 2000.

35 Vgl. den Code of Good Practice in Electoral Matters des Europarates (CDL-AD (2002) 023rev2-cor) sowie die Wahlmanuals von OSCE/ODIHR (2012), der Europäischen Union (European Union 2016), der Organisation Amerikanischer Staaten (OEA 2008) und der Afrikanischen Union (African Union 2013) — sowie die Handbücher etlicher nicht staatlicher Organisationen, die Wahlberatung und Wahlbeobachtung durchführen, wie das Electoral Institute for Sustainable Democracy in Africa (EISA), International IDEA (Institute for Democratic and Electoral Assistance), die International Foundation for Electoral Systems (IFES), das Centro de Asesoria y Promoción Electoral (CAPEL) des Interamerikanischen Instituts fur Menschenrechte (IIDH) oder auch die International Human Rights Law Group, für die Larry Garber bereits 1984 Richtlinien fur Wahlbeobachtung erstellt hat.

36 Norris/Grömping 2019.

37 Zur Diskussion des dem Index zugrunde liegenden Konzepts der Integrität der Wahlen siehe etwa: Garrido/Nohlen 2019.

38 Vgl. Borneo 2000. Siehe auch Harneit-Sievers 1990, Tötemeyer/Wehmhörner/Weiland 1996.

39 Vgl. Krennerich 1993.

40 Datengrundlage: ODIHR Annual Reports.

41 Entsprechende Daten finden sich auf der Website des European External Action Service der EU.

42 Vgl. etwa Mair 1994.

43 Vgl. National Democratic Institute 1996.

44 Vgl. Middlebrook 1998.

45 Vgl. https://www.epde.org.

46 Vgl. https://gndem.org.

47 Das Kopenhagener Dokument (1990) besagt, dass sich alle OSZE-Teilnahmestaaten untereinander eine standing invitation zur Wahlbeobachtung aussprechen. So gesehen bräuch-te es gar keine ausdrückliche Einladung mehr. Im politischen Tagesgeschäft hat sich jedoch eingebürgert, dass eine solche Einladung erfolgt.

48 Behnke/Grotz/Hartmann 2017: 40.

49 Das russische Wahlgesetz erlaubt, dass Kandidatinnen und Kandidaten, Parteien, Medien sowie seit 2017 sogenannte Zivilkammern nationale Wahlbeobachterinnen und -beobachter benennen.

50 Siehe Morgenbesser 2019: 168 ff.

51 Vgl. etwa Roussias/Ruiz-Rufino 2018.

3.

DER ORGANISATORISCHE UND RECHTLICHE RAHMEN

Wer organisiert die Wahlen?

„Wer auszählt, gewinnt“, heißt ein alter Diktatorenspruch, der getrost auf die gesamte Wahlorganisation ausgeweitet werden kann. Die Freiheit und Fairness der Wahl hängen entscheidend davon ab, wer die Wahlen durchführt und kontrolliert.

Da Wahlen ein ureigener Akt staatlicher Souveränität sind, ist es zunächst wichtig, dass nationale Institutionen die Verantwortung für die Organisation von Wahlen übernehmen. Allenfalls in besonderen Situationen sollten internationale Organisationen in die Wahlorganisation eingebunden sein. Dies war besonders deutlich in Kambodscha der Fall: Nach dem Pariser Friedensabkommen von 1991 organisierte die United Nations Transitional Authority in Cambodia (UNTAC) die dortigen Wahlen von 1993, errichtete gewissermaßen eine Wahlinfrastruktur aus dem Nichts.52 So weit ging die Rolle der internationalen Staatengemeinschaft im Rahmen des Friedensprozesses in Bosnien-Herzegowina zwar nicht, aber immerhin waren dort bei den Wahlen 1997, 1998 und 2002 internationale Mitglieder, darunter der Leiter der OSZE-Mission, in die Provisional Electoral Commission einbezogen. Die nationalen Wahlen des Jahrs 2006 waren die ersten, die dort nach dem Zerfall Jugoslawiens ohne internationale Beteiligung durchgeführt wurden.

Wichtig ist weiterhin, dass die für die Wahlorganisation zuständigen Stellen unabhängig, professionell und transparent arbeiten. In vielen etablierten Demokratien, in denen Wahlen eine lange Tradition aufweisen, werden Wahlen von Behörden organisiert, die der Exekutive auf nationaler, regionaler und/oder lokaler Ebene unterstellt sind. Häufig spielt hier das Innenministerium eine wichtige Rolle. In Deutschland ist beispielsweise das „Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat“ formal die oberste staatliche Wahlbehörde. Mit der Vorbereitung, Durchführung und Überprüfung der Wahl beauftragte Wahlorgane sind allerdings der Bundes-, die Landes- und die Kreiswahlleiter sowie zur Überprüfung von Wahlbeschwerden ein Bundeswahl-, ein Landeswahl- und der Kreiswahlausschuss. Hinzu kommt ein Wahlvorstand für jeden Wahlkreis zur Feststellung der Briefwahlergebnisse. Die Bundeswahlleitung wird vom Innenministerium auf unbestimmte Zeit bestellt, die Landeswahlleitung, die Kreiswahlleitung und der Wahlvorstand von der jeweiligen Landesregierung (oder der von ihnen bestimmten Stelle).53

Im Fall einer professionellen, parteipolitisch unabhängigen Verwaltung ist ein governmental model of electoral management für gewöhnlich kein Problem. Gleichwohl haben einige etablierte Demokratien eigenständige Wahlkommissionen eingeführt, um die Unabhängigkeit vis-à-vis der Regierung zu stärken: so etwa Kanada (1920), Indien (1950) und Australien (1984). Vor allem in Staaten mit einer wenig entwickelten demokratischen Kultur oder autoritären Wahlerfahrungen sind von der Regierung ernannte und der Exekutive unterstellte Wahlbehörden oft nicht angebracht. Hier sind von der Regierung unabhängige Wahlkommissionen (independent model of electoral management) vorzuziehen, weil ansonsten die Gefahr besteht, dass die Regierung auf die Durchführung der Wahlen Einfluss nimmt, und zwar zu ihren Gunsten. Dementsprechend wurden weltweit im Zuge politischer Öffnungs- und Demokratisierungsprozesse regierungsunabhängige Wahlkommissionen gefordert und (wieder-)eingeführt, auch in Ost(mittel)europa.

Vorreiter ist hier jedoch Lateinamerika, wo die Bemühungen um saubere Wahlen eng mit der Entwicklung der Demokratie im 20. Jahrhundert zusammenhingen. Tatsächlich stellt Lateinamerika geradezu eine „paradigmatische Region“ für unabhängige Wahlkommissionen dar, die im Zuge der (Re-)Demokratisierung ab den 1980er Jahren ausgebaut und professionalisiert wurden.54 So verfügen alle lateinamerikanischen Staaten, die Mehrparteienwahlen durchführen, über eigenständige Wahlkommissionen, deren Unabhängigkeit zumeist verfassungsrechtlich garantiert ist. Mitunter fungieren sie sogar im Sinne eines Po-der Electoral als vierte verfassungsmäßige Gewalt neben Exekutive, Legislative und Judikative. Die Wahlkommissionen in Lateinamerika sind dabei oft für die gesamte Wahlorganisation – von der Wählerregistrierung bis zur Anerkennung der Wahlen – zuständig, verfügen über eigene Haushaltsmittel und sind der Exekutive gegenüber nicht rechenschaftspflichtig. Vor allem werden ihre Mitglieder nicht von der Regierung bestellt. Damit unterscheiden sie sich von so manchen Wahlkommissionen in anderen Ländern, die nur über wenige Kompetenzen verfügen. Die „Nationale Autonome Wahlkommission“ im Senegal beispielsweise überwacht lediglich die Wahlen, organisiert sie aber nicht selbst.55

Formal unabhängige Wahlkommissionen gibt es inzwischen auch in vielen anderen Ländern weltweit – von „A“ wie Afghanistan bis „Z“ wie Zambia. Die Verfassung des Jahrs 2014 in Tunesien hat beispielsweise die Unabhängigkeit der Wahlkommission verankert. Dies heißt selbstverständlich nicht, dass formal unabhängige Wahlkommissionen tatsächlich immer unabhängig agieren, schon gar nicht in Wahlautokratien. Auch reicht es sicherlich nicht, nur ein Independent vor den Namen der Wahlkommission zu setzen, wie dies in Uganda 2015 geschehen ist, um die von der dortigen Opposition geforderte Unabhängigkeit der Wahlkommission zu gewährleisten. Auch ist stets zu prüfen, welche Aufgaben und Kompetenzen die Wahlkommissionen bei der Durchführung und Kontrolle der Wahlen innehaben – und ob sie diese mit Regierungsbehörden teilen (mixed model). Der Electoral Management Design Database von International IDEA zufolge orientierten sich die Wahlorgane in 215 Staaten und abhängigen Gebieten zu 63 % an einem independent model, zu 21 % an einem governmental model und zu 14 % an einem mixed model. Die übrigen 2 % hielten keine nationalen Wahlen ab.56

Während von der Regierung eingesetzte Wahlbehörden in der Regel von Verwaltungsbeamten geleitet werden, ist die Zusammensetzung eigenständiger Wahlkommissionen ein Politikum, zumal in solchen Ländern, in denen großes Misstrauen zwischen den politischen Kontrahenten herrscht. Reformbestrebungen zielen zunächst darauf ab, den Einfluss der Regierung auf die Zusammensetzung zurückzudrängen, um tatsächlich deren Unabhängigkeit zu gewährleisten. In einigen Ländern wurde oder wird nämlich selbst im Falle angeblich unabhängiger Wahlkommissionen der Regierung die Möglichkeit eingeräumt, eine gewisse Anzahl an Kommissionsmitgliedern zu benennen. Hier empfiehlt es sich, die Zahl der durch die Regierung ernannten Personen möglichst gering zu halten und eine Übermacht regierungsnaher Mitglieder zu vermeiden. Sinnvoll ist zudem, dass zumindest ein Teil der Mitglieder von unpolitischen Institutionen berufen wird, die als unabhängig wahrgenommen werden. Das können Gerichte sein, sofern diese nicht als korrupt gelten, oder andere Institutionen, die im Land Vertrauen genießen.

Falls alle oder einige Mitglieder der Wahlkommission vom Parlament bestellt werden, kann es zudem angebracht sein, dass diese mit qualifizierten Mehrheiten – etwa mit einer Zweidrittelmehrheit wie in Tunesien – gewählt werden. Soweit von Parteien entsandte Personen in die Wahlkommission eingebunden werden, ist eine ausgeglichene Balance zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien sicherzustellen. Allerdings geht mit einer – selbst ausgeglichen – parteilichen Zusammensetzung der Wahlkommission die Gefahr einer Politisierung einher. So kann es sein, dass die Kommissionsmitglieder eher im Interesse ihrer Partei als im Sinne der Wählerschaft agieren. In Albanien, wo die Wahlkommission von den zwei größten Parteien im Parlament beherrscht wird, kam es in der Vergangenheit beispielsweise immer wieder zur Politisierung wahlorganisatorischer Probleme.57

Auf alle Fälle sollte das Wahlgesetz eindeutige und transparente Regelungen für die Nominierung der Kommissionsmitglieder beinhalten. Verstärkt eingefordert wird dabei auch eine angemessene Vertretung von Frauen, die in den jeweiligen Wahlkommissionen oft unterrepräsentiert sind. Anzuraten wäre gewiss auch die Einbeziehung von Menschen mit Behinderung. Eine feste Amtszeit sowie klare Regeln für eine Absetzung nur unter besonderen Bedingungen stellen zudem institutionelle Vorkehrungen zur Sicherung einer etwaigen Unabhängigkeit dar. Dies ist nötig, denn es kann Versuche geben, missliebige Kommissionsmitglieder aus dem Amt zu entfernen.

In Bezug auf die Arbeitsweise der Wahlkommissionen sind Transparenz und Inklusion geboten, um die Legitimität der Wahlen zu erhöhen. Die Vorgaben und Entscheidungen der Kommissionen sollten öffentlich nachvollziehbar sein und möglichst einvernehmlich zustande kommen. Zugleich sind die mit der Wahl betrauten Personen, gerade auch auf lokaler Ebene, gut zu schulen, zumal, wenn neue Wahlvorschriften oder Technologien zur Anwendung kommen. Mit der zunehmenden Digitalisierung der Wahladministration müssen die Wahlbehörden zudem Vorkehrungen treffen, um die Wahlinfrastrukturen vor Hacker-Angriffen zu schützen und die Datensicherheit zu gewähren. Entsprechende Schulungen und Trainingsprogramme werden, ggf. mit internationaler Unterstützung, durchgeführt. Im Idealfall werden auch umfassende Informationen zu den Wahlen oder dem Wahlprozedere im Rahmen sogenannter voter-education-Programme vermittelt, einschließlich von Maßnahmen zum kompetenten Umgang mit Desinformationen in sozialen Medien. Den mit der Wahlorganisation betrauten Organen kommt hierfür eine große Verantwortung zu. Wichtig ist dabei, dass die Wahlinformationen auch in der Sprache nationaler Minderheiten und für Menschen mit Behinderungen verfügbar sind.

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9783734411953
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