Neuroanatomie

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Fasern des Tractus corticospinalis, die nicht auf Höhe der Decussatio pyramidum zur Gegenseite kreuzen, verlaufen im Tractus corticospinalis anterior (Abb. 3.8-1b) im Vorderstrang nach unten. Kurz bevor sie zu den α-Motoneuronen ziehen, kreuzen auch diese Fasern zur Gegenseite und zwar in der Commissura alba anterior. Somit werden bei der Willkürmotorik Skelettmuskeln der rechten Körperhälfte vom linken Kortex gesteuert. Für die linke Körperhälfte gilt dasselbe vice versa.

Andere motorische Bahnsystem kreuzen nicht auf Höhe der Pyramide zur Gegenseite, und werden topographisch dem pyramidalen System als extrapyramidales System gegenübergestellt. Zu den extrapyramidalen Bahnen gehören der Tractus rubrospinalis im Seitenstrang (Abb. 3.8-2a), Tractus reticulospinalis anterior und lateralis (jeweils im Seiten- und Vorderstrang; Abb. 3.8-2b), Tractus vestibulospinalis (Abb. 3.8-2c), und Tractus olivospinalis (Abb. 3.8-2d). Auch hier lässt sich der Herkunftsort der einzelnen Bahnen recht einfach herleiten: Nucleus ruber, Formatio reticularis, Vestibularkerne und Olive. All diese absteigenden Fasersysteme beteiligen sich mehr oder weniger an der Regulation der Somatomotorik. Auf die Funktionen dieser einzelnen Fasertrakte soll hier nicht weiter eingegangen werden. Später stoßen wir in diesem Lehrbuch noch einmal auf den Begriff des extrapyramidalen Systems (siehe Kapitel 11 über Motorik).


Abb. 3.8

Schematische Darstellung der Lage der wichtigsten aufsteigenden und absteigenden Bahnen des Rückenmarks

Absteigende/motorische Bahnen (links, blau)

1Pyramidenbahn

1aTractus corticospinalis lateralis

1bTractus corticospinalis anterior

2Extrapyramidale Bahnen

2aTractus rubrospinalis

2bTractus reticulospinalis

2cTractus vestibulospinalis

2dTractus olivospinalis

Aufsteigende/sensible Bahnen (rechts, rot)

3Hinterstrangbahnen

3aFasciculus gracilis

3bFasciculus cuneatus

4Kleinhirnseitenstrangbahnen

4aTractus spinocerebellaris posterior

4bTractus spinocerebellaris anterior

5Sensible Vorderstrangseitenbahnen

5aTractus spinothalamicus lateralis

5bTractus spinothalamicus anterior

6Tractus spinoolivaris

Aufsteigende Bahnen

Aufsteigende Bahnen verlaufen in allen drei Funiculi. Um die Bedeutung der einzelnen Bahnsysteme verstehen zu können, muss man sich klarmachen, dass funktionell drei verschiedene Qualitäten der Sensibilität grob unterschieden werden können. Dies sind die epikritische, die protopathische und die propriozeptive Sensibilität.

Als epikritische Sensibilität werden die Körperempfindungen zusammengefasst, die der diskriminatorischen Wahrnehmung von Druck, Berührung und Vibration (Feinwahrnehmung) dienen. Diese Art der Empfindung ist nicht unbedingt zum Überleben notwendig, fördert aber zweifelsohne soziale Interaktionen. Das wohlwollende Streicheln des/r Partners/-in wird uns beispielweise durch das epikritische System zugeleitet. In den Hintersträngen verlaufen medial der Fasciculus gracilis (Abb. 3.8-3a), seitlich davon der Fasciculus cuneatus (Abb. 3.8-3b). Beide leiten Impulse der epikritischen Sensibilität. Der Fasciculus gracilis leitet hierbei Informationen der unteren Körperhälfte, der Fasciculus cuneatus Informationen der oberen. Dementsprechend besteht im lumbalen und thorakalen Rückenmark jeder Hinterstrang nur aus dem Fasciculus gracilis, der Fasciculus cuneatus kommt erst im Halsbereich hinzu. Am besten merken Sie sich, dass der Musculus gracilis an der unteren Extremität zu finden ist – dementsprechend leitet der Fasciculus gracilis Informationen aus der unteren Körperhälfte. Fasciculus cuneatus und gracilis leiten die Information der epikritischen Sensibilität (nach Verschaltung) zum Thalamus. Dort wird die Information noch einmal kontrolliert und erreicht dann den sensiblen Gyrus postcentralis. Jetzt erst können die Impulse bewusst wahrgenommen werden.

Als protopathische Sensibilität werden alle Körperempfindungen zusammengefasst, die eine Bedrohung der Vitalsphäre darstellen (Grobwahrnehmung). Dazu gehören die Schmerzwahrnehmung (Nozizeption), die Temperaturwahrnehmung und die grobe Mechanorezeption. Die Bahnen der protopathischen Sensibilität laufen getrennt von denen der epikritischen als Tractus spinothalamicus anterior (Abb. 3.8-5b) und lateralis (Abb. 3.8-5a) im Vorderstrang bzw. Seitenstrang. Es ist strittig, ob beide Faserbündel verschiedene sensible Qualitäten vermitteln, klinisch aber auch nicht wirklich relevant. Eine isolierte Läsion des anterioren oder lateralen Tractus spinothalamicus ist aufgrund ihrer engen räumlichen Beziehung extrem selten. Bei einer Beschädigung fallen demnach fast immer alle genannten Qualitäten aus oder sind zumindest stark eingeschränkt. Der Tractus spinothalamicus leitet die Informationen der protopathischen Sensibilität zum Thalamus. Von dort wird sie ebenfalls dem Gyrus postcentralis zugeleitet. Auch protopathische Impulse können bewusst wahrgenommen werden. Der Tractus spinothalamicus projiziert jedoch direkt oder indirekt auch auf andere wichtige neuronale Zentren, um den Körper z. B. bei starken Schmerzen in Alarmbereitschaft zu versetzen.

Klinik

Manchmal weiß das Gehirn nicht so richtig, wo Schmerz herkommt. Phantomschmerzen sind hier ein gutes Beispiel. Unter Phantomschmerz versteht man Schmerzen in einem Körperteil, der nicht mehr vorhanden ist, meist in Folge einer Amputation. Nach der Amputation spürt ein Großteil der Betroffenen weiterhin die nicht mehr vorhandene Extremität, beispielsweise seine Länge, den Umfang, oft auch eine bestimmte Haltung. Gelegentlich wird über nicht schmerzhafte Empfindungen, wie Kribbeln, Berührungsempfindungen oder Zucken berichtet. Etwa 60–80 % der Amputierten nehmen Schmerzen im amputierten Körperteil wahr. Früher ging man davon aus, dass sich Amputierte den Phantomschmerz „einbilden“. Schließlich war der Teil des Körpers nicht mehr vorhanden. Wie sollten dann Schmerzen spürbar sein? Heute glaubt man, dass Veränderungen wie beispielsweise eine schlechte Vernarbung im Stumpf eine Rolle spielen. Der Nerv bzw. die Nerven, welche für die sensible Versorgung der amputierten Extremität verantwortlich waren, werden in ihrem Verlauf durch das Narbengewebe gereizt. Nur kann das Gehirn nicht zuordnen, wo genau die Reizung stattfindet. Es geht weiter davon aus, dass diese Nerven an ihrem physiologischen Ende gereizt werden, also im Bereich des Amputats. Deswegen wird Schmerz im amputierten Körperteil wahrgenommen, obwohl es gar nicht mehr da ist.

Ganz ähnlich verhält es sich mit den Head’schen Zonen. Die Head-Zone, benannt nach dem englischen Neurologen Sir Henry Head (1861–1940), wird als ein Hautareal definiert, in dem aufgrund des metameren Körperaufbaus eine Beziehung zu bestimmten inneren Organen besteht. Bei einem Herzinfarkt beispielsweise verspüren Patienten oft Schmerzen im Bereich des linken Schulterblattes bzw. des linken Armes. Grundlage hierfür sind „falsche“ nervale Verschaltungen. Sensible Impulse aus dem Herz treten gemeinsam mit sensiblen Impulsen des Armes und der Schulter in das Rückenmark ein und aktivieren sensible Nervenzellen des Hinterhorns. Von dort ziehen die Impulse weiter zur sensiblen Hirnrinde. Ähnlich wie beim Phantomschmerz weiß das Gehirn nicht mehr, woher der Schmerz eigentlich kommt und nimmt fälschlicherweise an, die sensiblen Impulse des Herzens stammen aus der linken oberen Extremität. Man spricht hier auch von neuronaler Konvergenz: Mehrere verschiedene Signale konvergieren auf eine Gruppe von Nervenzellen. Für viele verschiedene innere Organe sind heute Head’sche Zonen bekannt, nicht nur für das Herz.

Der äußere Teil des Seitenstrangs wird vom Tractus spinocerebellaris anterior (Abb. 3.8-4b) et posterior (Abb. 3.8-4a) eingenommen. Über beide Bahnen werden dem Kleinhirn Informationen über die Stellung und Lage der Gelenke zugeleitet (Propriozeption). Diese Sensoren der Propriozeption sitzen in den Muskeln, Sehnen, Bändern sowie Gelenken und reagieren in unterschiedlicher Weise auf Druck oder Verformung (vgl. entsprechende Bücher der Histologie und Physiologie). Aus den Signalen der Propriozeptoren leitet das Gehirn Entscheidungen über mögliche oder gar notwendige Positionsveränderungen des Körpers ab. In diesem „koordinativen Regelkreis“ spielt das Kleinhirn eine wichtige Rolle, weswegen diese Informationen überwiegend im Kleinhirn enden.

An dieser Stelle soll schon darauf hingewiesen werden, dass nicht die gesamte propriozeptive Information über den Tractus spinocerebellaris anterior et posterior geleitet wird. Wie erwähnt, enden beide Fasertrakte im Kleinhirn und können somit prinzipiell nicht bewusst wahrgenommen werden. Nur Afferenzen, die im Kortex des Großhirns enden, werden bewusst! Wir wissen jedoch, dass wir sehr wohl die Lage und Stellung der Gelenke, also die Propriozeption, bewusst wahrnehmen und auch wiedergeben können. Testen Sie dies einfach einmal an einem Freiwilligen. Er soll die Augen schließen und die Hand ausstrecken. Als Untersucher fassen Sie den Zeigefinger und bewegen ihn nur ein wenig nach oben oder unten. Ist ihr Proband gesund, wird er Ihnen sagen können, ob Sie den Finger nach oben oder unten bewegt haben. Das ist bewusst wahrgenommene Propriozeption. Der Grund dafür, dass wir dies für gewöhnlich wahrnehmen können liegt darin, dass ein Teil der propriozeptiven Information über die Hinterstränge nach oben steigt und somit über den Thalamus dem Kortex zugeleitet wird.

 

Als letzte aufsteigende Bahn ist in Abb. 3.8 noch der Tractus spinoolivaris gezeigt. Dieser Fasertrakt ist auch in die Funktion des Kleinhirns eingebettet, soll aber hier nicht weiter besprochen werden.

Spinalnerven und periphere Nerven

Den prinzipiellen Aufbau von Spinalnerven betrachtet man am besten anhand eines Querschnitts auf Höhe des thorakalen Rückenmarks.

Beidseits des Dornfortsatzes der Wirbelkörper befindet sich die autochthone Rückenmuskulatur. Im vorderen Bereich lagert sich an den Wirbelkörpern die Aorta thoracica an. Zwischen Corpus und Arcus vertebrae befindet sich das Rückenmark im knöchernen Kanal der Wirbelsäule. Wie bereits besprochen, treten vorne die motorischen Vorderwurzeln aus dem Rückenmark aus, von hinten treten die sensiblen Hinterwurzeln in das Rückenmark ein. In Abb. 3.9 sehen Sie jetzt auch alle drei Hörner, das Cornu anterior, posterior und laterale. Des Weiteren ist das Ganglion spinale (Spinalganglion) als Anhäufung der Zellkörper sensibler pseudounipolarer Nervenzellen deutlich zu erkennen. Unmittelbar hinter dem Spinalganglion, also auf Ebene der Foramina intervertebralia, vereinigen sich Vorder- und Hinterwurzel zum Spinalnerven. Spinalnerven sind demnach in aller Regel gemischte Nerven mit motorischen und sensiblen Anteilen.

Bisher müsste Ihnen das bekannt vorgekommen sein, jetzt wird es aber spannend. Nach einer kurzen Strecke teilt sich jeder Spinalnerv in einen nach dorsal gerichteten Ramus dorsalis für die Versorgung der wirbelsäulennahen Haut und Muskulatur (der autochthonen Rückenmuskulatur) und einen nach ventral gerichteten Ramus ventralis auf, der für die Versorgung der Haut und Muskulatur des wirbelsäulenfernen Rückens sowie der seitlichen und bauchseitigen Körperabschnitte zuständig ist. Da auf Höhe der Brustwirbelsäule die Rami ventrales zwischen den Rippen verlaufen, werden sie auch Nervi intercostales genannt. Zwei weitere Zweige der Spinalnerven werden Ramus communicans albus et griseus genannt. Sie dienen der Weiterleitung viszero-efferenter (vizero-motorischer) Informationen (siehe auch Kapitel 5 über Hirnnerven). Das von einem Spinalnerven versorgte und somit von einem einzigen Rückenmarksegment innervierte Hautgebiet bezeichnet man als Dermatom, die versorgten Muskeln als Myotom.


Abb. 3.9

Auf Höhe des thorakalen Rückenmarks kann man in der grauen Substanz beidseits drei Hörner erkennen: Cornu anterius, posterius und laterale. Letzteres steht funktionell mit dem vegetativen Nervensystem in Verbindung. Die Spinalnerven teilen sich unmittelbar nach ihrem Durchtritt durch das Foramen intervertebrale in einen Ramus ventralis und einen Ramus dorsalis auf. Beides sind gemischte Nerven, transportieren also motorische und sensible Informationen. Der Ramus dorsalis innerviert die dorsale (autochthone) Rückenmuskulatur und mit seinen Endästen die diese bedeckende Haut. Der Ramus ventralis zieht als Nervus intercostalis zwischen den Rippen nach ventral. Dabei versorgt er sowohl motorisch als auch sensibel die Haut und Muskulatur des Thorax. Dies geschieht in segmentaler Höhe ihrer Austrittsstellen.

Wie bereits erwähnt, können am Rückenmark funktionell einzelne Segmente voneinander abgegrenzt werden. Daraus resultiert eine vergleichbare segmentale Anordnung der Dermatome und der Myotome. Die segmentale Anordnung von Dermatomen ist auf Höhe des Thorax und des Abdomens sowohl ventral als auch dorsal besonders gut zu erkennen: Wir sprechen von segmentaler Innervation. Wie Handtücher in einem Schrank liegen die einzelnen Dermatome übereinander.

Das Hautareal, welches in Abb. 3.10 mit Th7 markiert ist, wird vom siebten thorakalen Spinalnervenpaar sensibel innerviert (= Dermatom Th7). Das Hautareal, welches mit Th12 markiert ist, wird entsprechend vom zwölften thorakalen Spinalnervenpaar sensibel innerviert (= Dermatom Th12) usw. Ein Dermatom ist somit der Hautbereich, der von den sensiblen Fasern eines Rückenmarksegmentes versorgt wird. Durch Kenntnis der Lage der Dermatome können bei Sensibilitätsstörungen eventuelle Ausfälle einem bestimmten Rückenmarksegment zugeordnet werden. Klagt ein Patient beispielsweise über Sensibilitätsstörungen in den Dermatomen Th7/Th8 wäre zu vermuten, dass auf dieser Ebene des Rückenmarks ein krankhafter Prozess zu finden ist. Es ist ratsam, sich diesen Bereich dann im MRT genau anzuschauen. Natürlich wäre auch eine Schädigung der Spinalnerven in ihrem peripheren Verlauf denkbar, dann würde man aber eher eine einseitige Störung der Sensibilität erwarten. Vergleichbar versteht man unter einem Myotom die Muskulatur, die von einem Rückenmarksegment innerviert wird. Damit ist ein Myotom das muskuläre Pendant eines Dermatoms und kann entsprechend zu diagnostischen Zwecken herangezogen werden.


Abb. 3.10

Übersicht über die Dermatome

Ein Dermatom ist der Hautbereich, der von den sensiblen Fasern eines Rückenmarksegments versorgt wird.

Das Dermatom Th7 wird also vom siebten thorakalen Spinalnerv innerviert. Die segmentale Innervation der Dermatome ist im Bereich von Thorax und Abdomen besonders gut zu erkennen.

Im Bereich der Extremitäten hingegen lässt sich die segmentale Innervation nicht mehr ganz so einfach nachvollziehen. Der hier abgebildete Vierfüßlerstand hilft zwar, zum nachhaltigen Verständnis ist eine Beschäftigung mit der Plexusbildung jedoch unvermeidlich (siehe Abb. 3.11).

Etwas komplizierter gestaltet sich die Sache jedoch abseits des thorakalen Rückenmarks. Auch dort teilt sich jeder Spinalnerv in einen Ramus dorsalis und Ramus ventralis auf. Der Ramus dorsalis versorgt, ähnlich wie im Brustbereich, die wirbelsäulennahe Haut und Muskulatur. Die Rami ventrales ziehen jedoch nicht „einfach“ in die Peripherie, sondern bilden Nervengeflechte (Nervenplexus).


Abb. 3.11

Während die segmentale Innervation im Bereich des Rumpfes einfach nachzuvollziehen ist, geht sie im Bereich der Extremitäten teilweise verloren. Grund hierfür ist die Plexusbildung der Rami ventrales der Spinalnerven (siehe Text).

Die Information eines Dermatoms (farblich unterschiedlich hervorgehobene Felder) verteilt sich nunmehr auf mehrere periphere Nerven (mit grauen Linien abgetrennte Bereiche).

So setzt sich das Dermatom C5 beispielsweise aus vier verschiedenen peripheren Nerven zusammen: den Nn. supraclaviculares aus dem Plexus cervicalis, einem Hautnerven des N. axillaris, einem Hautnerven des N. radialis und einem Hautnerven des N. musculocutaneus.

Ebenso kann ein peripherer Muskel von mehreren Rückenmarksegmenten innerviert werden.

Makroskopisch erscheint ein Nervenplexus als ein Geflecht und Durcheinander verschiedener Rami ventrales. Tatsächlich handelt es sich jedoch um einen hoch organisierten Austausch von Nervenfasern. Der entscheidende Unterschied von Rami ventrales der Spinalnerven Th1–Th12 zu allen anderen ist demnach folgender: Rami ventrales von Th1–Th12 ziehen direkt als eigenständige Nerven in die Peripherie. Sie transportieren damit die Information nur eines Rückenmarksegmentes. Rami ventrales der zervikalen, lumbalen und sakralen Spinalnerven hingegen tauschen in Nervengeflechten Informationen verschiedener Rückenmarksegmente untereinander aus. Die aus den Nervenplexus hervorgehenden peripheren Nerven führen als Folge der Plexusbildung Informationen mehrerer Rückenmarksegmente. Umgekehrt kann man folgern, dass ein Dermatom und Myotom nun nicht mehr von einem sondern von mehreren peripheren Nerven versorgt wird.

Schauen wir uns die Plexusbildung etwas genauer an. In Abb. 3.11 sind die Dermatome C4–Th6 farblich hervorgehoben. Um zu verdeutlichen, dass hier jedes Dermatom von verschiedenen peripheren Nerven versorgt wird, sind die entsprechenden Versorgungsgebiete der peripheren Nerven ebenfalls in die Abbildung eingezeichnet.

Wie zu sehen ist, beteiligen sich mindestens vier periphere Nerven an der sensiblen Versorgung des Dermatoms C5: Nervi supraclaviculares, zwei Hautäste aus dem Nervus axillaris und ein Hautast aus dem Nervus musculocutaneus. Im Zuge der Plexusbildung im Hals- und Armbereich haben sie alle einen Teil der sensiblen Information des Rückenmarksegmentes C5 aufgenommen. Andererseits führt ein peripherer Nerv sensible Informationen mehrerer Rückenmarksegmente. Sie teilen sich quasi die Arbeit. Ähnlich verhält es sich mit Myotomen. Der Musculus biceps brachii wird von motorischen Nervenzellen der Segmente C5–C7 aktiviert. Diese werden ihm durch den Nervus musculocutaneus zugeleitet. Auch hier führt ein peripherer Nerv die Information mehrerer Rückenmarksegmente. Der „evolutionäre Vorteil“ einer solchen Plexusbildung liegt auf der Hand: Bei einer traumatischen Durchtrennung eines peripheren Nervens fällt eine Teilfunktion mehrerer Rückenmarksegmente aus, nie aber die gesamte Funktion eines ganzen Rückenmarksegments. In unserem Beispiel würde eine Schädigung des Nervus cutaneus antebrachii medialis nur Teile des Dermatoms C5 lahmlegen, nicht aber das gesamte Dermatom C5. Auf der anderen Seite werden natürlich auch krankhafte Prozesse im Rückenmark „abgepuffert“. Ist ein Rückenmarksegment verletzt (z. B. C5) erhält der Musculus biceps brachii immer noch Signale der beiden anderen Segmente, C6 und C7. Eine Restfunktion ist gesichert, der Wolf kann im Kampf noch immer erlegt und dann verspeist werden.

Am besten stellt man hier einen Vergleich zum Aktienhandel an: Risikofreudige Händler setzen ihr gesamtes Kapital auf nur eine Aktie. Bei schlechter Kurslage können die Verluste immens sein. Weniger risikofreudige Händler verteilen ihr Kapital auf mehrere verschiedene Aktien. Stürzt eine Aktie ab, halten sich die Gesamtverluste in Grenzen. Ganz ähnlich funktioniert die Plexusbildung.

Die Lage und der genaue Aufbau der Plexus werden in Lehreinheiten über den Bewegungsapparat abgehandelt. Merken sollte man sich jedoch, welche Nervengeflechte es gibt: Plexus cervicalis, brachialis und lumbosacralis.

Der Plexus cervicalis ist ein Nervengeflecht, das aus den Rami ventrales der Spinalnerven C1 bis C5 gebildet wird. Er entsendet motorische Äste zur Halsmuskulatur (Musculus sternocleidomastoideus, Musculus trapezius, Musculus levator scapulae, Musculi scaleni, Musculus geniohyoideus), zur infrahyalen Muskulatur sowie zum Zwerchfell (Nervus phrenicus). Seine sensiblen Äste ziehen zum Ohr, zum Hals, zur Haut über dem Schlüsselbein und in Richtung Schulter.

Der Plexus brachialis ist ein Nervengeflecht, das aus den Rami ventrales der Spinalnerven C5–C8 und Th1 gebildet wird. Seine Äste vereinigen sich nach Durchtritt durch die hintere Skalenuslücke (dem Spalt zwischen dem vorderen und mittleren Musculus scalenus) zu drei Hauptstämmen (Trunci) und anschließend zu mehreren, untereinander verbundenen Strängen, den Fasciculi. Aus dem Plexus brachialis gehen Nerven für Arm, Schulter und Brust hervor.

 

Der Plexus lumbosacralis ist eine funktionelle Einheit aus zwei Nervengeflechten der unteren Körperregion, die häufig aus didaktischen Gründen getrennt besprochen werden, eigentlich aber eng zusammenhängen: Plexus lumbalis (Segmente L1–L3, mit einzelnen Fasern aus Th12 und L4) und Plexus sacralis (Segmente L5–S3, mit einzelnen Fasern aus L4 und S4). Der Plexus lumbalis versorgt motorisch die unteren Abschnitte der Bauchwandmuskulatur, sensibel die Haut des Unterbauchs und der Genitalregion sowie motorisch und sensibel die vordere Oberschenkelregion. Einige sensible Fasern erreichen auch den Unterschenkel. Der Plexus sacralis versorgt motorisch die Gesäßmuskulatur, die Muskulatur des hinteren Oberschenkels, des Unterschenkels und Fußes. Darüber hinaus schickt er sensible Fasern zur Haut des Afters, des hinteren Oberschenkels, großer Teile des Unterschenkels und des Fußes.

Prinzipieller Aufbau eines Reflexbogens

Viele Aktionen im täglichen Leben führen wir nicht bewusst und willkürlich, sondern reflexartig aus. Wenn wir beispielsweise unsere Hand versehentlich auf die heiße Herdplatte legen, denken wir nicht etwa „oh, das ist jetzt aber echt heiß und gefährlich“, sondern wir ziehen die Hand reflektorisch zurück – und zwar noch bevor uns der Schmerz bewusst wird. Reflexe dienen also dazu, uns zu schützen und werden recht schnell ausgeführt. Ein Reflex ist demnach eine unwillkürliche, rasche und gleichartige Reaktion eines Organismus auf einen bestimmten Reiz.

Reflexe können vom einfachen Reflexbogen bis hin zu aufwändigen Reflexkreisen „höherer“ Art unterschiedlich komplex sein. Das allgemeine Prinzip ist in Abb. 3.12 dargestellt.


Abb. 3.12

Einfacher Reflexbogen

Ein Reflex umfasst:

–Reiz

–afferente Zuleitung zum ZNS

–Verschaltung

–efferente Zuleitung zumErfolgsorgan

–Reaktion

Ein Reiz, beispielsweise Schmerz, wird dem Zentralnervensystem zugeleitet und dort verschaltet. Über den efferenten Teil des Reflexbogens wird dann eine Reaktion zur Ausführung gebracht. Ein Reflex, den wohl jeder kennt, ist der Kniesehnenreflex bzw. Patellarsehnenreflex. Bei einem leichten Schlag unterhalb der Kniescheibe reagiert das Bein mit einer wippenden Vorwärtsbewegung. Schauen wir uns diesen Reflex etwas genauer an.

Der Patellarsehnenreflex, kurz PSR, ist ein Eigenreflex: Nach einem Schlag auf die Patellarsehne löst er eine Kontraktion der Streckmuskulatur des Oberschenkels, des Musculus quadriceps femoris, und damit eine Streckung im Kniegelenk aus. Es besteht lediglich eine synaptische Verschaltung, weswegen solche Reflexe auch monosynaptische Reflexe genannt werden. Durch den Schlag auf die Patellarsehne wird der Muskel lokal gedehnt. Dehnungsrezeptoren, die Muskelspindeln, registrieren diese Dehnung, werden aktiviert und leiten die Dehnungsinformation dem Hinterhorn des Rückenmarks zu. Die Afferenzen laufen größtenteils über Nervenfasern der Klasse Ia (siehe Lehrbücher der Physiologie). Die Aktionspotenzialfrequenz der Ia-Fasern ist dabei proportional zur Längenzunahme eines Muskels sowie zur Geschwindigkeit, mit der sich eine Längenänderung vollzieht. Diese Ia-Fasern aktivieren die gleichseitigen α-Motoneurone. Über den Nervus femoralis gelangen diese motorischen Impulse zum Musculus quadriceps femoris, das Knie streckt sich. Gleichzeitig werden über Querverknüpfungen (Interneurone) α-Motoneurone der Antagonisten, in diesem Fall der ischiokruralen Muskulatur, inhibiert. Das macht Sinn, denn nur so kann das Kniegelenk gestreckt werden. Da beim beschriebenen Patellarsehnenreflex der Reiz (Schlag mit dem Hammer) und die Antwort (Kontraktion des Musculus quadriceps femoris) in einem Organ liegen, sprechen wir auch vom Muskeleigenreflex.


Abb. 3.13

Mono- und polysynaptischer Reflex

Beim monosynaptischen Reflex besteht der Reflexbogen aus afferentem Neuron (rot) und efferentem Neuron (blau).

Bei polysynaptischen Reflexen sind zusätzlich Interneurone (lila) in den Schaltkreis eingebettet.

Klinik

Neben dem Patellarsehnenreflex gibt es noch viele andere Muskeleigenreflexe wie etwa den Achillessehnenreflex oder den Bizepssehnenreflex (siehe Tabelle 3.1). Die Reflexprüfung ist ein Teil jeder allgemeinen körperlichen Untersuchung. Sie dient der Kontrolle der physiologisch vorhandenen Reflexe und dem Aufspüren pathologischer Reflexe. Das Ergebnis der Reflexprüfung bezeichnet man als Reflexstatus eines Patienten. Die Reflexe werden immer im Seitenvergleich geprüft, um die Reflexantwort besser beurteilen zu können. Die Dokumentation der Reflexantwort erfolgt in der Regel semiquantitativ, indem der Reflex als „normal“, „vermindert“ bzw. „abgeschwächt“, „gesteigert“ oder „fehlend“ eingeordnet wird. Sind Muskeleigenreflexe entweder einseitig oder im Vergleich zu anderen Muskeleigenreflexen über das normale Maß hinaus gesteigert oder erloschen, sollte man dies als Hinweis auf einen pathologischen Prozess werten. Bei einem Bandscheibenvorfall beispielsweise können Reflexe mitunter nicht mehr auslösbar sein, weil die Signalweiterleitung gestört ist. Da Muskeleigenreflexe meistens von einem oder zwei Rückenmarksegmenten ausgeführt werden, kann das Erheben eines genauen Reflexstatus wichtige Hinweise über die Lage pathologischer Prozesse liefern.

Tabelle 3.1a

Eigenreflexe


Nerven- wurzelnEigenreflexeDurchführung
C5–C6Bizepssehnen-reflex (BSR)Der Untersucher legt den eigenen Daumen auf die Bizepssehne des Patienten, schlägt mit dem Reflexhammer auf das Grundglied seines Daumens und löst damit eine Beugung des Unterarmes aus.
Brachioradialisreflex (BRR) /Radiusperiostreflex (RPR)Durch Beklopfen des distalen Radius mit dem Reflexhammer wird eine Beugebewegung im Unterarm ausgelöst.
C7–C8Trizepssehnenreflex (TSR)Der Untersucher hält den Arm des Patienten im angewinkelten Zustand und klopft mit dem Reflexhammer auf die Trizepssehne, wodurch eine Extension im Ellenbogengelenk ausgelöst wird.
Trömner-ReflexDie meisten Reflexhämmer verfügen an ihrem Kopf über zwei unterschiedlich große Gummieinsätze. Bei der Prüfung des Trömner-Reflexes wird der kleinere Gummieinsatz benutzt. Mit diesem wird auf die Beugeseite des Mittelfingerendglieds geklopft. Bei Störungen des Nervensystems beugen sich jedoch reflektorisch die Finger. Man spricht dann von einem positiven Trömner-Reflex.

Tabelle 3.1b

Eigenreflexe


Nerven-wurzelnEigenreflexeDurchführung
L2–L4AdduktorenreflexZu einer Adduktionsbewegung der Beine kommt es beim Beklopfen der Sehnen oberhalb des Condylus medialis femoris.
Patellarsehnenreflex (PSR)In leicht angewinkelter Haltung der Beine beklopft der Untersucher die Sehne unterhalb der Patella und bewirkt damit eine Extension im Kniegelenk.
L5Tibialis-posterior-Reflex (TPR)Der Untersucher schlägt hierbei mit dem Reflexhammer auf die Sehne des M. tibialis posterior. Der Reflex wird positiv gewertet, wenn eine Inversion des Fußes beobachtet werden kann.
S1–S2Achillessehnenreflex (ASR)Der Schlag auf die Achillessehne mit dem Reflexhammer bewirkt eine Plantarflexion des Fußes. Alternativ kann der Reflex auch durch einen Schlag gegen den Fußballen ausgelöst werden.

Wie bereits erwähnt, werden Muskeleigenreflexe auch monosynaptische Eigenreflexe genannt, da der Reflexbogen nur über eine Synapse verläuft, die zwei Neurone miteinander verbindet: ein afferentes, sensibles Neuron und ein efferentes, motorisches Neuron. Rezeptor- und Effektororgan sind identisch. Fremdreflexe werden solche Reflexe genannt, bei denen Rezeptor und Effektor i. d. R. nicht im gleichen Organ liegen. Ihre Verschaltung verläuft über mehrere Synapsen und wird daher auch als polysynaptisch bezeichnet. Die Untersuchung der Fremdreflexe gehört in erster Linie nicht zur Standarduntersuchung bezüglich der Erhebung des neurologischen Status, sondern kann bei weiterführender Untersuchung erwogen werden. Wichtige Fremdreflexe sind in Tabelle 3.2 zusammengefasst.

Tabelle 3.2a

Fremdreflexe


Nerven-wurzelnFremdreflexeDurchführung
Th6–Th12Bauchhautreflexe (BHR)Die Bauchhautreflexe werden beim entspannt liegenden Patienten getestet. Der Untersucher streicht mit einem spitzen Gegenstand o. ä. von lateral nach medial auf beiden Seiten auf drei Etagen– unterhalb des Rippenbogens– auf Nabelhöhe– oberhalb des Leistenbandes.Physiologisch kommt es zu einer Kontraktion der Bauchmuskulatur, bei Störungen bleibt die Kontraktion aus.
L1–L2KremasterreflexZur Untersuchung des Kremasterreflexes bestreicht man den medialen Oberschenkel. Es kommt zu einer Hebung des gleichseitigen Hodens durch die Kontraktion des M. cremaster.

Tabelle 3.2b

Fremdreflexe


Nerven-wurzelnFremdreflexeDurchführung
S3–S5AnalreflexDer Analreflex wird durch Bestreichen der Perianalregion mittels Spatel ausgelöst. In der Folge kommt es zu einer Kontraktion des Schließmuskels.
BulbokavernosusreflexDer Bulbokavernosusreflex wird durch Kneifen der Glans penis oder der Klitoris provoziert und führt zur Kontraktion der Beckenbodenmuskulatur.

Zu guter Letzt gibt es noch die pathologischen Reflexe. Ein pathologischer Reflex ist eine automatische, unwillkürliche Körperreaktion (Reflex), die bei Gesunden nicht vorkommt. Bei Säuglingen sind solche Reflexe oft noch physiologisch und unbedenklich. Beim Erwachsenen kommen sie bei Erkrankungen des ZNS vor, z. B. bei zentralen Schädigungen. Beispiele von pathologischen Reflexen, die bei einer Schädigung der Pyramidenbahn auftreten, nennt man Pyramidenbahnzeichen.

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