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Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen

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Der Traum

Sonntag, 19. Juni

Nils Holgersson hob den Kopf und schaute sich plötzlich hell wach um. Das war doch merkwürdig! Hier lag er und hatte an einem Orte geschlafen, wo er noch nie gewesen war. Nein, dieses Tal hier, in dem er lag, hatte er gewiß noch nie gesehen, und ebensowenig die Berge, die es umgaben. Er erkannte den runden See nicht, der mitten im Tale lag, und noch niemals hatte er so ärmliche, verkrüppelte Birken gesehen wie die, unter denen er ruhte.

Und wo war der Adler? Er konnte ihn nirgends entdecken. Gorgo mußte ihn verlassen haben. Welch ein Abenteuer!

Der Junge legte sich wieder auf den Boden nieder, schloß die Augen und versuchte sich ins Gedächtnis zurückzurufen, wie alles vor seinem Einschlafen gewesen war.

Er erinnerte sich, daß es ihm, während sie über Västerbotten hingeflogen waren, die ganze Zeit gewesen war, als ob der Adler ganz ruhig in der Luft droben auf ein und demselben Flecke verbliebe, während das Land unter ihnen gen Süden zog. Aber dann hatte sich der Adler nordwestwärts gewandt, und in demselben Augenblick hatte das Land drunten stillgestanden, und der Junge hatte gefühlt, daß der Adler ihn mit Windeseile davontrug.

„Jetzt fliegen wir nach Lappland hinein,“ sagte Gorgo. Und sofort beugte sich der Junge weit vor, um die Landschaft zu sehen, von der er so viel gehört hatte.

Aber er fühlte sich ziemlich enttäuscht, denn er sah nichts als große Wälder und weite Moore. Nichts als Wald und Moor, Moor und Wald, bis ins Unendliche. Die große Einförmigkeit machte ihn schließlich so schläfrig, daß er beinahe hinuntergestürzt wäre.

Da sagte er zu dem Adler, er könne nicht länger auf dessen Rücken sitzen bleiben, er müsse durchaus ein wenig schlafen. Sofort ließ sich Gorgo ins Tal hinuntersinken, und der Junge warf sich ins Moos; aber dann nahm ihn Gorgo zwischen seine Klauen und schwang sich wieder mit ihm in die Luft hinauf.

„Schlaf du nur, Däumling!“ rief er. „Mich hält der Sonnenschein wach, und ich will die Reise fortsetzen.“

Und obgleich der Junge sehr unbequem zwischen den Klauen des Adlers hing, schlief er wirklich ein, und während er schlief, hatte er einen Traum.

Es war ihm, als sei er auf einer breiten Straße drunten im südlichen Schweden, und als laufe er da so schnell vorwärts, wie seine kleinen Beine ihn nur zu tragen vermochten. Er war jedoch nicht allein: eine Menge Wanderer zog denselben Weg. Dicht neben ihm marschierten Roggenhalme mit schweren Ähren an der Spitze, blaue Kornblumen und andre bunte Feldblumen; die Apfelbäume keuchten unter der Last ihrer Früchte daher, hinter ihnen kamen die Bohnen und Erbsen mit vollen Bälgen, große Büsche Wucherblumen und ein ganzes Buschwerk von Beerensträuchern. Große Laubholzbäume, Buchen, Eichen und Linden schritten in aller Ruhe in der Mitte der Straße; stolz rauschten ihre Kronen, und sie gingen niemand aus dem Wege. Die kleinen Pflanzen liefen dem Jungen zwischen den Beinen durch: Erdbeerstöcke, Anemonen, Löwenzahn, Klee und Vergißmeinnicht. Zuerst meinte der Junge, es seien lauter Pflanzen, die auf dem Wege dahinzogen, aber bald entdeckte er, daß auch Tiere und Menschen dazwischen waren. Die Insekten summten zwischen den vorwärtsstrebenden Pflanzen, in den Gräben schwammen Fische, auf den dahinwandernden Bäumen sangen die Vögel, zahme und wilde Tiere liefen um die Wette mit; und mitten zwischen all diesem Gewimmel wanderten Menschen daher, die einen trugen Spaten und Sensen, andre Äxte, wieder andre Flinten und einige Fischgeräte.

Der Zug wanderte fröhlich und lustig dahin, und das verwunderte den Jungen gar nicht, als er sah, wer ihn führte. Denn das war niemand geringeres als die Sonne selbst. Diese rollte auf der Straße vor ihnen her wie ein großes glänzendes Haupt, von vielfarbig strahlendem Haar umgeben und mit einem Gesicht, das vor Frohsinn und Güte leuchtete.

„Vorwärts!“ rief sie ununterbrochen. „Niemand braucht sich zu fürchten, wenn ich dabei bin. Vorwärts! Vorwärts!“

„Ich möchte wohl wissen, wohin die Sonne uns zu führen gedenkt?“ sagte der Junge vor sich hin.

Die Roggenhalme, die neben ihm gingen, hörten, was der Junge sagte, und entgegneten sogleich: „Sie will uns nach Lappland hinaufführen, und dort sollen wir gegen den großen Versteinerer kämpfen.“

Nils Holgersson sah bald, daß allmählich mehrere von den Fußgängern bedenklich wurden; sie gingen langsamer und blieben schließlich zurück. Er sah, wie die großen Buchen anhielten; die Rehe und der Weizen blieben am Grabenrand stehen, und ebenso die Brombeerbüsche, die großen gelben Dotterblumen, die Kastanienbäume und die Rebhühner.

Er schaute zurück, um zu ergründen, warum so viele zurückblieben. Da entdeckte er, daß er sich nicht mehr in dem südlichen Schweden befand; die Reise war über die Maßen rasch vor sich gegangen, sie befanden sich jetzt schon im Svealand.

Hier oben ging die Eiche mit immer langsameren Schritten. Sie blieb ein wenig stehen, machte noch einige zögernde Schritte und hielt dann ganz an.

„Warum geht die Eiche nicht mehr mit?“ fragte der Junge.

„Sie hat Angst vor dem großen Versteinerer,“ sagte eine helle, grüne junge Birke, die so froh und wohlgemut vorwärts schritt, daß es eine wahre Lust war.

Obgleich nun schon viele zurückgeblieben waren, wanderte doch noch eine große Schar mit frischem Mute weiter. Und das Sonnenhaupt rollte die ganze Zeit vor ihnen her und rief: „Vorwärts! Vorwärts! Niemand braucht Angst zu haben, solange ich dabei bin!“

Der Zug setzte seine Reise mit derselben Hast fort. Bald war er droben in Norrland; aber jetzt half alles nichts mehr, soviel auch die Sonne bat und flehte. Der Apfelbaum blieb stehen, der Kirschbaum blieb stehen und die Haferfrucht blieb stehen. Der Junge wendete sich an die Zurückbleibenden.

„Warum wollt ihr nicht mehr mit? Warum verlasset ihr die Sonne?“ fragte er.

„Wir wagen es nicht. Wir haben Angst vor dem großen Versteinerer, der droben in Lappland wohnt,“ antworteten sie.

Der Junge schloß daraus, daß sie jetzt sehr hoch hinauf nach Lappland gekommen sein müßten, und hier wurde die Schar auch immer dünner. Der Roggen und die Gerste, die Erdbeerstöcke und die Heidelbeerbüsche, die Erbsenranken, die Johannisbeersträucher waren alle bis hierher mitgegangen; das Elentier und die Kuh waren Seite an Seite gewandert; aber jetzt blieben alle diese zurück. Die Menschen gingen noch eine Strecke weiter mit, aber dann hielten auch sie an. Die Sonne wäre jetzt beinahe ganz verlassen gewesen, wenn nicht neue Reisegenossen dazu gekommen wären. Weidenbüsche und eine Menge anderes Strauchwerk schlossen sich dem Zuge an, desgleichen auch Lappen und Renntiere, Bergeulen und Blaufüchse und Schneehühner.

Jetzt hörte der Junge, daß ihnen etwas entgegenkam. Eine Menge Bäche und Flüsse, die mit gewaltigem Rauschen und Brausen daherschäumten.

„Warum haben sie es denn so eilig?“ fragte der Junge.

„Sie fliehen vor dem großen Versteinerer, der droben auf dem Gebirge wohnt,“ antwortete ein Schneehuhn.

Ganz plötzlich sah Nils Holgersson, daß gerade vor ihnen eine hohe, dunkle, mit Zinnen gekrönte Mauer aufragte. Bei dem Anblick dieser Mauer schienen alle zurückzuweichen; aber die Sonne wendete rasch ihr strahlendes Gesicht der Mauer zu und goß ihr Licht darüber aus. Und siehe da! keine Mauer stand ihnen im Wege, nur lauter wunderschöne Berge, die sich einer hinter dem andern auftürmten. Die Gipfel leuchteten glänzend im Sonnenschein, und die Abhänge schimmerten hellblau mit goldenen Streifen dazwischen.

„Vorwärts! Vorwärts! Es ist keine Gefahr, so lange ich dabei bin!“ rief die Sonne; und schon rollte sie an den steilen Bergwänden hinauf.

Aber auf diesem Wege den Berg hinauf wurde die Sonne von der tapfern jungen Birke, der starken Fichte und der wetterfesten Tanne verlassen. Hier verließen sie auch das Renntier, die Lappen und das Weidengebüsch. Und schließlich, als die Sonne den Gipfel des Berges erreicht hatte, war keiner mehr bei ihr als der kleine Nils Holgersson.

Die Sonne rollte in eine Schlucht hinein, wo die Wände mit Eis bedeckt waren, und Nils Holgersson wollte ihr in die Schlucht hinein folgen; aber er kam nicht weiter als bis an den Eingang, denn plötzlich sah er etwas Entsetzliches. Ganz drinnen in der Schlucht saß ein alter Troll mit einem Körper aus Eis, mit Haar aus Eiszapfen und einem Mantel aus Schnee. Vor dem Troll lagen mehrere schwarze Wölfe, die, sobald die Sonne sich zeigte, aufstanden und den Rachen weit aufsperrten. Da drang aus dem einen Wolfsrachen bittere Kälte, aus dem zweiten ein beißender Nordwind und aus dem dritten schwarze Finsternis heraus.

„Da haben wir wohl den großen Versteinerer und sein Gefolge,“ dachte der Junge. Er war sich ganz klar darüber, daß er am besten täte, wenn er sich auf und davon machte; aber er war zu neugierig, zu sehen, wie die Begegnung zwischen der Sonne und dem Troll ablaufen würde, und so blieb er stehen.

Der Troll rührte sich nicht; mit seinem schauderhaften Eisgesicht starrte er der Sonne entgegen, und die Sonne stand auch ganz still und lachte und strahlte ihn nur immerfort an. So verging eine Weile, und der Junge meinte zu hören, daß der Troll zu seufzen und zu wimmern beginne. Der Schneemantel glitt von seiner Schulter herab, und die drei fürchterlichen Wölfe heulten nicht mehr so laut.

Doch da rief die Sonne auf einmal: „Jetzt ist meine Zeit vorbei!“ und rollte rückwärts zu der Schlucht hinaus.

Da ließ der Troll seine drei Wölfe los, und plötzlich kamen der Nordwind, die Kälte und die Finsternis aus der Schlucht herausgefahren und jagten hinter der Sonne her. „Weg mit ihr! Jagt sie fort!“ schrie der Troll. „Jagt sie so weit fort, daß sie nie wieder kommen kann! Zeigt ihr, daß Lappland mir gehört!“

Als aber Nils Holgersson hörte, daß die Sonne aus Lappland verjagt werden sollte, entsetzte er sich über die Maßen. Mit einem lauten Schrei fuhr er auf und erwachte –

 

Als er ein wenig zu sich gekommen war, sah er, daß er in einem großen, von Bergen umschlossenen Felsental lag. Aber wo war Gorgo? Und wie sollte er erfahren, wo er sich befand?

Er richtete sich auf und schaute sich um. Da fiel sein Blick auf ein sonderbares Gebäude aus Fichtenzweigen, das auf einem Felsenabsatz stand. „Das ist gerade so ein Adlernest, wie Gorgo …“

Nils Holgersson dachte den Gedanken nicht zu Ende. Statt dessen riß er die Mütze vom Kopfe, schwang sie lustig und schrie: „Hurra!“ Er hatte erraten, wohin Gorgo ihn gebracht hatte! Hier war das Tal, wo oben auf dem Felsenabsatz die Adler und unten im Tal die Wildgänse wohnten. Er war am Ziel! Im nächsten Augenblick würde er wieder mit dem Gänserich Martin, mit Akka und allen Reisekameraden vereinigt sein!

Am Ziel

Der Junge ging ganz leise umher und suchte nach seinen Freunden. Ringsum im Tale war es überall ganz still. Die Sonne war noch nicht über die Felswände heraufgestiegen; es mußte also noch sehr früh am Tage sein, und die Wildgänse waren auch noch nicht aufgewacht. Der Junge hatte kaum einige Schritte gemacht, als er lächelnd stehen blieb, weil er etwas gar so Schönes sah. Dort im Grase lag eine Wildgans auf einem kleinen Neste, und neben ihr stand der Gänserich. Er schlief zwar auch, aber man sah wohl, er hatte sich so nahe dabei aufgestellt, um bei jeder Gefahr zur Hand zu sein.

Ohne die beiden zu stören, wanderte der Junge weiter und lugte zwischen die kleinen Weidenbüsche hinein, die überall wuchsen. Es dauerte auch nicht lange, da entdeckte er wieder ein Gänsepaar. Diese gehörten nicht zu seiner Schar; es waren Fremde, aber der Junge freute sich doch sehr über sie. Und plötzlich summte er ein fröhliches Liedchen vor sich hin, nur weil er mit ihnen zusammengetroffen war.

Jetzt schaute er wieder in ein Gebüsch hinein, und da entdeckte er endlich ein Paar, das er kannte. Das war ganz bestimmt Neljä, die da auf ihren Eiern lag, und der danebenstehende Gänserich war Kolme. Ja, ja, so war es! Eine Täuschung war ausgeschlossen!

Er hatte die größte Lust, die beiden zu wecken, unterließ es dann aber doch und ging weiter.

Im nächsten Strauchwerk sah er Viisi und Kuusi, und nicht weit davon fand er Yksi und Kaksi. Alle vier schliefen, und der Junge ging vorüber, ohne sie zu stören.

Als er in die Nähe des nächsten Gebüsches kam, glaubte er zwischen den Zweigen etwas Weißes hervorschimmern zu sehen, und sogleich begann sein Herz vor lauter Freude laut und rasch zu klopfen. Ja, es war, wie er erwartet hatte! Da drinnen lag Daunenfein, noch eben so niedlich wie früher, auf ihren Eiern, und neben ihr stand der weiße Gänserich. Der Junge meinte, man könne ihm sogar im Schlafe ansehen, wie stolz er darauf war, da oben in den lappländischen Bergen bei seiner Frau Wache stehen zu dürfen.

Aber der Junge wollte auch den weißen Gänserich nicht wecken, leise ging er weiter wie bisher.

Er mußte ziemlich lange suchen, bis er auf weitere Wildgänse stieß. Aber da entdeckte er auf einem kleinen Hügel etwas, das einem grauen Erdhaufen glich. Und als er am Fuß des Hügels angekommen war, war der Erdhaufen nichts andres als Akka von Kebnekajse, die ganz hell wach da droben stand und sich umschaute, als bewache sie das ganze Tal.

„Guten Tag, Mutter Akka!“ sagte der Junge. „Wie schön, daß Ihr wach seid! Wollt Ihr jetzt nicht noch ein wenig warten, ehe Ihr die andern weckt? Ich möchte gar zu gerne ein wenig allein mit Euch sprechen.“

Die alte Anführergans stürzte den Hügel herunter und auf den Jungen zu. Zuerst packte sie ihn und schüttelte ihn, dann strich sie ihm mit dem Schnabel am ganzen Körper auf und ab, und dann schüttelte sie ihn noch einmal. Aber sie sagte kein Wort, denn er hatte sie ja gebeten, die andern nicht zu wecken.

Der Däumling küßte die alte Mutter Akka auf beide Wangen, und dann fing er an zu erzählen, wie er nach Skansen gebracht und dort gefangen gehalten worden war.

„Und nun kann ich Euch noch erzählen, daß Smirre, der Fuchs mit dem abgebissenen Ohre, in dem Fuchsbau auf Skansen gefangen saß,“ fuhr der Junge fort, nachdem er seine Erlebnisse berichtet hatte. „Und obgleich er sehr häßlich gegen uns gewesen ist, tat er mir doch herzlich leid. Es waren noch viele andre Füchse in dem großen Fuchskäfig; diesen schien es indes ganz wohl da zu sein, nur Smirre saß immer sehr betrübt da und sehnte sich nach der Freiheit. Ich hatte mir nach und nach viele gute Freunde da droben erworben, und eines Tages hörte ich von dem Lappenhund, es sei ein Mann nach Skansen gekommen, der Füchse kaufen wolle. Er sei von einer weit draußen im Meere liegenden Insel. Auf dieser Insel seien alle Füchse ausgerottet worden, infolgedessen aber könne man sich jetzt dort der Ratten nicht mehr erwehren, und deshalb wolle man wieder Füchse einführen.

Sobald ich das erfahren hatte, ging ich nach dem Fuchskäfig und sagte: ‚Smirre, morgen kommen Leute hierher, die einige Füchse kaufen wollen. Versteck dich also nicht, sondern bleibe hier draußen und sorge dafür, daß du gefangen wirst, dann erhältst du deine Freiheit wieder.‘ Er ist dann meinem Rat gefolgt, und nun läuft er wohl auf jener Insel frei umher. Was sagt Ihr dazu, Mutter Akka? War das eine Tat nach Eurem Sinne?“

„Wenn ich es selbst gewesen wäre, hätte ich es nicht besser machen können,“ antwortete Akka.

„Es freut mich, daß Ihr damit einverstanden seid,“ sagte der Junge. „Nun aber möchte ich Euch noch etwas andres fragen. Eines Tages sah ich, daß der Adler Gorgo, der damals mit dem Gänserich Martin kämpfte, als Gefangener nach Skansen gebracht und da in den Adlerkäfig gesetzt wurde. Er sah gar elend und traurig aus, und manchmal war es mir, als müßte ich in das Stahldrahtnetz über seinem Kopf ein Loch feilen, damit er herausfliegen könnte. Aber dann dachte ich wieder: Nein, nein, denn er ist ja ein gefährlicher Räuber und Vogelfresser! Ich wußte nicht, ob es recht wäre, einen solchen Missetäter herauszulassen, und so dachte ich, es sei vielleicht doch am besten, wenn er bliebe, wo er war. Was sagt Ihr dazu, Mutter Akka? War das richtig gedacht?“

„Nein, das war gar nicht richtig gedacht,“ sagte Akka. „Man kann über die Adler denken, wie man will; aber sie sind stolzer und freiheitsliebender als andre Tiere, und es ist sehr unrecht, wenn sie in Gefangenschaft gehalten werden. Weißt du, was ich dir vorschlagen möchte? Sobald du ausgeruht hast, reisen wir beide hinunter zu dem großen Vogelgefängnis und befreien Gorgo.“

„Diese Worte habe ich von Euch erwartet, Mutter Akka,“ sagte der Junge. „Es gibt welche, die sagen, Ihr hättet keine Liebe mehr für den, den Ihr mit so großer Mühe aufgezogen habt, weil er so lebt, wie ein Adler seiner Natur nach leben muß. Aber eben jetzt hab ich gehört, daß es nicht so ist. Nun will ich nachsehen, ob der Gänserich Martin noch nicht erwacht ist, und wenn Ihr indessen dem ein Wort des Dankes sagen wollt, der mich zu Euch zurückgebracht hat, dann trefft Ihr ihn wahrscheinlich droben auf dem Felsenabsatz, wo Ihr einstmals ein hilfloses Adlerjunges gefunden habt.“

44
Das Gänsemädchen Åsa und Klein-Mats

Die Krankheit

In dem Jahre, wo Nils Holgersson mit den Wildgänsen umherzog, wurde viel von zwei Kindern gesprochen, die durch das Land wanderten. Sie waren von Småland aus dem Bezirke Sunnerbo, und sie hatten einst mit ihren Eltern in einem Häuschen draußen auf der großen Ljungheide gewohnt. Als die Kinder noch ganz klein waren, klopfte eines Abends eine arme Frau bei den Leuten an und bat um ein Obdach. Obgleich die Hütte knapp Raum für die eigenen Bewohner hatte, wurde die arme Frau doch eingelassen, und die Mutter machte ihr ein Lager auf dem Boden zurecht. Die ganze Nacht hindurch hustete das arme Weib so fürchterlich, daß es den Kindern war, als sollte ihnen das Haus über dem Kopfe einstürzen, und am Morgen war sie so krank, daß sie nicht mehr weiter konnte.

Der Mann und die Frau waren so gut gegen sie wie nur möglich. Sie ließen sie in ihrem eigenen Bette liegen und schliefen selbst auf dem Fußboden, und der Mann ging zum Doktor und holte Tropfen für sie. Während der ersten Tage war die Frau auch wie gar nicht recht bei sich gewesen, sie hatte nur immerfort gefordert und verlangt, aber nie ein Wort des Dankes gesagt; allmählich jedoch wurde sie milder, sie taute auf und wurde demütig und dankbar. Schließlich bat sie nur immer, man möge sie vors Haus und auf die Heide hinaustragen, damit sie da draußen sterbe. Und als die Leute ihr Begehren nicht erfüllen wollten, erzählte sie ihnen, sie sei in den letzten Jahren mit einer Schar Zigeuner umhergezogen, obgleich sie nicht von Zigeunern abstamme; sie sei die Tochter eines Hofbauern, aber von Hause davongelaufen und dann bei den Zigeunern geblieben. Und jetzt glaube sie, eine Zigeunerin, die einen Haß auf sie gehabt habe, die habe ihr die Krankheit angewünscht. Aber nicht genug damit, das Zigeunerweib habe ihr auch gedroht und gesagt, ebenso schlimm, wie es ihr selbst gehen werde, solle es auch allen denen gehen, die sie unter ihrem Dach aufnähmen und gut gegen sie seien. Und an diese Drohung glaube sie, sagte die Kranke, und deshalb bitte sie so inständig, daß man sie zum Hause hinauswerfe und sich gar nicht mehr um sie kümmere, denn über so gute Leute wolle sie kein Unglück bringen. Aber die Eltern hatten nicht nach dem Willen der Kranken getan. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, daß sie ein wenig Angst bekamen, aber sie hatten eben doch nicht das Herz, so eine arme todkranke Frau vor die Tür zu setzen.

Bald darauf starb das Weib, und dann war das Unglück über die armen Leute hereingebrochen. Früher hatte eitel Freude in ihrem Hause geherrscht; arm waren sie allerdings immer gewesen, aber ganz verarmt waren sie doch nicht. Der Vater verfertigte Webkämme, und die Mutter und die Kinder halfen bei der Arbeit. Der Vater schnitzte die Kämme, die Mutter und die große Schwester fügten sie zusammen. Die kleinern Kinder hobelten die Zapfen und schnitzten sie zurecht. Die ganze Familie arbeitete vom Morgen bis zum Abend; aber sie waren immer fröhlich und guter Dinge, besonders wenn der Vater von der Zeit erzählte, wo er durch ferne Länder gewandert war und Webkämme verkauft hatte. Der Vater hatte einen glücklichen Humor und erzählte oft so lustig, daß die Mutter und alle Kinder sich beinahe krank lachten.

Die Zeit nach dem Tode der armen Frau stand vor den Kindern immer wie ein böser Traum; sie wußten nicht mehr, ob sie kurz oder lang gewesen war, sie erinnerten sich nur, daß daheim ein Begräbnis nach dem andern stattfand. Ihre Geschwister starben und wurden zu Grabe getragen, eines nach dem andern. Sie hatten zwar nicht mehr als vier Geschwister gehabt, aber den Kindern kam es vor, als seien es viel mehr gewesen. Schließlich war es außerordentlich still und drückend daheim in ihrer Hütte geworden. Es war, als fände jeden Tag ein Begräbnis statt.

Die Mutter hielt den Mut einigermaßen aufrecht, aber der Vater wurde ein ganz andrer Mensch. Er konnte nicht mehr arbeiten und auch nicht mehr scherzen, sondern saß nur vom Morgen bis zum Abend da, den Kopf in den Händen vergraben, und grübelte.

Einmal – es war nach dem dritten Begräbnis – brach er in wilde verzweifelte Reden aus, vor denen die Kinder Angst bekamen. „Nein, ich kann es nicht begreifen, warum ein solches Unglück über uns hereingebrochen ist!“ rief er. „Wir haben doch nur eine gute Tat getan, als wir der Kranken halfen. Ist denn das Böse in der Welt mächtiger als das Gute?“ Die Mutter hatte versucht, ihn mit vernünftigen Worten zu trösten; aber es gelang ihr nicht, ihn so ruhig und ergeben zu machen, wie sie selbst war.

Ein paar Tage später hatten sie den Vater verloren. Aber er war nicht gestorben, sondern auf und davon gegangen. Ach, da war gerade die älteste Schwester erkrankt, und diese war von jeher der Liebling des Vaters gewesen! Als er dann sah, daß sie auch sterben mußte, entfloh er dem ganzen Elend. Die Mutter sagte nur, es sei gewiß besser für den Vater, daß er jetzt nicht da sei. Er wäre sonst am Ende noch verrückt geworden. Er grüble sich ja von Sinn und Verstand, wenn er nur immerfort darüber nachgrübelte, ob Gott es denn zulassen könne, daß ein böser Mensch so viel Unglück auf Erden anrichte.

Nachdem der Vater auf und davon gegangen war, wurden sie sehr arm. Im Anfang hatte er ihnen noch Geld geschickt; aber dann war es ihm wohl selbst schlecht gegangen, denn er schickte nichts mehr. Und an dem Tag, wo die älteste Schwester begraben wurde, schloß die Mutter das Haus zu und verließ mit den beiden letzten Kindern, die ihr noch geblieben waren, die Heimat. Sie ging mit ihnen nach Schonen, weil sie hoffte, dort Arbeit auf den Rübenfeldern zu bekommen, und sie erhielt auch eine Stellung in der Zuckerfabrik zu Jordberga. Die Mutter war eine tüchtige Arbeiterin und hatte ein fröhliches, offenes Wesen. Jedermann hatte sie gern; viele verwunderten sich, daß sie nach allem, was sie durchgemacht hatte, noch so ruhig sein könnte; aber sie hatte ein starkes, geduldiges Herz. Wenn jemand die beiden prächtigen Kinder lobte, erwiderte sie nur: „Sie werden auch bald sterben.“ Und dies sagte sie, ohne daß ihre Stimme zitterte und ohne daß ihr die Tränen in die Augen traten. Sie hatte sich daran gewöhnt, nichts andres mehr zu erwarten.

 

Aber es kam nicht so, wie sie erwartete. Statt dessen wurde sie selbst krank. Es ging rasch zu Ende mit ihr, noch rascher als mit den kleinen Geschwistern. Im Anfang des Sommers war sie nach Schonen gezogen; und als der Herbst kam, waren die Kinder allein.

Während die Mutter krank lag, sagte sie immer wieder zu ihren Kindern, sie habe nie bereut, daß sie die arme Frau damals bei sich aufgenommen hätten, und das sollten sie niemals vergessen. Denn wenn man recht gehandelt habe, dann sei das Sterben nicht schwer. Alle Menschen müßten sterben, dem Tode könne keiner entrinnen; das aber habe man selbst in der Hand, ob man mit einem guten oder einem schlechten Gewissen sterben müsse.

Ehe die Mutter starb, suchte sie noch einigermaßen für die Kinder zu sorgen. Sie bat die Leute, bei denen sie wohnte, sie möchten die Kinder doch in der Kammer, wo sie alle drei zusammen gewohnt hätten, auch ferner verbleiben lassen. Wenn die Kinder nur einen Aufenthaltsort hätten, würden sie niemand zur Last fallen; sie könnten sich selbst versorgen, das wisse sie. Die Kinder durften dann wirklich die Kammer behalten; sie mußten aber dafür die Gänse hüten, denn für diese Arbeit findet man nur schwer die richtigen Kinder. Es ging dann wirklich, wie die Mutter gesagt hatte: die beiden Kinder sorgten selbst für ihren Unterhalt. Das kleine Mädchen konnte Hustenzucker kochen, und der Junge konnte aus Holz allerlei Spielzeug verfertigen, das er ringsum auf den Höfen verkaufte. Die Kinder hatten Handelstalent, und nach einiger Zeit fingen sie an, bei den Bauern Eier und Butter aufzukaufen, die sie dann wieder an die Arbeiter der Zuckerfabrik verkauften. Sie waren sehr ordentlich und pünktlich, und man konnte ihnen alles anvertrauen, was es auch immer sein mochte. Das Mädchen war das ältere von den beiden, und mit dreizehn Jahren war sie schon so zuverlässig wie ein Erwachsenes. Sie war still und ernst, aber der Junge war redselig und lustig, und die Schwester sagte immer von ihm, er schnattere mit den Gänsen auf der Wiese um die Wette.

Als die Kinder zwei Jahre auf Jordberga gewohnt hatten, wurde eines Abends in der Schule ein Vortrag gehalten. Der Vortrag war zwar eigentlich nur für Erwachsene bestimmt, aber die beiden småländischen Kinder saßen auch unter den Zuhörern; die Kinder selbst rechneten sich gar nicht zu den Kindern, ja die Erwachsenen taten es kaum. Der Redner sprach von jener traurigen Krankheit, der Tuberkulose, die jedes Jahr so viele Menschen in Schweden zum Opfer fordere. Er sprach sehr klar und leicht verständlich, und die Kinder verstanden jedes Wort.

Nach dem Vortrag blieben sie vor der Schule stehen und warteten. Als der Redner aus dem Hause trat, faßten sie einander bei der Hand, schritten feierlich auf ihn zu und fragten ihn, ob sie etwas mit ihm besprechen dürften.

Der Redner schaute wohl ein wenig verwundert drein, als er diese beiden Kinder sah, die da vor ihm standen mit ihren runden, rosigen Kindergesichtern und mit einem Ernst sprachen, der dreimal so alten Leuten angestanden hätte; aber er hörte sie doch sehr freundlich an.

Die Kinder erzählten, was sie daheim erlebt hatten, und fragten dann den Redner, ob er glaube, daß ihre Geschwister und die Mutter an der Krankheit gestorben seien, die er eben in seinem Vortrag beschrieben habe. Ja, das sei sehr wahrscheinlich, antwortete der Redner. Es könnte wohl kaum eine andere Krankheit gewesen sein.

Die Kinder fragten weiter: Wie, wenn nun Vater und Mutter das, was die beiden Kinder an diesem Abend erfahren hatten, damals schon gewußt und sich in acht genommen hätten, wenn sie die Kleider der Kranken verbrannt und auch das Bett nicht mehr benutzt hätten, – wären dann vielleicht alle die noch am Leben, um die sie jetzt trauern müßten?

Der Redner antwortete, das könne niemand ganz bestimmt sagen, aber er könne sich wohl denken, daß keines von ihren eigenen Angehörigen hätte zu sterben brauchen, wenn sie es verstanden hätten, sich vor der Ansteckung zu hüten.

Jetzt zögerten die Kinder ein wenig, ehe sie ihre nächste Frage vorbrachten; aber sie rührten sich nicht von der Stelle, denn die Frage, die sie jetzt beantwortet haben wollten, war die allerwichtigste. Schließlich kam die Frage heraus: Ob es dann nicht wahr sei, daß die Zigeunerin die Krankheit über sie herabbeschworen habe, weil sie der armen Frau, auf die das Zigeunerweib seinen Haß geworfen hatte, geholfen hätten? Ob es nicht ein Fluch gewesen sei, der sie getroffen habe?

Nein, das sei durchaus nicht der Fall gewesen, erwiderte der Redner, das könne er ihnen getrost versichern. Kein Mensch habe die Macht, auf solche Weise eine Krankheit über einen andern zu bringen. Und sie wüßten ja, daß sich die Krankheit im ganzen Lande in fast allen Häusern eingenistet habe, obgleich sie nicht überall so viele weggerafft habe wie bei ihnen.

Hierauf bedankten sich die Kinder und gingen miteinander nach Hause.

Am nächsten Tage aber erschienen die Kinder bei ihrem Brotherrn und kündigten ihre Stelle. Sie sagten, sie könnten in diesem Jahre die Gänse nicht hüten, sie müßten wo anders hin. Ja, wohin sie denn wollten? fragte er. Sie müßten ausziehen und ihren Vater suchen, lautete die Antwort, denn sie müßten ihm sagen, daß die Mutter und die Geschwister an einer gewöhnlichen Krankheit gestorben seien, und nicht an einem Fluche, den böse Menschen auf sie herabbeschworen hätten. Sie seien selbst so froh darüber, daß sie dies erfahren hätten; aber deshalb hielten sie es jetzt für ihre Pflicht, es ihrem Vater mitzuteilen, denn er grüble gewiß noch bis zu diesem Tage darüber nach.

Zuerst begaben die Kinder sich in ihre alte Heimat auf der Heide bei Sunnerbo, und als sie dort ankamen, stand zu ihrer großen Verwunderung das Häuschen in hellen Flammen.

Hierauf gingen sie ins Pfarrhaus, und da erfuhren sie, daß ein Mann, der bei der Eisenbahn beschäftigt war, ihren Vater bei Malmberget hoch droben in Lappland gesehen habe.

Damals habe er in den Erzgruben gearbeitet, und er tue das vielleicht noch, aber ganz sicher sei es nicht. Als der Pfarrer hörte, daß die Kinder ausziehen wollten, ihren Vater zu suchen, holte er eine Landkarte herbei, zeigte ihnen darauf, wie weit es nach Malmberget war, und riet ihnen von der Reise ab. Aber die Kinder sagten, es sei durchaus notwendig, sie müßten versuchen, ihren Vater zu finden. Er sei aus seiner Heimat geflohen, weil er etwas geglaubt habe, was sich gar nicht so verhalten hätte, und nun müßten sie ihm sagen, daß er sich getäuscht habe.

Die Kinder hatten sich von ihrem Handel etwas Geld erspart; aber sie wollten es lieber nicht für die Eisenbahn ausgeben, und so entschlossen sie sich, zu Fuß zu gehen. Und sie bereuten es nachher ganz und gar nicht, denn es war eine wunderbar schöne Fußreise.

Noch ehe sie Småland hinter sich hatten, gingen sie eines Tages in einen Bauernhof hinein, etwas zu essen zu kaufen. Die Hausfrau war fröhlich und redselig, sie fragte die Kinder, wer sie seien und woher sie kämen, und die Kinder erzählten ihr ihre ganze Geschichte. „Ach du lieber Gott! Ach du lieber Gott!“ rief die Frau ein Mal ums andere, während die Kinder erzählten. Dann tischte sie ihnen viel Gutes zu essen auf, und sie durften durchaus nichts dafür bezahlen. Als sie sich bedankten und zum Weitergehen anschickten, fragte die Bäuerin, ob sie nicht im nächsten Dorfe bei ihrem Bruder einkehren wollten, und sie sagte ihnen auch, wie er hieß und wo er wohnte. Ja, das wollten die Kinder natürlich sehr gerne.

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