Und Friede auf Erden von Karl May

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gesenkt und den Kopf ihr leise zugeneigt, als ob er wünsche, daß sie weitersprechen möge. War es nur der tiefe Wohllaut

ihrer Stimme oder auch der Inhalt ihrer Worte, der dies bewirkte? Fu, welcher sie nur einmal mit einem flüchtigen Blick

gestreift, dann aber nicht mehr beachtet hatte, wendete ihr jetzt sein Gesicht voll zu, betrachtete das ihrige mit offenem

Interesse und sagte dann in einer Weise, mit welcher er wohl noch kein chinesisches Mädchen ausgezeichnet hatte:

»Ich danke Ihnen, Miß Waller! Nichts kann so falsch sein, wie die Vorstellungen, welche man sich bei Ihnen über

unsern »Ahnenkultus« macht, der aber gar kein »Kultus« ist. Man legt dabei die abergläubischen Gepflogenheiten

unserer untersten Volksklasse zu Grunde, doch ist das grad und genau so falsch, als wenn wir Ihre Seligen und Heiligen

mit den Augen des Gespensterglaubens betrachten wollten, der in den niederen Kreisen Ihrer Bevölkerung vorhanden ist.

Es kann uns nicht einfallen, an Sie die Forderung zu stellen, auf den Himmel dieser Seligen zu verzichten; aber

ebensowenig wird uns eine Macht der Erde dazu bringen, der beglückenden Ueberzeugung abtrünnig zu werden, daß

auch unsere Abgeschiedenen nicht gestorben sind. Was Sie von ihrer [Ihrer] Mutter sagen, das klingt in meinem Herzen

freudig wieder. Auch wir Chinesen haben Mütter, die in unserer Liebe noch nach dem Tode weiterleben, und ein Volk,

welches seine Mütter, seine Väter, seine Ahnen nicht vergißt, wie der Europäer sie vergißt, der oft die Vornamen des

Großvaters seines Vaters oder seiner Mutter nicht mehr kennt, ein solches Volk schlägt seine Wurzeln so tief in die

Vergangenheit, aus der es Kraft und Nahrung zieht, daß es um seine Zukunft nicht zu bangen braucht. Nur der, welcher

den geistigen Boden nicht kennt, auf dem wir leben, kann von der »Greisenhaftigkeit des gelben Mannes« sprechen. Sie

sehen, der Ruf, in dem wir stehen, ist mir nicht unbekannt. Aber wer die Vergangenheit nicht achtet, der hat für die Zukunft

keinen Wert. Die Stammbäume auch Ihrer alten Geschlechter sind nicht nur von genealogischer Bedeutung, sondern es

steigt ein sich stets verjüngendes Leben in ihren Zellen auf und nieder, und in ihrem Schatten können sich alle Jene

sammeln, welche ihren inneren Zusammenhang mit der Nation verloren haben, weil sie ihre Zugehörigkeit zum Stamm

nicht pflegten und nun nur verwehte Blätter längst entlaubter Bäume sind, Völkerhumus, in welchem das Gedächtnis so

manches edlen Geistes und so mancher schönen Tat den Erstickungstod gefunden hat. Eines solchen Todes haben wir

Chinesen das Andenken Derer, von denen wir stammen und deren geistige Hinterlassenschaft wir zu pflegen und zu

wahren haben, nicht sterben lassen. Wir sind uns des Zusammenhanges mit ihnen bewußt; wir gedenken ihrer; wir feiern

ihre Erinnerungstage, und wenn dies von dem gewöhnlichen Manne, der für geistige Opfer und Liebesgaben kein

Verständnis hat, in mehr materieller Weise geschieht, als es eigentlich im Sinne dieser Ehrung der Vorfahren liegt, so

wird doch nur Jemand, dem es an Einsicht fehlt, behaupten können, daß es sich um eine abergläubische Verirrung oder

gar um eine Abgötterei handele, durch welche unsere Intelligenz sich bis auf unter Null herabgesunken zeige. Sie sind

eine Dame, Miß Waller, und halten das Andenken Ihrer Mutter heilig; ich bin ein Mann und sage, wir bleiben dem

Gedächtnisse unserer Väter treu. Ist das nicht ganz dasselbe? Wollten Sie mich verurteilen, so müßte ich auch Ihnen

Unrecht geben, und ich denke doch, daß weder Sie noch ich eine Ursache haben, uns in dieser Weise wehe zu tun!«

Er hielt ihr seine Hand hin, und sie legte, froh über diese Vertraulichkeit errötend, die ihrige hinein. Ich muß gestehen,

daß der Chinese mich, so zu sagen, gefangen genommen hatte. Nicht nur Alles, was er tat und was er sagte, sondern

auch wie er es tat und wie er es sagte, war so aristokratisch, so vornehm, ohne jedoch gekünstelt oder überhaupt

gemacht zu sein. Er hatte jene seltene Art, zu sprechen, welche bei dem Zuhörer die Ueberzeugung erweckt, daß es gar

nicht anders und besser gesagt werden kann, als es gesagt worden ist. Ich stand nicht an, ihn für einen Mann zu halten,

welcher im stande war, das, was er beabsichtigte, mit kühlster Ueberlegung zu berechnen, und doch hatte er auch einen

so warmen, so aufrichtigen Herzenston, daß mir es gar nicht als schwer erschien, ihm Liebe und Vertrauen zu schenken.

Er war Krystall. Ich finde kein Wort, den Eindruck, den er auf mich machte, deutlicher zu bezeichnen. Und was für

Kenntnisse mußte dieser Mann besitzen! Wenn ich jemals einen Menschen getroffen hatte, welcher genau wußte, was er

wollte, und auch das Zeug dazu hatte, es zu wollen, so war es dieser Chinese hier, der sich so einfach Fu nennen ließ!

Als er der Dame seine Hand gereicht hatte, erhob er sich, um den Speisesaal zu verlassen. Sein Sohn folgte dem

Beispiele des Vaters, der Miß seine Rechte hinzustrecken.

»Ich danke Ihnen auch,« sagte er. »Halten Sie uns nicht für gelber und für sonderbarer, als wir wirklich sind!«

Vor ihrem Vater verbeugten sie sich nur; dann gingen sie fort. Er sah ihnen nach, bis sie verschwanden; dann meinte

er, mit der Hand über das Tischtuch streichend:

»Weg! Aufgeblasenheit und Mangel an Einsicht! So, genau so sind die Völker kurz vor ihrem Untergange! Wie soll

man solche Leute fassen? Wenn der Heide behauptet, ein Christ zu sein, ist jedem Versuche, ihn zu bekehren, die Kraft

genommen!«

»Ich fürchte, Vater, daß Fu nicht der einzige Chinese sein wird, von dem du diesen Einwand hörst,« bemerkte die

Tochter.

»Pshaw! Laß uns nur erst in China sein! Ich werde von Tempel zu Tempel ziehen und meine Stimme erschallen

lassen, daß die Götzen, die rings an den Wänden stehen, zittern! Du weißt ja, daß mir die Macht des Wortes gegeben ist,

welches Felsen zerschmettert! Man wirft uns Amerikanern in neuerer Zeit den Cäsarismus vor. Nun wohl, wir bekennen

uns zu ihm. Und wie auf äußerem Gebiete, so wollen wir auch auf dem Gebiete des Glaubens Herrscher sein! Schau in

die Weltgeschichte der neuen Zeit! Ueberall, wo eine Eroberung gemacht worden ist, sind ihr die Boten des Christentums

vorangegangen. Wir sind die kühnen Pioniere der geistlichen und infolgedessen auch der weltlichen Macht. Die

Diplomatie der Vereinigten Staaten richtet schon seit einiger Zeit ihren Blick über den Stillen Ozean. Wir haben uns auf

Inseln festgesetzt; es gilt, nun auch in China besser Position zu nehmen, als es bisher geschehen ist. Ich werde an dieser

Aufgabe arbeiten und glaube, nicht der unrichtige Mann dazu zu sein!«

»Aber, Vater, Liebe, bitte, mehr Liebe mußt du zeigen!«

»Bemühe dich nicht, klüger zu sein, als dein Vater ist! Es haben die Tempel der Heiden in aller Welt zu fallen. Ihre

Säulen müssen zerstört und ihre Mauern eingestürzt werden. Es darf keinen Allah und keinen Muhamed, keinen

Zoroaster, keinen Brahma, keinen Confucius und Mencius mehr geben!«

Er sprach erregt, erregter, als der öffentliche Ort, an dem er sich befand, es eigentlich erlaubte. Sie legte ihm

begütigend die Hand auf den Arm und bat:

»Sprich leiser! Du bist so unruhig jetzt, gar nicht so still und heiter, so überlegend und bedächtig, wie du warst,

solange die Mutter lebte. Ich hoffte, daß die Reise dich zerstreuen werde; aber die »Heidentempel« kommen dir fast gar

nicht mehr aus dem Sinn.«

Sie sprach so eindringlich und so ernst, und ihr Auge hatte dabei einen so tiefen, dunklen Blick. Sie schien noch

besorgter zu sein, als sie sich merken lassen wollte. Die Wirkung ihrer Worte war keine nachhaltige. Ein Weilchen war er

still oder sprach wenigstens in so gedämpftem Tone, daß ich ihn nicht verstehen konnte. Aber bald war er wieder so

deutlich wie vorher geworden. Und, sonderbar, die Heidentempel bildeten das Thema, auf welches er so oft wie möglich

zurückzukommen strebte, obgleich Mary sich Mühe gab, ihn immer wieder davon abzubringen. War dies nichts Anderes

zu nennen, als nur ein bevorzugter Gesprächsgegenstand? Ließ es sich einfach nur aus seinem Beruf als Missionar

erklären, daß dieses Wort sich in seinem Ideenkreise so fest eingenistet hatte? Oder sollte - -? Nein! Den Gedanken an

eine geistige Störung mußte ich in Rücksicht auf eben diesen Beruf von mir weisen. Wer nach China geht, um »Heiden zu

bekehren,« bei dem ist doch wohl eine vollständig gesunde Psyche vorauszusetzen. Jedenfalls aber war im Verlaufe

dieses Abendessens mein Interesse nicht nur für die beiden Chinesen, sondern auch für den Amerikaner und seine

Tochter um ein Bedeutendes gesteigert worden.

Nach Tische ließ ich mir den Kaffee, wie gewöhnlich, hinaus auf den elektrisch beleuchteten Vorplatz bringen und saß

noch kaum einige Minuten da, als Waller und Mary das Hotel verließen, um einen Spaziergang zu machen. Sie kamen

nahe an mir vorüber und - ob ich mich irrte, weiß ich nicht, aber es war mir, als ob er schon wieder über irgend einen

Tempel mit ihr spreche.

Sejjid Omar, der Eselsjunge, stand drüben auf seinem Platze. Nach einiger Zeit band er seinen Esel an und kam

herüber bis an die breiten Aufgangsstufen, welche Dienstpersonen, die nicht in das Hotel gehören, nicht ohne Erlaubnis

betreten dürfen. Als er den dort befindlichen zweiten Portier um diese Erlaubnis bat, sah ich, daß er nach mir

herüberzeigte. Sie wurde ihm gewährt, und dann kam er auf mich zugeschritten, langsam und würdevoll wie ein

Ambassadeur des Padischah von Stambul. Vor mir stehenbleibend, kreuzte er die Hände auf der Brust, verbeugte sich

 

und grüßte:

»Guttakk!«

Ich sah ihn fragend an und antwortete nicht.

»Guttakk!« wiederholte er, und als ich auch dann noch nichts sagte, besann er sich eines Besseren und fügte noch

eine Silbe hinzu: »Guttertakk!«

Er hatte »Guten Tag!« gemeint.

»Iis'id masak!« antwortete ich, ihm dadurch andeutend, daß er arabisch sprechen solle, weil meine Sprachkenntnisse

für sein Deutsch nicht ganz ausreichend seien. Da er hörte, daß ich seiner Muttersprache mächtig war, holte er erleichtert

Atem und erkundigte sich:

»Ich bin Sejjid Omar. Welchen Titel soll ich dir geben, wenn ich mit dir spreche?«

»Man hat mich stets Sihdi (* »mein Herr.«) genannt,« antwortete ich.

»Nun wohl, Sihdi; ich hörte von dem Kellner, der dich auf deinem Zimmer bedient, daß du eine sehr lange und sehr

weite Reise machen willst und einen arabischen Diener brauchst, der dich begleiten soll. Es haben sich schon Viele

gemeldet, doch Keiner hat dir gefallen. Wenn Allah will und du stimmst bei, so gehe ich mit dir.«

Es war so, wie er sagte. Ich wollte zunächst nach dem Sudan hinauf; und deshalb mußte der Betreffende arabisch

sprechen können.

»Wie kommst denn du dazu, dich mir anzubieten?« fragte ich. »Bringt dir dein Esel zu wenig Geld ein? Gefällt es dir

nicht mehr in Kairo?«

»Ich habe mein gutes Auskommen und bin mit dieser meiner Vaterstadt zufrieden. Ich wäre nie von hier fortgegangen,

aber mit dir möchte ich gern reisen, weil ich dich liebgewonnen habe.«

»Liebgewonnen? Weshalb?«

»Aus vielen Gründen. Ich sah, daß du mich beobachtetest, und erkundigte mich nach dir. Einer kannte dich. Du bist

nicht zum ersten Male hier und nennst dich im Hotel ganz anders, als du heißest, weil du Bücher schreibst, die von den

Leuten gelesen werden, welche dann zu dir gelaufen kommen und dich stören. Das willst du nicht. Ich soll den, der mir das

sagte, nicht verraten; er reitet oft auf meinem Esel und hat gemeint, du seist zwar ein Christ, müssest aber ein besonderer

Liebling Allahs sein; er wisse das genau, denn er habe alle deine Karten gelesen; die Briefe dürfen leider nicht geöffnet

werden.«

»Ach! Es ist der alte Ibrahim Effendi auf der Post, der mich freilich schon seit langer Zeit kennt.«

»Maschallah (* Wunder Gottes!)! Wie kannst du das erraten?«

»Du hast von Karten und Briefen gesprochen; er pflegt sie mir gern selbst zu bringen. Was deinen Wunsch betrifft, so

komm morgen früh um acht Uhr auf mein Zimmer. Ich werde dir Bescheid sagen. Jetzt kannst du gehen.«

Er verbeugte sich, grüßte und ging, kehrte aber nach einigen Schritten wieder um und sagte:

»Sihdi, ich will dir meine Bedingungen lieber gleich jetzt sagen!«

»So? Du hast Bedingungen?«

»Ja. Ich werde dir ein treuer, zuverlässiger Diener und du wirst mir ein strenger, aber guter Herr sein. Ich weiß das

ganz genau, denn ich will dir gestehen, daß Ibrahim Effendi mir mehr von dir erzählt hat, als du denkst. Du zahlst mir, was

du willst; ich bin zufrieden. Du kannst von mir verlangen, was du willst, ich werde es tun. Aber verlange nichts, was gegen

meinen Glauben ist; laß mich keines meiner Gebete je versäumen, und sprich nie von deiner Religion! Ich liebe dich, aber

ich liebe nicht das Christentum. Leletak sa'ide - deine Nacht sei gesegnet!«

Nach diesen Worten drehte er sich um und entfernte sich. Man denke ja nicht, daß ich die Pflicht gehabt hätte, ihm

wegen der an mich gestellten Wünsche zu zürnen. Sie waren nicht so unbegründet, wie man vielleicht denken mag. Um

dies einzusehen, muß man wissen, von welcher Art die Christen sind, auf die sich Omars Worte bezogen.

Da sind zunächst die Touristen. Man gehe einmal durch die Scharia Bab el Hadid nach dem Bahnhofe, um diese

Leute bei ihrer Ankunft aussteigen zu sehen. Sie kommen eigentlich nicht, sondern sie werden gebracht; sie steigen nicht

aus, sondern sie werden ausgestiegen. Sie bilden Cook- oder Stangen-»Herden«, welche sich jeder Selbständigkeit

begeben und ihren Hirten zu parieren haben. Sie sind nicht mehr Personen oder gar

Individualitäten, sondern einfach Gegenstände des betreffenden Reisebureaus. Im Bahnhof aus- und vor den Hotels

wieder abgeladen, haben sie die Zimmer zu nehmen, die man für sie bestimmt, zur vorgeschriebenen Zeit zu essen und

zu schlafen, um zwischen diesen Zeiten truppweise auf die touristische Weide getrieben zu werden. Sie machen den

Eindruck der Unwissenheit und der Hilflosigkeit, und jeder Eingeborene, dessen Dienste sie in Anspruch nehmen

müssen, hält es für sein gutes Recht, ihre Unkenntnis möglichst auszubeuten. Sie mögen sich nun gegen ihn verhalten,

wie sie wollen, höflich oder grob, freigebig oder nicht, auf alle Fälle betrachtet er sie als Personen, die sich mit ihm nicht

messen können und deren Heimat eine so traurige ist, daß sie weite und kostspielige Reisen machen müssen, um

einmal etwas Schöneres und Besseres zu sehen. Er sieht und hört ihre laute Bewunderung für Alles, was für ihn zu den

Alltäglichkeiten gehört; er wird von ihnen als halbes Wunder photographiert; er steht dabei, wenn sie bei ihren Einkäufen

für Dinge, welche aus Deutschland kommen und dort eine Mark kosten, vielleicht den zehnfachen Preis bezahlen; kurz,

was sie ihm einflößen, ist nichts weniger als das Gefühl der Hochachtung, und wenn sie von Jedermann mit den Worten

»Bakschisch« angerufen und verfolgt werden, so dürfen sie sich nicht etwa denken, daß man unter dieser »Gabe« ein

unverdientes Almosen versteht, sondern sie als einen Tribut betrachtet, welchen der Einheimische zu fordern berechtigt

und der Fremde aber zu geben verpflichtet ist. Ich habe noch keinen Wirt, Händler, Führer, Dolmetscher und Eselsjungen

gesehen, der nicht überzeugt gewesen ist, diesen ihrem Erklärer immer hilflos nachlaufenden Christen weit, weit

überlegen zu sein. Und dieses Urteil ist stets ein verallgemeinerndes. Der Orientale braucht nur einen einzigen Punkt zu

bemerken, in Beziehung auf welchen er dem Abendländer über ist, so steht sofort in ihm die Ueberzeugung fest, daß

dieser Vorzug auch in jeder anderen Hinsicht vorhanden sei. Natürlich wird diese falsche Annahme vor allen Dingen auch

auf den Glauben ausgedehnt. Der Tourist, besonders der sogenannte »Herdentourist«, hat seine Individualität daheim

gelassen und bringt nichts als nur seine Neugierde und seinen Geldbeutel mit; er ist ein personifiziertes Bakschisch,

welches das Abendland dem Morgenlande bringt. Dieses Bakschisch zieht dort den Betrug, die Habsucht und die Lüge

groß, fließt meist in die Kassen nicht einheimischer Geschäftsleute und bringt dem eigentlichen Oriente wohl keinen, am

allerwenigsten aber einen geistigen Nutzen. Seine Seele aber bleibt nicht unberührt.

Das Sträuben Sejjid Omars war nichts als eine Aeußerung dieser Seele, welche sich dagegen empört, ihre

Heiligtümer der fremden Neugierde gegen ein Trinkgeld von einigen Halbpiastern preiszugeben. Und es fand seine mehr

als genügende Begründung in dem moralischen Werte oder Unwerte desjenigen Christentums, welches er kennen gelernt

hatte. Wer ein scharfes, offenes Auge besitzt, der wird von Alexandrien und Port Said oder Suez an bis nach Assuan hinauf

in unzähligen Fällen die Behauptung bestätigt finden, daß überall, wo von einem Gewinn um jeden Preis die Rede ist, ein

Christ die Hand im Spiele hat. Zwar handelt es sich da meist nur um griechische, levantinische oder überhaupt

morgenländische Christen, aber dem Mohammedaner ist dieser Unterschied nicht geläufig; Christ gilt als Christ bei ihm,

und der abendländische hat es sich zunächst gefallen zu lassen, daß er genau so wie der orientalische beurteilt wird.

Sejjid Omar war kein dummer Mensch; er hatte sogar, wie ich später erfuhr und was bei den dortigen Verhältnissen

selbst für Eselsjungen möglich ist, einige Jahre lang in der Azharmoschee Theologie studiert, doch mangelte auch ihm

die nötige Einsicht, Christ von Christ zu unterscheiden. Lernte er in einem Christen zugleich auch einen guten Menschen

kennen, so lag die einzige Lösung dieses Rätsels für ihn in der Annahme: »Er muß, obgleich ein Christ, ein Liebling

Allahs sein, denn Allahs Sonne scheint ja auf die, die sich von ihm gewendet haben.« Die Bedingungen, welche er mir

gestellt hatte, konnten mich keineswegs abhalten, ihn zu engagieren; sie bildeten vielmehr eine Empfehlung für ihn. Wer

das, was ihm heilig sein soll, nicht achtet, wird höchst wahrscheinlich kein treuer, zuverlässiger Diener sein. Ich nahm mir

vor, zunächst seine Sattelfestigkeit auf dem Pferde zu prüfen und zu diesem Zweck morgen mit ihm nach Gizeh und dann

nach Sakkara zu reiten. Mancher Eselsjunge, welcher wahre Kunstreiterstückchen ausführt, ist aber, solange er lebt, nicht

auf ein Pferd gekommen und mit der Behandlung desselben vollständig unbekannt. Ich brauchte einen Diener, der sich

vor monatelangem Reiten auf jeder Art von Pferden nicht zu fürchten hat.

Kurz nachdem Omar bei mir gewesen war, ging ich auf mein Zimmer, um noch ein Stündchen zu arbeiten, brachte

aber nichts fertig, denn die vier Personen an meinen Nachbartischen kamen mir nicht aus dem Sinne. Meine Gedanken

kehrten immer wieder zu ihnen und ihrem Gespräch zurück, und besonders war es der Missionar, der mich in Anspruch

nahm, weil ich mir das unerlaubt selbstbewußte Gebaren eines Mannes nicht erklären konnte, dessen Beruf ihn das Wort

des Jesaias hätte beherzigen lassen sollen, daß die Schritte der Boten, welche auf den Bergen Gottes den Frieden

predigen und das Heil verkündigen wollen, leise und lieblich zu klingen haben. Ich ließ also Papier, Tinte und Feder sein

und legte mich schlafen.

Ich schlief auch bald ein; aber die Gedanken waren nicht auch eingeschlafen; sie beschäftigten mich im Traume fort.

Ich sah diesen Mr. Waller die verschiedensten und unglaublichsten Arbeiten verrichten, die aber alle zerstörend waren. Er

riß Häuser ein, stürzte Pfeiler um, schlug Bäume nieder und hatte stets und stets eine Axt, ein Brecheisen oder sonst ein

derartiges Werkzeug in der Hand. Ich sah Kruzifixe stehen, Kapellen, Kirchen, griechische, indische, assyrische Tempel,

Moscheen, Statuen von heidnischen Göttern und christlichen Heiligen; er schlug sie alle, alle nieder, ohne das Christliche

zu schonen. Er arbeitete wie ein Verrückter, im Schweiße seines Angesichts, bis eine Stimme donnernd rief: »Saulus,

Saulus, warum verfolgst du mich!« Da brach er zusammen, und ich erwachte.

Der Mond schien so hell, daß alle Gegenstände, auch die kleinsten, zu unterscheiden waren, zur offenen Balkontür

herein, und ich war so froh, daß ich nur geträumt und nicht etwas Wirkliches gesehen hatte. Dennoch dachte ich darüber

nach. Der Saulusruf paßte nicht für einen christlichen Missionar, aber wer kann von einem Traume die Ueberlegung

verlangen, ob das, was er bringt, auch passend sei! Ich hoffte, bald wieder einzuschlafen, und schloß die Augen wieder

zu, mußte aber gleich wieder an den Traum und seine zertrümmerten Tempel und Kirchen denken. Da stieg ein

warnendes Wort und noch eins in mir auf; beide gestalteten sich zum Verse, dem sich ein zweiter, dritter und dann auch

vierter zugesellte; sie fügten sich zur gereimten, vierzeiligen Strophe zusammen, und ich stand auf, um sie

niederzuschreiben. Ich hielt diese Strophe für geeignet, den Anfang eines Gedichtes zu bilden, welches später in meine

»Himmelsgedanken« aufgenommen werden konnte. Als ich im Mondscheine die Zeilen auf das Papier geworfen hatte,

legte ich mich wieder nieder. Die Nachtluft war nach dem Khamsin des vorigen Tages so erquickend kühl, ein

Hochgenuß, den man im Schlaf nicht mehr bewußt genießen kann, und so nahm ich mir vor, zu der aufgezeichneten

Strophe noch eine zweite, dritte und vierte zu schreiben. Ich zerlegte den Hauptgedanken in seine Teile und sann über die

Verbindung zwischen ihnen nach, um zu einer festen, logisch klaren Disposition zu kommen; aber der unverwüstliche, alte

und wohlbekannte Papa Morpheus schien sich aus den Tempeltrümmern meines Traumes heraus- und über mich

hergemacht zu haben, und er wurde mit mir eher fertig, als ich mit meiner Disposition. Und er gab mich für dieses Mal

nicht eher frei, als bis ein lautes Klopfen an meiner Tür ihn zwang, von mir hinweg und nach Griechenland zu eilen, wo im

 

»hohen Olymp« noch einige unbeschädigte Tempel stehen sollen, welche die Nachwelt als Auszüglerwohnungen oder

Altenteil der einst dort Thronenden zu respektieren hat.

Ich sah nach der Uhr. Punkt acht! O wehe! Wahrscheinlich stand Sejjid Omar schon draußen!

»Istan'ni schubai'je - warte ein wenig!« rief ich so laut, daß er es hören konnte, und machte mich schnell fertig, ihn

hereinzulassen.

Obgleich ich mich im Zimmer befand, bemerkte ich, daß der Khamsin heut noch schärfer wehte als gestern, wenn

auch jetzt am Vormittage noch nicht mit der erst später zu erwartenden Hitze. Als ich das Zeichen gab, daß der Wartende

kommen könne, trat er ein. Ja, es war Sejjid Omar. Er hatte sein bestes Gewand angelegt und den Turban aufgesetzt,

während er für gewöhnlich den roten Tarbusch (* So wird in Aegypten der Fez genannt.) trug. Das geschah in der Absicht,

mir zu zeigen, daß die zu besprechende Angelegenheit für ihn eine ungewöhnlich wichtige sei. Nach Art der Araber,

welchen bei dem hiesigen Klima ein Verschließen der Wohnräume nicht geläufig ist, ließ er, als er hereingekommen war,

die Tür weit offen stehen. Draußen auf dem Korridore stand wahrscheinlich ein Fenster auf, und da meine Balkontür auch

offen war, so entstand ein Luftzug, dessen plötzlicher Stoß so stark war, daß er die auf dem Tisch liegenden Papiere

emporhob und eines derselben hinaus auf den Balkon führte, wo es zwar zunächst liegen blieb, aber so lebhaft bewegt

wurde, daß es jeden Augenblick weiter fliegen konnte. Omar sprang sofort dienstfertig hinaus. Er hob es auf, betrachtete

es und warf es dann in die Luft, die es wirbelnd mit sich nahm.

»Es stand wohl nichts darauf?« fragte ich.

»O ja, es war beschrieben,« antwortete er.

»Aber, warum hast du es da nicht hereingebracht, sondern weggeworfen?«

»Es war ja nicht arabisch!«

Er sagte das im Tone der unendlichsten Selbstverständlichkeit, daß alles nicht arabisch Geschriebene für das ganze

Reich der Schöpfung vollständig gleichgültig und wertlos sei. Dabei lag auf seinem Gesichte eine solche Befriedigung,

als ob es für mich gar keine Möglichkeit gebe, hierüber anders als er zu denken.

»Höre, Omar,« belehrte ich ihn, »ich schreibe deutsch, aber trotzdem ist Alles, was ich geschrieben habe, mehr wert,

als wenn zum Beispiel du es arabisch geschrieben hättest. Auch das Papier kostet Geld, und dieses Blatt gehörte mir,

aber nicht dir. Wie kommst du dazu, es wegzuwerfen? Wenn ein Franzose dich mit einem goldenen Napoleon bezahlt,

wirfst du diesen auch weg, nur weil die darauf zu lesende Schrift nicht arabisch ist?«

Er errötete, was seinem Gesichte bei dessen dunklem Teint eine eigentümliche Färbung gab, ließ die Arme wie ganz

kraftlos sinken und hielt den Blick zu Boden gerichtet. Er besaß ein sehr stark entwickeltes Ehrgefühl, und mein Verweis

wirkte bei ihm tiefer, als er bei einem andern gewirkt hätte.

»Sihdi, was soll ich sagen!« stieß er hervor. »Es ist der Wunsch meines Herzens, dein Diener werden zu dürfen, und

jetzt, wo ich es noch gar nicht bin und dich noch nicht einmal begrüßt habe, mache ich mich schon eines solchen Fehlers

schuldig! Kannst du denn deine Bücher nicht arabisch schreiben, damit ich, wenn ich die Blätter liegen sehe, gleich lesen

kann, ob sie wichtige sind oder ob ich sie wegwerfen darf?«

»Du hast in Zukunft nichts, gar nichts wegzuwerfen, sondern grad die von mir beschriebenen Blätter mit der größten

Sorgfalt zu behandeln! Sie sind mehr Geld wert, als du denkst!«

»Maschallah! So habe ich Geld weggeworfen?«

»Wahrscheinlich. Ich werde dann nachsehen, was mir fehlt.«

»So verzeihe mir, Sihdi! Oder, ich werde auch etwas auf ein Blatt schreiben; das wirfst du weg, und dann sind wir

quitt!«

Das war im vollsten Ernst gesagt. Ich konnte natürlich gar nicht anders, ich mußte herzlich lachen. Das gab ihm wieder

Mut. Er hob die Arme und den Blick wieder empor und fragte:

»Was hast du über meinen Wunsch, mit dir zu gehen, beschlossen?«

»Kannst du reiten?«

»Ja.«

»Auch zu Pferde?«

»Ja; prüfe mich! Ich weiß vom alten Ibrahim Effendi, was für Ritte du schon hast machen müssen. Du wirst mich

brauchbar finden.«

»So komm am Nachmittag um drei Uhr wieder. Ich werde Pferde besorgen. Wir reiten nach Gizeh und morgen nach

Sakkara, Bedraschehn und vielleicht auch nach Heluan. Aber denke nicht, daß wir uns auf Touristenwegen halten werden!

Wie du reitest, und wie bald oder spät du ermüdest, davon wird es abhängen, ob dein Wunsch erfüllt wird oder nicht.«

Da holte er tief Atem und versicherte in frohem Tone:

»Hamdulillah!

(* Allah sei Dank!). Ich werde dein Diener sein; ich weiß es ganz gewiß! Hast du jetzt noch einen Befehl für mich?«

»Nein. Du kannst gehen.«

»Allah jesallimak - Gott segne dich!«

Er griff nach meiner Hand, beugte sich zu ihr nieder und drückte sie an seine Lippen. Das geschah in einer Weise,

der man es ansah, daß ihm diese herzliche Art der Ehrenerweisung ganz und gar nicht geläufig sei. Ich war geneigt, sie

ihm hoch anzurechnen. Wenn ein Araber, der so wie dieser Sejjid Omar um die Erfüllung seiner religiösen Pflichten

besorgt ist, einem Christen die Hand küßt, so ist ganz gewiß sein Herz dabei im Spiele. Daß Omar ein gewöhnlicher

Eseltreiber war, kann nichts an dieser Sache ändern; da gibt es keinen Unterschied, sondern da handelt der Niedrigste

genau so wie der Höchste. Aber wie kam gerad ich, der ich doch vor gestern abend nie mit ihm gesprochen hatte, zu

dieser ganz besonderen Zuneigung? Der alte Ibrahim Effendi kannte mich ziemlich genau und mochte viel von mir erzählt

haben; aber auch das war für mich noch kein hinreichender Grund. Wahrscheinlich lag dieser in irgend einem Umstande,

den ich gar nicht beachtet und also wohl vergessen hatte.

Als er fort war, sah ich nach den Papieren auf dem Tisch. Zunächst glaubte ich, daß kein beschriebenes fehle; dann

aber dachte ich an die vier Zeilen, welche ich heute Nacht geschrieben hatte, und bemerkte nun, daß diese fehlten. Das

war mir fatal, denn ich konnte nun nachdenken, soviel ich wollte, so war es mir unmöglich, mich der Strophe so, wie sie

gewesen war, genau zu entsinnen. Ich erinnerte mich zwar des Hauptgedankens, daß es dem Christen nicht zieme,

Tempel zu entweihen, da selbst auch dem heidnischen Götterdienste eine von der Erde emporhebende Idee zu Grunde

liege, welche zu achten sei und nicht entheiligt werden dürfe; aber dieser Sinn wollte absolut nicht so leicht, ungezwungen

und rein in die Reime fließen, wie er es in den verloren gegangenen Zeilen getan hatte.

Ich trat also hinaus auf den Balkon, von welchem man den ganzen, großen Vorplatz übersehen konnte; aber es war

leider nirgends ein Papier zu sehen. Der kräftige Wind hatte es wohl in die Scharia Kahmel oder hinüber nach dem

Platze Ibrahim Pascha getrieben.

Nun ging ich hinunter, um das Frühstück einzu- einzunehmen. Im Büro ließ ich nach dem Menahouse-Hotel in Gizeh um

das Zimmer telephonieren, welches ich zu bekommen trachte, sooft ich draußen bin. Es führt aus demselben eine gut

verschließbare Türe direkt ins Freie, so daß man zu jeder Tages- und auch anderer Zeit nach den Pyramiden gehen kann,

ohne von den anderen Gästen beachtet zu werden oder den Schließer belästigen zu müssen. Es wurde mir zugesagt.

Im Speisesaale angekommen, sah ich, daß die Chinesen schon gefrühstückt haben mußten. Sie waren nicht da, aber

das gebrauchte Geschirr stand noch auf ihrem Tische. An dem zu meiner andern Hand saß Mr. Waller ganz allein. Er

hatte die leere Tasse vor sich, sah höchst gelangweilt aus und schien auf seine Tochter zu warten. Als der Kellner mich

bediente und dabei an ihm vorüberging, fragte er ihn nach Monsieur Fu und Monsieur Tsi.

»Stehen eben im Begriff, abzufahren,« lautete die Antwort.

»Was? Sie reisen ab?«

»Nein. Sie bleiben noch für längere Zeit hier, um die Umgebung Kairos ebenso genau wie die Stadt selbst kennen zu

lernen. Heut wollen sie nach Gizeh. Sie schlafen in Menahouse und gehen morgen nach den Pyramiden von Sakkara.«

Das interessierte nicht nur den Missionar, sondern auch mich. Ich hatte also Gelegenheit, sie heut und morgen an den

angegebenen Orten zu sehen, und nahm mir vor, einer etwaigen Gelegenheit, mit ihnen dort zu verkehren, nicht aus dem

Wege zu gehen.

Nach einiger Zeit kam Mary, und ihr Vater ließ servieren. Ich erfuhr, ohne die Absicht zu hegen, sie zu belauschen, daß

die Miß von einem Ausgange zurückkehrte. Sie hatte einige kleine Einkäufe gemacht. Als die Gegenstände betrachtet

worden waren, teilte ihr der Vater mit, daß die Chinesen nach den Pyramiden seien, und fragte sie, ob sie nicht Lust

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