Krieg und Frieden

Текст
Автор:
0
Отзывы
Читать фрагмент
Отметить прочитанной
Как читать книгу после покупки
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

»Euer Majestät, ich versichere, daß wir tun werden, was in unseren Kräften steht«, antwortete er in heiterem Ton, rief aber trotzdem bei den Herren der Suite des Kaisers durch seine schlechte französische Aussprache ein spöttisches Lächeln hervor.

Miloradowitsch warf sein Pferd kurz herum und nahm ein wenig hinter dem Kaiser Aufstellung. Die Apscheroner, durch die Gegenwart des Kaisers angefeuert, marschierten in strammem, flottem Schritt an den Kaisern und ihrer Suite vorbei.

»Kinder!« rief Miloradowitsch laut in selbstbewußtem, vergnügtem Ton; der Schall der Schüsse, die Erwartung des Kampfes und der Anblick der kraftvollen, mutigen Apscheroner, die noch unter Suworow seine Kameraden gewesen waren und nun in so prächtiger Haltung an den Kaisern vorbeimarschierten, dies alles hatte ihn offenbar dermaßen begeistert, daß er die Anwesenheit des Kaisers völlig vergaß. »Kinder! Ihr werdet heute nicht zum erstenmal ein Dorf zu stürmen haben!« rief er.

»Mit Freuden bemühen wir uns!« schrien die Soldaten.

Das Pferd des Kaisers scheute bei dem unerwarteten Geschrei. Dieses Pferd, das den Kaiser schon bei den Truppenschauen in Rußland getragen hatte, trug ihn auch hier auf dem Schlachtfeld von Austerlitz; ruhig ertrug das Tier es, wenn sein Reiter es in der Zerstreuung mit dem linken Fuß stieß, und spitzte die Ohren bei dem Schall der Schüsse, so wie es das auf der Zarizyn-Wiese getan hatte; es verstand weder, was die Schüsse, die es hörte, bedeuteten, noch, warum der Rappe des Kaisers Franz sein Nachbar war, noch, was der, welcher auf ihm ritt, an diesem Tag redete, dachte und fühlte.

Der Kaiser wandte sich lächelnd zu einem der Herren in seiner Umgebung und sagte etwas zu ihm, indem er auf die wackeren Apscheroner zeigte.

XVI

Kutusow, von seinen Adjutanten begleitet, ritt im Schritt hinter den Karabiniers her.

Nachdem er ungefähr eine halbe Werst an der Queue der Kolonne zurückgelegt hatte, machte er bei einem einzeln stehenden, verfallenen Haus, wahrscheinlich einem ehemaligen Wirtshaus, halt. Dort gabelte sich der Weg; beide Fortsetzungen führten bergab, und auf beiden marschierten Truppen.

Der Nebel begann sich zu zerteilen, und man konnte bereits, wenn auch nur undeutlich, in einer Entfernung von zwei Werst feindliche Truppen auf den gegenüberliegenden Höhen sehen. Links unten wurde das Schießen vernehmlicher. Kutusow hielt und redete mit einem österreichischen General. Fürst Andrei, der ein wenig dahinter hielt, beobachtete die beiden; dann wandte er sich an einen Adjutanten und bat diesen, ihm sein Fernrohr zu leihen.

»Sehen Sie nur, sehen Sie nur«, sagte dieser Adjutant und blickte dabei nicht nach den fernen Truppen, sondern vor sich nach dem nahen Fuß des Berges. »Da sind Franzosen!«

Die beiden Generale und die Adjutanten griffen nach dem Fernrohr und rissen es einander beinah aus den Händen. Alle Gesichter waren auf einmal verändert, und auf allen malte sich Schrecken und Bestürzung. Man hatte angenommen, die Franzosen seien zwei Werst von uns entfernt, und nun erschienen sie auf einmal unerwartet ganz nah vor uns.

»Ist das der Feind ...? Nein ...! Ja, sehen Sie nur, er ist es ... wahrhaftig ... Wie geht das zu?« riefen viele durcheinander.

Fürst Andrei sah mit bloßem Auge, wie unten rechts eine dichte Kolonne Franzosen den Apscheronern entgegen bergauf marschierte, nicht weiter als fünfhundert Schritte von dem Ort entfernt, wo Kutusow hielt.

»Da ist der entscheidende Augenblick; nun ist er gekommen! Jetzt ist's an mir!« dachte Fürst Andrei, versetzte seinem Pferd einen Schlag und ritt an Kutusow heran.

»Die Apscheroner müssen zurückgehalten werden, Euer hohe Exzellenz!« rief er.

Aber in demselben Augenblick bedeckte sich alles mit Rauch; nahes Gewehrfeuer erscholl, und zwei Schritte vom Fürsten Andrei entfernt schrie ein Soldat in naivem Entsetzen: »Alles ist verloren, Brüder!« Und dieser Ruf wirkte wie ein Kommando. Auf diesen Ruf hin warfen sich alle in die Flucht.

Verwirrte, immer wachsende Scharen liefen zurück nach dem Platz, wo die Truppen fünf Minuten vorher vor den Kaisern vorbeigezogen waren. Es war nicht nur unmöglich, diese Menge zurückzuhalten, es war sogar schwer, selbst stehenzubleiben und nicht von ihr mit fortgerissen zu werden. Bolkonski blickte bestürzt um sich; er vermochte gar nicht zu fassen, was da vor seinen Augen vorging. Neswizki, dessen Gesicht ganz rot geworden war und arg entstellt aussah, rief in erregtem Ton dem Oberkommandierenden zu, wenn er sich nicht sogleich von dort entferne, werde er mit Sicherheit gefangengenommen werden. Aber Kutusow blieb an derselben Stelle stehen und zog, ohne zu antworten, sein Taschentuch heraus. Aus seiner Wange tröpfelte Blut. Fürst Andrei drängte sich zu ihm durch.

»Sie sind verwundet?« fragte er; er konnte kaum das Zittern seines Unterkiefers hemmen.

»Die Wunde ist nicht hier, sondern dort!« antwortete Kutusow, indem er das Tuch gegen die verwundete Wange drückte und auf die Fliehenden wies.

»Haltet sie auf!« schrie er, versetzte gleichzeitig, da er wahrscheinlich sah, daß ein Aufhalten unmöglich war, seinem Pferd einen Schlag und ritt nach rechts.

Eine neu heranflutende Schar von Fliehenden erfaßte ihn und zog ihn mit sich.

Die Truppen flohen in so dichtem Schwarm, daß, wer einmal in diesen Schwarm hineingeraten war, sich nur schwer wieder herausarbeiten konnte. Der eine schrie: »So mach doch, daß du weiterkommst! Was hältst du uns auf?« Ein andrer wandte sich um und schoß sein Gewehr in die Luft ab. Ein dritter versetzte dem Pferd, auf dem Kutusow saß, einen Schlag. Mit der größten Anstrengung arbeitete sich Kutusow aus dem Strom der Fliehenden nach links hinaus und ritt mit seiner um mehr als die Hälfte zusammengeschmolzenen Suite dahin, von wo nahes Geschützfeuer ertönte.

Fürst Andrei, der sich gleichfalls durch die Masse der Flüchtlinge hindurchgedrängt hatte und bemüht war, nicht hinter Kutusow zurückzubleiben, sah, wie am Abhang des Berges im Pulverrauch eine russische Batterie noch feuerte und die Franzosen gegen sie heranstürmten. Etwas höher hinauf stand russische Infanterie, die weder vorrückte, um der Batterie zu Hilfe zu kommen, noch in gleicher Richtung mit den Fliehenden zurückging. Ein General zu Pferd löste sich von dieser Truppe und ritt zu Kutusow heran. Von Kutusows Suite waren nur noch vier Personen übriggeblieben; alle waren blaß und sahen einander an.

»Halten Sie diese Halunken auf!« sagte, vor Wut fast erstickend, Kutusow zu dem Regimentskommandeur und zeigte auf die Fliehenden; aber in demselben Augenblick kam, gleichsam zur Strafe für diese Worte, wie ein Vogelschwarm eine Menge Kugeln pfeifend auf das Regiment und Kutusows Suite zugeflogen.

Die Franzosen hatten die Batterie angegriffen und, als sie Kutusow erblickten, auf diesen geschossen. Bei dieser Salve griff der Regimentskommandeur nach seinem Bein; mehrere Soldaten fielen, und der Fähnrich, der mit der Fahne dagestanden hatte, ließ sie aus den Händen sinken; die Fahne schwankte und fiel, wobei sie an den Gewehren der nächststehenden Soldaten hängenblieb. Die Soldaten begannen zu schießen, ohne ein Kommando abzuwarten.

»O-o-oh!« stöhnte Kutusow mit einer Miene der Verzweiflung und blickte um sich. »Bolkonski«, flüsterte er, und seine Stimme bebte in dem niederdrückenden Bewußtsein der Kraftlosigkeit des Alters, »Bolkonski«, flüsterte er und wies auf das in Auflösung begriffene Bataillon und auf die Feinde, »wie ist das möglich?«

Aber bevor er diese Worte zu Ende gesprochen hatte, war schon Fürst Andrei, welcher fühlte, wie ihm Tränen der Scham und des Zornes in die Kehle kamen, vom Pferd gesprungen und lief zur Fahne hin.

»Vorwärts, Kinder!« rief er; seine Stimme gellte schrill wie die eines Knaben.

»Nun ist es da!« dachte Fürst Andrei, ergriff die Fahnenstange und horchte mit Wonne auf das Pfeifen der Kugeln, die offenbar ganz besonders auf ihn gerichtet waren. Mehrere Soldaten fielen.

»Hurra!« rief Fürst Andrei, der die schwere Fahne kaum mit den Händen halten konnte, und lief vorwärts, in der festen Überzeugung, daß das ganze Bataillon ihm folgen werde.

Und wirklich brauchte er nur wenige Schritte allein zu laufen. Es setzte sich ein Soldat in Bewegung, dann ein zweiter, und mit dem Ruf: »Hurra!« lief das ganze Bataillon vorwärts und überholte ihn. Ein Unteroffizier kam herbeigelaufen und ergriff die Fahne, die infolge ihres Gewichtes in den Händen des Fürsten Andrei schwankte, wurde aber sofort erschossen. Fürst Andrei erfaßte die Fahne wieder und lief mit dem Bataillon, indem er die Fahnenstange am Boden nachschleifen ließ. Vor sich sah er unsere Artilleristen, von denen die einen kämpften, andere aber die Kanonen im Stich ließen und ihm entgegenliefen; er sah auch französische Infanteristen, welche die Artilleriepferde am Zügel faßten und die Kanonen umdrehten. Fürst Andrei war mit dem Bataillon schon bis auf zwanzig Schritte an die Geschütze herangekommen. Er hörte über seinem Kopf das beständige Pfeifen der Kugeln, und fortwährend stöhnten rechts und links von ihm Soldaten auf und fielen zu Boden. Aber er sah nicht zu ihnen hin; er blickte nur auf das, was vor ihm vorging, bei der Batterie. Er sah schon deutlich die Gestalt eines rothaarigen Artilleristen mit schiefsitzendem Tschako; der Artillerist hielt einen Stückwischer an dem einen Ende gepackt und zog ihn an sich, während ein Franzose am andern Ende zog. Fürst Andrei sah schon deutlich den ratlosen und zugleich ingrimmigen Gesichtsausdruck der beiden Soldaten, die sich offenbar nicht recht klar darüber waren, was sie taten.

»Was tun die beiden?« dachte Fürst Andrei, nach ihnen hinblickend. »Warum läuft der rothaarige Artillerist nicht weg, wenn er doch keine Waffen hat? Warum sticht ihn der Franzose nicht nieder? Sowie er anfängt wegzulaufen, wird dem Franzosen einfallen, daß er ja ein Gewehr mit einem Bajonett hat, und er wird ihn niederstechen.«

 

Wirklich kam ein anderer Franzose mit gefälltem Bajonett zu den beiden Ringenden hingelaufen, und das Schicksal des rothaarigen Artilleristen, der immer noch nicht begriff, was ihm bevorstand, und triumphierend seinem Gegner den Stückwischer aus den Händen riß, mußte sich jetzt entscheiden. Aber Fürst Andrei sah nicht, wie die Sache endete. Er hatte die Empfindung, als ob einer von den zunächst befindlichen Soldaten ihn mit einem starken Knüttel mit voller Wucht auf den Kopf schlüge.

Der Schmerz war nicht besonders groß; das Unangenehmste dabei war, daß dieser Schmerz seine Gedanken in Anspruch nahm und ihn hinderte, das zu sehen, wonach er soeben hingeblickt hatte.

»Was ist das? Falle ich? Die Knie knicken mir ja ein!« dachte er und fiel rücklings auf die Erde. Dann öffnete er wieder die Augen, in der Hoffnung, zu sehen, welchen Ausgang der Kampf der beiden Franzosen mit dem Artilleristen genommen habe, ob der rothaarige Artillerist getötet sei oder nicht; auch hätte er gern gewußt, ob die Kanonen genommen oder gerettet waren. Aber er sah nichts mehr als über sich den Himmel, den hohen Himmel, der jetzt nicht klar, aber doch unermeßlich hoch war, mit ruhig über ihn hingleitenden grauen Wolken. »Wie still und ruhig und feierlich das ist«, dachte Fürst Andrei. »Das hat so gar keine Ähnlichkeit mit unserm Laufen, Schreien und Kämpfen; das stille Dahingleiten der Wolken an diesem hohen, unendlichen Himmel hat so gar nichts gemein mit dem Ringen des Franzosen und des Artilleristen, die mit erregten, grimmigen Gesichtern einander den Stückwischer zu entreißen suchten. Wie ist es nur zugegangen, daß ich diesen hohen Himmel früher nie gesehen habe? Und wie glücklich bin ich, daß ich ihn endlich kennengelernt habe. Ja, alles ist nichtig, alles ist Irrtum und Lug, außer diesem unendlichen Himmel. Es gibt nichts, nichts außer ihm. Aber auch er ist nicht vorhanden; es gibt nichts als Stille und Ruhe. Und dafür sei Gott Dank ...!«

XVII

Auf dem rechten Flügel, welchen Bagration kommandierte, hatte um neun Uhr der Kampf noch nicht begonnen. Da Bagration einerseits dem Verlangen Dolgorukows, daß er den Kampf beginnen solle, nicht willfahren und andrerseits jede Verantwortlichkeit von sich abwälzen wollte, so schlug er dem Fürsten Dolgorukow vor, zu dem Oberkommandierenden hinzuschicken und diesen zu befragen. Bagration wußte, daß bei dem fast zehn Werst betragenden Abstand des einen Flügels vom andern der Abgesandte, wenn er nicht erschossen wurde (was sehr wahrscheinlich war), und selbst wenn er den Oberkommandierenden fand (was sehr schwer war), nicht vor dem Nachmittag zurück sein konnte.

Bagration musterte seine Suite mit seinen großen, ausdruckslosen, schläfrigen Augen, und unwillkürlich erregte Rostows kindliches, vor Aufregung und Hoffnung starres Gesicht zuerst seine Aufmerksamkeit. Es bestimmte ihn für diese Sendung.

»Aber wenn ich Seine Majestät früher treffe als den Oberkommandierenden, Euer Durchlaucht?« fragte Rostow, die Hand am Mützenschirm.

»Dann können Sie Seiner Majestät die Anfrage vorlegen«, sagte Dolgorukow eilig, ohne Bagration zu Wort kommen zu lassen.

Rostow hatte, nach seiner Ablösung vom Vorpostendienst, vor Tagesanbruch noch die Möglichkeit gehabt, ein paar Stunden zu schlafen; er fühlte sich jetzt munter, unternehmungslustig und energisch; dank der Elastizität seiner Bewegungen, dem Vertrauen auf sein Glück und seiner frohen Gemütsstimmung schien ihm alles leicht, vergnüglich und ausführbar.

Alle seine Wünsche waren an diesem Morgen in Erfüllung gegangen: es wurde eine Entscheidungsschlacht geliefert, und er nahm an ihr teil; und damit nicht genug, war er auch Ordonnanzoffizier bei einem hervorragend tapferen General; und endlich ritt er mit einem Auftrag zu Kutusow, vielleicht sogar zum Kaiser selbst. Der Morgen war klar, das Pferd, das er ritt, tüchtig. Ihm war froh und glückselig zumute. Nachdem er den Auftrag erhalten hatte, trieb er sein Pferd an und sprengte an der Schlachtlinie entlang. Anfangs ritt er an der Front der Truppen Bagrations hin, die noch nicht in den Kampf eingetreten waren und dastanden, ohne sich zu rühren; dann kam er zu derjenigen Strecke, die von Uwarows Kavallerie ausgefüllt wurde, und hier bemerkte er schon eine gewisse Bewegung und Anzeichen von Vorbereitungen auf den Kampf; als er aber an der Uwarowschen Kavallerie vorbei war, da hörte er schon deutlich den Ton von Geschütz- und Gewehrfeuer vor sich. Und das Schießen nahm immer mehr zu.

In der frischen Morgenluft ertönten jetzt nicht mehr, wie vorher, in unregelmäßigen Zwischenräumen je zwei oder je drei Flintenschüsse und dann ein oder zwei Kanonenschüsse; sondern auf den Bergabhängen vor Pratzen erscholl ein unaufhörliches Geknatter von Gewehrfeuer, welches von so häufigen Kanonenschüssen unterbrochen wurde, daß manchmal mehrere Kanonenschüsse nicht mehr voneinander zu unterscheiden waren, sondern in ein einziges allgemeines Dröhnen zusammenflossen.

Man konnte sehen, wie die kleinen Rauchwölkchen der Gewehre an den Bergabhängen gleichsam hinliefen, einander jagten und einholten, und wie die großen Rauchwolken der Geschütze wirbelnd aufstiegen, sich ausbreiteten und miteinander zusammenflossen. Man konnte in den Lücken des Rauches marschierende Infanteriemassen sehen, die an dem Blitzen der Bajonette kenntlich waren, und die schmalen Streifen der Artillerie mit den grünen Munitionswagen.

Rostow hielt auf einem Bergvorsprung sein Pferd einen Augenblick an, um das, was da vorging, zu betrachten; aber wie sehr er auch seine Aufmerksamkeit anstrengte, er konnte die Vorgänge nicht verstehen und nicht daraus klug werden: es bewegten sich da im Rauch allerlei Menschen, es bewegten sich allerlei Truppenkolonnen vorwärts und rückwärts; aber wozu? wer? wohin? Das war nicht zu begreifen. Aber dieser Anblick und diese Töne riefen bei ihm nicht etwa ein Gefühl der Niedergeschlagenheit oder der Angst hervor, sondern sie steigerten vielmehr seine Energie und Entschlossenheit.

»Nun, immer noch mehr, immer kräftiger!« sagte er in Gedanken zu diesen Tönen und sprengte wieder an der Linie entlang, wobei er immer weiter in den Bereich derjenigen Truppen kam, die bereits in den Kampf eingetreten waren.

»In welcher Weise sich die Sache abspielen wird, das weiß ich nicht«, dachte Rostow; »aber jedenfalls wird alles gut werden.«

Nachdem Rostow an einigen österreichischen Truppenteilen vorbeigeritten war, bemerkte er, daß der darauffolgende Teil der Schlachtlinie (es war die Garde) bereits im Kampf stand.

»Um so besser! Dann sehe ich es mir aus der Nähe an«, dachte er.

Er ritt fast an der vordersten Linie entlang. Eine Anzahl von Reitern kam, in der Richtung auf ihn zu, angejagt. Es waren unsere Leibulanen, die in aufgelösten Reihen von der Attacke zurückkehrten. Rostow kam nahe an ihnen vorbei, bemerkte unwillkürlich, daß einer von ihnen blutig war, und sprengte weiter.

»Das kümmert mich nicht!« dachte er. Er war nach dieser Begegnung noch nicht ein paar hundert Schritte weitergeritten, als sich links von ihm über die ganze Ausdehnung des Feldes hin eine gewaltige Masse Kavallerie, auf Rappen, in weißen, glänzenden Uniformen, zeigte, welche eine auf der seinigen senkrecht stehende Richtung verfolgte und im Trab gerade auf ihn zukam. Rostow ließ sein Pferd die schnellste Gangart anschlagen, um diesen Reitern aus dem Weg zu kommen, und dies wäre ihm auch gelungen, wenn sie immer in demselben Tempo weitergeritten wären; aber sie steigerten ihre Geschwindigkeit fortwährend, so daß manche Pferde schon galoppierten. Immer deutlicher und deutlicher hörte Rostow die Hufschläge der Pferde und das Klirren der Waffen; immer genauer sah er die Pferde und die Gestalten der Reiter und sogar ihre Gesichter. Es waren unsere Chevaliergardisten, die zur Attacke auf die französische Kavallerie vorgingen, welche gegen sie heranrückte.

Die Chevaliergardisten ritten in scharfem Tempo, verhielten aber ihre Pferde noch. Rostow sah schon ihre Gesichter und hörte das Kommando: »Marsch, marsch!«, das ein Offizier erteilte, indem er sein Vollblut in vollen Galopp versetzte. Rostow, der in Gefahr war, überritten oder in die Attacke auf die Franzosen mit hineingezogen zu werden, jagte vor der Front entlang, was sein Pferd nur laufen konnte; aber dennoch schien es, daß es ihm nicht gelingen werde, an ihnen vorbeizukommen.

Der Flügelmann der Chevaliergardisten, ein riesenhaft großer, pockennarbiger Kerl, runzelte grimmig die Stirn, als er Rostow vor sich sah, mit dem er unfehlbar zusammenstoßen mußte. Dieser Chevaliergardist hätte Rostow mitsamt seinem »Beduinen« zweifellos über den Haufen gerannt (Rostow selbst kam sich gar so klein und schwach vor im Vergleich mit diesen gewaltigen Männern und Pferden), wenn Rostow nicht auf den Gedanken gekommen wäre, mit der Kosakenpeitsche dem Pferd des Chevaliergardisten auf die Augen zu schlagen. Der schwere, große Rappe legte die Ohren zurück und bäumte sich; aber der pockennarbige Chevaliergardist stieß ihm, weit ausholend, die gewaltigen Sporen in die Seite, und das Pferd, mit dem Schweife schlagend und den Hals ausstreckend, stürmte noch schneller dahin. Kaum waren die Chevaliergardisten an Rostow vorbei, als er ihren Ruf: »Hurra!« hörte; er blickte sich um und sah, daß ihre vordersten Reihen sich mit fremden, also doch gewiß französischen Kavalleristen mit roten Epauletten vermengt hatten. Weiter aber konnte er nichts sehen, da unmittelbar darauf irgendwo in der Nähe eine heftige Kanonade begann und alles von Rauch bedeckt wurde.

Als Rostow die Chevaliergardisten, die an ihm vorbeigeritten waren, in dem Rauch aus den Augen verloren hatte, schwankte er, ob er ihnen nachjagen oder dahin reiten sollte, wohin seine Order lautete. Es war dies jene glänzende Attacke der Chevaliergardisten, die selbst den Franzosen imponierte. Für Rostow war es einige Zeit nachher eine furchtbare Empfindung, als er hörte, daß von diesem gesamten, nur aus großen, schönen Leuten bestehenden Regiment und von all diesen vornehmen, reichen, jungen Offizieren und Junkern, auf Pferden für tausend Rubel, daß von diesem ganzen Regiment, das an ihm vorbeigeritten war, nach der Attacke nur achtzehn Mann übriggeblieben waren.

»Ich brauche sie nicht zu beneiden; die Stunde des Kampfes wird auch für mich kommen. Und vielleicht sehe ich jetzt gleich den Kaiser!« dachte Rostow und jagte weiter.

Als er zur Gardeinfanterie gelangte, bemerkte er, daß über sie hinweg und um sie herum Kanonenkugeln flogen; und zwar wurde er darauf nicht dadurch aufmerksam, daß er den Ton der Kugeln hörte, sondern weil er auf den Gesichtern der Soldaten eine gewisse Unruhe und auf den Gesichtern der Offiziere einen gekünstelten, martialischen Ernst wahrnahm.

Während er hinter einem der in der Schlachtlinie stehenden Gardeinfanterie-Regimenter vorbeiritt, hörte er, daß ihn jemand beim Namen rief.

»Rostow!«

»Was gibt es?« rief er zurück, ohne Boris zu erkennen.

»Was sagst du dazu? Wir sind in die erste Linie gekommen! Unser Regiment ist zur Attacke vorgegangen!« sagte Boris und lächelte so glückselig, wie das junge Männer, die zum erstenmal ins Feuer gekommen sind, zu tun pflegen.

Rostow hatte sein Pferd angehalten.

»Nun sieh einmal an!« sagte er. »Nun, wie ist es denn gegangen?«

»Wir haben den Feind zurückgeschlagen!« erwiderte Boris lebhaft und wurde nun sehr redselig. »Stell dir nur vor ...«

Und Boris begann zu erzählen, wie die Garde, die ruhig auf ihrem Platz gestanden und vor sich Truppen gesehen habe, diese für Österreicher gehalten habe und plötzlich durch Kanonenkugeln, die von diesen Truppen her zu ihr herübergeflogen seien, belehrt worden sei, daß sie in der vordersten Linie stehe, und wie sie nun unerwarteterweise habe in den Kampf eintreten müssen. Rostow ließ Boris seine Erzählung nicht zu Ende bringen, sondern trieb sein Pferd wieder an.

»Wohin willst du?« fragte Boris.

»Zu Seiner Majestät, mit einem Auftrag.«

»Da ist er«, sagte Boris, der verstanden hatte, Rostow wolle zu Seiner Hoheit, statt zu Seiner Majestät.

Er zeigte ihm mit der Hand den hochschultrigen Großfürsten, der hundert Schritt von ihnen, im Koller der Chevaliergardisten, den Helm auf dem Kopf, mit zusammengezogenen Brauen einem weißgekleideten österreichischen Offizier, der ganz blaß aussah, etwas zurief.

»Aber das ist ja der Großfürst, und ich muß zum Oberkommandierenden oder zum Kaiser«, sagte Rostow und wollte sein Pferd wieder antreiben.

 

»Graf, Graf!« rief da Berg, der von einer andern Seite herbeigelaufen kam und in ebenso lebhafter Erregung zu sein schien wie Boris, »Graf, ich bin an der rechten Hand verwundet worden« (er zeigte seine blutige Hand, die mit einem Taschentuch verbunden war), »aber ich bin doch bei der Truppe geblieben. Graf, ich halte nun den Degen in der linken Hand; in meiner Familie, in der Familie von Berg, Graf, hat es von jeher nur tüchtige Kriegsleute gegeben.«

Berg sagte noch etwas; aber Rostow ritt schon, ohne zu Ende zu hören, weiter.

Nachdem Rostow bei der Garde vorbei und dann durch einen leeren Zwischenraum geritten war, nahm er, um nicht wieder wie bei der Attacke der Chevaliergardisten in die erste Linie hineinzugeraten, seinen Weg an der Linie der Reserven entlang, in weiter Entfernung von der Gegend, wo das stärkste Gewehr-und Geschützfeuer ertönte. Plötzlich hörte er vor sich und hinter unseren Truppen, in einer Gegend, wo er in keiner Weise Feinde vermuten konnte, nahes Gewehrfeuer.

»Was kann das sein?« dachte Rostow. »Feinde im Rücken unserer Truppen? Unmöglich!« Aber auf einmal überkam ihn eine Angst für seine eigene Person und um den Ausgang der ganzen Schlacht. »Was es auch sein mag«, sagte er sich, »Umwege zu machen, dazu habe ich jetzt keine Zeit. Ich muß hier den Oberkommandierenden suchen, und wenn alles verloren ist, dann will auch ich mit zugrunde gehen.«

Die böse Ahnung, die ihn auf einmal befallen hatte, bestätigte sich immer mehr und mehr, je weiter er in das hinter dem Dorf Pratzen gelegene Terrain hineinkam, das von unordentlichen Haufen verschiedenartiger Truppenteile angefüllt war.

»Was gibt es hier? Was bedeutet das? Auf wen wird geschossen? Wer schießt da?« fragte Rostow, als er auf russische und österreichische Soldaten stieß, die in buntgemischtem Schwarm quer zu seiner eigenen Wegrichtung dahinliefen.

»Weiß der Teufel! Alle sind erschossen! Alles ist verloren!« wurde ihm auf russisch, auf deutsch und auf tschechisch aus den Haufen der Fliehenden geantwortet; diese verstanden ebensowenig wie er selbst, was hier vorging.

»Schlagt die Deutschen tot!« schrie einer.

»Hol sie der Teufel, die Verräter!«

»Zum Henker diese Russen ...!« brummte ein Deutscher vor sich hin.

Auch einige Verwundete kamen auf demselben Weg vorüber. Ihr Stöhnen floß mit dem Schimpfen und Schreien zu einem allgemeinen, wirren Getöse zusammen. Das Schießen war verstummt; wie Rostow später erfuhr, hatten russische und österreichische Soldaten aufeinander geschossen.

»Mein Gott! Wie ist es nur möglich, daß sie so fliehen?« dachte Rostow. »Und noch dazu hier, wo sie jeden Augenblick der Kaiser sehen kann ...! Aber nein, es sind gewiß nur einige Lumpen. Das ist eine vorübergehende Erscheinung; das ist kein wahres Bild der Sache; es ist nicht möglich!« dachte er. »Ich will nur recht schnell, recht schnell an ihnen vorbeireiten!«

Sein ganzes Wesen sträubte sich gegen den Gedanken an Niederlage und Flucht des Heeres. Obgleich er französische Geschütze und französische Truppen auf den Höhen von Pratzen erblickte, also gerade da, wo er den Oberkommandierenden aufsuchen sollte, konnte und wollte er nicht daran glauben.

Бесплатный фрагмент закончился. Хотите читать дальше?
Купите 3 книги одновременно и выберите четвёртую в подарок!

Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке:

  1. Нажмите на многоточие
    рядом с книгой
  2. Выберите пункт
    «Добавить в корзину»